Kleiner Engel von MarySae (- Die Geschichte einer Rose -) ================================================================================ Blut ---- Ein schriller Schrei schoss plötzlich durch die Luft und ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Verzweifelt sah ich mich um, doch der Nebel blockierte meine Sicht völlig. War das nicht … ihre Stimme gewesen? War ihr etwas passiert? War sie gestützt? Was war bloß passiert? „Nein, loslassen!“ mein Herz schlug so schnell, wie es noch nie geschlagen hatte. Plötzlich begann mein ganzer tauber Körper innerlich zu verbrennen. Auf einmal war es mir egal, dass ich schwer, wenn nicht sogar lebensgefährlich verletzt war! Ich würde aufstehen und nach ihr sehen, egal, was es mich auch kosten mochte! Mein Körper protestierte mit jedem schwankenden Schritt. Ich spürte die Schmerzen heiß in mir lodern. Wusste, dass mein gebrochenes Bein diese Belastung nicht tragen konnte, doch ich ignorierte es völlig. Ich ging weiter. Immer weiter in die Richtung, in der sie verschwunden war. In die Richtung, aus der ihr verzweifelter Schrei gekommen war. Alles um mich herum war Weiß. Die Feuchtigkeit drang immer tiefer in meine zerrissenen und blutbefleckten Kleider ein und ließ mich beinahe zu Eis erstarren. Doch das war alles nebensächlich. Nur eins zählte. Sie. Plötzlich zeichneten sich dunkle Schemen zwischen all dem Weiß ab. Zwei große Gestalten standen seitlich von mir, eine Kleine war beinahe völlig in dem hohen Gras verschwunden. Nur das gelegentliche Schluchzen war das Anzeichen dafür, dass sie dort war. Dort unten, ängstlich kauernd und dem Lauf der Waffe entgegensehend. Ich zwang meinen Körper schneller zu laufen, bis ich beinahe rannte. Es dauerte nicht lange, bis ich die Uniform der zwei Männer erkannte und beinahe vor Erleichterung gestorben wäre. Doch etwas in mir verbot mir dieses Aufatmen. Ich wusste genau, dass hier etwas nicht stimmte … „Nehmt die Waffen runter! Sie ist doch nur ein kleines Kind!“ Meine Stimme brachte die Anwesenden dazu, sich zu mir umzudrehen und plötzlich war die Waffe auf mich gerichtet. Ich hielt inne und bewegte mich nicht, ließ aber den dunkelhaarigen Mann mit der Pistole nicht aus den Augen. „Hey, lass das! Der gehört zu uns!“, meinte der Blonde hinter ihm und sein Kollege schien es nun ebenfalls bemerkt zu haben. Doch ich freute mich nicht. Noch nicht. Ich überwand den letzten Meter und baute mich schützend vor dem kleinen Mädchen auf. Ich sah zu ihr hinunter und bemerkte die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht und als sie mich erkannte, erwiderte sie schüchtern die Geste. Ein tapferes Mädchen! Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Soldaten. „Lasst das Mädchen laufen! Sie ist noch so jung! Sie ist keine Gefahr für uns!“ Ihre verdutzten Blicke lagen auf mir, als ich ihnen den Blick auf das Kind verdeckte. „Sie gehört zum Feind!“ „Sie ist ein Kind!“, sagte ich mit aller Ausdrücklichkeit, die ich mit meiner kratzigen Stimme aufbringen konnte. Ich spürte, wie mein Körper jede Sekunde unter seiner eigenen Last zusammenbrechen würde. Meine Sicht verschwamm und eine warme Flüssigkeit tropfte mein Bein hinab. Die Wunde hatte sich wieder geöffnet. „Sie wird niemandem etwas tun! Also lasst sie gehen!“ Noch ehe ich reagieren konnte, nein, noch ehe ich begreifen konnte, was gerade geschah, hallte ein Schuss ohrenbetäubend laut in meinen Ohren. Ich hörte ein leises, dumpfes Geräusch hinter mir, und ich wusste, dass in diesem Augenblick mein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Unfassbar langsam drehte ich mich um und brach im selben Moment zusammen. Ihre kleinen, goldenen Löckchen waren völlig verdreckt und mit Schlamm verkrustet. Das ehemals weiße Kleidchen war nun über und über mit roten Flecken bedeckt und die so strahlenden, blauen Augen blickten nichtssehend in den grauen Himmel. Wie in einem roten Wasserfall floss das Leben aus ihr heraus, bis das Blut auf ihrer aschgrauen Haut unheilvoll glühte. Ich schrie. Schrie lauter, als ich es jemals getan hatte. Immer und immer wieder. Ich spürte den Schmerz nicht mehr in mir, sondern nur noch diese heiß lodernde Flamme des Zorns, die meinen Körper zu Asche zu verbrennen schien. Wutentbrannt wandte ich mich um. Die beiden Männer standen bewegungslos hinter mir. Einer davon immer noch die Waffe auf das unschuldige Kind gerichtet. Ihre Augen vor Schreck weit aufgerissen. Sie schienen beinahe … Angst zu haben. Und ich wusste auch wovor. „Ihr verdammten Mistkerle! Sie war ein kleines Mädchen! Kein Feind! Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich!“ Alles in mir zog sich zusammen, alles in mir brannte. Ich wollte nach ihnen greifen, sie zu Boden ringen. Einmal noch. Einmal noch töten! Ein letztes Mal! Dieses eine Mal die wirklich bösen Männer töten! Doch ich hatte nicht genug Kraft. Der Schuss traf mich mitten in die Brust. Die Wucht des Einschlags schleuderte mich zurück. Kraftlos ging ich zu Boden. Direkt neben dem kleinen Engel. Ich sah sie an. Stellte mir ihr schönes Lachen vor. Ihre funkelnden Augen. Ihre wild tanzenden, goldenen Locken. Ihre sanfte Stimme… Ich hielt sie noch immer in der Hand. Spürte, wie die Dornen meine Haut zerkratzen und ich genoss das Gefühl. Sanft legte ich die Rose auf ihren Bauch. Sie hatte nun dieselbe Farbe, wie ihr Kleid. „Das war schon die allerschönste Rose, die ich je gesehen habe. Danke, dass Ihr mir sie gezeigt habt. Dank Euch war ich noch ein letztes Mal in meinem Leben froh. Danke.“ Plötzlich verlor ich den Halt. Es war, als würde der Boden unter mir verschwinden und ich inmitten eines schneeweißen, warmen Lichtes der Luft schweben. Alles an mir war so seltsam leicht. So vertraut und doch ungewohnt. Nun wusste ich, dass die Qual endlich ein Ende hatte. „Ich wusste doch, dass Ihr kein böser Mensch seid!“ Ich öffnete meine Augen. Vor mir sah ich ihn. Den kleinen, blonden Engel und dem schönsten Lächeln auf Erden. „Kommt! Ich stelle Euch meinen Eltern vor!“ Grinste sie voller Freude und streckte mir ihre kleinen, zarten Finger entgegen. Ich lächelte zurück und ergriff ohne zu zögern ihre Hand. Entschuldigt, Geliebte, dass ich nicht wie versprochen zu Euch zurückkehren konnte. Ihr hattet von Anfang an recht gehabt. Ich habe Blut vergossen und bedauere jeden Tropfen dieses kostbaren Lebenssaftes zutiefst, den ich verschwendet habe. Bis in alle Ewigkeit. Doch bitte, immer, wenn Ihr eine Rosenblüte seht, erinnert euch an mich als den Mann, der sich einfach nur eine bessere Welt gewünscht hatte. Eine Welt, in der jeder hätte glücklich leben können. Eine Welt, in der sich jeder jedes Jahr wieder auf den Kirschblütenregen freuen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)