Weiß und Grau von Sam_Linnifer (Fanfic-Adventskalender 2014 Türchen 8 Original) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- “Du siehst wunderschön aus Eira. Alle werden sich darum reißen, mit dir zu tanzen.“ Das hellhaarige Mädchen errötete verlegen, drehte sich ein wenig vor dem Spiegel, um das herrliche weiße Ballkleid zu bewundern, übersäht mit feiner Spitze. Kleine Kristalle funkelten auf dem Stoff und auch in ihrem hochgesteckten Haar. Es sah wirklich hübsch aus. „Ach nein, es werden doch auch all die anderen da sein“, wandte Eira etwas zögernd ein und schenkte der Freundin ein Lächeln. „Und du wirst sowieso alle Blicke auf dich ziehen Neve, das ist ein wirklich einzigartiges Kleid.“ „Ja, nicht wahr? So einzigartig wie wir“, heiter lachend drehte die Freundin ein paar übermütige Pirouetten, sodass die ebenfalls spitzenbesetzten Röcke sich um sie bauschten, ehe sie inne hielt und Eiras Hände ergriff. „Ich bin so froh, ich glaube, ich könnte fliegen. Und du… warte nur, Chion wird die Augen nicht von dir lassen können!“ Die zarte Röte auf Eiras Wangen vertiefte sich und sie schlug die Augen nieder. „Denkst du das wirklich? Ich… ich wäre so glücklich, wenn er mich zum Tanzen auffordern würde.“ „Natürlich, du Dummerchen. Er ist doch jetzt schon ganz vernarrt in dich. Nun komm, Lumi und Nea warten gewiss schon!“ Ehe Eira noch etwas erwidern konnte, hatte die Freundin sie gepackt und mit sich gezogen. Nicht viel später waren sie, gemeinsam mit den anderen, im Ballsaal angelangt und bewunderten die dargebotene Pracht. Nicht nur die Dekorationen, funkelnd wie Eiskristalle, auch die anderen Gäste waren eine Augenweide in der großen Halle aus Silber und Weiß. Leise Musik erklang, eine verträumte Melodie zunächst, die im allgemeinen Getuschel und Gelächter beinahe unterging. Die Hellhaarige fühlte sich schier überwältigt, ein wenig eingeschüchtert und trotz zahlreicher bekannter Gesichter brachte sie kaum ein Wort hervor, lächelte nur, nickte und suchte verstohlen eine ganz bestimmte Gestalt. Vielleicht würde er gar nicht kommen, dachte sie nach einer Weile ein wenig mutlos. Und selbst falls doch - nun glaubte sie noch viel weniger, dass sie jemandem auffallen würde. Hier war sie gar nichts Besonderes und wenn sie Neve mit ihren hellen Locken sah, die sich ganz unbeschwert in der Menge bewegte, kam sie sich ganz grau und farblos vor. Wie die anderen tanzten! Es war ein wunderschöner Anblick. Sie wirbelten umeinander, ganz selbstvergessen, und das Herz wurde Eira schwer. Es war nicht direkt Neid, der sich in ihrer Brust ausbreitete, es war eine vage Sehnsucht. Vielleicht wäre es besser gewesen, gar nicht erst hierher zu kommen… vielleicht sollte sie lieber gehen… „Was machst du denn?“, erklang es verwundert hinter ihr und das Mädchen zuckte zusammen, wandte sich um und brachte ein Lächeln zustande, als es Nea erkannte. Die Freundin wirkte erhitzt, hielt ein zierliches Glas in der Hand. „Warum stehst du denn allein hier im Schatten, Eira? So sieht dich doch niemand. Nun komm, heute ist eine Nacht zum Tanzen. So, als wäre es die Letzte“, sie lächelte breit und achtete nicht auf den schwachen Protest, der ihr entgegen gebracht wurde, als sie Eira mit sich zur Tanzfläche zog, zielstrebig zur anderen Seite des Raumes. „Chion!“, rief sie und Eira merkte auf. „Hier ist jemand, der dir „Hallo“ sagen möchte“, erklärte Nea und schob ihre Freundin mit einem Grinsen auf den verdutzten jungen Mann zu, um dann, ehe die Hellhaarige reagieren konnte, selbst wieder in der Menge zu verschwinden. Eiras Gesicht fühlte sich an, als würde es glühen, auch wenn die Farbe nur zart auf ihren Wangen erschien und ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen, als sie wie gebannt vor ihm stand und nicht fähig war, ein Wort zu sagen. Auch Chion schien zunächst wie reglos, blickte sie aus hellen Augen an, ehe er sich schließlich der Situation zu besinnen schien und mit einem Lächeln an sie herantrat. Sanft umschloss er ihre Hand mit seiner, hob sie an und berührte sie kaum spürbar mit den Lippen. „Guten Abend, meine Dame“ grüßte er sie mit einem leichten Funkeln in den Augen und das Mädchen wurde nur noch verlegener. „H-Hallo“, ihre Stimme klang sehr leise, ein wenig hoch, aber vielleicht fiel das gar nicht auf. Wann hatte es eigentlich angefangen, dass sie nicht mehr mit Lumis Bruder sprechen konnte? Früher war es doch anders gewesen, oder nicht? Doch jetzt genügte es schon, wenn er sie ansah und jeder Gedanke in ihrem Kopf erstarrte. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“ Entweder bemerkte er ihre Verlegenheit nicht, oder aber er überspielte sie, um es nicht noch schlimmer zu machen. Die Hellhaarige nickte benommen und noch immer lächelnd übernahm er behutsam die Führung. Die Musik hatte sich verändert, war eindringlicher geworden und um sie herum drehten sich zahllose Paare, doch Eira bemerkte es kaum. Sie spürte seinen Blick, der auf ihr lag, die ganze Zeit schon und konnte ebenso wenig die Augen abwenden. Die sanfte Berührung seiner Hand an ihrer Hüfte, die ineinander verschränkten Finger, all das war ihr mehr als deutlich bewusst und ihr Herz klopfte - wie es schien im Takt der Musik. Chion war ein guter Tänzer und so fiel es Eira, die sich bisweilen etwas schwer tat, leicht, den Takt zu halten und dem Rhythmus der Musik zu folgen. Er führte sie und es fühlte sich an, als würden sie fliegen. Alles um sie herum schien zu verblassen, sich zu entfernen, schlicht und einfach an Bedeutung verlieren. Er tanzte wirklich mit ihr! Ihr Wunsch hatte sich erfüllt. Und das nicht nur für ein Lied, denn als die Musik sich veränderte, passte er sich dem einfach an, ohne inne zu halten. „Es ist eine Weile her, dass wir miteinander gesprochen haben“, sagte er irgendwann leise, erschreckte Eira beinahe, die völlig in seiner Nähe und dem Tanz versunken war. „Und dabei kommt es mir gleichzeitig wie gestern vor, als meine kleine Schwester dich zum ersten Mal mit nach Hause brachte und mir erklärte, dass ich jetzt noch eine Schwester hätte.“ Das Lächeln deutete kleine Falten rund um seine Augen an, war warm wie Sonnenlicht. Dass er sich daran erinnerte… wieder wurde sie verlegen, ohne zu wissen, warum. „Aber du bist längst kein kleines Mädchen mehr. Und heute Abend siehst du wunderschön aus, Eira“, fuhr er lächelnd fort und trieb ihr schon wieder die Hitze in die Wangen. Sie konnte nicht anders als zu lächeln. „Danke“, murmelte sie leise und für einen Augenblick setzten sie den Tanz fort. Die Musik wurde langsamer, sie umschlangen sich enger und die Hellhaarige spürte den Schlag seines Herzens in seiner Brust. Hätte dieser Augenblick doch bloß ewig dauern können, die Zeit still stehen können. Sie würde wohl niemals glücklicher sein. Sein Kinn lag auf ihrem Scheitel, als er mit leiser Stimme wieder zu sprechen begann. „Ich hatte wirklich gehofft, dass du heute Abend hier sein würdest“, gestand er ihr leise und Eira wagte kaum zu atmen. Wie das wohl gemeint war? Doch wieder wechselte die Musik, ein wilderer Takt drängte sie ein Stück durcheinander, ließ sie wie schwerelos über die Tanzfläche wirbeln - dabei konnte man nicht sprechen. Die ganze Welt drehte sich und für Eira war es, als drehte sie sich nur um ihn. Die Musik trug sie, endete schließlich und Eira lag in seinen Armen. Sie waren sich nahe, so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte, in seinem Blick gefangen. Er schwieg, doch Worte hätten ohnehin nicht genügt, um auszudrücken, was sie in seinen Augen erahnen konnte, was er in den ihren sah. Atemlos neigten sie sich einander zu, als der Saal um sie herum zerbrach. Es gab keine Vorwarnung, nichts, mit einem Mal gab schlicht der Boden unter den Feiernden nach, zerbröselte wie ein trockener Tag und eröffnete einen gewaltigen, bodenlosen Abgrund. Eira vernahm Schreie, doch niemand erhielt die Gelegenheit, wirklich zu reagieren. Sie konnten nicht fliehen und wer Halt suchte, dem brach er ebenso unter den Fingern weg, wie der Boden unter den Füßen. Ihr selbst blieb wenig, als sich angsterfüllt an Chion zu klammern und er hielt sie, während sie fielen, aus schwindelerregender Höhe. Eira bemühte sich ihre Freundinnen zu erkennen, doch überall wirbelte der Stoff von hellen Kleidern durch die Luft - es war unmöglich zu sagen, was mit Nea, Lumi und Neve geschehen war. Kalte Furcht umschloss ihr Herz und die gleiche Furcht sah sie in seinen Augen. Ein eisiger Wind heulte, riss an ihnen. Ihr weißer Spitzenrock bauschte sich auf, fing den Luftstrom ein und riss sie wieder ein wenig nach oben. Beinahe wäre ihr Chions Hand entglitten und sie hielt sich umso verzweifelter fest. Was war nur geschehen? Sie trudelten, taumelten hierhin und dorthin, während der Wind mit ihnen zu spielen schien. Die Schreie verstummten, machten lähmender Stille Platz, Entsetzen, das Worte nicht zu beschreiben vermochten. Der Sturz war endlos und glitzernde Tränen rannen über Eiras Wangen, als sie in seine Augen blickte. Neas Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Eine Nacht zum Tanzen… so als wäre es die Letzte. War sie das? Aber dann… dann hatte sie wenigstens… ihre Augen kehrten zu Chion zurück, voller Wärme und kurz war der Fall beinahe vergessen, als ihre Blicke sich fanden. Dann riss der Wind umso erbarmungsloser an ihnen, bis er ihrem Griff entglitt. Und sie war allein, die Fallenden weit verstreut, sodass die Stille sie umfing, während das Entsetzen sie lähmte. Wie schwer es war das zu begreifen, ihre Hand, die plötzlich leer war. Ihrem Fall folgte eine glitzernde Tränenspur. Wann würde es enden? Überall war weiß, umfing sie, blendete sie, bis sie Teil davon wurde. Es war beinahe tröstlich, als würde sie wieder mit den anderen vereint. Zu einer schweren, weißen Decke. Zum Himmel blickend, sah sie noch andere Schneeflocken, die mit weit aufgespannten Rücken vom Himmel herab trudelten. Das reine Weiß wurde grau, als die Reifen eines vorbeifahrenden Autos den frisch gefallenen Schnee achtlos durchpflügten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)