Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 13: Hundert Jahre ohne Dich Teil 4: Verrat -------------------------------------------------- Es dauerte einige Woche, bis ich morgens erwachen konnte, ohne, dass der Kummer über meinen Verlust mir die Luft abschnürte. Nur langsam ebbte die Intensität des Schmerzes in meinem Herzen ab, doch er hinterließ eine Leere, die ich kaum zu füllen vermochte. Ich verbrachte meine Tage damit, Mana das Kämpfen beizubringen. Meine Anwesenheit hatten ihre Kidokräfte geweckt und nun benötigte sie regelmäßig Nahrung. Ich war es ihr schuldig, sie wenigstens zu unterrichten. Es kam mir jedoch nicht ganz ungelegen, da es eine willkommene Ablenkung für meinen Kopf war. Mana lernte schnell. Sie sog jegliches Wissen in sich auf und trainierte körperlich so hart, dass sie abends nach dem Essen müde ins Bett fiel. Ihre Mutter Miaka war anfangs skeptisch darüber, doch nach einer Weile verstand sie, dass ihre Tochter diese Kräfte nun hatte. Ob ich sie trainierte oder nicht, änderte nichts an ihrem Zustand. Es gab ihr lediglich die Möglichkeit, die Kräfte, die sie in sich trug, zu kontrollieren. An einem sonnigen Nachmittag unterbrach ein plötzliches Applaudieren unser Training und so die Stille des Nachmittages. Es war Yoruichi, die wieder einmal zu Besuch gekommen war. Mana verabschiedete sich, höflich und so blieb ich allein mit meiner alten Freundin zurück. „Was tust du hier?“, zischte sie aufgebracht. „Du solltest versuchen, diese Dinger loszuwerden, anstatt hier Lehrerin zu spielen“, ich verdrehte die Augen und streckte mich genüsslich. „Yoruichi gib’s auf. Die Dinger werde ich nicht mehr los und ich bin es leid, es zu versuchen“, brummte ich und ließ sie verdutzt zurück. Ich setzte mich auf einen Felsen, von dem aus man den kleinen Fluss, der unser Dorf umrundete, beobachten konnte. Sein gleichmäßiges Plätschern und Rauschen erfüllte meinen Geist mit einem Frieden, der mit guttat. Ich kam gern hier her, um zu meditieren. Es dauerte einige Minuten, bis Yoruichi sich gefangen und mich eingeholt hatte. „Wie? Das war’s? So einfach willst du aufgeben? Was ist nur aus dir geworden?“ Für einen Moment blickte sie mir in die Augen und sie schien etwas darin zu sehen, was ihre Wut beschwichtigte. „Akari, was ist passiert?“ Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde und doch fühlte ich mich nicht bereit. Über die Dinge zu sprechen, die geschehen waren. Die mein Leben, das bereits aus den Fugen gerissen vor mir lag, von einem Tag auf den nächsten vollends ins Schwanken gebracht hatten. Ich schluckte einen großen Kloß in meinem Hals herunter und musste einen tiefen Atemzug nehmen, um die aufkeimenden Tränen zu ersticken. „Er hat Hisana getötet“, erklärte ich mit klarer Stimme. Yoruichis Augenlider weiteten sich, sie wollte etwas sagen, doch ich erhob erneut die Stimme und schnitt ihr somit das Wort ab. „Und Yamachi.“ Meine Stimme brach und ich brachte kaum mehr als ein Flüstern zustande. Es war das erste Mal seit der Zeremonie, dass ich den Namen meines Bruders ausgesprochen hatte. Er lag schwer wie Blei auf meiner Zunge. Ich musste den Blick von Yoruichis vor Schock verzerrtem Gesicht abwenden. Ihre Augen waren glasig geworden und sie ballte die Hände. Schock wandelte sich in Zorn. „Dieser Bastard...“, fluchte sie leise und setzte sich zu mir. „Er hat mich gerettet“, flüsterte ich und spürte, wie mir schon wieder die Tränen kamen. „Ich hätte diejenige sein sollen, die stirbt.“ Yoruichi wollte mir widersprechen, doch ich schüttelte den Kopf. „Yoruichi bitte ... Du weißt, dass ich Recht habe. Yamachi hatte mit all dem nichts zu tun. Aizen spielt nur mit uns, wie mit Marionetten. Er ist der Spieler und wir nur die Schachfiguren und wen er nicht mehr braucht, der wird geopfert. Wir kennen seine Pläne nicht, aber wir wissen eines: Er will das Hogyoku. Und er wird nicht davor zurückschrecken, über Leichen zu gehen, um an dieses Ding zu kommen. Und wir ... nun, wir können es nicht mit ihm aufnehmen. Wir haben keine Chance gegen ihn, vor allem nicht mit der Fähigkeit seines Zanpakutos.“ Yoruichi kaute auf ihrer Unterlippe herum, ihre Augen starr auf die Erde gerichtet. Ich spürte, dass sie nach Gegenargumenten suchte, doch sie blieb stumm. „Im Moment ist es das Beste für uns alle, wenn wir uns zurückhalten, bis wir einen Weg finden, Aizen zu bezwingen. Entweder, indem wir eine Möglichkeit finden, ihm seine Fähigkeit zu nehmen oder ihn trotz dieser irgendwie zu besiegen. Bis dahin ...“, ich schluckte. Auf diesen Moment hatte ich mich in den letzten Wochen vorbereitet. Doch auch, wenn ich diese Unterhaltung in Gedanken schon mehrfach durchgespielt hatte, fiel es mir schwer, die Worte auszusprechen. „Bis dahin muss Kisuke dortbleiben, wo er ist und das Hogyoku verstecken. Wenn Aizen dieses Ding in die Finger bekommt, haben wir wahrscheinlich gar keine Chance mehr gegen ihn.“ Yoruichi schloss die Augen, nickte jedoch. „Und was ist mit dir?“ „Ich werde zwei Dinge tun. Zum einen werde ich alles daran setzen, diese Reifen loszuwerden, um wieder zu meiner vollen Kraft zu kommen, damit ich Aizen nicht erneut wehrlos gegenüberstehen muss und zum anderen ... werde ich ein paar Nachforschungen anstellen, was Kyoga Suigetsus Fähigkeit betrifft.“ „Wie willst du das anstellen?“ Ich rümpfte die Nase. „Es gibt nur eine Person, die ich dazu befragen kann, doch es wird sehr riskant sein, dies zu tun.“ Erst als die Sonne schon untergegangen war, verabschiedete ich mich von Yoruichi und kehrte in mein neues Heim zurück. Gemeinsam mit Miaka und Mana hatte ich das kleine Holzhaus in den letzten Wochen ausgebaut und so zu einem richtig wohnlichen Ort gemacht. Der Geruch von frischer Suppe war seit dem Erwachen von Manas spiritueller Energie stets durch die Küche unseres Heims bis in den Flur gezogen. Heute jedoch roch es verbrannt. Ich runzelte die Stirn und spürte sofort, wie mein Magen sich zusammenzog. Mit klopfendem Herzen rauschte ich durch alle Zimmer unseres Hauses, fand jedoch keinerlei Spur von den beiden. Ich rauschte aus dem Haus, die Straße entlang und sah mich mit klopfendem Herzen um. Etwas fiel mir sofort auf: Der kleine Kiosk an der Straßenecke hatte seine Fensterläden zugezogen. Es war eine Art kleiner Notfallkiosk, bei dem es auch bis spät in die Nacht sowohl Lebensmittel, als auch Medizin zu kaufen gab. Die Nachtstunden waren also ihre Haupteinnahmequelle und so war es äußerst ungewöhnlich, ihn verschlossen zu sehen. Ich hielt auf das Nachbarhaus des Ladens zu, in dem die Besitzer lebten. Meine Hand erstarrte mitten in der Luft vor dem Holz der Tür. Die Angst vor schlechten Nachrichten schnürte mir die Kehle zu und ließ mich zögern. Doch ich hatte keine Wahl. Ich konnte Miakas und Manas Verschwinden nicht einfach ignorieren. Ich bemerkte, wie zuerst ein Fenster vorsichtig aufgeschoben wurde, die Nachbarsfrau linste durch den schmalen Spalt. Dann gab es einige Geräusche und die Tür wurde vorsichtig geöffnet. „Akari“, murmelte Bert, er war ein großer Kerl mit breiten Schultern. Seine Frau stand ängstlich hinter ihm. „Was ist hier passiert?“, fragte ich ihn und die beiden warfen sich einen Blick zu. „Vielleicht solltest du hereinkommen“, sagte er und ich folgte ihm durch einen langen Flur. Seine Frau warf nur einen ängstlichen Blick auf mich, bevor sie leise wie eine Katze wieder in der Küche verschwand. Ich wurde von ihrem Mann in ein Zimmer geführt, dass offensichtlich ein Schlafzimmer war. Neben einem großen Holzschrank stand ein Bett, daneben ein kleiner Nachttisch, auf dem eine Schale mit Wasser abgestellt war. In dem Bett lag niemand anderes als Miaka. Ich erkannte blutige Verbände, die jemand hastig zusammengerollt und in eine kleine Wanne geworfen hatte. Miakas Gesicht war von Schweiß bedeckt und ihre Augen flatterten. „A...kari...?“, fragte sie mit zittriger Stimme und ich hockte mich zu ihr ans Bett. „Was ist geschehen?“, flüsterte ich ihr zu, nahm ihre Hand, die eiskalt und trotzdem schweißnass war. „Mana“, sagte sie, ich hatte das Gefühl, sie wollte schreien, doch war sie dazu nicht mehr in der Lage. „Was ist mit ihr? Wo ist sie?“, meine Stimme klang brüchig. Miaka schien Kraft zu sammeln, um erneut mit mir zu sprechen. „Mitgenommen“, brachte sie nun hervor und ich runzelte die Stirn. „Wer hat sie mitgenommen?“ Tief in meinem Inneren kannte ich die Antwort, doch ich wollte es nicht wahrhaben. „Shini...gami.“ Vorsichtig ließ ich Miakas Hand los, zu sehr überkam mich eine heiße Wut. Ich wollte ihr nicht die Hand zerquetschen, merkte schon nach wenigen Sekunden, wie meine Fingernägel sich in meine Handballen bohrten. Meine Atemzüge kamen stoßweise, meine Augen füllten sich mit Tränen. Wie konnten sie es wagen? Wie konnten sie ein unschuldiges Mädchen wie Mana in diese Angelegenheit hineinziehen, die nichts mit alldem zu tun hatte? Aber vor allem: Wie hatten sie herausgefunden, mit wem ich zusammen lebte? Langsam drehte ich mich herum und ging auf die Tür zu. „Akari“, Miaka streckte die Hand nach mir aus und ich hatte das Gefühl, sie wollte mich zurückhalten. „Ich bringe sie zurück“, versprach ich und war erstaunt darüber, wie fest meine Stimme klang. Ich verließ das Haus und atmete tief durch. Ich musste mich beruhigen. Mit zu viel Wut im Bauch, trifft man keine guten Entscheidungen – eine der vielen Dinge, die ich von meiner Mutter gelernt hatte. Erst nach einigen Minuten in der Dunkelheit fiel mir auf, wie meine schwarzen Armreifen glühten. Ich war so erstaunt darüber, dass ich meine Wut für den Bruchteil einer Sekunde vergaß, sogleich erlosch das Glühen. „Akari“, ich blickte auf und es war niemand anderes, als Yoruichi, die vor mir stand. Sie war zurückgekehrt. „Deine Limitierung“, stammelte sie, ich hatte ihr davon erzählt, dass die Armreifen mein Reiatsu limitierten. „Eben habe ich für einen Moment dein Reiatsu ziemlich stark gespürt“, erklärte sie und ich runzelte die Stirn. „Das ist schon einmal passiert“, ich erzählte ihr, wie ich Aizen nach Yamachis Tod mit meinem Zanpakuto getroffen und ihn schwer verletzt hatte. „Es scheint, als wäre deine Wut eine Möglichkeit, zumindest die Limitation teilweise aufzuheben“, murmelte sie und ich nickte, schüttelte dann allerdings heftig den Kopf. „Ich habe jetzt keine Zeit darüber nachzudenken. Ich muss Mana finden“, kurz erklärte ich ihr, was geschehen war. Yoruichis Blick war ernst und noch ehe ich zu Ende erzählt hatte, wusste ich, dass sie mit mir kommen würde. „Ich hab so etwas geahnt, als ich die vielen verschlossenen Fenster im Dorf erblickte.“ „Deshalb bist du zurückgekehrt? Ich danke dir, Yoruichi, aber mir wäre es lieber, wenn du nicht...“, begann ich, doch sie verpasste mir einen Klaps auf den Hinterkopf. „Ich begleite dich. Ende der Diskussion.“ Ich seufzte, wusste aber, dass ich ihre Hilfe durchaus gebrauchen konnte. Wenn wirklich Aizen dahinter steckte, brauchte ich jede Hilfe, die ich kriegen konnte. Seireitei lag ruhig in der Dunkelheit der Nacht. Yoruichi und ich hatten kein Problem, in das Innere zu gelangen, Jidanbou ließ mich wie immer passieren, obwohl er die Augen etwas verwundert aufriss, als er Yoruichi erblickte. „Shihoin-Sama, Euch hat lange niemand erblickt in der Soul Society ... und das sollte auch besser so bleiben.“ Die letzten Worte flüsterte er leise, es klang wie eine Warnung. Yoruichi winkte ab, allein die Anrede missfiel ihr, das merkte ich gleich. Ohne große Umwege hielten wir auf die zehnte Kompanie zu. Zuerst wollte ich mit Rangiku sprechen, doch es war seltsam – sie war nirgendwo zu finden. „Lass uns zu Byakuya“, schlug Yoruichi vor, doch mir fiel noch jemand ein, der uns behilflich sein konnte. Vorsichtig klopfte ich an die Tür des dritten Offiziers der zehnten Kompanie. Die Tür wurde von einem gähnenden Mann aufgerissen, der leicht genervt wirkte, doch sobald er mich erblickte, riss er die Augen auf und zog mich am Handgelenk in das unordentliche Zimmer. Yoruichi folgte uns und schloss die Tür flink hinter sich. „Akari“, zischte Shin. Sein struppiger Drei-Tage-Bart wirkte länger als sonst und das dunkle Haar stand wirr um seinen kopf. „Was gibt’s, ist etwas passiert?“ Sein Blick flatterte von Yoruichi zu mir und ich wusste, dass er den Ernst der Situation sofort erkannte. Niemals hätte Yoruichi sich in die Grenzen von Seireitei gewagt, bestünde nicht ein Notfall. „Wo ist Rangiku?“, fragte ich zuerst und Shins Stirnrunzeln ließ mein Herz einen Schlag aussetzen. „Sie ist vor einigen Tagen nach Rukongai gereist, um neue Talente anzuwerben. Hatte einige gute Tipps für neue Anwärter, für die Akademie. Aber sie ist seither nicht zurückgekehrt und hat sich auch so nicht gemeldet. Ihr Reiatsu ist aber noch aufspürbar, ansonsten hätte das ja schon jemand gemerkt“, den letzten Satz hatte er hastig hinzugefügt, als er merkte, wie sehr mich seine Worte in Sorge versetzten. „Hast du sonst irgendetwas mitbekommen? Etwas Seltsames, das hier in letzter Zeit geschehen ist? Hat sich hier vielleicht jemand nach mir erkundigt, wo ich wohne oder so?“ Shin grübelte eine Weile nach, schüttelte dann den Kopf und ich spürte Enttäuschung in mir auflodern. Ich hatte gehofft, dass er uns weiterhelfen konnte. Ich seufzte. „Kannst du uns sagen, wohin Rangiku gegangen ist?“, fragte Yoruichi nun und Shin blinzelte sie kurz verwirrt an, als hätte er ihre Anwesenheit bereits vergessen. „Klar“, murmelte er und suchte eine Karte heraus, die er ihr in die Hand drückte. Dort erkannte ich einen äußeren Bezirk von Rukongai, auf dem ein bestimmter Bereich mit einem roten Kreis gekennzeichnet war. „Darf ich fragen, was passiert ist?“, seine Stimme klang leise und ernst, wie ich sie nur selten von ihm gehört hatte. Meistens war er ein fröhlicher, lauter Kerl. „Sie haben meiner Familie weh getan“, hörte ich mich sagen und Shins Blick wurde nun bitterernst, „Schon wieder.“ Fügte ich hinzu, er musste nicht mehr darüber wissen, das würde ihn nur in Gefahr bringen. Als wir gingen, drehte Youruichi sich ein letztes Mal zu ihm um: „Wir waren nie hier“, zischte sie und ich sah, wie sich ein Grinsen auf Shins Gesicht ausbreitete. „Natürlich nicht.“ Mit schnellen Schritten machten wir uns auf den Weg zur sechsten Kompanie. Ich wusste, dass Byakuya nur noch sehr wenig Zeit in seinem Familienhaus verbrachte, seit Hisanas Tod. Vorsichtig schlichen wir uns in das Haupthaus, hier war das Ganze schon etwas schwieriger. Auch wenn die Haupthäuser der Kompanien ähnlich aufgebaut waren, hatten doch alle etwas Eigenes an sich. In der Sechsten zum Beispiel war alles sehr penibel geordnet. Typisch Byakuya. Langsam schlichen wir die Treppe hinauf in die Kommandantengemächer. Die Türen waren nicht abgeschlossen, das war auch nicht notwendig. Jemand, der einem Kommandanten wirklich gefährlich werden konnte, konnte auch eine Tür in Zahnstocher verwandeln. Ich drückte also die Tür auf und trat einige Schritte in den Raum hinein, als ich auch schon kalten Stahl an meinem Hals spürte. „Scharfsinnig wie eh und je“, flüsterte ich und sah Byakuyas Grinsen in den Augenwinkeln. „Nicht scharfsinnig genug“, witzelte nun Yoruichi, die ihrerseits ihr Schwert an Byakuyas Hals gesetzt hatte. Er riss die Augen kurz überrascht auf, er hatte sie nicht bemerkt. Sie beide nahmen ihre Schwerter herunter und Byakuya starrte Yoruichi eine Zeit lang mit ernstem Gesichtsausdruck an. „Du darfst nicht hier sein“, seine Stimme klang kalt und ernst. Yoruichi schnaubte. „Noch immer ganz der Rechtschaffende, was?“ Doch Byakuya schüttelte langsam den Kopf. „Das meine ich nicht. Sie haben ihre Augen überall.“ Auch Yoruichi wurde nun wieder ernst, wir beide wussten, wen er meinte. „Was haben sie so getrieben in letzter Zeit?“, fragte die ehemalige Kommandantin und warf ihr violettes Haar über die Schulter. Es wurde ihr allmählich zu lang, bald würde sie es sicherlich wieder abschneiden oder als Zopf tragen. Byakuya seinerseits reagierte nicht auf ihre Frage, starrte sie weiterhin ernst an. „Erinnerst du dich an Miaka und Mana?“, fragte ich und Byakuya drehte sich zu mir um, verwundert über den Themenwechsel. Dennoch nickte er leicht. „Sie haben Miaka schwer verletzt und Mana entführt. Ich muss sie wiederfinden.“ Einen Moment herrschte Stille, bis Byakuya sich plötzlich in Bewegung setzte und auf seinen Schreibtisch zu marschierte. Mit einer flinken Bewegung hatte er einen kleinen Schlüssel aus einer seiner geheimen Taschen hervorgeholt und schloss nun eine Schublade auf, die, wie ich nun erkannte, nicht nur durch ein einfaches Schloss, sondern auch durch Magie verriegelt war. Nachdem die Schublade offen war, zog er einen großen Stapel penibel geordneter, wahrscheinlich nach Alphabet sortierter Papiere heraus. „Das sind alle Infos, die ich in den letzten Monaten und Jahren über ihre Aktivitäten gesammelt habe.“ Wir arbeiteten akribisch alle Infos der letzten Tage und Wochen durch, um eine Info darüber zu finden, wo sie Mana hingebracht haben könnten, doch all die Orte, an denen sie sich aufhielten, schienen so wahllos gewählt zu sein, dass nichts davon einen Sinn ergab. Sie würden Mana wohl kaum in Seireitei gefangen halten, das würde jemandem auffallen. „Nein“, hörte ich mich selbst murmeln und sprang auf. „Wir müssen die Idee wieder aufnehmen, dass sie hier ist“, fügte ich hinzu, während ich in dem Zimmer auf und ab ging. Yoruichi und Byakuya warfen sich einen skeptischen Blick zu. „Aber wir haben doch schon ausdiskutiert, dass es sehr unwahrscheinlich ist...“; begann Yoruichi, doch ich unterbrach sie: „Kyoka Suigetsu.“ Yoruichi blinzelte verwirrt auf, doch Byakuya erhob sich ebenfalls. „Du meinst, sie ist hier irgendwo in Seireitei, aber es fällt niemandem auf, weil Aizen seine Fähigkeit einsetzt und wir sie so nicht sehen können?“ Ich nickte eifrig, doch die Begeisterung über diese Erkenntnis fiel sofort ab, als mir auffiel, was das bedeutete. „Das heißt, es könnte jeder Einzelne sein und nur du allein bist eventuell in der Lage sie zu finden, weil du vielleicht immun gegen diese Fähigkeit bist? Wie willst du denn jeden Keller von Seireitei allein absuchen?“ Yoruichis Worte hallte noch eine ganze Weile in meinem Kopf nach. Während die beiden weiter Byakuyas Notizen durchgingen, starrte ich unentschlossen aus dem Fenster. „Ich werde kurz frische Luft schnappen“, warf ich ein und verließ Byakuyas Gemächer, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ich wusste, dass wir endlos nach einem Hinweis suchen würden, dabei war es viel einfacher, an eine Antwort zu kommen. Da ich mein Reiatsu soweit unterdrückt hatte, dass es nicht aufspürbar war, konnte ich mich unbemerkt von der sechsten Kompanie davon schleichen. Es war besser, wenn Byakuya und Yoruichi nicht mitbekamen, welche Idee mir gekommen war. Es gefiel mir selbst nicht besonders, doch ich war es Mana schuldig. Sie war mir wie eine Schwester. Ich hatte meinen Bruder verloren, ich würde alles dafür tun, sie nicht auch noch zu verlieren. Vorsichtig schlich ich durch die Gänge Seireiteis, benutzte wieder den Haupteingang eines Hauptgebäudes, doch dieses Mal gab ich mir mehr Mühe, unbemerkt in die Kommandantengemächer einzudringen. Alle Lichter waren aus und ich atmete ein Mal tief durch, bevor ich die Tür langsam öffnete. Dieses Geräusch weckte ihn auf jeden Fall, doch er würde noch nicht wissen, wer ihn aus dem Schlaf riss. Ich erkannte eine verschwommene Bewegung und wusste, dass er in Kampfposition gegangen war. Ein leises Lachen löste sich aus meiner Kehle. „In diesem Zustand hätte ich eh keine Chance“, flüsterte ich und trat mit leicht erhobenen Händen ein. „Akari“, Gin ließ sein Schwert sinken, auf seinen Lippen war kein Grinsen zu sehen. „Wie komme ich zu der Ehre?“, fragte er und beobachtete, wie ich vorsichtig die Tür hinter mir schloss. Das Licht war noch immer ausgeschaltet, doch der Mond schien hell durch die Fenster. Gins Haar leuchtete gespenstisch. „Wo ist Mana?“ Gin seufzte auf, machte dann einige Schritte auf mich zu. „Akari, ich hatte dich gewarnt. Hatte dir gesagt, du solltest nicht mehr herkommen ... Als du das letzte Mal hier warst, hast du Aizen einige Schwierigkeiten bereitet ...“. Ich schnaubte angewidert auf. „Ach, habe ich das? Einige Schwierigkeiten? Er hat meinen Bruder getötet!“, die letzten Worte spie ich Gin ins Gesicht, der daraufhin die Augen niederschlug. „Erinnerst du dich, Gin? Erinnerst du dich an meinen Bruder? Yamachi! Er war einst auch dein Freund!“, ich konnte mir nicht verkneifen ein wenig lauter zu werden, meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich merkte, wie Gin einen Schritt auf mich zumachte. Für eine Sekunde dachte ich, er würde mich angreifen, doch dann tat er etwas, dass ich nicht erwartete: Mit einem Ruck drückte er mich an sich und umschlang mich mit seinen Armen. „Als wir damals zusammen gekommen sind, warst du für mich nur ein Mittel zum Zweck“, flüsterte er in mein Ohr und ich schnappte nach Luft. Ich hatte das Gefühl, dass er zum ersten Mal er selbst war. Der echte Gin. Ich wich einen Schritt zurück, um ihm in die Augen zu sehen. Ich erkannte keinerlei Freundlichkeit in seinem Gesicht, kein bisschen Humor, nur eisige Kälte und unglaubliche Wut. „Ich habe dich allerdings mit der Zeit gern gewonnen. Ich wusste, dass unsere Beziehung keine Zukunft hatte, aber ich begann dich zu mögen. Das war der einzige Grund, warum ich dich verlassen habe.“ Ich hielt den Atem an und spürte eine Spannung in der Luft, die meine feinen Nackenhaare zu Berge stehen ließ. „Was für einen Zweck habe ich für dich erfüllt?“, fragte ich langsam und Gin senkte den Blick. „Es gab zweierlei Gründe. Der eine war, dass Aizen mehr über dich und Urahara erfahren wollte. Ob ihr ihm von Nutzen sein könnt. Doch dafür hätte ich dir nie so nah kommen müssen. Der zweite Grund, mein persönlicher Grund, war der, warum ich mich darauf einließ.“ „Was war es?“, hauchte ich und spürte die Furcht, die in mir hinaufkroch. Ich spürte, dass dies der Moment war, in dem ich endlich Gins wahren Charakter sehen würde. „Der zweite Grund, warum ich diese Beziehung mit dir einging war, meine wahre Liebe von mir fernzuhalten.“ Ich sah in seine Augen und seine Wut war verflogen. Ich erkannte eine Mischung aus Angst, Trauer und Verzweiflung. Meine Gedanken überschlugen sich und ich wich einen Schritt zurück. „Gin du...“, begann ich und schüttelte den Kopf. „Rangiku?“, fragte ich und Gin schlug die Augen nieder. „Sie darf das niemals wissen. Niemals.“ Seine Worte klangen so hart, dass ich schluckte, sodass ich nur einmal kurz nickte. „Du willst sie beschützen“, flüsterte ich, es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Rangiku hatte mir einst die Geschichte erzählt, wie Gin sie vor dem Hungertod gerettet und so ihre Familie geworden war. Und obwohl Gin ihr so viel bedeutete, nahm er sich nur selten Zeit für sie und unterband jegliche Nähe zwischen ihnen. „Warum arbeitest du für Aizen?“, die Frage stellte ich so leise, dass ich befürchtete, er würde sie nicht hören, doch dann setzte er wieder ein schelmisches Grinsen auf. „Sei deinen Freunden nah. Sei deinen Feinden näher.“ Ich wich einen Schritt zurück. Mein Herz raste in meiner Brust und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Eine einzelne Träne rann mein Gesicht hinab und ich spürte in der Tiefe meines Herzens, dass Gin die Wahrheit sagte. All mein Zorn, den ich für Gin gehegt hatte, löste sich in Luft auf. Er hatte mich beschützt, mehrfach. Das hätte er nicht tun müssen, doch er hatte es getan. In der Akademie und auch in der Nacht, in der Aizen Shinji und die anderen hollowfiziert hatte. Mein Atem beschleunigte und ich starrte ihn immer noch mit offenem Mund an. „Akari, du darfst hier jetzt nichts überstürzen“, begann Gin nun und schlenderte zu einem Schrank, aus dem er seine Shinigami Uniform herauszog. Er trug nur einen Morgenmantel. „Aber...“, begann ich, doch Gin schüttelte den Kopf. „Du bist quasi meine Geheimwaffe!“, zischte er und klang dabei fast säuerlich. „Ich- was?“ „Bisher habe ich noch keine Möglichkeit gefunden, Kyoka Suigetsus Zauber zu durchbrechen, aber du ... bist immun dagegen. Das darf Aizen nicht erfahren.“ „Darum wolltest du nicht, dass ich mit irgendjemandem über diese Sache damals an der Akademie spreche?“ Gin warf mir ein kurzes, freudloses Grinsen zu. „Anfangs dachte ich, Aizen hätte einen Fehler gemacht. Hätte dich vergessen oder so. Aber ich habe Nachforschungen angestellt. Nachdem ich Aizen damals darum bat, dich aus der Sache herauszuhalten, hatte er kein Interesse mehr an dir, sondern nur noch an Urahara und seinen Forschungen. Das kam mir gelegen. Ich konnte in aller Ruhe beobachten, wie er hin und wieder seine Fähigkeiten anwendete, um in Uraharas Forschungslabor herumzuschnüffeln. Er dachte, dass niemand ihr dort gesehen hatte, aber du hast ihn dort gesehen, nicht wahr?“ Ich stutzte. Tatsächlich hatte ich Aizen im Forschungslabor ein- und ausgehen sehen, doch nie hatte ich mir darüber Gedanken gemacht. „Du hast mich nie gewarnt, das niemandem zu sagen“, keuchte ich und Gin zuckte mit den Achseln. „Das hätte auch keinerlei Unterschied gemacht. Aizen hat dich zu dieser Zeit überhaupt nicht beachtet und das ist mein Trumpf. Er hat keine Ahnung, dass es jemanden gibt, der immun gegen seine Hypnose ist und das muss unbedingt so bleiben, verstehst du das Akari?“ Ich nickte und zuckte zusammen. Gin hatte seinen Morgenmantel abgeworfen, um sich umzuziehen. Leicht beschämt drehte ich mich von ihm weg, doch er kicherte nur leise. „Nichts, was du nicht schon gesehen hast“, witzelte er und ich verdrehte die Augen. „Wie kannst du sicher sein, dass ich nicht Aizen bin?“, fragte ich ihn und er sah mich eine Weile stirnrunzelnd an, während er seine Kleidung zuschnürte. „Ich kenne ihn mittlerweile ganz gut. Er würde nicht auf die Idee kommen mich auf diese Weise zu testen. Ich bezweifle, dass er überhaupt auf die Idee kommt, dass ich ihn hintergehen könnte.“ Es war seltsam. All die Jahre des Zorns und Hasses auf Gin schienen in wenigen Sekunden wie verflogen, obwohl tief in meinem Inneren eine Stimme immer wieder flüsterte: „Was ist, wenn das eine Falle ist?“ Doch ich musste an unsere erste Begegnung denken, an all die Male, die er mich gedeckt und geschützt hatte. Es war fast ein wenig verletzend, dass ich die ganze Zeit gedacht hatte, er würde mich schützen, weil ich ihm etwas bedeutete. Die Wahrheit war, dass ich seine einzige Waffe war. Dennoch fühlte ich mich, als hätte jemand eine tonnenschwere Last von mir genommen. Gin warf seinen Kommandantenhaori über seine Schultern, was mir einen kleinen Stich versetzte. Ich vermisste es Kommandantin zu sein. „Akari, niemand darf jemals von dem erfahren, was ich dir heute erzählt habe. Niemand. Nicht Rangiku. Nicht Byakuya, nicht einmal Kisuke. Niemand. Du bist die Einzige, der ich dieses Wissen anvertraue ... Versprich es mir.“ „Kisuke weiß es. Ich habe ihm damals von der Sache an der Akademie erzählt.“ Gin runzelte die Stirn und verzog den Mund, lächelte dann jedoch. „Nun gut, Kisuke ist einer der intelligentesten Leute, die ich kenne. Er wird es nicht herumposaunen. Selbst Aizen fürchtet sich vor seinem Intellekt und das will schon was heißen.“ Ich runzelte die Stirn. „Aizen füchtet sich vor Kisuke?“ „Er fürchtet sich vor seinem Verstand. Davor, dass Urahara ihm einen Schritt voraus sein könnte.“ Ich schüttelte den Gedanken ab. Die Offenbarung von Gins Verrat hatte meine Gedanken gehörig durcheinandergebracht, doch nun musste ich endlich zu dem zurückkehren, weswegen ich Gin ursprünglich aufgesucht hatte. „Gin“, begann ich, als er sich gerade fertig angezogen hatte. „Warum das alles?“ Ich spürte, dass er für einen Moment mit sich selbst rang. In seinen Augen erkannte ich einen Schmerz, der mich berührte. „Er hat ihr wehgetan“, seine Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. „Warum? Was hat er getan? Was ist sein Ziel?“ Meine Stimme zitterte. Ich hatte das Gefühl, Aizens Geheimnis so nah zu sein, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Gin schloss die Augen und sah mich direkt an. „Ich weiß zu wenig, um sicher zu sein, dass meine Vermutungen wahr sind. Zu diesem Zeitpunkt kann ich dir nur so viel sagen: Wenn Aizen das Hogyoku von Kisuke in die Finger bekommt ... wird es Krieg geben. Diesen Krieg werden viele nicht überleben.“ „Dann dürfen wir nicht zulassen, dass er es in die Finger bekommt.“ Gin presste seine Lippen aufeinander. Ich spürte, dass er noch etwas dazu sagen wollte, doch kein Wort löste sich aus seinem Mund. Er wusste noch irgendetwas, dass er mir nicht verraten wollte. Das spürte ich. Doch mein Gewissen meldete sich und meine Angst um Mana, aber auch um Rangiku zwang mich, nun endlich die Frage zu stellen, für die ich Gin eigentlich aufgesucht hatte. „Gin, wo ist Rangiku?“ Er starrte mich eine Zeit lang etwas verwirrt an. „Was meinst du? In ihrem Bett will ich hoffen“, sagte er, doch ich spürte eine Unsicherheit in seiner Stimme. „Sie ist vor drei Tagen nach Rukongai gegangen und noch nicht zurückgekehrt. Bisher hat sie auch nicht von sich hören lassen.“ Gin hielt inne, er hatte gerade sein Zanpakuto wieder angesteckt. Eine Weile starrte er nur vor sich hin und ich sah, wie seine Fingerknöchel hervortraten. „Gin“, er reagierte nicht, „Gin! Wo haben sie Mana hingebracht? Ich gehe stark davon aus, dass auch Rangiku dort ist!“ Beide Hände zu Fäusten geballt marschierte Gin auf die Tür zu, doch ich stellte mich ihm in den Weg. „Akari...“, begann er, doch ich schlug ihm ins Gesicht. Mein Schlag kam so unverblümt, dass er nicht auswich und mich mit aufgerissenen Augen ansah. „Willst du deine Arbeit von Jahren zunichtemachen, indem du ein Mal überreagierst? Sag mir, wo sie ist, und ich hole sie beide da raus. Aizen wird misstrauisch, wenn du da jetzt auftauchst.“ Eine Weile starrte er die Wand an, bevor er sich leicht entspannte. „Du bist zu schwach...“, begann er, doch ich unterbrach ihn. „Ich habe Verstärkung.“ Er musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. „Yoruichi wird bei mir sein.“ Er nickte langsam und wich einen Schritt zurück. „Wenn ihr bis zum Morgengrauen nicht zurück seid, greife ich ein.“ Ich nickte. „Und Akari ... was auch immer du tust, lass Aizen auf keinen Fall herausfinden, dass du seiner Hypnose nicht verfällst, sonst bist du schneller tot, als dir irgendjemand helfen kann.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)