Josephine Klick - Allein unter Cops von Peggy_Padouk ================================================================================ Kapitel 25: ------------ Ich hasste es zuzugeben, aber Fritz behielt Recht. Auf der Fahrt zum Gestüt hatte ich schon gemerkt, dass mein Kopf sich warm anfühlte. Über Nacht war dann das Fieber ausgebrochen. Der Arzt stellte einen grippalen Infekt fest. Drei verfluchte Tage dauerte es bis ich das gröbste überstanden hatte. Es wurmte mich, dass ich bei den Ermittlungen nicht dabei sein konnte. Natürlich waren meine Kollegen gute Ermittler. Aber wir waren ein Team und ich wollte helfe. Ich hatte im Revier angerufen und Karin um den neusten Stand gebeten, aber sie druckst rum. Ich hörte im Hintergrund Fritz mal wieder meckern. Er nahm ihr den Hörer aus der Hand. „Du bist krank, Josephine!“, hörte ich seine Stimme. Er verweigerte mir die Informationen. „Werd'e erst mal gesund. Dann kannst du auch wieder am Fall arbeiten.“ Eigentlich musste ich ihm die Schuld geben, dass ich meinen Arzt genötigt hatte mich nach fünf Tagen wieder gesund zu schreiben. Ich fühlte mich noch etwas schlapp, aber die Medikamente hatte gut geholfen. Es war noch sehr früh als ich das Revier betrat. Ob überhaupt schon jemand vom Team da war? Vielleicht gab mir das genügend Zeit mich in den Fall einzulesen. Im Büro stand Waldi und zog gerade seine Jacke aus als ich eintrat. Er sah mich überrascht an. „Josy?“, sagte er fast fragend. „Morgen, Waldi“, lächelte ich ihn an und ging zu meinem Platz. „Bist du denn schon wieder gesund?“ „Ist mir sogar vom Arzt bescheinigt worden.“ „Liegt der Arzt noch in Fesseln oder hast du ihn schon wieder gehen lassen?“, fragte er mich skeptisch. Ich verdrehte meine Augen. Als er anfing mich schief anzugrinsen, wurde ich stutzig. „Ist was?“, fragte ich verwundert. „Nein, nein. Alles Bestens“, entgegnete er, aber sein Grinsen wurde breiter. Was war nur los mit ihm? Bevor ich fragen konnte, ging die Durchgangstür zum anderen Büro auf. Ich war überrascht Fritz um so eine Uhrzeit zu sehen. Seine Miene verfinsterte sich als er mich sah. „Du gehörst ins Bett!“, sagte er ernst. „Nein, tue ich nicht“, erwiderte ich und wedelte mit dem ärztlichen Beweis dafür vor seiner Nase. „Mein Arzt hat mich wieder gesundgeschrieben.“ Er riss mir den Zettel aus der Hand und sah kurz drauf. ”Man sollte ihm die Zulassung entziehen”, knurrte Fritz. Er schüttelte mit dem Kopf als er mir den Zettel wieder in die Hand drückte. „Wenn du wieder umkippst kannst du dir jemand anderen Suchen, der dich in die Krankenstation bringt.“ „Wird nicht passieren“, entgegnete ich überzeugt. „Warum bist du überhaupt schon wieder hier?“, fragte er genervt. War er heute mit dem falschen Bein aufgestanden oder warum war er so schlecht gelaunt? „Vielleicht ist es dir entgangen, Fritz. Aber wir haben einen Fall.“ „Nein, dass ist mir nicht entgangen. Das ganze Team arbeitet daran. Wir haben auch vor dir schon geschafft Fälle zu lösen.“ „Ich will aber auch meinen Teil dazu beitragen. Du warst es doch, der mir Informationen verweigert hat.“ „Warum sollte ich dir auch Infos geben“, schnaubte er. „Krank ist krank. Dann muss du auch mal Zuhause bleiben und dich auskurieren. Warum hörst du eigentlich nie auf mich, Bielefeld?” “Vielleicht weil du ja auch nie auf mich hörst?”, fragte ich etwas bissig. Er stockte kurz und sah mich prüfend an. “Vielleicht würde ich ja, wenn du auch mal bereitwilliger meine Ratschläge annehmen würdest.” Ich zog eine Augenbraue hoch, dann lächelte ich ihn übertrieben freundlich an. “Und vielleicht würde ich deine Ratschläge auch mal annehmen, wenn diese mehr Sinn ergeben.” Wir sahen uns beide herausfordernd an und ich wartete auf seine Antwort. „Mann, Mann, Mann“, tönte die Stimme von Waldi amüsiert durchs Zimmer. „Ihr seid besser als jedes Frühstücksfernsehen.“ Mein Kopf fuhr zu ihm rum. Er schmunzelte und ließ sich entspannt in seinen Schreibtischstuhl zurückfallen. „Halt du dich da raus“, sagte ich zu Waldi, stockte aber als ich ein Echo hörte. Ich sah Fritz erstaunt an. Er hatte gerade genau das Gleiche gesagt. Waldi kicherten. Fritz drehte sich mit verengten Augen zu ihm. „Hast du nichts zu tun, Waldi?“, sagte er in strengem Ton. Waldi hob beschwichtigend die Hände. „Eh, Leute. Lasst euern Frust nicht an mir aus. Ich bin nur ein Zuschauer.“ Als Fritz ihn scharf ansah, drehte Waldi sich ganz langsam mit seinem Stuhl wieder zum Monitor. Noch immer hielt er die Hände hoch. „Ich bin nicht mal ein Zuschauer. Ich bin quasi gar nicht da und sowieso unglaublich beschäftigt mit der Recherche.“ Fritz sah auch mich noch einmal strafend an, bevor er sich auf den Weg in sein Büro machte. Auf halben Weg rief Waldi. „Fritz.“ Er sah aus, als würde er gleich in Deckung gehen wollen. „Ich kriege noch deinen Wetteinsatz.“ Wetteinsatz? Worum hatten die beiden denn gewettet? Fritz sah Waldi bitterböse an. Seine Kieferknochen arbeiteten und seine Nasenflügel hatten sich geweitet, während er ganz langsam ein- und ausatmete. Er ging auf den Schreibtisch zu, während er sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche zog. Am Schreibtisch angekommen, knallte er Waldi nen Geldschein auf den Schreibtisch. „Zufrieden?“ „Ich mache doch immer wieder gerne Geschäfte mit dir “, sagte Waldi, nahm den Geldschein und grinste Fritz an. Das Grinsen verflog schnell. „Schon gut, Schon gut. Ich mache mich jetzt an die Arbeit“, sagte Waldi. Ich sah zwar nicht das Gesicht von Fritz, konnte mir aber den Gesichtsausdruck vorstellen. Fritz ging an mir vorbei und sah mich noch einmal kopfschüttelnd an, bevor er die Tür zu seinem Büro mit ein wenig zu viel Elan ins Schloss fallen ließ. „Was ist denn mit ihm los?“, fragte ich Waldi. „Keine Ahnung, gestern hatte er noch gute Laune. Vielleicht wegen der Wette?“ Ich sah ihn fragend an. „Was denn für eine Wette?“ Sein Grinsen wurde breiter. „Wie lange du dich von nem Arzt ans Bett Fesseln lässt. Ich war mir sicher, dass du keine Woche Zuhause bleibst. Vor allem nach dem Telefonat mit Fritz, als er dir keine Infos geben wollte.“ Er atmete zufrieden aus. „Er hat dagegen gewettet. Er meinte du würdest vernünftig sein und Zuhause bleiben.“ Ich sah ihn empört an. „Ihr wettet auf MEINE Kosten?“ „Darüber denkst du nach? Ich war eher überrascht, dass dich Fritz für vernünftig hält“, entgegnete er und zwinkerte mir zu. Ich wollte gerade was erwidern als erneut die Tür aufging. „Kommst du, Bielefeld?“, fragte mich Fritz. Als ich nichts erwiderte und ihn nur verwirrt ansah, atmete er einmal tief durch. „Also entweder du willst jetzt auf den neusten Stand gebracht werden oder nicht.“ „Ach so, ja klar. Ich bin sofort da.“ Fritz nickte nur und verschwand dann wieder in seinem Büro. Ich drehte mich nochmal kurz zu Waldi um. Er sah mich vielsagend an. „Na dann mal ab mit dir in die Höhle des Löwen.“ Ich musste bei seiner Bemerkung etwas kichern. „Er wird mich schon nicht auffressen.“ Waldi sah skeptisch aus, aber ich ignorierte es und machte mich auf den Weg zu Fritz. Er stand vor der Metaplanwand und befestigte einige Fotos und Notizen. Fritz wirkte zwar etwas ruhiger, aber trotzdem unzufrieden. „Warum bist du eigentlich so früh hier?“, fragte ich ihn, als ich mich neben ihn stellte. „Ich wollte heute eigentlich früher Feierabend machen“, entgegnete er knapp ohne mich anzusehen. War er wirklich wegen der Wette so schlecht gelaunt? „Soll ich dir das Geld für die Wetter wiedergeben, damit deine Laune sich wieder bessert?“, fragte ich. „Immerhin bin ich schuld, dass-“ „Darum geht´s doch nicht“, unterbrach er mich und drehte sich zu mir. Er sah nicht wütend aus, frustriert vielleicht, aber nicht wütend. „Worum geht es dann?“, wollte ich wissen. „Weißt du, Josephine“, begann er. „Da denkt man, dass man langsam anfängt dich zu verstehen, dass du vernünftiger geworden bist und dann...“ Er schwieg einen Moment und sah mich einfach nur an und kaute an seiner Unterlippe. „Ist egal“, murmelte er und wandte sich wieder der Metaplanwand zu. “Wir sollten uns auf den Fall konzentrieren.” Fritz befestigte die restlichen Hinweise und begann mit seinen Erklärungen. Da ich selber nicht wusste, was ich zu diesem Thema noch hätte sagen können, harkte ich auch nicht nach und konzentrierte mich wieder auf den Fall. „Also wissen wir, dass das Opfer von der Brücke gefallen oder gestoßen wurde, wo wir die Blutflecken gefunden haben?“, fragte ich und Fritz stimmte dem zu. „Aber Spuren von einem Kampf waren nicht zu erkennen“, sagte er. „Gehen wir von einem Mord aus?“, harkte ich nach. „Ja, nach jetzigem Kenntnisstand können wir davon ausgehen“, entgegnete er. „Du solltest dir den Obduktionsbericht durchlesen.“ Fritz reichte mir einen Ordner. „Du hattest mit dem Gift gar nicht so Unrecht. Rebecca Manske ist an einer Überdosis GHB gestorben.“ „GHB?“, fragte ich und nahm den Ordner entgegen. „Liquid Ecstasy wird das in der Szene auch genannt“, erklärte er mir. Ich blätterte den Bericht durch, während ich den Inhalt überflog. Einige Begriffe sprangen mir ins Augen. Irgendwo hatte ich einen ähnlichen Bericht schon mal gelesen. Die junge Frau hatte nicht nur eine Überdosis bekommen. Tereza hatte auch Verletzungen im Vaginalbereich von Rebecca festgestellt. Die junge Frau wurde also geschlagen, vergewaltigt und hatte anschließend eine Überdosis verabreicht bekommen, bevor sie vermutlich völlig kraftlos in den Kanal geschmissen wurde. Es war eine grausame Art zu sterben. Durch die Drogen muss sie so benebelt gewesen sein, dass sie vermutlich gar nicht wusste, wo sie war. Trotzdem hatte sie es geschafft sich über die Wasseroberfläche zu ziehen. Ihr Lebenswille musste so riesig gewesen sein. Alex und Fritz hatten mit den Eltern, den Arbeitskollegen und den Patienten gesprochen um die sich das Opfer gekümmert hatte. Alle bestätigten, dass Rebecca immer clean gewesen war und keine Rauschmittel eingenommen hatte. Der Bericht der SpuSi war leider wenig hilfreich. Es waren kaum brauchbare Spuren gefunden worden und das Wasser hatte mögliche DNA Beweise am Opfer vernichtet. Wer auch immer dem Mädchen das angetan hatte, war sich seiner Taten bewusst. Es war nicht im Effekt passiert. Der einzige Fehler, der dem Täter unterlaufen war, war den Lebenswillen der jungen Frau unterschätzt zu haben. Als echte Wasserleiche wäre der Fall vermutlich nach wenigen Wochen zu den ungelösten Fällen ins Archiv gekommen. Aber so hatten wir zumindest eine geringe Chance, vielleicht doch noch den Täter zu fassen. Wir mussten aber noch mehr Leute befragen, die Rebecca vielleicht an diesem Tag gesehen hatten oder sie besser kannten. Gab es einen neuen Freund? Hatte sie mit jemanden Streit gehabt? Jedes Indiz konnte in diesem Fall hilfreich sein. Ein Kollege von Rebecca hatte zu Protokoll gegeben, dass sie sich ehrenamtlich auf der Straße um Drogenkranke kümmerte. Bisher war in diese Richtung noch nicht recherchiert worden. Vielleicht konnten wir dort weitere Erkenntnisse erlangen. Den Vormittag brauchte ich um mir alle Berichte durchzulesen. Ich hatte das Gefühl, dass die Medikamente ein wenig meine Denkfähigkeit einschränkten. Oft musste ich Berichte zwei Mal lesen um den Inhalt zu verstehen. Ich hatte gerade den letzten Bericht beendet als meine beiden Kollegen ins Büro kamen. Fritz hielt den Autoschlüssel in seiner Hand und Alex zog gerade seine Jacke an. „Wo wollt ihr denn hin?“, fragte ich verwundert. „In ein Hostel in der Nähe vom Tatort“, antwortete Alex als er seinen Kragen richtete. „Es ist ein Hinweis eingegangen von einer Dame die dort arbeitet. Willst du mit?” Ich überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. Vielleicht hatte diese Dame einen Hinweis. Vielleicht wäre es aber auch nur Zeitverschwendung. Ich würde lieber mit den Patienten sprechen, die Rebecca auf der Straße betreut hatte. „Ich würde heute gerne nochmal zu Rebeccas Arbeitsgeber fahren wegen den Patienten die wir noch nicht befragt haben.“ Fritz wurde sofort hellhörig und es bildeten sich Falten auf seiner Stirn. „Keine Alleingänge, Josephine!“, mahnte er mich. „Hast du das etwa während deiner Krankheit schon wieder vergessen? Momentan können wir niemanden als Täter ausschließen. Du gehst mir da nicht alleine hin.“ Er führte sich wie mein Vater auf. Aber ich hatte natürlich nicht vergesse, was ich versprochen hatte. Bitte sehr, dachte ich und sah Karin an, die gerade einen Bericht eintippte. Ich konnte Fritz stöhnen hören noch bevor ich meine Frage stellte. „Karin?“ Sie drehte sich zu mir und sah mich fragend an. „Kommst du mit zu einer Befragung?“ Sie sah mich verwirrt an und ihr Blick wechselte von den Jungs zu mir. „Hat doch beim letzten Mal auch wunderbar geklappt.” Sie musste wissen, dass ich auf den Fall Römer anspielte. Langsam bildete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht. „Du darfst auch deine Dienstwaffe mitnehmen“, zwinkerte ich ihr zu. Fritz brabbelte irgendwas von `unverbesserlich´ und `nicht zum Aushalten´ aber das ignorierte ich. Er marschierte aus dem Büro. Alex folgte ihm, blieb aber im Türrahmen stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. „Aber sei heute um 17 Uhr wieder da.“ „Warum?“, fragte ich verwundert. „Wir haben Verstärkung beim Drogendezernat angefordert. Für diesen Fall brauchen wir die Fachspezialisten. Wir können nicht ausschließen, dass es vielleicht ein Dealer oder ein Drogenabhängiger war. Vielleicht war das Opfer einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Kollegen können uns bestimmt hilfreiche Informationen geben.“ „Alles klar, ich bin dann pünktlich wieder da.“ Alex nickte mir zu und verschwand aus dem Büro. *** „Und Sie haben Frau Manske um 19 Uhr das letzte Mal gesehen?“, fragte ich den jungen Mann, der mit Rebecca zusammen gearbeitet hatte. “Ja. Sie wollte nach der Arbeit noch nach einem Mädchen sehen, die wir hier nicht betreuen.” „Aber sie hat Ihnen keine Namen genannt?“, harkte Karin nach. „Nein oder ich kann mich nicht erinnern. Aber Namen waren für uns außerhalb der Arbeit nie ein Thema. Wir haben hier sehr viele Menschen die Hilfe brauchen. Um ihnen helfen zu können, ist aber eine persönliche Verbindung besonders wichtig. Sie können sich also vorstellen, dass man sich hier viele Namen, Gesichter und Geschichten merken muss. Also konzentriert man sich auf seine eigenen Fälle.“ Er schwieg eine Weile, schien sich dann aber an etwas zu erinnern. Er stand auf und wühlte in seinen Hosentaschen. „Irgendwo habe ich doch ... Ach, da ist es ja.“ Der junge Mann holte einen Zettel aus seiner Hosentasche. „Ich weiß nicht, ob Ihnen das weiterhilft, aber ich hab mit einer ehemaligen Patientin von Rebecca sprechen können. Sie konnte sich noch an drei, vier Orte erinnern, wo Rebecca immer zu finden war. Vielleicht war sie auch an dem Tag dort, wo sie verschwunden ist.“ Er reichte mir den Zettel. „Vielen Dank!“, sagte ich und nahm ihm das Stück Papier ab. „Tut mir leid, dass ich nicht mehr helfen kann.“ Ich schüttelte meinen Kopf. „Sie haben uns sehr geholfen. Wir überprüfen die Adressen.“ Wir verabschiedeten uns von ihm und machten uns auf den Weg zur ersten Adresse. Wir befragten einige Leute vor Ort. Die meisten kannten Rebecca vom Sehen waren aber keine Patienten von ihr und konnten sich auch nicht daran erinnern, sie an dem Tag gesehen zu haben. Ähnlich ging es und auch bei der zweiten Adresse. Ich befürchtete, dass wir bei der nächsten Adresse ebenfalls in eine Sachgasse liefen. Aber als wir einen älteren Herren vor seinem Obst- und Gemüseladen befragten, konnte er sich erinnern Rebecca an diesem Tag gesehen zu haben. „Ja, das Mädchen war hier. Sie hatte bei mir ein paar Kleinigkeiten gekauft und nach Lisa gefragt.“ „Wer ist Lisa?“, fragte Karin neben mir. Der alte Mann lächelte Karin liebevoll an. „Lisa lebt hier auf der Straße, ist immer wieder von Zuhause abgehauen“, begann er. „Sie ist ein gutes Mädchen. Aber ab und zu gerät sie auf die schiefe Bahn und nimmt Drogen. Es gibt aber auch besser Phasen. Dann verkauft sie in den S- und U-Bahnen den Straßenfeger und verdient sich so ein wenig Geld. Im Winter lasse ich sie oft bei mir im Büro übernachten, wenn sie es dann zulässt.” „Wissen Sie, wo wir Lisa finden können?“, fragte ich ihn. Er sah mich eine Weile nachdenklich an. „Lisa hat momentan wieder eine schwierige Phase. Da weiß man nie, wo sie sich rumtreibt. Sie ist überall, wo es Drogen geben könnte. Aber Rebecca hat Lisa oft in einer alten, kleinen Lagerhalle gefunden. Die ist gar nicht weit weg von hier.“ Der Mann wirkte besorgt als er in die Ferne blickte. „Ich habe Lisa seit einigen Tagen nicht mehr gesehen.“ „Haben Sie vielleicht ein Foto von ihr oder können Sie uns beschreiben wie Lisa aussieht?” Er nickte und drehte sich zu seinem Laden um. „Kommen Sie doch bitte mit.“ Er führte uns in sein Geschäft und ging zur Pinnwand neben der Kasse. Dort entfernte er ein Bild von einem Mädchen, das fröhlich in die Kamera lächelte. Sie hatte abgetragene Kleidung und ihre Haare waren verfilzt. Sie entsprach dem Bild von einem Straßenkind, sah aber clean aus. „Das ist Lisa“, sagte er und lächelte das Bild an. „Darf ich das abfotografieren?“, fragte ich. Anschließend erklärte er uns, wo die Lagerhalle sich befand. Es dauerte eine Weile bis wir die Langerhalle gefunden hatten. Sie war umzäunt, aber an einigen Stellen war der Zaun aufgerissen. Also konnten wir durch eines der Löcher klettern und auf das abgesperrte Grundstück gelangen. Hier hielt sich Lisa also immer auf? „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, sagte Karin und blickte etwas unsicher in der Gegend umher. „Immerhin stand dort `Betreten verboten´.“ „Wir sind von der Polizei, Karin. Wir dürfen das. Immerhin ermitteln wir hier in einem Mordfall.“ Sie wirkte immer noch unschlüssig, folgte mir aber, als ich meinen Weg fortsetzte. Ich hörte Geräusche, als wir dicht am Gebäude standen. War Lisa da? „Lisa?“, rief ich aus. Ich wollte sie nicht erschrecken. Wir konnten ja nicht wissen in welchem Zustand sie sich befand. Wenn sie gerade im Rausch war, konnte sie auch halluzinieren und uns als Bedrohung sehen. Niemand antwortet. Dann hörte ich ein Rascheln und anschließend schwere Schritte. Irgendwas stimmte hier nicht. Das waren keine Schritte einer jungen Frau. Vor allem nicht von einer, die so zierlich auf dem Foto ausgesehen hatte. „Karin“, flüsterte ich als ich mich an die Wand drängte und meine Waffe aus der Halterung löste. „Dienstwaffe!“, sagte ich und deutete auf ihre Handtasche. Sie sah mich mit großen Augen an. „Du bleibst hier. Ich geh rein. Gib mir aber Rückendeckung, wenn´s nötig wird!“ „Josephine, warte! Ich...“, sagte sie, aber ich war bereits im Gebäude und überprüfte den Raum. Die Lichtverhältnisse in der Halle waren an einigen Stellen wirklich schlecht. Aber ich konnte jemanden sehen, der am anderen Ende regungslos auf dem Boden lag. Als ich ein Geräusch hörte, folgten meine Augen einem Schatten. Ich sah, wie eine große Gestalt sich immer weiter von der anderen Person entfernte, konnte durch das fehlende Licht aber kaum etwas erkennen. Bei der Größe und Statur musste es sich aber um einen Mann handeln. „Polizei!“, rief ich. „Bleiben Sie stehen!“ Aber er dachte nicht daran und schlüpfte in einen der Gänge. Ich hörte, wie sich seine Schritte immer weiter entfernten, hatte aber den Blickkontakt verloren. Ich lief los, um ihn zu verfolgen. Als ich am anderen Ende der Halle angekommen war und ihn hinter der Wand nicht mehr sehen konnte, sondern nur die Tür zum Ausgang, die offen stand, entschied ich mich ihn nicht weiter zu verfolgen. Offensichtlich gab es hier jemanden der Hilfe brauchte. Außerdem durfte ich Karin nicht alleine lassen. Sie war nicht ausgebildet für solche Außendiensteinsätze. In meinem Inneren schrien alle Sinne, dass ich vermutlich den Mörder von Rebecca laufen ließ, aber es waren hier zu viele Baustellen und ich sollte mich zuerst um die Person auf dem Boden kümmern. Vielleicht lebte sie noch. Ich hätte mit den Jungs hierher kommen sollen, dachte ich fluchend. Dann hätten wir diesen Kerl bestimmt geschnappt und ich hätte Karin nicht in diese Gefahrensituation gebracht. Als ich mich umdrehte, durchzog ein Schmerz meinen Schädel als wenn mir einer ein Brett auf den Hinterkopf geschlagen hätte. Ich musste mich einen Moment an der Wand festhalten. Mir wurde schwarz vor Augen und mich überfiel ein heftiges Schwindelgefühl. Ich hatte die fünf Tage fast nur im Bett verbracht. Ich konnte nicht erwarten, dass ich gleich wieder auf Verfolgungsjagd gehen konnte. Ich schüttelte mich um wieder zu Sinnen zu kommen und den Schmerz zu vertreiben. Mit schnellen, aber wackeligen Schritten ging ich auf die Frau zu, die am Boden lag. Ich kniete vor ihr, konnte aber ihr Gesicht nicht sehen. Es war dem Boden zugewandt. Vorsichtig drehte ich ihr Gesicht, während ich versucht ihren Puls zu fühlen. Der Puls war schwach, aber er war da. Sie lebte, atmete jedoch sehr flach. Als ich ihr Gesicht drehte, lief ihr Blut aus der Nase und eine transparente Flüssigkeit lief aus ihrem Mund. Die Flüssigkeit konnte kein Speichel sein. Ihr Gesicht kannte ich. Ich hatte es bereits auf dem Foto vom Ladenbesitzer gesehen. Das Mädchen vor mir war Lisa. „Scheiße“, fluchte ich, als ich das Mädchen versuchte leicht zu schütteln. „Lisa“, sagte ich und beugte mich dichter zu ihr. „Lisa, kannst du mich hören?“ Als keine Reaktion kam, rief ich nach Karin. Sie kam zur Tür herein und sah erst mich und dann Lisa erschrocken an. „Wir brauchen sofort einen Krankenwagen!“ Sie wühlte ihr Handy aus ihrer Jackentasche. Während sie dem Notdienst beschrieb, wo wir waren und um was es ging, rief ich ihr Worte zu wie `Überdosis´ und `Magen auspumpen´ oder auch, dass die sich `verflucht noch mal beeilen sollen´. Ich schüttelte immer wieder leicht den Kopf von Lisa und sprach mit ihr. Aber sie reagierte nicht. Wir durften sie nicht verlieren. Sie war unsere einzige Zeugin. Wir konnten nicht zulassen, dass es ein zweites Mordopfer in diesem Fall gab. Die Kleine war doch gerade erst 18 Jahre alt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)