Alles hat seine Konsequenzen von KleinReno ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nyx lief durch die Straßen Londons. Freiwillig tat er dies garantiert nicht. Aber was tat man nicht alles für die liebe Mutter? Und wenn der Zwillingsbruder meinte, abhauen zu müssen, so musste er nun mal hinterher und ihn nach Hause schleifen. Es war schon stockduster, aber stören tat ihn das nicht. Sein Sehsinn war besser als der von anderen, besser als der von Menschen. Er war schließlich ein Halbvampir, Mit der großen Betonung auf Halb. Er mochte seine vampirische Seite nicht besonders. Gut, er hatte eine bessere Sehkraft, war stärker, hatte bessere Reflexe und konnte sich somit auch schneller bewegen, aber mit einem richtigen Vampir konnte er natürlich nicht mithalten. Da wäre er am liebsten durchschnittlich und ein voller Mensch. Denn wenn er sich in den Finger schnitt, durfte er das Blut nicht einfach schnell ablecken und die Sache wäre erledigt. Sobald er auch nur einen Tropfen Blut zu sich nehmen würde, würde sein Vampir die Überhand nehmen und er müsste sich ausschließlich von Blut ernähren. Ja, soviel wusste er. Auch, dass er aufhören würde zu altern, wenn er Blut trinken würde, aber da führte er lieber ein menschliches Leben inklusive Altern und fester Nahrung und genoss die Freuden eines ganz normalen Teenagers mit ein paar Spezialfähigkeiten. Schließlich besaß er die natürliche sexuell anziehende Ausstrahlung eines Vampirs und die Mädchen lagen ihm zu Füßen. Was sollte er sich mehr wünschen? Aber nun war sein Bruder schon seit ein paar Tagen verschwunden und ihre Mutter machte sich Sorgen. Nyx wusste, wie sein Bruder drauf war, er benahm sich ja meistens nicht anders. Ein draufgängerischer Charakter prägte die beiden, sonst würde er auch nicht jetzt noch durch die Straßen ziehen, obwohl es bereits Mitternacht schlug. Er blieb stehen und strich sich eine Strähne aus der Stirn, die sich bei dem ganzen Haarspray gelöst hatte. Er trug seine Haare zu einem braunen Wuschelkopf frisiert, sodass die Haare gekonnt in seine Augen fielen. „Wo bist du nur, Damien?“, fragte er sich selbst laut und blieb mit den Händen in die Seiten gestemmt stehen. „Damien?“, ertönte eine Stimme hinter ihm und Nyx drehte sich erschrocken um. „Verdammt! Wer bist du denn? Hast du mich aber erschreckt.“, stieß er aus. Ihm gegenüber stand ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren. „Du musst Damiens Bruder sein. Ihr seht wirklich gleich aus, da hat er nicht untertrieben.“, grinste der Mann und entblößte seine langen Fangzähne. Ein Vampir, durchschoss es den Jungen sofort und er seufzte theatralisch auf. „Toll. In welche Scheiße hat er sich jetzt schon wieder geritten?“, fragte er. „In gar keine. Er genießt die Freuden bei uns. Wieso suchst du ihn denn?“, fragte der Mann. Abschätzend hob Nyx das Kinn an und meinte: „Ich wüsste nicht, was dich das anginge. Wir kennen uns nicht. Ich suche bloß meinen Bruder.“ Der Vampir grinste breiter. „Entschuldige. Ich hab mich gar nicht vorgestellt. Richard mein Name und du musst Nyx sein.“ „Woher-“ „Damien hat viel von dir erzählt. Komm, ich bring dich zu ihm.“, erklärte Richard und drehte sich um. Schulterzuckend folgte Nyx ihm. Schlimmer konnte es ja kaum noch kommen. Richard führte ihn durch die Gassen in einen wirklich abgelegenen Teil Londons. Vor einem alten Fabrikgebäude blieb er stehen. „Hier soll er sein?“, fragte Nyx und zog eine Augenbraue hoch. „Ja. Komm mit rein.“ „Wie naiv bin ich eigentlich?“, fragte der Junge und trat vor dem Vampir in die Fabrik. Das Grinsen des Vampirs konnte er nicht sehen, aber er wusste, dass es da war. Der Raum war wie erwartet leer, doch der Vampir stieß ihm in den Rücken, damit er weiterging. „Hier ist doch gar nichts.“, sagte er und schaute über die Schulter. „Hier vorne ist auch nichts, sondern hinten.“, lachte Richard und da entdeckte der Junge auch die Tür. Er öffnete sie und blieb gleich im Rahmen stehen. Er hatte alles erwartet, aber nicht das! Überall waren Sofas, Kissen und Tische, alles in sämtlichen Variationen, um jegliche Wünsche zu erfüllen. Ebenfalls war der Blutgeruch nicht zu übersehen bzw. zu überriechen. „Ich bring den Kerl um, wenn ich ihn in die Finger bekomme.“, knurrte Nyx und stampfte in den Raum. Richard grinste weiter und ging zur linken Seite, wo sich eine große Bar befand mit zwei Kellnerinnen. Nyx wurde leicht rot um die Nase, als er bemerkte, dass ihre Kleidung mehr zeigte, als dass sie bedeckte. Sie trugen bloß Spitzen-BHs und sehr kurze Röcke, die einen Einblick auf ihre passend zu den BHs Spitzenhöschen zuließen, allerdings so knapp nur, dass man sich mehr denken musste, wie sie aussahen, als es wirklich zu sehen. Sehr brutal für einen Halbvampir von gerade einmal achtzehn Jahren wie Nyx. Aufgrund dessen schaute er auch schnell wieder weg, wobei ihm Richards amüsiertes Grinsen über seine Reaktion nicht entging. Zu seinem Glück sagte er aber nichts. Kurz angezogene Mädchen oder Frauen waren für Nyx nichts neues, aber in Bars oder Kneipen oder als was auch immer er dies bezeichnen sollte mit solchen Angeboten, war er noch nicht. Bis jetzt hatte immer ein normaler Besuch in der Disko oder in einer normalen Bar ausgereicht, um ein Mädchen für die Nacht mit nach Hause zu nehmen. Er schaute sich um. Es waren viele Personen da. Der Raum war auch sehr groß und er sah auch eine Wendeltreppe und eine weitere Tür, welche offen stand und mit einem Vorhang versehen war. Beruhigt stellte er fest, dass er von den Anwesenden ignoriert wurde. Es mussten allesamt Vampire sein, wenn Richard schon einer war und sein Bruder sich hier aufhalten sollte. Man gut er verstand sich so gut mit der vampirischen Seite von London - nicht! Er war froh, die Wahl gehabt zu haben, ob ein überdurchschnittlicher, sehr gut aussehender Mensch oder ein unterdurchschnittlicher, normal aussehender Vampir zu sein. Da waren die Vorteile doch wohl klar zu sehen. Auch wenn man eine im Vergleich zum Vampir sehr kleine Lebensspanne hatte, so hat man doch ein sehr erfülltes Leben mit schönen Mädchen und einem Einfluss, der sich sehen lassen konnte. Immerhin war eine vampirische Aura von Vorteil. Sobald er Ärger hatte, ließ er die Aura los und sagte einige liebe Worte und er war aus dem Schneider. Sehr von Vorteil, wenn einem alle zu Füßen liegen und sie nicht einmal merken, wie sie manipuliert werden. Langsam schaute sich Nyx alle Anwesenden an, entdeckte seinen Bruder aber nicht. Er seufzte. Ja, er suchte seinen Bruder. Seine Mutter wollte es so. Aber er tat es auch, weil er seinen Bruder ganz gern hatte, sie waren ja Brüder, Zwillinge, hatten ihr ganzes Leben zusammen verbracht, alles zusammen erlebt. Aber nun musste Damien ja unbedingt den Vampir heraus hängen lassen und sich in diese Gesellschaft begeben. Nyx' größte Sorge war, ob Damien schon Blut getrunken hatte oder nicht. Hoffentlich nicht. Es wäre eine ganz neue Wendung in ihrem Leben. Mit einem erneuten Seufzen ging er zu Richard an die Bar. „Wo ist denn jetzt Damien?“, fragte er. Richard sah ihn von der Seite an. „In diesem Haus.“, grinste er. Nyx schaute nach vorne, dort war wie in jeder Kneipe ein Spiegel und er konnte Richard ganz genau sehen, sein selbstgefälliges Grinsen, die zusammengekniffenen Augen und die amüsierten Lachfältchen, welche sich um eben diese gebildet hatten. Es musste ihm wohl Spaß machen, Nyx hier hinzuhalten oder eher zu ärgern, anders konnte er es nicht mehr nennen. „Ach nein. Wirklich?“, sagte der Halbvampir sarkastisch, „Auf diese Idee wäre ich niemals gekommen. Gut, dass ich dich gefragt habe.“ Gekünstelt drehte er sich um und ließ seinen Blick erneut durch den Raum gleiten. „Komisch. Irgendwie sehe ich ihn nicht.“ Richard musste lachen. „Ihr seid euch nicht nur vom Äußeren sehr ähnlich.“, sagte er, „Auch euer Charakter gleicht sich. Damien hat nicht gelogen, als er sagte, ihr seid wirkliche Zwillinge.“ „Was interessiert es mich, was der Mistkerl euch über mich erzählt hat. Ich habe keinen Bock auf dein Schmierentheater. Wo ist er? Ist er überhaupt hier? Oder hast du dir einen Spaß daraus gemacht, mich in irgendeine von euren komischen, verborgenden Locations zu bringen und mein missratender Bruder befindet sich überhaupt nicht hier?“, platzte es Nyx heraus. Eigentlich wurde älteren Vampiren immer eine gewisse Höflichkeit und Ehrfurcht entgegen gebracht. Vor allem, wenn sie auch vom Rang höher waren. Doch Nyx hatte noch nie etwas auf diese Eigenarten gegeben, mal ganz davon gesehen, dass er auch keinen Kontakt zu dieser Gesellschaft gehabt hatte und es immer so gehandhabt wie auch in der Welt der Menschen, wer ihm dumm kam, bekam es dumm zurück. Richard drehte sich vollends zu ihm um. „Du willst also deinen Bruder?“, fragte er leise. „Ne! Ich tu nur so.“, kam es zurück. „Komm mit.“, sagte der Vampir und ein sehr seltsames Lächeln umspielte dessen Mundwinkel, fast schon selbstgefällig. Nyx bemerkte es und eine dunkle Vorahnung überkam ihn zusammen mit einem Schauer, welcher über seinen Rücken glitt. Dennoch folgte er Richard, auch wenn er schon ahnte, dass der Anblick, welcher sich ihm bieten könnte, ihm keine Freude bereiten würde. Der Vampir führte ihn die Wendeltreppe hinauf. Dort oben befand sich ein großer Raum vom gleichen Aufbau wie unten, nur dass die Bar fehlte. Dies war mehr ein Rückzugsort. Es befanden sich Sofa und Kissen überall verteilt, sodass sich so etwas wie viele kleine Kuschelecken bildeten und es gab sogar mehrere große Betten mit Vorhängen, damit niemand hineingucken konnte. Zu Nyx‘ Missfallen hielten sich hier mehr Vampire auf. Sie lagen und saßen auf den Kissen und Sofas und bei einem Bett waren die Vorhänge zugezogen. Was dort von statten ging, wollte er sich gar nicht vorstellen. Auch hier gab es anscheinend noch weitere Räume, denn es befanden sich hier mehrere Türen, welche allesamt verschlossen waren. Richard ging zielsicher zu einer doppelflügeligen Tür und blieb dort stehen. Nyx folgte ihm. „Damien ist dort mit einer kleinen Draculina. Sie werden sich sicher sehr amüsieren.“ Nyx ließ sich nichts anmerken, aber eine Wutader trat ihm bestimmt am Hals heraus. „Da drin?“, fragte er zur Versicherung und deutete auf die Tür. „Da drin, ja.“, bestätigte der Vampir. Das genügte dem Halbvampir und er riss die Tür förmlich auf. Der Raum dahinter war abgedunkelt und die nun offene Tür war die einzige Lichtquelle. Der Raum war klein und es befand sich ein großes Sofa darin und auf  diesem Sofa lagen Damien und die Draculina. Damien lag über sie gebeugt und die Vampirin lag ausgebreitet unter ihm, den Kopf in den Nacken gelegt. Doch da Nyx die Tür ohne Vorwarnung geöffnet hatte, schauten nun beide zu eben dieser. Der Hals des Mädchens, welches höchstens sechzehn Jahre betrug, war blutbefleckt und Damien schaute mit roten Augen und Blut um den Mund Nyx mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Auch waren die Augen von dem üblichen braun-rot zu einem klaren blutrot übergegangen. Nyx wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Bruder, sein Zwilling, seine andere Hälfte hatte Blut getrunken. Dies war ein Schritt, der sie von einander entfernte, wobei sie sonst alles gemeinsam hatten und taten. Der Blick von Nyx wurde abfällig und er rümpfte die Nase. „Was willst du?“, fragte Damien, setzte sich auf und wischte sich den Mund mit dem Handrücken, was nicht besonders viel half. „Unsere Mutter macht sich Sorgen. Ich suche dich seit Tagen.“, erklärte er, „Aber du scheinst ja bestens versorgt zu sein.“ Sein Blick wanderte kurz zu der kleinen Draculina. „Das kann dir doch egal sein.“, sagte Damien genauso abfällig. „Kann es nicht. Du bist immer noch mein Bruder.“ „Nur weil du das Leben eines Menschen führen willst.“ „Nur weil du das Leben eines Vampirs führen willst.“, gab Nyx zurück. Damien schnaubte belustigt. „Du bist doch nur eifersüchtig.“ Nun war es Nyx, der belustigt schnaubte. „Ich? Eifersüchtig? Auf dich?“, er lachte, „Ich bin doch nicht eifersüchtig auf dich, nur weil du dich jetzt für ein Leben entschieden hast, wo du ein absoluter Loser bist.“ Verärgert fletschte Damien die Zähne. „Sag das noch mal.“, drohte er. Nyx stellte sich aufrecht hin und atmete theatralisch ein. „Du. Bist. Ein. Loser.“, sagte er langsam. Doch kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, sprang Damien auf ihn zu und schlug mit der Hand nach ihm. Nyx hatte mit so etwas gerechnet und stürzte nach hinten, doch er war nicht schnell genug. Damiens Schlag hatte ich erwischt und nun hatte sein T-Shirt drei lange Risse auf der Brust, verletzt war er aber nicht. Normalerweise würde ein Schlag niemanden das Shirt zerfetzen, aber sie waren zur Hälfte Vampir und diese Geschöpfe konnten mit ihrer Hand durch einen ganzen Rumpf schlagen. Da bekam der Ausdruck Ich box‘ dir ‘nen Tunnel durch‘n Kopf eine völlig neue Bedeutung. Aber die beiden Halbvampire konnten dies nicht, sie waren natürlich schwächer, aber zentimetertiefe Kratzer vermochten sie doch zu fabrizieren. Damien grinste zufrieden. „Du weißt doch, dass ich schneller bin als du.“ Nyx war erstarrt. Sein Bruder wollte ihn wirklich verletzen. Sie hatten selbstverständlich sich schon öfter geprügelt, aber sie hatten sich nie so angegriffen, dass sie sich ernsthaft verletzen würden. „Du-“, sagte er bloß. „Was? Hab ich nicht richtig getroffen? Möchtest du, dass ich dich verletze? Das kannst du haben.“, sagte Damien ohne wirklich zu wissen, was er da eigentlich tun wollte. Er sprang erneut vor und hieb in die Brust seines Bruders. Dieser keuchte erschrocken auf und sackte zu Boden. Alarmiert besah er sich sein Shirt, welches sich sofort rot färbte. Geistesabweisend zog er sein Oberteil von der Bauchdecke und konnte durch die Risse in dem Stoff sehen, wie das Blut seine Burst und Bauch hinab lief und von seiner Jeans aufgesaugt wurde oder auf den Boden tropfte. Die Verletzungen waren tief und Nyx kam es in den Sinn, dass er hier und jetzt unter diesen Umständen sterben würde. Verängstigt sah er seinen Bruder an, welcher ebenfalls geschockt zurücksah. „Das… das… ich wollte das nicht.“, stotterte er nur. Durch das viele Blut kamen einige Vampire hergeeilt, unter anderem auch Richard. „Damien. Was ist passiert?“, fragte er. Dieser starrte aber nur geschockt auf seinen Bruder und hielt seine Hände hoch, eine war blutverschmiert. Richard konnte sich sofort denken, was passiert war. Nyx dagegen dachte immer weniger. Sein Sichtfeld verkleinerte sich und verschwommen war es auch. Ein Gedanke beherrschte seine Welt: Tod. Er würde sterben. Er war ein Mensch, er würde sterben. Nein, ertönte eine Stimme in seinem Unterbewusstsein. Du bist auch ein Vampir. Was tun Vampire, um sich zu stärken? Blut trinken, dachte er langsam. Geistesgegenwärtig riss er seinen Bruder am Hemd zu sich hinunter. Damien war zwar schneller, aber Nyx war stärker. Er zog ihn auf Augenhöhe und biss in seinen Hals. Damien riss überrascht die Augen auf, ließ ihn aber machen. Richard und die anderen Vampire staunten nicht schlecht. Sie wussten alle, dass Nyx sehr anti-vampirisch eingestellt war und sich dazu entschlossen hatte, ein menschliches Leben zu leben. Das hatte Damien ihnen erzählt. Damien selbst kniete nun vor seinem Bruder und hielt diesen ungeschickt am Rücken fest. Wobei dieser sich viel eher an ihm festhielt. Nyx hatte das Hemd mit beiden Händen fest umklammert und er trank in vielen, kleinen Schlucken. Es klang ein bisschen wie jemand der verzweifelt nach Luft schnappt. Vorsichtig und besorgt senkte Damien seinen Kopf und sah auf seinen Bruder. „Nyx? Das reicht.“, meinte er leise und immer noch ein bisschen panisch. Nyx hörte auch tatsächlich auf, das Blut zu saugen. Aber es fühlte sich für ihn falsch an. Da war immer noch diese Stimme seines Unterbewusstseins. Warum hörst du auf? Du bist  verletzt. Du musst dich nähren, dich stärken. Er richtete sich etwas auf und schaute seinen Bruder an. Was hatte er getan? Er hatte Blut getrunken. „Du... du musst noch über den Biss lecken... Damit sie schneller heilt.“, meinte sein Bruder. Er tat es ohne zu hinterfragen. Dann befühlte er seine Brust. Sie juckte fürchterlich. Aber er fühlte schon mal kein Loch, also wagte er auch einen Blick hinunter. Allerdings sah er nur sein Shirt und Blut, sehr viel Blut. „Du hast mein Shirt kaputt gemacht.“, sagte er. Das war doch alles irgendwie surreal. Das Shirt war absolut untauglich geworden, also zog er es kurzerhand aus. Er war jetzt kein Bodybuilder, aber er hatte schon sehr definierte Muskeln. Nur eine tolle Aura reichte nun mal auch nicht aus. Wenn die Mädchen einen auspacken, sollen sie ja auch was zu gucken haben. „Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen.“, sagte Damien. Nyx schaute allerdings erstmal auf seine Brust. Die Wunde war tatsächlich geschlossen. Er wischte etwas Blut weg und man konnte gut erkennen, dass sich neues Fleisch gebildet hatte. Er würde überleben. Nyx nickte. Etwas fahrig zog Damien sein Hemd aus und reichte es seinem Bruder. Dieser zog es langsam an. Damien hatte immer noch einen gehetzten Blick und wischte sich wie in Trance die Hände an seinem Tanktop ab. „Ich glaube, wir gehen besser nach Hause?“, sagte Nyx leise. Diesmal nickte Damien, stand auf und hielt seinem Bruder die Hände hin. Er griff danach und zog sich hoch. Damien fuhr sich durch seinen Irokesenhaarschnitt. „Wir gehen dann.“, sagte er Richtung Richard. Richard trat einen Schritt zur Seite und deutete den anderen Vampiren ebenfalls Platz zu machen.   Damien hatte sich einen Arm von Nyx um die Schultern gelegt, um diesen stützen zu können. Er war wackelig auf dem Beinen, obwohl die Wunde sich geschlossen hatte, aber der Blutverlust war nicht unerheblich. Aber er würde es überleben. Sie befanden sich am Rand von London, man konnte es schon fast Vorort nennen. Dort bewohnten sie zusammen mit ihrer Mutter ein kleines Haus. Der Weg hatte eine ganze Weile gedauert, aber gesprochen hatten sie nicht viel. Damien wusste nicht, was er sagen sollte, aber er hatte seine Gedanken geordnet und Nyx versuchte angestrengt geradeaus zu laufen und auch zu sehen. Damien führte sie die drei Stufen zur Haustür hoch und setzte seinen Bruder auf die Mauer, die dem Absatz als Zaun diente. „Geht es?“, fragte er besorgt. Nyx grinste sein schiefes Checkergrinsen, wenn auch nur kurz. „Ich bin nicht zu dumm zum Sitzen.“ Dennoch lehnte er sich an den Pfeiler, der das Vordach hielt. Damien holte seinen Haustürschlüssel aus der Hosentasche und steckte ihn ins Schloss. Er traute sich kaum, seinen Bruder aus den Augen zu lassen. Sie waren zwar gleichalt, aber Nyx war eine viertel Stunde jünger und Damien fühlte sich schon immer als großer Bruder und verantwortlich. Er drehte den Schlüssel im Schloss und drückte die Tür auf. Er blickte sofort in die braunen Augen seiner Mutter. „Wo warst du?“ Sie sagte es mehr, als das sie fragte. Sie war auch nicht laut, es klang mehr erschöpft. Damien fielen sofort die dunklen Augenringe auf und die zerzausten Haare auf. Sie hatte wohl nicht besonders gut geschlafen die letzten drei Tage. „Es tut mir leid.“, nuschelte er und schaute schuldbewusst auf den Boden. „Jag mir nie wieder so eine Angst ein. Du kannst doch nicht einfach weglaufen. Ich habe mir Sorgen gemacht.“ „Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Wirklich.“ Er wusste nicht, ob er sich entschuldigte, weil er einfach gegangen war oder weil er Blut zu sich genommen hatte oder weil er seinen kleinen Bruder verletzt hatte und damit auch in die ganze Sache mit hineingezogen hatte. Jedenfalls eins wusste er und das hatte mit dem dumpfen Aufprallgeräusch zu tun; Nyx war rücklings von der Mauer gefallen. Damien lief sofort die Stufen hinunter und um die Mauer. Nyx hielt sich den Kopf, versuchte allerdings nicht aufzustehen. „Hey...“, sagte Damien sanft. Nyx blinzelte von schaute ihn an: „Dami?“ „Du bist von der Mauer gefallen. Du bist doch zu dumm zum Sitzen.“, lächelte er , „Komm, ich heb dich hoch.“ Er schob seine Arme unter Nyx‘ Knie und Schultern und hob ihn hoch. „Dami? Ich bin müde.“, sagte er und drückte sein Gesicht in die Schulter seines Bruders. „Es tut mir leid. Morgen ist es besser.“ Damien ging wieder die Stufen hinauf. „Was ist passiert?“, fragte seine Mutter. „Ich bring ihn erst ins Bett.“, sagte er bloß. „Mum? Ich habe ihn gefunden.“, nuschelte Nyx und streckte die Hand nach seiner Mutter aus, welche sie kurz umfasste und drückte. Er trug seinen Bruder in den ersten Stock und legte ihn  in sein Bett. Er zog ihm auf die Schuhe aus und überlegte, was er seiner Mutter sagen sollte. „Dami?“ „Ja?“ „Du bist morgen früh noch da, oder?“ „Natürlich.“, sagte er und deckte ihn zu, „Schlaf jetzt.“ Keine zwei Sekunden später war Nyx auch eingeschlafen. Damien sah auf seinen Bruder, seinen kleinen Bruder. Er hatte immer auf ihn aufgepasst. Sie unterschieden sich bloß in zwei Dingen, Schnelligkeit und Kraft und Nyx‘ Stärke machte ihn verletzlich. Im Kindesalter hatte Nyx öfter, wenn nicht sogar immer Probleme mit anderen Kindern gehabt, da bei einfachen Prügeleien das Kräfteverhältnis nicht ausbalanciert war. Einmal hatte er einem anderem Jungen die Rippen gebrochen. Damien hatte seinen Bruder immer verteidigt und beschützt und so hatten sie beide nie Freunde gefunden und nur sich gehabt. Doch als sie älter wurden, änderte sich dies. Es gab Schulwechsel und sie zogen um. Auch lernten sie mit ihren speziellen Fähigkeiten umzugehen. Doch auch wenn sie in ihrer Klasse nun nicht mehr gemieden wurden und die Mädchen regelrecht auf sie flogen, konnte Nyx nicht wirklich Freunde finden. Gut, er, Damien, auch nicht, das wollte er auch gar nicht, aber Nyx mied die anderen buchstäblich. Er hatte Angst, andere zu verletzen. Er kam mit Fremden nicht besonders gut klar. Er hatte nur seinen Bruder. Damien strich seinem Bruder noch einmal durch die Haare. und ging wieder hinunter zu seiner Mutter. Diese saß auf einem Stuhl in der Küche und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Sie sah alt aus. Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber. „Was soll ich nur mit euch machen?“, fragte sie. Damien antwortete nicht. Seine Mutter hob den Kopf und er konnte ihre Tränen sehen. Ihre braunen Augen schauten verzweifelt Er musste jetzt ehrlich sein mit ihr. „Mum. Wir haben Blut getrunken.“ Er wartete auf eine Reaktion, aber es kam keine, absolut keine, sie schaute ihn einfach weiter an. „Sag mir, was ich mit euch tun soll?“ „Nyx kann nichts dafür. Bei ihm war es eher Zufall.“, setzte er gleich an. „Damien. Das Problem besprechen wir nicht mehr heute und auch garantiert nicht jetzt. Aber sag mir, was ich mit euch machen soll?“, fragte sie wieder und legte ihre Hand an seine Wange, „Du bist mein Sohn, aber ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht weiter.“ „Mum. Ich hab dich lieb. Nyx hat dich lieb. Wir würden doch nie...“ „Ich weiß.“, sie lächelte, „Geh ins Bett. Morgen schlaft ihr beide aus und bleibt zu Hause. Aber ich muss zur Arbeit.“ Sie stand auf und drückte ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn.   Allison saß auf einer Parkbank. Die Sonne war gerade untergegangen und ihre Schicht als Polizistin würde gleich zu Ende sein. Auf der einen Seite freute sie sich, zu ihren Söhnen zu kommen, auf der anderen Seite graute es sie auch. Die beiden Halbvampire raubten ihr den letzten Nerv, wobei sie es in den letzten Wochen oder Monaten wirklich übertrieben hatten. Sonst gingen sie auf jede Party, auf die sie wollten und nicht nur einmal hatte sie fremden Damenbesuch miterlebt. Sie streckte die Beine aus und schaute in den Himmel. Er war wolkenverhangen, es würde keine schöne Nacht werden. Sie musste an ihre Jungs denken. Sie waren zur Hälfte Vampir, doch hatten sie nie ihren Vater gesehen, mussten die Vampirseite ganz alleine kennenlernen. Der Vater wusste nicht einmal von seinen Söhnen. Sie hatte Damien und Nyx erzählt, ihn auf einem Polizeieinsatz kennengelernt zu haben, was auch stimmte. Es passierte öfter im Dienst einem Ghoul zu begegnen. Seit ihrer ersten Begegnung mit der dunklen Seite, hatte sie immer ein Messer mit einer geweihten Klinge bei sich. „Guten Abend, meine Verehrteste.“, ertönte eine voluminöse Stimme hinter ihr. Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Kapitel 2: Allison bewegte sich nicht. Sie konnte sich nicht rühren. Diese Stimme hatte ihr solch einen Schrecken eingejagt. Sie kannte die Stimme. Das war seine Stimme. Sie traute sich nicht, den Kopf zu drehen. Sie brauchte es aber auch nicht, denn der Mann, der gesprochen hatte, trat einfach durch die Bank hindurch und setzte sich. Direkt neben sie. Allison schwieg. „So schweigsam, meine Verehrteste?“, sagte er und gab ein kurzes dunkles Lachen von sich. Sie schaute ihn an. Es war wirklich er. Der Vampir. Der Vater ihrer Kinder. Er trug, wie auch damals bereits, einen roten Kutschermantel, einen roten Hut mit breiter Krempe und eine Sonnenbrille trotz der Dunkelheit. „Meine Verehrteste?“, fragte Allison. Diese Situation kam ganz anders als geplant. Wie oft hatte sie es sich ausgemalt, ihn wiederzutreffen und ihm zu erzählen, dass sie schwanger gewesen war, dass sie die Kinder ausgetragen hatte und auch großgezogen hatte, wie ähnlich sie ihm sein konnten. Der Vampir grinste. „Du bist aus dem Alter eines Fräuleins herausgewachsen. Es gibt ein neues Fräulein Polizistin.“ Irgendwie traf sie dieser Kommentar. Sie hatte nie geglaubt, ihn jemals wieder zu sehen. Aber für jemanden, der Personen austauschte, hatte sie ihn nicht gehalten. Sie hatten zwar gerade knapp zweiundsiebzig Stunden miteinander zu tun, da lernte man sich nicht kennen. „Aus dem Alter herausgewachsen.“, sie grinste kurz. Schwäche zeigte man nicht, nicht vor ihm. „Sie hat mich sehr an dich erinnert. Aber du fasst es falsch auf. Du bist zu einer Schönheit erwachsen. Dein Mann muss sehr stolz sein.“ „Es gibt keinen Mann.“, Es war ihr wichtig, dass er wusste, dass sie alleine ihr Leben bestritt, alles alleine geschafft hatte. Er grinste: „Der Kummer in deinem Gesicht scheint aber von Familie zu kommen.“ Allison schaute ihm ins Gesicht. Er sah aus wie damals, keine Alterung. „Ich bin Mutter... und... es ist kompliziert.“, sagte sie. Er grinste wieder und hob eine Augenbraue. „Ich bin alleinerziehend.“ Jetzt, wo die Möglichkeit bestand, ihm alles zu erzählen, hatte sie keinen Mut dazu. Es war so unwirklich. „Ja.“, sagte er leise und schaute in den Himmel, „Kinder sind einzigartige Individuen. Sie benötigen viel Führung und Hilfe.“ Allison schaute auf den Boden und schwieg. Sie konnte ihnen keine Führung mehr geben, sie hatte es noch nie gekonnt. Sie war bloß ein Mensch. „Es ist eine schwerwiegende Nacht. Die Wolken verheißen nichts Gutes.“ Wortlos stand die Polizistin auf und ging. Sie ignorierte den Vampir, er wusste, dass es etwas in ihr getroffen hatte, wenn auch nicht was. Nyx lag in seinem Bett. Er hatte sein Zimmer den ganzen Tag nicht verlassen. Seufzend zog er die Bettdecke über den Kopf. Was hatte er nur getan? Was hatte er getan? Er hatte Blut getrunken. Von seinem Bruder. Er seufzte erneut und schwang sich schwungvoll in eine sitzende Position. Er hörte Damien in der Küche. Als er aufgewacht war, hatte er bereits gemerkt, dass sein Gehör sich verbessert hatte. Er konnte hören, wie Damien einen Teller in den Schrank stellte. Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Das war, bevor er nach Damien gesucht hatte, fast zwölf Stunden her. Er hatte Hunger. Nyx stand auf und zog sich ein weites T-Shirt über den Kopf. In der Küche nahm er sich wie gewohnt die Cornflakespackung und eine Milchtüte und stellte alles zusammen mit einer Schüssel und einem Löffel auf den Esstisch. Damien lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und schaute dem Treiben zu. Nyx setzte sich an den Tisch und schüttete die Milch zu den Flakes. „Du weißt schon, dass das nicht schmecken wird.“, sagte Damien und verschränkte die Arme. Für diesen Kommentar erntete er bloß eine gehobene Augenbraue. „Wieso sollte es nicht?“, meinte Nyx und tauchte den Löffel in die Schüssel. „Dein Körper hat sich umgestellt. Du hast Blut getrunken. Du kannst Nährstoffe nur noch so aufnehmen.“ Nyx tat so, als hätte er dies nicht gehört und schob sich demonstrativ den Löffel in den Mund und schluckte. Die Retourkutsche kam prompt. Er würgte und hielt sich die Hand vor den Mund. Damien hob nun seinerseits eine Augenbraue, wovon Nyx nichts mitbekam. Er hustete und versuchte sich zu beruhigen. Nach gefühlten Stunden ging es wieder. „Hab ich es dir nicht gesagt?“, grinste Damien altklug. „Hat doch die Klappe.“, zischte Nyx, stand auf und verzog sich wieder die Treppe nach oben. Damiens Grinsen erlosch sofort. Jetzt würde sein Bruder es so langsam realisieren. Er nahm die Schüssel und roch daran. Er musste die Nase rümpfen, menschliches Essen roch einfach nicht mehr appetitlich. Dass Nyx es überhaupt heruntergewürgt bekommen hatte, war beeindruckend. Ihre Mägen vertrugen es nicht mehr. Er schüttete den Inhalt in den Mülleimer und räumte auf. Müde schloss Allison die Haustür auf und ging direkt in die Küche. Dort stand Damien an der Arbeitsfläche und wusch eine Schüssel ab. „Guten Abend.“, sagte sie und setzte sich an den Esstisch. „Abend“, grüßte Damien zurück. „Setz dich.“ Der Halbvampir stellte die Schüssel in die Spüle und setzte sich seiner Mutter gegenüber. „Wo ist Nyx?“, fragte sie. „Oben. Er... Ihm geht es besser, körperlich.“ „Ich möchte jetzt wissen, genau wissen, was gestern passiert.“ Nyx rutschte auf dem Stuhl herum und schaute auf die Tischplatte. „Jetzt erzähl schon.“ „Ich habe einige Vampire kennengelernt. Und dann bin ich mit denen mitgegangen. Die hatten so einen Club.“ „Und Nyx hat dich dort gefunden?“ Damien nickte. „Wir haben uns dann gestritten. Ziemlich doll. Ich bin dann irgendwie ausgeflippt.“ „Wieso habt ihr euch gestritten?“ „Er hat gesehen, wie ich...“ Sollte er es wirklich sagen? Er schaute seine Mutter an. Sie war anscheinend nicht wütend. „Ich hab Blut getrunken. Er fand es nicht gut. Da bin ich durchgedreht.“ „Was hast du getan?“ „Ich hab ihn geschlagen. Und dann hat er so heftig geblutet. Es hat nicht mehr aufgehört.“ Damien schossen die Tränen in die Augen. „Er wäre gestorben. Da hat er mein Blut getrunken.“ Allison nickte. „Was ist dann passiert?“ „Wir sind dann nach Hause.“ „Okay.“ Mehr sagte sie nicht. Sie schwiegen eine Weile lang. „Mum?“ „Hm?“ „Was passiert jetzt?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Das ist doch alles nicht mehr normal.“ Damien lächelte leicht. „Wir waren noch nie normal.“ „Stimmt. Morgen geht ihr wieder zur Schule.“ Damien nickte und verließ die Küche. Hätte sie erzählen sollen, dass sie seinen Vater getroffen hatte? Hätte es etwas verändert? Hätte es etwas gebracht? Nein, der Vater wusste von nichts und somit war es unnötig. Anderthalb Wochen waren vergangen. Nyx saß in der Schulmensa in einer Ecke allein an einem Tisch, er trug einen weiten, schwarzen Kapuzenpullover, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Worte seines Bruders trieben ihm ununterbrochen im Kopf herum. Du musst Blut trinken. Komm mit. Dir wird es sonst nicht besser gehen. Wir wissen nicht, was passiert, wenn du es nicht tust. Mürrisch grub sich Nyx tiefer in seine Kapuze und schob seine Hände in die Bauchtaschen seines Pullovers. Er würde kein Blut trinken. Würde er nicht. Basta! Es war Donnerstag und diese Woche hatte sich niemand getraut, an seinen Tisch zu setzen in der Mittagspause und in den Klassenräumen waren seine Klassenkameraden nervös. Auch die Lehrer ignorierten ihn lieber oder schauten ihn mit ängstlichen oder schon observierenden Blicken an. Er wusste schon, dass es an dem Blutmangel lag. Er war nun ein Raubtier und all die Menschen seine Beute. Sie wussten es nicht, aber ihr Unterbewusstsein schlug trotzdem Alarm. Nyx‘ Aussehen hatte sich auch nicht zum Positiven gewandt. Er hatte schon an die graue Haut und Augenringe. Zum Glück waren seine Augen nicht rot. Aber er hatte Fangzähne und öffnete deswegen den Mund auch nicht mehr, er redete auch nicht mehr. Das Schlimmste war aber die Stimme in seinem Kopf. Du hast Hunger. Los, nähr dich. Diese Menschen sind allesamt ihrer Existenz nicht würdig. Amber redet schon die ganze Woche schlecht über dich. Fang sie nach dem Unterricht ab. Ihr Blut wird sicher sehr süß schmecken. SEI STILL!, schrie Nyx die Stimme an. Doch die Stimme lachte nur. Er wusste, dass er der Ursprung dieser Stimme war. Sie war sein Unterbewusstsein, sein Instinkt. Er würde kein Blut trinken. Er hatte es sich geschworen. Aber Amber lästerte wirklich über ihn. Er konnte sie hören, durch die gesamte Mensa hinweg. „Nyx ist ein echter Freak geworden.“, sagte sie. Ein Junge ihr gegenüber sagte: „Er scheint Drogen zu nehmen.“ „Ja, bestimmt.“, wetterte sie weiter, „Er ist ein richtiger Drogenjunkie. Guck doch mal, wie hässlich er ist.“ Die Gruppe drehte sich synchron zu ihm um. Nyx war amüsiert, wie sie sich auch alle wieder gleichzeitig schnell umdrehten, weil er sie direkt angeschaut hatte. Er grinste sie an und entblößte ein Stück Eckzahn. Die Gruppe schauderte. Nach ein paar weiteren Sätzen über ihn, verkündete Amber, dass sie den restlichen Tag zu schwänzen. Nyx würde ihr die Gemeinheiten heimzahlen. Er wusste, welchen Weg Amber nehmen würde. Er verließ die Mensa und begab sich auf den Schulhof. Er stellte sich hinter den Fahrradschuppen, an dem sie gleich vorbeikommen würde. Es war niemand da, das war gut. Es war keiner da, der ihn stören würde, wenn er seine Zähne in ihren Hals...! Nein! Was dachte er da? Amber war gemein, aber deswegen gleich töten? Weiter denken konnte er nicht. Die Tür zum Schulgelände wurde geöffnet. Er rock den Duft von Amber und jemand anderem. Er schaute um die Ecke und sah seinen Bruder. Das Schwein packte seine Beute an. Er fletschte regelrecht die Zähne... und erschrak. Was tat er hier? War er wirklich gerade am Jagen? Jagte er seine eigenen Mitschüler? Wie konnte es so weit kommen? Er drehte sich um und stellte sich gänzlich hinter den Schuppen. Er wischte sich über das Gesicht. Da blinkte etwas auf. Auf einen Dach etwas die Straße runter. Was war das? Er hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Das Blinken hatte etwas mit ihm zu tun und seinen Bruder. Er musste seinen Bruder warnen. Schnell trat er hinter dem Schuppen hervor und lief seinem Bruder entgegen, „Damien.“ Dieser zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Was ist?“ „Du musst mitkommen. Ich habe was im Spind vergessen.“ „Wie bitte?!“, kam ungläubig. Nyx reagierte darauf nicht. Er griff nach Damiens Arm und zog ihn schnell wieder ins Schulgebäude. Dabei schaute er kurz zu dem Dach, konnte aber nicht mehr entdecken. Er zog seinen Bruder durch die Flure, bis sie an der anderen Seite des Gebäudes waren. „Was sollte das denn?“, fuhr es aus Damien. „Dami, ich war dabei, Amber zu jagen.“ „Ich weiß, deswegen habe ich sie begleitet.“ „Oh.“, machte Nyx, „Aber das ist jetzt nicht das Thema. Auch einem Dach Richtung U-Bahn war etwas“ „Wie, da war was?“ „Da hat was aufgeleuchtet. Ich hab da ein blödes Gefühl bekommen.“ Damien wurde ernst und blass. „Das ist nicht gut. Hast du was erkannt?“ „Nein. Leider nicht. Was glaubst du, was das war?“ „Richard hat mir von einer Gesellschaft von Vampirjägern erzählt.“ Nyx‘ Augen wurden groß. „Lass uns lieber weg von hier.“, meinte er. „Wir gehen am besten in den Park.“ Im Park saßen sie auf einer Parkbank. Die Sonne war gerade untergegangen. Die Besucher des Parks hatten einen Bogen um sie gemacht, da Nyx nicht besonders umgänglich wirkte. Aber irgendwelche Jäger hatten sie nicht gesehen. Zur Sicherheit waren sie über Stunden im Park geblieben. Sie wollten ihre Mutter nicht beunruhigen und in Gefahr bringen. Die Zwillinge hatten über die ganze Zeit nicht geredet. „Ich hab Hunger.“, sagte Nyx schließlich. Damien schaute ihn an. Nyx hatte wohl endlich sein Wesen akzeptiert. „Hier gibt’s genügend Obdachlose. Die vermisst keiner.“, sagte Damien und lehnte sich zurück. „Ich kann niemanden töten.“ „Das stimmt wohl.“ Offensichtlich hatte Nyx es immer noch nicht verstanden. Seufzend schob Damien seinen Ärmel hoch. „Dann nimm mein Blut.“ Nyx schaute seinen Bruder an. „Das geht doch nicht.“ Damien schaute seinen Bruder mit hochgezogener Augenbraue an. Ohne darauf zu hören, biss Damien sich selbst in den Unterarm und hielt seinem Bruder den blutenden Arm unter das Gesicht. „Nimmst du freiwillig oder müssen wir Flugzeug spielen?“, grinste er. Nun zog Nyx eine Augenbraue hoch. „Ich kann doch nicht dein Blut trinken. Das geht doch nicht.“ „Okay.“, grinste Damien weiter, „Ein Happen für Dami.“ „Hör auf mit dem Scheiß.“, fauchte Nyx und griff nach dem Arm. Erst leckte er das Blut mit der Zunge ab und anschließend umschloss er den Biss mit dem Mund und saugte. Damien schloss kurz die Augen und ließ seinen Bruder eine ganze Zeit trinken. Er nahm nur kleine Schlucke, wirklich winzigkleine Schlucke. Ganz plötzlich riss Damien allerdings seinen Arm hinunter und Nyx, der immer noch an dem Arm saugte, wurde mit hinuntergezogen., sodass sein Kopf sich zwischen seinen Knien befand. Dann hörte man fast im selben Moment wie Holz zersplitterte. Die Lehne der Bank war regelrecht zerfetzt worden auf der Höhe, auf welcher sich eben noch Nyx‘ Brust befunden hatte. Die Zwillinge waren wie erstarrt. Was war passiert? „Ihr seid ausgewichen.“, ertönte eine Stimme aus dem Nichts. Sie war dunkel und erfüllte den Park, als wären Lautsprecher aufgestellt. Die Brüder starrten sich an. „Was-?“, mehr brachte Damien nicht heraus. „Nicht schlecht.“, lobte die Stimme. Einige Meter von ihnen entfernt tauchte ein Mann auf. Er entstand regelrecht aus der Dunkelheit. „Ihr seid bereits heute Nachmittag aus der Schusslinie geflohen. Dumm seid ihr nicht.“, sagte der Mann. Er trug einen roten Mantel, einen dazu passenden Hut und eine Sonnenbrille. „Wer sind Sie?“, fragte Damien. „Ich bin nur ein Diener. Ich wurde gesandt, Freaks wie euch zu eliminieren.“ „Eliminieren?“ , stieß Nyx aus und wischte sich über den Mund, „Wir haben nichts gemacht.“ Der Mann lachte laut. „Ihr seid Abschaum. Ein richtiger Vampir trinkt das Blut elender Menschen und nicht das Blut seines eigenen Bruders.“ Der Mann zeigte mit seiner Waffe auf Nyx. „Du bist wertlos. Du hungerst und nimmst dann das Blut deines Bruders. Aber gefährlich bist du nicht.“ Er schwenkte die Waffe auf Damien. „Du bist wohl genährt. Du bist ein richtiger Vampir. Deswegen darfst du zuerst von dieser Welt treten und den Weg zur Hölle bestreiten.“ Die Brüder schauten entsetzt. „HALT!“, schrie eine Frauenstimme. „Mum?“, murmelte Damien. Allison rannte so schnell sie konnte durch den Park, eine Hand ausgestreckt in Richtung ihrer Söhne. Schnell hatte sie sie erreicht und stellte sich zwischen die Zwillinge und den Schützen. „Alucard. Ich verbiete es.“ Der Mann lachte. Er steigerte sich regelrecht hinein und warf den Kopf in den Nacken. Der Arm, welcher immer noch die Waffe auf sie richtete, bewegte sich dennoch nicht. „Meine Verehrteste. Du solltest doch wissen, wie wir vorgehen und gegen wen.“, sagte er laut und belustigt. „Diese Kinder sind es keineswegs wert gerettet zu werden.“ Demonstrativ breitete Allison die Arme aus. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Alucard grinste breit. „Du bist noch immer von der gleichen Schönheit wie damals. Deine Leidenschaft hat sich nicht gemindert. Aber diese Kinder sind nichts weiter als Freaks. Und du selbst kannst den Hunger in ihren Augen erkennen. Du weißt doch, wie so etwas erledigt wird. Da bringt auch kein Blick aus deinen hübschen Augen etwas.“ „Es sind meine Kinder. Sie gehören zu mir.“, sagte sie. „Du wirst ihnen kein Leid zufügen.“ Alucards Grinsen erlosch von einer Sekunde auf die andere. „Geh aus dem Weg, Frau. Sonst muss ich durch dich hin durchschießen. Es würde mir kein Vergnügen bereiten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie sind Halbvampire. Sie wurden bereits so geboren.“ Alucard verzog keine Miene. „Mum?“, fragte Damien, „Woher kennst du ihn?“ Allison ignorierte ihn und starrte Alucard an. Dieser starrte ausdruckslos zurück. „Du wirst meinen Kindern kein Leid zufügen.“, wiederholte sie. „Gerade von dir hätte niemals erwartet, dass du so etwas am leben lässt.“, sagte er kalt. „Ich habe sie geboren. Ich bin während der Schwangerschaft fast gestorben.“, sagte sie leise. „Aber es sind meine Söhne. Und ihr Vater ist ein Vampir. So wie du einer bist. Sie haben es nicht verdient, getötet zu werden, für etwas, für das sie nichts können.“ Alucard reagierte nicht. Er bewegte nicht einen Muskel. „Ich habe den Befehl, die Ziele zu eliminieren. Ein weiterer toter Mensch ist mir egal. Auch das weißt du.“ Seine Stimme klang kalt. „Alucard. Du bist nicht dumm. Die beiden sind achtzehn Jahre alt.“ „Das ist mir völlig egal.“ „Glaubst du, ich habe viele Vampire nach dir getroffen?“ Alucard schaute bloß auf sie hinab. Allison versuchte krampfhaft nicht zu weinen. So hatte sie es sich nicht vorgestellt. Sie kämpfte um das Leben ihrer Söhne und anscheinend war ihr einziger Ausweg oder ihre einzige Möglichkeit dies zu tun, indem sie Alucard erzählte, dass er der Vater war. „Es sind deine Söhne. Du bist ihr Vater.“, sagte sie somit und hielt den Atem an. Alucard schnaubte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)