Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 2: Die Shinigami-Akademie --------------------------------- Das Jahr verging langsamer als jedes vorherige. Etwa zwei Wochen nach meiner Begegnung mit Kisuke Urahara begann der Herbst und während ich die Vormittage damit verbrachte zu lernen, mich wie eine anständige Adlige zu benehmen, nutzte ich die Nachmittage fürs Kampftraining. Schon viele Jahre bereitete ich mich auf die Shinigami-Akademie vor und war überzeugt, meine spirituellen Fähigkeiten reichten seit langem aus, um angenommen zu werden. Wäre da nicht ein kleiner Haken: Ich war eine SoulBorn. Eine Seele, die in der Soul Society geboren worden war. Einerseits gehörte ich damit zum Adel, was mir viele Privilegien verschaffte, andererseits galten für uns SoulBorn auch gewisse andere Regularien, als für die Seelen, die aus der Welt der Lebenden zu uns kamen. Erst ab einem Alter von 16 Jahren durften wir selbstbestimmt an die Akademie gehen. Waren wir jünger, brauchten wir die Erlaubnis unserer Eltern. Ätzend. Jede Seele, die in Rukongai lebte und ein Reiatsu hatte, das auch nur halb so stark war wie meins, würde sofort angenommen werden. Ihre spirituellen Kräfte würden den anderen Seelen, um sie herum Schaden zufügen. Ich hingegen war als Bewohnerin Seireteis umgeben von starken Seelen, denen mein Reiatsu absolut kein Haar krümmte. Also wartete Jahr um Jahr auf die Erlaubnis meiner Mutter. Manchmal wünschte ich mir, meine Energien wären so gewaltig, dass ich selbst hier als Gefahr eingestuft würde und meiner Mutter so keine Wahl blieb, als mich gehen zu lassen. Der Wunsch, endlich die Benimmschule hinter mir zu lassen und zum Shinigami ausgebildet zu werden, war in den letzten Jahren so stark geworden, dass ich an nichts anderes denken konnte. Es war ein sonniger Herbsttag, als ich durch die Gänge der Benimmschule schlurfte, auf der Suche nach meinem Bruder. Yamachi war zwei Jahre älter als ich und repräsentierte all das, was unsere Familie erwartete: Stolz, Eleganz, Etikette, kurzum alles, was ich nicht war. Ich fand ihn vor seinem Klassenraum, tief in ein Gespräch mit einigen Gleichaltrigen vertieft. Sie alle stammten aus Adelshäusern, mit denen unsere Familie zu tun hatte. Ich kannte die meisten Gesichter, doch nur die wenigsten von ihnen kannten meines. „Yamachi, kann ich dich kurz sprechen?“ Einen Moment lang war es still, seine Freunde starrten mich an, als trüge ich irgendeine Art von seltsamem Kopfschmuck. Yamachi nickte schließlich. „Entschuldigt mich“, sagte er leise und folgte mir, mein Blick fiel erneut auf die düster dreinblickende Gruppe. Der Einzige, der ein leichtes Grinsen auf den Lippen hatte, war Byakuya Kuchiki. Er war unser Nachbar und einer der wenigen, der überhaupt wusste, dass ich zur Familie Miyazaki gehörte. Außerdem war er mein bester Freund. Yamachi zog die Augenbrauen hoch und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Wenn du weiter so unbeschwert leben willst, solltest du nicht so familiär mit mir sein“, murmelte er und ich seufzte genervt auf. Er hatte Recht, ich war diejenige, die es sich so gewünscht hatte. Unserer Mutter gefiel dies zwar nicht besonders, aber sie konnte mich verstehen. Auch sie hielt oft nichts von den umständlichen Umgangsformen des Adels, doch hatte sie es geschafft, sich zumindest nach außen hin anzupassen. Mir fiel es deutlich schwerer, mich in diese Reihen einzufügen. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum die Adelsfamilien sich so sehr an solche Oberflächlichkeiten klammerten. Insgeheim bezeichnete ich sie alles als Snobs. Sogar meinen Bruder, er war wahrscheinlich der größte aller Snobs. „Du bist nun einmal mein Bruder“, murmelte ich und er blieb neben mir stehen. „Ja und ich weiß das. Aber die wissen es nicht und wenn du dich weiterhin wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen willst, dann sollten sie das auch nicht herausfinden. Du weißt, dass sie sonst alles an dir analysieren würde, von deiner Frisur bis hin zu deinem unanständigen Benehmen – und all das würde auf unsere Familie zurückfallen!“ Yamachi hatte die Fähigkeit, mich auszuschimpfen, ohne dass es sich so anfühlte. Ich konnte ihn dabei einfach nicht wirklich ernst nehmen und rollte nur mit den Augen. Ich wusste, dass er nicht immer so war. Eigentlich nur hier in der Schule, vor den Augen der Anderen. „Schon gut, schon gut, ich spreche dich nur noch in dunklen Gassen an“, murrte ich also sarkastisch und bevor er mich erneut zurechtweisen konnte, sprach ich weiter: „Gibt es schon etwas Neues von der Shinigami-Akademie?“ Meine Frage blieb eine Weile unbeantwortet, so als wüsste er etwas, dürfte es mir aber nicht sagen. „Ich erzähle es dir, wenn wir zu Hause sind“, murmelte er und bevor ich auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, kehrte er zu seinen Freunden zurück. Ich biss verärgert die Zähne aufeinander, doch ich konnte nicht lange sauer auf ihn sein. Egal wie er sich so manches Mal verhielt, er war mein Bruder und ich liebte ihn. Selbst, wenn er mir gerade tierisch auf die Nerven ging. Den Rest des Tages war ich nur noch hibbelig und nervös. Ich konnte es nicht erwarten, zu hören, was Yamachi mir zu erzählen hatte. Als der Unterricht endlich vorbei war, wäre ich vor Eile beinahe die Treppe der Schule hinab gestolpert. Etwas langsamer, doch immer noch zügig eilte ich nach Hause, doch Yamachi war noch nicht dort. „Der ist doch noch im Debattierklub“, erinnerte mich meine Mutter und ich seufzte genervt auf. Er würde also nicht vor fünf Uhr zu Hause sein. Ich aß mit meiner Mutter zu Mittag, half ihr beim Abwasch und brachte sie dann zurück in ihr Bett. Meine Mutter war schon damals sehr krank, sie hatte Schwierigkeiten, sich zu bewegen und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. Ungeduldig starrte ich aus dem Fenster und beobachtete den Wind, der durch die Bäume wehte, bis ich entschied, meinem besten Freund Byakuya einen Besuch abzustatten. Mit ihm konnte ich über alles reden. Wirklich alles. Ich kletterte auf einen Baum in meinem Garten, schwang mich über einen Ast und landete in seinem Garten, woraufhin ich direkt an die Tür seines Zimmers klopfte. Wir machten das, seitdem wir alt genug waren, auf den Baum zu klettern. „Hallo Fräulein Miyazaki“, begrüßte Byakuya mich spöttisch und ich verdrehte die Augen. „Hör mir bloß auf mit dem Mist“, murrte ich. Er lachte und ließ mich herein. „Du änderst dich nie“, scherzte er und setzte sich an seinen Schreibtisch. Ich machte es mir in einer Ecke des Raumes gemütlich. Es war meine Ecke. Die Ecke, in der ich immer saß. Ich starrte einfach eine Weile vor mich hin, während Byakuya seine letzten Aufgaben für die Schule erledigte. Ich hatte es nicht eilig, manchmal war es einfach angenehm, seine Nähe zu spüren, beieinander zu sein, auch ohne etwas zu sagen. Sobald er fertig war, würde er es mich wissen lassen. Doch irgendwann lehnte er sich zurück und wir beide schwiegen uns eine ganze Zeit lang an. „Du Akari...“, begann er irgendwann leise. „Ja Byakuya?“ Ich starrte an die Decke und wartete geduldig darauf, dass er weitersprach. „Glaubst du, wenn wir auf die Shinigami-Akademie gehen, wird alles anders?“ Ich sah ihn an und überlegte einen Moment. „Natürlich wird alles anders“, stellte ich fest und er seufzte. „Aber anders muss ja nicht schlecht sein“, fügte ich weiter an, doch Byakuya achtete nicht darauf. „Ich meine ... wir werden immer die Außenseiter sein, meinst du nicht? Auch du wirst es nicht verhindern können, dass sie herausfinden, wer du bist.“ Es dauerte eine Weile, bis ich ihm darauf eine Antwort geben konnte. „Weißt du Byakuya ... es ist genau diese Einstellung, die dich zum Außenseiter macht. Wenn du dich selbst als anders ansiehst, werden sie es auch tun. Nur wenn du dich als einer der ihren siehst, werden sie dich auch als einer der ihren akzeptieren und außerdem ...“, ich stockte einen Moment und er blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Außerdem?“ „Na ja, außerdem hast du ja noch Yamachi und mich. Wir werden immer deine Freunde bleiben.“ Byakuya lächelte und ich wusste, dass dieses Lächeln von Herzen kam. „Du hast Recht“, stellte er fest und ich stand auf. „Ja, habe ich immer“, neckte ich ihn mit einem Augenzwinkern und streckte mich, „und ich bin mir sicher, dass wir viele interessante Menschen kennenlernen werden.“ Oh wie Recht ich damit haben sollte. Wir aßen noch Süßigkeiten zusammen, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte. Ich entdeckte Yamachi, der auf einem Sessel vor unserem Karmin saß, neben ihm unsere Mutter, die in Gedanken versunken über einem Brief hing. „Was ist los?“, fragte ich und Yamachi winkte mich in den dritten Sessel. Es gab auch noch einen vierten Sessel, aber dieser war schon sehr, sehr lange leer. Ich konnte mich kaum an meinen Vater erinnern. Ich setzte mich in das gemütliche rot gepolsterten Möbelstück und wartete abermals geduldig ab, bis jemand zu reden begann. „Das ist eure Zulassung für die Akademie“, eröffnete meine Mutter uns schließlich und ich spürte, wie mein Herz einen Schlag schneller schlug. Yamachi grinste mich verschwörerisch an. „Akari...“, begann meine Mutter nun und ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Wollte sie es mir nun etwa untersagen? Doch sie schüttelte nur seufzend den Kopf. „Du bist noch so jung... aber ich denke, dass es das Beste für dich ist. Dein Reiatsu hat bereits Yamachis überstiegen, wir sollten nicht noch länger warten.“ Yamachis Mundwinkel zuckte einmal kaum merklich, doch er ließ sich ansonsten nicht anmerken, dass die Bemerkung über mein Reiatsu ihn ärgerte. Er wusste selbst, dass ich die stärkere Kämpferin von uns beiden war. „Außerdem halte ich Yamachis Einwand für sehr berechtigt, dass es nicht schlecht ist, wenn ihr gemeinsam an der Akademie anfangt. So kann er ein Auge auf dich haben.“ Sie zwinkerte mir zu und nun war es an mir, ein kurzes Gefühl der Verärgerung zu empfinden. Meine Mutter legte den Brief auf den Tisch und unterschrieb ihn, sogar mit ihrem besten Füller. Yamachi, der nun alt genug war, unterschrieb seinen Brief selbst. Noch nie war ich so glücklich gewesen. Die folgenden Wochen sind ein schillernder Zeitabschnitt in meinen Erinnerungen. Nachdem auch Byakuya uns seine Zulassung gezeigt hatte – er war genauso alt wie Yamachi – verbrachten wir drei jeden Nachmittag zusammen, um zu trainieren. Die Vorfreude auf die Akademie ließ selbst Yamachi vergessen, dass er sich eigentlich in die Familienpolitik einleben müsste. Er war immerhin der Nachfolger unserer Mutter und würde eines Tages das Oberhaupt der Familie Miyazaki werden. Aber das stellte er nun hinten an. Es war fast wie früher, als wir noch Kinder waren. Wir verbrachten jede freie Minute entweder in einem unserer Gärten oder an einem See in Rukongai, nicht weit entfernt von Seireitei. Endlich konnte auch Yamachi sich ein wenig fallen lassen und die Maske des Adels eine Weile ablegen. Wir hatten so viel Spaß wie schon lange nicht. Wir übten viel mit Holzschwertern und vor allem Byakuya stellte sich damit ziemlich geschickt an. Selbst als der Winter hereinbrach, gönnten wir uns kaum eine Pause, erst als einige Mitschüler zu tuscheln begannen, weil sie uns drei zusammen gesehen hatten, wurde Yamachi wieder etwas distanzierter. Byakuya nicht. Er sagte: „Es ist deine eigene Schuld, wenn du auffliegst.“ Da hatte er nicht ganz Unrecht, aber eigentlich war es mir auch nicht mehr so wichtig, meine Identität geheim zu halten. Auf der Shinigami-Akademie wurde kein Unterschied gemacht zwischen Adel und Straßenkind, es kam allein auf die Fähigkeiten an. Als das neue Jahr anbrach, trübte ein neuer Anfall meiner Mutter meine Stimmung. Eine Zeit lang konnte sie gar nicht aus dem Bett aufstehen und Yamachi musste einige ihrer Aufgaben übernehmen. Doch als das Wetter wieder wärmer wurde und die ersten Boten des Frühlings sich verbreiteten, ging es ihr besser und so stieg auf wieder meine Laune. Bald würde ich endlich diese Schule verlassen! Ich war so aufgeregt: Würden wir vielleicht einige der Offiziere sehen? Oder sogar Kommandanten? Gut, Ginrei Kuchiki, Byakuyas Großvater, hatte ich schon oft getroffen. Aber da ich ihn schon von klein auf kannte, fühlte es sich nicht an, als treffe man einen Kommandanten der Gotei 13. Er war halt Byakuyas Großvater. „Wen würdest du treffen wollen?“, fragte mich Byakuya eines Tages, als wir gerade eine Pause beim Laufen einlegten. Yamachi saß röchelnd neben uns. „Yoruichi Shihoin“, antwortete ich und Byakuya warf mir einen ‚Das meinst du nicht ernst‘-Blick zu. Ja, ich wusste, dass er als Kind von ihr trainiert worden war und das bei ihm nicht gerade in positiver Erinnerung geblieben war. Anscheinend war sie nicht gerade die feinfühligste Lehrerin gewesen. „Und du? Wen möchtest du kennen lernen?“ Er brauchte nicht lange zu überlegen. „Den General-Kommandanten Yamamoto-Genryusai.“ Ich lachte, das war typisch für ihn. Natürlich wollte er das älteste und stärkste Mitglied der Gotei 13 kennen lernen. „Ich frage mich ob wir eines Tages unter einem dieser Kommandanten arbeiten werden“, murmelte ich so vor mich hin, während Yamachi ungläubig die Stirn runzelte, doch er sagte nichts. Als der Sommer über uns hereinbrach, genossen wir die letzten langen Ferien, die wir hatten. In der Akademie gab es zwar auch unterrichtsfreie Zeiten, beispielsweise über den Jahreswechsel, aber wir hatten schon oft gehört, dass die meisten Studenten der Akademie diese Zeit für ihr Training nutzten. Diese letzten freien Tage verbrachten wir mit Faulenzen und ich hatte schon fast ein schlechtes Gewissen, das Training so komplett zu vernachlässigen. So nahm ich es wieder auf, wenn auch weniger verbissen als zuvor. Die letzten Tage der Ferien vergingen wie im Flug und plötzlich war es soweit: Der Tag, auf den ich so lange gewartet hatte, war gekommen. Wie ein kleines Kind, das sich auf seinen Geburtstag freute, marschierte ich durch die massiven Tore der Akademie, in die große Halle. Wir wurden freundlich begrüßt und tatsächlich war ein Offizier anwesend, der eine Rede darüber hielt, wie wichtig alles was wir hier lernten für unsere spätere Arbeit als Shinigami sein würde. Meine Aufregung erschwerte es mir, meine Konzentration auf die Rede des Mannes zu lenken. Unaufhörlich wippte mein Bein auf und ab und meine Finger trommelten auf den Tisch, an dem ich saß. Yamachi hatte schon gedroht, sich von mir wegzusetzen, wenn ich mich nicht beruhigte. Endlich wurden wir in Klassen eingeteilt. Ein Lehrer nach dem anderen führte seine Schüler heraus, bis ich auch endlich aufgerufen wurde. Ich stellte mich zu einigen schüchtern wirkenden Mädchen und hätte fast laut aufgejubelt, als auch Yamachi und Byakuya aufgerufen wurden. Wir gingen in dieselbe Klasse! Der Raum in den sie uns brachten, war aufgebaut wie ein Theater, eine Treppe in der Mitte führte zu den hinteren Tischen hinauf, während die vordersten Tische ganz unten vor dem Lehrerpult standen. Yamachi, Byakuya und ich setzten uns erst einmal relativ neutral in die dritte Reihe. Stundenlang wurden uns Schulregeln erklärt, natürlich notierte ich mir eifrig alles, was ich so aufschnappte, doch nach einer Weile langweilte mich die Ansprache der Lehrerin. Das Einläuten der Mittagspause ließ mich sofort aufspringen. Ich folgte den anderen Schülern aus dem Raum hinaus, als ich hinter mir jemanden hörte, der sich durch die Menge drängelte: „’Tschuldige, darf ich mal, Tschuldigung, he..hey, Akari!“ Ich drehte mich um und riss erstaunt die Augen auf, als ich den mir so vertrauten Gegenstand wahrnahm. „Du trägst diesen Hut tatsächlich!“, rief ich und der Junge vor mir lachte. „Wieso auch nicht, er steht mir ziemlich gut“, ich lachte und schüttelte amüsiert den Kopf. „Da gehen wir tatsächlich in dieselbe Klasse, was Kisuke?“ Er lachte ebenfalls, „Ja ich habe zwar darauf gehofft, dass wir uns treffen, hätte aber nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht“, gab Kisuke zu. Wir verließen den Klassenraum. Byakuya und Yamachi waren ohne mich weitergegangen und so verbrachte ich meine erste Mittagspause an der Akademie mit Kisuke Urahara. Schneller, als mir lieb war, verging die Pause und wir befanden uns auf dem Rückweg in unsere Klasse. Plaudernd überquerten wir den großen Hof und liefen, ohne, dass wir es recht bemerkten, in eine Menschentraube hinein. Erst nach einem Moment zog ein großer Junge meine Aufmerksamkeit auf sich. Offensichtlich hatte er uns mehrmals versucht, etwas zuzurufen, doch wir waren einfach zu vertieft in unser Gespräch. „Ey, ihr da aus dem Weg, geht aus dem Weg!“, die meisten folgten seinem Aufruf, doch Kisuke und ich blieben wie angewurzelt stehen. „Hey habt ihr nicht gehört, was ich gesagt...“, der Junge verstummte und ging selbst aus dem Weg, jemand hatte ihm von hinten auf die Schulter gefasst und sanft zur Seite geschoben. Jemand, der bereits eine Shinigami-Uniform trug. Sein Gesicht wirkte fast unheimlich, da er von einem Ohr zum anderen zu grinsen schien und auch die schmalen Augen unterstrichen sein leicht bizarres Aussehen, doch ich spürte nichts Gefährliches von ihm ausgehen. „Gehen dem 3. Offizier nicht aus dem Weg“, hörte ich jemanden in der Menge murmeln und schaute den Shinigami mit gerunzelter Stirn an. „Was macht ein 3. Offizier in der Akademie?“, sprach Kisuke genau das aus, was ich dachte. Ich merkte, wie die anderen um uns herum vorsichtig die Köpfe schüttelten, doch der Offizier vor uns blieb ganz gelassen und grinste noch ein wenig breiter, wenn das überhaupt möglich war. „Ich ähm“, begann ich und machte eine leicht unbeholfene Verbeugung, „bin Akari Miyazaki, freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.“ Ich war mir nicht sicher, ob es eine offizielle Grußformel für Offiziere gab, doch ich hatte das Gefühl, es sei besser als gar nichts zu sagen. Mit einem kurzen Lachen griff er meine Hand und hauchte einen sanften Kuss auf meinen Handrücken. „Wie nett. Gin Ichimaru, 3. Offizier der 5. Kompanie, sehr erfreut.“ Eine Weile noch hielt er meine Hand in seiner, bis Kisuke sich räusperte. „Ich bin Kisuke Urahara“, stellte dieser sich vor und der junge Offizier ließ meine Hand los. Es war eine unglaublich seltsame Situation. „Urahara, mh?“, fragte er und Kisuke warf mir einen besorgten Blick zu. „Von dir habe ich gehört... du erfindest… Dinge, richtig?“, die Art wie er ‚Dinge’ sagte, klang seltsam, doch ich dachte mir nichts weiter dabei. Kisuke nickte langsam und Offizier Ichimaru legte den Kopf schief. „Interessant“, murmelte er, gab dafür aber keinerlei Erklärung ab. „Ich denke, wir werden und bald wieder sehen. Kisuke Urahara und Akari Miyazaki. Aber jetzt muss ich weiter, mein Vize-Kommandant möchte mich sprechen.“ Mit diesen Worten ging er fort. Unsere Mitschüler starrten uns an, doch ich versuchte, das zu ignorieren. „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so früh einem Offizier begegnen“, murmelte ich an Kisuke gewandt, in dessen Gesicht sich eine Mischung aus Verwunderung und Sorge mischte. Nun erst bemerkte ich, dass Byakuya sich zu uns gesellt hatte, scheinbar hatte auch er die Szene mitangesehen und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, in der Offizier Ichimaru verschwunden war. „Was ist?“, fragte ich ihn und er zog die Stirn kraus. „Dieser Typ ... er war noch jünger, als wir jetzt sind, als er zum Offizier wurde“, erklärte er sehr leise, darauf bedacht, dass uns niemand zuhören konnte. „Wie hat er das gemacht?“, fragte Kisuke nun mit großen Augen. Byakuya würdigte ihn keines Blickes, antwortete aber dennoch: „Indem er den ehemaligen Offizier tötete.“ Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Es fiel mir schwer, zu glauben, dass es sich tatsächlich so abgespielt hatte. Ich wusste, dass Byakuya uns eine solche Information nicht weitergegeben hätte, wäre er sich nicht sehr sicher, dass sie stimmte, doch aus irgendeinem Grund war mir der Offizier sympathisch gewesen und ich versuchte, die Information zu verdrängen. Wenn es wirklich so gewesen war, gab es dafür bestimmt eine Erklärung, sagte ich mir, denn ich wollte nicht glauben, dass dieser freundliche junge Offizier zu einem brutalen Mord fähig war. Vielleicht hätte ich es glauben sollen. Das Unheil begann, als wir knapp zwei Monate an der Akademie waren. Wir unterhielten uns im Unterricht gerade über die unterschiedlichen Fähigkeiten, mit denen Hollows ausgestattet sein konnten, als es an der Tür klopfte. „Offizier Ichimaru“, rief unsere Lehrerin erstaunt auf, als er eintrat. Kisuke und ich warfen uns einen Blick zu, wir hatten seine Worte nicht vergessen. „Ich denke wir werden uns bald wiedersehen“ – und da war er. „Hallo Sensei“, begrüßte er die Lehrerin mit der förmlichen Anrede, „Ich würde mir gern zwei Ihrer Schüler ausleihen.“ „Schon wieder?“, fragte die Lehrerin etwas empört, offensichtlich geschah so etwas häufiger. Mein Herz begann zu rasen, auch wenn ich es nicht wirklich glauben konnte, hatte ich doch die Hoffnung, dass er uns meinte. Und das tat er: „Akari und Kisuke.“ Wenn ich an jenem Tag gewusst hätte, dass dieser Moment mein Leben auf diese Art und Weise verändern würde, wäre ich wahrscheinlich nicht mitgegangen. Doch naiv, wie ich war, freute ich mich einfach darüber, etwas Besonderes zu sein. Auserwählt aus so vielen Schülern, um mit dem Offizier mitzugehen, während die anderen weiterhin im Unterricht sitzen musste. Ich spürte Yamachis und Byakuyas Blicke auf meinem Hinterkopf, als ich den Klassenraum verließ. Wir folgten Offizier Ichimaru, wie ich ihn damals noch nannte, bis wir an den Eingang eines Übungsfeldes ankamen. Dann erst drehte er sich um und klärte uns auf. „Ich möchte, dass ihr beiden an dieser Übung teilnehmt.“ Erst jetzt bemerkte ich ein paar ältere Schüler, die vor einer Art Prüfung zu stehen schienen. Sie alle hatten ihre Zanpakuto, ihr Seelenschwert bei sich und ich fühlte mich relativ unsicher mit meinem noch unbefleckten Schwert. Wir alle hatten nach kurzer Zeit ein so genanntes Asauchi bekommen, ein Schwert, das nach und nach Teile unseres Geistes aufnehmen konnte und so irgendwann zu unseren persönlichen Zanpakuto werden würde. Doch noch waren es lediglich schwache spirituelle Klingen. Die meisten brauchten Jahre, bis sie den Namen ihres Zanpakutos herausfanden und so ihr Shikai entdeckten, die Form, die ein Seelenschwert annahm, wenn es seine wahre Macht zeigte. Ich hatte schon oft mit dem Schwert geübt nach der Schule, manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass Energie in dem Schwert vibrierte, doch das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein. Ich merkte, wie auch Kisuke neben mir schluckte. Neben uns tauchte eine weitere Gestalt auf und ich schnappte erschrocken nach Luft, als ich das Zeichen des Vizekommandanten und das Emblem der 5. Kompanie am Arm des Mannes erkannte. Es war meine allererste Begegnung mit Sosuke Aizen. Sein braunes Haar umschmeichelte sein freundliches Gesicht in sanften Wellen, wodurch man die kantige Brille fast nicht bemerkte. Er sah zu uns herüber und marschierte dann mit schnellen, bestimmten Schritten auf uns zu. „Vizekommandant Aizen“, begrüßte Offizier Ichimaru ihn mit einem Lächeln. Aizen nickte ihm zu, allerdings ohne dabei den Blick von Kisuke und mir abzuwenden. „Wie ich sehe, hast du unsere Gäste mitgebracht“, seine Stimme klang sanft und freundlich. Ichimaru warf seinem Vizekommandanten einen Blick zu und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, sie kommunizierten stumm miteinander. „Ich bin Akari Miyazaki“, stellte ich mich Aizen vor und machte eine Verbeugung, dieses Mal etwas eleganter, als noch bei Offizier Ichimaru. Auch Kisuke stellte sich vor. „Sosuke Aizen“, erklärte er ruhig und bat uns, ihm zu folgen. „Wisst ihr... es ist so, dass jede Kompanie stets auf der Suche nach großen Talenten ist, so auch wir. Aber im Gegensatz zu den Anderen, schauen wir uns bereits auf der Akademie um. Ich denke, dass viele Schüler der Akademie großes Talent in sich tragen, aber die Lehrer manchmal einfach nicht in der Lage sind, es zu erkennen.“ Aizen verstummte und Ichimaru, der vor uns hergegangen war, drehte sich zu uns herum. „Da kommen wir ins Spiel“, warf er ein, während Aizen sich den älteren Schülern zuwandte. „Wir suchen Schüler der Akademie, in denen wir Talent erkennen und nehmen sie mit. Die ersten Jahre lernt man in der Akademie fast nur Theorie und etwas Kido ... wir werden euch in eine Situation bringen, in der ihr mehr braucht als Theorie. Ihr sollt an der Zwischenprüfung teilnehmen, natürlich nur wenn ihr euch das zutraut“, die letzten Worte hatte er mit einem noch breiteren Grinsen hinzugefügt. Die Zwischenprüfung. Das war die Prüfung, die ein Schüler der Akademie ein halbes Jahr vor seiner Abschlussprüfung absolvieren musste. Zweck dieser Prüfung war sich an die Kampfsituation zu gewöhnen und auch, damit die Lehrer einschätzen konnten, ob der Schüler wirklich bereit für die richtige Prüfung waren. Die Zwischenprüfung war eine visuelle Situation. Ähnlich wie in den Trainingsräumen wurden Hologramme von Angreifern beschworen, die es zu bekämpfen galt. Es wurden Elektroden am Körper befestigt, die kleine Stromstöße hindurch jagten, sodass jeder Angriff sich täuschend echt anfühlte. Die Abschlussprüfung jedoch wurde stets in der Welt der Lebenden abgehalten, in einer echten Situation, mit einem echten Hollow. Kisuke warf mir einen Blick zu und nickte kaum merklich, auch ich nickte zurück. Ich hatte keine Angst davor, gegen Hologramme zu kämpfen. Ichimaru nickte Aizen zu, um ihm zu Verstehen zu geben, dass wir mitmachten. Die älteren Schüler wirkten hochkonzentriert. Aizen öffnete das Tor zu der Trainingshalle, die größer war, als jede andere, die ich bisher gesehen hatte. Nun, ich hatte bisher nur zwei gesehen und auch nur kurz, da wir bisher zu neunzig Prozent theoretischen Unterricht absolvierten. Praktische Trainings sollten erst ab dem dritten Jahr zum Unterricht gehören, was mich tierisch nervte. Doch nun war ich hier und ich freute mich unbändig auf diesen Kampf. Kisuke war stummer als gewöhnlich und ich kam nicht umhin, zu bemerken, wie er unaufhörlich am Saum seiner Kleidung spielte. Während Ichimaru einige Elektroden an Kisuke befestigte, versuchte ich meine selbst anzubringen, es fühlte sich zuerst etwas unangenehm an, doch nach kurzer Zeit nahm ich sie gar nicht mehr wahr. Sie waren kabellos und störten kaum. Die Hologramme wirkten lebensecht, was normalerweise beängstigend sein sollte, doch im Gegenteil: Ich hatte schon lange nicht so viel Spaß gehabt. Ich schwang mein Schwert und zerschlug einen falschen Hollow nach dem Anderen, die sich daraufhin in Luft auflösten. Ichimaru und Aizen standen in sicherer Entfernung und beobachteten das Ganze. Der junge Offizier schrieb sogar Notizen auf, während der Vizekommandant nur mit verschränkten Armen dastand und alles aufmerksam musterte. Dann trat ein Gegner vor mich, der wesentlich schwieriger zu besiegen war. Er war schneller und stärker als alle anderen und hatte lange, klebrige Tentakeln, die es nach mir warf. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Kisuke mich mit aufgerissenen Augen anstarrte. Ihm schien der Kampf etwas weniger Spaß zu bereiten als mir. Einige der Tentakel begannen mich zu umwickeln und ehe ich mich versah, fand ich mich gefangen in den glibberigen, schwarzen Gliedern des Wesens wieder. Ich sah, wie Ichimaru bereits eine Hand an sein Schwert legte, doch Aizen hob seinen Arm, als wolle er ihn zurückhalten. Ich fragte mich, was Aizen hier sah. Dachte er, ich konnte aus dieser Situation entkommen? Mich wunderte, dass die Elektroden es schafften, mir das Gefühl zu vermitteln zu ersticken. Tatsächlich fühlte ich mich, als würde ich zerquetscht werden und bekam immer schwieriger Luft. Mur wurde schon schwindelig, als ein seltsames Gefühl meine Aufmerksamkeit erregte: ein Pulsieren von Energie. Es dauerte einen Moment, bis ich verstand, dass es mein Schwert war, das diese kleinen Energiestöße von sich gab. Immer wieder schoss mir ein Wort durch den Kopf, doch ich wagte nicht, es laut auszusprechen, dabei käme ich mir lächerlich vor. Vor allem weil jetzt auch einige der Prüflinge mich beobachteten. Doch dann sah ich, wie der Hologramm-Hollow mit einem weiteren Tentakel ausholte und wusste, dass er mich mit voller Wucht ins Gesicht treffen würde. Ich muss das kurz erklären: selbst wenn man weiß, dass es ein Hologramm ist und selbst wenn man weiß, dass man im Gesicht keine Elektroden hat, fühlte sich diese Situation trotzdem so echt an, dass der Körper einfach reagiert, wie in einer echten Gefahrensituation: Er strömt Adrenalin aus. Plötzlich war es mir egal, ob die anderen mich für lächerlich hielten, denn tief in meinem Inneren spürte ich, dass es mir helfen würde: „Hanako, glänze!“, keuchte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ein Energiestrahl schoss aus meinem Schwert, den ich nicht für möglich gehalten hatte. Ein dumpfer Schlag auf den Rücken, die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst, dass mir schwarz vor Augen wurde. Als ich endlich wieder klarsehen konnte, realisierte ich, dass ich gegen die Wand gekracht war. Die Hologramme waren verschwunden und ich merkte, wie alle Augen auf mich gerichtet waren. „Wow Akari, wieso ist dein Schwert so ... rot?“, es war Kisuke, der zuerst seine Sprache wiederfand, doch ich konnte ihm keine Antwort geben. Ich starrte auf mein Schwert hinab, dass breiter und größer geworden war und dabei in einem tiefen Rot glänzte. Plötzlich stand Aizen neben mir. Er musste Shunpo benutzt haben, denn es hatte ausgesehen, als hätte er sich teleportiert. Das war eine Fähigkeit, die ich unbedingt noch erlernen wollte. Aizen musterte mein Schwert interessiert und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Gin hatte offensichtlich recht, zumindest was dich betrifft Akari Miyazaki. Schon lange hatten wir keinen Schüler mehr, der nach so kurzer Zeit den Namen seines Schwertes kannte.“ Ich starrte auf mein Schwert. „Hanako? Es heißt Hanako?“, fragte ich und Aizen zog die Augenbrauen erstaunt hoch, so als hätte er vergessen, dass ich noch da war. „Sieht ganz danach aus“, sagte er dann wieder mit seinem undurchdringbaren Lächeln. Er zog sein eigenes Schwert, murmelte leise etwas und Kisuke und ich betrachteten staunend sein Shikai, es glänzte wie das Leuchten des Mondes. „Hübsch, nicht? Das ist Kyoka Suigetsu.“, sagte er und lächelte freundlich. Die Tatsache, dass wir sein Schwert betrachteten, schien ihn sehr zu erfreuen. Ich nickte eifrig, dann steckte er es wieder ein und ging auf die Prüflinge zu. Offensichtlich erklärte er jedem, was er noch besser machen konnte und lobte einige für gute Aktionen. Ich bemerkte kaum, dass Ichimaru neben mir Kisuke zu irgendetwas zu überreden versuchte, so fasziniert war ich von meinem Schwert. Nach einigen Sekunden nahm es wieder seine ursprüngliche Form an und ich steckte es zurück in die Schwertscheide, als der grinsende Offizier einen Gegenstand in der Hand hielt, der sehr nach einer von Kisukes seltsamen Erfindungen aussah. „Vizekommandant Aizen, seht Euch das an!“ Was auch immer es war, Aizen zeigte so rege Begeisterung dafür, dass es Kisuke die Röte ins Gesicht trieb. Das war der Beginn einer langen und niederträchtigen Geschichte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)