New Millennium von jollyrose ================================================================================ Kapitel 13: Der erste Freund ---------------------------- Kinder, die ihn auslachten. Erwachsene, die ihn mit kalten Augen ansahen. Und immer dieses betörende Flüstern, als sie hinter seinem Rücken redeten. Er verstand nicht, was er falsch gemacht hatte. Er war doch nur ein Kind. Warum mochten ihn die Leute nicht? Er konnte doch nichts dafür, was sein Vater getan hatte. Er wuchs damit auf. Seine Mutter war sein einziger Halt, der ihm im Leben geblieben war. Aber jeden Tag wurden ihre Augenringe tiefer. Sie sah erschöpft aus. Nein …Sie sah krank aus. Aber nicht körperlich krank, sondern im Geiste. Als saugte man ihr die Seele aus, Stück für Stück, Tag für Tag. Sie wirkte so müde, obwohl sie sich anstrengte, wie immer zu lächeln, letztendlich blieb ihr Ausdruck leer. Sein Vater hatte sie verlassen. Er war fortgegangen und sie blieben zurück. Und jeder hier betrachtete sie mit Verachten. Wieder war so ein Tag, an dem er völlig niedergeschlagen aus der Schule kam. Sie hatten wieder seine Sachen kaputt gemacht und so getan, als wäre er nur Luft. Doch konnte er mit keinem darüber reden, nur seine liebe Mutter war immer für ihn da. Aber auch sie war machtlos ... Als er die Tür öffnete, kam ihn niemand begrüßen. Die Schuhe standen alle Reih und Glied neben dem Schrank, wie immer, also war sie nicht einkaufen. Vielleicht schlief sie ja? Sofort lief er zu ihrem Schlafzimmer und öffnete die Tür. „Nein … Nein …!“ Dort hing sie, mit weit aufgerissenen Augen. Speichel tropfte ihr aus dem Mundwinkel, ihr Kopf hing grotesk herunter. Um ihren Hals hing ein Strick, der schwarzlila Spuren auf ihrer Haut hinterlassen hatte. Für einen Moment dachte er, das wäre eine Puppe. Sie sah so leblos aus, ihre Augen hatten jeden Glanz verloren. „Ma … ma?“ „Ahhhh!“ Mit einem lauten Schrei erwachte Blaire aus diesem Albtraum. Er setzte sich ruckartig auf, schnappte heftig nach Luft. Nicht schon wieder. Das letzte Mal war schon länger her, aber anscheinend hatte er sich zu früh gefreut. „Diese Erinnerungen werden mich ewig verfolgen ...“, dachte er sich, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er war schweißgebadet. Es dauerte einige Momente, bis er realisierte, dass er nicht in seinem Quartier war. Er bemerkte die Bandagen an sich, als er herab sah. Das kam ihm alles bekannt vor. „Bin ich … auf einer Krankenstation?“ Er drehte den Kopf langsam zur Seite, und erschrak fürchterlich, als er in die großen, sonnengelben Augen blickte, die ihn anstarrten. „L-Lügner … !“ „Alles … in Ordnung?“, fragte Lyial mit besorgter Stimme. Er saß gleich am Nebenbett, sein Kopf war um die Stirn verbunden. „Nur ein Albtraum.“, antwortete Blaire nüchtern. Sie waren also beide in einem Krankenzimmer, das verstand er nun. Er war wohl verletzt, aber sonderlich viel spürte er nicht, aber das lag bestimmt an Schmerzmitteln. Und Lyial war auch verletzt, war auch kaum zu übersehen. Langsam kamen auch seine Erinnerungen wieder. „Der Kampf … Wir haben doch gekämpft … ! Was ist passiert? Haben wir gewonnen?! Arghh, bin ich etwa ausgeknockt wurden? So ein Scheiß! Hey, was ist mit Percival?!“ Er wollte schon aufstehen, aber sein träger Körper ließ das nicht zu. „Der Kampf ist vorbei. Der General hat uns gerettet.“, fasste er sich kurz. „Ich weiß noch, dass ich von hinten getroffen wurde. Aber wo kommen die anderen Verletzungen her?“ Er fuhr mit den Fingern über die Bandagen. Rücken, Brust, und beide Arme. Aber seine Erinnerungen an die Schlacht waren zu wage … Mit zusammengekniffenen Augenlidern musterte er Lyial. „Dich hat's auch erwischt … Mann, dabei haben wir so gut gekämpft! Das ist doch nicht deine Schuld, oder?“ Aber Lyial schüttelte nur den Kopf. „Du warst sehr stark. Du hast die Synchronisationsgrenze überschritten. Und hast gekämpft, während wir alle hilflos ohne Funk oder Navigatoren waren.“ Daran konnte sich Lyial noch gut erinnern. Wohl alle, die am Schlachtfeld waren. Sie sahen, wie Blaire nicht aufgab. Als wären Pilot und Maschine zur perfekten Einheit geworden. Und obwohl es dennoch hoffnungslos war, der Feind war einfach zu überlegen, machte er weiter. „Erinnerst du dich daran wirklich nicht mehr?“ Der dunkelhaarige blinzelte. „Die Synchronisation … ? Daher wohl die Verletzungen.“ Wenn er zu stark mit Percival verbunden war, übertrug sich der Schaden. Aber normal ließ er das nicht zu. „Ich weiß noch, dass ich sehr wütend war. Auf diese scheiß Neumenschen! Sich einfach so in meinem Percival hacken … Ich wollte sie zerfetzen!“ „Das hast du aber nicht geschafft ...“, flüsterte Lyial nur. Das schaffte keiner. Zumindest kamen sie alle mit dem Leben davon, auch die Piloten der Neith, die zerstört wurden, da sie die Rettungsabkoppelung rechtzeitig aktiviert hatten. „Wir haben gelernt, zu was der Feind in der Lage ist …“ Er senkte den Blick. Das war ein beschämender Kampf. Wären es nur Alpha und Beta alleine gewesen. Aber Esna Gamma … Diese Maschine war wirklich ein Problem. Und ihr Pilot, der sich in die Systeme der Maschine gehackt hat, den Funk und die Bildübertragung manipuliert hat. Die Elite wurde vorgeführt, nein, sogar ihre Navigatoren, die Techniker. Alle erlebten eine bittere Schmach. „So ein Scheiß! Das lasse ich mir nicht bieten!“ Wieder versuchte er aufzustehen, aber langsam fühlte er den Schmerz durch seine Verletzungen, das Mittel, dass ihn zum Schlafen gezwungen hatte, schien nun völlig abzuklingen. „Arghh … !“ Sein Körper fühlte sich zu schwer an. „Das war nicht fair. Diese Neumenschen spielen mit unfairen Tricks. Das war kein richtiger Kampf. Das war … völlig beschissen!“ „Das ist Krieg. Nur der Sieg zählt, egal mit welchen Mitteln. Blaire, du solltest dich ausruhen. Auch wenn die Ärzte meinen, deine Wunden heilen abnormal schnell ...“ Das wunderte ihn etwas, aber vielleicht war auch Blaires Stoffwechsel so gut. Grummelnd warf sich der angeschlagene Pilot zurück aufs Bett. „Also sind wir geflohen, wie feige Hühner? … Der General hat uns gerettet? Der Stinkstiefel? Hatte er etwa ... eine Chance?“, fragte er neugierig, immerhin waren sie in der Überzahl und scheiterten, wie kam es also, dass Samuil ihnen helfen konnte? Auch Lyial legte sich wieder hin, sah zur Decke auf. „Er steuert einen sehr starken Roboter. Ra heißt er. Er … hat die Ausstrahlung eines Helden … und sieht stolz auf all seine Gegner herab.“ Neben den Standardeinheiten, den Neith und den Elitemaschinen gab es noch weitere Kampfroboter, die aber nur selten zum Einsatz kamen. Ungefähr ein Drittel größer als die herkömmlichen Modelle, ausgestattet mit mächtigen Waffen, aber auch einer komplizierten Steuerung und Handhabung, erfordern sie eine spezielle emotionale und mentale Bindung zu ihren Piloten, die nach jahrelangem Training und besonderer Anpassung ausgewählt wurden. Die „Dreiheit von Heliopolis“, so nannte man sie. Ra war eine dieser Maschinen. Sie war golden, ein Tank, ähnlich wie Amun, doch wirkte dieser im Vergleich mickrig. Samuil steuerte diese Maschine, ein Privileg, das nur ihm zuteil wurde. Außer ihm konnte keiner diese Maschine steuern. Ein General zu sein, das bedeutete auch, ein Teil der Dreiheit von Heliopolis zu sein. „Ich habe davon gehört. Ra. Horus. Und Isis. Diese Dreiheitdinger. Alle Kolonien beneiden Heliopolis um diese Teile. Und der General steuert eine dieser Maschinen? Kein Wunder, dass er so krass drauf ist ...“ Blaire wirkte doch sehr beeindruckt, ihm war bewusst, dass Samuil stark war. Aber so stark? „Esna Gamma hat ihn zu einem Duell herausgefordert. Wir flohen, während er für uns kämpfte ...“ Lyial verstand nicht, weshalb der Feind darauf bestand, gegen Samuil alleine zu kämpfen. Selbst die anderen Esnas hielten sich plötzlich zurück. „... Und? Der General hat dem Arsch Saures gegeben, oder? Mann, das hätte ich gerne gesehen! Wieso hab' ich das verpasst?! Da habe ich die Chance, so ein geiles Riesenteil zu sehen und dann werde ich umgehauen, bevor's passiert?“ Er krallte die Finger in die Bettdecke, sichtlich verärgert. So eine Möglichkeit bekam man auch selten, immerhin rückte die Dreiheit nur aus, wenn sie wirklich gebraucht wurde. Er fragte sich auch gleich, wer wohl die anderen Piloten waren. Sie waren sicher genauso beeindruckend und einschüchternd wie Samuil. „Der General hat gesiegt.“, fasste sich Lyial wieder kurz, was Blaire natürlich nur noch neugieriger machte. „Herr Gott, geh' doch mal ein bisschen ins Detail! Hat er ihn gesprengt, diesen Hackertypen? Die anderen beiden auch?!“ „... Der Feind zog sich zurück, bevor er ihn zerstören konnte. Aber … General Samuil hat ihn ziemlich lädiert. Ich habe es aber nicht mehr gesehen, wir mussten den Warp erreichen.“ „... Ehh, du bist wirklich zu nichts zu gebrauchen! Ach, was soll's … Pah, und jetzt liegen wir hier, oder was? Hey, mit Percival ist alles klar, oder?“ Um seine Maschine sorgte sich Blaire auch gleich. Wenn er verletzt war, dann war sicher auch sein treuer Begleiter beschädigt … „Hey, fassen diese Schwachköpfe von Techniker nun meine Maschine an?!“ „Es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Aber Percival geht es so weit gut. Er ist ein erfahrener Krieger. Er wird bald wieder fit sein.“, versicherte Lyial, dachte dann aber gleich an seinen Roboter, „Aber … Amun wird mir so schnell nicht verzeihen … Ich habe sein Schwert verloren.“ „Pff … Der bekommt ein neues und gut ist's! Percivals Waffen gehen dauernd drauf. Aber die sind auch Standardrepertoire. Tja, dann musst du dich wohl bei Amun entschuldigen!“, scherzte Blaire, merkte dann aber, dass Lyial ja so verrückt war, dass er das gleich ernst nahm. „Ja, das werde ich tun. Sobald ich wieder fit bin. Wir dürfen heute Abend wahrscheinlich ins Quartier zurück. Unsere Verletzungen sind nicht so schwer.“ Nur oberflächliche Kratzer und Schürfwunden, und Lyial bekam etwas gegen den Kopf, aber die Platzwunde war nur halb so wild. „Aber langsam begreife ich, warum du Elitepilot bist. Du bist echt nicht schlecht. Solltest mehr von dir selbst halten. Trotzdem, eines Tages kämpfen wir gegeneinander, hörst du? Ist doch viel spannender, als miteinander! Du bist doch was Besonderes, gib's endlich zu.“ Damit forderte Blaire seinen Kollegen wieder heraus. „Aber ich kämpfe nicht aus Spaß ...“, murmelte Lyial nur, doch irgendwie war das sinnlos gegen Blaire. Er hatte seinen eigenen Kopf. Für einige Minuten herrschte dann Stille. Sie waren beide erschöpft, und hatten wohl auch noch genug Schmerzen dank dieses Kampfes. Eine Niederlage, erneut … Das nächste Mal mussten sie diese drei Maschinen von Esna ausschalten. Außerdem wollte sich keiner vorstellen, was wäre, wenn die Neumenschen noch mehr Gegner von diesem Kaliber schicken würden. Ihre Technologie war einfach ausgereifter, das hieß nur, sie mussten mehr trainieren. Und sich womöglich bald mit den anderen Kolonien zusammenschließen, um diesen Krieg zu beenden. Lyial dachte aber gerade an etwas ganz anderes. „Etwas Besonderes … ?“, fragte er sich. War er das? Er hatte nichts zu bieten. Keine Geschichten aus seinem Leben. Keine besonderen Errungenschaften. Er war ein guter Pilot, aber machte ihn das zu etwas Besonderem? Golyath war ein Verbrecher, der auf den rechten Weg zurückgefunden hatte. Das war doch wesentlich beeindruckender, oder nicht? „Ich finde … du bist eher etwas Besonderes … So jemanden wie dich … habe ich noch nie kennengelernt.“ Er legte den Kopf zur Seite, um Blaire ansehen zu können. Bei der Aussage würden ihm wohl viele zustimmen. Blaire war wie eine lodernde Flamme, die nie erlosch. Kräftig und heiß. Und selbst wenn sie drohte, zu ersticken, stieg sie doch wieder empor, das bewies er am Schlachtfeld. Er riskierte damit sein eigenes Leben, aber wenigstens glaubte er an sich selbst. Lyial fand so etwas in sich selbst nicht. Weder das Selbstbewusstsein, noch dieses Temperament. Blaire runzelte die Stirn. „Ja, ich bin wohl etwas Besonders. Aber anscheinend auf falsche Art und Weise. So war das immer. Deswegen kommt auch fast niemand klar mit mir.“ Dann zuckte er mit den Schultern, als würde es ihn kaum etwas angehen. Der weißhaarige Junge seufzte nur leise. „Im Grunde weiß ich selbst gar nichts über mich … Wer ich wirklich bin … wo ich herkomme … Nun, das weiß ich schon. Ich stamme von der Kolonie Memphis Theta. Ich bin ein Flüchtling. Aber … hatte ich dort eine Familie? Hatte ich … richtige Freunde? War mein Leben schön? Ich weiß es nicht mehr … ich weiß gar nichts mehr … Aber ich wusste immer, wie man eine Maschine steuert. Das ist mir geblieben. Aber warum ich zur Elite gehöre … Warum man mich auserwählte … ich weiß es nicht. Aber ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, mein Leben zu bereichern. Mein Leben, das im Grunde … non-existent ist …“, sprach er mit dünner Stimme, starrte dabei wieder an die Decke. Als er das alles aussprach, merkte er, wie einsam und leer sein Leben doch war. Natürlich könnte er auch einfach dieses Problem anpacken, sich mit seinen Kollegen anfreunden und wieder ein richtiges Leben anfangen, doch irgendwas hinderte ihn daran. Er verstand es selbst nicht ganz. Mangelndes Selbstbewusstsein? Oder … fehlte ihm gar viel mehr? Doch seit er Blaire kannte, diese wenigen Tage, keimte etwas in ihm auf. Er hinterfragte alles, wo er zuvor sein Schicksal und seine nicht existierende Lebensgeschichte als Tatsache hinnahm. „Du weißt nichts über dich? Heißt das, du hast keine Vergangenheit?“ Langsam verstand Blaire, warum Lyial wie ein weißes Blatt Papier wirkte. Warum er so steril war. Mit forschendem Blick beobachtete er ihn. „Es gibt auch niemanden sonst von dieser Kolonie, der etwas über dich weiß? Du erinnerst dich an nichts? Mh … Falls es dich tröstet, ich habe auch keine Familie mehr. Ich hatte nie wirklich Freunde. Spaß am Leben habe ich trotzdem. Versuch doch einfach positiver zu sein. Und such dir ein verdammtes Hobby, anstatt den ganzen unser Zimmer zu putzen! Pflanz' Blumen an oder so etwas. Das würde gut zu dir passen, auch wenn sie keine Maschinen sind. Andere Leute reden auch mit ihren Blumen, das wird in unserer Gesellschaft nicht als verrückt angesehen.“ Gleich vertiefte er das Thema. Eigentlich interessierte es ihn schon. Also hatte es wirklich einen Grund, warum Lyial so war. Und ein bisschen wirkte er wie eine verwirrte Motte, die das Licht aufsuchte. Und in dem Fall war Blaire wohl das Licht. „Du … hast auch keine Familie? Oh …“ Das tat Lyial natürlich Leid, er wollte kein unangenehmes Thema aufgreifen. Er fragte sich gleich, was wohl mit seiner Familie geschehen war, aber nachhaken wollte er nicht, das war sicher unangenehm. „Blumen? Meinst du … das würde Spaß machen?“ Er war sich nicht sicher. Er schenkte Pflanzen nie viel Aufmerksamkeit. Aber nun, wo er es ansprach. Hübsch waren sie schon. Viele hatten Pflanzen in ihren Zimmern. Vielleicht sollte er sich auch welche besorgen. Der dunkelhaarige Junge setzte sich langsam wieder auf, setzte dann seine Beine am Boden ab. Er stemmte sich hoch, torkelte den kurzen Abstand zum anderen Bett und setzte sich drauf, passte aber auf, Lyial dabei nicht zu zerquetschen. „Und ich dachte immer, du wärst wirklich ein Neumensch. So ein Roboter, und das ist deine Antenne!“ Mit einem Grinsen nahm er sich Lyials blaue Haarsträhne und zwirbelte sie zwischen seinen Fingern. „Ich bin kein … Und das ist keine … !“ Lyial sprach zu langsam, um verbal auf Blaires „Angriff“ zu reagieren. Er wedelte mit den Händen vor sich herum, als wäre da eine Fliege, die ihn belästigte. Daraufhin ließ Blaire schnell wieder ab. „Du wirst auf ähnliche Weise beleidigt, wie ich früher beleidigt wurde. Maschinenjunge. So haben sie mich auch genannt. Weil mein Vater zu den Neumenschen übergelaufen ist. Und sie haben ja recht. Das mit Percival ist sicher nicht normal. Und es ist auch nicht normal, dass du mit ihnen sprichst. Sind wir halt beide Spinner. Wenigstens sind wir nicht so langweilig und lächerlich wie all die anderen!“ Letztendlich sprach er selbst aus, was geschehen war. „Dein Vater ist …? Das … das tut mir Leid …“ Irgendwie war er gerührt von seinen Worten, vertraute ihm so sehr, dass er ihm so etwas verriet oder erzählte er das jedem? Aber mit einem hatte Blaire Recht, er war ihm wirklich ähnlicher, als er dachte. Er verglich sich sogar mit ihm. Das tat sonst nie jemand. Nie gab es jemanden, der ihn verstand. Der ihm gleichgesinnt war. Und was sagte er da? Er sei nicht langweilig? Mit einem Mal hatte ein Lyial ein begeistertes Funkeln in den Augen. Da war sie. Die Chance! Ruckartig richtete er sich auf. „Blaire! Bitte … Bitte, lass uns Freunde sein. Richtige Freunde! Sei … mein erster Freund hier … Bitte …!“ Er wurde immer leiser, als er merkte, wie das alles aus ihm herausplatzte. Er errötete etwas, ein seltener Anblick und räusperte sich dann kurz. Blaire verstand zunächst den Blick nicht, den er von Lyial bekam. Es war ihm ein Rätsel, wie er es schaffte, so eine gleichgültige Mimik zu besitzen, und dann doch, fast schon im Zwiespalt, diesen energischen Ausdruck in den Augen zu haben. Er rechnete fast schon mit einem Liebesgeständnis. Doch es kam anders. „Eh … ?“ Irritiert sah er zu dem Jungen neben sich, Röte stieg ihm ins Gesicht und dann … prustete er los, fing lauthals an zu lachen. „Ich … ! Wenn wir doch ein paar Dinge gemeinsam haben … reicht das doch, oder ...? Ich weiß nicht, warum, aber … Ich … Ich wäre so gerne … dein Freund …“, sprach Lyial weiter, trotz der amüsierten Reaktion von Blaire. Er musste ihn überzeugen. Wenn nicht jetzt, dann nie … ! „Ohje … Haha … Du nimmst das echt sehr ernst, oder?“ Der Pilot mit den roten Augen beruhigte sich langsam, konnte aber dieses seltsame Geständnis noch nicht ganz verarbeiten. Das war fast schon filmreif. Dann rollte er mit den Augen. "Ich will eigentlich keine Freunde. Oder eher ... ich brauche keine. Hatte nie welche, habe es nicht nötig. Verstehst du?“, meinte er nur, doch als er die Enttäuschung in Lyials Gesicht sah, berührte ihn das irgendwie. Ja, es war ihm wirklich wichtig. „Ächz … Meinetwegen. Sind wir halt Freunde. Solange ich jetzt nicht mit dir herumknutschen und Händchen halten muss." Sein spöttisches Grinsen zeigte sich wieder. Aber er meinte das nicht böse. Hohn und Spott waren seine Waffen gegen die Grausamkeit der Menschen. Und er merkte schon, dass man Lyial leicht aufziehen konnte. Und Lyials Augen glitzerten bei der Antwort. Er überhörte sogar, dass es Blaire eigentlich ziemlich egal war, er bekam endlich das, was er wollte: Einen Freund. „Danke … Danke ...“, wiederholte er ein paar Mal. „Ich werde dir der beste Freund sein, das verspreche ich dir.“, versicherte er ihm völlig ernst, als wäre es eine Lebensaufgabe. Selbst in so einem glücklichen Moment lächelte er kein bisschen. Nach wenigen Sekunden fiel ihm dann aber ein wesentlicher Punkt ein, den er vergessen hatte. „... Was … tun Freunde so?“ Blaire blinzelte nur, als ihn Lyial doch tatsächlich diese Frage stellte. „Du willst unbedingt mein Freund sein, hast aber keine Ahnung von Freundschaften? W-Wo lebst du, hinterm Mond?!“ Er klopft ihm gegen die Stirn, erwartete irgendwie ein hohles Geräusch, aber nein, da war tatsächlich ein Gehirn drin, oder eine ähnliche Masse. „Verbringen wir nun mehr Zeit miteinander? Bleiben bis spät nachts wach und … machen lustige Dinge? Ich denke, das tun Freunde. Das habe ich gelesen.“ „Ähm … Ja, ich denke, das macht man als Freunde …“, antwortete er mit weniger Begeisterung und schien gleich zu bereuen, auf was er sich da eingelassen hatte. Aber irgendwie war er auch süß, mit diesem naiven Wunsch und seiner Enthusiasmus, der plötzlich aufkeimte. „Nehmen wir das in Angriff, wenn wir hier raus sind, ja? Aber wir sind auch Piloten. Wir dürfen durch so einen Quatsch nicht unser Training vernachlässigen. Ich will nicht wegen dir schwächeln!“ Außerdem hatte Blaire irgendwie Angst, dass diese Langatmigkeit von Lyial ansteckend war … Sein Zimmergenosse schien sich wirklich zu freuen, ihn als Freund zu haben. Das war das erste Mal, dass er so geschätzt wurde. Nun ja, es gab da noch Cecil ... aber der gab immer schnell auf, wenn er zurückgewiesen wurde oder von ihm Ärger bekam. Niemand hatte bis jetzt so lange mit ihm durchgehalten. Lyial wusste anscheinend nicht, wann man aufgab. Vielleicht war er ja auch einfach nur hohl, was ihn wiederum geduldiger machte. Aber das konnte auch nicht ganz stimmen, er war ein guter Pilot, da brauchte man eine gewisse Intelligenz. Blaire grübelte eine Weile über Lyials Beweggründe, tat die Sache aber mit einem Schulterzucken ab. Mit einem Griff hatte er wieder die blaue Haaresträhne zwischen den Fingern. Langsam spielte er damit und blickte ihn nachdenklich an. "Eines gibt es schon, was ich von dir als Freund verlange … Deine Jungfräulichkeit." Das war natürlich nur ein Spaß. Er wollte ihn nur aus der Fassung bringen, damit er nicht merkte, wie angespannt ihn dieses Freundschaftsgetue machte. „W-Wie? Jungfräulichkeit? Also … uhm … Ich weiß nicht so Recht …“, murmelte Lyial nur. Wie eine definitiver Korb wirkte das nicht, stellte Blaire verblüffend fest. „Da ich keine Erinnerung habe, weiß ich nicht, ob ich wirklich noch Jungfrau bin. Und Freunde tun so etwas nicht. Soviel weiß ich schon.“ "Pfff, du glaubst doch nicht echt, dass du keine Jungfrau mehr bist. Wer würde schon mit dir ... ?" Ups, das klang etwas beleidigend. Aber er sah Lyial wirklich nicht als sexuelles Objekt. Er wirkte einfach so jung und zurückhaltend. Wenn Blaire jemanden attraktiv fand, dann waren das Leute die mit ihm auf gleicher Wellenlänge sind. Also gab es im Grunde niemanden, außer sich selbst, den er attraktiv fand. „Wäre Percival ein Mensch ...“, stellte er sich vor, schüttelte dann gleich peinlich berührt den Kopf. Das waren jetzt aber komische Gedanken. Schnell wieder vergessen! Er kämpfte sich wieder auf die Beine, wankte zurück zu seinem Bett und legte sich dann hin. „Genug jetzt, langsam wird es seltsam. Ruhen wir uns aus, ja? Damit wir morgen wieder trainieren können. Ich hab noch ein paar Rechnungen mit diesen scheiß Neumenschen offen!“ Dann schloss er die Augen, versuchte gleich, einzuschlafen und dieses komische Gespräch zu vergessen. Aber so leicht war das nicht. Als er nach einigen stillen Minuten die Lider wieder öffnete, drehte er sich zur Seite und blickte Lyial an, der mittlerweile selbst versuchte, einzuschlafen. Das war also der einzige lebende Mensch, dem etwas an ihm lag. Er sollte das genießen. Seit dem Tod seiner Mutter hatte er niemanden. Er wollte niemanden. Es war schmerzhaft, jemanden zu verlieren, der ihm Halt im Leben gab. Menschen waren so fragil. Percival war da eben anders. Man konnte ihn reparieren. Oder ihn neu bauen. Aber wenn ein Lebewesen starb, war es fort. Und egal wie sehr man sich dagegen wehrte, wie sehr man weinte und es nicht wahr haben wollte, sie kamen nicht zurück. „Wird mir … wohl nicht schaden ...“, flüsterte er sich selbst zu, schloss dann die Augen. So besonders waren Freundschaften ja auch nicht. Lag wohl nur an Lyial, der sich da einfach zu viel zusammenreimte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)