Mondscheinkuss von Shunya ================================================================================ Kapitel 6: Den Tatsachen ins Auge blicken ----------------------------------------- Als ich zu mir komme habe ich das Gefühl Stunden geschlafen zu haben, nur das mich vorher noch jemand mit einer Axtwie einen Baum gefällt hat. Verwirrt sehe ich mich um und setze mich langsam auf. Ich liege in einem Bett. Na ja, es ist eher eine einfache Pritsche wie man sie aus Gefängnissen oder Lazaretten kennt. Sofort greife ich mir an den Hals. Es schmerzt und er ist verbunden worden. Vor meinem inneren Auge spielt sich alles noch einmal ab. Eine Gänsehaut überkommt mich und mir wird ganz flau im Magen. War das alles echt? Oder ein Traum? Schlafwandle ich neuerdings? Ist die Frau vor meinen Augen wirklich geköpft worden? Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt an einer Person hängen die mit dem Rücken zu mir an einem Tisch sitzt und aus einem Glas Rotwein trinkt. Eine dunkle Gestalt mit schwarzen Haaren. „Wer sind Sie?“, frage ich misstrauisch. „Du erinnerst dich nicht?“ Doch. An diese Stimme würde ich mich jederzeit erinnern. „Sie sind... dieser Vampir!“ Er dreht sich mir lächelnd zu. „Jackpott.“ Mürrisch erwidere ich seinen Blick. „Erst helfen Sie mir, dann beißen Sie mich, saugen mir mein Blut aus und dann werde ich auch noch entführt! Haben Sie eine Schraube locker oder was stimmt nicht mit Ihnen?!“, fahre ich ihn wütend an und schlage die Decke zurück. Als ich jedoch abrupt aufstehen will wird mir ziemlich schwindlig. Der hohe Blutverlust. Benommen setze ich mich wieder. „Sie haben die Krankenschwester umgebracht!“ „Bevor sie es bei dir tun konnte. Wie wäre es mit etwas mehr Dankbarkeit?“ „Dankbarkeit?!“ Ich würde ihm liebend gerne an die Gurgel springen! Egal wie toll seine blöde Visage aussieht! „Ich soll dankbar sein?! Sie haben ein Massaker angerichtet! Sie haben mir mein Blut ausgesaugt! Scheiß auf Dankbarkeit!“ „Immer mit der Ruhe.“ Ein älterer Mann kommt zu uns. Auch an ihn kann ich mich leider nur zu gut erinnern. „Nehmen Sie ihren Vampir mal an die Leine! Ist es wirklich sicher ihn frei herumlaufen zu lassen? Er könnte wieder jemandem um den Hals fallen!“, meckere ich aufgebracht. „Keine Sorge, kleine Furie. Ich habe ja das hier.“ Der Mann hält sein Glas hoch und lächelt breit. Mir dreht sich der Magen um. „Ist das etwa...?“ „Menschenblut? In der Tat.“ Er leckt sich anzüglich über die Lippen und trinkt aus dem Glas. Das tut er doch mit Absicht! Ich sinke zurück auf die harte Pritsche und sehe mich das erste Mal in diesem Raum richtig um. Schwer zu sagen wo ich mich gerade befinde. Es ist ein kleiner enger Raum mit dunklen rauen Betonwänden. Befinden wir uns in einem Bunker? Danach sieht es irgendwie aus. Nur wo sind wir? An den Wänden stehen deckenhohe Regale gefüllt mit allerlei Konserven, Decken und anderen Dingen die man in einer Notsitution für gewöhnlich benötigt. „Ist das hier ein Bunker?“, frage ich zögernd nach. Mr. Reed nickt. Er setzt sich an den Tisch und breitet einige Karten aus. „Sie haben diese Frau gejagt. Die Krankenschwester.“ „So siehts aus. Bist ja doch nicht auf den Kopf gefallen, Kleiner.“ Der Vampir grinst amüsiert und betrachtet mich unverhohlen. Ich ziehe mir die Decke enger an den Körper und rutsche näher an die Wand heran. Der Typ ist mir unheimlich, der würde mir glatt noch mal an die Blutreserven gehen, wenn sein Herrchen nicht da wäre! Allein schon wie er mich ansieht. Als wäre ich eine nette Zwischenmahlzeit vor dem Hauptgang. Unwillkürlich schlucke ich hart und weiche seinem Blick aus. „Es war unvermeidlich. Vampire gehören einfach nicht in unsere Welt. Wir müssen sie ausrotten.“ Hunter Reed sieht kurz zu mir, ehe er sich wieder über die Karten beugt. „Ja, aber es sind doch auch Menschen!“ „Vampire sind keine Menschen. Sie sind Monster, die auf der Erde nichts zu suchen haben.“ „Und doch haben Sie eines dieser Wesen an Ihrer Seite! Wo ist da der Sinn?“ Reed schweigt. Auch der Blick des Vampirs wirkt auf einmal nicht mehr ganz so gelassen. Er schaut gedankenverloren in sein Glas mit Blut. „Ihr seid Mörder...“ „Für eine gute Sache!“ Der alte Mann blickt mich ernst an. „Ist dir eigentlich klar wie viele Menschenleben sie schon genommen haben? Nein, denn es bekommt ja niemand mit. Dafür sind sogenannte Cleaner da, die die Scheiße hinterher aufräumen und beseitigen. Was glaubst du warum immer wieder Menschen plötzlich verschwinden und jahrelang nicht mehr auftauchen. Sie sind tot. Getötet von Vampiren! Nicht entführt wie es gerne mal in den Medien nett ausgedrückt wird.“ Entsetzt sehe ich von einem zum anderen. „Nein, dass kann nicht sein! Das würde doch auffallen!“ „Und doch geschieht es. Es ist unsere Aufgabe, Fariks und meine, diese Vampire zu töten damit sie nicht noch mehr Menschenleben fordern!“ „Sie lügen! Das ist nicht wahr!“, brülle ich durch den Raum. Farik steht auf und kommt schleichend zu mir. „Du bist zweimal von demselben Vampir gebissen worden. Glaubst du wirklich, wenn niemand gekommen wäre um dir zu helfen, dass du dann tatsächlich noch leben würdest?“ Er setzt sich zu mir auf die Pritsche und lässt seine Finger über meinen Verband am Hals gleiten. Eine Gänsehaut überkommt mich. Schaudernd stoße ich seine Hand weg. „Woher wissen Sie, dass ich zweimal gebissen wurde?“ Farik lächelt mitleidig. „Wir haben dich behandelt. Sie hat dich beide Male in den Hals gebissen. Es ist noch zu erkennen und ich erinnere mich nur zu deutlich an unsere erste Begegnung. Ich habe es geahnt. Es ist ungewöhnlich, nicht undenkbar, aber durchaus ungewöhnlich, wenn jemand an so einer Stelle einen Verband trägt. Außerdem riechst du nach Vampir!“ Mein Blick senkt sich auf die Decke. Meine Hände krallen sich fester in den grauen kratzigen Stoff. „Sie war so nett. Ich kann es immer noch nicht fassen...“ „Es ist dein Blut. Es hat sie süchtig danach gemacht. Einmal davon gekostet, hat sie im wahrsten Sinnes Wortes Blut gerochen und wollte mehr. Sie hat sich nach deinem Blut verzehrt. Du hast die Blutgruppe Null Rhesus Negativ oder?“ „Woher wissen Sie das?“, frage ich skeptisch. Hat der Kerl meine Krankenakte gesehen? „Weil sie in Deutschland recht selten vorkommt. Etwa 6 % der Bevölkerung hat diese Blutgruppe. Für Vampire ist sie berauschend. Wie eine Droge. Selbst ich konnte kaum wiederstehen.“ Er beißt sich auf die Lippe und sieht auf meinen Hals. Seine Augen drücken Begehren aus, verlangen nach meinem Lebenssaft, welcher unablässig gleich einem Strom durch meinen Körper fließt. „Heißt das ich bin eine Delikatesse für Vampire?“, frage ich und merke das meine Stimme kaum merklich zittert. „Wenn sie es wissen durchaus. Noch hat es sich nicht herumgesprochen. Du hast Glück, dass wir dich so schnell finden konnten. Garantieren kann ich es dir jedoch nicht. Es kann gut sein, dass diese Frau es irgendwo an der falschen Stelle herausposaunt und jemand Wind davon bekommen hat.“ „Na ganz toll!“, entfährt es mir lauter als gewollt. „Dann kann ich ja auch freiwillig auf die Schlachtbank gehen, wenn die Vampire es bereits wissen!“ „Nun, erst einmal heißt es abwarten und Tee trinken.“ Farik lehnt sich ein wenig zurück. „Wie jetzt? Wollt ihr mich hier einsperren?“, frage ich misstrauisch. „Vorerst.“ Farik lächelt und beugt sich wieder vor. Viel zu nahe für meinen Geschmack. „Es sei denn du willst dem nächsten Vampir in die Arme laufen?“ „Wieso? Der Vampir sitzt doch vor mir.“ Mit zusammengekniffenen Augenbrauen sehe ich ihn mürrisch an. Farik lächelt. „Wieso schließt du dich uns nicht an?“ „Was?“ Nun entgleisen mir die Gesichtszüge vollends. Fariks Finger vergraben sich in meinen Haaren und streichen über meinen Nacken. Wieso braucht der Typ immer diesen Körperkontakt? Ist ja furchtbar! „Ich kann mir gut vorstellen, dass du mehr wissen willst oder nicht? Mehr über Vampire, mehr über Vampirjäger. Mehr über dich?“ „Was meinen Sie damit?“ „Farik.“ „Was?“ „Du kannst mich duzen.“ „Nein, danke.“ Farik lächelt und nur Zentimeter trennen unsere Gesichter voneinander. Mit seinen dunklen Augen sieht er mich ernst an. „Glaubst du wirklich es ist Zufall, dass du in diese ganze Sache hineingezogen wurdest?“, raunt er mir leise zu. Ich starre auf seinen Mund. „Ja, das glaube ich!“, erwidere ich schlagfertig und hebe den Blick. Will der Idiot mich etwa verarschen? Natürlich ist es Zufall! Was sonst? Farik verzieht seinen Mund zu einer Grimasse und seufzt. Dabei schließt er für wenige Sekunden die Augen. „Okay, einen Versuch war es wert.“ „Tze!“ Ich sehe ihn verächtlich an. „Sucht euch einen anderen Idioten, den ihr für blöd verkaufen könnt! Du! Du willst mich doch nur als wandelnde Blutkonserve mitnehmen! Damit du nach belieben Blut saufen kannst!“ Farik lacht. „Du bist sehr amüsant!“ Er steht von der Pritsche auf und knöpft sein rotes Hemd auf. Knopf für Knopf. Vorhin war er gänzlich in Schwarz gekleidet. Vorhin? Wie lange lag ich hier überhaupt? Ich sehe wie er seinen Oberkörper entblößt und muss schlucken. Ja, doch. Das kann sich durchaus sehen lassen. Ich zwinge mich wegzuschauen. „Du kennst die Vorzüge eines Vampires nicht.“ Farik steigt zu mir auf die Pritsche, sehr galant dabei und nähert sich mir. „Ich will sie nicht kennen!“ Allerdings kann ich nich verhindern, dass meine Augen doch zu seinem muskulösen Oberkörper wandern. Nicht so ausgeprägt wie bei Bodybuildern, die praktisch nur aus Muskelfleisch bestehen, sondern schlank und doch durchtrainiert. Ein Mann für den eine Frau alles stehen und liegen lassen würde. Sogar den Mann an ihrer Seite. Es gibt nur einen kleinen Unterschied. Ich bin keine Frau. Ich bin ein Mann. Also tue ich das erste was mir in den Sinn kommt und klatsche Farik meine Handfläche ins Gesicht. „Such dir woanders einen Idioten mit du deinen Spaß haben kannst!“ „Deine Augen scheinen aber etwas anderes sagen zu wollen.“ So leicht gibt Farik sich nicht geschlagen. Hilfesuchend schaue ich an ihm vorbei, doch Reed scheint besseres zu tun zu haben als seinen Spürhund an die Leine zu nehmen. „Weißt du was meine Augen sagen? Verpiss dich!“, fahre ich den Mann vor mir an. „Ich bin nicht mal volljährig! Ich kann dich jederzeit anzeigen, wenn du dich an mir vergreifst!“ Farik lacht. „Nein, würdest du nicht. Wie willst du jemanden anzeigen, der schon seit 135 Jahren tot ist und unter einer völlig anderen Identität lebt?“ Meine Augen weiten sich. „Du bist ein alter Knacker?!“ Farik kräuselt die Lippen. „Ich bin nicht alt!“ Er wirkt ein wenig gekränkt und schmollt. Okay, ich scheine auf der richtigen Spur zu sein. Immer schön dran bleiben. „Ja, du bist total alt! Guck dir doch mal all die Runzeln an!“ Farik tut es tatsächlich. Er steht auf und läuft eilig zu einem Spiegel. Meine Güte, den kann man ja leicht verarschen. Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Der Typ scheint ein Narzisst zu sein. Das hat mir gerade noch gefehlt. „Was redest du? Da ist doch gar nichts!“, meckert er beleidigt und zieht an einigen Stellen prüfend an der Haut. Prustend halte ich mir die Hand vor den Mund und schaue zur Seite. Dann kommt mir allerdings etwas in den Sinn, auf das ich bis eben noch gar nicht eingegangen bin. „Wieso wollt ihr mich hier behalten?“, meckere ich aufgebracht. Vorbei ist der Spaß. Denn das hier finde ich absolut nicht witzig! „Wir müssen wissen, ob sie dich infiziert hat.“ Farik lehnt an der Wand und verschränkt die Arme vor der Brust. „Womit?“, frage ich höhnisch. Er antwortet mir nicht. Sein eiserner Blick haftet auf mir. Dann geht mir ein Licht auf. „Nein!“, keuche ich erschrocken auf. „Wie lange bin ich schon hier? Es ist doch nichts passiert! Ich bin immer noch der Alte! Ich fühle mich nicht anders!“ „Wir warten trotzdem ab.“ Mit blassem Gesicht sehe ich auf meine zitternden Hände. Auf einmal fühle ich mich gar nicht mehr wohl in meiner Haut und ich will einfach nur weg. Weg von hier. Weg von diesen Leuten. Weg von diesem Vampir. Ich will nach Hause. Zu meiner Familie. Dort wo ich mich sicher fühle. Erst als Farik direkt neben mir steht, bemerke ich, dass er den Raum durchquert hat und sich zu mir auf die Pritsche setzt. „Wenn du zu einem Vampir wirst können wir dich nicht leben lassen.“ „Ich bin kein Vampir!!!“, schreie ich ihn aufgebracht an. „Das wird sich noch zeigen.“ Wütend balle ich meine Hände zu Fäusten. „Ich.bin.kein.Vampir!“, wiederhole ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Wenn sich nichts tut, lassen wir dich in einigen Stunden gehen.“ Farik sieht mich ernst an. Ich schaue zu ihm und so langsam finde ich das alles hier absolut nicht mehr witzig. Ich knabbere auf meiner Unterlippe und weiche seinem Blick aus, starre stattdessen an die graue Wand. „Ich bin kein Vampir...“, flüstere ich jammernd. „Das alles war ein wenig viel für dich.“ Farik streicht mir über die Wange. Meine Mundwinkel ziehen sich nach unten. Mehrmals muss ich blinzeln. In einem Moment reißen wir noch dumme Witze und im nächsten Moment könnte innerhalb von wenigen Stunden mein Leben als Mensch und kurz darauf als Vampir zu enden sein. Wie kann ich das glauben? Ich bin ein Teenager. Ich habe doch noch mein ganzes Leben vor mir. Was ist mit meinen Eltern? Mit Melanie? Mit Dale? Wie werden sie es erfahren oder gar nicht? Werde ich einfach getötet, irgendwo vergraben und niemand erfährt davon? Als Farik mich in die Arme zieht, entrinnt mir unweigerlich ein Schluchzen. „Ich will nicht sterben...“, heule ich und fühle mich auf einmal wieder wie ein kleines Kind, das auf den Asphalt gefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Tränen rinnen mir über die Wangen und meine Nase läuft. Schniefend drücke ich mein Gesicht in Fariks Hemd. Der seidige Stoff färbt sich dunkelrot. Beruhigend streicht mir der Mann über den Rücken. Ich komme mir dabei ziemlich dumm vor. Beinahe erwachsen, heule ich hier herum wie ein Kleinkind. Aber ich bin eben auch nur ein Mensch und es geht um mein Leben. Ein Leben, dass ich nicht hergeben will. Es gibt doch noch so viel was ich tun möchte. Als ich aufwache fühle ich mich wie ausgetrocknet. Wann habe ich das letzte Mal so viel geheult? Ich kann mich nicht erinnern. Es ist leise und wie ausgestorben im Bunker. Ich setze mich auf und ziehe die Decke zurück. Mein Blick schweift durch den Raum. Ich bin allein. Sie sind weg. War das alles nur ein Traum? Bin ich nicht doch schlafgewandelt? Mein Hand greift nach dem Hals. Der Verband ist noch da. Ich vernehme ein leises Knarzen und sehe zu der schweren Eisentür. Sie ist offen. Weit geöffnet. Vorsichtig erhebe ich mich und stolpere taumelnd darauf zu. Ich sehe in den dunklen Gang. Er liegt schummrig und verlassen vor mir. Das Licht flackert. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen. Dann gibt es kein Halten mehr. Ich laufe so schnell ich kann, als würde mich jemand verfolgen, durch den Gang vorbei an leeren Zimmern mit Doppelbetten und Vorratskammern die schon ewig nicht mehr gefüllt worden sind. Leere Kisten stehen herum. Als hätte jemand eilig aufbrechen müssen liegt alles verlassen dort herum. Ich renne eine Treppe hinauf, fliege beinahe auf die Schnauze und zerre panisch an der Tür. Sie öffnet sich zu meiner Erleichterung und gleißendes Licht blendet mich. Ich kneife die Augen zusammen und befinde mich auf einmal mitten in einem Wald. Irritiert schaue ich mich um. Bäume, überall sind Bäume die in die Höhe schießen. Die Blätter der Baumkronen verweigern mir die Sicht in den Himmel. Es riecht nach Holz, Pflanzen und allerlei anderen Gerüchen, die ich gar nicht einordnen kann. „Wo bin ich?“, frage ich mich und laufe einfach los. Weg von dem Bunker. Ohne mich umzusehen. Ziellos irre ich durch den Wald bis ich schließlich auf eine Straße treffe. Am Wegesrand laufe ich über das Gras und immer weiter bis ich endlich eine Stadt erreiche und feststelle, dass ich nicht weit von meiner entfernt bin. Ich finde eine Bushaltestelle und zum Glück habe ich noch ein paar Euro in meiner Hosentasche damit ich heimfahren kann. Es ist 6:13 Uhr als der Bus an der Haltestelle eintrifft. Ich bin die ganze Nacht unterwegs gewesen. Nach einigen Stunden Schlaf bin ich einigermaßen erholt. Mein Vater ist zur Arbeit gefahren und meine Mutter trifft sich mit einer Freundin, ergo bin ich allein zuhause. Mein erster Weg führt also aus dem Haus. Diesmal durch die Haustür. Vorbei an der Schule samt den grausigen Erinnerungen der letzten Nacht renne ich zu Dales Haus. Der Schock ist groß, denn das erste, das ins Auge fällt ist das 'Zu verkaufen'-Schild auf dem Rasen. Ich bleibe davor stehen und sehe die Hausfassade hinauf. An den Fenstern hängen nicht mal mehr Gardinen. Die Baustelle des Anbaus liegt ebenfalls verlassen vor. „Wieso ist er weg? Er kann mich doch jetzt nicht einfach im Stich lassen?“ Enttäuschung macht sich in mir breit. Er kann doch nicht einfach abhauen nach all dem was passiert ist?! Wieso macht er das? Ich sinke zu Boden und spüre das Gras unter meinen Händen. Er ist weg. Einfach so. Froh könnte ich sein, doch ich bin es nicht. Ich könnte alles aus meinen Hirn verbannen, alles was ich bisher erlebt habe. Es geht nicht. „Du mieser Scheißkerl! Erst ziehst du mich in diese Sache rein und dann verkrümmelst du dich klammheimlich! Komm raus aus deinem Versteck!“, schreie ich laut und beuge mich vornüber, vergrabe mein Gesicht in den am Boden liegenden Händen und versuche nicht in Panik auszubrechen. „Lass mich jetzt nicht im Stich, Dale...“, jammere ich leise. Auch Melanie kann mich an diesem Tag nicht aufheitern. Ich habe ihr meine Aktion der letzten Nacht verschwiegen. Ich will sie nicht noch weiter hineinziehen, sie nicht in Gefahr bringen. Stattdessen liegen wir nackt in meinem Bett und küssen uns. Das bisschen Petting kann mich allerdings auch nicht auf andere Gedanken bringen. Mir liegt es noch immer schwer im Magen, dass Dale verschwunden ist. Ich dachte, er steht auf mich? Wieso erzählt er mir dann nicht, dass er wegzieht? Melanie küsst mich innig und stöhnt, während ich sie befriedige. Ich lasse von ihr ab und setze mich im Bett auf. „Was ist? Wieso hörst du auf?“, fragt Melanie mich verwirrt und blickt mit lustverhangenen Augen zu mir auf. Ihre Wangen sind gerötet. Sie greift nach meiner Hand, doch ich entziehe mich ihr. „Ich kann das jetzt einfach nicht.“ „Warum?“ „Darum!“ Wieso kann sie es nicht einfach hinnehmen? Wieso muss sie alles wissen? Wieso kann sie mich jetzt nicht einfach in Ruhe lassen? „Geh einfach!“, fordere ich sie barsch auf. Melanie setzt sich auf. „Ach komm schon, Andreas.“ Sie setzt sich lächelnd auf meinen Schoß und reibt sich auffordernd an mir. Ich stoße sie auf die Matratze und erhebe mich von meinem Bett. „Geh!“, fahre ich sie wütend an und beginne mich wieder anzuziehen. „Was ist dein Problem?!“ Nun kann auch Melanie nicht mehr ihre Fassung bewahren. „Ich habe kein Problem! Ich will nur meine Ruhe! Lass mich einfach in Ruhe!“ Ich sehe sie dabei nicht an, sondern ziehe mir meine Kleidung über und stürme ins Badezimmer. Dort lasse ich mich auf den Badewannenrand sinken und raufe mir die Haare. Vielleicht ist mir die ganze Sache doch nicht so gut bekommen wie ich dachte? Mit beiden Händen greife ich nach dem Badewannenrand und starre zu Boden. Ich muss nur wieder runterkommen, rede ich mir ein. Mich einfach nur beruhigen. Das ist alles. Erde an Andreas, das Leben geht weiter! Und wieso zittere ich dann am ganzen Leib und würde am liebsten nur heulen? Nach einiger Zeit traue ich mich wieder mein Zimmer zu betreten. Es ist leer. Melanie ist weg. Ich setze mich auf die Bettkante und wippe leicht vor und zurück. Ich denke an gar nichts. Schaue einfach nur die Muster auf dem Teppichboden an und bemerke die Tränen gar nicht, die meine Wangen entlang rinnen. Ein Klopfen reißt mich aus meiner Starre. Es kommt vom Fenster. Ungläubig sehe ich dorthin und drehe mich auf dem Bett um, krieche zum Fenster und öffne es. „Lange nicht gesehen.“ Dale grinst breit und ohne lange zu überlegen falle ich ihm um den Hals. Erschrocken versucht er sein Gleichgewicht zu halten. „Whoa! Pass doch auf! Willst du, dass wir uns beide die Knochen brechen? Lass mich doch erst mal reinkommen!“ Ich kralle mich regelrecht haltsuchend an ihn und atme tief durch. Mir fällt ein Stein vom Herzen, dabei sollte ich doch wütend auf ihn sein oder nicht? Diesen ganzen Schlamassel habe ich immerhin Dale zu verdanken. Der klettert nun ungelenk durch das Fenster auf mein Bett, da ich nicht bereit bin von ihm abzulassen. Er drückt meinen Kopf zurück und sieht mir stirnrunzelnd in die Augen. „Was ist los?“ Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht, doch mittlerweile lässt sich der Strom nicht mehr aufhalten. Egal wie oft ich mir über die Augen streiche, die Tränen fließen unaufhörlich weiter und nehmen einfach kein Ende. „Ich bin so blöd...“, heule ich. Dale lächelt irritiert. „Wieso das denn?“ „Weil ich nicht aufhören kann zu heulen und ich bin doch ein Kerl!“, jammere ich schluchzend und verärgert. „Na und? Auch Männer müssen ab und an mal weinen. Ist doch ganz normal.“ Dale lächelt und wischt mir mit den Händen über die Wangen. „Was ist wirklich los?“ Schniefend sehe ich ihn an und schlucke. „Du warst einfach weg. Du warst nicht da und ich...ich brauchte jemanden zum Reden und du warst nicht da...“ Meine Stimme klingt brüchig. „Wieso wolltest du mit mir reden?“, fragt Dale. Ich presse die Lippen fest aufeinander, schniefe erneut und irgendwie wollen die Worte nicht aus meinem Mund. Meine Lippen zittern ein wenig. Dale beugt sich vor und küsst mich. Einfach so. Ich schließe meine Augen und lasse es geschehen. Lasse zu, dass er mich tröstet ohne zu wissen was in mir vor sich geht. Er zieht mich in seine Arme und der Aufforderung komme ich mehr als nur gerne nach. Ich dränge mich eng an ihn, küsse ihn verlangend bis wir schließlich im Bett liegen, eng umschlungen und ich endlich zur Ruhe komme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)