Peaks von Akinara (Wir Haben Es Immer Auf Die Spitze Getrieben) ================================================================================ Kapitel 10: Jerky Turn - Ich Weiß Nicht Mehr, Wo Mir Der Kopf Steht ------------------------------------------------------------------- Ich musste da etwas betäuben. Tief in mir. Etwas, das sich in den letzten Wochen langsam heraus kristallisiert hatte und mir große Sorgen bereitete. Ein Gefühl für den Mann, den es in seiner Unersättlichkeit beinahe jeden Abend nach mir verlangte und der meine Sehnsucht nach seiner Nähe doch nie ganz zu erfüllen vermochte. Ausgerechnet er. Verdammt, ich steckte so in der Scheiße. You and I go hard at each other like we're going to war You and I go rough, we keep throwing things and slamming the door You and I get so damn dysfunctional, we stopped keeping score You and I get sick, yeah, I know that we can't do this no more But baby, there you go again, there you go again, making me love you Yeah, I stopped using my head, using my head , let it all go Got you stuck on my body, on my body like a tattoo And now I'm feeling stupid, feeling stupid, crawling back to you So I cross my heart and I hope to die That I'll only stay with you one more night And I know, I said it a million times That I'll only stay with you one more night Try to tell you 'no' but my body keeps on telling you 'yes' Try to tell to 'stop' but your lipstick got me so outta breath I'll be waking up in the morning, probably hating myself I'll be waking up feeling satisfied but guilty as hell But baby, there you go again, there you go again, making me love you Yeah, I stopped using my head, using my head , let it all go Got you stuck on my body, on my body like a tattoo And now I'm feeling stupid, feeling stupid, crawling back to you So I cross my heart and I hope to die That I'll only stay with you one more night And I know, I said it a million times That I'll only stay with you one more night Der Krug Rum war groß und schwer, gefüllt mit der herrlichen bernsteinfarbenen Flüssigkeit, die mir Linderung verschaffen würde. Gierig ließ ich die ersten Schlucke meinen Rachen hinab laufen und sah nur aus dem Augenwinkel, wie der Mund des Wirts erstaunt offen stehen blieb. Es kümmerte mich nicht. Ich musste das jetzt kippen, brauchte die Hitze in meinem Hals bis in die Brust hinunter, um mich besser zu fühlen. „Immer langsam, schöne Frau.“ Das kam von woanders her. Hm, genervt verdrehte ich die Augen und setzte ab. Wer störte mich denn jetzt? Etwas ärgerlich blickte ich zur Seite, von wo die tiefe, anschmiegsame Stimme gekommen war. Ein junger Mann hatte dort Platz genommen. Er war größer als ich, aber längst nicht so ein Hüne wie mein Captain und viel smarter. Nicht schmächtig, sondern schlank und athletisch. Von der Silhouette her gefiel er mir und vielmehr konnte ich in der Düsternis des Schuppens erstmal nicht erkennen, also zeigte ich mich ein bisschen sanftmütiger und ging auf seine Gesprächsinitiation ein. „Gehört sich nicht für eine Lady, hm?“, fragte ich schmunzelnd und drängte meine schweren Gedanken endgültig beiseite. Ein bisschen Ablenkung kam jetzt wie gerufen. „Oh, ohne Euch zu nahe treten zu wollen“, antwortete der Unbekannte höflichst, „aber eine Lady seid Ihr nicht.“ Ich legte verdutzt den Kopf schief und wusste nicht, ob ich beleidigt oder interessiert sein sollte. Natürlich hatte er Recht, das war mir selbst nur allzu klar. Jedoch, war es nicht unangemessen, einer Frau so etwas an die Stirn zu knallen? Ich kam zu dem Schluss, erst einmal herauszukriegen, wie genau er das meinte und hakte deshalb etwas spitz nach. „Findet Ihr es denn in Ordnung“, begann ich und übernahm trotz dezenter Pikiertheit seinen höflichen Ton für meine Rede, „mir dies zu unterstellen, wo Ihr mich doch gar nicht kennt?“ Ich sah hinüber und erkannte in dem dunklen Umriss des Gesichtes ein angeregtes Blitzen der Augen. Offenbar hatte der Mann in mir das gefunden, wonach er gesucht hatte. „Ich möchte Euch ja näher kennen lernen. Deshalb sprach ich Euch an.“ So so, dachte ich und konnte nicht umhin, mich ein wenig geschmeichelt zu fühlen. Stimme und Silhouette des Unbekannten deuteten unweigerlich auf einen attraktiven Gegenüber hin. „Um Eure Frage zu beantworten:“, leitete er seine Erklärung ein und ich lauschte gespannt. „Eure Schönheit übertrifft die Anforderungen an eine Lady um Längen.“ Schleimer. Wieder so einer? Enttäuschung machte sich in mir breit. „Aber Ihr duftet nach Salz und Sonne. Nach Meer und Schiff. Ihr seid zweifellos eine Seefahrerin.“ Gute Nase, mein Lieber. Wirklich beeindruckend. „Und wenn ich mich hier so umschaue, dann seid Ihr sicherlich auch eine Piratin.“ Das Wort hing wie ein Urteil im Raum, ohne dass der Mann dies beabsichtigte. Für mich hatte es immer noch eine negative Konnotation. Ich war eine Gesetzlose, ungezwungen und frei. Und obwohl ich genau das immer gewollt hatte, Freiheit, war es unvermeidlich, darüber nicht auch abwertend zu denken. Nur eine Piratin. Dreckiges Pack, das sein Geld mit Raub und Leid verdiente. Einfache, dreiste Typen, die sich Respekt mithilfe von Gewalt verschafften. Herrgott, dann war es eben so. Daran musste ich mich nun mal gewöhnen. Zumindest hatten Piraten was drauf, keine solchen Schlappschwänze wie die Aristokraten und die sich ihnen anbiedernde Zivilbevölkerung drüben auf dem Archipel. Und immerhin, mein Captain war ein ziemlich bekannter Kerl. Hmmm, mein Captain...Ich schweifte ab. „Sehr richtig, ich bin Piratin. Und das 'Ihr' sparen wir uns deshalb besser gleich. “, gab ich schließlich zurück. Selbstsicherer als ich war und sogar ein wenig bissig. „Meine Crew und ich haben heute hier angelegt und schauen uns Rox Royal mal ein bisschen an.“ Wo trieben sich eigentlich meine Kumpanen rum? In welcher Bar trafen wir uns heute Abend? Plötzlich gingen mir diese Fragen durch den Kopf, scheuchten mich auf und lenkten mich von dem Gespräch mit dem jungen Mann gegenüber ab. Was, wenn ich meine Leute verpasste? Dann saß ich hier ganz allein fest in diesem Drecksloch. Verdammt, wie hieß denn der verfluchte Schuppen, in dem wir uns verabredet hatten? T...Tr...'Trigger'. Ja, 'Trigger' war's gewesen. Da musste ich dann nur noch bei Zeiten auftauchen. Gut. Erleichtert atmete ich auf und widmete mich wieder der Plauderei mit dem Kerl. „So, deine Crew und du...Kennt man euch?“ Ich schaute, verwundert über so viel Neugier in das Gesicht, das ich ja in der Dunkelheit doch nicht erkannte und zögerte einen Moment. Was interessierte diesen Mann meine Mannschaft? War er ein Kopfgeldjäger? „Keine Sorge. Ich bin selbst Pirat, also mach dir keine Gedanken über die Sicherheit deiner Leute.“ Obwohl diese Worte aus jedermanns Mund hätten kommen können, nahm ich ihm ab, dass er sich einen Dreck dafür interessierte, Heat oder Wire oder irgendwen an die Marine auszuliefern. Killer! , dachte ich intuitiv. Wo steckte der eigentlich? „Also?“ Der Schatten riss mich aus meinen Sorgen um den Kumpel und verlangte nach einer Antwort auf seine neugierige Frage. „Ich gehöre zu Kid.“, erwiderte ich schließlich, ohne den Hauch des bitteren Beigeschmack völlig überdecken zu können. Welche Bedeutung diesem Namen beigemessen wurde, merkte ich erst, als die anderen Gäste in der Bar mich anstarrten. Offensichtlich war mein Captain hier bekannt wie ein bunter Hund und wurde mehr gefürchtet denn nur respektiert. Mein Gegenüber aber klang, als würde er schmunzeln, als er fortfuhr. „So...Eustass Kid. Welch ein Zufall. Du musst neu sein.“ Ich war einigermaßen erstaunt. Kannte er die Bande etwa so gut, dass er beurteilen konnte, wie lange ich schon dabei war? „Naja, er hat mich vor etwa zwei Monaten aufgegabelt.“, ließ ich schulterzuckend verlauten. Ein entscheidender Hinweis auf meine Identität. „Dann bist du die Kleine, die Sankt Charlos vermisst!“, stellte der Mann belustigt, aber mit wohl bedacht gedämpfter Stimme fest. Ich wunderte mich. Woher kannte er die ganze Geschichte? Hatte es etwa schon so weite Kreise gezogen, dass man selbst in der letzten Stadt im ganzen Ozean davon unterrichtet war? Plötzlich war ich einigermaßen unsicher. Würde mich der Kerl jetzt doch ausliefern? Über die Schulter werfen und zurückschleppen zu Disko, nach Sabaody Archipel? Bitte nicht. Eine immense Angst erfasste meinen Körper und schüttelte ihn kräftig durch. Ich trank noch einen Schluck, um die Furcht zu vertreiben und wieder runter zu kommen. „Da hat er aber wirklich einen guten Fang gemacht.“, sagte der Umriss schließlich nur knapp und stieß mich damit ziemlich vor den Kopf. Nicht, dass ich enttäuscht war, nein. Ehrlich gesagt, breitete sich ungeheure Erleichterung in mir aus. Ich hatte mit allem gerechnet und mir schon ausgemalt, wie der Kerl eine happige Belohnung für meine Entführung zurück in die Sklaverei einstrich, in die Hände dieses gierigen Alten, wo mich eine saftige Strafe und die erneute Widerlichkeit seiner Berührungen erwartete. Als durch seine Aussage nichts dergleichen angedeutet wurde, war ich demnach ein bisschen überrumpelt. „Wie wär's? Hast du heute Abend was vor? Oder Zeit für mich?“, schlug der Schatten vor. Wie bitte? Das war ja mehr als spontan. Sollte ich... Herrgott, wie es mich ankotzte, dass ich ihn nicht sehen konnte. Zwar zog ich eigentlich nicht ernsthaft in Betracht, auf sein Angebot einzugehen, schließlich steckte ich ja ganz tief in einer anderen Sache, aber dennoch hätte ich mich noch leichter entscheiden können, wenn ich sein Gesicht hätte sehen können. Naja, wie dem auch sei. Ich antwortete wahrheitsgemäß. „Leider nicht. Bin ausgebucht. Ich treff' mich heut' Abend mit meiner Crew. Und dann legen wir auch sicherlich bald wieder ab.“ Ich wusste, dass ich ihn enttäuschte. Es war mir ein bisschen unangenehm. Absagen waren nicht so mein Ding, aber er machte keinen allzu niedergeschlagenen Eindruck. „Na gut. Das ist schade.“, meinte er ehrlich bedauernd. „Wirklich schade. Aber vielleicht sehen wir uns ja noch einmal. Rox Royal ist klein.“ Er grinste. Seine Zähne funkelten ebenso sehr wie meine zuvor in der Dunkelheit. Wortlos legte er dem Wirt das Geld für sein Getränk auf den Tresen und verschwand Richtung Tür. Ich sah ihm nach und wandte mich schließlich kopfschüttelnd um. Komischer Kerl. „Kleine, du hast da gerade einen Fehler gemacht“, mischte sich der glatzköpfige Barmann anmaßend ein. „So?“, gab ich gereizt zurück. „Warum?“ Wie konnte dieser Nichtsnutz sich erlauben, meine Entscheidung in Frage zustellen, jetzt, wo er wusste, zu wem ich gehörte? „Naja, das da eben...“, begann er zu erklären und nahm das leere Glas meines vergangenen Gesprächspartners von der Theke. „Das war 'ne ziemlich große Nummer. Den hättest du nicht ausschlagen sollen.“ Langsam wurde mir das Gequatsche zu bunt und ich musste mich zusammenreißen, den Wirt nicht am Kragen zu packen. „Na, dann rück raus mit der Sprache!“, knurrte ich erregt und der Mann bemerkte, dass meine Geduld sich dem Ende neigte. „Wer war das?“ Der Fatzke wandelte auf dünnem Eis. Entweder er redete endlich Tacheles oder es gab ein paar saftige Dinger in die Fresse. Er schien die Anspannung und Gefahr der Situation auch zu spüren und kapitulierte. „Das da...“, er nickte schluckend Richtung Tür, „war Trafalgar Law.“ ~ Langsam legte sich der Mantel der Nacht über die Hafenstadt. Anders als es in vielen gutbürgerlichen Siedlungen der Fall gewesen wäre, lebte das Schandfleckchen hier erst richtig auf. Der warme Schein aus den verdreckten Fenstern und die heitere Musik betrunkener Seefahrer lockte in die Lokale. Dirnen über Dirnen präsentierten ihr üppiges Holz vor der Hütte an den Straßenrändern und ein Teil der Crew war durch ihr Verschulden bereits abhanden gekommen. Die Nacht bezauberte die Menschen auf eigenartige Weise, gab ihnen Mut, der ihnen am Tag fehlte. Intensivierte jegliche Empfindungen und verzerrte die Sicht bis ins Geheimnisvolle. Ich selbst verspürte die merkwürdige Anziehung der Dunkelheit nur allzu oft, ein weiterer Grund, warum es mich nach Sonnenuntergang oft an Deck zog. Ersterer Grund war bisher nicht zu uns gestoßen, was mich nicht weiter verwunderte. Sie hatte es kaum erwarten können, die Devil zu verlassen und streunte vermutlich noch neugierig durch die Gegend. Und obwohl ich mich schon ein bisschen sorgte, bemühte ich mich, mir nichts ansehen zu lassen. Die ganze Zeit hatte der Captain kein Wort über die prekäre Situation heute Morgen verloren. Sein Blick hatte genügt, um mir klarzumachen, was er davon hielt. Dass er mich ausdrücklich davor warnte, weiter zu gehen, weil er irgendwann seine Sympathie für mich vergessen würde. Das wollte ich nicht erleben. Er mochte jünger sein als ich, dennoch um ein Vielfaches stärker. Es war ein beklemmendes Gefühl, mit dem schweigenden Berg herumzuziehen. Mir war klar, woran er dachte und dass ich darin verwickelt war, erleichterte unser Verhältnis nicht unbedingt. Dabei war doch so offensichtlich, dass Solekks ganze Aufmerksamkeit nur ihm galt. Wie konnte er das übersehen? Zugegebenermaßen war der Anblick, der sich Kid auf dem Schiff geboten hatte, ein wenig zweideutig, doch verdammt, die Kleine hatte sich nichts dabei gedacht. Und ich hätte es nie gewagt, sie anzufassen. Einerseits, weil es nicht ihre Absicht war, mir auf diese Weise näher zu kommen und andererseits, weil ich mich nicht mit meinem Boss anlegen wollte. Er hatte uns allen klar gemacht, dass das Mädchen in Ruhe zu lassen war. Warum, das stand fest. Und ich könnte schwören, dass seine Gedanken auch jetzt wieder an ihr klebten. Er hatte ihr kommentarlos den Freigang gelassen und sie keines Blickes gewürdigt, als sie flugs von Bord verschwunden war. Zu stolz, um auch nur ein Wort zu verlieren. Die Bar, in der die Crew wieder zusammenkommen wollte, war keine solche Spelunke wie manch' anderer Laden hier. Zwar konnte auch hier kaum die Rede von einer anständigen Lokalität sein, aber zumindest war es gemütlich und nicht allzu dreckig. Die kleine Truppe, die um den Captain geblieben war, suchte sich eine in Dämmerlicht getauchte Sitzecke im großen Gastraum und bestellte raue Mengen an Bier und Rum. Obwohl wir bereits in ein paar Kneipen zuvor den ein oder anderen Humpen gehoben hatten, waren wir alle noch ziemlich nüchtern. Kerle wie wir konnten eben ordentlich was ab. Bald gesellten sich die ersten Damen zu uns, ansehnliche, junge Dinger mit engen Miedern und hoch gepresstem Vorbau. Sie waren allesamt gut geformt und hübsch zurechtgemacht. Dunkle Augen, rote Lippen und Lockenmähnen in den unterschiedlichsten Farben schmückten sie wie Angebotstafeln. Jedem stand die Wahl frei, welches Mädchen ihn für diesen Abend beehren sollte und an den Preis wurde vorerst kein müder Gedanke verschwendet. Besonderes Interesse schien am Captain vorzuherrschen. Es musste an seiner Statur, an seiner Ausstrahlung liegen, die ihnen einen reizvollen Abend versprach. Obwohl er ziemlich mies gelaunt dreinblickte, amüsierten sich die Hühner über jedes seiner raren Worte köstlichst und umgarnten ihn ohne Unterlass. Dass sich dabei stets mindestens zwei an seine Seiten schmiegten, störte keinen der Beteiligten. Kid nahm es hin und die Ladies stachen sich gegenseitig aus im Kampf um den großen, kühlen Piraten. Witterten ein hervorragendes Geschäft und waren sich dabei für nichts zu schade. Ich hielt mich im Hintergrund und beobachtete das Ganze. Die aufgedrehten Dirnen hatten recht schnell das Interesse an mir verloren und so genoss ich meine Ruhe. Ich hatte meinen Teil heute schon hinter mir und auch wenn es nicht berauschend und die Dame nicht ganz nach meinem Geschmack gewesen war, war ich erst einmal zufrieden. Das hatte einfach sein müssen. Ich war ja auch nur ein Mann. Nach einer knappen halben Stunde kam die beleibte Kellnerin mit den verlangten Getränken und stellte sie schnaufend auf dem niedrigen Tisch in der Mitte ab. Ihr Blick huschte zum Captain und sogleich war ihr klar, wen sie da vor sich hatte. Augenblicklich zuckte der Respekt durch ihre Glieder. Ihre Haltung veränderte sich merklich und mit vorbildlicher Freundlichkeit wünschte sie uns einen guten Abend und entfernte sich rasch. Fragte nicht nach Bezahlung, auch wenn wir vermutlich nicht vorhatten, die Zeche zu prellen. Geld war da. Kid hatte ein hübsches Sümmchen mitgehen lassen, als er Solekk gestohlen hatte. Sie war echt was wert. Ach, wenn man vom Teufel sprach. Soeben schwang die Tür auf und trug einen kleinen Hauch kühle Nachtluft durch das Lokal, der viel zu schnell von der warmen, belebten Atmosphäre erstickt wurde. Die Kleine betrat die Bar langsam und gelassen. Sie trug noch immer die Kleidung von heute Morgen, offenbar war sie noch nicht zu den geplanten Einkäufen gekommen. Dass sie in den verwaschen-blauen Shorts und dem schwarzen Hemd, das sie bis zur Taille hochgebunden und oben wirklich großzügig geöffnet hatte, nicht fror, war ein Wunder. Schließlich waren die Temperaturen draußen zwar angenehm, aber nicht gerade karibisch. Das gewellte, dunkelbraune Haar lag über einer Schulter und war ihr leicht ins Gesicht geweht worden. Einzelne Strähnen bildeten einen starken Kontrast zu ihrer hellen Haut. Die Augen funkelten dunkel darunter hervor und entdeckten erfreut den Tresen. Wie ein Schatten, unberührbar und geschmeidig, bewegte sie sich durch den gut gefüllten, geschäftigen Schankraum darauf zu und musterte links und rechts die Gäste. Sie wirkte sicher und routiniert, als hätte sie nie irgendwo anders hingehört und verbarg dennoch nicht ihre Außergewöhnlichkeit. Sie unterschied sich auf eine undefinierbare Weise von den anderen, durch ein Gemisch ihrer Bewegungen und Blicke, durch ihren Stil und ihr Temperament, das man ihr mit jedem Schritt anmerkte. Die Art, wie sie war, darin lag etwas Besonderes. Gebannt verfolgte ich ihren Weg durch die laute, volle Kneipe und ließ keinen Zentimeter ihres Körpers aus dem Blickfeld. Sah zu, wie sie sich an die Bar begab und sogleich bedient wurde. Es bedurfte nur eines kurzen Lächelns und schon erfüllte man ihr ihren Wunsch nach einem großen, schweren Krug. Zufrieden hob sie das Getränk vom Holz der Theke und sah sich um. Keinen Atemzug später hatte sie uns in der Unordnung des Gastraumes ausgemacht und kam herüber. ~ Killers blonde Haarpracht fiel selbst im gedimmten Licht im „Trigger“ schon von Weitem auf. Er hockte an der raumzugewandten Seite eines Séparées, in dem sich vermutlich eine Sitzecke und der Rest meiner Crew verbarg. Gefunden. Ein merkwürdig warmes, beruhigendes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Ob das der Alkohol war oder das Wissen, wieder in den sicheren Händen meiner Mannschaft zu sein, konnte ich nicht mit Bestimmtheit feststellen. Und wo war Kid? Die feuerrote Mähne meines Captains hätte mir doch bei seiner Größe als Erstes ins Auge fallen müssen, aber es war nichts zu entdecken. Wahrscheinlich verbargen ihn die hohen Holzwände, die das Abteil vom übrigen Raum absonderten. Im Gehen nippte ich an meinem übervollen Krug Rum. Es war ein milder Brauner mit fast süßlicher Note, dem dennoch nicht das angenehme Brennen im Nachgeschmack fehlte. Über den Rand des Humpens hinweg schaute ich Killer an und versuchte ein Lächeln, welches gründlich daneben ging und mir ein nass-klebriges Rinnsal besten Rums über die Brust in den Ausschnitt bescherte. Ich setzte ab und lachte kopfschüttelnd, während ich mich meinem amüsierten Nakama näherte. Weitere Crewmitglieder tauchten in meinem Blickfeld auf und ich nickte ihnen prostend zu, bevor ich mich daran machte, den Flüssigkeitsstreifen auf meinem Dekolletee trocken zu reiben. Verdammt, das ging aber wirklich schlecht weg. Die Augen noch immer fest auf die Beseitigung meines Missgeschicks gerichtet, trat ich schließlich an unseren Tisch. „Hast du dich bekippt?“, fragte Killer neckend. Das wusste er doch ganz genau, dachte ich innerlich grinsend. Ich hörte das tiefe, wohlwollende Gelächter von Heat und Wire und schmunzelte nun selbst. Dann mischte sich etwas Ungewohntes dazwischen. Kindliches Kichern und helles Lachen von jungen Frauen, unmittelbar vor mir. Ich schaute auf. Und hätte fast meinen Krug fallen lassen. Unglaublich! Wollte er mich verarschen? Das war doch nicht zu fassen. Dieses Arschloch. Meine Gesichtszüge nur mit äußerster Mühe kontrollierend, starrte ich auf das Bild, das sich mir hier gerade bot. Da saß er, selbstgefällig und desinteressiert, in einer Horde von wunderschönen Huren, die ihn förmlich umkreisten wie kleine Planeten die Sonne. Keine der Damen hatte nicht mindestens ein Hand auf ihm oder lächelte ihm schmachtend zu. Und er sah mich einfach an. Mit fast trotzigen Augen und ohne auch nur einmal mit dem Mundwinkel zu zucken. Ich presste die Kiefer aufeinander und knirschte hörbar mit den Zähnen. Das Geräusch ging glücklicherweise unbemerkt in der Unruhe unter. Fest verbissen sich meine olivgrünen Augen in seine goldfunkelnden und fixierten sie sekundenlang. Wir durchbohrten uns gegenseitig mit Blicken, während lautlos unsere gewaltigen Wogen ineinander brandeten und alles unter sich begruben. Über mich hinweg tobten und drohten, mir die Beine wegzureißen. Ich blinzelte fassungslos und löste meine Starre, bevor sich das Ganze zu lange hinzog. Unverfänglich mochte es vielleicht nicht einmal auf Außenstehende gewirkt haben, doch das kümmerte mich jetzt nicht. Mir konnte egal sein, was diese attraktiven Dirnen dachten. Oder die Crew. Ohne ein Wort oder einen weiteren Blick sank ich abwesend an Ort und Stelle auf dem Kissen neben Killer nieder und gab mir Mühe, meine Beherrschung zu bewahren. Die Fassade wieder aufzubauen, die ich noch so gut von früher kannte und die in diesem Moment wie in keinem zuvor einer Mauer, einem Schutzwall glich. Ich fühlte mich, als hätte man mir einen Dolch in die Brust gejagt. GESCHOCKT. TAUB. LEER. Ich blutete stumpf vom Erschrecken still in mich hinein. Schaute weg, in die Mitte des Schankraumes. Auf den Boden, auf die Tische mit den unzähligen Gläsern und Bechern, auf die Gäste. Alles schien fern, eingehüllt in gedämpftes Rauschen und unwichtig. Nichts konnte sich in mein Bewusstsein stehlen, denn das Bild des Mannes, für den ich mehr zu fühlen mir zuvor schweren Herzens hatte eingestehen müssen, brannte darin wie Säure. Wie er all diese Mädchen im Arm hielt und mich dabei eiskalt ansah. Wie konnte er das tun? Ahnte er denn nicht, was in mir vorging? War es ihm gleichgültig? Oder tat er mir vielleicht sogar absichtlich weh? Für endlose Minuten raste meine Gedankenachterbahn mit mir in die Tiefe. Ich hielt mich hilflos, wie traumatisiert an meinem Krug fest und regte mich keinen Zentimeter. Starrte mit leerem Blick auf das nun grotesk erscheinende Schauspiel der ausgelassenen, betrunkenen Barbesucher und fühlte den erst feinen Schmerz sich immer tiefer und sengender in mich hinein bohren. Ich näherte mich unerbittlich dem Abgrund. Warum hat er das gemacht?, hämmerte es gegen meinen Schädel und ich erwartete mit jedem Atemzug, innerlich zerschmettert zu werden. Aber nichts geschah. Ich war einfach plötzlich tot, ganz kalt und gefühllos. Sah die Welt an mir vorbeiziehen, wie sie alle soffen und sich amüsierten. Es war mir egal. So wahnsinnig egal. Was sie taten, worüber sie sprachen, wer sie waren. Sie waren bedeutungslos. Alle gleich. Sie alle. Auch er. Letztendlich enttäuschte er mich also doch. So schmerzhaft. Er verletzte mich. Und das würde er noch zu spüren kriegen. Der reanimierende Impuls zornigen Schmerzes flammte in mir auf, wurde zu Trotz, letzter Reflex des kümmerlichen Herzens, das sich zu retten versuchte und ich gab ihm nach. Folgte seinem fordernden Schlag, der sich langsam beschleunigte und in Rasen überging. Das Blut heiß und böse in meine Adern trieb und die unbändige Gier nach Rache entfachte. Man spielte nicht mit mir! Den heftigen Schock abschließend verdauend setzte ich den Rum an die Lippen und kippte einige brennende Schlucke meine Kehle hinunter. Die Stimmen um mich herum, das Geplapper und Gegacker der Mädchen und das gegrummelte Gespräch der Crew blendete ich völlig aus. Da stand ich jetzt drüber. In mir herrschten gekränkte Taubheit und eine seltsam beflügelnde, gleichmütige Erhabenheit. Arroganz. Sollte er tun, was er wollte, dachte ich schnaubend. Aber vorführen ließ ich mich nicht. Dazu war ich zu stolz. Und zu verletzt. Betont desinteressiert schweifte mein Blick durch den Schankraum. Betrachtete das Treiben, das Kommen und Gehen der Gäste, allein, in kleinen Gruppen oder zu zweit, um der Nacht zu frönen. Die Nacht. Sie war mir jetzt willkommener denn je und lockte mich in ihre vertraute Kühle. Mit einem vielsagenden, verabschiedenden Blick auf Killer schickte ich die letzte, brennende Straße Rum meinen Schlund hinab und stand auf. Ging ohne zu zögern auf die Tür zu und verließ die dämsige, überfüllte Kneipe. ~ Ich schaute Solekk hinterher, bis ihre keinerlei Unsicherheit verratenden Schritte sie in die Dunkelheit hinaus führten. Oh man, für diese Situation gerade eben war 'unangenehm' noch gar kein Ausdruck. Die Männer hatten kaum darauf geachtet, aber weder mir noch meinem gefrusteten Captain war entgangen, wie die Kleine auf die anwesenden Huren reagiert hatte. Das Problem lag dabei leider nicht an den Persönlichkeiten der jungen Damen oder gar an ihrem schmutzigen Geschäft. Nein, es war die Tatsache, dass ausgerechnet er sich von ihnen umgarnen ließ. Das Mädchen war unsäglich verletzt. Es hatte sie hart getroffen, regelrecht gequält, mitansehen zu müssen, wie die fremden Hände Kid streichelten und berührten, wo sonst nur sie ihn anfassen durfte. Ich kannte sie gut genug, um ihr die heftige Kränkung anzumerken. Mitverfolgen zu können, wie erst Fassungslosigkeit, hilflose Verlorenheit und schließlich trotziger Stolz über sie hinweg schwappten und sie innerhalb von Minuten ganz für sich vereinnahmten. Ich sorgte mich jetzt mehr denn je um sie. Zwar war sie in der Nähe, aber ihr Schmerz und nicht zuletzt der Alkohol würden sie nur allzu schnell in eine riskante Situation bringen. Ja, sie hatte schon vorher getrunken. Es war deutlich zu riechen zu gewesen, als sie an den Tisch trat. Neben dem frischen, just ihren Ausschnitt hinab geronnenen Rum war da noch eine scharfe Note, die von ihr selbst ausging. Das, was sie bereits intus hatte. Hoffentlich fand diese Nacht kein schlimmes Ende. Unter meiner Maske biss ich mir auf Lippe und schaute zu Kid hinüber. Er saß noch immer da wie gehabt, völlig regungslos und ließ die Schmeicheleien der leichten Mädchen über sich ergehen. Sie kümmerten ihn nicht, nicht dieses Mal, denn eine andere spukte in seinem Kopf umher. Ich konnte es sehen. Sein Blick fixierte noch immer die Tür, durch die die Kleine gerade verschwunden war und trotz dass er sein Ziel erreicht und ihr wirklich weh getan hatte, breitete sich keine Genugtuung in seinem Gesicht aus. Wahrscheinlich fühlte es sich nicht halb so gut an wie gedacht. Ich war mir sicher, dass er das absichtlich getan hatte. Selbst wenn er aufgrund jüngster Ereignisse daran zweifelte, dass sie nur Augen für ihn hatte, war ihm doch irgendwie bewusst, dass es sie stören würde, ihn mit den anderen Frauen zu sehen. Stören', ha! Ich schnaufte leise. Was Solekk da gerade erlebt hatte, störte sie nicht nur. Es erschütterte sie. Ganz durchschaubar war mir das Verhältnis meines Captains mit dem Mädchen zwar noch nicht, aber dass es mehr damit auf sich hatte als Sex, war doch offensichtlich. Warum setzte Kid das so leichtfertig aufs Spiel? Wie konnte er nicht sehen, dass sie ihn vielleicht sogar liebte? Sicher war er der Boss und es stand ihm mehr zu als allen anderen, aber Gefühle konnte er selbst mit der Chefkarte nicht einfordern. Er musste vorsichtiger sein mit diesem jungen, wilden Ding, sonst kehrte sie ihm den Rücken und biss ihm im Schlaf die Kehle durch. Nicht, dass ich sie für böse oder feige hielt, aber klug war sie. Und Hinterlist ihre einzige Chance, sich an dem übermächtigen Kraftprotz zu rächen und zu entkommen. Zu überleben. Darüber hinaus war es auch nicht Kids Leben, um das ich fürchtete. Verflucht, ich war so feinfühlig geworden, dass mir etwas am seelischen Zustand der beiden lag. Das gehörte sich bei Gott nicht für einen Massakersoldaten und doch... Ich seufzte und nippte an meinem Bier. Bei mir ging es mit dem Pegel noch, aber mein Captain liebäugelte nun schon mit dem dritten Krug voll süß-braunen Rum. Da war er doch wie sie: Brannte sich das Problem einfach mit dem Schnaps weg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)