Besuch mich im Schlaf von Gmork (SJ - "All is forgotten") ================================================================================ 1. -- Immer, wenn der Wecker klingelte und von seiner großen Hand, die mit den schlanken und dennoch kräftigen Fingern, ausgeschlagen wurde; immer wenn er die Seidengarnitur seines riesigen Bettes zurückschlug und seine nackten Füße zum ersten Mal des Tages auf den kühlen Boden setzte; immer, wenn er seinen Blick über das noch verschlafene, bunte und dennoch farblose Panorama hinter seinem Fenster schweifen ließ und immer, wenn er geräuschlos durch das Zimmer Richtung Badezimmer wandelte, sich auf die morgendliche Dusche freuend, immer dann hatte er diesen Geruch in der Nase. Noch bevor er das erste milde Licht oder den schrillen Alarmton seiner kleinen, lästigen Uhr wahrnahm; bevor er zum Tagesanfang die Augen aufschlug, so verriet ihm immer der Geruch, dieser verdammte Geruch, dass er wach war und aufstehen musste, um in einen neuen, ebenso langweiligen Morgen zu starten, der irgendwann, viele Stunden später, zu einem ereignislosen Abend geworden sein würde. Er wusste nicht, wann er ihn zum ersten Mal wahrgenommen hatte, doch anfangs hatte er versucht, es zu ignorieren. Hatte sich einbilden wollen, dass dort nichts war. Kein penetranter Geruch, der ihn jeden Morgen aus dem Schlaf riss und dabei doch nicht so lästig war, wie er sich immer wieder einredete. Oder glaubte. Mittlerweile musste er sich eingestehen, dass er diesen Duft mochte – auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie man an dieser grotesken Mischung aus Kinderzahnpasta, kalter Pizza, Eisbonbons und Weichspüler tatsächlich Gefallen finden konnte. Und doch war er gezwungen, zuzugeben, dass er, immer wenn er abends in sein perfekt gemachtes Bett stieg, sich auf den nächsten Morgen freute, nur um wieder diesen Geruch wahrzunehmen; gleichzeitig beschlich ihn jeden Abend die Angst, am nächsten Tag ohne ihn aufzuwachen. Er hatte, wenn man es so nennen konnte, eine unbegreifliche Sucht entwickelt. Jeden Abend hatte er das Gefühl, nicht allein schlafen zu gehen. Jeden Morgen war ihm so, als wäre jemand heimlich in sein Bett gestiegen und dann noch vor Tagesanbruch wieder verschwunden. Und so seltsam es klang, seitdem fühlte er sich weniger einsam. Als hätte er jemanden an seiner Seite. Vielleicht eine Familie, denn die hatte er, außer seinem Bruder, nie gehabt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)