Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 1: zu viel oder zu wenig Salz? -------------------------------------- 01 – zu viel oder zu wenig Salz? Kagome salzte nach. Ihr Bento gelang ihr heute Morgen nicht so vortrefflich wie üblich und sie war froh, dass sie immer einen kleinen Salzstreuer für derartige Notfälle bei sich führte. Glitzernde Kristalle regneten auf den Reis herab. Prüfend biss sie erneut von dem Reisbällchen ab, aber seine Würze genügte nun ihren Ansprüchen. Das wäre dann wohl das Maximum an unerwarteten Ereignissen, was sie für diesen Tag erwarten könne, ging ihr gelangweilt durch den Kopf. Dieser Tag würde genauso uniformiert, gleich und bedeutungslos sein wie der Vorherige. Routine hatte ihr Leben nun wieder fest im Griff, seit der Brunnen sich vor über einem Jahr nach der Zerstörung des Juwels der vier Seelen für immer geschlossen hatte. Sie war nun eine Oberstufenschülerin wie alle anderen auch. Es gab nicht mehr diese andere Welt mit ihren unzähligen Abenteuern und magischen Momenten. In diesen modernen Zeiten gab es keine Youkai und wahnsinnig gewordenen Welteroberer mehr. Und es gab auch keinen Hanyou mit plüschigen, weißen Hundeohren mehr an ihrer Seite. Diese farbenfrohe und manchmal etwas chaotisch anmutende Welt lag für immer verschlossen hinter dem Grund des Knochenfresserbrunnens. Es hatte einige Zeit gebraucht, bis sie wieder in ihr altes Leben zurückgefunden hatte. Sie hatte versucht Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um wieder fünfhundert Jahre in die Vergangenheit reisen zu können. Ihre Freunde fehlten ihr so sehr, sie hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt ihnen Lebewohl zu sagen. Ganz besonders fehlte ihr Inuyasha. Lange schon hatte ihr Herz für ihn geschlagen, doch immer lag der lange Schatten Kikyos über ihnen. Sie hatte es auf sich genommen trotzdem für ihn da zu sein und auf eine gemeinsame Zukunft nach dem Kampf gegen Naraku und das Juwel zu hoffen. Doch gerade als sie sich am Ziel ihrer Sehnsüchte wähnte und in einen innigen Kuss mit Inuyasha versank, riss das Schicksal sie auseinander und verbannte beide in ihre jeweilige Epoche. Irgendwann hatte sie aufgehört dagegen anzukämpfen und hatte sich in ihr Schicksal gefügt. Doch ihre Unbekümmertheit und ihren Frohsinn hatten stark gelitten. Sie war nicht mehr das naive Schulmädchen, das alles durch eine bonbonfarbene Brille sah und glaubte die Welt verbessern zu können. Sie war der Achtzehn nun näher als der Siebzehn und verzweifelte immer wieder an der Oberflächlichkeit und Beliebigkeit der Menschen um sich herum. Aber sie wussten es ja nicht besser, sie kannten nicht die Todesangst, die man einem hungrigen Dämon gegenüber verspürte. Es gab keine wirklichen Probleme in ihrem Leben, sie hatten alles, was sie brauchten oder meinten zu brauchen; niemand trachtete ihren Freunden nach dem Leben. Schultag an Schultag reihte sich, unterbrochen von einem Wochenende, das sie mit ihren besten Freundinnen verbrachte. Eben wie eine typische junge Frau ihrer Zeit. Aber in Momenten wie diesem wünschte sie sich einen großen Salzstreuer für ihr Leben. Ein bisschen Abenteuer und Aufregung, es musste ja nicht gleich die Wiederkehr Narakus sein. Das laute Klingeln beendete ihre Mittagspause und die trüben Gedanken und so packte sie ihr Mittagessen wieder ein und machte sich auf den Weg zurück in das Klassenzimmer. Fröhlich plappernd drängte sich die Klasse auf dem Gang. „Ey, Kagome! Du und ich und ein Kaffee nach der Schule?“, rief eine selbstbewusste, männliche Stimme durch den Gang. Aber die Angesprochene verdrehte nur genervt die Augen. Toshi, der Kapitän der Fußballschulmannschaft und berüchtigter Frauenheld, versuchte es schon eine ganze Weile sie zu einem Date zu überreden. Aber sie kannte seinen Verschleiß, er wechselte seine Freundinnen wie andere die Socken und sie hatte wenig Lust Teil seiner Sammlung zu werden. Finster blickte sie zu ihm herüber und entgegnete schnippisch: „Auch wenn du dich für das heißeste Wiener Würstchen hältst, ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass ich keine Lust habe! Zieh endlich Leine!“ Ihr kleines Wortgefecht hatte ein interessiertes Publikum gefunden, gebannt verfolgten sie die Blicke ihrer Freundinnen. „Ich verstehe nicht, warum sie jedem Jungen einen Korb gibt“, flüsterte Eri Yuka und Ayumi verschwörerisch zu. Heftiges Nicken bekräftigte ihr Unverständnis. „Seit sie wieder gesund ist, ist sie so verändert“, tuschelte Yuka weiter. „Ich versteh jedes Wort, ihr Tratschtanten!“, versuchte nun Kagome die Diskussion im Keim zu ersticken. „Aber Kagome, wenn du jeden abweist, wirst du am Ende nie jemanden finden!“, dramatisierte Ayumi weiter und brachte Kagomes Geduldsfaden in arge Bedrängnis. „Könnt ihr euch vorstellen, dass es Wichtigeres gibt als die Aufmerksamkeit von irgendwelchen Jungs? Und gerade Toshi… ihr zerreißt euch doch sonst das Maul darüber, wie respektlos er mit allen Mädchen umgeht! Und jetzt soll ich mich mit ihm treffen?“, wetterte Kagome. Jetzt war sie richtig in Fahrt. Verlegen sah Ayumi zu Boden. „Wir machen uns doch nur Sorgen um dich. Seit das mit deinem Freund in die Brüche ging, bist du so anders….“ „… und da dachten wir, besser Toshi als gar keiner“, sprang Eri ihrer Freundin bei. Kagome atmete einige Male tief durch und versuchte ihre Clique nicht anzuschreien. „Zum letzten Mal: Mir geht es gut, ich will mich auf das Wesentliche konzentrieren und selbst wenn Toshi der letzte Mann auf Erden wäre… Nein!“ Die drei Mädchen standen vor ihr wie Kinder, die sich eben eine Strafpredigt anhören mussten. Yuka versuchte das Ganze noch zu retten: „Wir haben es doch nur gut gemeint!“ Der nun ankommende Lehrer rettete sie in letzter Sekunde vor einem Wutanfall von Kagome, die auch dankbar war, dass diese sinnlose Debatte um ihr Liebesleben ein jähes Ende fand. Nachdem der Unterricht endlich ein Ende gefunden hatte, verabschiedete sich Kagome von ihren drei Freundinnen und machte sich auf den Heimweg. Sie ging die lange Straße hinab, an der viele Läden und Imbisse lagen. Tische standen auf der Straße vor den Cafés, an denen viele Schülerinnen saßen und den neusten Klatsch austauschten. Auch die ersten Erwachsenen hatten Feierabend und genossen die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres bei einem Eis im Freien. Das Stimmgewirr lag schwer in der Luft und dämpfte den Lärm der vielbefahrenen Straße, auf der sich Auto an Auto reihte. Aus den Küchen der Restaurants drangen die unterschiedlichsten Düfte nach draußen und ließen Kagome das Wasser im Munde zusammen laufen. Hoffentlich würde ihre Mutter heute Abend etwas Leckeres kochen nach diesem etwas enttäuschenden Mittagessen. Sie lief zügig immer weiter die Straße entlang, die den Schrein, den ihre Familie bewohnte, direkt mit der Schule verband. Das dichte Gedrängel der Leute zwang sie zu einem Hindernisparcours und immer wieder musste sie aufpassen nicht mit jemandem zusammen zu stoßen. Ein Piepsen drang durch das Getöse der Stadt und neugierig zog sie ihr Handy aus der Tasche. Eine SMS ihrer Mutter, zeigte das Display an. Sie hatte beim Einkaufen vergessen, dass das Salz alle war und bat Kagome auf dem Heimweg einen Schlenker am Supermarkt vorbei zu machen. Kagome lächelte schief. Das passte ja perfekt zu dem heutigen Tag. Aber auch wenn sie überhaupt keine Lust hatte und eigentlich direkt nach Hause wollte, musste sie den Umweg in Kauf nehmen, wenn sie das erhoffte Abendessen haben wollte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief den Weg zur Schule zurück. Das nächste Lebensmittelgeschäft lag noch ein Stück hinter der Schule. Im Laden musste sie ein wenig stöbern bis sie das Gesuchte gefunden hatte. Sie kaufte nicht so oft ein und wusste nicht, wo sich alles befand. Ihre Mutter hingegen ging jedes Mal mit einer schlafwandlerischen Sicherheit durch die Regale, wenn sie gemeinsam hier waren. Natürlich hatte sich vor der Kasse eine lange Schlange gebildet und die junge Frau sah aus, als wäre es ihr erster Tag. Konnte dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden, seufzte Kagome und gönnte sich einen Moment des Selbstmitleids. Er konnte. Als sie endlich den Supermarkt verlassen hatte, sah sie, dass Toshi ihr von weitem entgegen kam, leider genau aus der Richtung, in die sie gehen wollte. Wenn sie jetzt wieder auf ihn treffen würde, konnte sie sich seiner plumpen Sprüche sicher sein und ganz gewiss würde er sich wieder schmierig und unauffällig an sie heranpirschen. Das war nun wirklich das Letzte, worauf sie Lust hatte, wieder diesen Weiberhelden loswerden zu müssen. Noch hatte er sie nicht entdeckt, sie konnte sich also noch überlegen, wie sie ihm am besten aus dem Weg gehen konnte. Ein paar Meter vor sich fiel ihr ein Schild ins Auge, das an der Außenseite eines alten Gebäudes befestigt war. „Teehaus zum weißen Hund“, las sie auf dem verwitterten Holzschild. Die Schriftzeichen waren in einem antiken Stil in Weiß auf das dunkle Holz gemalt, aber der Zahn der Zeit hatte die Farbe an einigen Stellen verwaschen und so war der Schriftzug sehr ausgeblichen. Sie nahm prüfend das Haus in Augenschein. Es war eins der letzten Gebäude, das im traditionellen Stil gebaut wurde und noch nicht der Erneuerung des Stadtbilds zum Opfer gefallen war. Das ebenholzfarben lasierte Holz war noch viel älter und in die Jahre gekommen als das Holz der Reklametafel und die Wand ragte direkt neben dem Gehweg hinauf. Erst kurz unter dem Dachvorsprung, der elegant geschwungen darüber lag, waren einige schmale Fenster eingebaut. Unter dem Schild war ein kleines pagodenartiges Regendach, das den Eingang vor Wind und Wetter schützen sollte. Eine alte Laterne hing davon herab, die um diese Zeit noch nicht brannte und wog sich im leichten Wind. Sonst war die Fassade kahl, keine Verzierungen, kein Schmuck und keine Werbung für irgendwelche Getränke, wie sie an allen anderen Cafés angebracht waren. Hatte das Teehaus eigentlich geöffnet oder war es bereits aufgegeben, wunderte sich Kagome, denn es drang kein Laut aus dem Inneren ihr entgegen. So unglaublich einladend wie das Etablissement aussah, wäre es auch keine Überraschung, befand sie. Toshi näherte sich ihr weiter und gleich würde sie in seine Sichtweite kommen, wenn sie sich nicht rührte. Das unwirtliche Teehaus ohne Fenster war ideal um sich vor aufdringlichen Verehrern zu verstecken und so drückte Kagome kurzentschlossen die Türklinke herunter. Erleichtert stellte sie fest, dass es geöffnet hatte und huschte schnell durch die Tür in das Innere des alten Hauses. Beinahe verfing sie sich in einem schweren, dunklen Vorhang, der direkt hinter dem Eingang aufgespannt war und wohl die Kälte abhalten sollte. Der Wirt schien keinen Wert auf Gästekomfort zu legen, dachte Kagome. Vor ihr lag ein spartanisch eingerichteter Gastraum, der von dem wenigen Licht, dass durch die schmalen Fensterschlitze fiel, beleuchtet wurde. Die Hängelampen über den Tischen waren dunkel und sie konnte keinen Gast entdecken. Die Luft war vom Geruch kalten Rauchs geschwängert, der sich auch in Form einer gelblichen Patina an den Wänden festgesetzt hatte. Das war der Qualm von Jahrzehnten, hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Alles hier wirkte alt und renovierungsbedürftig. Die runden Tische hatten unzählige Scharten auf ihrer Oberfläche und die Stühle waren wild zusammengewürfelt. Keiner glich dem anderen. An den Wänden hingen alte Fotos der Stadt in vielen kleinen Rahmen. Wenige größere Bilder zeigten Kalligraphie in der gleichen altmodischen Schrift wie auf dem Schild über der Tür. Das Papier war trotz des schützenden Glas aber vergilbt. Am Ende des Raums war eine schlichte Theke, über der eine brennende Lampe von der Decke baumelte. Davor standen einige abgewetzte Barhocker, die aber auch verwaist waren. Kein Gast war zu sehen. Unsicher ging Kagome weiter in den Raum hinein und setzte sich auf einen der hohen Stühle an den Tresen. Weiter erkundete sie mit ihrem Blick den Raum. An der Wand hinter der Theke war ein Regal angebracht, in dem einige Teller und Tassen gestapelt waren. Auf dem obersten Boden standen einige Flaschen, deren Etiketten lange verblichen waren und deren Inhalt sich am zersetzen war. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass jemand davon getrunken hatte. Versteckt in der hintersten Ecke des Raums war ein kleiner Durchgang in den Rest des Hauses, der aber von einem Bambusvorhang verborgen wurde vor allzu neugierigen Blicken. Feine Rauchschwaden reizten ihre Nase. Sie kamen von einem überquellenden Aschenbecher, der auf dem Tresen stand und an dessen Rand eine halb gerauchte, brennende Zigarette glomm. Also hatte das Teehaus tatsächlich geöffnet und war nicht völlig verlassen. Sie würde der Höflichkeit halber eine Tasse Tee trinken und dann wieder gehen. Ihre Mutter erwartete sie daheim und Toshi wäre in der Zwischenzeit sicher weitergelaufen. Sie drehte sich mit dem Rücken zur Theke und besah sich weiter die mit Bildern vollbehangenen Wände und versank in der nostalgischen Atmosphäre des Raumes. Sie war so verzaubert, dass sie nicht mitbekam, wie sich der Bambusvorhang teilte und der Wirt an seinen Tresen zurückkehrte. Gelangweilt griff er nach seiner angefangenen Zigarette und nahm einen tiefen Zug. „Was willst du hier?“, sagte er genervt zu seinem unerwarteten Gast. Kagome war empört über die Unfreundlichkeit und noch bevor sie sich wieder umgedreht hatte, blaffte sie im selben Tonfall zurück: „Einen Tee, was denn sonst?“ Alle weiteren wütenden Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie die gelangweilt auf einen Ellbogen gestützte Gestalt am Tresen sah. Dort stand in einem schwarzen Hemd gekleidet niemand geringeres als Sesshoumaru, Herr der westlichen Länder und Daiyoukai der Hundedämonen, der seine Kippe in dem überbordenden Aschenbecher ausdrückte. Kapitel 2: Fragen, Antworten und wieder tausend neue Fragen ----------------------------------------------------------- 02 – Fragen, Antworten und wieder tausend neue Fragen Mit offenem Mund starrte Kagome unverhohlen den Daiyoukai an. Sesshoumaru schien sie nicht weiter zu beachten, denn er strich sich gelangweilt einige der langen Strähnen, die ihm in die Stirn hingen, nach hinten und griff nach einer verknitterten Zigarettenpackung in der Brusttasche seines Hemds. Aus halb geschlossenen Augen sah er dem Rauch der neuen Zigarette hinterher, der im Schein der Lampe durch die Luft waberte. Immer noch lehnte er auf den Ellenbogen gestützt auf der Theke. Doch plötzlich kam Bewegung in ihn und er streckte seinen Arm zu dem Regal hinter sich um ein verstaubtes, altes Radio anzuschalten. Knarzend durchschnitt es die peinliche Stille. Ungläubig musterte sie seine Gestalt. Sie konnte nicht fassen, wer da vor ihr stand, das konnte nicht real sein! Sie hatte so oft darüber nachgedacht, was aus ihm geworden sein könnte. Am ehesten konnte sie sich ihn immer noch als skrupelloser Boss eines internationalen Waffenhändlerrings vorstellen, denn es schien ihr am besten zu ihm zu passen. So hatte sie ihn damals kennengelernt: eiskalt, ohne Mitgefühl, machtversessen und mit einem tiefen Menschenhass in seinem Herzen. Und einen gewissen Hang zur körperlichen Auseinandersetzung war ihm damals auch zu Eigen. Aber der scheinbar geistig abwesende Mann ihr gegenüber war eindeutig Inuyashas Bruder, auch wenn er nichts mit ihrer Vorstellung gemein hatte. Nachdem sie den ersten Schock über das überraschende Wiedersehen überwunden hatte, nahm sie in weiter in Augenschein. Die obersten Knöpfe des schwarzen Hemds waren lässig offen und gaben einen dezenten Hinweis auf seine immer noch kraftvolle Statur. Die Ärmel waren nachlässig aufgerollt, der Stoff umhüllte locker seinen Körper. Weder an seinen Handgelenken noch in seinem Gesicht konnte sie die für ihn typischen Zeichnungen entdecken, die in der Vergangenheit seine edle Herkunft bezeugten. Das Antlitz hatte auch nach fünf Jahrhunderten nichts von seinem jugendlichen Esprit verloren, er schien keinen Tag gealtert zu sein. Allerdings war immer noch deutlich zu erkennen, dass er kein Mensch war. Die überirdische Makellosigkeit und spitzen Ohren verrieten ihn eindeutig als einen Youkai. Um den Hals baumelte ein ledernes Band mit einem Holzplättchen als Anhänger. Wie auch damals schon so oft schlugen seine Augen sie in ihren Bann. Sie hatten nichts von ihrem kalten, goldenen Glanz eingebüßt. Lang fiel ihm das silbrige Haar über den Rücken, das auf Höhe seiner Schulterblätter zu einem losen Zopf gebunden war. Sie hatte ihn sofort erkannt und doch war er nicht mehr der Dämon, den sie damals im Zeitalter der kriegerischen Staaten gesehen hatte. Sie war so völlig in ihre Beobachtungen versunken, dass sie nicht bemerkte, wie sie ihn anstarrte. Seine Finger trommelten den Takt der Musik auf dem Tresen mit. „Hast du endlich genug?“, knurrte er sie schließlich latent genervt an. Ertappt zuckte Kagome zusammen und suchte hektisch nach einem Punkt auf dem Boden, den sie mit ihrem Blick fixieren konnte. „Du hörst Cash?“, fragte sie plötzlich, als die Musik aus dem Radio ihr bewusst wurde. Super gemacht Kagome, schalt sie sich innerlich. Da siehst du nach Ewigkeiten den ersten Dämon und die erste Frage, die du ihm stellst, ist nach seinem Musikgeschmack! Seine linke Augenbraue bewegte sich leicht nach oben, sonst aber zog er es vor ihre Frage zu ignorieren. Um die Stille zu verhindern, die sich sonst wieder über den Raum legen würde, begann sie nervös los zu plappern: „Hätte ich nicht gedacht, dass du sowas Modernes hörst. Aber irgendwie passt es ja schon zu dir.“ Eigentlich wollte sie schon längst ihren Mund halten, aber die Aufregung verhinderte es. Sie konnte nur noch hoffen, dass sie den heutigen Nachmittag überleben würde. Und das meinte sie nicht im übertragenen Sinne, sondern sehr wörtlich! „Würde es eher deinen Erwartungen entsprechen, wenn ich dieses überdrehte Gequietsche hören würde, das heute alle zu hören scheinen?“, sagte er ruhig zwischen zwei Zigarettenzügen. Seit wann war er sarkastisch? Jetzt war sie endgültig überfordert mit der Situation. „Nein nein“, wiegelte sie schnell ab, „Ich hätte gedacht, dass du alte, traditionelle Musik hörst.“ Die Augenbraue hob sich weiter bedrohlich. „Weil ich auch alt bin? Ist es das was du damit sagen willst?“ Jetzt hatte er sein zur Schau gestelltes Desinteresse abgelegt und fixierte sie mit seinem Blick. Seine Stimme wurde bei den letzten Worten schärfer. In was für eine Situation hatte sie sich da nur manövriert? Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatte ihn provoziert und sie erinnerte sich daran, wie er gewöhnlich mit Menschen verfuhr, die ihn reizten. Eigentlich konnte sie ihre Situation nicht weiter verschlimmern, also konnte sie diese Unterhaltung auch weiterführen. Es würde nichts an ihrem Schicksal ändern. „Du bist nicht alt, so war das nicht gemeint. Naja, aus Menschensicht schon….“ Noch bevor er darauf reagieren konnte, senkte sie reumütig den Kopf. „Es tut mir leid. Ich sollte keine Vermutungen über dich anstellen“, sagte sie resigniert. Hatte er es überhaupt gehört? Er schwieg immer noch, aber davon ließ sich Kagome nicht beirren und verharrte weiter still in ihrer demütigen Haltung. Das Klicken des Feuerzeugs ließ sie vorsichtig ihren Blick heben. „Dieses Shamisengejaule konnte ich schon damals nicht ertragen. Irgendwer war aber der Meinung, dass es kultiviert wäre.“ Belustigt sah er auf die junge Frau und genoss ihre Angst und die Verwirrung, die seiner Antwort folgte. Fassungslos mit offenem Mund sah ihn Kagome an. Er antwortete ihr? Er schlug ihr nicht den Kopf von den Schultern? „Mach den Mund zu, sieht intelligenter aus“, murmelte er und verfiel wieder in seine gelangweilte Attitüde. Jetzt war Kagomes Neugier entflammt! Was war mit ihm geschehen, dass er so ruhig blieb und sich auf bissige Bemerkungen beschränkte? War er immer noch derselbe Youkai wie vor fünfhundert Jahren? Und auch erst jetzt fiel ihr auf, dass er sich an sie erinnerte! Die vertraute Anrede und die Tatsache, dass er sofort genervt war, ließen keinen anderen Schluss zu. „Du weiß noch wer ich bin? Du erinnerst dich an alles, was damals war?“, platzte es aus ihr heraus. „Du hast ja damals einen unübersehbaren Eindruck hinterlassen, auch wenn ich es gerne vergessen würde. Du bist das merkwürdige Menschending, das meinem Nichtsnutz von Halbbruder hinterhergerannt ist“, beantwortete er ihre Frage. Pikiert stellte sie fest: „Kagome. Mein Name ist Kagome Higurashi und nicht merkwürdiges Menschending.“ „Meinetwegen auch das.“ Er blies den Rauch weit von sich und umnebelte sie damit. „Lass das, das ist eklig!“, hustete Kagome. „Seit wann rauchst du eigentlich?“ Er rollte gedankenverloren den Stummel zwischen seinen Fingern bevor er ihn im Aschenbecher versenkte. „Seit über hundert Jahren.“ Belehrend zeigte sie auf die inzwischen auf der Theke liegende Packung. „Weiß du nicht, dass das total ungesund ist?“ „Mein Vater muss wohl vergessen haben es mir zu verbieten“, rechtfertigte er sich. „Ich meine das ernst!“, ereiferte sie sich weiter, „Du kriegst sonst bald Krebs!“ Seine Schultern bebten als Sesshoumaru leise in sich hinein lachte. Mit einer wegwerfenden Geste meinte er: „Pshaw, ihr Menschen vielleicht. Ich aber nicht.“ Er setzte seinen bewährten düster funkelnden Blick auf und zischte herausfordernd: „Oder willst du es mir verbieten, Menschlein?“ Diesmal sprang Kagome nicht auf darauf an und blieb ruhig. „Immer noch was Besseres, Youkai?“, meinte sie trocken. „Daiyoukai. Wir wollen doch bei den Fakten bleiben“, stellte er richtig. Richtig, bemerkte sie in Gedanken, was war eigentlich aus seinem Titel als Herr des Westens geworden? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Dämonenherrscher von dieser Spelunke aus sein Reich regierte. Die Neugier brachte ihre Augen zum Leuchten, sie hatte oft schon darüber gegrübelt, was aus ihm geworden sein könnte. Und jetzt hatte sie die einmalige Gelegenheit Antworten auf ihre unzähligen Fragen zu bekommen und die würde sie sich nicht nehmen lassen! „Bist du noch immer Herr über die westlichen Länder? Ich meine, du bist ja nach eigener Aussage noch immer ein Daiyoukai.“ Plötzlich verfinsterte sich seine Miene, sein Blick glitt in die Ferne. Seine Gestalt schien irgendwie zu schrumpfen und die unbeeindruckt gelangweilte Haltung wich Resignation. Er wirkte in sich gekehrt, tief in Gedanken oder Erinnerungen versunken, die durch die Frage aufgewirbelt wurden. Unbewusst wanderte seine Hand suchend über den Tresen, bis sie das Gesuchte fand. Sekunden später zog er wieder gierig den Rauch in sich und hüllte seine Gedanken darin ein. Hatte sie da einen wunden Punkt getroffen? Schließlich entschloss er sich zu einer Antwort. „Nein, bin ich nicht mehr.“ „Warum?“ Jetzt wurde es spannend. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagte er und zuckte leicht mit den Schultern. „Du bist kein Daiyoukai mehr?“ Die Frage brachte die Schärfe in seinen Blick zurück, sie schien ihn zu empören. „Man wird als Daiyoukai geboren. Man stirbt als Daiyoukai. Das hat nichts mit irgendwelchen Titeln zu tun“, sprach er ernst. Kagome stützte sich nun mit ihren Ellenbogen auf der Theke ab und bettete ihr Kinn auf ihre Handflächen. Ihre Gedanken rasten. Wie hatte er seine Herrschaft verloren? Wegen eines anderen Dämon? Oder waren daran die Menschen schuld? Aber wenn er immer noch ein Daiyoukai war, dann hätte er sich ja dagegen wehren können. Sesshoumaru war nach wie vor ein Rätsel, das hatte sich in all der Zeit nicht geändert. Jede Antwort auf eine Frage erzeugte tausend neue Fragen. Aber so interessant das alles war, sie musste besonders bei diesem Thema vorsichtig sein. Es schien eine offene Wunde zu sein und sie wollte nicht riskieren, dass er die Beherrschung verlor. Sie beschloss daher erst einmal das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Wieso ein Teehaus? Ich hätte vieles erwartet, aber nicht, dass du Wirt eines Teehauses wirst“, fuhr sie mit ihrer Befragung fort. Interessiert legte er den Kopf leicht schief und sah sie an. „Ach, was würde denn deiner Meinung nach besser zu mir passen?“ Kagome ahnte, dass es sich um eine Fangfrage handelte und er sie wieder verhöhnen würde. Aber damit kam ihr Ego klar, solange sie nur mehr über ihn erfuhr. „Ich hätte gedacht, dass du immer noch der Schrecken der Menschheit bist. Ich könnte mir dich gut als Kopf eines Waffenhändlerrings vorstellen. Oder als Vorstandsvorsitzender irgendeines skrupellosen Konzerns. Irgendwo an der Spitze eben.“ Er verschränkte die Arme und richtete sich zum ersten Mal zu seiner vollen Größe auf. „Ich stehe an der Spitze dieses Teehauses!“, sagte er ernst und feierlich um die Würde und Wichtigkeit dieser Position zu unterstreichen. Sie brach in schallendes Gelächter aus. Sein trockener, schwarzer Humor war eine neue Seite an ihm, die sie mochte, auch wenn er sie damit triezte. Was hatte er wohl erlebt, dass er so sarkastisch und zynisch wurde? Aber trotz des gelungenen Witzes erlaubte sie ihm nicht sich so einfach aus der Affäre zu ziehen. „Im Ernst, warum? Du könntest so viel tun mit deinen Fähigkeiten. Warum verkriechst du dich hier vor der Welt?“ „Wie kommst du darauf, dass ich mich verkrieche?“ Sie zeigte mit ihren Armen durch den Raum und stellte stumm ihre Frage mit einem vorwurfsvollen Blick. Er antwortete zunächst ebenso tonlos, indem seine linke Augenbraue wieder nach oben schoss. „Nur weil du hier keine Menschen siehst, heißt das nicht, dass ich mich verkrieche“, führte er dann verbal das Gespräch weiter. „Du legst aber auch offensichtlich keinen Wert darauf, dass sich jemand hierher verirrt“, stellte Kagome spitz fest. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte daraufhin seine Lippen. „Stimmt.“ Er verbarg irgendetwas vor ihr! Aber sie würde es schon herausbekommen, da konnte er sich sicher sein. Energisch warf sie sich in Pose und wollte ihm seine Geheimniskrämerei vorhalten, doch sie kam nicht dazu. Er beugte sich leicht vor und das kalte Gold seiner Augen durchbohrte sie. „Das waren genug Fragen. Du gehst jetzt endlich, sonst werde ich nicht so geduldig bleiben“, drohte er ihr. Diesmal war es definitiv kein Spielchen, das spürte sie. Das meinte er verdammt ernst. Sie wunderte sich über den plötzlichen Sinneswandel in ihm, aber sie wagte nicht sich ihm zu widersetzen. Sie würde wiederkommen und weiter das Mysterium Sesshoumaru erforschen! Das war genau das, was ihr in ihrem Leben gefehlt hatte und sie würde es nicht einfach so aufgeben. Sie wusste jetzt, dass er überlebt hatte und wo er zu finden war, also konnte sie sich dieses Mal zurückziehen. Vielleicht verriet er ihr das nächste Mal im Gegenzug etwas mehr über sich, wenn sie jetzt seine Grenzen respektierte und nicht nachbohrte. Sie stand auf und lächelte ihn an. „Ich bin froh, dass ich dich wieder getroffen habe, Sesshoumaru. Ich werde bald wiederkommen!“ Betont desinteressiert stellte er sein Radio lauter. „Lustig wie du ‚Ich werde für immer aus deinem Leben verschwinden‘ aussprichst.“ Zuhause lag sie erschöpft von einem reichhaltigen Abendessen in der Badewanne und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Sie hatte tatsächlich einen Youkai in ihrer Zeit gefunden und nicht nur irgendeinen. Der Daiyoukai des Westens Sesshoumaru hatte zwar viel von seiner einstigen Erhabenheit verloren und führte nun ein Teehaus und hörte schwermütige Musik, aber er hatte die Jahrhunderte überlebt. Welche Ereignisse hatten ihn gebrochen und zu diesem resignierten Zyniker werden lassen, der sich vor den Menschen zurückzog? Vielleicht konnte sie ihn ja wieder zu seiner vergangenen Größe aufrichten. Kapitel 3: die Reste einer stolzen Rasse ---------------------------------------- 03 – die Reste einer stolzen Rasse Nachdenklich drehte Kagome den Stift in ihrer Hand. Sesshoumaru hatte ihre Gedanken die letzten Tage beherrscht. Ständig grübelte sie über sein Schicksal, doch die wenigen Antworten, die sie bekommen hatten, halfen ihr bei ihren Bemühungen nicht weiter. Im Gegenteil, sie warfen nur neue Fragen auf. Er hatte überlebt, war nicht mehr der Herrscher der westlichen Ländereien und befand sich allem Anschein nach in einer tiefen Sinnkrise, die er wohl versuchte auszuräuchern. Anders konnte sie sich das Ketterauchen nicht erklären. Angewidert verzog sie das Gesicht bei dem Gedanken, denn ihre Kleidung hatte noch Tage später den Geruch von kaltem Rauch nicht verloren. Gedankenverloren trommelte Kagome mit ihrem Stift nun auf dem Tisch. Was war nur passiert? Eine Hypothese nach der anderen erschien ihr blödsinnig… „Higurashi-san, ich habe Sie etwas gefragt!“ Die aufgebrachte Stimme ihres Lehrers brachte sie unsanft in die Realität zurück. Achja, richtig. Sie saß im Matheunterricht. Und so wie der Lehrer sie ansah, hatte er ihr eine Frage gestellt, die sie überhört hatte. „Herr Yamada, könnten Sie die Frage bitte wiederholen?“, fragte sie freundlich und hoffte, dass er ihre Unaufmerksamkeit mit bemerkt hatte. „Das habe ich bereits. Dreimal! Aber Sie waren zu sehr damit beschäftigt ihren Tagträumen nachzuhängen.“ Lautes Gelächter schallte ihr entgegen, die Klasse amüsierte sich königlich über ihre peinliche Blöße. Sie rutschte knallrot tief in ihren Stuhl und hoffte, dass sich möglichst schnell ein großes Loch im Boden auftun würde, in das sie dann versinken könnte. „Kommen wir zur nächsten Seite und vielleicht beehrt uns jetzt auch Higurashi mit ihrer geschätzten Aufmerksamkeit!“ Endlich war dieser Schultag zu Ende. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen sich die restliche Zeit davon abzuhalten wieder in Gedanken zu dem Youkai abzuschweifen, aber jetzt konnte sie sich wieder ganz auf sein Schicksal konzentrieren. „Kagome, was war denn los? Worüber hast du nachgedacht?“, kam es plötzlich von der Seite. Ayumi hatte sie am Arm zu sich gezogen und sah sie besorgt an. „Ach nichts, ich lese im Moment nur so ein spannendes Buch, das lässt mich nicht los“, flunkerte sie schnell. Yuka und Eri tauchten wie aus dem Nichts auch an ihrer Seite auf und unterzogen ihr Gesicht einer gründlichen Inspektion. „Du verheimlichst doch was! Wegen einem Buch bist du nie im Leben so abgelenkt!“, wurde sie von Eri in die Ecke gedrängt. Yuka tippte ihr energisch auf die Brust. „Gibs zu, du bist verliebt! So abgelenkt ist man nur, wenn man an seinen Schwarm denkt!“ Sie schaffte es irgendwie sich dem Zugriff der Drei wieder zu entziehen. „Nein, wieso kommt ihr denn auf sowas?“ Ayumi hatte inzwischen den Kopf nach hinten gelegt und dachte angestrengt nach. Ein Fingerschnippsen und sie stieß freudig aus: „Doch, es muss so sein! Deswegen hat sie auch Toshi den Korb gegeben, weil ihr Herz schon einem anderen gehört!“ Die Hühner konnten ihr wirklich den letzten Nerv rauben, stellte Kagome wehleidig fest. Mit einer perfekten Imitation Sesshoumarus eisigster Stimme beendete sie das Thema: „Habt ihr nichts anderes im Kopf? War es das jetzt mit eurem Verhör?“ Kichernd zogen die Mädels von dannen. „Wusst‘ ich es doch!“, war das Letzte, was zu hören war. So konnte das nicht weitergehen! Sie brauchte Antworten! Sehnsüchtig sah sie die Straße vor der Schule hinab. Da am Ende war das Teehaus versteckt. Drei Tage waren seit ihrem unerwarteten Wiedersehen vergangen. Konnte sie es schon wagen ihn wieder zu besuchen? Schließlich seufzte sie ergeben und ihr Entdeckergeist bemächtigte sich ihrer Beine, die sie von ganz allein in Richtung des weißen Hundes trugen. Sie drückte die Türklinke hinab und kämpfte sich durch den Vorhang, dann stand sie mitten im Raum und wusste nicht, wie sie sich weiter verhalten sollte. Sesshoumaru saß mit einem anderen nicht menschlich erscheinenden Mann an einem der Tische bei Tee und beide blickten erstaunt zu ihr herüber. Sie hatten sich beide über den Tisch gelehnt und einen Gegenstand betrachtet und schienen bis zu ihrem Eintreffen in ein Gespräch versunken gewesen zu sein. Jetzt sahen beide den Eindringling feindselig an. „Was hat das Menschenweib hier verloren?“, brüllte der Unbekannte erbost. Dröhnende Stille breitete sich im Gastraum aus und die Luft war erfüllt von einem erwartungsvollen Knistern. Sie wusste nicht, wie lange sie versteinert in der Tür gestanden hatte, unfähig auch nur einen Ton von sich zu geben. Immer wieder sah sie den Mann entsetzt an. Eine untersetzte Figur, das krause, lange Haar lag in einem Kranz um seinen Kopf und das feiste, aufgedunsene Gesicht war von einem struppigen Dreitagebart umrahmt. Die Augen standen hervor wie bei einem Fisch und lagen zu weit auseinander, was verhinderte, dass man ihn im Entferntesten auch nur schön nennen konnte. Die schiefen, gelben Zähne vervollständigten dieses Bild. Der runde Körper war in eine Art Kimono gehüllt, der aber so unordentlich gebunden war, dass er wie ein Bademantel aussah. Der braune Stoff war an vielen Stellen abgewetzt und die ersten Nähte lösten sich auf. Darunter schien ein speckiges Unterhemd durch, das vor Dreck starrte. Die armselige Erscheinung fand ihren Höhepunkt in einer grauen Jogginghose und ausgetretenen Slippern. Doch das abstoßende Äußere des Mannes war nicht das, was sie so schockierte. Seine Augen! Er hatte schwarze Knopfaugen und an seiner Kehrseite blitzte ein haarloser Schwanz unter dem Kimono hervor. War das etwa… ein Rattendämon? „Krieg dich ein, Babanuki, sie wird dich nicht verraten“, versuchte Sesshoumaru die Situation zu entschärfen. Es passte ihm zwar überhaupt nicht, dass das vorlaute Gör einfach so hier aufschlug, aber da Youkai ihr nicht unbekannt waren und sie den Mund halten würde, konnte er darüber hinweg sehen. Verstohlen sah der andere Gast zu Kagome und unterzog sie einer eingehenden Musterung. Als er diese gewissenhaft beendet hatte, schüttelte er fassungslos den Kopf. „Seit wann gibst du dich mit Menschen ab, Sesshoumaru? Was hast du mit einem Schulmädchen zu schaffen?“ Vorsichtig atmete Kagome aus, das Kritischste hatte sie überstanden. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie vor Aufregung die Luft angehalten hatte. Der Angesprochene hatte sich wieder sehr entspannt auf seinen Stuhl gesetzt und zündete sich gerade die nächste Zigarette an. „Mach die Augen auf, sie ist ‘ne Miko. Du bist nicht der erste Youkai, den sie sieht, also beruhig dich endlich und kümmer dich um deinen Kram.“ Prüfend und mit verschlagenem Blick sah Babanuki erst von Sesshoumaru zu Kagome und dann wieder zurück. „Was willst du mit einer Miko?“ Süffisant lächelnd und geheimnisvoll in seine Rauchschwaden gehüllt entgegnete er: „Es kann sehr nützlich sein eine Miko zu kennen. Und jetzt lass uns wieder über den eigentlichen Grund deines Besuchs sprechen.“ Was um Himmels Willen meinte er jetzt damit? Kagome hatte alle Mühe ihre Überraschung zu verbergen. Aber sie musste anerkennen, dass er die Situation gut gelöst hatte. Sie hätte überhaupt nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen, wenn er nicht das Wort ergriffen hätte. Endlich löste sich die Starre um ihre Beine und sie huschte an einen Tisch, um sich dort niederzulassen. Aus ihrer Schultasche zog sie ein Buch, das sie nun vorgab zu lesen und lauschte interessiert dem Gespräch der beiden Dämonen. Unauffällig sah sie auch immer wieder zu ihnen herüber, wenn sie sich unentdeckt wähnte. „Und? Was meinst du dazu?“, fragte die Ratte erwartungsvoll. Er rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Sesshoumaru nahm ein in ein Tuch eingeschlagenes Objekt und packte es langsam aus. Zum Vorschein kam ein merkwürdig verzierter Dolch. Prüfend betrachtete er die Waffe und drehte sie vor seinem Kopf, um alle Details in Augenschein nehmen zu können. Gier funkelte in den Augen des kleinen, dicken Mannes, als er flüsterte: „Ist es der legendäre Dolch der Fuchsdämonen?“ Der Inuyoukai wog den Gegenstand ein paar Mal in seiner Hand und runzelte die Stirn. Dann schlug er die flache Klinge mit Gewalt auf die Tischkante und der Dolch brach in der Mitte entzwei. „Bist du verrückt? Hast du eine Ahnung, was mich dieses Relikt gekostet hat?“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Babanuki auf die Bruchstücke. „Du hast dich mal wieder über den Tisch ziehen lassen. Das ist weder antik noch eine dämonische Waffe. Es ist eine billige Fälschung, völlig wertlos“, schnaubte Sesshoumaru verächtlich. Aufgelöst und den Tränen nah murmelte der so Gescholtene: „Aber… der Kerl hat mir versprochen, dass sie echt ist! Ich habe ein Vermögen dafür bezahlt!“ „Dann guck dir das nächste Mal vorher an, was du da kaufst. Das ist minderwertiger Stahl, es fehlt eigentlich nur noch der Aufdruck ‚Made in China‘.“ Niedergeschlagen packte der Betrogene die Bruchstücke seines Schatzes ein und verließ grußlos das Teehaus, nachdem er einige Münzen auf den Tisch klimpern ließ. Als sie wieder allein waren, konnte Kagome ihre Neugierde nicht mehr zügeln. „War das ein richtiger Youkai?“ Angewidert verzog der Daiyoukai das Gesicht, während er aufstand, das Geld in seine Hosentasche packte und sich wieder hinter den Tresen begab. „Wo denkst du hin? Er ist nicht mal ein Halbblut. Der letzte Rest seines Erbes als Nezumiyoukai verunstaltet nur seinen Körper.“ Sie rief sich alle Details des eben Erlebten nochmals vor Augen, um auch ja nichts Wichtiges zu übersehen. Nach einigen Augenblicken setzte sie ihre Befragung fort: „Was wollte er von dir? Bist du jetzt Experte für Antiquitäten?“ Er goss zwei weitere Tassen Tee aus der großen Kanne in zwei Tonbecher und schob einen zu der jungen Frau. „Das hättest selbst du gesehen, dass das Spielzeug war. Babanuki ist ein drittklassiger Hehler und verschwendet das bisschen Geld, das er hat, auf der Jagd nach angeblichen mystischen Dämonenwaffen. Er lässt sich regelmäßig übers Ohr hauen und glaubt, weil ich viele Youkai kenne, hätte ich ein Auge für die angeblich so berühmten Dinge, die er immer anschleppt.“ Überrascht sah sie auf die dampfende Tasse vor sich. „Was ist das?“ „Tee, was sonst? Das hier ist immer noch ein Teehaus.“ Vorsichtig roch sie an dem Getränk. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Was ist das für eine Teesorte?“ „Altes Rezept, Spezialität des Hauses“, kam es gelangweilt von ihrem Gastgeber. „Und um deine nächste Frage vorwegzugreifen: Ja, es ist ein Youkairezept und nein, es ist unbedenklich für Menschen.“ Neugierig nippte Kagome an dem Tonbecher. Der heiße Tee verursachte eine wahre Geschmacksexplosion in ihrem Mund; Ein würzig-blumiges Aroma, das ihre Sinne verzauberte. Sie nahm noch einen Schluck und konzentrierte sich darauf, den Geschmack in seine einzelnen Noten zu zerlegen. Schwarzer Tee schien die Basis zu sein. Nelken, Anis und schwarzer Pfeffer. Aber woher kam dieser zarte blumige Geschmack? Im ersten Moment dachte sie an Lavendel, aber bei genauerem Überprüfen verwarf sie die These wieder. Fragend schaute sie Sesshoumaru an, ob er es ihr verraten würde. „Betriebsgeheimnis“, kam als Antwort. Nachdenklich hielt sie den warmen Becher in den Händen. „Also ist dein Teehaus Treffpunkt für die Youkai, die es heute noch gibt? So etwas wie ein geheimes Hauptquartier?“ Belustigt zog der Daiyoukai die Augenbrauen hoch und erwiderte spöttisch: „Natürlich, hier treffen sich als die Mächtigen und Reichen, die in Wahrheit getarnte Dämonen sind und entscheiden über das Leben der Menschen. Wir sitzen hier und planen die Weltverschwörung im Geheimen. Du hast ja eben eins der erhabensten Mitglieder unserer Vereinigung gesehen.“ „Kannst du mal aufhören, alles was ich sage ins Lächerliche zu ziehen?“, fuhr Kagome ihn wütend an, „Ich versuche mir einen Reim auf deine Geheimniskrämerei zu machen, da du dich ja weigerst mir irgendetwas zu erzählen!“ Entspannt lehnte er mit verschränkten Armen an der Wand hinter seiner Theke. Doch sein Blick war hart und unnachgiebig. „Du glaubst doch, dass es so ist. Dass Dämonen immer noch im Verborgenen herrschen.“ „Ja…“ „Falsch“, unterbrach er sie rüde, „Es tut mir außerordentlich leid, deine romantischen Vorstellungen enttäuschen zu müssen. Du hast doch eben die kläglichen Reste der Youkai gesehen. Es gibt so gut wie keine reinblütigen Youkai mehr, das Erbe unserer Art lebt in einem Haufen Hanyou, die nur noch einen winzigen Teil des dämonischen Blutes in sich tragen. Zu viel aber, um ein normales Leben unter Menschen führen zu können.“ Eingeschüchtert machte sich Kagome immer kleiner auf dem Hocker, aber Sesshoumaru ließ nicht locker. Er redete sich in Rage: „Sie schlagen sich alle ähnlich wie dieser Bastard einer Ratte Babanuki durchs Leben. Leben im Dreck in verlassenen Ruinen und versuchen ihren Lebensunterhalt auf dem Schwarzmarkt oder in irgendwelchen halbseidenen Kreise zu verdienen. Und das tun sie nicht, weil sie es so wollen, sondern weil dort keine Fragen gestellt werden! Es gibt keinen Platz mehr unter euch Menschen, wo sie ohne Aufsehen leben können. Ihr habt Angst vor allem Unbekannten und der Mensch dieser Zeit vernichtet alles, was er fürchtet. Also müssen wir uns verstecken, um nicht endgültig ausgerottet zu werden.“ Die wütenden Worte des letzten Daiyoukai berührten Kagome. Ein Knoten bildete sich in ihrer Brust, sie fühlte sich plötzlich schäbig, weil sie nach den verbleibenden Youkai gefragt hatte und so ein kitschiges Bild in ihrer Vorstellung hatte. Und sie fühlte sich schuldig. Schuldig ein Teil jener Menschheit zu sein, die die Existenz dieser einst so stolzen Rasse bedrohte. „Habt ihr keine Möglichkeit einen Beruf auszuüben? Oder eine Wohnung zu haben?“, flüsterte sie zögerlich. Höhnisch führte Sesshoumaru seine Tirade fort: „Ach, und wie stellst du dir das vor? Ich schreib in eine Bewerbung, dass ich vor knapp 1300 Jahren geboren wurde und gebe als Qualifikation ‚Herrscher der Inuyoukai‘ an? Besondere Kenntnisse im Niedermetzeln von Menschen? Wach endlich auf aus deinem rosaroten Traum!“ Verlegen sah Kagome auf ihre Füße. Es war schwer mit dem gebündelten Frust von Jahrhunderten umzugehen, der gerade auf sie einprasselte. Aber er hatte recht, sie war wirklich naiv in ihrer Annahme gewesen. Schüchtern stellte sie eine letzte Frage: „Warum dann das Teehaus? Zu welchem Zweck betreibst du es?“ Eigentlich erwartete sie sich gar keine Antwort mehr von Sesshoumaru. So wütend und gleichzeitig resigniert hatte sie ihn noch nie erlebt, sie hatte ihn nur als den emotionslosen und beherrschten Dämon von vor 500 Jahren in Erinnerung. Es verstörte sie sehr ihn so gebrochen zu sehen. Vorsichtig hob sie wieder ihren Kopf und sah, wie er sie mit undefinierbarem Blick fixiert hatte. Er schwieg weiter beharrlich und schien zu überlegen. „Es ist der letzte Rückzugsort. Ich kann ihnen helfen zu überleben“, brach er schließlich sein Schweigen. „Verstehe“, sagte Kagome traurig. Aber sie wäre nicht sie selbst, wenn sie sich entmutigen lassen würde. „Gibt es etwas, das ich tun kann um zu helfen?“ Wie so oft griff er in die Tasche seines Hemds und zündete sich eine weitere Zigarette an. „Du kannst sie nicht retten, du kannst nicht die Welt auf den Kopf stellen. Also schlag dir das aus dem Kopf und verschwinde in deine heile Welt.“ Sie hatte den subtilen Hinweis verstanden und fühlte sich nach dieser Unterhaltung gerade selbst unwohl und überfordert. Also schnappte sie sich ihre Tasche und machte sich bereit zum gehen. „Vielen Dank für den tollen Tee! Ich komme morgen nach der Schule wieder, ich bin gespannt, was du noch erzählst und freue mich auf eine weitere Tasse!“ „Tu, was du nicht lassen kannst“, brummte Sesshoumaru griesgrämig. Kapitel 4: entfesseltes Blut ---------------------------- Feste rüttelte sie an der Tür, doch vergeblich. Sie war zu, das Teehaus geschlossen. Nie wieder würde sie dem miesen Hund verraten, wann sie ihn besuchen käme! Und weil wieder ihr Glückstag war, zogen dunkle Gewitterwolken am Himmel auf und sie hatte ihren Regenschirm zuhause gelassen. Einen Moment später öffneten sich die Schleusen des Himmels und dicke Tropfen fielen auf den Boden. Ein Wolkenbruch zog über die Stadt und nach wenigen Minuten stand die Straße unter Wasser. Die Kanäle kamen nicht hinterher das Wasser abzuleiten und kleine Seen bildeten sich in Senken. Es hatte keinen Zweck jetzt durch das Gewitter zu rennen und lange würde es ja nicht anhalten. Deshalb beschloss Kagome unter dem Vordach des Teehauses zu verharren, bis sich das Wetter wieder beruhigt haben würde. Heftige Windböen fegten durch die Häuserschluchten und trieben den Regen erbarmungslos in jeden Winkel. Auch Kagome war inzwischen trotz des Unterstands klatschnass und dachte sehnsüchtig an ihr eigentliches Vorhaben. Als Dank für den gestrigen Tee und den erhofften Heutigen hatte sie in der Mittagspause in der Bäckerei neben der Schule etwas Kuchen geholt, den sie mit Sesshoumaru essen wollte. Bei Tee und Kuchen konnte sie ihn sicher wieder über die Youkai und sein Leben aushorchen. Ja, eine heiße Tasse des köstlichen Youkaitees wäre jetzt ein Segen, dachte sie wehmütig und durchgefroren. Sie war überrascht, dass er heute vor ihr geflohen war. Es war doch sonst nicht seine Art gewesen irgendeiner Konfrontation aus dem Weg zu gehen oder sich zu drücken. Außerdem wirkte er gestern recht zutraulich auf sie, er hatte ihr einiges erzählt über die letzten Dämonen. Warum jetzt diese Kehrtwende? Sie kam gar nicht dazu den Gedanken zu Ende zu führen, denn plötzlich wurde sie ungestüm umgerannt. Eine in ein Regencape gehüllte Person rüttelte mit aller Gewalt an der Tür des weißen Hundes und kam ebenso wie sie zu dem Schluss, dass sie verschlossen war. Verzweifelt begann die Person mit den Fäusten gegen die Tür zu hämmern. „Sesshoumaru, bis du da! Sesshoumaru? Mach auf, das ist ein Notfall!“ Der Stimme nach musste es ein Mädchen sein, das da flehentlich nach Hilfe rief. Doch ihr Rufen blieb unerhört und so sank sie traurig vor dem Eingang nieder und kauerte sich auf den Boden. Das Zittern ihrer Schultern verriet, dass sie weinte. Es zerriss Kagome das Herz das Mädchen so aufgelöst zu sehen und ihr Instinkt zu helfen wurde sofort geweckt. Vor dem Häufchen Elend ging sie in die Hocke und sprach sie vorsichtig an: „Was ist denn passiert? Brauchst du Hilfe?“ Kurz lugten Augen unter Kapuze hervor, doch sofort wendete das Mädchen sich panisch ab und suchte Schutz am Holz der Tür hinter sich. „Du bist… ein Mensch! Lass mich in Ruhe, geh weg!“ Kagome verstand sofort, woher der Wind wehte. In dem kurzen Moment, in dem das Mädchen den Blick gehoben hatte, sah sie die rot leuchtenden Augen, eine bernsteinfarbene Iris umrahmend. Die Kleine war wohl eine Hanyou und wenn sie an Inuyasha zurück dachte, machte ihr das dämonische Blut allem Anschein nach gerade mächtig zu schaffen. Es war zwar enorm riskant sich einem Hanyou, der außer Kontrolle war, zu nähern, aber sie konnte nun einmal nicht anders. „Ja, ich bin ein Mensch, aber ich werde dir nichts tun“, begann sie mit sanfter Stimme zu sprechen und hoffte die junge Hanyou so lange beruhigen zu können, bis Sesshoumaru zurückkehrte. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn die Kleine jetzt völlig von ihrem Youkaiblut übermannt würde und in der Straße Amok liefe. „Ich weiß, dass du ein Hanyou bist. Hab keine Angst!“ Entsetzt sah das Mädchen Kagome an. „Woher…wieso weißt du das?“, stammelte sie überrascht. „Ich warte auch hier auf Sesshoumaru, ich kenne ihn auch.“ Fieberhaft dachte sie nach, wie sie der kleinen plausibel erklären konnte, dass sie von der Existenz der Youkai wusste, ohne Sesshoumaru oder ihre eigene Geschichte zu verraten. Ihr kam seine gestrige Erklärung für Babanuki in den Sinn. „Ich bin eine Miko, deswegen weiß ich von euch.“ Das war nicht mal gelogen, klopfte sie sich in Gedanken selbst auf die Schulter. Ihre Worte zeigten Wirkung, denn die Hanyou sah nun nicht mehr völlig panisch aus. Ängstlich und unsicher zwar noch, aber keine Todesangst mehr. „Ich bin Kagome. Wie ist dein Name?“, fragte sie freundlich. Geräuschvoll zog das Mädchen die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Hanako. Mein Name ist Hanako.“ Kagome schenkte ihr ein warmes Lächeln, ehe sie weiter fragte: „Was ist denn passiert? Vielleicht kann ich dir helfen bis Sesshoumaru zurück ist.“ Sie ahnte, dass die rotleuchtenden Augen ein Grund für den Schlamassel waren. „Ich hab die Kontrolle verloren, weil ich wütend war“, fing sie an zu erzählen, doch wieder wurde sie von ihren Tränen übermannt. „Ich habe jemanden verletzt! Und es hat mir Spaß gemacht! Ich fühle immer noch dieses Verlangen… Ich habe Angst vor dem, was da mit mir passiert.“ Verzweifelt schluchzend legte sie den Kopf auf die angezogenen Knie. „Keine Angst, das wird wieder“, sagte die junge Frau aufmunternd. „Ich hatte einen Freund, dem ging es auch ab und an wie dir jetzt. Er war auch ein Halbdämon und wurde manchmal von seinem Dämonenblut übermannt. Denk an schöne Momente, denk an deine Freunde!“ Vorsichtig legte Kagome ihr eine Hand auf die Schulter. „Hat er auch so etwas Furchtbares getan?“, fragte Hanako bedrückt nach. Aha, das machte ihr den meisten Kummer, dass sie jemanden verletzt hatte. „Ja. Aber er fand jedes Mal wieder zu sich zurück.“ Die Erinnerung an Inuyasha machte sie traurig. Sie versuchte die meiste Zeit nicht an ihn zu denken, weil es sie immer noch schmerzte ihn nie wieder sehen zu können. Aber jetzt musste sie an ihren alten Freund denken. Sein dämonisches Blut hatte auch einige Male die Kontrolle über ihn übernommen, aber ihre Freundschaft hatte ihn immer davor bewahrt sein menschliches Herz zu vergessen. Die meiste Zeit wurde er von Tessaiga beschützt, das sein Vater ich hinterlassen hatte, um seinen inneren Dämon im Zaum halten zu können. Welche Möglichkeiten hatte Sesshoumaru die Hanyou wieder zu sich zurück finden zu lassen? „Du bist zurück!“, rief Hanako erleichtert aus, als sie in einem Stück Entfernung Sesshoumaru ausmachte. Er lief durch den Regen, der ihn nicht zu interessieren schien und war überrascht die beiden vor seiner Tür vorzufinden. Seine Haare waren nass und verloren so viel von ihrer Eleganz. Kagome musste sich beherrschen ihn nicht anzustarren; seine durchnässten Kleider klebten ihm auf der Haut. Jeder Muskel zeichnete sich durch den feuchten Stoff ab und so hatte sie eine heimliche Ahnung davon, was für einen attraktiver Körper das Hemd verhüllte. Er war kein Muskelberg, aber er war maskulin und muskulös gebaut; breite Schultern, definierte Brust, schlanke Hüften. Sie hatte sich darüber nie Gedanken gemacht, die Rüstung verbarg damals alles vor ihrem interessierten Blick. Er schien nicht über Kagomes Anwesenheit erfreut zu sein, aber er nahm sie hin. Aus seiner Hosentasche zog er einen alten, eisernen Schlüssel und öffnete schweigend die Tür. Er ging direkt hinter seinen Tresen und zog zwei Schachteln Zigaretten aus seiner anderen Tasche. Es schien ihm Sicherheit zu geben die Theke zwischen sich und seiner Umwelt zu wissen. Mit den Händen fuhr er sich durch das lange, weiße Haar, ordnete es notdürftig und verbannte einige verirrte Strähnen wieder aus seinem Gesicht. Kagome konnte ihren Blick einfach nicht von ihm nehmen, seine Ausstrahlung zog sie in seinen Bann. Das war der Inbegriff von Männlichkeit, schoss es ihr in den Sinn. Trotzdem musste sie ihrer Wut Luft machen: „Warum warst du nicht da, obwohl du wusstest, dass ich nach der Schule vorbei kommen wollte?“ „Nicht schlecht! Frage und Antwort in einem Satz“, antwortete er mit spöttischem Grinsen. Oh, sie könnte ihm gerade den Hals umdrehen! Aber erst musste Kagome wissen, was es mit dem Mädchen auf sich hatte. „Was ist los, Hanako?“, fragte er ruhig. „Es ist wieder passiert“, sagte sie schüchtern und zog das Regencape über den Kopf. „Der Talisman ist wieder zerbrochen. Ich war so wütend…. Das nächste, woran ich mich wieder erinnern kann, ist, dass ich voller Blutspritzer war. Vor mir lag ein Mann auf dem Boden.“ Kagome beobachtete das Gespräch stumm von der Seite. Jetzt hatte sie auch Gelegenheit das Mädchen genau zu betrachten. Sie sah aus wie ein dreizehn Jahre altes Menschenmädchen, aber das Alter eines Hanyou ließ sich genau wie bei richtigen Youkai nur schwer schätzen. Ihre Augen leuchteten nicht mehr so intensiv wie vor ihrem Gespräch, sie schien sich wieder etwas gefangen zu haben. Sie hatte ansonsten eine sehr unscheinbare Erscheinung; schulterlanges, schwarzes Haar, einen Kopf kleiner als Kagome. Gekleidet war sie in ein lilanes T-Shirt und eine Jeans. Nur die zwei plüschigen, schwarzen Ohren auf ihrem Kopf verrieten ihre Abstammung. Sie war trotzdem hübsch. Nicht überirdisch schön wie Sesshoumaru, aber ein hübscher Anblick. „Wieso warst du so wütend? Was ist geschehen?“, hakte der Daiyoukai nach. Nebenbei nahm er einen verbeulten Kupferkessel und setzte Teewasser auf einem Gasherd auf. Die obligatorische Zigarette klemmte auch bereits wieder zwischen seinen Lippen. „Sie haben mich wieder erwischt. Ich war auf Tour im Einkaufszentrum, dann hat mich dieser Detektiv wieder gesehen und mich geschnappt“, berichtete Hanako von den Geschehnissen. „Er hat mich beschimpft, geschubst. Dann hat er gesagt, dass er die Polizei rufen wird. Da hab ich Angst bekommen. Das Letzte, was ich weiß, ist, dass er mich Abschaum genannt hat.“ „Du hattest Angst und warst wütend, da ist es fast normal, dass dein Youkaiblut reagiert“, kommentierte Sesshoumaru ihre Erzählung. „Du solltest nur aufhören, dich in Situationen wie diese zu bringen. Das Risiko ist einfach zu groß.“ Empört sprang das Mädchen auf und widersprach laut: „Was soll ich denn sonst machen? Ich muss es riskieren, wo soll ich denn sonst stehlen? Was bleibt mir denn übrig?“ Die letzten Worte hatte sie nur noch geflüstert. „Lass dich nicht erwischen. Nicht immer am selben Ort, du erregst sonst Verdacht“, riet er ihr seelenruhig. Es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass die Kleine eine notorische Diebin war. Kagome stellte entsetzt fest, dass er ihr noch Tipps gab! „Wie geht es deinem Biest jetzt?“ Etwas Sorge schwang in seiner Frage mit, er klang nicht mehr ganz so kalt. „Es ist schwierig klar im Kopf zu bleiben. Wenn Kagome mich nicht beruhigt hätte, wäre es ausgebrochen. Jetzt würde eine Kleinigkeit reichen, dann würde ich ausflippen.“ Besorgt runzelte er die Stirn. Er hatte ja selbst Erfahrung mit entfesselten Hanyous, fiel es Kagome ein. Er stand seinem Bruder gegenüber, als Tessaiga zerbrochen war. Wenn es heute noch jemanden gab, der wusste, wie man einen entflammten Halbdämon wieder einfing, dann Sesshoumaru. Er lehnte sich über die Theke und sah Hanako ernst an. „Gib mir deine Hände.“ Gespannt verfolgte Kagome alles von ihrem Platz aus. Der Daiyoukai hielt die zierlichen Hände der jungen Hanyou fest in seinen und hatte die Augen geschlossen. Er schien sich zu konzentrieren auf das, was er fühlte. Plötzlich klingelten alle Alarmglocken ihrer Mikosinne laut in ihr auf. Sie spürte, wie das unterdrückte Youki Sesshoumarus immer weiter anschwoll und das Mädchen einhüllte. Es war lange nicht so mächtig wie damals, als er es frei fließen ließ, aber immer noch bemerkenswert stark. Im Gegenzug beruhigte sich die Aura Hanakos immer weiter und schließlich waren ihre Augen auch wieder unauffällig. Sie überlegte, was er da wohl gerade getan hatte, aber sie verstand es nicht. Glücklich und erleichtert strahlte Hanako ihn an. „Es hat sich wieder beruhigt. Ich fühle mich wieder gut!“ Sesshoumaru antwortete mit einem warmen Blick aus seinen goldenen Augen. Kagome glaubte sich einzubilden, dass er sogar lächelte. Schließlich entließ er ihre Hände und bückte sich, um etwas aus einer Schublade der Theke zu ziehen. „Miko, komm her“, sprach er Kagome unvermittelt an. Völlig verdattert schaute sie ihn an. Was wollte er nun von ihr? Trotzdem kam sie näher, wie er es verlangte. Er hielt ein kleines, hölzernes Amulett in seiner Hand, auf dem in ihr unbekannten Zeichen ein Sutra gemalt war. „Was ist das?“, sprudelte die Neugier sofort aus ihr heraus. „Das ist ein Talisman, der das dämonische Blut in Hanako unterdrücken kann. Außerdem tarnt er ihr Aussehen, so dass sie wie ein normaler Mensch aussieht“, erklärte er nüchtern. „Und was habe ich damit zu tun?“ Theatralisch genervt sah er zur Decke. „Wenn du mir nicht ständig mit deiner Fragerei ins Wort fallen würdest, wüsstest du es bereits.“ Kagome kam nicht dazu ihm eine passende Antwort zu geben, da er sie nun ernst ansah. Diese Augen, sie könnte darin versinken… „Du hast noch deine spirituellen Kräfte, nehme ich an.“ Heftiges Nicken folgte zur Antwort. „Wenigstens bist du nicht komplett nutzlos. In dieses Amulett habe ich mit meiner Dämonenkraft einen Bannspruch gearbeitet, der das Youki in Hanako unterdrücken kann. Da das nun offensichtlich nicht mehr ausreicht, sollst du den Zauber mit deinen Kräften verstärken. Kriegst du das hin?“ Kagome fiel keine Antwort ein, sie hatte so etwas noch nie vorher gemacht. Unsicher sah sie auf das auf seiner ausgestreckten Hand liegende hölzerne Täfelchen. Zögernd legte sie ihre Hand darauf, schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Energiefluss, den sie fühlte. Ein Prickeln ging durch ihre Fingerspitzen, als sie Kontakt mit Sesshoumarus Youki aufgenommen hatte. Sie spürte ganz deutlich den kleinen Wirbel, den seine Kraft in dem Amulett hinterlassen hatte. Nun lenkte sie ihre Aufmerksamkeit in sich selbst hinein und suchte dort nach ihrem Reiki. Es war kein wilder Wirbel wie bei Youkai, es war mehr wie ein großer, breiter Fluss, der jetzt ruhig in seinem Bett floss. Im Kampf allerdings wurde aus diesem im Nu ein reißender Strom, der alles mit sich riss. Intuitiv griff sie imaginär in den Fluss und nahm ein kleines bisschen dieser Kraft in ihre hohle Hand. Sie führte die Energie durch ihre Finger in das Amulett und gab ihr ihren Wunsch mit auf den Weg. Ein kurzes Ringen zwischen ihrer und Sesshoumarus Energie folgte, dann hatten beide ihre Fronten geklärt und bekämpften sich nicht mehr. Kagome öffnete wieder ihre Augen und sah wie das Licht ihrer spirituellen Kraft um den Anhänger gerade verblasste. Wortlos nahm Sesshoumaru den Talisman und reichte ihn Hanako. Hatte es geklappt? Die Hanyou legte sich das neue Halsband sofort um und ein heller Schein umgab sie. Die Ohren verschwammen im Licht und jeder Hauch von dämonischer Kraft verschwand schlagartig aus ihrer Aura. „Wie fühlst du dich“, fragte Sesshoumaru sie. Kritisch sah Hanako auf ihre Hände und führte eine davon zu ihrem Kopf. Sie griff aber ins Leere, da die Ohren verschwunden waren. „Ich spüre nichts mehr! Als gäbe es das Biest in mir nicht“, rief sie schließlich freudig. Plötzlich fand sich Kagome in einer festen Umarmung wieder. „Vielen Dank für deine Hilfe! Jetzt fühle ich mich viel sicherer!“ „Nichts zu danken“, sagte die Miko verblüfft und tätschelte ihr unsicher über den Rücken. Sie wurde sofort wieder entlassen aus den Armen des Mädchens. Hanako ging zur Tür, drehte sich aber vorher nochmals um. „Danke Sesshoumaru! Wir sehen uns bald wieder. Und hoffentlich sehen wir uns dann auch wieder, Kagome!“ Dann war der Wildfang verschwunden. „Du hast also immer noch eine Schwäche für große, traurige Mädchenaugen“, stellte Kagome süffisant fest, als sie wieder allein waren. Sie konnte nicht in seinem Gesicht nach einer Reaktion suchen, da er sich gerade mit dem Rücken zu ihr gedreht hatte, um das schon lange kochende Wasser vom Feuer zu nehmen. „Wenn du damit auf Rin anspielen willst, so sei dir versichert, dass es damit nicht das Geringste zu tun hat“, sagte er mit gefährlich kalter Stimme. Kagome hatte die Warnung verstanden und verließ diesen Pfad. „Wer ist die Kleine?“, fragte sie stattdessen, „Sie hat ein unheimlich kraftvolles Youki.“ Wie schon das letzte Mal stellte er einen dampfenden Becher vor sie. „Hanako ist eine sehr junge Hanyou, die altes, starkes Blut in sich trägt. Jetzt wo sie langsam erwachsen wird, wird es jeden Tag schwieriger für sie ihren inneren Dämon zu kontrollieren.“ Der heiße Tee erinnerte Kagome nach all der Aufregung daran, dass sie nass und durchgefroren war. „Und du hilfst ihr sich zu kontrollieren?“ Er nickte. „Weiß sie, wer du bist? Du hast schließlich deine Kraft gezeigt und dein Youki ist sehr markant.“ Er befreite das frische Päckchen Zigaretten aus der Zellophanhülle und fischte einen neuen Glimmstängel daraus hervor. „Sie ist die Einzige, die weiß, dass ich ein reinblütiger Youkai bin. Sie hätte es spätestens beim ersten Kontakt mit meinem Youki gemerkt. Wie du sicher gemerkt hast, halte ich mich und meine Kraft bedeckt.“ Mit gefährlich verengten Augen sah er sie ernst an. „Und ich wünsche, dass das auch so bleibt.“ Mit gleichem Ernst antwortete Kagome: „Ich werde dich nicht verraten.“ „Gut.“ „Ah, fast hätte ich es vergessen!“, stieß Kagome aus und bückte sich nach ihrer Schultasche. Daraus zog sie ein mit Papier umwickeltes Päckchen, das sie stolz auf den Tresen legte. Gelangweilt beobachtete Sesshoumaru ihr Tun. Feierlich packte sie das Papier beiseite und zwei Stücke Marmorkuchen kamen zum Vorschein. „Vielen Dank für den Tee gestern!“, sagte sie fröhlich. Er brach sich eine Ecke von seinem Stück ab und schob es sich genüsslich in den Mund. Mit vollem Mund sagte er: „Es ist in der Tat manchmal nützlich eine Miko zu kennen.“ Kapitel 5: die Youkai von heute ------------------------------- Gefräßige Stille breitete sich zwischen den beiden aus, während sie über den von Kagome mitgebrachten Kuchen herfielen. Als sie fertig waren, konnte Kagome ihr Amüsement nicht mehr zügeln und begann zu kichern: „Ich hätte nie geglaubt, dass der grausame und kaltherzige Sesshoumaru eine Schwäche für Kuchen hat.“ „Mach dich ruhig lustig“, murrte der Grund der plötzlichen Heiterkeit und schob mit einem Löffel die letzten Krümel auf dem Teller zusammen. „Youkai kannten früher keinen Kuchen, es ist der einzige Grund, warum ich die Menschheit nicht vernichtet habe.“ Kagome bekam sich kaum wieder ein vor Lachen. „Es ist beruhigend zu wissen, dass selbst du eine Schwäche hast. Und wenn es nur Marmorkuchen ist.“ Ein schiefes Grinsen zog sich über sein Gesicht als er antwortete: „Irrtum, das ist nicht mein Lieblingskuchen. Und besser eine so köstliche Achillessehne als eine so gefährliche wie mein dämlicher Halbbruder, der regelmäßig seine Kraft verlor.“ Erstaunt sah sie ihn an. „Du wusstest davon? Er hatte immer versucht es vor dir zu verbergen.“ „Ihr dachtet wirklich, dass ich ein ausgemachter Idiot bin, oder?“ Er griff nach der großen Kanne und schenkte nach. „Seine komplette Aura hat sich jedes Mal geändert, natürlich habe ich es gespürt. Außerdem haben alle Hanyou eine Nacht, in der sie ein einfacher Mensch werden. Er war schließlich nicht der einzige Halbdämon, den ich kannte.“ Nachdenklich starrte sie Löcher in die Luft. Er hatte recht, sie hatten damals wirklich geglaubt es vor Sesshoumaru verstecken zu können. „Warum hast du dir das dann nie zu Nutze gemacht? Ich meine, du hättest bei Neumond ihn mit einem Fingerschnippen töten und Tessaiga an dich nehmen können!“ „Hätte ich, ja. Aber das wäre feige und ehrlos gewesen, so etwas tue ich nicht.“ Irgendwie fühlte sich Kagome unwohl über Inuyasha zu sprechen. Es tat weh an die gemeinsame Zeit denken zu müssen, deshalb versuchte sie das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. „Haben Hanako und die anderen von heute auch solche Nächte? Dass sie komplett menschlich werden, meine ich.“ „Natürlich. Je nachdem wie viel dämonisches Blut sie in sich tragen, dauert es eine Nacht oder mehrere Tage.“ „Verstehe. Was machen sie in dieser Zeit?“ Kagome interessierte es brennend und so ließ sie nicht locker. Außerdem sprach er eher über andere Youkai als über sich selbst. „Einige trauen sich unter Menschen, weil sie ein menschliches Aussehen bekommen und versuchen in dieser Zeit ihre Angelegenheiten zu regeln, bei denen sie Kontakt aufnehmen müssen. Andere sehen dann noch schrecklicher aus und verstecken sich.“ „Was ist mit Hanako?“ „Sie merkt es selten, da es nur eine Nacht anhält. Sie meint, sie schlafe dann schlecht und habe Alpträume.“ „Sie ist ein außergewöhnliches Mädchen, ihr Youki ist sehr stark. Wer waren ihre Eltern? Wie alt ist sie?“ Schwer seufzend leerte Sesshoumaru seinen Aschenbecher um Platz für die gerade angezündete Zigarette zu schaffen. „Du platzt, wenn du mir nicht im Abstand von zwei Minuten eine nervige Frage stellst, oder?“ Kagome antwortete mit einem zuckersüßen Lächeln: „Genau so ist es.“ „Na dann, besser deine Fragerei, als dass ich die Sauerei wegwischen muss.“ Er lehnte sich entspannt auf den Tresen auf seine Unterarme und begann zu erzählen. „Hanako ist vierzehn. Sie stammt aus einer Familie von vielen Hanyou. Ein bisschen Fuchs, ein bisschen Tiger; Alle möglichen Stämme, man kann sie nicht zuordnen. Irgendwann muss es in dieser Familie einen oder mehrere starke Youkai im Stammbaum gegeben haben und diese Kraft hat bis heute überdauert in ihren Nachkommen. Hanako scheint zufällig eine Menge dieser Dämonenkraft auf einmal vererbt bekommen zu haben, deswegen hat sie diese Probleme.“ „Ich dachte jeder Mischling hätte die?“, hakte Kagome überrascht ein. „Nein, für gewöhnlich nur Abkömmlinge von sehr starken Dämonen oder von Daiyoukai. Das dämonische Erbe ist dann viel zu stark und lässt sich nicht kontrollieren. Inuyasha war der extremste Fall, der mir bekannt ist.“ „Stimmt, euer Vater war ja auch ein Daiyoukai. Das kam wohl nicht so oft vor.“ „Inuyasha war der einzige Hanyou, dessen Vater einer der vier Herrscher war. So etwas gab es vorher nicht und auch bis heute nicht wieder. Wenn Vater ihm nicht Tessaiga hinterlassen hätte, wäre er früher oder später eine unkontrollierbare Bestie geworden.“ Musste er wieder über seinen Bruder sprechen, dachte Kagome traurig. „Ich war dabei, als es passierte. Er hatte mich nicht mehr erkannt, es war furchtbar.“ Sie versuchte den Kloß in ihrem Hals mit einem Schluck Tee herunter zu zwingen. Sie würde sich jetzt nicht die Blöße geben und vor Sesshoumaru weinen! „Wie hast du es vorhin geschafft Hanako wieder zurückzuholen? Ich hab nur gesehen, dass du ihre Hände hieltst und dein Youki anschwoll.“ Nachdenklich blies er den Rauch in die Luft. „Wie soll ich das erklären? Sagen wir mal so, ich habe ein ernstes Wort mit ihrem inneren Dämon geredet.“ Unbeabsichtigt musste Kagome kichern: „Und der hört einfach so auf dich?“ „Nein, deswegen musste diese kleine Kraftdemonstration sein. Ich wäre enttäuscht, wenn Hanakos Biest sich etwas von jedem dahergelaufenen Dämon sagen ließe!“ „Du magst die Kleine, hab ich recht?“, fragte sie ihn plötzlich ernst. Er runzelte misstrauisch die Stirn. „Tu nicht so. Du kümmerst dich um sie, machst dir Sorgen… Es ist fast wie früher bei Rin.“ Plötzlich war da wieder die kalte Fassade und sein Blick gefror. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass Rin damit nichts zu tun hat. Ich verhindere, dass Hanako zu einer wilden Killerin wird, mehr nicht.“ Sein Blick war unmissverständlich und Kagome wagte es nicht auch nur ein weiteres Wort zu sprechen. Die angespannte Situation wurde plötzlich von lautem Motorengeheul durchschnitten. Vor der Tür krisch ein Motor scharf auf, lautes Lachen und Gejohle folgte. Sesshoumarus Kopf zuckte zur Tür. „Die haben jetzt noch gefehlt“, knurrte er ärgerlich. „Was ist los?“ Kagome verstand die plötzliche Aufregung nicht. Mit stechendem Blick wurde sie nochmal daran erinnert seine Tarnung zu wahren, dann flog die Tür auf und eine Gruppe von jungen Männern schlenderte in das Teehaus. Es waren sechs mutmaßliche Hanyou, beobachtete Kagome und vermutete, dass sie eine katzenartige Abstammung haben mussten. Die schrägen Augen und die spitze Gesichtsform erinnerten sie sehr an eine Katze. Die Sechs setzen sich an einen der Tische. „Ey Sess, altes Haus, was gibt’s Neues? Wer ist die Kleine?“ Der Sprecher zog sich einen weiteren Stuhl heran und legte seine Füße darauf. „Sie hat dich nicht zu interessieren. Was wollt ihr?“, grollte Sesshoumaru gefährlich leise zurück. Ein anderer gluckste laut aus dem Hintergrund: „Hey sag bloß der alte Eigenbrötler hat sich ‘n Mädel angelacht!“ Was war das denn, dachte Kagome entsetzt? Wie sprachen sie mit ihm, wussten sie denn nicht, wie gefährlich es war ihn zu provozieren? Sie versuchte möglichst unbeteiligt zu wirken und dachte an seinen seltsamen Hinweis, dass sie ihn nicht verraten solle. Unauffällig musterte sie den lärmenden Haufen. Die Sechs mussten wohl so etwas wie eine Gang bilden, anders war ihr Auftreten nicht zu erklären. Alle trugen Lederjacken mit aufgenähtem Rückenemblem. Sie konnte die verschnörkelte Schrift nicht entziffern, aber Mittelpunkt des Logos bildete ein schwarzer Katzenkopf. Alle hatten die Haare raspelkurz abgeschoren bis auf denjenigen, der seine dreckigen Stiefel auf den Stuhl gelegt hatte. Der hatte lange, blauschwarze Haare. Er war wohl sowas wie der Anführer der Truppe. „Nochmal, was wollt ihr?“, fragte Sesshoumaru leise und ruhig. Er ließ sich von dem Getue nicht im Geringsten beeindrucken. „Krieg dich wieder ein. Hast du noch was von deinem Selbstgebrannten?“ „Ich habe dir bereits gesagt, dass es Jahrzehnte dauert ihn herzustellen. Bis dahin bleibt dir nur Geduld“, sagte Sesshoumaru gelangweilt. Er beobachtete die Rowdys aus halb geschlossenen Augen, wie sie sich auf den Stühlen flezten. „Ich will aber nicht so lange warten!“, fauchte es ihm entgegen. „Die alten Sachen sind eben kein Fast-Food, Junge. Find dich damit ab.“ Teilnahmslos blies er kleine Kringel in die Luft. „Ich scheiß auf deine Traditionen! Ich versteh sowieso nicht, warum du immer noch daran festhältst“, brüllte der Hanyou jetzt aufgebracht, sprang auf und warf sich in Pose. Anscheinend war er nur auf der Suche nach Streit in das Teehaus gekommen und diese Diskussion schienen er und Sesshoumaru nicht zum ersten Mal zu führen, überlegte Kagome still. „Deine Traditionen helfen dir nicht gegen die Menschen da draußen! Auf der Straße kümmert es niemanden, was früher war. Das ist das Einzige, was zählt!“ Mit diesen Worten zog er eine Pistole aus seinem Hosenbund. Mit lautem Geschrei bekräftigten seine Kumpel seine Worte. „Dann geh wieder auf die Straße und sieh zu, was du davon hast. Es ist mir egal“, raunte der Ältere, „Und steck dein Spielzeug wieder ein.“ „Hah, von wegen Spielzeug! Ich lass mir nichts von irgendwelchen Menschen sagen, ich bin ein wahrer Dämon! Nicht so eine bemitleidenswerte Gestalt wie du!“ „War’s das jetzt endlich? Willst du noch was anderes außer Streit?“ Kagome war überrascht, wie ruhig der Daiyoukai blieb. Vor fünfhundert Jahren hätte das Bürschchen nicht mal seine Begrüßung überlebt. Der Rowdy lümmelte sich wieder zu den anderen an den Tisch und orderte eine Flasche Sake. Seelenruhig stellte Sesshoumaru das Gewünschte und sechs kleine Trinkschalen auf ein Tablett und stellte es den rüpelhaften Gästen auf den Tisch. Angewidert drehte sich die junge Frau ab. Die selbsternannten wahren Dämonen prosteten sich laut zu und berichteten unter lautem Gelächter und Geschrei, was sie in letzter Zeit für Heldentaten vollbracht hätten; Überfälle, Prügeleien mit anderen Youkai, Frauengeschichten. Besonders das Letztgenannte ekelte sie an, einer erzählte, wie er eine betrunkene junge Menschenfrau dazu gebracht hatte mit ihm zu schlafen und er sie dabei beschimpft hatte. Nach kurzer Zeit waren sie allesamt stramm wie zehn Russen und leider zogen sie jetzt auch Kagome in ihre Unterhaltung mit hinein. „Ey Puppe, was willst du mit dem alten Sack?“, lallte es sie plötzlich von der Seite an, „Wenn du ‘n Dämon willst, der’s dir besorgt, komm lieber zu mir, da haste mehr Spaß!“ Die Fahne des Schwarzhaarigen nahm ihr fast den Atem. „Danke, verzichte!“, entgegnete sie spitz und schob den trägen Körper des besoffenen Casanovas von sich weg. „Aaaaach, stell dich nich so an, das wird geil!“ Plötzlich spürte sie, wie eine Hand sich unangenehm auf ihren Po legte. Sie kam gar nicht dazu auszuholen und dem Kerl eine saftige Ohrfeige zu verpassen, denn Sesshoumaru hatte ihn bereits am Kragen gepackt. „Ich habe gesagt, sie hat dich nicht zu interessieren. Und jetzt verschwinde!“ Der Hanyou schien überrascht zu sein vom Eingreifen des Wirts und wehrte sich nicht. Als er keine Anstalten machte sich zu rühren, schliff ihn Sesshoumaru zu den anderen an den Tisch. „Ihr zahlt euren Deckel und dann seht zu, dass ihr Land gewinnt. Verstanden?“ Immer noch war seine Stimme ruhig und beherrscht, auch sein Youki war nicht zu spüren. Trotzdem waren die Rowdys beeindruckt von seinem Auftreten. Ein kleiner Dicker legte schließlich einige Scheine auf den Tisch und stürzte zur Tür hinaus, die anderen folgten ihm. Nur ihr Anführer drehte sich um und schrie Sesshoumaru beim Gehen an: „Das merken wir uns, du Opfer! Warte nur, wenn wir uns wiedersehen, Sesshoumaru!“ Dann verschwand auch er. „Was war denn das?“, fragte Kagome entsetzt als sie endlich wieder allein waren. „Du hast es doch gehört, das sind wahre Dämonen“, antwortete Sesshoumaru lakonisch und räumte das benutzte Geschirr zusammen. „Mach dir nichts daraus, so benehmen die sich immer.“ Immer noch aufgebracht sah Kagome zur Tür. „Wie können sie es wagen so mit dir zu sprechen? Wissen sie nicht, wer du bist?“ Er trug das Tablett hinter die Theke, stellte sich ihr den Rücken zugewandt an das Spülbecken an der Wand und säuberte die tönerne Sakeflasche und die Trinkschalen. „Nein, wissen sie nicht. Sie wüssten es nicht einmal, wenn du es ihnen sagen würdest.“ „Wie meinst du das?“, fragte Kagome neugierig und hoffte jetzt auch wieder ein Puzzleteil zu erfahren, was sie dann in das Rätsel, das Sesshoumarus Leben war, einfügen könnte. „Du könntest ihnen sagen, dass ich ein Daiyoukai bin und früher über die westliche Provinz und die Inuyoukai herrschte und sie würden nur blöd aus der Wäsche gucken. Die Youkai von heute haben noch nie etwas davon gehört, dass es Daiyoukai gibt und welche Kräfte wir haben. Die Älteren kennen das nur noch aus Märchen und würden dich auslachen, wenn du ihnen sagst, dass einer vor ihnen steht. Das wäre so, als würde ich dir sagen, dass du Schneewittchen wärst. Die Hanyou von heute sind alle jung, keiner ist älter als fünfzig und sie haben alle noch nie in ihrem Leben einen vollwertigen Youkai gesehen.“ Er beendete seinen Vortrag und das Spülen und setzte sich wieder Kagome gegenüber an den Tresen. „Keiner älter als fünfzig? Das ist doch kein Alter!“, stellte sie perplex fest. „Du hast es doch gehört. Sie leben auf der Straße, suchen Ärger und die meisten von ihnen verrecken irgendwann entweder mit einer Kugel in der Brust oder einer Nadel im Arm. Sie verstehen nicht, dass sie den Menschen nichts entgegensetzten können und bekriegen sich lieber untereinander statt sich zu helfen. Die Schwächeren und Vernünftigeren versuchen sich da herauszuhalten und machen aus der Not heraus krumme Geschäfte mit den Yakuza. Auch das ist nicht wirklich lebensverlängernd.“ Resigniert stellte sie fest: „Sie haben wirklich überhaupt nichts mehr mit den Youkai von früher gemein. Diese Erhabenheit, die machtvolle Ausstrahlung… all das fehlt. Was ist deine Rolle in dieser Welt? Du sagst, du gibst ihnen einen Rückzugsort, aber den wollen sie ja scheinbar nicht.“ Müde strich er sich über die Augen. All das Elend seiner Art wieder so vor Augen zu haben, zehrte wohl an ihm. Er sah plötzlich alt aus, die jugendliche Frische fehlte seinem Gesicht mit einem Mal und sie sah die Last der Jahrhunderte, die auf ihm lag. „Ich bin einfach nur ein ewig Gestriger, der versucht ein paar der alten Traditionen und Geschichten zu erhalten und sich an das Gestern klammert. Ich bin formal der Herr der Inuyoukai, aber es gibt keine Inuyoukai mehr; ich bin der Letzte. Ich will einfach meine Ruhe haben und den wenigen, die noch nicht so verkommen sind, helfen keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ Wieder schien durch die kalte Fassade der tiefe Riss, der durch ihn ging. Alles war wie immer, wenn er von der Gegenwart oder anderen erzählte. Doch sobald er nur ein Wort seiner eigenen Vergangenheit preisgab, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Kagome war fest überzeugt, dass mehr dahinter steckte als der Verlust seines Titels. Warum war er der letzte Inuyoukai? Was war in den letzten fünfhundert Jahren geschehen, dass der stolze Daiyoukai Sesshoumaru sich von einem Halbstarken ungestraft verspotten ließ? Sie musste sehr behutsam vorgehen, wenn sie mehr erfahren wollte, das war ihr nun klar. „Vielen Dank, dass du mir den Spinner vom Leib gehalten hast“, sagte sie und verabschiedete sich. Es war besser ihn allein zu lassen, wenn er so war. „Dafür nicht“, murmelte er und war nun endlich wieder allein in seinem Teehaus. Kapitel 6: eine heiße Spur im Schlussverkauf -------------------------------------------- Unruhig saß Kagome im Unterricht. Sie hatte schon vor einer ganzen Weile es aufgegeben dem Vortrag ihres Englischlehrers zu folgen und tippte ungeduldig mit dem Finger auf den Tisch. Es war die letzte Stunde eines langwierigen Schultages, der einfach kein Ende finden wollte. Sie starrte auf die Uhr, als könnte sie Zeigern mit ihren Blicken befehlen schneller das Ziffernblatt entlangzuwandern. Geh doch schneller, schrie sie das lange Stück Plastik in Gedanken an. Verstohlen sah sie nach rechts zu ihrer Freundin Ayumi. Auch die Musterschülerin schien das Klingeln, das die Stunde beendete, herbeizusehnen. Kagome beobachtete, wie sie mehrmals frustriert die Luft ausstieß. Endlich wurden sie von der Glocke erlöst und stürmten aus dem stickigen Schulgebäude hinaus in den sonnigen Frühling. Marodierende Horden von Schülern drängten sich im Treppenhaus und eilten ohne Rücksicht nach draußen wie Passagiere eines sinkenden Schiffes. In dem Getümmel verlor Kagome ihre Freundinnen aus den Augen und suchte mit ihren Augen den Hof ab. „Was trödelst du schon wieder so, Kagome? Wir haben es eilig!“, meckerte Yuka sie plötzlich von der Seite an und zog sie am Arm mit sich. An ihrem Rücken begann Eri sie weiter voran zu schieben. „Wir haben jetzt keine Zeit für Träumereien! Wir müssen uns beeilen, sonst ist alles ausgeräubert!“ Kagome war erstaunt mit welchem Ernst die drei vorgingen und hartnäckig ihr Ziel verfolgten. Aber es war ja auch nur einmal im Jahr Schlussverkauf bei Doresu. Es war die angesagteste Boutique der ganzen Stadt und außerhalb des Schlussverkaufs sprengte sie den Geldbeutel jeder Schülerin. Aber einmal im Jahr hatte man die Möglichkeit sich im Getümmel einem epischen Kampf um die reduzierten Stücke der letzten Saison zu stellen. Kagome dachte mit Grausen an das letzte Jahr. Unter dem Vorwand einer Klassenarbeit hatte sie sich in ihre Zeit gestohlen, um Jagd auf eine bestimmtes Paar Stiefel zu machen. Aber selbst die blutrünstigsten Dämonen waren Kuscheltiere im Vergleich zu Frauen im Kaufrausch, die für ein Paar Schuhe bereit waren zu töten. Rückblickend wäre es keine schlechte Idee gewesen Inuyasha mitzunehmen, überlegte sie. Die Windnarbe hätte ihr einen entscheidenden Vorteil verschafft. Vor dem Laden hatte sich eine Traube junger Frauen versammelt, die eifrig durcheinander schnatterten. Das aufgeregte Stimmgewirr brachte die Luft zum surren, es erinnerte entfernt an einen Bienenstock. Es war ein jährlich wiederkehrendes Ritual des Ladens, dass der Schlussverkauf feierlich an einem Nachmittag eröffnet wurde, um allen Mädchen die gleiche Chance zu geben etwas zu ergattern. Und weil die Besitzerin sonst den Zorn aller Schulleiter auf sich ziehen würde, da sämtliche Schülerinnen den Unterricht schwänzen würden. „So viele?“, jammerte Ayumi beim Anblick der Massen, „So wird das nichts mit meiner neuen Tasche.“ Wütend sah Eri zu Kagome und keifte sie an: „Das ist alles deine schuld! Wenn du nicht so getrödelt hättest, ständen wir jetzt ganz vorne an der Tür! Aber nein, du musstest ja wieder an deinen Typen denken! Vielen Dank auch!“ „Verdammt, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich keinen Freund habe, du Huhn?“, zickte Kagome sie im Gegenzug an. Im letzten Moment ging Yuka dazwischen und verhinderte ein wildes Handgemenge. Ihre Freundschaft würde auch dieses Jahr wieder den Schlussverkauf überleben; das hier war nun mal eine absolute Extremsituation und sich jede selbst die nächste. Endlich öffnete sich die Tür zum Modeparadies und laute Musik wummerte aus den Lautsprechern. Unter lautem Gekreische stürmte die Herde Mädchen den Laden und alles stürzte sich auf die Kleiderständer und Regale. Kagome hatte in den Tagen zuvor schon Aufklärungsarbeit geleistet und genau erkundet, an welchem Ständer das Kleid hing, auf das sie es abgesehen hatte. Es war ein Traum aus royal blauem, luftig leichtem Stoff, der zu einem raffiniert ausgeschnittenen, knielangen Sommerkleid verarbeitet worden war. Selbst reduziert war es immer noch sündhaft teuer, aber sie hatte tapfer gespart für diesen einen Tag. Schnurstracks huschte sie durch die Phalanx der Mädchen und schlich sich an der Wand entlang zu jenem Kleiderständer. Er stand an der Rückwand des Ladens und der Strom der Schnäppchenjägerinnen war noch nicht in voller Stärke bis hier vorgedrungen. Hektisch schob sie einen Kleiderbügel nach dem anderen beiseite und suchte nach ihrer Größe. Der feine Stoff, den ihre Hände dabei immer wieder berührten, steigerte ihre Gier ins Unermessliche. „XS, XS, S… wem soll denn sowas passen?“, zischte sie angespannt. Endlich war sie am Ziel ihrer Wünsche angekommen und hielt das letzte Stück in ihrer Größe in den Händen! Wüst wurde sie umgerempelt und ein Ellenbogen schlug an ihrer Schläfe ein. Sie war einen Moment lang überrascht und merkte erst im letzten Moment, dass eine elegant gekleidete Frau versuchte ihr das Kleid aus dem Arm zu zerren. Oh, diese Pute wollte Krieg? Den konnte sie haben! Sie drehte ihren Oberkörper zur Seite um die Beute vor erneutem Zugriff zu schützen und schrie ihre Widersacherin an: „Verschwinde, ich war zuerst da!“ Doch die ließ sich nicht beeindrucken und trat einen Schritt nach vorne. Jetzt kamen Kagome die vielen Kämpfe gegen Youkai und Narakus Abkömmlinge im Mittelalter zugute. Geschickt wich sie den gierigen Fingern aus und schob ihr rechtes Bein vor die Füße ihrer Gegnerin, die dadurch zu Fall gebracht wurde. „Das hast du davon, Vogelscheuche!“, spie sie der am Boden Liegenden entgegen und machte sich auf den Weg zur Kasse. Eine gewisse Nahkampferfahrung war auch in ihrer Zeit manchmal von Vorteil. Sie schaffte es ohne weitere Zwischenfälle zu bezahlen und hielt ihre Beute – ach was Trophäe! – in einer bunt bedruckten Papiertüte endlich in den Händen. Neugierig suchte sie im Gewühl nach ihren Freundinnen, konnte aber keine entdecken. Sie hörte nur aus einer Ecke Ayumi verzweifelt wehklagen; offenbar hatte sie das Duell am Wühltisch um die Handtaschen verloren. Es war sinnlos zu warten bis ihre Freundinnen fertig waren, also verließ Kagome den überfüllten Laden und beschloss noch etwas über die Einkaufsmeile zu bummeln. Sie schlenderte langsam durch die breiten Straßen, an denen sich ein Geschäft nach dem anderen aufreihte. Hier gab es nichts, was es nicht gab: Kleider, Schuhe, Schmuck in allen Formen und Farben; Große und kleine elektronische Geräte, Nützliches und Schnickschnack. Sogar ein Autohaus für edle Karossen hatte seinen Sitz an einem Ende der langen Straße. Unterbrochen wurde die Gleichförmigkeit der Konsumtempel durch viele Bistros und Cafés, in denen erschöpfte Kunden sich von den Strapazen des Einkaufens erholen konnten. In der Mitte der Straße plätscherte ein großer Brunnen, der ein beliebter Treffpunkt war. Eine abstrakte Skulptur bildete den Mittelpunkt, an der das Wasser in das breite Becken herunterlief. Ein paar kleinere Fontänen waren um das Kunstwerk herum installiert und spritzen ihr Wasser in das Bassin. Auf dem steinernen Rand saßen viele Leute, die sich unterhielten oder einfach nur rasteten. Ein Mädchen fiel Kagome dabei ins Auge, irgendwie kam sie ihr bekannt vor. Aus der Entfernung kam sich nicht darauf, wer sie sein könnte und woher sie sie kennen könnte, aber als sie direkt vor ihr stand, bemerkte sie den hölzernen Anhänger um ihren Hals. Das konnte niemand anderes als Hanako sein! Sie sah traurig aus und hatte den Kopf in ihre Hände gestützt. Nachdenklich sah sie auf den Boden, etwas schien sie zu bedrücken. „Kleines Regengesicht, was ist denn los?“, sprach Kagome sie an. Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und hob den Kopf. Sie sah direkt in das sonnige Lächeln Kagomes. „Ka…Kagome?“, stotterte sie ungläubig. „Live und in Farbe!“, lachte die Ältere und setzte sich neben sie. „Also, was ist passiert, dass du so traurig guckst?“ Niedergeschlagen nahm die Hanyou wieder ihre Schuhe in Augenschein. „Nichts besonderes, es ist wie immer. Ich bin fast immer so traurig.“ Kagome hatte zwar den Verdacht, dass das nicht die ganze Wahrheit war, aber sie wollte die Kleine nicht zu sehr löchern. Stattdessen legte sie ihr einen Arm um die Schulter und versuchte sie aufzuheitern. „Weißt du, was mir hilft, wenn ich traurig bin? Ein großer Becher Schokoladeneis!“ Verunsichert sah Hanako sie an. „Aber ich… ich habe nicht…“, sagte sie zögerlich. „Mach dir darüber mal keinen Kopf“, zwinkerte ihr Kagome verschwörerisch zu, „Ich lade dich ein!“ Noch bevor sie eine Antwort erhielt, schnappte sie sich Hanakos Hand und führte sie zu einer Eisdiele, die nur wenige Meter entfernt lag. Widerstand war nicht möglich und Kagome nahm auch keine Rücksicht darauf. Die Terrasse auf der Straße war komplett belegt, aber das war Kagome ganz recht. Sie wollte etwas abgeschieden sitzen, damit sie und Hanako offen reden konnten. Ganz ohne Hintergedanken hatte sie sie nicht eingeladen, es war die ideale Situation, um sie über Sesshoumaru auszufragen. Niemand schien heutzutage ihn besser zu kennen als die Halbdämonin, sie wusste schließlich auch als Einzige, dass er ein Vollblutdämon war. In einer Ecke des Cafés waren noch mehrere Tische frei und die beiden setzen sich. Kagome schmökerte sofort in der Eiskarte. Es lief ihr das Wasser im Munde zusammen bei den vielen angebotenen Köstlichkeiten, wie sollte sie sich da nur entscheiden? Unsicher sah Hanako auch auf ihre Karte, aber es machte sich nicht die gleiche Vorfreude in ihrem Gesicht breit wie bei Kagome. „Kagome?“, nahm sie sich schließlich ein Herz und sprach die geistig Abwesende an. „Was denn?“, kam es hinter dem Papier hervor. „Was ist das?“, fragte sie und zeigte auf ein Bild von einem mit vielen Früchten garnierten Becher. „Ein tropischer Obstbecher, steht doch da“, murmelte Kagome, nachdem sie einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. Hanako errötete nun heftig und sah verlegen zur Seite. „Entschuldige, dass ich dich gestört habe. Es ist nur… ich kann nicht lesen.“ Geschockt ließ Kagome die Karte sinken. „Wieso kannst du nicht lesen?“ „War nie auf der Schule, keiner hat’s mir beigebracht“, druckste Hanako herum. Da hättest du auch selbst darauf kommen können, schlug sich Kagome innerlich an die Stirn. „Entschuldige bitte, das war taktlos von mir“, sagte sie verlegen. „Mach dir nichts draus“, winkte Hanako ab, „Es muss dich überraschen, weil unter Menschen ist es ja normal, dass es alle können.“ Sofort war die Neugier in ihr wieder entflammt und sie konnte es sich nicht verkneifen das Mädchen auszufragen: „Alle Dämonen können weder lesen noch schreiben?“ „Alle bis auf Sesshoumaru. Wenn jemand etwas vorgelesen haben möchte oder aufschreiben muss, geht er ins Teehaus.“ „Verstehe“, sagte Kagome ungläubig. Zusammen gingen sie nun die Eiskarte durch und bestellten dann je einen Becher Schokoladeneis, natürlich mit extra Sahne. Sie genoss die cremige Kälte auf ihrer Zunge, das samtige Schokoladenaroma, die Süße von Vanille; das erste Eis des Jahres war immer das Beste. Verträumt hatte Kagome die Augen geschlossen und ließ den Löffel ganz langsam über ihre Lippen gleiten. Ein wohliges Seufzen entwich ihr. „Machst du immer ein so komisches Gesicht, wenn du Eis isst?“, zerstörte Hanako den Moment himmlischen Genusses. Verlegen antwortete sie: „Nein, nur beim Ersten der Saison.“ Als die Becher leer waren, nahm Kagome wieder den Gesprächsfaden auf: „Wie lange gibt es das Teehaus eigentlich? Es sieht alt aus, aber es lässt sich nicht einschätzen.“ „Gute Frage“, sagte Hanako und legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. „Es war schon immer da, seit ich mich erinnern kann. Meine Großmutter hatte glaube ich mal erwähnt, dass Sesshoumaru kurz nach dem Krieg aus dem Nichts auftauchte und das Teehaus eröffnete.“ „Krieg? Du meinst den zweiten Weltkrieg, oder?“, fragte Kagome aufgeregt nach. Das war ihre erste wirklich heiße Spur! „Ja. Sie hatte erzählt, dass es in den Nachkriegswirren plötzlich da war. Sie haben seine Kraft gespürt oder so und dann hat es sich rumgesprochen, ich weiß es nicht genau. Jedenfalls hatte er da angefangen allen zu helfen sich vor den Menschen zu verstecken.“ Sie zog den Talisman, den sie um den Hals trug, etwas nach vorne, um ihn Kagome zu zeigen. „Viele von uns tragen so ein Ding, damit wir uns wenigstens frei bewegen können. Du hast ja gesehen, dass er sie bei sich aufbewahrt. Alles was nicht menschlich aussieht, verschwindet, solange man die Kette anhat. Ich habe keine Ahnung wie es funktioniert, aber ich glaube es ist eine Art Zauber und hängt damit zusammen, dass er ein richtiger Youkai ist. Die Zeichen sehen alt aus, ich habe sowas ähnliches mal in einem alten Tempel gesehen.“ Diesmal hatte Kagome genug Zeit, um das Amulett genau anzusehen. Es sah völlig unscheinbar aus, ähnlich den Anhängern, die in jedem Schrein verkauft wurden und Glück bringen sollten. Ein kleines, flaches Holzplättchen mit einem Loch, durch das ein Lederband gezogen war. Schwarze Tinte auf dunklem Holz. Er musste selbst auch so einen Anhänger tragen, fiel ihr auf. Anders war es nicht zu erklären, dass seine Zeichnungen im Gesicht und an den Armen verschwunden waren. „Ja, das sind alte Schriftzeichen. Ich kann es gar nicht entziffern“, sagte Kagome nachdenklich und drehte den Talisman in ihren Fingern. Plötzlich sah Hanako sie ernst an. „Er ist sehr alt, oder?“ Von dem plötzlichen Überfall verwirrt, stammelte Kagome: „Wieso… Ich meine, wie kommst du darauf?“ Oh Mann, gerade noch einmal die Kurve gekriegt, schalt sie sich innerlich. Sie war einfach keine überzeugende Lügnerin. „Naja, er kennt viele alte Sachen. Außerdem, wenn er seit 70 Jahren das Teehaus hat, dann müsste er eigentlich ein alter Mann sein. Aber er sieht noch so jung aus. Ich kenne niemanden, der so alt geworden ist. Meine Großmutter war mit fast sechzig schon sehr alt geworden. Ich glaube, das liegt daran, dass er ein echter Youkai ist. Wahrscheinlich werden die älter als wir.“ Hut ab, dachte Kagome, die Kleine hatte wirklich einen messerscharfen Verstand. Sie würde vorsichtig sein müssen, damit die Hanyou nicht hinter ihr gemeinsames Geheimnis kommen würde. „Dich scheint das nicht zu überraschen“, setzte sie ihren Vortrag fort, „Woher kennst du ihn überhaupt? Ich dachte immer, er versucht Menschen so gut wie es aus dem Weg zu gehen.“ Kagome konnte knapp verhindern, dass ihr die Gesichtszüge entglitten. Verdammt, was sollte sie nur sagen? Sie konnte doch nicht zugeben, dass sie in die Vergangenheit gereist war und ihn dort getroffen hatte! Denk nach, Kagome! Nervös rutschte sie auf dem Stuhl herum. „Ähm… das war…“, druckste sie herum und versuchte Zeit zu gewinnen, bis ihr eine gute Geschichte einfallen würde. „Hat es etwas damit zu tun, dass du eine Miko bist?“, bohrte Hanako gnadenlos nach. Natürlich, das war die Idee! „Ja, ich wohne in einem Schrein und mein Großvater kennt sich sehr gut mit alten Legenden über Dämonen aus. Wir haben dort einen alten Brunnen, in dem angeblich früher ein Youkai begraben wurde. Wegen dieser alten Geschichte kennen wir uns und er findet es seitdem praktisch eine Miko zu kennen. Zum Beispiel um deine Kette zu verstärken.“ Sie war stolz auf sich, das war noch nicht einmal völlig an den Haaren herbeigezogen! Sie hatte nur viele, entscheidende Details ausgespart. „Er weiß auch viel über alte Mythen“, dachte Hanako laut nach. Erleichtert atmete Kagome wieder aus; das Mädchen hatte ihr scheinbar die Geschichte abgekauft! „Machen sich deine Eltern eigentlich keine Sorgen, wenn du allein unterwegs bist?“, versuchte Kagome nun unauffällig das Thema zu wechseln. Sofort verschwand jede Freude aus dem Gesicht der Halbdämonin und sie sah wieder niedergeschlagen aus. „Sie sind schon lange tot, niemand vermisst mich.“ Und wieder voll ins Fettnäpfchen, schoss es der Miko in den Kopf. Sie hatte aber auch ein Talent dafür. Mitfühlend griff sie ihre Hand. „Was ist geschehen mit ihnen?“ Hanako suchte wie so oft die Antwort auf dem Boden und senkte ihren Blick. „Mein Vater ist gestorben, da war ich noch nicht geboren. Ich weiß gar nichts über ihn, nicht mal, warum er tot ist. Meine Mama hatte das nie verkraftet. Erst hat sie angefangen zu trinken, dann fing sie mit diesen komischen Pillen an. Als ich sechs war, lag sie plötzlich morgens tot im Bett.“ „Das ist ja furchtbar!“, entfuhr es Kagome, die sich entsetzt eine Hand vor den Mund schlug. „Du warst doch noch ein kleines Kind! Wer hat sich dann um dich gekümmert?“ „Oma. Sie hat sich auch schon vorher immer um mich gekümmert. Leider ist sie dann sehr krank geworden und seit drei Jahren habe ich niemanden mehr außer Sesshoumaru. Wenn ich Hilfe brauche, darf ich immer zu ihm kommen.“ Es war ein Wunder, wie sie sich durch ein so widriges Leben schlug, dachte Kagome betroffen. Nicht nur, dass sie am Rande der Gesellschaft lebte, sie war auch noch auf sich allein gestellt. Der sich ausbreitende Schwermut wurde jäh von einem lauten Piepsen unterbrochen. „Oh, das ist meins!“, sagte Hanako erschrocken. Sie griff in ihre Hosentasche und zog ein altes Mobiltelefon hervor. „Du hast ein Handy?“, fragte Kagome beiläufig. „Ja, meine Auftraggeber haben es mir gegeben, damit sie mir sagen können, was ich stehlen soll und wo ich sie danach treffen kann. Warte einen Moment!“ Sie nahm das Gespräch an und stürzte auf die Straße. Kagome hatte dadurch die Gelegenheit die neu gewonnen Informationen zu bewerten. Seit dem Krieg… und vorher hat ihn niemand gesehen…. Irgendwas musste im Krieg passiert sein, dass ihn so verändert hatte, da war sie sich sicher. „Entschuldige“, sagte Hanako als sie sich wieder an den Tisch setzte. Kagome war so in Gedanken versunken, dass sie es kaum mitbekommen hatte. „Kagome? Worüber denkst du nach?“ Brutal wurde sie aus ihren Gedanken gerissen und schaute verdutzt in das neugierige Gesicht auf der anderen Seite des Tischs. „Nichts! Ich habe nur gedacht, dass es eine gute Idee wäre, wenn du mir deine Nummer gibst. Dann könnte wir uns öfter treffen und ich dir Lesen und Schreiben beibringen!“ Überglücklich strahlten große Augen sie an. „Wirklich? Das würdest du tun?“ „Na klar! Das geht doch nicht, dass ein großes Mädchen wie du sich kein Eis alleine aussuchen kann“, antwortete sie mit einem verschmitzten Zwinkern. Die kleine Diebin schien der Schlüssel zu Sesshoumarus Geschichte zu sein. Sie sollte sich öfter mit ihr treffen, vielleicht wusste sie noch andere Dinge, die sie auf die richtige Spur bringen würden. Außerdem hatte sie sie auch liebgewonnen in der kurzen Zeit. Es war schön wieder etwas Magie und Farbe in ihrem gleichförmigen Leben zu haben. Kapitel 7: Sturm durch die Geschichte ------------------------------------- „Trägt man jetzt Veilchen in Paris?“, fragte Sesshoumaru süffisant, als Kagome am nächsten Tag wieder in sein Teehaus kam. Ein großer, violetter Fleck zierte ihre rechte Schläfe und schimmerte durch die verzweifelten Versuche ihn zu überschminken durch. Peinlich berührt nahm sie ihren üblichen Platz ihm gegenüber ein und brummte missmutig: „Ach halt doch einfach die Klappe!“ „Gehst du noch mehr Menschen mit deiner Neugierde auf die Nerven, die weniger Geduld besitzen als ich?“, bohrte er genüsslich nach. „Du bist wieder charmant wie eh und je. Ganz das alte Ekelpaket.“ „Zu ihren Dienste, gnädige Frau“, sagte er förmlich und deutete einen Diener an. Sie wusste nun nicht mehr ob sie weiter wütend auf seine Unverschämtheit sein sollte oder in lautem Lachen ausbrechen sollte. Die Entscheidung wurde ihr von ihm abgenommen. „Soso, also hatten deine Ausflüge ins Mittelalter einen schlechten Einfluss auf dich und jetzt prügelst du dich auf der Straße?“, ätzte er weiter und das selbstgefällige Lächeln wurde wieder breiter. „Woher weißt du-?“ Entsetzt sah sie ihn an. Er wusste damals schon, dass sie aus der Zukunft kam? Fassungslos starrte sie ihn weiter an. Er genoss es sie so aus der Contenance zu bringen. Entspannt stützte er sich auf einen Arm und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. „Ich hab dir schon einmal gesagt, dass ich nicht so blöd bin, wie du denkst. Man musste nur eins und eins zusammenzählen, außerdem hast du dir auch nie die Mühe gemacht es zu verbergen.“ „Es war so offensichtlich?“, fragte sie betrübt. „Du bist in Kleidung von heute herumgerannt, die kein vernünftig denkender Mensch damals getragen hätte. Du hast Gegenstände mitgebracht, die die damalige Technologie weit übertrafen. Soll ich die Liste noch weiterführen?“ „Nein, ist schon gut“, schämte sie sich für ihre Naivität. „Selbst wenn ich es damals nicht begriffen hätte, ein gewisser Hanyou konnte seine Klappe nach deinem Verschwinden nicht halten.“ Immer fester wurde der Knoten in ihrer Brust. Das machte er doch wieder absichtlich! Erst führte er sie vor, bis sie sich in Grund und Boden schämte und dann gab er ihr den Rest, indem er von seinem Bruder sprach. Er wusste ganz genau, wie sehr es sie schmerzen musste. Sie hatte sich etwas von ihm weggedreht, dass er wenigstens nicht direkt ihr trauriges Gesicht sehen konnte. Er war immer noch dasselbe Arschloch wie vor 500 Jahren, schoss es ihr in den Kopf. Der einzige Unterschied lag darin, dass er heute die Menschen nicht mehr körperlich quälte, sondern sich einen Spaß daraus machte mit ihren Gefühlen zu spielen. Er hielt ein Flasche in der Hand und nahm einen Schluck davon. Dann fragte er Kagome herablassend: „Hast du’s bald? Sonst wird mein Bier warm, wenn ich weiter warten muss.“ Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Dann kühl es an deinem Herzen!“, schrie sie ihn wutentbrannt an. Was glaubte er eigentlich, wer er war und was ihm das Recht verlieh sie so zu behandeln? Interessiert hob er die Augenbrauen und schüttelte mitleidig den Kopf. „Was hast du erwartet? Das ich Freudensprünge mache, dass du ungefragt in mein Leben platzt und mir ständig auf die Nerven gehst? Dass ich dein bester Freund werde? Ich habe Menschen damals verabscheut und ich tue es auch heute noch, also was glaubst du, wer vor dir steht? Ich bin nicht dein Schoßhund, wie es Inuyasha war.“ Sie hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, die Wut hatte sie in einen schmalen Strich verwandelt. Gut, wenn er Streit wollte, den konnte er haben! So durfte niemand mit ihr umgehen, das würde sie ihm mit gleicher Münze zurückzahlen. „Was ich vor mir sehe? Einen gescheiterten Mann, der sich verzweifelt an die Vergangenheit krallt und niemanden an sich heran lässt, damit niemand sieht, was für ein Haufen Elend übrig geblieben ist! Jemand, der versucht seine Erinnerungen zu betäuben, damit er nicht daran zerbricht! Jemand, der sich vor der Welt versteckt, weil er Angst vor ihr hat!“ Schwer atmend funkelte sie ihn aus blitzenden Augen an. Es tat gut sich so Luft zu verschaffen, sich nicht weiter die Demütigungen gefallen zu lassen. „Hör auf über Dinge urteilen zu wollen, von denen du keine Ahnung hast“, entgegnete er ruhig ihrem emotionalen Ausbruch. „Ja, ich hab keine Ahnung, weil du es ja vorziehst dich in Schweigen zu hüllen! Vielleicht wäre ich weniger nervig, wenn ich verstehen würde, was vor sich geht!“ Langsam verengten sich Sesshoumarus Augen gefährlich; es war ein klares Anzeichen, dass er nun wirklich gereizt war. Sonst aber konnte man an seiner eisigen Fassade keinen Hinweis auf seinen Ärger erkennen. „Ich wüsste nicht, was du verstehen solltest. Es ist nicht relevant für dich, also verschwinde zurück in deine heile Welt.“ Kagome hielt es schon lange nicht mehr auf ihrem Hocker, sie war aufgesprungen und hatte die Hände energisch in die Hüften gestemmt. Sie schrie beinahe, so aufgebracht war sie. „Ich wüsste gerne, was im Weltkrieg passiert ist, dass du plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht bist und das Teehaus eröffnet hast.“ „Wie kommst du auf diese schwachsinnige Idee?“, wehrte er betont gelangweilt ab. „Weil ich aus sicherer Quelle weiß, dass es so war. Also, was hast du im Krieg verloren, dass du dich aufgegeben hast?“, stellte sie ihn weiter unnachgiebig zur Rede. Die letzte Frage musste ein Wirkungstreffer ins Schwarze gewesen sein. Seine stoische Ruhe war mit einem Mal wie weggeblasen, sein Körper spannte sich an und sein Gesicht wurde von einer Welle der Wut verzerrt. Seine sonst so sorgsam unterdrückte Dämonenaura flammte auf und sein inneres Biest tobte vor Zorn. „Raus!“, donnerte seine Stimme durch den Raum, als sich seine Augen rot färbten. Das war keine wohlgemeinte, höfliche Bitte, stellte Kagome ängstlich fest. Sie schnappte sich ihre Tasche und verließ fluchtartig das Teehaus. Nach dem Abendessen hatte sie zuhause endlich die Ruhe, um die Ereignisse des Tages Revue passieren zu lassen. Eine Anmerkung von ihr hatte gereicht, dass er aus der Haut gefahren war. Sie musste genau ins Schwarze getroffen haben, anders war sein Wutausbruch nicht zu erklären, der so völlig untypisch für ihn war. Ihm ging es wohl nicht anders als jedem anderem, der Schlimmes erlebt hatte. Sobald jemand ihm und seinen verschlossenen Erinnerungen zu nahe kam, verteidigte er vehement seine Grenzen. Je heftiger die Reaktion, desto näher war man dem eigentlichen Grundkonflikt der Persönlichkeit. Ihn jetzt weiter ausfragen zu wollen, wäre blanker Selbstmord. Sie würde keine weiteren Informationen bekommen und nur den Graben zwischen ihnen vertiefen, was sie für immer auseinander treiben würde. Kagome wollte nicht, dass er litt oder dass es ihm schlechter ging. Sie wollte lediglich verstehen, was diesem einst so stolzen Mann widerfahren war und ihn resignieren ließ. Vielleicht gab es ja auch eine Möglichkeit seinen Schmerz zu lindern, aber das konnte sie erst beurteilen, wenn sie seine Geschichte kannte. Als sie sich die Zähne vor dem Zubettgehen putzte, kam ihr eine Idee, wie sie etwas herausfinden könnte, ohne dass er es erfahren würde. Am nächsten Tag ging sie von der Schule aus nicht ihren üblichen Weg nachhause oder alternativ ins Teehaus, sondern lief eine Seitenstraße entlang, bis sie endlich am Bahnhof des Viertels angelangt war. Es war ein kleiner Haltepunkt mit zwei Gleisen, den nur die Bahnen des örtlichen Nahverkehrs passierten. Das Gebäude war ein gesichtsloser Neubau, es war beliebig und austauschbar und hätte genauso gut irgendwo anders im Land stehen können. Wahrscheinlich tat es das auch, denn diese Art Bahnhof wurde einmal geplant und dann hundertfach überall gebaut. Sie kaufte am Automaten einen Fahrschein und ging eine breite Treppe hinab, die sie in eine Unterführung brachte. Von dort kletterte sie eine weitere Treppe hinauf und stand direkt am Bahnsteig. Die Hitze des Nachmittags lag schwer in der Luft, jeder war froh sich nicht bewegen zu müssen. Ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel verriet ihr, dass sie noch einige Minuten auf ihren Zug in Richtung Stadtzentrum zu warten hatte. Sie musste nicht lange fahren zum Glück, denn in dem überfüllten Abteil hatte sie nur einen Stehplatz im Gang gefunden, leider ohne Möglichkeit sich irgendwo festhalten zu können. Bei jedem Halt und in jeder Kurve wurde sie umher geworfen und sie konnte sich gar nicht oft genug dafür entschuldigen die Mitreisenden angerempelt zu haben. Olfaktorisch war die kurze Reise ebenfalls ein Hochgenuss. Die stickige, muffige Luft stand im Zug, es gab kein Fenster, das sich öffnen ließ und die Bahngesellschaft hielt es wohl für noch nicht warm genug um die Klimaanlage in Betrieb zu nehmen. Irgendwo musste jemand sitzen, der in den letzen Wochen vergessen hatte zu duschen und einige Sitze weiter hatte eine Dame Unmengen eines schweren, süßen Parfums aufgelegt. Diese Kombination machte ihr schwer zu schaffen, sie wurde langsam merklich grün um die Nase. All das nehm ich nur für den alten Hund auf mich, dachte Kagome schwermütig. Es wäre nur gerecht, wenn er sich im Gegenzug mit seiner feinen Nase ebenfalls diesen Düften aussetzen müsste. „Nächster Halt, Universität. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“, quäkte die Stimme eines unglaublich motivierten Triebfahrzeugführers aus dem Lautsprecher und kündigte das Ende ihres Martyriums an. Sie sah sich neugierig um und musste sich erst einmal orientieren. Hier war sie bisher noch nie ausgestiegen. Als sie endlich sich einen Überblick über den Schilderwald gemacht hatte, lief sie durch das unterirdische Labyrinth, bis sie endlich zu einer Rolltreppe kam, die sie zurück ans Tageslicht brachte. Sie stand nun auf einer belebten Straße, die von hohen Bürogebäuden umgeben war. An deren Ende sah sie die großen und altehrwürdigen Bauten der Universität, aus denen Heerscharen von jungen Menschen strömten. Das war aber nicht ihr Ziel, sie drehte sich um die eigene Achse und entdeckte endlich das Ziel ihrer Expedition. Das Nationalarchiv war in einem hässlichen Betonklotz untergebracht, der kalt und abweisend aus der Reihe der übrigen Häuser stach. Es war ein typischer Nachkriegsbau; schmucklos, betongrau, trist und nur mit der minimal nötigen Menge Licht ausgestattet. Das Areal war riesig, von der Stirnseite her konnte sie nur die klobige Front sehen, aber sie wusste von Fotos, dass sich ein Gewirr von Nebengebäuden dahinter verbarg. Hier wurde die gesamte Geschichte des Landes aufbewahrt. Jedes Dokument, sei es auch noch so unbedeutend. Jahrhunderte waren fein säuberlich katalogisiert, auf Mikrofilm fotografiert und schließlich in den Kellern archiviert worden. Langsam fand aber selbst an diesem Ort die moderne Technik Einzug, denn man arbeitete nun daran den gesamten Bestand zu digitalisieren. Wenn sein Name irgendwo, irgendwann einmal von einem Menschen aufgeschrieben worden war, dann war dies der Ort, an dem sie das Dokument finden konnte. Sie passierte die Eingangstür und musste eine Taschenkontrolle über sich ergehen lassen. Sie war bereits einmal mit ihrer Geschichtsklasse hier gewesen, daher wusste sie, wie sie an die benötigten Informationen gelangen konnte. Die Kataloge waren in riesige Datenbanken erfasst. An einem langen Tisch standen viele Dutzend Computer, mit deren Hilfe sich gezielt das Archiv nach Themen, Ereignissen oder Namen durchsuchen ließ. Schnell fand Kagome einen freien Platz und setzte sich vor einen der Bildschirme. Leicht überfordert sah sie die Suchoptionen an. „Hmmm…. Ich suche nach einem Namen“, begann sie ein Selbstgespräch und wählte auf dem Bildschirm das passende Kästchen mit einem Haken aus. „Zeitraum. Naja, fangen wir mal mit dem zweiten Weltkrieg an.“ Sie beschloss, den Zeitraum etwas großzügiger zu wählen, da sie nicht wusste, ob das Ereignis vor, während oder nach dem Krieg lag. „1930 – 1948“, tippte sie ein. Dann widmete sie sich dem letzten Kästchen, das sie um einen Suchbegriff bat. Was sollte sie wählen? Seinen Namen? Sie wusste nicht, ob er nicht zwischenzeitlich unter einem anderen Namen gelebt hatte. Aber heute kannten ihn alle unter seinem richtigen Namen, also versuchte sie es damit. Er hatte einen sehr außergewöhnlichen Namen, deshalb hoffte sie, dass, wenn sie einen Treffer landen würde, es sich auch um ihn handeln würde. Sie tippte seinen Namen in das Suchfeld ein, überprüfte zweimal, ob sie sich nicht verschrieben hatte und drückte dann auf das große Lupensymbol. Eine Sanduhr wurde auf dem Bildschirm nun angezeigt und der Lüfter des Computers begann laut zu rauschen. Ungeduldig und angespannt sah sie auf das sich immer wieder rotierende Symbol. „Mach schon“, flehte sie die Maschine an, die scheinbar in aller Gemütsruhe durch die Datenregale schlenderte um nach dem Daiyoukai Ausschau zu halten. „0 Treffer“, spuckte das Suchprogramm schließlich aus. Genervt raufte sie sich die Haare. Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn sie den Köter sofort hätte finden können. Jetzt musste sie sich eine neue Suchanfrage überlegen. Hanako hatte zwar erzählt, dass er nach dem Krieg aufgetaucht war, aber vielleicht hatte er zu diesem Zeitpunkt der Welt der Menschen ja schon den Rücken zugekehrt. Sie lehnte sich weit nach hinten in ihrem Stuhl und sah nachdenklich an die Decke. Sie hatte sonst keinen Anhaltspunkt, keine Idee. Es blieb ihr wohl nichts anderen übrig, als eine sehr weit gefasste Suche zu starten. Es musste etwas um 1500 gewesen sein, dass sie das Mittelalter durch den Brunnen verlassen hatte, also musste sie jetzt die gut 450 Jahre bis zu seinem Wiederauftauchen durchsuchen. Und das würde dauern. Aber sie musste es einfach tun, sie würde es sonst ewig bereuen. Also tippte sie in das Feld, das nach dem Zeitraum fragte: „1500 – 1948“ Ein weiterer Klick auf die Lupe und wieder begann der Rechner unter der gewaltigen Datenmenge zu schnaufen. Die Sanduhr verhöhnte sie und ihre Geduld mit jeder Umdrehung. Sie schaute auf ihre Uhr, es waren nun schon zehn Minuten vergangen und der Computer suchte immer noch in den Archiven. Ohje, das könnte dauern vier Jahrhunderte zu durchsuchen, dachte sie entmutigt. Sie beschloss die Wartezeit sinnvoll zu nutzen und zog das Buch aus ihrer Tasche, das sie für ihren Literaturunterricht zu lesen hatte. Ein Piepsen zeigte drei Kapitel später an, dass der Computer seine Reise durch die Geschichte beendet hatte. Zum Zerreißen gespannt sah sie auf das Ergebnisfeld. „5 Treffer“, leuchtete in roter Schrift auf dem Bildschirm. Der Erste war von 1505. Ein Mönch hatte eine Legende über den Kampf gegen einen Dämon beschrieben, der versuchte das Juwel der vier Seelen an sich zu reißen. Das war ja ihre Geschichte! Sie überflog den abfotografierten Text und musste lächeln. Das Dokument erzählte die Geschichte von ihrem gemeinsamen Kampf gegen Naraku. Sie klickte es weg, denn hier würde sie nicht die Antworten auf ihre Fragen finden. Die nächsten drei Treffer handelten von Berichten verschiedener Feldherren, die ihn als Anführer eines Heeres von Youkai erwähnten in verschiedenen Schlachten. Aber alle beschrieben Ereignisse, die unmittelbar in die Zeit der kriegerischen Staaten fielen. Außerdem schien er ja dort noch ganz der Alte gewesen zu sein. Das würde sie auch nicht weiterbringen. Der letzte Eintrag weckte ihr Interesse. Es war eine Aufstellung einer Gruppe von Kämpfern, aber komischerweise aus dem Jahr 1868. Das war doch die Zeit des Boshin-Kriegs! Was hatte er denn mit den Anfängen der Revolution zu tun gehabt? Sie studierte sorgfältig die Liste. Es war schwierig sie zu entziffern, denn das Papier war bereits verwittert, als es in den Besitz des Archives überging und der Schreiber hatte eine fürchterliche Schrift. Am Ende der Liste fand sie seinen Namen. Doch dahinter stand nur „verschollen“. Es war eine Liste über den Sold von Kriegern, die vom Shogunat für den Kampf gegen die rebellischen Provinzen angeheuert worden waren. Nachdenklich ließ sie sich in ihren Stuhl sinken. Warum hatte er sich den reaktionären Kräften angeschlossen? Warum hatte er überhaupt an der Seite von Menschen gekämpft? Was waren seine Motive gewesen? Es war wie immer, eine Antwort zog tausend neue Fragen nach sich. Es gab keinen Hinweis in dem Dokument, der auf seine dämonische Herkunft oder seinen Status als Herrscher verwies. Er schien ein ganz normaler Söldner gewesen zu sein unter vielen. Hatte dieser Krieg etwas mit seinem Niedergang zu tun? Oder war er eine Folge dessen? Entmutigt legte sie den Kopf auf dem Tisch. Die einzige Spur, die sie gefunden hatte, verlief sofort wieder im Sand. Kagome seufzte schwer. Es führte kein Weg daran vorbei, sie würde Sesshoumaru wieder aufsuchen und ihn zu den Ereignissen und seiner Rolle im Boshin-Krieg befragen müssen. Kapitel 8: Geschichte wiederholt sich ------------------------------------- Eine Woche war seit Kagomes Ausflug in das Archiv vergangen. Doch was sollte sie mit den gewonnenen Erkenntnissen anfangen? Sie hatte eine Spur gefunden, die sich aber sofort im Nebel der Geschichte wieder verlief. Es gab nur eine einzige Person, die Licht in das Dunkel bringen konnte, doch die war im Moment sehr schlecht auf sie zu sprechen. Was sollte sie nur tun? Ihre Gedanken kreisten schon seit Tage um diese Frage, aber sie fand keine Lösung für ihr Dilemma, so sehr sie sich auch bemühte. Müde hatte sie ihren Kopf auf ihren Handrücken gestützt und schaute ins Nichts. Ein schweres Seufzen schlich sich aus ihrer Brust. Es war einfach frustrierend. Dieser Mann war frustrierend. „Hey Kagome, was ist denn los?“, riss Yuka sie aus ihren trüben Gedanken, „Du siehst schon seit Tagen so traurig aus. Ist etwas?“ Mit hoffnungsvollen, großen Augen sah Kagome zu ihrer Freundin auf. Sie musste einfach jemandem ihr Herz ausschütten, die Ereignisse der letzten Wochen waren einfach zu viel für sie allein. Aber was sollte sie ihr sagen? „Hey Yuka, ich hab‘ da einen alten Youkai wiedergetroffen. Er hat irgendwas Furchtbares in den letzten 500 Jahren erlebt, worüber er nicht sprechen will und ist der letzte seiner Art. Ich will wissen, was mit ihm passiert ist, aber er blockt alles ab. Achja, wenn ich ihn zu sehr bedränge, bringt er mich ohne mit der Wimper zu zucken um!“ Nein, das würde die Sache nur noch weiter verkomplizieren… Aber vielleicht konnte Yuka ihr doch einen Rat geben? Sie musste ihr ja nicht alles erzählen. „Hmmm, ja. Weißt du, ich habe einen Bekannten von früher getroffen“, begann sie zögerlich zu erzählen, „Ich habe ihn jahrelang nicht gesehen und jetzt haben wir uns vor Kurzem durch Zufall wiedergesehen. Er hat sich so sehr verändert, ich denke, dass ihm irgendwas Schlimmes wiederfahren ist.“ Yuka setzte sich neben sie und legte ihr mitfühlend eine Hand aufs Knie. „Warum glaubst du das? Vielleicht ist er einfach nur älter und reifer geworden.“ Nein, ganz sicher nicht, dachte Kagome. „Er verkriecht sich völlig in seiner eigenen kleinen Welt und beißt jeden weg, der ihm zu nahe kommt. Letzte Woche hatten wir einen ziemlich bösen Streit, weil ich ihm genau das vorgeworfen habe. Er ist explodiert und hat mich rausgeschmissen. Ich habe ihn noch nie so wütend erlebt!“ Yuka schenkte ihr ein verständiges Lächeln. „Na, das ist ja auch kein Wunder, wenn du ihn so drangsalierst. Lass mich raten, dein Helferreflex ist auf ihn angesprungen?“ „Nein, wie kommst du darauf?“, entgegnete Kagome ertappt. „Es lässt dich nicht los und du zerbrichst dir den Kopf darüber, wie du die Wahrheit aus ihm heraus kitzeln kannst, damit du ihm helfen kannst sich besser zu fühlen. Brauchst du noch mehr Beweise?“ Eingeschnappt verschränkte Kagome die Arme vor der Brust und grummelte: „Das stimmt doch gar nicht…“ „Ach Kagome, er ist doch kein verlassener Welpe, den du aufpäppeln kannst“, schüttelte ihre Freundin lächelnd den Kopf. Doch, genau das ist er, widersprach Kagome in Gedanken. „Denk doch mal nach, du würdest es auch nicht toll finden, wenn dich jemand, den du ewig nicht gesehen hast, ohne Umschweife fragen würde, warum das mit deinem Freund kaputt gegangen ist. Oder?“ „Das ist etwas völlig anderes!“, entfuhr es Kagome empört. In einer Mischung aus Mitleid und Verständnis sah Yuka ihrer Freundin lange in die Augen. „Es ist genau das gleiche. Jemand würde schmerzhafte Teile deiner Vergangenheit mit Gewalt an die Oberfläche zerren. Du willst, dass er ehrlich zu sich selbst ist, aber du kannst es doch selbst nicht einmal. Wahrscheinlich ist er deshalb so wütend geworden, weil er das spürt.“ Nachdenklich sah Kagome auf ihre Füße. Verdammt, sie hatte recht! Seit wann hatte Yuka solch ein Gespür für die feinen Töne des Zwischenmenschlichen? „Was soll ich deiner Meinung nach tun, Yuka?“, fragte sie niedergeschlagen. Sanft wurde ihr ein Arm um die Schultern gelegt. „Sei ehrlich zu dir. Gesteh dir ein, dass du es unbedingt verstehen willst, weil du ihm helfen möchtest. Dann weißt du schon, was zu tun ist.“ Sie fürchtete sich vor dem Weg, den ihr ihr Herz zeigte. Aber Yuka hatte recht, sie würde erst dann zur Ruhe kommen, wenn sie sich dem mürrischen Daiyoukai stellen würde und sich durch den Eispanzer arbeitete, den er um sein Inneres gelegt hatte. Auch wenn das bedeutete, dass Sesshoumaru sie dann auf ewig hassen würde. Sie stand bereits einige Minuten vor der alten, schweren Tür des Teehauses und versuchte sich zu überwinden die Klinke hinunter zu drücken. Ihre Knie waren weich und zitterten, denn sie hatte furchtbare Angst davor Sesshoumaru wieder unter die Augen zu treten, nachdem sie im Streit auseinandergegangen waren. Wie würde er reagieren, wenn er sie sah? Würde er gleich wieder wütend werden, sie am Ende sogar angreifen? Sie atmete einige Male tief ein und konzentrierte sich auf ihr Ziel. Wenn sie jetzt nicht alles versuchen würde um ihn zu knacken, würde sie sich das niemals verzeihen. Fest umschloss ihre Hand das Metall des Türgriffs und öffnete mutig entschlossen die Tür. Sesshoumaru warf ihr einen finsteren Blick zu als er kurz von einer Zeitung aufsah. Die Kälte in seinen Augen und die unverhohlene Ablehnung sandten ihr einen kalten Schauer über den Rücken, doch sie ließ sich nicht entmutigen und ging weiter auf ihn zu. „Verschwinde“, knurrte er ärgerlich und widmete sich wieder seiner Lektüre. Entschlossen setzte sie sich ihm gegenüber auf einen Hocker. „Nein, ich werde nicht verschwinden“, begann sie. Genervt faltete er das Papier zusammen und legte es beiseite. „Was willst du noch? Habe ich mich nicht das letzte Mal klar genug ausgedrückt?“, zischte er. Kagome musste heftig schlucken. Wenn er es darauf anlegte, war er immer noch genauso beängstigend wie sie ihn in Erinnerung hatte. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich habe das letzte Mal Dinge gesagt, die ich inzwischen bereue. Ich sollte nicht voreilig über dich urteilen.“ „Solltest du nicht, genau. War es das jetzt?“ Ungeduld mischte sich nun mit Feindseligkeit in seinem Gesicht. Sie seufzte schwer und knetete nervös den Stoff ihres Rockes mit schweißnassen Händen. „Ich habe vor kurzem deinen Namen in einem alten Schriftstück gefunden. Es war eine Aufstellung von Söldnern aus dem Boshin-Krieg. Hast du wirklich damals in der Revolution gekämpft?“, fragte sie leise und zögerlich. Sesshoumaru befreite die letzte Zigarette aus der verknitterten Packung auf der Theke und meinte abwesend: „Soso, und das muss natürlich ich gewesen sein? Du bist nicht auf die Idee gekommen, dass es ein anderer sein könnte. Was sollte ich damit zu schaffen haben, dass Menschen beschließen sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen?“ Jetzt war sie verwirrt. Sie war sich so sicher gewesen und mit einem Satz hatte er sie in ihrer Überzeugung erschüttert. Wieder einmal. „Du hast einen sehr außergewöhnlichen Namen! Kein Mensch trägt ihn“, versuchte sie sich zu rechtfertigen. „Ach, das weißt du sicher und hast es überprüft?“ Verdammt, ihr entglitt dieses Gespräch gerade völlig! Hilfe suchend flog ihr Blick durch den Raum als würde dort die Antwort auf sie warten. Schließlich blieb er an einem alten Foto an der Wand hinter ihm hängen. Ein kleines, altes Schwarzweißbild, sauber gerahmt. Neugierig inspizierte sie es genauer. Zwei Menschen waren darauf zu sehen, die völlig gestellt auf Stühlen saßen und verkrampft in das Objektiv der Kamera blickten. Eine Frau und ein Kind. Die Frau trug einen schlichten Kimono und schien nicht älter als Ende zwanzig zu sein. In der rechten Hand hielt sie einen zusammengefalteten Fächer, der auf ihrem Oberschenkel ruhte. Das Bild war sehr grobkörnig, es musste uralt sein und aus einer Zeit stammen, in der die Kunst der Fotographie noch nicht weit entwickelt war. Könnte es aus jener Zeit stammen? Die Kleidung könnte aus der Zeit kurz vor Meiji stammen, überlegte Kagome. Aufgeregt nahm sie weiter alle Details in sich auf. Das Kind war vielleicht sechs Jahre alt und trug ebenfalls einen einfachen Stoffkimono. Es war ein Mädchen, das rechts neben seiner Mutter saß. Das schwarze Haar trug es offen, aber das war nicht das, was Kagome ins Auge stach. Die Augen! Dieses Kind hatte sehr helle Augen, es war durch die schlechte Bildqualität kaum ein Kontrast zu erkennen. Sonst sah sie völlig normal aus, aber wie kam sie zu diesen außergewöhnlichen Augen? Unbewusst wanderte ihr Blick wieder zu dem Daiyoukai herüber. Welchen Ton seine goldenen Augen wohl auf einem Schwarzweißbild annehmen würden? Plötzlich machte es Klick in ihrem Verstand. Erschrocken stieß sie aus: „Du hattest damals Frau und Kind! Deshalb warst du bei den Menschen. Und du hast dich wieder zurückgezogen, weil den beiden im Krieg etwas zugestoßen war!“, folgerte sie in bester Detektivmanier. Sesshoumaru schloss ergeben die Augen und senkte seinen Kopf. Müde strich er sich mit einer Hand über die Augen, als würde er einen peinigenden Schmerz vertreiben wollen. Er atmete laut aus und flüsterte heiser: „Ich wurde an das ehrlose Wesen der Menschen erinnert, als ein Verräter in unseren Reihen sie hinterhältig ermordete, um sich an mir zu rächen.“ Er konnte es nicht mehr verleugnen, also brach er sein Schweigen. „Ja, ich habe damals in einer Einheit des Shogunats gekämpft.“ Geschockt mit großen Augen sah Kagome die gebrochene Gestalt vor sich an. Die Erkenntnis war zu viel für sie, sie war nicht zu fassen. Er war mit einer menschlichen Frau verheiratet und hatte eine Tochter? Er hatte unter Menschen gelebt und sogar für sie gekämpft? Sie hatte zwar eine dunkle Ahnung gehabt, aber jetzt die volle traurige Wahrheit aus seinem Mund zu hören, war zu viel für sie. Unzählige Gedanken und Gefühle überschwemmten ihr Bewusstsein und verschlugen ihr die Sprache. Sie starrte Sesshoumaru einfach nur weiter an. „Das wird dann wohl eine längere Geschichte“, sagte er nun wieder in seiner bekannten zynischen Art und füllte den Teekessel mit Wasser. Es dauerte eine kleine Weile, dann standen dampfende Tassen vor ihnen auf dem Tresen. Kagome hatte sich in der Zwischenzeit wieder etwas gefangen und ihr besorgter Blick musterte Sesshoumaru. Er sah plötzlich wieder alt aus, jeder Glanz und jedes Leben war aus seinen Augen gewichen. Schwer stütze er seinen Oberkörper mit den Ellenbogen auf dem alten Holz auf und zog gierig an seiner inzwischen vierten Zigarette. Ein frisch geöffnetes Päckchen lag neben ihm. Er schien wirklich das Nikotin zu brauchen um die schmerzhaften Erinnerungen wieder in Rauch zu verbergen, stellte sie besorgt fest. Sesshoumaru schien ihre Gedanken zu lesen und sagte in einer seltsam offenen Melancholie: „Ja, das war damals die Zeit, als ich diese kleinen Seelentröster für mich entdeckt habe.“ Gedankenverloren sah er den Rauchschwaden hinterher, die sich unter der Decke des Raums wieder auflösten. Auch wenn Kagome vor Neugier platze, sie würde ihn nicht mit Fragen überfallen. Sie würde ihm Zeit geben, bis er von sich anfangen würde zu erzählen. Es war ein besonderer Moment, das spürte sie deutlich, er schien in der richtigen depressiv-nostalgischen Stimmung zu sein um ihr von seinem Leben zu berichten. „Dann beginn mal mit deinem Verhör“, sagte er mit einem traurigen Lächeln. „Wer war sie?“, platzte es sofort ohne Umschweife aus Kagome heraus. „Ihr Name war Kazuko. Sie war die Tochter eines armen Samurai vom Land, aus einfachen Verhältnissen“, begann er zu erzählen. Die Erinnerung durchbrach seine kalte Miene, sein Blick war nicht mehr ganz so abweisend und ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie war ungefähr 22 als wir uns trafen, also eigentlich schon zu alt um sich noch Hoffnungen machen zu können einen Mann zu finden. Ihrem Vater fiel sie zur Last und in der kleinen Stadt wurde sie als alte Jungfer verspottet.“ Kagome sog jedes Wort von ihm in sich auf und hing gebannt an seinen Lippen. Sie wollte sich seine Geschichte einbrennen in ihr Gedächtnis, um kein Detail zu vergessen. Er schwieg bereits einen Moment, bis sie endlich begriff, dass es an ihr war die nächste Frage zu stellen. Wie immer durfte sie ihm alles aus der Nase ziehen, er blieb sich treu und erzählte nicht einfach frei heraus. „Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Sie versuchte es mit einer etwas allgemeineren und offeneren Frage in der leisen Hoffnung ihn zum Reden zu bringen. Sesshoumarus Blick war nun komplett nach innen gekehrt und sein Gesicht sah leer aus. Mechanisch führte er immer wieder die Zigarette zu seinem Mund, während er ihre Frage beantwortete. „Ich habe sie in einem Wald getroffen. Sie war mit einem Korb irgendetwas sammeln und unsere Wege kreuzten sich auf einer Lichtung. Sie hat mich angesprochen, was ich allein tief in der Wildnis täte.“ „Hat sie dich als Youkai erkannt?“, unterbrach ihn Kagome mit einer weiteren Frage. „Ja. Zu dieser Zeit musste ich mich noch nicht verbergen. Aber Kazuko war es egal wer oder was ich war, sie hatte weder Angst noch benahm sie sich wie ein unterwürfiger Wurm, so wie es die meisten Menschen taten, wenn sie mir begegneten. Sie bestand vehement darauf sich um mich zu kümmern und ihren Proviant mit mir zu teilen.“ „Du hast sie nicht zurechtgewiesen?“, kicherte Kagome erstaunt. „Ich meine, du hast Menschen sicher schon für weniger getötet.“ „Stimmt“, nickte er und starrte weiter in den Raum hinein. „Ich weiß nicht warum, mir wurde in diesem Moment nach langer Zeit wieder schmerzlich bewusst wie einsam ich eigentlich war. Die anderen waren schon lange tot, ich wanderte allein durchs Land. Ihre Anwesenheit störte mich nicht und so willigte ich ein.“ Etwas klingelte in Kagomes Verstand. Diese Geschichte hatte sich doch schon einmal so ähnlich zugetragen, nur war es damals statt einer jungen Frau ein kleines Mädchen, das sich in das Herz des Daiyoukais geschlichen hatte mit genau dem gleichen unbekümmerten Charme. Rin hatte ihr während der Zeit vor dem finalen Kampf gegen Naraku erzählt, wie sie zu Sesshoumaru gekommen war und er sie stillschweigend aufgenommen hatte. War er damals bereits auch schon so einsam gewesen? Sie hatte nie darüber nachgedacht, denn er erweckte zu keiner Zeit den Eindruck, dass er sich etwas aus Gesellschaft machte. Es war aber eine logische Erklärung für das Rätsel, warum er Rin bei sich akzeptierte. Sie würde sich aber hüten ihm die Parallelen zwischen Rin und jener Kazuko vor Augen zu führen. Sie hatte in ihren letzten Gesprächen bereits bemerkt, dass das Menschenkind eine schmerzende Lücke in seinem Herzen hinterlassen hatte, über die er zu sprechen nicht bereit war. Vielleicht war es ihm auch bewusst. „Starr mich nicht an, als hätte ich sie aufgefressen oder tu es wenigstens weniger offensichtlich“, knurrte er sie plötzlich an. Es war Kagome gar nicht bewusst gewesen, dass sie ihn wieder einmal perplex angestarrt hatte. „Es tut mir leid. Es ist nur… überraschend. Überraschend zu hören, dass jemand wie du Einsamkeit verspürt.“ Eindringlich sah er sie an, seine Gesichtszüge verhärteten sich wieder. Sie war wohl wie so oft einem ihrer Vorurteile aufgesessen, das Sesshoumaru nun empört zurückwies: „Nur weil ich meine Emotionen kontrollieren kann und mein Herz nicht auf der Zunge trage wie ihr, heißt das noch lange nicht, dass ich zu keiner Gefühlsregung in der Lage wäre.“ „Aber du sagtest immer, dass Gefühle nur eine Schwäche seien!“, rechtfertigte sich Kagome sofort. „Sind sie auch. Sie trüben den klaren Verstand und lassen dich irrational handeln und berechenbar werden, wenn du ihnen blind folgst. Und das war besonders damals gefährlich. Für Menschen, für Youkai und ganz besonders wenn man ein Daiyoukai ist. Nichtsdestotrotz sind sie da und ich muss, ob ich will oder nicht, mit ihnen leben.“ Bevor er Kagome weiter beschämen konnte, lenkte sie das Gespräch wieder auf ihr ursprüngliches Thema. Seine Belehrung hatte ihrem Herzen einen kalten Stich verpasst und ihr wieder einmal vor Augen geführt, wie wenig sie über ihn wusste, aber sich trotzdem ein Urteil über seinen Charakter erlaubte. Sie fühlte sich ertappt und normalerweise war sie auch kein Freund von schnell gefällten Urteilen über Personen. Aber bei ihm war es verlockend, denn sie glaubte ihn, beziehungsweise seine kalte Fassade, von früher her zu kennen. Sie vertrieb das ungute Gefühl mit einem großen Schluck des heißen Tees und forderte ihn auf weiter zu erzählen. „Sie kam danach öfter in den Wald und suchte meine Gesellschaft. Kazuko hatte zu diesem Zeitpunkt kein schönes Leben und diese unbeschwerten Momente waren ihre kleinen Fluchten. Wir saßen zusammen, sprachen über dies und das und aßen gemeinsam, was sie mitgebracht hatte. Schließlich erzählte sie mir wie unglücklich sie war, dass sie nur danach beurteilt wurde, ob sie verheiratet war und wie sehr dieser Druck an ihr nagte. Einige der jungen Männer im Dorf stellten ihr nach, denn sie sahen sie als quasi vogelfrei an. Einer dieser Schürzenjäger folgte ihr schließlich in den Wald und wollte sich an ihr vergehen.“ „Das ist ja furchtbar!“, stieß Kagome entsetzt aus. „Ist es, aber das drohte damals unverheirateten Frauen. Ich hörte ihre verzweifelten Hilferufe und konnte das Schlimmste verhindern.“ Gedankenverloren blies er langsam den Rauch durch seine Nase heraus. „Du hast ihn getötet, richtig?“, fragte Kagome nach, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Ein bösartiges Lächeln zierte seine Lippen, er musste wohl gerade die Bilder jener grausamen Tat wieder in seinem Inneren sehen. „Es war nicht mehr viel übrig von ihm.“ Doch das Glitzern der Mordlust verschwand genauso schnell wieder aus seinem Blick, wie es gekommen war, als er fortfuhr von der jungen Frau zu berichten. „Ich hatte erwartet, dass sie mich nun hassen würde, Angst vor mir hätte, nachdem sie den grausamen Dämon, der in mir ruht, gesehen hatte und voller Abscheu flüchten würde. Doch sie blieb, sie verurteilte mich nicht. Nicht für den brutalen Tod des Mannes und auch nicht für das, was ich bin. Ich glaube, das war der Moment, in dem mein rastloses Inneres zur Ruhe kam. Nach langer Zeit durfte ich wieder das sein, was ich bin. Sie bat mich sogar bei mir bleiben zu dürfen. Ich willigte ein und so zogen wir gemeinsam durch die Welt.“ „Hast du sie geliebt? Sie war ja später deine Frau“, stellte Kagome die Frage, die ihr schon während seiner Worte auf der Seele brannte. Wieder musste sie an Rin denken. Auch sie hatte Sesshoumaru so genommen wie er war, ihr war es auch immer egal gewesen, dass er ein Youkai war. Sie bewunderte ihn sogar dafür. „Ich weiß nicht, ob ich sie geliebt habe. Sie war ab da ein fester Teil meines Lebens und ich wollte sie nicht mehr missen. Ihre Wärme vertrieb den Schmerz der Einsamkeit aus mir und sie hatte meinen Respekt. Nenn es so, wenn du es unbedingt benennen musst.“ Auf der einen Seite störte seine pragmatische Antwort die romantische Seite in ihr, aber ihre Vernunft verstand ihn. Liebe war nicht immer dieses unordentliche, aufgeregte Flattern im Bauch, das einen plötzlich überkam. Echte Liebe wuchs langsam wie ein Baum, entwickelte sich aus Freundschaft und Wertschätzung. Wenn sie seiner pragmatischen Einstellung folgte, war Liebe sich ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellen zu wollen. „Wie ging es weiter?“, versuchte sie das Gespräch weiter in Gang zu halten, „Ihr hattet ja auch eine gemeinsame Tochter irgendwann.“ Sesshoumaru atmete einige Male tief ein, als wollte er den Schmerz vertreiben, der ihn bei dem Gedanke an sie quälte. „Wir waren ungefähr ein Jahr auf Reisen, als Kazuko schließlich ein Kind erwartete. Sie wollte ab da nicht mehr auf Wanderschaft leben und bat mich sich irgendwo gemeinsam in einem Dorf niederzulassen, damit unsere Tochter unter Menschen aufwachsen konnte. Die Youkai waren zu diesem Zeitpunkt schon versprengt und fast nicht mehr da, daher war es keine Option die Kleine dort groß werden zu lassen.“ Das war das Stichwort! „Was war denn mit den Youkai? Du hast öfters angedeutet, dass sie plötzlich von der Bildfläche verschwunden waren“, fiel ihm Kagome aufgeregt ins Wort. Sofort saß sie kerzengerade und konzentriert vor ihm. Doch Sesshoumaru drehte seinen Kopf abwehrend bei Seite. „Eine schlechte Erinnerung reicht pro Tag.“ „Verstehe“, sagte Kagome enttäuscht. Ja, sie verstand ihn wirklich, aber sie wollte unbedingt endlich wissen, was mit dieser stolzen und mächtigen Rasse geschehen war, dass sie in den Untiefen der Jahrhunderte fast verschwunden war. Ein lautes Grummeln durchschnitt die nachdenkliche Stille. Peinlich berührt legte Kagome eine Hand auf ihren Bauch. „Oh! Ich habe heute Mittag kaum etwas gegessen, ich verhungere bald.“ Fürsorglich sah sie den Daiyoukai an und hatte eine Idee, wie man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnte. „In der Nähe gibt es eine Nudelbar. Du erzählst mir dort, wie es weiterging und ich lade dich auf eine Schale Udonsuppe ein.“ „Meinetwegen“, brummte Sesshoumaru gleichgültig und steckte seine Zigaretten wieder in die Brusttasche seines Hemds. Er schloss sorgfältig die Tür des Teehauses ab und zusammen spazierten sie in der letzten Sonne des Nachmittags die Straße entlang. Kapitel 9: Sesshoumaru im Weltenbrand ------------------------------------- In freudiger Erwartung brach Kagome die Holzstäbchen in zwei und tauchte sie tief in die Suppenschale. Sie und Sesshoumaru saßen an einem kleinen Tisch abseits von den anderen Gästen in einem kleinen Restaurant. Geschickt fischte sie einige Udonnudeln aus der Brühe und zog sie schlürfend in ihren Mund. Der Daiyoukai hingegen rührte bedächtig in seiner Schüssel und aß langsam. „Es ist lange her, dass ich das letzte Mal so etwas gegessen habe“, sinnierte er nachdenklich. „Unmöglich! Das ist doch so lecker“, antwortete Kagome mit vollem Mund. Traurig verzogen sich seine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln. „Ja… Aber es hängen zu viele Erinnerungen daran. Es ist das passende Gericht für den heutigen Tag.“ Er nahm mit den Stäbchen ein großes Stück frittierten Tofu. Irritiert sah ihn Kagome an. „Wie meinst du das?“ „Kazuko hat es oft für uns gekocht. Sie hat diese Nudeln geliebt.“ Sie hatte wirklich ein Talent dafür ungewollt taktlos zu sein, dachte Kagome zerknirscht. „Erzähl, was geschah als du dich mit ihr in einem Dorf niedergelassen hattest?“, forderte ihn die junge Frau auf mit seiner Geschichte fortzufahren. Sein Blick kehrte sich wieder nach innen und mit ruhiger Stimme berichtete er: „Wir lebten in einem kleinen Dorf in der Provinz Choshu. Nichts besonderes, einfach eine Ansammlung von Hütten in mitten von Reisfeldern.“ „Waren die Menschen dort nicht beunruhigt, dass ein Youkai unter ihnen lebte?“ Bitter schüttelte er den Kopf. „Nein, sie wussten nichts von meinem wahren Ich.“ Er nahm den Anhänger, der um seinen Hals hing, in die Hand und spielte mit seinen Fingern daran. „Zu dieser Zeit hatte ich diesen Talisman entwickelt. Die Menschen hatten uns Dämonen vergessen, kannten uns nur noch aus alten Sagen und Mythen. Die Ehrfurcht war einer irrationalen Angst und grimmigem Zorn gewichen. Es gab einige wenige Priester, die noch umherzogen und Dämonen jagten. Es war völlig anders als zu der Zeit, die du kanntest. Die Menschheit machte sich Stück um Stück die Erde Untertan, was ihnen im Weg stand oder sie bedrohte, wurde erbarmungslos ausgerottet.“ „Aber sie hätten dir doch nie etwas anhaben können““, wandte Kagome ein. „Warum hast du dich dann vor ihnen versteckt?“ Nachdenklich starrte er in seine nun leere Schale. Er schwieg einen Moment, die Erinnerung schien ihn zu überwältigen. Langsam und leise begann er schließlich wieder zu sprechen: „Ich habe es für sie getan. Sie wünschte sich ein ruhiges und harmonisches Leben. Ich versteckte also mein wahres Ich und wurde ein einfacher Soldat im Dienste des Herrschers dieses Gebiets.“ Kagome starrte an die Decke und versuchte sich es vorzustellen, aber es misslang ihr. Sie kannte ihn immer als einen stolzen und machtbewusst agierenden Anführer und seine Beschreibung passte überhaupt nicht zu dem Bild, dass sie auch jetzt noch von ihm hatte. Er beobachtete ihre angestrengten Überlegungen und sah sie mit gespieltem Vorwurf an. „Versuch es erst gar nicht dir vorzustellen. Ich habe es gehasst. Der Fürst war ein Tölpel, hatte keine Ahnung davon wie ein Heer zu führen war. Alles was ihn interessierte, war seine Macht und sein Reichtum.“ Kagome war durch seine Erklärung nun noch verwirrter als zuvor. Seit wann tat er Dinge, die ihm so sehr zuwider waren? Aber die Antwort war offensichtlich: „Sie hat dir wirklich viel bedeutet, oder?“ Sie vermied bewusst die Frage, ob er sie sehr geliebt hatte, da sie wusste, wie er darüber dachte. „Was sind ein paar Jahre in einem unsterblichen Leben im Dienste eines Idioten verglichen mit einem ganzen Leben voll Kummer?“, stellte er die Gegenfrage. „Es war besser als allein dem eigenen Verfall zuzusehen.“ „Also das kleinere Übel“, dachte Kagome laut und hielt den Kopf bedrückt gesenkt. Was musste er bloß in den Jahren davor für ein trostloses Leben geführt haben, dass er das als angenehmer empfand, überlegte sie nun still für sich weiter. Hatte ihn die Einsamkeit tatsächlich so sehr gequält, dass sein Wunsch nach Bindung größer geworden war als sein sonst so unnachgiebiger Stolz? Er würde ihr diese Frage nie beantworten, da war sie sich sicher. Deshalb versuchte sie das dünne Eis möglichst schnell hinter sich zu lassen. „Deine Tochter, erzähl mir von ihr. Wie war sie?“ Gequält legte er den Kopf in den Nacken und hatte die Augen geschlossen. Er schien lange die Erinnerung und Gefühle unterdrückt zu haben, diese Wunde auf seiner Seele schien kaum verheilt zu sein. Schwer atmete er, als würde ihm der Kummer körperlichen Schmerz bereiten. Plötzlich ließ er kraftlos den Kopf wieder nach vorne fallen und flüsterte rau: „Sachiko war das Ebenbild ihrer Mutter. Sie war lebhaft und fröhlich und sie wäre sicher eine sehr starke Hanyou geworden.“ „War sie das nicht schon?“, fragte Kagome vorsichtig nach. „Sie war zu jung. Zu jung um sich ihrer Kraft bewusst zu sein, geschweige denn, dass ich sie ausbilden konnte. Ihre gelegentlichen Ausbrüche, wenn ihr inneres Biest mit ihr durchging, zeigten aber welches Potential in ihr steckte.“ Sie wunderte sich, dass er sich überhaupt nicht daran störte, dass sein Kind ein Halbdämon war. Zwischen ihm und seinem Bruder war es immer ein stetes Reizthema gewesen und einer der Gründe, warum er Inuyasha nicht akzeptierte. Wahrscheinlich war es zu dieser Zeit schon etwas besonderes, wenn ein Elternteil ein vollwertiger Youkai war, dachte sie und musste an Hanako und die anderen Youkainachkommen dieser Zeit denken. Sie würde sich aber hüten ihn darauf anzusprechen. So mitgenommen wie er von seinen Erinnerungen war, konnte es möglich sein, dass er sich völlig vergessen würde. „Waren das dieselben Ausbrüche, die auch Hanako hat?“, fragte sie stattdessen. „Schlimmer“, sagte er ruhig, „Du darfst nicht vergessen, dass sie meine Kraft geerbt hatte. Beinahe hätte sie das ganze Dorf ausgelöscht bei einem Wutanfall.“ Ah, daher wusste er auch so genau, wie er einen entfesselten Hanyou beruhigen konnte. Mitfühlend legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm. „Du warst sicher sehr stolz auf sie?“ „Welcher Vater wäre das nicht? Ich bin auch nur ein Mann“, raunte er bitter. Kagome seufzte einmal schwer auf. Sie wollte unbedingt wissen, warum die Kleine auch dem Krieg zum Opfer gefallen war, obwohl sie so stark war. Konnte sie ihn das fragen, wo er doch jetzt schon so schwer mit der Erinnerung zu schaffen hatte? Sie war in ihrem inneren Zwiespalt gefangen, doch Sesshoumaru befreite sie daraus. „Tu dir keinen Zwang an, ich seh dir an der Nasenspitze an, dass du wissen willst, was mit ihr geschehen ist.“ „Ich… Du musst nicht….“, stotterte sie ertappt, bis sie sich ein Herz nahm und zu ihrer Neugierde stand. „Konnte sie sich und ihre Mutter nicht beschützen?“ Die Bedienung unterbrach das Gespräch der beiden kurz, als sie die leeren Schalen abräumte. Da das Essen beendet war, zog Sesshoumaru den Aschenbecher in seine Reichweite und steckte sich sofort eine Zigarette an. „Sie war sechs Jahre alt, als sie starb. Viel zu jung, sie war ein unschuldiges Kind, das nie den blutigen Schrecken des Kampfes kennengelernt hatte. Der Fürst, dem ich unterstellt war, hatte sich nicht der Allianz unter dem Kaiser angeschlossen und hielt stattdessen dem Shogun die Treue. Wir waren mittendrin in den ersten Unruhen des Boshin-Krieges und schließlich wurde ich in eine Kommandoeinheit berufen. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich nicht völlig unfähig war“, sagte Sesshoumaru mit einem selbstgefälligen Grinsen. Ernst fügte er hinzu: „Wir kämpften gegen die kaiserlichen Truppen mit wechselndem Erfolg.“ Irritiert merkte Kagome an: „Wenn du gewollt hättest, dann wäre dieser Krieg doch sofort entschieden gewesen.“ Es schien seinem angekratzten Ego zu schmeicheln, denn das eitle Lächeln kehrte wieder zurück. „Hätte ich, ja. Aber warum sollte ich? Ich kämpfte, weil ich eine menschliche Existenz vorspielen musste und Geld benötigte, also war ich ein Söldner im Grunde meines Herzens. Ich habe nur gerade so viel Einsatz gezeigt, dass man mich nicht der Fahnenflucht bezichtigen konnte. Scheinbar war das immer noch mehr als die meisten anderen zustande brachten.“ „Du brauchtest Geld?“, stieß Kagome erstaunt aus. Das überraschte sie jetzt wirklich. Er war doch Herr des Westens gewesen, da konnte er doch nicht mittellos sein? „Ich war zu der Zeit ein Wanderer. Kein Land, keine Reichtümer, ich hatte nur das, was ich brauchte. Um mit einer Familie unter Menschen zu leben, reichte das leider nicht mehr. Soll ich jetzt weitererzählen oder willst du weiter dumme Fragen stellen?“ Mit leicht geröteten Wangen murmelte sie einen unverständlichen Fluch, um ihn für seine Unverschämtheit büßen zu lassen. Arroganter Mistkerl! „Wir hatten einen Überläufer in unseren Reihen, wie sich später herausstellte. Ich nehme an, er war gekauft, da er eine Schwäche für Glücksspiel besaß. Nachdem unsere Einheit einen der Generäle der Kaisertreuen getötet hatte, führte er unsere Gegner in unsere Dörfer, damit sie sich an unseren Familien rächen konnten. Wir kehrten Tage danach erst wieder zurück und standen vor den verkohlten Überresten unserer Häuser. Ich fand ihre leblosen Körper darin, sie waren furchtbar entstellt.“ Wieder schloss er die Augen und versuchte so den Schrecken der Vergangenheit aus seinen Gedanken zu verjagen. „Kein Youkai hätte so eine widerwärtige Tat begangen und sich an wehrlosen Frauen und Kindern vergangen. Aber die Menschen zeigten wieder einmal ihr niederträchtiges und ehrloses Wesen.“ Sein Gesicht war nun hart und unnachgiebig, der Kiefer fest angespannt. Kalter Hass loderte in seinen Augen, so wie vor fünfhundert Jahren so oft. Kagome erinnerte sich an die Verachtung, mit der er damals die Menschen behandelte. Umso furchtbarer musste es für ihn sein, dass seine Frau und Tochter ausgerechnet von diesen verhassten Menschen so grausam ermordet wurden. Es war schon ein Wunder gewesen, dass er Kazuko zu Liebe - und wohl auch aus Mangel an Alternativen – unter ihnen gelebt hatte. Sie wollte eigentlich gar nicht mehr wissen, was danach geschah. Sie ahnte, dass er sich fürchterlich für seinen Verlust gerächt haben musste und danach wieder untergetaucht war. Deshalb stand also hinter seinem Namen in der Aufstellung, dass er im Kampf verschollen sei. Stier sah Sesshoumaru gegen die Wand. Seine Gedanken und Gefühle waren in der Vergangenheit gefangen, er wirkte nun nicht mehr resigniert. Langsam, aber immer stärker begann sein Youki zu pulsieren. Wenn sie ihn aus dieser Gedankenspirale nicht befreien konnte, würde er bald von seinem Hass übermannt werden und ihn an den Menschen ihrer Zeit ausleben! Sie wagte es nicht ihn zu berühren, sprach ihn aber trotzdem mit sanfter und verständnisvoller Stimme an, in der Hoffnung er würde sich dann beruhigen. „Du hast ihren Tod gerecht, stimmt’s?“ Monoton und ohne jedes Gefühl verließen die Worte daraufhin seine Kehle. Er unterbrach nicht den Blickkontakt mit der Wand, starrte weiter fest auf einen Punkt. „Ich habe hunderte von ihnen getötet. Wahllos abgeschlachtet. Ich wurde wieder zu dem grausamen Dämon, den die Menschheit Jahrhunderte lang gefürchtet hatte. Blut regnete an diesem Tag vom Himmel, die Erde war durchtränkt. Doch es wusch nicht meine Trauer und meinen Zorn hinfort. Mein rasendes Biest fand in dem Töten Befriedigung, aber mein rastloses Inneres kam nicht mehr zur Ruhe. Es gab für mich nichts mehr außer Trauer und Hass, deshalb beschloss ich dem Land den Rücken zu kehren und auf Reisen zu gehen.“ Er wirkte nun etwas ruhiger auf Kagome, doch seine Aura flackerte noch immer bedrohlich und ein kleiner Funke konnte eine Explosion verursachen. Es hatte scheinbar geholfen den tobenden Sturm in seinem Herzen in Worte zu kleiden und hinaus in die Welt zu schleudern. Es war zwar barbarisch, aber sie verstand ihn. Es war nun einmal seine Art mit solchen Dingen fertig zu werden, er war trotz allem immer noch ein Daiyoukai. „Hast du den Verräter gestellt?“, fragte sie kalt. Sie hatte kein Mitleid mit diesem Mann. Ihr Mitgefühl galt eher den vielen Unschuldigen, die Sesshoumarus Jähzorn zum Opfer gefallen waren. Er nickte mit grimmiger Freude. „Ich riss ihm seine verräterische Kehle aus dem Hals und sah ihm dabei zu, wie er an seinem eigenen Blut erstickte.“ Bei der Vorstellung wurde Kagome schlecht. Es war blutig, grausam und einfach bestialisch einem Menschen kalt und ungerührt beim Sterben zuzusehen. Aber selbst das schien ihn nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Sie bekam das Bild nicht mehr aus dem Kopf, ein eiskalter Schauer durchfuhr ihren Körper. Sie musste sich von davon ablenken, sonst würde sie wahnsinnig! Deshalb fragte sie ihn: „Wohin hat dich deine Reise geführt?“ „Preußen“, antwortete er lakonisch und nahm einen tiefen Zug Rauch. „Was, du warst in Europa?“, rief Kagome laut vor Überraschung, was ihr einige missmutige Blicke der andern Gäste zuzog. „Warum nicht?“, entgegnete er unbeeindruckt von ihrer Reaktion. „Naja, es ist ein ziemlich weiter Weg und eine völlig andere Welt, besonders damals“, erklärte Kagome sich. Das war wirklich das Letzte, das sie erwartet hatte. „Eben drum“, brummte er in sich gekehrt. „Mir war schon in den Jahren davor aufgefallen bei der Landung der schwarzen Schiffe, dass das westliche Militär moderner und besser ausgerüstet war. Deshalb beschloss ich eine Bildungsreise in den fernen Westen zu unternehmen. Preußen war damals ein sehr militaristischer Staat, stand an der Spitze des Fortschritts und hatte eine der modernsten Armeen der damaligen Zeit. Ich war beeindruckt, was die Menschheit geschaffen hatte um ihren Mangel an Stärke zu überwinden und welch raffinierte Wege sie gefunden hatten einander auszulöschen. Die Kriegskunst hier war dagegen völlig rückständig.“ Fasziniert hörte sie ihm zu, aber eine Sache störte sie. „Du musst dort doch aufgefallen sein wie ein bunter Hund? Und Youkai kannte man dort doch sicher nicht?“ „Es gab ungefähr ein Dutzend überlebende Dämonen auf dem europäischen Kontinent, aber sie hatten wenig gemein mit den Youkai von hier. Natürlich habe ich mich getarnt. Kurz nach der Krönung des Kaisers trat ich in die Armee ein, um sie besser studieren zu können. Ich schnitt meine Haare ab und in der Uniform fiel ich kaum auf.“ Sesshoumaru und kurze Haare? Das war unvorstellbar, dachte Kagome geschockt. Sein Haar war wundervoll, sie beneidete ihn sogar darum; lang, silbrig glänzend und seidig. Aber sie durfte sich von solchen Oberflächlichkeiten nicht ablenken lassen, denn Sesshoumaru erzählte bereits weiter. „Ich wurde in die Artellerie abkommandiert und diente dort zehn Jahre als Gefreiter. Ich lernte den Umgang mit Gewehren, Kanonen und schweren Haubitzen, fügte mich in die straffe Organisation ein und lernte viel über das menschliche Wesen. Tücke, List und gezieltes Streuen von Falschinformationen waren ein probates Mittel der Politik. Der Gegner wurde erpresst, Verbündete durch Geld gefügig gemacht und heimliche Allianzen geschmiedet. Ich war ehrlich beeindruckt.“ Kagome versuchte sich vorzustellen, wie er wohl damals ausgesehen haben musste. Kurze, weiße Haare, die unter einer Pickelhaube verborgen waren und die typische tiefblaue Uniform tauchten vor ihrem inneren Auge auf, aber es ergab einfach kein stimmiges Gesamtbild. Ein entscheidendes Detail fiel ihr aber auf. „Du musstest ja dann Deutsch sprechen!“, forschte sie weiter nach. Genervt rollte er mit den Augen. „Damals nur leidlich und inzwischen habe ich alles vergessen. Ich könnte dir aber noch die Kaiserhymne vorsingen, wenn du unbedingt darauf bestehst“, stellte Sesshoumaru klar. Aber Kagomes Einwand war noch nicht ausreichend entkräftet. „Ist das nicht aufgefallen?“ „Natürlich“, kommentierte Sesshoumaru ihre naiven Einwürfe, „Es interessierte niemanden, solange ich meinen Dienst ordentlich machte. Wir waren fast nur Ausländer in dieser Einheit und als Kanonenfutter vorgesehen ohne die Möglichkeit befördert zu werden. Niemand scherte sich um uns. Wenn wir im Kampf verheizt wurden, würde sich niemand daran stören. Es zählten ja nur Tote des eigenen Volks, niemand weinte einem fremden Söldner eine Träne nach.“ „Was hast du nach deiner Zeit in der Armee getan?“, erkundigte Kagome sich weiter. Seine Geschichte war einfach fesselnd, all die Dinge, die sie sonst im Geschichtsunterricht langweilten, wurden mit einem Male lebendig und gewannen an Farbe. Die Bedienung hatte ihnen inzwischen zwei Gläser Wasser gebracht und Sesshoumaru nahm einen großen Schluck des kühlen Nass. Das viele Sprechen hatte seine Kehle ausgetrocknet. „Ich erkannte die Vorzeichen, dass die Menschen dort auf einen Krieg hinarbeiteten und quittierte deshalb den Dienst. Ich hatte keine Lust wieder für eine Sache in den Kampf zu ziehen, die mir gleichgültig war und es gab nichts, was mich dort hielt. Ich streifte also durch die Länder, beobachtete und versuchte so viel Neues wie möglich zu lernen. Irgendwann war es dann soweit, die Kanonen begannen zu feuern und plötzlich fand ich mich mitten in einem Krieg von gigantischem Ausmaß.“ Kagomes Augen wurden groß als sie ehrfurchtsvoll wisperte: „Das war der erste Weltkrieg.“ „Ja“, nickte er und spielte mit dem Feuerzeug in seiner Hand. Immer wieder ließ er den Deckel mit einem metallischen Klicken aufspringen und drückte ihn sofort wieder zu. „Ich wanderte durch die Gegend, zog von einem Schlachtfeld vom nächsten und beobachtete, wie sich die Menschen gegenseitig abschlachteten. Es war ein gigantisches Massensterben, das Leben eines Menschen war nichts mehr wert, einer mehr oder weniger wurde nicht vermisst. Jeder versuchte nur, dass der Gegner höhere Verluste erlitt als man selbst und es war egal, ob es tausende waren, die dabei umkamen. Jedes Mittel war recht und die Menschheit war auf dem besten Weg sich auszurotten. Ich habe es gesehen, ich habe die Abnutzungsschlacht von Verdun gesehen. Hunderttausende Tote, gestorben für einen halben Meter Landgewinn.“ „Wie furchtbar!“, stieß Kagome betroffen aus. Sie hatte Fotos gesehen, Fotos von Leichenbergen, Fotos des Elends in den Schützengräben. Doch Sesshoumaru lächelte kalt und antwortete mit unverhohlener Freude: „Es war herrlich! Überall Hass, Gewalt und Tod. Das stete Gemetzel vertreib die Verbitterung aus mir, ich fühlte mich nach langer Zeit wieder lebendig und endlich kam meine rastlose Seele zur Ruhe. Es war eine reinigende Katharsis dem Niedergang der menschlichen Rasse beizuwohnen.“ Schockiert sah Kagome ihn an. „Das ist nicht dein Ernst! Du kannst dich doch nicht am Tod von Millionen von Menschen erfreuen, um deine Trauer und Rachegelüste hinter dir zu lassen!“ „Warum hätte es mich berühren sollen? Mir haben die Menschen nie etwas bedeutet, sie waren erst nur ein lästiges Ärgernis und wurden immer mehr zu einer Bedrohung. Welchen Grund sollte ich haben Mitleid zu empfinden?“, fuhr er sie mit kalter Wut an. Sein Blick war wieder erbarmungslos und hart, es war ihm wirklich ernst. Kagome wusste schon davor, dass er die Menschen verachtete und sie eigentlich nur Ungeziefer in seinen Augen waren. Aber es so deutlich zu hören war doch etwas anderes. Und dass ihn selbst die Erosion aller Humanität unbeeindruckt ließ, ihn sogar erfreute, machte ihr Angst. Sie war erschüttert, das war zu viel für sie. Wieder einmal hatte er ihr gezeigt, was für eine naive Sicht sie auf ihn und die Welt hatte. Auch ihre Bestürzung war ihm egal, genau wie ihm der Tod von so vielen Menschen gleichgültig war. Er setzte seinen Bericht einfach fort: „Meine Euphorie wähnte nur leider nicht lang. Ich hatte ebenfalls gesehen, zu was die Menschen nun fähig waren, welche Waffen sie erschaffen hatten. Im mehr wuchs in mir die Erkenntnis, dass die Zeit der Youkai endgültig vorbei war. Wir waren stehengeblieben, hatten uns nicht weiterentwickelt und hoffnungslos unterlegen, weil wir zu stolz auf unsere Kräfte und stehengeblieben waren.“ Sein Eingeständnis riss sie wieder aus ihrer Betroffenheit heraus. Kagome saß wieder gerade am Tisch und sah ihn fragend an. Aber sie fand nicht die Antwort in seinem Gesicht. „Du wärst in einem Kampf Menschen unterlegen? Das glaube ich nicht! Du tötest einen Menschen mit nur einem Finger, wie sollten wir dir gefährlich werden?“ „Drei Tonnen Sprengstoff gehen auch an mir nicht spurlos vorbei“, sagte er resigniert. „Ich kann sicher viele von ihnen töten, aber unter Strich kann ich nicht gewinnen.“ Nun saß er wieder so vor ihr, wie zu Beginn ihrer Unterhaltung; Resigniert, verbittert und ein Schatten seines früheren Selbst. Langsam bekam sie eine Ahnung davon, wie sehr ihn die Erlebnisse geprägt hatten. Er hatte ohnmächtig den Niedergang der eigenen Art mit ansehen müssen, wich der aufstrebenden Menschheit, wurde verraten und alle, die ihm etwas bedeutet hatten, waren tot. Es gab nichts mehr im Leben, auf das er vertrauen konnte, es gab keine Hoffnung mehr für ihn, dass sich noch irgendetwas zum Guten wenden könnte. Und auch unter Seinesgleichen war er ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, das nicht mehr in diese Welt passte. Sie konnte es einfach nicht übers Herz bringen ihn zu verurteilen. Sie fühlte mit ihm, fühlte seinen Schmerz und hatte das dringende Bedürfnis ihn wieder etwas aufzurichten. Es war einfach furchtbar, wenn sie den stolzen Daiyoukai aus ihrer Erinnerung mit dem Mann ihr gegenüber am Tisch verglich. Aber trotzdem wollte sie seine Geschichte zu Ende hören und bat ihn deshalb zu erzählen, was in den Jahren bis zur Eröffnung des Teehauses geschah. „Ich wanderte ziellos durch die Wildnis, in der Hoffnung noch einige wenige überlebende Youkai zu finden. Aber realistisch betrachtet wollte ich einfach die Welt hinter mir lassen, ich wollte vergessen. Vergessen wer ich war, woher ich kam, was geschehen war. Ich hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, Jahreszeiten zogen an mir vorbei und langsam führte mich mein Weg wieder gen Osten. Im Osten gab es noch Flecken, die der Mensch nicht unterworfen hatte. Aber selbst dort, tief in der Einsamkeit der russischen Wälder, erreichte mich die Nachricht von der Auslöschung Hiroshimas durch die Atombombe.“ Langsam schloss sich die Beweiskette in Kagomes Kopf und sie schlussfolgerte: „Das hat dich wieder heimkehren lassen. Deshalb bist du wieder nach Japan zurückgekehrt.“ Seine Stimme brach und wurde kratzig. Er versuchte es durch einen weiteren Schluck Wasser zu beheben, doch es half nicht. Er flüsterte beinahe: „Hiroshima gehörte einst zum Westen. Es lag am äußersten westlichen Rand meines Reichs und wir unterhielten eine große Festung in der Nähe. Es war meine verdammte Pflicht als Daiyoukai zurückzureisen und zu versuchen die letzten Youkai vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Und kurze Zeit später landete ich durch Zufall hier und entdeckte das verlassene Teehaus.“ Der große Sesshoumaru wurde von Heimweh und einem schlechten Gewissen heimgetrieben, nachdem er dem Flächenbrand der Welt der Menschen beigewohnt hatte, überspitzte Kagome seine Erklärung für sich. Aber es war rührend zu sehen, dass er sich trotz all dieser furchtbaren und niederschmetternden Erlebnisse noch immer um die wenigen und versprengten Youkai kümmerte und sich für sein ehemaliges Lehen verantwortlich fühlte. Ganz tief in ihm war noch sein altes Ich versteckt, er hatte sich nur im Strudel der Zeit verloren. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit ihn wieder etwas mehr zu sich zu führen. Sie würde es sich wünschen für ihn, denn trotz seiner schroffen und verletzenden Art mochte sie ihn. Da er seine kalte Fassade etwas gelockert hatte, konnte sie einen flüchtigen Blick dahinter werfen und sie fühlte, dass sie durchaus Gemeinsamkeiten hatten. „Danke, dass du mir deine Geschichte erzählt hast“, sagte Kagome mit sanfter, freundlicher Stimme. Er klammerte sich wieder an eine fast abgebrannte Zigarette und starrte die Wand an. „Ich hatte ja keine Wahl, so aufdringlich wie du bist“, grummelte er mit halbherzigem Sarkasmus. Sie ließ ihn allein und bezahlte ihrer beider Rechnung bei der Bedienung am Tresen, ehe sie die kleine Nudelbar und Sesshoumaru verließ. Kapitel 10: Nachbeben --------------------- 10 – Nachbeben Sesshoumaru saß noch lange nach Kagomes Abschied allein an dem kleinen Tisch und starrte die Wand an. Warum hatte er der Miko all das erzählt? Natürlich hatte er die leise Hoffnung, dass sie ihn endlich in Frieden lassen würde, wenn ihre schier unersättliche Neugierde gestillt worden wäre. Aber das hätte er auch anders lösen können. Nein, es war vielmehr so, dass, nachdem er seine anfängliche Abscheu überwunden hatte, ihr wirklich seine Geschichte erzählen wollte. Nach so langer Zeit hatte er seinen Lebensweg das erste Mal einem anderen offenbart. Aber warum ausgerechnet ihr? Jetzt würde sie ihn erst recht ausfragen und in seinem Teehaus heimsuchen. Verdammt, er hätte sie gleich bei ihrem ersten Wiedersehen zum Schweigen bringen sollen! Oder noch besser, er hätte sie damals am Grab seines Vaters töten sollen. Wenn er so zurückdachte, war er ein ganz schöner Schwächling geworden… Wehmütig dachte er an die Zeit, als er noch der Herr der westlichen Länder war. Damals hätte es niemand gewagt ihn so zu reizen und auf den Nerv zu gehen. Alle, egal ob Mensch oder Youkai, hatten Angst vor ihm und zollten ihm ihren Respekt. Bitter lachte er auf. Diese Zeit war unwiederbringlich vorbei. Er stand auf und schlenderte gemächlich zu dem jungen Mann nach vorne, der sie bedient hatte. Doch überrascht stellte er fest, dass Kagome ihr Mahl schon bezahlt hatte. Die Kleine hatte noch einen Sinn für Anstand, stellte er angenehm überrascht fest. Ein passabler Tausch; Essen gegen Geschichte. Er verließ das schummrige Restaurant und trat hinaus in den kühlen Abend. Sie hatten eine ganze Weile zusammengesessen, es war inzwischen dunkel geworden. Genüsslich spürte er dem lauen Wind nach, der über seine Haut strich. Die klare Luft half ihm seinen Kopf wieder etwas freier zu bekommen und so beschloss er noch etwas durch die anbrechende Nacht zu wandern um sein aufgewühltes Inneres zu ordnen. Die Straßen waren inzwischen beinahe leer, aus den Häusern drang der Schein der Lichter durch die Fenster nach draußen. Die hektische Geschäftigkeit des Tages war vertrieben und Stille lag über der Stadt. Sein Weg führte ihn in einen kleinen Park, den die Menschen in der Dunkelheit aus Furcht überfallen zu werden mieden. So ein kleiner Zwischenfall käme ihm jetzt eigentlich ganz recht, er hatte sich lange nicht mehr an abreagiert. Doch leider gelangte er ohne einer Menschenseele begegnet zu sein in das Zentrum der Grünanlage, wo er sich auf einer Bank niederließ. Warum diese nervige Frau, die ihm damals schon auf den Zeiger gegangen war? Warum hatte er ihr alles erzählt und nicht zum Beispiel Hanako? Nachdenklich blies er den Rauch in den Himmel und sah nachdenklich in die Glut seiner Zigarette. Plötzlich verzog er das Gesicht und warf den Stummel weit von sich. Er hatte sich gerade selbst die Antwort gegeben. Damals. Weil sie sein damaliges Ich kannte, weil sie leider das einzige Wesen auf diesem gottverdammten Planeten war, dass ihn verstehen konnte. Und wenn er schon dabei war ehrlich zu sich selbst zu sein, dann musste er zugeben, dass es gut tat nicht mehr allein mit der Erinnerung an lang vergangene Zeiten zu sein und verstanden zu werden. Was nichts daran änderte, dass er es hasste, wie sie sein ruhiges Leben durcheinander brachte und er sie aufdringlich fand. Wahrscheinlich ging es ihr ähnlich, überlegte er weiter. Er war wohl für sie auch die einzige Person, die ihre Geschichte verstand und deswegen klammerte sie sich nun an ihn. Hatte er ihr von seinem Leben berichtet, weil er unbewusst spürte das quälende Gefühl der Einsamkeit überwinden zu können? Lange schon hatte er sich damit arrangiert, Einsamkeit und Verbitterung hatten seinen Charakter über die Jahrhunderte geformt und ihn nicht gerade umgänglicher werden lassen. Apropos schlechter Charakter, sinnierte er, warum versuchte sie eigentlich so verzweifelt ihn aufzuheitern und zu stützen? Er hatte ihr bisher keinen Grund gegeben dazu. Sie hätte eher schreiend davon laufen und ihn auf ewig verdammen sollen. Selbst für einen Menschen war sie schon immer seltsam gewesen, so voller Widersprüche. Wieder zog er eine Zigarette aus der halbleeren Schachtel und dachte zerknirscht, dass er ja noch oft Gelegenheit bekommen würde sie zu studieren. Los werden würde er sie so einfach nicht mehr. Die Wolken am Himmel zogen beiseite und enthüllten die strahlende Sichel des Mondes wie zum Hohn. Das war einst sein Wappen gewesen, das Zeichen, das er auch heute noch verborgen trug. Aber jetzt war es nur noch Symbol für eine längst vergangene Zeit und erinnerte ihn schmerzlich an all das, was er verloren hatte. Müde stand er auf. Die Welt hatte sich in den Jahren gewandelt und nun war er nur noch ein Relikt, das alter Größe hinterher trauerte. Ohne Eile kehrte er zu seinem Rückzugsort zurück und verbannte die grausame Welt hinter der schweren Tür des Teehauses. Vier Tage waren vergangen seit sie seine Geschichte gehört hatte und Kagome plagte ein schlechtes Gewissen. Dank einer kurzfristig angesetzten Klausur konnte sie nicht nach Sesshoumaru sehen und musste Extraschichten vor ihren Büchern schieben. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihn; die Büchse der Pandora, die seine verdrängten Erinnerungen scheinbar bildeten, war offen und sie hatte ihn einfach damit zurückgelassen. Es hatte sicher einen Grund gehabt, warum er niemandem zuvor seine Geschichte erzählt hatte und jetzt war er ganz allein damit. Hoffentlich ließ er seine Gefühle nicht an jemanden aus. Morgen endlich hätte sie diese blöde Arbeit hinter sich gebracht, dann konnte sie versuchen es wieder gut zu machen. Glücklicherweise war er bestechlich, kicherte sie in sich hinein. Die Bäckerei neben der Schule war bestens ausgerüstet, um einen verärgerten Daiyoukai zu besänftigen. Plötzlich begann etwas unter dem Stapel der Notizzettel laut zu piepsen und zu brummen. Hektisch nahm die das Papier beiseite und sah überrascht auf das Display ihres Handys. „Hallo?“, fragte sie unsicher in das Gerät hinein. „Oh, Hanako, du bist es! Nein, du störst nicht.“ Die Anspannung wich wieder aus ihrem Körper und sie fletzte sich wieder in ihren Stuhl. „Morgen Nachmittag hätte ich Zeit, warum? Einfach so einen Kaffee? Klar, warum nicht!“ Schnell machten die beiden noch eine Uhrzeit und einen Treffpunkt aus, dann verabschiedeten sie sich. Irritiert legte Kagome schließlich das Telefon wieder beiseite. Da steckte doch mehr dahinter! Warum wollte sich Hanako ausgerechnet jetzt mit ihr treffen? Wieder schweiften ihre Gedanken sorgenvoll zu Sesshoumaru. Hatte es etwas mit ihm zu tun, dass die kleine Hanyou sie unbedingt sehen wollte? Es brachte nichts sich jetzt weiter den Kopf darüber zu zerbrechen. Egal wie sehr sie grübeln würde, sie wäre nicht schlauer und ihr Kopf würde sich nur die furchtbarsten Dinge ausmahlen, die vielleicht passiert wären. Außerdem hatte sie morgen eine wichtige Prüfung zu absolvieren. Morgen nach der Schule würde sie erfahren, was Hanako von ihr wollte und vielleicht hatte es ja auch gar nichts mit Sesshoumaru zu tun. Vielleicht war es auch nur Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt anrief. Sie verbannte die beiden aus ihrem Verstand und widmete sich mit neuem Eifer wieder ihren Büchern. Am nächsten Tag ging Kagome gleich nach der Schule wieder in Richtung Innenstadt. Kaum war sie in Sichtweite des Brunnens auf der Einkaufsstraße angelangt, stürmte Hanako schon auf sie zu und begrüßte sie überschwänglich. Sie beschlossen wieder in das Eiscafé zu gehen, in dem sie auch schon bei ihrem letzten Treffen gesessen hatten. Auch dieses Mal suchten sie sich wieder einen Tisch, der abseits von den anderen Gästen gelegen war, um ohne Angst vor neugierigen Blicken oder Mithörern sprechen zu können. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann standen zwei große Becher Eiskaffee auf dem Tisch und Kagome nahm begierig einen großen Schluck durch den Strohhalm. „So, jetzt verrat mir endlich, warum du dich unbedingt mit mir treffen wolltest“, sagte Kagome und sah Hanako fest in die Augen. Etwas zu schnell antwortete das Mädchen: „Nichts besonderes, ich… wir haben uns einfach lange nicht gesehen.“ Unruhig nestelte sie dabei an ihrem T-Shirt. „Hanako….“, mahnte Kagome gespielt streng, „Das kannst du sonst wem erzählen, aber nicht mir. Was ist passiert?“ Sofort färbten sich die Wangen der Halbdämonin rosa und sie sah sich hilfesuchend um. Aber es gab kein Entkommen vor Kagomes siebtem Sinn und so musste sie sich geschlagen geben. Hektisch atmete sie und schien nach dem verloren gegangenen Faden des Gesprächs zu suchen. „Lass mich raten, es ist etwas mit Sesshoumaru?“ Kagome hoffte, dass sie die Frage nicht zu schroff gestellt hatte und schenkte der Kleinen ein beruhigendes Lächeln. „Woher weißt du-?“, stieß die erschrocken aus. Der Schreck verschlug ihr die Sprache, sie schaffte es nicht einmal mehr ihre Frage zu beenden. Die Überraschung brachte Kagome zum Schmunzeln und sie zwinkerte Hanako verschwörerisch zu. „Egal was dich sonst bedrücken würde, er wäre dein erster Ansprechpartner. Also muss es ja wohl um ihn gehen, wenn du mit deinen Sorgen zu mir kommst.“ Das Mädchen gab nun jeden Widerstand auf, es gab einfach keine Ausflüchte mehr. Komischerweise schien die Miko nicht im Geringsten überrascht zu sein… Wusste sie etwa, was mit Sesshoumaru los war? „Ja, es geht um ihn“, begann Hanako zögerlich und stocherte unsicher mit dem Strohhalm in der Sahnehaube, „Er ist in den letzten Tagen so merkwürdig; gereizt, mürrisch und abweisend. Er will mit niemandem mehr sprechen, vertreibt jeden aus dem Teehaus und ist in Gedanken immer weit weg.“ „Also eigentlich doch wie immer“, sagte Kagome schnell ohne darüber nachzudenken. Hanako nahm ihr aber die Bemerkung nicht übel und lachte: „Noch schlimmer als sonst!“ „Dann muss er wirklich unausstehlich sein! Du Ärmste“, stimmte Kagome mit in ihre Heiterkeit ein. Doch die Hanyou wurde schnell wieder ernst und sah Kagome mit großen, traurigen Augen an. „Ich mach mir Sorgen um ihn. Ich glaube, es ist irgendwas passiert und jetzt frisst er alles in sich rein. Er wird gemein, wenn man ihn darauf anspricht, dabei will ich ihm doch nur helfen!“ Oh, da bist du nicht alleine, dachte Kagome belustigt. Es war so, wie sie es vermutet hatte: Die Erinnerungen waren wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins geschwemmt worden, all die verdrängten Emotionen und Sehnsüchte wieder präsent. Jetzt setzte wohl sein üblicher Verdrängungsmechanismus ein und er versuchte die Vergangenheit wieder in die hinterste Ecke seines Verstandes zu verbannen. Er verabscheute es schon unter normalen Umständen Gefühle zu haben, wie musste es ihm jetzt mit diesem Sturm in seinem Herzen ergehen? Wahrscheinlich hasste er sich für die vermeintliche Schwäche und biss deshalb jeden weg. Wieder krochen Schuldgefühle in ihr hoch; wenn sie ihn nicht dazu überredet – nein, gezwungen! –hätte sein Leben zu offenbaren, dann ginge es ihm nicht so schlecht. Nur wegen ihrer Neugier litt er nun. Auch wenn er oft ein arroganter Widerling war, das hatte er nicht verdient. Er war ihr irgendwie ans Herz gewachsen. „Was denkst du, sollen wir tun?“, fragte Kagome vorsichtig. Sie musste ihn irgendwie wieder ins Gleichgewicht bekommen und vielleicht konnten sie es ja mit vereintem Wissen schaffen. Niemand kannte ihn heute besser als das Hanyoumädchen und niemand wusste etwas über seine Herkunft außer Kagome. „Sprich du mit ihm! Du scheinst sehr viel über ihn zu wissen, auch wenn mir nicht in den Kopf will woher. Wenn nicht du eine Ahnung hast, was mit ihm los ist, dann weiß ich nicht mehr weiter.“ Hanako sah wirklich bedrückt aus, stellte Kagome in Gedanken fest, sie machte sich wirklich große Sorgen um den Daiyoukai. Aber es war nur verständlich, denn er war der einzige Fixpunkt, der ihr in ihrem Leben geblieben war. Aufmunternd nahm sie die zierliche Hand des Mädchens und drückte sie zuversichtlich. „Ich gehe morgen nach der Schule zu Sesshoumaru und kümmere mich um ihn. Mach dir keine Sorgen, er ist wie Unkraut, der vergeht so leicht nicht!“ Erleichterung zeigte sich in Hanakos Gesicht und beide machten sich nun mit neuem Enthusiasmus über ihren Eiskaffee her. Etwas brannte Kagome aber noch auf der Seele. „Darf ich dich etwas Persönliches fragen?“, sprach sie die junge Halbdämonin etwas später an. „Sicher, was willst du wissen?“ „Sesshoumaru hat mir nach deinem letzten…ähhh…“ Wie sollte sie das nur nennen ohne taktlos zu sein? Kurzschluss? „Du meinst, als mein Youkaiblut wieder die Oberhand gewonnen hat?“, nahm Hanako ihr ruhig die Entscheidung ab. „Ja, genau. Er hat mir erzählt, dass du aus einer alten Familie stammst, in der es viele starke Youkai gab. Kannst du mir ein bisschen mehr davon erzählen?“, fragte Kagome interessiert. Sie hatte die heimliche Hoffnung, dass ihre Familie vielleicht irgendetwas mit ihren in der Vergangenheit zurückgelassenen Freunden zu tun haben könnte. Nachdenklich sah Hanako an die Decke. „Ich weiß nicht viel über unsere Familiengeschichte. Wir waren eigentlich immer schon Hanyou, einige waren stärker, andere schwächer und manchmal heirateten sie auch Menschen. So war es eigentlich die letzten Generationen immer. Leider sind alle Erinnerungsstücke mit der Zeit verloren gegangen oder mussten verkauft werden.“ „Und davor? Früher gab es ja angeblich viel mehr vollblütige Youkai“, hakte Kagome nach. Langsam legte die Hanyou einen Finger an ihr Kinn und strich gedankenverloren darüber. Langsam kreiste ihre Fingerkuppe in dem kleinen Grübchen. „Es gibt da eine alte Familienlegende, die mir meine Oma manchmal erzählt hat. Aber ich glaube nicht, dass es mehr als eine Geschichte ist, die man uns Kindern erzählt hat.“ „Erzählst du sie mir? Bitte!“,, klimperte Kagome sie mit großen Augen an. „Ich interessiere mich sehr für alte Mythen und Erzählungen über Dämonen.“ Der offensiv zur Schau gestellte Liebreiz brachte Hanako zum Kichern. „Na gut, aber dafür musst du noch einen Kakao springen lassen!“ Kurz überdachte Kagome das Angebot, dann stieß sie freudig aus: „Wir sind im Geschäft!“ Endlich kam die Kellnerin mit den gewünschten Kakaos. Kagome hielt es nicht mehr aus vor Neugier, sie saß schon auf glühenden Kohlen. „Also, wie hat meine Oma immer angefangen?“, überlegte Hanako kurz. „Ah ja! Es war einmal ein kleines Mädchen, das ganz allein auf der Welt war. Sie lebte in einem kleinen Dorf und musste für sich selbst sorgen. Niemand hatte sich um sie gekümmert, niemand hatte ein nettes Wort für sie übrig und jeder war gemein zu ihr. Eines Tages kam ein mächtiger Fürst in das Dorf, aber er war kein Mensch. Er war ein berühmter Youkai, der schon viele hundert Jahre alt war und sowohl über Menschen als auch Dämonen herrschte. Alle hatten Angst vor ihm, nur nicht das kleine Mädchen. Es schenkte ihm eine wunderschöne Blume und er nahm sie dankend an. Die andern Dorfbewohner waren entsetzt und beschimpften sie, was ihr einfiele: Ein einfaches Menschenmädchen durfte nicht mit dem hohen Herr sprechen! Das Mädchen verstand die Welt nicht mehr. Der Fürst sah, wie allein und unglücklich sie war, deshalb hatte er Mitleid mit ihr und nahm sie mit sich in sein Schloss. Sein kaltes Herz wurde durch ihr fröhliches Gemüt erweicht und nach einiger Zeit nahm er sie als seine Tochter an. Sie lebte zusammen mit ihm auf dem Schloss und wurde die Prinzessin des Landes. Als sie erwachsen war, verliebte sich der Hauptmann der Armee in die Prinzessin und der Fürst erlaubte ihnen schließlich zu heiraten. Sie haben viele Kinder bekommen, die alle starke Hanyou waren. Und die Nachfahren dieser menschlichen Youkaiprinzessin und des Hauptmanns sind wir!“ Wie ein Schlag in den Magen traf Kagome die Erkenntnis, ein Name hämmerte sich wieder und wieder in ihren Kopf: Rin! Aber sie durfte Hanako nichts von ihrem Verdacht erzählen, dass Sesshoumaru der Youkaifürst aus der Geschichte war. Er hatte ihr scheinbar nichts davon erzählt und hatte seine Gründe dafür. Wenn sie ihn verraten würde, wäre sie ihres Lebens nicht mehr sicher. Kagome versuchte verzweifelt sich nichts anmerken zu lassen und schaffte es nach einem kurzen, bedeutungslosen Plausch sich zu verabschieden. Zuhause fiel sie verwirrt in ihr Bett und durchdachte noch einmal die Geschichte von Hanako. Aber sie ließ keinen anderen Schluss zu: Hanako war eine Nachfahrin der kleinen Rin! Das war noch ein weiterer Grund Sesshoumaru morgen aufzusuchen. Kapitel 11: Tod und Wiedergeburt -------------------------------- 11 – Tod und Wiedergeburt Unentschlossen stand Kagome vor der langen Kuchentheke der Bäckerei. So viele verschiedene Sorten zur Auswahl, wie sollte man sich denn da nur entscheiden? Einer sah besser aus als der andere. „Oh, du triffst dich noch mit jemandem?“, sprach Eri sie von hinten an. Erschrocken zuckte Kagome zusammen. „Äh…ja“, antwortete sie unsicher. Unbedarft fragte ihre Freundin weiter nach: „Mit wem denn? Kenne ich die Person?“ Warum mussten ihre Freundinnen eigentlich immer so verdammt neugierig sein, dachte Kagome kraftlos. „Nein, du kennst ihn nicht“, murmelte sie leise zur Antwort. „Ah, ein er! Ist er der Grund, warum du in letzter Zeit so oft in Gedanken bist?“ Wenn Eri einmal Lunte gerochen hatte, gab es kein Entkommen. Schon gar nicht, wenn es sich um Herzensangelegenheiten handelte, die sie eigentlich nichts anzugehen hatten. Lachend wehrte Kagome ab: „Nein, es ist nur ein alter Bekannter, nicht wie du schon wieder denkst!“ „Und warum dann der Kuchen? Warum gibst du dir dann solche Mühe?“, stocherte Eri unbarmherzig nach. Stöhnend rollte Kagome mit den Augen. Die Frau sollte zur Polizei gehen nach der Schule. Wenn sie etwas wissen wollte, gab es kein Entkommen. „Ich weiß, dass es ihm im Moment nicht gut geht und möchte ihm eine Freude machen. Halt, bevor du schon wieder anfängst dir die wildesten Sachen zusammen zu spinnen! Wir sind nur befreundet und ich bin nicht ganz unschuldig an seinem Kummer, deshalb möchte ich es wieder gutmachen.“ „Soso, dafür, dass es nur ein alter Bekannter ist, machst du dir aber sehr viel Sorgen.“ Prüfend sah Eri sie an. Konnte man denn wirklich nichts vor dieser Klatschtante geheim halten? Es war zum Verzweifeln… „Eri, du interpretierst da schon wieder viel zu viel hinein. Wenn du weniger dieser kitschigen Romane lesen würdest, könntest du auch verstehen, dass man mit Männern auch nur befreundet sein kann“, versuchte Kagome sie mit einem eindeutigen Unterton in der Stimme zum Schweigen zu bringen. Nebenbei bestellte sie bei der inzwischen etwas ungeduldigen Verkäuferin zwei Schokoladenmuffins. Schokolade mochte eigentlich jeder, also konnte sie damit nichts falsch machen und die großen Stückchen auf den Muffins hatten einen Heißhunger in ihr geweckt. „Oh, das ist mir schon klar“, antwortete Eri mit einem geheimnisvollen Lächeln, „Nur ich nehme es dir in diesem Fall nicht ab. Aber du wirst es auch schon noch einsehen.“ Jetzt stand es ein für alle Male fest: Eri war wahnsinnig. Anders war die letzte Aussage für Kagome nicht zu erklären. Schnell packte sie das herrlich duftende Paket in ihre Tasche und verabschiedete sich grummelnd von ihrer Schulfreundin, um Sesshoumaru zu besuchen. „Oh, Mutter Theresa schaut nach ihrem verlorenen Schäfchen!“, sagte Sesshoumaru mit vor Hohn triefender Stimme, als er sie in der Tür sah. „Dir auch einen schönen Tag“, antwortete sie seiner Provokation spitz. Was war denn in ihn gefahren, dass er sie so begrüßte? War er etwa enttäuscht, dass sie in den letzten Tagen nicht bei ihm war? Wenn seine Liebenswürdigkeit ein Gradmesser für seine Verfassung war, dann ging es ihm in der Tat fürchterlich. Er versteckte seine verletzte Seele hinter der kalten und abweisenden Mauer, die er um sich gezogen hatte. Süffisant setzte er nach: „Lass mich raten, jetzt nachdem du meine Geschichte kennst, bin ich uninteressant. Du bist hergekommen, weil dich dein schlechtes Gewissen plagt, nachdem Hanako sich bei dir ausgeweint hat, wie unmöglich ich bin und du willst dich davon überzeugen, dass ich mir nichts angetan habe. Also konnte sie ihren Mund doch nicht halten.“ Er suchte offensichtlich Streit und versuchte sich so wieder besser zu fühlen. Das Spielchen spielte sie aber nicht mit. Das kannte sie schon zur Genüge, Inuyasha war genauso gewesen. Es hatte schon eine gewisse Ironie, dass sich die beiden ungeliebten Brüder in vielen Dingen doch so ähnlich waren. „Du bist zynisch“, entgegnete sie ihm ruhig. „Und du naiv“, knurrte er zurück. Wieder ging sie nicht darauf ein. „Ich dachte, du würdest dich vielleicht freuen, wenn ich dir etwas Süßes mitbringe und wir unser Gespräch fortsetzen.“ Mit stechend kaltem Blick sah er sie an. In ihm schien es zu arbeiten, zunächst sagte er gar nichts. Dann aber ätzte er los: „Oh ja, endlich habe ich die Gelegenheit mir alles von der Seele zu reden, nur dank dir wird meine verdammte Seele gerettet! Hätte ich dich doch früher schon getroffen! Doch auch mit deiner rechtschaffenden Empörung kannst du an meiner Vergangenheit nichts ändern und kannst mir auch nicht die Widrigkeiten meines Lebens ersparen. Ohne dich wäre mir ja nie in den Sinn gekommen, was für ein bedauernswertes Schicksal mir widerfahren ist. Aber nun bist du ja da, du wirst mich retten und alles wird sich sofort zum Guten wenden!“ Wie hatte sie das jetzt zu verstehen? Sie dachte einen Augenblick darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass es eigentlich nichts mit ihr zu tun hatte. Er war einfach frustriert und überfordert von seinen Erinnerungen und Empfindungen; Sie war nur das Ventil, so wie es auch Hanako schon gewesen war, um Druck abzubauen. Genervt von seinem theatralischen Selbstmitleid verschränkte sie die Arme vor der Brust. „War’s das jetzt?“ Keine Antwort, er beugte sich nur wieder über etwas, das vor ihm lag und vom Tresen verborgen wurde. „Schön. Ich war die letzten Tage nicht hier, weil ich für eine Prüfung lernen musste und ich dachte, dass es dir sowieso ganz recht wäre mich nicht ständig um dich zu haben. Das war wohl ein Irrtum, aber wie man es macht, ist es verkehrt. Wenn ich gehen soll, dann sag es, aber hör auf deine schlechte Laune an jedem auszulassen! Und das dramatische Lamentieren steht dir im Übrigen überhaupt nicht.“ Er schien ehrlich überrascht zu sein, dass sie es wagte ihm die Stirn zu bieten. Das war wohl eine völlig neue Erfahrung für ihn und die Option sie einfach wie Ungeziefer zu vernichten war ihm in dieser Zeit genommen. So hatte er jedenfalls früher stets solche Situationen gelöst und es war wohl auch die Erklärung dafür, warum er gerade nicht wusste, was er mit Kagome anfangen sollte und völlig überfordert mit der Situation war. Er starrte sie noch einen Moment finster an, dann widmete er sich wieder dem Gegenstand auf dem Tisch vor sich und schnaubte abfällig: „Pshaw, mach doch was du willst. Es kümmert mich nicht.“ Warum in Gottes Namen konnte dieser Mann nicht einfach sagen, dass sie bleiben sollte? Mit einem kurzen Blick zur Decke sandte Kagome ein Stoßgebet gen Himmel in der Hoffnung, dass er dadurch irgendwann einmal zugänglicher werden würde. Es war ihm wohl wichtig nicht in den Verruf zu kommen, dass ihm etwas an seinen Mitmenschen lag. Es war ihm schon vor fünfhundert Jahren wichtig und ein Teil seines alten Ichs, den er nie abgelegt hatte. Alles wäre so viel einfacher, wenn er endlich begreifen würde, dass er nicht mehr unnahbar sein musste um seine Widersacher auf Abstand zu halten. Er war nicht mehr der Herr des Westens, er war nun auf Augenhöhe mit allen anderen und derartige Attitüde unnötig. Sie setzte sich auf ihren üblichen Platz und zog die Tüte der Bäckerei aus ihrer Tasche. „Darf ich dem hohen Herrn diesen Schokomuffin als Zeichen meiner Treue und Ergebenheit überreichen? Bitte verzeiht meine Abwesenheit der letzten Tage“, sagte Kagome gespielt förmlich und grinste ihn keck an. „Dieser Sesshoumaru nimmt deinen Tribut an.“ Die alte Ausdrucksweise war ihm noch immer zu Eigen und ohne Mühe fand er wieder in seinen alten Habitus zurück. Sogar seinen unnachahmlich arroganten und überheblichen Blick setzte er für einen Moment wieder auf und ließ ihn abschätzig über das dargereichte Gebäck gleiten. Stumm kicherte Kagome in sich hinein. Das Herz eines Hundes erreichte man über seinen Bauch und beim Herrn der Hunde war es kein bisschen anders. Die Krümel waren noch nicht zum Stillliegen auf dem Teller gekommen, da nahm er schon wieder einen feinen Pinsel zur Hand und beugte sich über ein Dokument. Konzentriert und mit ruhiger Hand zog er die feinen Linien der vielen Schriftzeichen nach. Interessiert warf Kagome einen Blick darauf und vor Schreck blieb ihr das Herz stehen. Das war eine Sterbeurkunde! Und er trug seinen Namen darauf ein! „Warum… schreibst du deinen eigenen Totenschein?“, wisperte sie geschockt und ihr Gesicht war nun merklich blasser geworden. Verstimmt von der Störung sah er auf und erklärte ruhig: „Von Zeit zu Zeit muss ich für die Bürokratie der Menschen sterben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.“ Kagome beugte sich weiter nach Vorne um einen besseren Blick auf die Papiere zu haben. „Sesshoumaru Inu no Taisho VII? Ich dachte, du hast deinen Titel verloren?“ Er setzte sich nun wieder aufrecht. Sie hatte ihn so oder so aus seiner Konzentration gerissen und würde ihn erst wieder in Ruhe weiterarbeiten lassen, wenn all ihre Fragen beantwortet wäre. „Ich bin nicht mehr Herr des Westens, aber immer noch der Anführer der Inuyoukai. Auch wenn der Titel nichts mehr wert ist, da keiner außer mir überlebt hat.“ Ein Stich durchfuhr Kagomes Herz. Es war also traurige Gewissheit, was sie schon lange vermutet hatte; Inuyasha war tot. Sie hatte es die ganze Zeit geahnt, dass der Hanyou die vergangenen fünf Jahrhunderte nicht überlebt hatte, sonst hätten sie sich ja wiedergesehen, so wie sie Sesshoumaru wieder getroffen hatte. Aber vor Sesshoumaru würde sie sich nicht die Blöße geben um ihn zu trauern, das wollte sie lieber mit sich selbst ausmachen. Vielleicht gab es bald einen Weg von ihm ohne Spott und Häme zu erfahren, was genau Inuyasha widerfahren war. Sie schluckte die Tränen tapfer herunter und versuchte das Gespräch mit dem Daiyoukai fortzusetzen, als ob nichts geschehen sei. Entweder wollte er nicht über seinen Bruder sprechen und trat deshalb nicht weiter auf ihrem versehrten Herzen herum oder er hatte es gar nicht realisiert, was er unabsichtlich preisgegeben hatte. Es war ihr nur recht. „Du bist geschickt. Das Dokument sieht wirklich echt aus.“ „Ich hatte genug Zeit es zu lernen“, sagte er immer noch missmutig. Sie untersuchte weiter mit neugierigem Blick die verstreuten Unterlagen und entdeckte den Entwurf eines Erbscheins, der ebenfalls auf Sesshoumaru lief, aber in der achten Generation. „Verstehe, du stirbst also und vererbst dir selbst deinen ganzen Besitz. So fällt es niemandem auf, dass du schon so lange lebst.“ „Ich musste damit anfangen um meine Deckung zu wahren. Solange diese menschlichen Beamten eine Urkunde sehen, ist es ihnen egal.“ „Und warum ausgerechnet jetzt?“ Er zuckte unbeeindruckt mit den Achseln. „Mir war danach und es wäre sowieso bald wieder an der Zeit.“ Kagome durchstöberte weiter mit den Augen die Materialien. Viele verschiedene Stifte und Pinsel lagen verstreut herum oder waren noch in ihrem Etui, mit Hilfe eines Tuschsteins hatte er Tinte angerührt. Etwas abseits außerhalb der Reichweite von möglichen Flecken lag eine lederne Mappe. Sie lag aufgeschlagen auf der Arbeitsfläche und Kagome konnte einen kurzen Blick auf viele alt aussehende Urkunden werfen. „Was ist das dort hinten? Das sieht sehr alt und wertvoll aus!“ Gelangweilt folgte er ihrer Aufmerksamkeit und sah, was sie nun schon wieder in Bann geschlagen hatte. „Auftragsarbeiten“, erklärte er lapidar. Kagome stutze: „Wie meinst du das? Das sind alles Fälschungen von dir?“ Da an ein konzentriertes Weiterarbeiten nun endgültig nicht mehr zu denken war, begann er nun die verschiedenen Utensilien zusammen zu räumen. „Dachtest du, dass das Teehaus so gut läuft? Sogar ich benötige eine gewisse Menge Geld und sei es nur, um Zigaretten zu kaufen.“ Kaum erwähnte er sein liebstes Laster, hatte er auch schon wieder eine im Mundwinkel. „Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht“, gab Kagome kleinlaut zu. „Was für Aufträge sind das denn?“ „Alte Urkunden oder sonstige Sachen. Wenn man so alt ist, kennt man eben noch die alten Techniken und Schriften. Aber es ist mir im Grunde egal, wer mir den Auftrag gibt und wofür er es haben will. Es interessiert mich nicht, wie die Menschen sich betrügen.“ Das ergab in der Tat Sinn, stellte Kagome fest, als sie sich seine Aussage nochmals durch den Kopf gehen ließ. „Wie kommst du an Aufträge? Du scheinst ja nicht mal ein Telefon zu besitzen“, erforschte sie weiter seine Geschäftstätigkeit. „Betriebsgeheimnis“, schmunzelte er, „Außerdem wüsste ich auch nicht, wozu ich ein Telefon bräuchte. Man weiß, wo ich zu finden bin und ich konnte bisher auch gut ohne leben.“ Lachend stöhnte Kagome gespielt genervt auf: „Oh, jetzt hörst du dich furchtbar alt an! Mein Großvater sagt so etwas auch dauernd!“ Aber in diesem Moment wurde Kagome schmerzlich bewusst, dass sie eigentlich nichts über Sesshoumaru und sein Leben im 21. Jahrhundert wusste. Sie hatte sich wie so oft keine Gedanken gemacht über ein so entscheidendes Detail wie sein Auskommen. Er war einfach da, stand wie ein Schlot qualmend in seinem Teehaus und kümmerte sich um versprengte Youkais. So viele Fragen drängten sich nun auf. Wo wohnte er? Was fing er sonst noch mit seiner Zeit an? Was aß er gerne? Wo kaufte er ein und waren die Menschen nicht trotz seiner Tarnung misstrauisch? Machte er auch einmal Ferien? Hatte er ein Auto oder wenigstens ein Fahrrad? All das waren für sich genommen profane Dinge, aber zusammen ergaben sie ein Bild, dass sein Leben abbildete und nicht bloß eine verklärte Phantasie, wie sie bis jetzt in ihrem Kopf vorherrschte. Sie beschloss, dem ganzen auf den Grund zu gehen. Die Fragen über seine Vergangenheit wollte sie ohnehin heute nicht mehr stellen, da sie sah, wie mitgenommen er noch von ihrem letzten Gespräch war. Vielleicht war sein Alltag nicht ein ganz so heikles Thema und er würde nicht wieder versuchen sich ein zu igeln und um sich zu schlagen. „Wenn du die ganze Zeit hier bist, wo wohnst du dann eigentlich“, begann sie die Fragen aus ihrem Verstand herauszuschießen. „Hier“, antwortete er gelangweilt. Stutzig sah sie ihn an. Nächtigte er etwa auf dem verklebten Boden des Gastraums? Als würde er ihre Gedanken lesen können, verfinsterte sich seine Miene etwas. Lässig zeigte er mit dem Daumen über seine Schulter auf die an der Rückwand gelegenen Durchgang in das Hintere des Gebäudes. „Wieso lebst du hier und hast keine eigene Wohnung“, fragte Kagome erstaunt. „Es ist praktischer“, erklärte er, als wäre es das Selbstverständlichste. „Außerdem gehört mir das Haus, ich habe keine Menschen um mich, also warum sollte ich?“ „Das Haus gehört dir? Wann hast du es gekauft?“ Ein verschmitztes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. „Wer sagte etwas von Kaufen?“ In ihr drängte sich der Verdacht auf, dass alle Dokumente, die das Haus betrafen, ebenfalls aus seiner Feder stammen mussten. Aber es war wohl vernünftiger ihn nicht dazu zu befragen. „Ach du liebe Güte ist das spät!“, erschrak sich Kagome beim Blick auf die Uhr. „Es ist zwar Freitag, aber ich wollte eigentlich früh zuhause sein!“ Sie verabschiedete sich gutgelaunt von dem Daiyoukai und war froh, dass sich die Wogen zwischen ihnen wieder etwas geglättet hatten. Es beruhigte sie auch, dass Sesshoumaru nicht mehr ganz so depressiv wirkte und konnte ihn nun guten Gewissens allein lassen. Doch kaum öffnete sie die Tür, stand ihr plötzlich eine Gruppe junger Youkai gegenüber, die einen blutüberströmten jungen Mann in das Teehaus hineintrugen. Alle Pläne für den Abend waren hinfällig, sie musste wissen, was passiert war! Kapitel 12: blutiger Ernst -------------------------- 12 – blutiger Ernst Hektisch drängelten die jungen Youkai in das Teehaus. In ihrer Mitte schleppten sie einen Schwerverletzten, dessen Arme sie über ihre Schultern gelegt hatten. Kagome gefror das Blut in den Adern, als sie den aufgeschlitzten und blutüberströmten Körper sah. Der verletzte Dämon war höchstens so alt wie sie, wer tat denn nur so etwas Fürchterliches? Rüde wurde sie beiseite gedrängt, denn sie stand noch immer in der Tür und damit im Weg. „Sesshoumaru, sie haben es schon wieder getan! Sie haben ihn mitten in unserem Gebiet überfallen!“, rief einer der jungen Männer. Aber Sesshoumaru ließ sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken. „Legt ihn auf den Boden“, sagte er und verschwand seelenruhig in seine Privaträume. Kurze Zeit später kehrte er zurück und hielt eine große Leinentasche in den Händen. War er etwa auch Notarzt für Youkai, fragte sich Kagome verwundert. Sie hatte sich etwas abseits gestellt um nicht weiter zu behindern und beobachtete nun alles aufgewühlt. Für den Jungen am Boden sah es nicht gut aus, das wusste sie auch ohne medizinische Kenntnisse. Sesshoumaru kniete sich neben den Verwundeten auf den Boden und begann sich seine Verletzungen genau anzusehen. Viele tiefe Schnittwunden waren über den gesamten Torso verteilt und viele davon verliefen parallel zueinander. Ein eindeutiges Indiz, dass diese Wunden durch Klauen zugefügt wurden. Der Hanyou hatte viel Blut verloren, er war bleich im Gesicht und kalter Schweiß bedeckte seine Haut. Aber das konnte nicht nur von den Schnitten herrühren, überlegte Sesshoumaru weiter. Sie waren zwar zahlreich und tief, aber es schien kein großes Gefäß getroffen zu sein. Da alles auf einen Kampf hindeutete, musste der Junge wohl auch stumpfe Treffer erlitten haben und die hatten oft heimtückische innere Verletzungen zur Folge. Er befühlte den Bauch des Verletzten, der sofort laut aufschrie. Seine Hand zog er daraufhin sofort wieder zurück, er war sich nun sicher. „Ich werde tun, was ich kann, aber er wird die Nacht wahrscheinlich nicht überstehen“, sagte er emotionslos zu den Gefährten des Verletzten. Entsetzt legte Kagome eine Hand auf den Mund. Solch ein barbarisches Gemetzel hatte sie bisher noch nie mit eigenen Augen gesehen. Stöhnend wand sich der verletzte Youkai am Boden unter Sesshoumarus Behandlung. Er säuberte die Wunden von Schmutz und Blutkrusten, doch sofort quoll wieder neues Blut hervor. Ihre Knie wurden weich, der Bauch flattere flau; sie musste sich dringend setzen. Mehr als sich weiter dem Grauen auszusetzen und zu hoffen konnte sie im Moment nicht tun. Sie sah sich den jungen Kerl genauer an, es war ein Hanyou, der wie fast alle anderen in dieser Zeit ein menschliches Äußeres hatte. Er konnte kaum älter als sechzehn sein, sein Antlitz war noch kindlich weich, auch wenn das durch die vom Schmerz verzerrten Grimassen nur zu erahnen war. Sie überlegte aus welchem Volk er abstammen könnte und kam zu dem Schluss, dass es sich wohl um einen Nachfahren der Waschbärendämonen handeln musste. Ein brillenartiger Schatten lag um seine Augen, auch sein etwas rundlich geratener Körperbau erinnerte sie an ihren alten Bekannten Hachi. Auch sein Haar wies den typischen grauen Farbverlauf auf. In welchen Schlamassel war der Arme nur geraten? Sie hoffte, er würde alles überstehen um mehr erfahren zu können. Aber zuerst wollte sie ihm einfach nur helfen und sie beschloss auf eine Gelegenheit dazu zu warten. Ein lauter Schrei riss sie plötzlich aus ihren Überlegungen. Sesshoumaru hatte angefangen die klaffenden Schnitte zu nähen, um einen weiteren Blutverlust zu verhindern, doch der Junge musste entsetzliche Pein erleiden. Auch oder weil der Daiyoukai seinen Bauch dazu berühren musste. Es zerriss Kagome das Herz, sie hielt es nicht mehr aus. „Er hat Schmerzen, siehst du das nicht?“, schluchzte sie laut auf, „Du kannst doch nicht so grausam sein!“ Kurz unterbrach Sesshoumaru sein Werk und drehte sich mit angespannt wütendem Blick zu ihr. Auch der Aufmerksamkeit der übrigen mutmaßlichen Waschbären konnte sie sich sicher sein. „Und was schlägst du in deiner unendlichen Weisheit vor? Soll ich ihn verbluten lassen, damit er irgendwann bewusstlos wird?“, knurrte er grimmig. Langsam dämmerte es Kagome wie wenig durchdacht ihre Intervention war. „Nein, aber… aber betäub ihn doch irgendwie, dass er es nicht spürt“, sagte sie nun kleinlaut. Sesshoumaru atmete einige Male tief ein, um nicht die Beherrschung im entscheidenden Moment zu verlieren. „Das ist kein Krankenhaus, ich bin kein Arzt. Wenn du in deiner Handtasche Narkosemittel mit dir führst, bitte. Wenn wider Erwarten nicht, muss er da jetzt durch, wenn er eine Chance haben will.“ Darauf fiel Kagome nichts mehr ein und Sesshoumaru flickte den Hanyou weiter notdürftig zusammen. Sie hatte in der Zwischenzeit jedes Gespür für Zeit verloren. Wie lang saß sie da jetzt schon in ihrer Schockstarre? Stunden? Minuten? Sie konnte es nicht sagen. Schließlich stand Sesshoumaru auf und kehrte an seinen Platz hinter dem Tresen zurück. Müde strich er sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht und steckte sich eine Zigarette an. „Jetzt liegt es an ihm. Wenn er die Nacht übersteht, kommt er durch“, sprach er mit rauer Stimme. Er spürte den Hilfe suchenden Blick Kagomes auf sich und fügte erschöpft zu: „Wenn du ihm helfen willst, kühl ihn, er beginnt zu fiebern.“ Das ließ sich die Miko nicht zweimal sagen. Sie huschte schnell zu Sesshoumaru hinter die Theke und schnappte sich die erstbeste Schüssel und einen Lappen, füllte sie mit kaltem Wasser und kniete sich dann hinter den Kopf des Verletzten. Sachte bettete sie ihn auf ihren Schoß und legte das kühle Tuch auf seine glühende Stirn. Vorsichtig wischte sie den kalten Schweiß weg und flüsterte ihm immer wieder beruhigende und zuversichtliche Worte zu. Sie würde ihm beistehen, ihn nicht in dieser schweren Stunde allein lassen! Der Junge war in der Zwischenzeit weggedämmert, ob er ohnmächtig war oder schlief, vermochte sie nicht zu sagen. Immer wieder schüttelte ihn ein Fiebertraum und er flüsterte heiser wirre, zusammenhangslose Wortfetzen. Die größte Aufregung hatte sich nun gelegt, nachdem der Junge versorgt worden war. Seine Gefährten hatten sich an einem der Tische niedergelassen und sahen immer wieder besorgt herüber. Sie konnten alle nichts weiter tun als auszuharren und abzuwarten. „Was ist genau passiert?“, durchschnitt schließlich Kagomes Frage die dröhnende Stille. Sie hielt diese Ungewissheit nicht länger aus und jetzt schien ihr der passende Moment gekommen zu sein. „Eine Bande der Pantherdämonen hat uns überfallen“, begann der Kopf der Gruppe schließlich langsam zu berichten. „Sie sind in unser Revier eingedrungen, wollten sich da jetzt auch breitmachen. Wir wollten sie vertreiben, aber sie waren überraschend stark.“ Aufgebracht richtete er die nächsten Worte an Sesshoumaru: „Sie sind auf einmal viel stärker als sonst! Irgendwas geht da nicht mit rechten Dingen zu, sie scheinen eine Art Magie zu benutzen. Ihre Klauen schienen Funken zu sprühen!“ Doch es interessierte ihn nicht. Teilnahmslos verlor sich der Blick des Wirts in den Rauchschwaden, die in der Luft hingen. „Sie haben sich alle nur auf Yowai gestürzt. Er ist der Jüngste von uns, es war sein erster Kampf. Es ging alles so schnell; Plötzlich war er eingekesselt und einen Moment später lag er in seinem Blut. Dann sind die Bastarde abgehauen, während sie uns weiter ausgelacht haben.“ Fassungslos schüttelte Kagome den Kopf. „Aber alle auf einen? Und dann auch noch den Schwächsten? Das ist doch unfair!“ „Die Panther waren schon immer feige, ehrlose Kämpfer. Sie greifen nur an, wenn sie sich sicher sein können zu gewinnen.“ Sesshoumaru war also doch nicht so teilnahmslos, wie er vorgab zu sein, stellte Kagome vergnügt fest. Aber es widerte sie einfach nur an, wie sich an Schwächeren vergriffen wurde. „Sind das die gleichen Pantheryoukai wie die, die neulich hier waren?“, fragte sie Sesshoumaru weiter. „Was, sie waren neulich hier?“, krisch der Waschbär erstaunt. „Wie kannst du nur? Sie sind unsere Todfeinde, sie terrorisieren alle anderen!“ Neuer Streit lag in der Luft und alle Augen lagen nun auf Sesshoumaru. Doch er blieb äußerlich ruhig trotz der ehrabschneidenden Vorwürfe. Er war aber innerlich bestimmt bereits am Kochen, dachte Kagome. Es war immer noch seltsam ihn in einer so defensiven Haltung zu sehen. Der alte Sesshoumaru hätte die Waschbärenyoukai schon längst für ihre Unverschämtheit büßen lassen. Aber fünfhundert Jahre später beschränkte er sich auf einen eindringlich ermahnenden Blick und verächtlich gesprochene Worte: „Es ist mir egal, was ihr untereinander für Streitigkeiten habt oder was ihr außerhalb dieser Wände treibt. Das ist ein Teehaus, jeder, der sich benehmen kann, darf hier bleiben. Also halte mich aus euren Spielchen heraus.“ „Aber wie kannst du nur tatenlos zusehen, wie die-“ Er kam nicht dazu seinen Vorwurf zu wiederholen, denn Sesshoumaru unterbrach ihn mit eisiger Stimme: „Es interessiert mich nicht! Meinetwegen rottet euch gegenseitig aus, aber ich werde für niemanden Partei ergreifen.“ Keiner wagte daraufhin noch zu widersprechen. Einige Zeit später hielt es Kagome in ihrer knienden Position nicht mehr aus und stand vorsichtig auf. Das kalte Wasser in der Schüssel war warm und schmutzig geworden und so konnte sie ohne schlechtes Gewissen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Es war ein herrliches Gefühl, als sie die ersten Schritte ging und spürte, wie das Blut wieder in ihre Beine floss. Ein Prickeln folgte dem Strom bis hinab in ihre Füße. Sie ging direkt wieder hinter die Theke und stellte die Schale in das Spülbecken. Da die anderen Youkai am Ende des Raumes saßen, hatte sie Gelegenheit leise mit Sesshoumaru zu sprechen. Sie beugte sich leicht zu ihm und flüsterte: „Ist es dir wirklich so egal, wenn sich die restlichen überlebenden Youkai gegenseitig vernichten?“ „Hanyou“, murmelte er, „Es ist ein Haufen armseliger Hanyou. Es gibt keine Youkai mehr.“ „Aber es ist alles, was von ihnen übrig geblieben ist! Was ist mit den Vernünftigeren, wie Hanako?“ „Hör auf mit Hanako, das tut nichts zur Sache“, zischte er gereizt. Sie sah ihn erstaunt an. Trotz der unglücklichen Lage hatte er seine Verachtung für Halbdämonen nicht überwunden? Aber warum nahm er dann all das auf sich und hielt die Stellung in seinem Teehaus? Wie so oft war es wohl sein verbliebener Stolz, der ihn so sprechen ließ. Sie war überzeugt, dass er sich tief in seinem verborgenen Inneren doch sorgte, aber es wie immer nie zugeben würde. „Wenn die Panther wirklich anfangen Probleme zu machen, dann bist auch du nicht außen vor. Irgendwann betrifft es dich auch“, murmelte sie und nahm die inzwischen gefüllte Schüssel wieder an sich. Sie setzte sich wieder zu dem Verletzten auf den Boden und nahm den warm gewordenen Lappen von dessen Stirn. Sorgfältig wusch sie ihn im kalten Wasser aus und legte ihn dann wieder zusammengefaltet auf den glühend heißen Kopf. Der Zustand des Jungen hatte sich in der vergangenen Zeit nicht gebessert, im Gegenteil. Er hatte bedenklich hohes Fieber, ächzte und sein Atem rasselte inzwischen merklich. Das Fieber und die Bewusstlosigkeit verhinderten, dass er seine Schmerzen wahrnahm. Eigentlich hätte er in ein Krankenhaus gebracht werden müssen, aber das war unmöglich. Er hatte keine Möglichkeit die Behandlung zu bezahlen und es wäre sehr schnell aufgefallen, dass er kein Mensch war. Und was diese Entdeckung für Kreise ziehen würde, daran wollte Kagome gar nicht denken. Nein, es blieb wirklich nichts anderes übrig, als auf Sesshoumarus Erfahrung mit Kampfverletzungen zu vertrauen und zu hoffen. „Sesshoumaru, hörst du das? Dieses komische Rasseln und Blubbern bei jedem Atemzug!“ Als er ihn versorgt hatte, war es noch nicht da gewesen. War das ein schlechtes Zeichen? Nur der Daiyoukai konnte es wissen. Der Junge schaffte plötzlich Klarheit über seinen Zustand und fing an Blut zu husten. Mit jedem Keuchen kam ein Schwall hellen Bluts hervor und er rang um Atem. Sesshoumaru kam sofort hinter seinem Tresen hervor, setze sich neben den Hanyou und legte ein Ohr auf dessen Brust. „Er wird sterben“, sagte er ungerührt, als er wieder aufstand. Tränen sammelten sich daraufhin in Kagomes Augen und Verzweiflung übermannte sie. Waren all ihre gemeinsamen Bemühungen am Ende vergebens? „Aber...warum! Bis vor ein paar Minuten ging es doch noch….oder?“, fragte sie schluchzend. Auch die anderen Waschbärdämonen sahen ihn nun schockiert an. Jede Farbe, jedes Gefühl war aus ihren Gesichtern gewichen. Es schien, als begriffen sie jetzt erst die Tragweite ihres sinnlosen Kampfes um Einfluss und Territorium und das es kein aufregendes Abenteuer war sondern blutiger Ernst. Und nun kostete es einem jungen Mann wohl das Leben, das vor ihm gelegen hätte. „Seine Lunge ist verletzt, wahrscheinlich gerissen. Die Verletzung kann auch sich jetzt erst verschlimmert haben, dass ein kleiner Riss zu einem großen wurde durch seine hektische Atmung. Die Lunge wird jetzt volllaufen und er wird an seinem eigenen Blut ersticken“, erklärte Sesshoumaru den Zustand seines Patienten weiter ruhig. Der Wortführer der Hanyou sah Sesshoumaru mit leeren Augen an. Er konnte es nicht fassen, dass sein Freund diesen Abend nicht überleben würde, dass alle Hoffnung verloren war. „Würdest ihr uns kurz mit ihm allein lassen, damit wir uns verabschieden können?“, bat er mit gebrochener Stimme. Stumm nickte der Daiyoukai, nahm sich seine Zigarettenschachtel und verschwand hinter dem Vorhang der Eingangstür. Mechanisch folgte ihm Kagome. Sie war so von ihren Gefühlen eingenommen, dass sie nichts mehr um sich herum wahrnahm, ihr Körper reagierte einfach nur noch. Die Nacht dämmerte, die letzten Strahlen des Tages verschwanden hinter dem Horizont und wurden von den dunklen Wolken verdrängt. Eine leichte Brise tanzte durch die Luft und vertrieb die Hitze aus der Straße. Doch Kagome hatte keinen Sinn für die Schönheit des Abends. Sie sank an der geschlossenen Tür zusammen und begann bitterlich zu weinen. „Warum weinst du?“, fragte Sesshoumaru zwischen zwei Zügen. Fassungslos sah Kagome auf. „Der Junge stirbt! Wie kann dich das nur so kalt lassen?“ „Er ist nicht der Erste, den ich sterben sehe und gewiss nicht der Letzte. Du hast damals auch Menschen sterben sehen, du hast den Schrecken Narakus miterlebt. Warum nimmt dich der Tod eines Jungen so mit, den du nicht einmal kanntest?“ Er sprach diese Worte ruhig und abgeklärt. War er wirklich so abgestumpft gegenüber dem Leid, das um ihn herum geschah? „Das kann man nicht vergleichen“, flüsterte sie deprimiert. „Ich habe niemals jemanden so grausam sterben sehen, ich war nie dabei, wenn jemand seinen letzten Atemzug tat. Ich dachte, ich hätte diesen Alptraum hinter mir gelassen, hinter dem Brunnen. Dass es hier in dieser friedlichen Welt geschieht…“ Ihre Stimme brach und Tränen erstickten ihre Worte. Ein heftiges Zittern schüttelte ihre Schultern und die Trauer und Verzweiflung wollten nicht nachlassen. „Wer den Tod nicht kennt, kann das Leben nicht schätzen. Diese Welt ist nicht friedlich, sie ist genauso grausam. Ihr Menschen tut nur alles, um es zu vergessen“, sprach Sesshoumaru in die beginnende Nacht. Ein Geistesblitz schlug plötzlich in Kagomes Kopf ein. Aufgeregt sprang sie auf und zog Sesshoumaru an seinem Arm zu sich herum. „Tenseiga! Das Schwert könnte ihn retten! Hast du es noch?“ Angewidert verzog er das Gesicht. „Ich besitze es noch, aber ich werde ihn nicht retten.“ Aufgebracht rüttelte sie an seiner Schulter. „Warum? Du hast die Macht ihn zu retten, warum tust du es dann nicht?“ „Weil die Zeit der großen Schwerter vorüber ist. Jeder der einigermaßen bei Verstand ist, würde wissen, woher ich komme, wer ich bin. Und wenn ich ihn retten würde, dann müsste ich auch jeden anderen retten.“ „Aber…“ Grimmig sah er sie an. „Kein aber! Ich bin nicht der Herrscher über Leben und Tod!“ Seine Worte machten Kagome zornig. In ohnmächtiger Wut trommelte sie mit ihren Fäusten auf seinen Arm. „Wie kannst du nur so grausam sein und deine Tarnung über das Leben des Jungen stellen!“ Feste umschloss er ihre zierlichen Hände mit seinen Kräftigen und sah ihr fest in die verweinten Augen. „Es ist der Lauf der Welt Menschen sterben zu sehen, akzeptier das endlich, Miko. Es wäre doch sehr selbstgerecht ihn zu retten und andere sterben zu lassen, meinst du nicht auch? Und damit auch du es endlich begreifst: Ja, es ist mir gleichgültig und meine Deckung ist mir wichtiger.“ Kaltes Gold traf auf warmes Braun. Ergeben sank Kagome wieder auf den Boden. So sehr sie es verabscheute, aber an einem Punkt hatte er recht: Der Tod gehörte nun einmal zum Leben und niemand durfte sich dazu herauf schwingen zu entscheiden, wer weiterleben durfte und wer nicht. Selbst sie als Priesterin des Juwels der vier Seelen konnte gegen den Tod nichts ausrichten. Nach einer Weile waren sie stumm zu der Übereinkunft gelangt, dass nun genug Zeit verstrichen war und kehrten wieder ins Innere des Teehauses zurück. Traurig saßen die übrigen Hanyou auf dem Boden um ihren Freund und weinten stumme Tränen. Der Junge atmete nicht mehr, er war tot. Wenigstens konnte er im Kreise seiner Freunde gehen und starb nicht allein, versuchte Kagome sich etwas aufzumuntern. Der Anführer der kleinen Gruppe sagte, als er Sesshoumaru wiederkommen sah: „Wir gehen jetzt und begraben ihn. Vielen Dank für alles.“ Ein leichtes Nicken genügte zur Antwort. Vorsichtig nahmen die Waschbäryoukai den Körper und trugen ihn hinaus in die warme Sommernacht. Kagome ließ sich auf den erstbesten Stuhl in der Nähe erschöpft fallen. Sie war ausgelaugt, sowohl körperlich als auch mental. Sie spürte einfach gar nichts mehr, ihr Geist hatte wohl all die Trauer, Wut und Verzweiflung in der hintersten Ecke ihres Herzens eingesperrt, damit sie diese nicht überwältigen konnten. Immer wieder sah sie zu dem Fleck, an dem bis eben noch der verstorbene Junge lag. Das unsanfte Aufsetzen einer Flasche auf dem Tisch, holte sie wieder aus ihren Gedanken zurück. Sesshoumaru hatte sich zu ihr an den Tisch gesetzt und eine alte Flasche mit goldenem Inhalt auf den Tisch gestellt. Auch zwei kleine irdene Becher hatte er mitgebracht. Geschickt öffnete er den Verschluss der Flasche und füllte die Becher. „Das ist das Beste, was man in so einem Moment machen kann“, sagte er müde und stürzte sein Getränk hastig herunter. Kagome roch zunächst an dem angebotenen Getränk und rümpfte die Nase wegen des scharfen Geruchs nach Alkohol. Vorsichtig nippte sie daran und verzog den Mund. „Was ist das für ein Teufelszeug? Das brennt!“, keuchte sie. Ein mildes Lächeln umspielte die Lippen des Daiyoukai. Aber es war ihr eigentlich egal, was es genau war, solange es sie die furchtbaren Geschehnisse vergessen ließ. Sie trank den Rest des Schnaps in einem Zug und stellte den kleinen Krug neben den Sesshoumarus auf den Tisch. „Das klingt so, als hättest du schon viele dieser Momente erlebt“, stellte sie fest. Das deprimierte Schnauben, das er ausstieß, während er nachschenkte, war ihr Antwort genug. Kapitel 13: Wahrheit am Boden des Bechers ----------------------------------------- 13 – Wahrheit am Boden des Bechers Sie saßen eine Weile beieinander und tranken schweigend. Worte waren weder erwünscht noch notwendig. Kagome hatte sich sehr schnell an den bittersüßen Geschmack des Getränks gewöhnt, auch das Brennen des Alkohols in ihrer Kehle störte sie nicht mehr. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus und umfing sie zärtlich. Der kalte Hauch des Todes, der in ihre Glieder gekrochen war, wich der schummrigen Geborgenheit und ihre über die Maßen malträtierten Gedanken und Gefühle wurden in sanfte Watte gepackt. Ein herrlicher Dämmerzustand, ihre Gedanken waren frei, doch der Körper schwer und müde. Träge warf sie einen Blick auf Sesshoumaru, der ihr gegenüber in seinem Stuhl mehr lag als saß und gedankenverloren Rauchkringel in die Luft schickte. Er sah entspannt aus, der harte Zug in seinem Gesicht hatte sich etwas gelockert und seine Augen waren genießerisch geschlossen. Doch ein Gedanke in ihrem Kopf wollte sich nicht der betrunkenen Trägheit hingeben und sah endlich seine Chance gekommen. Da all die Hemmungen bereits weggedämmert waren, fand er seinen Weg auf ihre Zunge. „Was ist eigentlich damals aus Rin geworden?“ Erschrocken über sich selbst hielt Kagome sich den Mund zu, aber es war zu spät: die Frage stand im Raum und es war nicht mehr rückgängig zu machen. Wider Erwarten wurde er nicht auf der Stelle ärgerlich, sondern öffnete nur matt seine Augen. Er sah sie melancholisch an und hoffte wohl mit seiner Frage das Unvermeidliche weiter heraus zögern zu können. „Du wirst nie Ruhe geben, bis ich es dir erzählt habe, hab ich Recht?“ Kagome setzte sich wieder gerade und nickte bestimmt. Er warf einen leidenden Blick über seine Schulter und seufzte schwer. „Bringen wir’s hinter uns“, knurrte er und schenkte sich einen weiteren Becher ein. Kagome fiel auf, dass er weniger unnahbar wurde durch den Alkohol und sie nicht mehr gnadenlos von sich weg schlug. Schmolz etwa gerade die Eismauer, die sein geschundenes Herz umgab? Er stürzte den Schnaps hinunter ohne abzusetzen und fingerte mit einer Hand eine neue Zigarette aus dem Päckchen. Verschwenderisch langsam zündete er sie mit seinem alten Plastikfeuerzeug an und lehnte sich dann bequem gegen die Lehne des Stuhls, um seine Erzählung zu beginnen. „Nachdem Naraku besiegt war, habe ich sie in euer Dorf gebracht und die alte Priesterin gebeten sie aufzunehmen. Der Westen war durch diesen Hanyou ziemlich in Aufruhr geraten und ich musste erst einmal wieder einige widerspenstige Youkai zur Räson bringen. Es wäre zu gefährlich gewesen sie mitzunehmen und sie sollte auch wieder lernen unter Menschen zu leben.“ Erstaunt sah Kagome ihn an. „Du hast sie Kaede anvertraut? Aber Rin hing doch so an dir, wie konntest du sie einfach zurücklassen? Das hat ihr doch sicher das Herz gebrochen.“ „Ich habe sie nicht verlassen“, erklärte er weiter, „Sie hat es verstanden und von Zeit zu Zeit habe ich sie besucht. Sie kam dort über ihr Misstrauen gegenüber Menschen hinweg und lebte fast zehn Jahre bei der alten Miko.“ Gespannt hörte Kagome zu. Würde er ihr vielleicht auch etwas über ihre Freunde erzählen? Es war möglich, dass er sie nie ganz aus den Augen verloren hatte! „Als die Miko schließlich im hohen Alter starb, bat Rin mich wieder mit mir reisen zu dürfen. Da wieder Ruhe in den Westen eingekehrt war, erfüllte ich ihr den Wunsch und nahm sie mit mir auf die Burg des Westens.“ „Du hattest eine Burg?“, fragte Kagome aufgeregt. Sie hatte sich damals nie darüber Gedanken gemacht. Sie wusste zwar, dass er der Herr der westlichen Länder war, aber dass zu dem Titel mehr gehörte, hatte sie nicht bedacht. „Steht sie noch?“, fügte sie noch hinzu. „Irgendwo mussten die Inuyoukai ihren Sitz haben. Mach dir aber keine zu romantischen Vorstellungen davon. Das war ein altes, enges und unwirtliches Gemäuer und ich habe es gehasst. Ich war heilfroh, als sie zerstört wurde, ich habe mich dort immer eingesperrt gefühlt.“ „Deshalb bist du immer umher gewandert“, schlussfolgerte Kagome. „Richtig“, beendete Sesshoumaru das Thema und drückte seine Zigarette in dem schon wieder sehr vollen Aschenbecher aus. Wieder bestätigte sich ihre Vermutung. Je emotionaler ein Thema für ihn war, desto mehr rauchte er. Schon hatte er die nächste zwischen den Fingern und spielte gedankenverloren damit. „Leider war zu dieser Zeit meine Anwesenheit dort nötig, also nahm ich sie mit mir und sie wurde zu meiner Tochter und Hime des Westens.“ „Oh, das überrascht mich jetzt, dass du es so offiziell gemacht hast. Weil sie ja trotz allem ein Mensch war und du Menschen hasst“, sagte Kagome lachend. Finster blickend antwortete er ihrer Heiterkeit: „Vergleich Rin nie wieder mit diesem Abschaum! Sie war es schon immer für mich, warum hätte ich es also verleugnen sollen? Außerdem konnte ich so für ihre Sicherheit sorgen. Niemand hätte es gewagt ihr auch nur ein Haar zu krümmen.“ Kagome nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Becher, aber sie musste husten. Nachdenken und Trinken zur gleichen Zeit vertrug sich nicht, besonders nicht wenn der Schnaps bereits begann seine Wirkung zu entfalten. „Warum hast du sie eigentlich bei dir aufgenommen? Das habe ich nie verstanden… Der Schrecken der Menschheit nimmt ein Waisenkind bei sich auf, das wirkt doch sehr paradox“, forschte sie weiter nach, aber konnte sich den hämischen Unterton nicht verkneifen. Ihre Selbstkontrolle litt bereits unter dem vielen Branntwein. „Wenn es dich beruhigt, ich habe mich nie freiwillig dafür entschieden. Sie hatte beschlossen mir zu folgen und ließ sich nicht davon abbringen. Ich war selbst überrascht, dass ich ihre Gesellschaft als angenehm und nicht störend empfunden habe, also ließ ich es geschehen. Irgendwann gehörte sie einfach zu mir und ich wollte sie auch nicht mehr missen.“ Sie konnte das Kichern nicht unterdrücken, das plötzlich aus ihr herausbrach. „Sie hat dich voll um den kleinen Finger gewickelt!“ „Möglich“, murmelte er leise und sah wehmütig in seinen schon wieder leeren Krug. Nachdem Kagome sich wieder eingekriegt hatte, bat sie ihn weiter zu erzählen. „Rin war zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen, das blieb leider nicht unbemerkt. Sie kam schließlich in das Alter, in dem man zu heiraten hatte und Jaken drängte mich ihr einen Ehemann auszusuchen.“ „Bah, die alte Kröte. Warum hast du ihn eigentlich bei dir akzeptiert?“ Ein kryptisches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen als er auf ihren Vorwurf antwortete: „Jaken war so nützlich wie er nervig war. Zum Glück hatte Rin mir die Entscheidung abgenommen. Sie gestand mir, dass kurz nachdem sie wieder zu mir kam, sie sich in einen meiner Hauptmänner verliebt hatte. Ihre Liebe blieb nicht unerwidert, aber sie hatten Angst, dass ich sie ihnen verbieten würde. Also trafen sie sich heimlich.“ „Wie sie da nur drauf kamen“, witzelte Kagome. Empört zog Sesshoumaru seine linke Augenbraue hoch und schnaubte: „Weil mir damals noch Respekt entgegengebracht wurde und meine Autorität nicht in Frage gestellt wurde. Etwas, an dem es heute gewissen Personen mangelt.“ Kurz schien es, als würde Kagome wieder ungebremst losprusten, aber im letzten Moment schaffte sie es ernst zu bleiben. „Bitte erweist mir die Gunst und setzt eure Erzählung fort, Sesshoumaru-sama!“ Mit aufgesetztem Ärger seufzte er: „Deinen Spott kannst du dir schenken, Weib!“ Die Erinnerung an seine verlorene Stellung verlangte dringend danach ertränkt zu werden, deshalb schenkte er sich wieder nach. Kagome kam nicht ansatzweise mit und spürte bereits deutlich das verräterische Glühen ihrer Wangen, das sich immer einstellte, wenn sie zu viel getrunken hatte. Er dagegen wirkte fast nüchtern; er sprach nur mehr und offener als für gewöhnlich. Nach einer angemessen langen Pause, um sie für ihren Mangel an Manieren zu strafen, fuhr er fort: „Es kam mir aber sehr recht mit den beiden. Lieber gab ich sie einem meiner engsten Vertrauten zur Frau und konnte mir sicher sein, dass sie glücklich sein würde, als sie irgendeinem windigen Menschenfürst geben zu müssen mit ungewissem Schicksal.“ Kagome erschauerte bei dem Gedanken. Sie hatte auf ihren Reisen das zweifelhafte Vergnügen gehabt einige dieser verwöhnten Adelssprösslinge kennenzulernen. Eine Heirat war für die Frauen damals wie ein Lotteriespiel: Wenn sie Glück hatten, konnten sie glücklich leben, wenn sie Pech hatten, mussten sie sich einem Tyrann unterordnen und wurden wie eine Gebärmaschine behandelt. Es freute sie sehr zu hören, dass Rin aus Liebe heiraten konnte. Trotzdem wollte Kagome sich nochmals bei ihm versichern: „Ist sie glücklich gewesen?“ „Sie hatten sechs Kinder bekommen. Er war bei ihr, als sie schließlich als alte Frau starb“, sagte er und sah in die Leere des Raums. Er schien ihren Tod bis heute nicht verwunden zu haben, es fiel ihm sichtlich schwer darüber zu sprechen. Mitfühlend legte Kagome ihre Hand auf seine und wollte ihm so etwas Trost spenden, doch er zuckte stattdessen zusammen. Warum brachte ihn eine Berührung so aus der Fassung? War es so ungewohnt für ihn? Trotzdem ließ sie ihre Hand auf seinem Handrücken liegen; er sollte sich daran gewöhnen und spüren, dass er nicht allein war. Warum ihr das jetzt gerade so ein tiefes Bedürfnis war, konnte sie selbst nicht erklären. Es fühlte sich einfach richtig an. „Was ist aus ihren Kindern geworden?“, fragte sie einen Augenblick später weiter. Wieder führte er seinen Becher an die Lippen und brummte in das Tongefäß: „Es ist eine starke Linie Hanyou daraus entsprungen. Sie hat die Zeiten bis heute überdauert und ich wache weiter ungesehen über sie.“ Die Erkenntnis traf Kagome wie ein Schlag. Mit aufgerissenen Augen und pochendem Herzen hauchte sie: „Hanako!“ Er reagierte nicht darauf, er trank einfach weiter und gab vor, Kagome nicht gehört zu haben. Aber sein verbissenes und eisernes Schweigen ließ keinen anderen Schluss zu und sie hatte nun Gewissheit: Hanako war eine Nachkommin von Rin! „So, nachdem du mich jetzt andauernd über mein Leben ausgefragt hast, ist es nur fair, wenn ich nun das gleiche tue.“ Sesshoumaru unterbrach mit seiner unerwarteten Feststellung abrupt ihre sich wild überschlagenden Gedanken. Mit einem unergründlich lauernden Blick und genüsslich spottendem Grinsen sah er sie an, durchdrang sie, als wollte er direkt in ihre Seele blicken. Es machte sie nervös. Die golden strahlenden Augen, die fest auf ihr lagen, weckten in ihr das Gefühl ihm schutzlos ausgeliefert zu sein. Aber zugleich fesselten sie sie, faszinierten sie und schlugen sie in seinen Bann. Ihre Aufmerksamkeit verfolgte seine Hand, die gerade eine frisch angezündete Zigarette zu seinen Lippen führte. Auch dort blieb ihr Blick haften. Warum war ihr nie zuvor aufgefallen, dass er so sinnliche Lippen hatte? Wie es wohl wäre ihn zu küssen? Und warum zum Kuckuck machte sie sich plötzlich darüber Gedanken? „Also, warum bist du nicht wieder zu meinem Halbbruder zurückgekehrt?“, zerschnitt seine kalte und tiefe Stimme den stimmungsvollen Moment. Kagome fühlte sich plötzlich ertappt und setzte sich erschrocken stocksteif auf. Hatte er ihre Blicke bemerkt? Hatte sie ihre Gedanken unabsichtlich verraten? Verstohlen sah sie ihn an, aber es schien, als wären ihre verwirrten Gefühle ihm nicht aufgefallen. Verlegen räusperte sie sich umständlich und sagte dann schüchtern: „Nachdem das Juwel verschwunden war, brachte es mich direkt wieder nachhause. Seitdem ist der Brunnen verschlossen, ich kann nicht mehr durch die Zeit reisen.“ Den Teil mit dem Kuss mit Inuyasha sparte sie aus. Einmal wäre es eine willkommene Einladung für seine Häme, andererseits wollte sie nicht zu sehr daran denken, bevor sie sich in den amourösen Gefühlen verlor. Irgendetwas in ihrem Herzen versuchte sich gerade zu verselbstständigen und sie wollte diesem Etwas nicht neue Nahrung geben. „Hast du nicht versucht ihn wieder zu öffnen? Er war doch dein Gefährte, oder nicht?“, hakte Sesshoumaru unbarmherzig nach. Stand er nun dank des Alkohols zu seiner Neugier und verbot sie sich nicht mehr? Traurig sah Kagome zu Boden. Er hatte einige wunde Punkte berührt, aber sie würde ihm wahrheitsgemäß antworten. Das war sie ihm schuldig, da er auch offen zu ihr gewesen war. „Es…war nicht so eine Beziehung. Ja, ich habe ihn geliebt, aber es war immer… kompliziert.“ Es fiel ihr schwer ihre zerrissenen Gefühle in Worte zu kleiden. „Die tote Priesterin?“, fragte Sesshoumaru ehrlich interessiert nach. „Die tote Priesterin“, antwortete Kagome mit resigniertem Nicken. Sie hatte beinahe vergessen, wie sehr Inuyasha ihr immer wieder wehgetan hatte, weil er Kikyou einfach nicht loslassen konnte. Und als sie endlich diese Welt verlassen hatte und das zarte Pflänzchen ihrer Liebe Luft zum Wachsen hatte, verbannte sie das Schicksal in ihre Zeit. Sie schluckte den Kummer der Vergangenheit tapfer herunter und berichtete weiter: „Ich habe alles in meiner Macht stehende versucht, um den Brunnen wieder zu öffnen, aber alles war vergebens. Ich habe unzählige alte Bücher gelesen, in anderen Schreinen um Rat gefragt, aber der Brunnen blieb verschlossen.“ Stumm sah er sie an, hörte zu. Wie immer verriet nichts in seinem Gesicht, was in ihm vorging. Tränen brachen sich ihren Weg nach draußen frei und kullerten über ihre Wangen. All die verdrängten Gefühle drängten nun an die Oberfläche. „Gerade als Inuyasha mich in seine Arme schloss, brachte uns der Brunnen in diese Zeit. Aber er wurde sofort in das Licht zurückgezogen und verschwand. Ich konnte mich nicht einmal von ihm und den anderen verabschieden! Sie waren meine Freunde, wir haben so viel zusammen erlebt. Und plötzlich sind sie weg und ich ganz allein wieder hier. Ich weiß nichts über sie, was aus ihnen geworden ist“, schluchzte Kagome und zog geräuschvoll die Nase hoch. Mit undeutbarem Blick verfolgte Sesshoumaru ihren Weinkrampf. Schließlich kramte er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und reichte es ihr. „Du bist eine unglückliche Trinkerin“, stellte er trocken fest. „Nicht nur als Trinkerin“, wimmerte sie und vergrub ihr verweintes Gesicht in dem Taschentuch. „Seit ich wieder hier sein muss, fühle ich mich so leer und einsam. Alles wirkt so fad und unbedeutend, dabei hat sich seit meiner Reise nichts verändert. Meine Freundinnen sind immer noch bei mir, aber trotzdem bin ich allein. Niemandem kann ich erzählen, was in mir vorgeht, niemand kann es verstehen. Mit niemandem kann ich meinen Schmerz teilen. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt plötzlich aus einem glücklichen Leben gerissen zu werden.“ Wieder wischte sie die Tränen von ihren Wangen und flüsterte mehr zu sich selbst: „Manchmal denke ich, dass ich nicht mehr in diese Zeit gehöre. Dass ich eigentlich im Zeitalter der kriegerischen Staaten hätte weiterleben sollen. Dort hatte ich eine Aufgabe, aber hier ist es doch egal, was ich tue oder nicht tue.“ Sesshoumaru schwieg noch immer, doch sein Blick lag weiter auf ihr. Was ging in seinem Kopf vor, was dachte er darüber? Überlegte er gerade, wie er sich am besten über sie lustig machen konnte? Es war Kagome gleich. Sollte er doch sich seinen Spaß aus ihrem Kummer machen, es würde nichts an der Traurigkeit in ihrem Herzen ändern, schlimmer konnte es nicht werden. Sie zog die Knie nach oben und umschlang sie mit ihren Armen. Ein kleines Häufchen Elend saß nun auf dem alten Stuhl und weinte stumm Tränen um Freunde, die sie fünfhundert Jahre in der Vergangenheit zurücklassen musste. „Der Mönch und die Dämonenjägerin haben geheiratet und unzählige Kinder in die Welt gesetzt“, durchbrach Sesshoumarus ruhige Stimme plötzlich die depressive Tristesse. Aufgeregt riss Kagome den Kopf nach oben und sah den Daiyoukai entgeistert an. Geschah das gerade wirklich? Hatte der kaltherzige Dämon tatsächlich Mitgefühl und erzählte ihr deshalb von ihren Freunden? „Schau nicht so entsetzt oder hattest du etwas anderes von den beiden erwartet?“, sagte Sesshoumaru abwertend. Ihre Überraschung über seine plötzliche Empathie und auch die Dankbarkeit, die in ihren noch immer tränennassen Augen schimmerte, schienen ihm unangenehm zu sein. Wie so oft setzte er seine beißende Ironie dagegen, vielleicht damit er sich nicht eingestehen musste, dass er manchmal – wenn er wollte – gar kein so schlechter Kerl war. „Nein“, lachte sie, während die traurigen Tränen langsam von Freudentränen verdrängt wurden, „Wie viele Kinder haben sie denn bekommen?“ Kurz durchforstete Sesshoumaru sein Gedächtnis, aber schließlich schnaubte er nur: „Unzählige, ich hab irgendwann den Überblick verloren. Wie die Karnickel….“ Das Lachen befreite Kagome von den dunklen Wolken, die ihr Herz angefangen hatten zu umschließen. Sie sah vor ihrem inneren Auge die beiden inmitten einer Schar von dutzenden Kindern und es freute sie aufrichtig, dass die beiden ihr gemeinsames Glück gefunden hatten. Das Lachen schüttelte sie noch immer, als sie sich die letzten Tränen aus dem Augenwinkel strich. „Oh je, Shippo und Kohaku hatten es sicher nicht leicht in dem ganzen Trubel.“ „Die beiden taten das einzig Richtige und sind auf Wanderschaft gegangen. Der Junge wurde ein berühmter Dämonenjäger und zog von Dorf zu Dorf und der kleine Fuchs wurde ein geschickter Zauberer. Manchmal besuchten sie noch das Dorf, aber die meiste Zeit reisten sie zusammen.“ Sesshoumaru saß entspannt in seinen Stuhl gelehnt, hielt den kleinen Tonbecher in der Hand und schwenkte den Inhalt gedankenverloren hin und her. Es war sehr ungewohnt ihn so unbeschwert und locker zu erleben, aber ein kurzer Blick zur inzwischen halbleeren Flasche auf dem Tisch gab ihr die Antwort. „Ist Shippo denn gewachsen?“, erkundigte sich Kagome weiter über ihren kleinen Freund. „Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, war er einen Kopf kleiner als ich“, bekam sie als Antwort. Etwas schwang in seiner Stimme mit, was nicht zu der fröhlichen Erinnerung an den Kitsune passen wollte. Das Ende dieser Geschichte war sicher nicht so heiter, aber damit würde sie sich noch früh genug auseinander setzen müssen. Jetzt genoss sie die Erinnerung an ihre Freunde und schöne Zeiten. Im Überschwang kicherte sie: „Dann konnte er Inuyasha ja endlich all die Gemeinheiten heimzahlen!“ Doch kaum erwähnte sie den Namen des Hanyou, huschte ein Schatten über das Gesicht des älteren Bruders. Sie wusste bereits, dass ihm etwas passiert war, daher würde es sie nicht in tiefe Depression stürzen von seinem Schicksal zu erfahren. Wieder legte sie ihre Hand auf Sesshoumaru Unterarm und sah ihn ruhig an. „Ich weiß bereits, dass er tot ist. Ich habe es auch die ganze Zeit zuvor geahnt. Bitte erzähl mir, was ihm widerfahren ist.“ Erstaunt hob Sesshoumaru die Brauen. „Ich habe nie davon gesprochen…“, wandte er ein, doch Kagome fiel ihm lächelnd ins Wort. „Doch, aber ohne es zu wollen.“ „Meinetwegen“, murrte er und griff wieder nach seinen Seelentröstern. „Nachdem du verschwunden bist, hat er jeden Tag darauf gehofft, dass der Brunnen sich wieder öffnen würde. Er lebte ebenfalls in dem kleinen Dorf und gab niemals den Glauben daran auf, dass du zu ihm zurückkehren würdest. Ich habe ihn oft auf jener Lichtung im Wald an den Brunnen gelehnt sitzen sehen. Wenn er nicht gerade auf dich wartete, dann beschützte er das Dorf vor wilden Dämonen, die nach Narakus Tod wieder zahlreicher geworden waren.“ Ein trauriges Lächeln umspielte Kagomes Lippen. Es war Inuyasha nicht anders ergangen als ihr selbst. Auch sie sah in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr jeden Tag nach, ob der Brunnen wieder passierbar war. Doch inzwischen hatte sie sich damit abgefunden nie mehr durch ihn reisen zu können. Sesshoumaru schien ihre Gedanken zu erraten. „Er hat dich nie vergessen“, sagte er leise. Es war schön das zu hören und es löste ein warmes Gefühl in ihrer Brust aus. Aber all das war Vergangenheit. Eine Vergangenheit, an die sie sich gerne erinnerte, aber die leider unwiederbringlich war. „Habt ihr euch versöhnt nach eurem gemeinsamen Kampf gegen Naraku?“, wechselte Kagome vorsichtig das Thema. Betrunken war es keine gute Idee Herzensangelegenheiten zu überdenken, es machte nur traurig und ihre Gedanken waren heute sowieso schon auf seltsamen Pfaden unterwegs. Kam dieses wohlige Gefühl der Geborgenheit nur vom Alkohol oder hatte Sesshoumaru etwas damit zu tun? Da ihre beiden Becher leer waren, nahm er die Flasche, füllte sie wieder auf und antwortete ausweichend: „Sagen wir mal so, ich habe nicht mehr versucht ihn umzubringen. Wir haben uns irgendwie arrangiert, aber versöhnt haben wir uns nie wirklich. Ungefähr hundert Jahre nach deinem Verschwinden zogen die vier Herrscher in einen vernichtenden Krieg und Inuyasha kämpfte an meiner Seite für den Westen. In einer der letzten Schlachten fielen er und der Fuchs im Duell gegen den Herrn des Ostens.“ Kagome schwieg. Was sollte sie auch darauf erwidern? Es war traurig vom Tod ihres geliebten Freund berichtet zu bekommen, aber es tröstete sie etwas, dass die beiden ungleichen Brüder auf eine sehr eigene Art und Weise zueinander gefunden hatten. Wenn Sesshoumaru seinen Halbbruder weiter verachtet hätte wie am Anfang ihres Abenteuers, hätte er es nie geduldet, dass Inuyasha an seiner Seite in den Krieg zog. Mit starrem Blick zog Sesshoumaru an seiner Zigarette. Der Tod des Hanyou hatte ihn wohl auch nicht unberührt gelassen. Schließlich brach Kagome das melancholische Schweigen, das sich zwischen den beiden breit gemacht hatte und drohte sie niedergeschlagen zu machen. „Wer hat den diesen Krieg gewonnen?“, fragte sie ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Wie ein Lehrer, der vom Unwissen seiner Schülerin enttäuscht wurde, sah er sie an und gab ihr zu verstehen: „Diese Art von Streit funktionierte schon immer nach dem Prinzip ‚Wer als letzter tot ist, hat gewonnen‘. Ich sitze jetzt hier und betrinke mich mit dir.“ „Macht Sinn“, murmelte sie verlegen. Aber ihre Neugier war nun wieder aus ihrem Dämmerschlaf erwacht und sie wollte sofort mehr wissen. „Warum habt ihr gekämpft? Worum ging es in diesem Krieg?“ In Gedanken versunken lehnte sich Sesshoumaru in seinen Stuhl, legte den Kopf in den Nacken und sah konzentriert die renovierungsbedürftige Decke an. „Macht, Land, Ehre… der ganze übliche Daiyoukaikram eben. Eigentlich war das auch egal, wenn ich ehrlich bin, haben wir nur wieder nach einem Grund gesucht uns bis aufs Blut zu bekämpfen. Es gab eigentlich kein Jahrhundert ohne mindestens einen Krieg zwischen den Reichen der Youkai.“ Perplex sah ihn Kagome an und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ihr habt aus Langeweile Krieg angefangen?“ „Nicht ganz“, schmunzelte Sesshoumaru. „Es gab meist einen Grund, nur tat niemand etwas um einen Krieg zu verhindern.“ Das machte die Sache in Kagomes Augen keinen Deut besser. „Welchen fadenscheinigen Grund habt ihr vorgeschoben um diesen Krieg anzufangen?“, fragte sie spöttisch. Er drehte den Kopf zu ihr herum und hob bewundernd die Augenbrauen. „Du hast die Spielregeln schnell verstanden. Es war irgendeine kleine Streitigkeit um eine Grenze zwischen dem Norden und dem Osten. Doch dieser Krieg ist irgendwann eskaliert und der Hauptgrund dafür, dass es so gut wie keine Youkai mehr gibt.“ Kagome wollte Genaueres wissen und deshalb bat sie ihn die Ereignisse von Beginn an zu berichten. „So ein Zwischenfall an einer Grenze ist eigentlich immer ein willkommener Grund den Nachbarn in seine Schranken zu weisen. Diesmal aber gab es einen gewitzten Menschen, der seine Finger im Spiel hatte. Es war ein kleiner Samuraifürst, dem die Herrschaft der vier Daiyoukai schon lange ein Dorn im Auge war und der sich nicht uns ‚Monstern‘ unterordnen wollte. Mit gezielten Falschinformationen hetzte er den Norden und den Osten gegeneinander auf, bis die beiden Daiyoukai sich unversöhnlich hassten. Durch Bündnisse wurden auch ich und der Süden in diesen Krieg hineingezogen und irgendwann ging der eigentliche Grund in den Wirren verloren und jeder kämpfte nur noch für seinen eigenen Vorteil. Die Menschen sahen ihre Chance gekommen sich ein für alle Mal der Youkai zu entledigen und heizten den Konflikt weiter an.“ „Aber wenn du das alles durchschaut hast, warum hast du diesen Irrsinn mitgemacht? Warum hat keiner diese Spirale unterbrochen?“, unterbrach Kagome seine Erzählung. Das durfte doch nicht wahr sein, dass sich die Youkai selbst vernichtet hatten vor lauter Stolz und Starrsinn! „Keinem von uns lag etwas an einem brüchigen Frieden, also tat niemand etwas um den Krieg zu beenden. Hätte ich mich verweigert, wäre der Westen überrannt und vernichtet worden“, führte er ungerührt an. Fassungsloses Entsetzen stand Kagome in das gerötete Gesicht geschrieben. Es war ihr einfach unbegreiflich wie man sehenden Auges in den eigenen Untergang stürmen konnte. Sie trank den Rest ihres Bechers aus und musste sich beim Nachschenken bereits sehr konzentrieren. „Erzähl weiter“, seufzte sie dabei. „Der Norden und der Süden waren früh besiegt, die Herrscher tot. Kurz nach Inuyashas Tod standen sich mein Heer und das des Ostens ein letztes Mal gegenüber. Die Schlacht tobte mehrere Tage, tausende Katzendämonen fielen allein Bakusaiga zum Opfer. Am Ende standen nur noch ich und der Daiyoukai des Ostens, flankiert von einem guten Dutzend unserer Krieger. Ich kämpfte lange gegen den großen Nekoyoukai, die Gegend wurde dabei völlig verwüstet. Schließlich rang ich ihn mit meinem Gift nieder und ging als Sieger aus diesem Krieg hervor.“ Bitter lachte Kagome auf: „Ja, ein toller Sieg. Alle anderen außer dir waren tot und das Zeitalter der Youkai vorbei.“ Die Sinnlosigkeit dieses Triumphs schien Sesshoumaru ebenso bewusst zu sein, denn er wirkte nicht weniger verbittert als Kagome. Wieder goss er den golden schimmernden Branntwein in sein Trinkgefäß. „Ich habe nicht behauptet, dass ich besonders stolz darauf bin“, beendete Sesshoumaru seine Geschichte. „Es sollte wohl so sein, dass die Youkai ihrem eigenen Machthunger zum Opfer gefallen sind. Einige wenige haben versteckt überlebt und die Menschen konnten nun ihre eigene blutige Geschichte schreiben.“ „Ja, wir waren auch nicht besser“, stimmte Kagome zu. „Deshalb hast du also deinen Titel verloren, weil die vier Reiche vernichtet wurden.“ Stumm nickte er, während er hastig austrank. Beide waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und so legte sich wieder der Mantel des Schweigens über die kleine Trinkgesellschaft. Kapitel 14: gemeinsam einsam ---------------------------- 14 – gemeinsam einsam „Warum sitzt du eigentlich mit einem alten, verbitterten Dämon an einem Freitagabend in einem verranzten Teehaus und redest über lang vergangene Zeiten statt mit einem Jungen deines Alters auszugehen?“, unterbrach Sesshoumarus Stimme die träge Stille. Erstaunt sah ihn Kagome aus glasigen Augen an. Er bekräftigte seinen Einwand weiter: „Auch sonst verbringst du erstaunlich viel Zeit hier. Wird dein Freund nicht eifersüchtig, vermisst dich niemand in der Welt da draußen?“ Ein verstohlenes Lächeln spiegelte sich kurz in ihrem Gesicht; Es war amtlich, er war definitiv angebrütet, sonst hätte er niemals dieses Thema angeschnitten. Doch der Ernst holte sie schneller wieder ein als ihr lieb war, sobald sie über eine passende Antwort nachdachte. Schwer seufzend drehte Kagome den leeren Becher in ihren Händen. Sie brauchte etwas um ihren unruhigen, zittrigen Fingern Halt und Beschäftigung zu geben. „Es wäre schön, wenn es so wäre, aber nein. Damit bin ich durch, das funktioniert nicht mehr für mich.“ Sesshoumaru war überrascht von ihrem plötzlichen Eingeständnis und dass ihre Einsamkeit wohl weit tiefer zu reichen schien, als er erwartet hatte. „Es klingt, als sprächest du da aus Erfahrung“, stellte er sachlich fest. Traurig lachte Kagome: „Ja, könnte man so sagen.“ Aber selbst das falsche Lächeln konnte nicht den Schmerz kaschieren, den die plötzlich widerkehrende Erinnerung in ihr auslöste. Gedankenversunken starrte sie auf die schartige Oberfläche des Tisches und entdeckte ein faszinierend marmoriertes Muster zwischen den Schichten aus blätterndem Lack und Schmutzpatina. Wie lange hatte sie schon nicht mehr daran zurückgedacht? Plötzlich hob Sesshoumaru sein Glas und murmelte mit schwerer Zunge einen Toast: „Auf deprimierende und trostlose Geschichten! Die nächste verbannt jede Lebensfreude von dieser Tafel und stößt uns tief für immer in bittersüße Melancholie.“ Dann stürzte er den Inhalt hinunter. Aber sein tragikomischer Ausspruch amüsierte Kagome, das theatralische Drama passte so gar nicht zu dem eigentlich so verschlossenen Daiyoukai. Trotzdem stimmte sie mit ein: „Auf traurige Geschichten!“ „Wie kannst du sagen, dass es nicht für dich nicht funktioniert? Mein dämlicher Halbbruder ist ja nicht der einzige Mann auf der Welt… oder trauerst du ihm immer noch hinterher?“, setzte er seine Fragen fort. So lustig es war ihn betrunken zu erleben, so sehr tat es weh, wie er ihre wunden Punkte zielsicher traf. Verlegen knetete sie den Stoff ihres Rocks. Sie fühlte sich mit einem Mal sehr unwohl in ihrer Haut, so albern in ihrer Kapitulation vor der Liebe. Schüchtern setzte sie an zu erzählen: „Es ist nicht nur die Geschichte mit Inuyasha... Nach meiner Rückkehr habe ich mich so verloren gefühlt. Da war diese Lücke in meinem Herzen, die so geschmerzt hatte und ich wollte sie unbedingt stopfen. Es hat so wehgetan, ich dachte, es würde mich umbringen. Also habe ich die erstbeste Gelegenheit genutzt und mich in eine Beziehung gestürzt, um den Schmerz zu betäuben.“ Ruhig sah Sesshoumaru sie an, verfolgte jede ihrer Regungen, ehe er fragte: „Wer war er?“ „Ein Mitschüler“, seufzte Kagome. „Sein Name war Hojo, er machte mir schon lange Avancen. Immer wenn ich für kurze Zeit in meine Zeit zurückgekehrt war, machte er sich Sorgen und schwirrte um mich herum. Doch damals habe ich ihn auf Distanz gehalten, es war mir unangenehm, denn mein Herz gehörte bereits Inuyasha. Doch in meiner Einsamkeit erschien er mir dann wie der rettende Anker und so gab ich seinem Werben nach. Aber trotzdem wurde ich nicht glücklicher, eigentlich wurde mir in jedem Moment mit ihm bewusster, was ich mir eigentlich wünschte und was mir fehlte. Weißt du, er ist das genaue Gegenteil von deinem Bruder…“ „Halbbruder“, knurrte der betrunkene Daiyoukai mürrisch. „Meinetwegen auch das.“ Mit einer plötzlichen Distanz in der leisen Stimme fuhr sie fort: „Er war ein braver, angepasster Junge, der versuchte mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Alle in der Schule himmelten ihn an, er sah aus wie der typische Mädchenschwarm. Viele meiner Mitschülerinnen haben mich beneidet, aber mir war sehr schnell klar, dass er nicht derjenige sein kann, der mich glücklich machen und die Einsamkeit aus meinem Leben drängen kann. Zu langweilig, zu brav und einfach zu gewöhnlich war er. Aber er hatte sich schwer in mich verliebt und wollte wohl nicht sehen, was in mir vorging. Ich traute mich nicht es ihm zu sagen, denn es war immer noch besser als wieder vollkommen allein zu sein. Irgendwann stand er sich endlich ein, dass ich ihn nicht liebte und beendete diese merkwürdige Beziehung. Das war kurz vor dem Ende meines ersten Jahres in der Oberschule. Komischerweise war ich nicht traurig, ich habe nur Erleichterung gefühlt als er mir seinen Entschluss mitgeteilt hat. Jetzt trifft er sich mit so einem dauerfröhlichen Püppchen, das den Boden vergöttert, auf dem er geht.“ Je mehr sie erzählt hatte, desto enger umschlang sie sich mit ihren eigenen Armen. Die Geschichte mit Hojo lag nun fast ein Jahr zurück, in einem Monat würde sie die Examen des zweiten Jahres der Oberstufe ablegen. Aber immer noch fühlte sie sich schäbig ihn dazu missbraucht zu haben die Leere in sich zu füllen und mit seinen Gefühlen gespielt zu haben. Die eigene Umarmung spendete Trost und gab Halt. Wer sollte ihn ihr geben, wenn nicht sie selbst? „Da bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass mich kein Junge in meinem Alter, aus meiner Welt glücklich machen kann. Ich habe eingesehen, dass Liebe und Romantik für mich nicht mehr funktionieren, weil mein Herz zu versehrt ist und habe mich irgendwann einfach damit abgefunden“, flüsterte sie leise. Es war hart es so deutlich auszusprechen, aber sie konnte es nicht verleugnen. Lieber stellte sie sich der grausamen Wirklichkeit als sich mit einer unerreichbaren Sehnsucht zu quälen. Der Abend war schon nicht mehr jung und Sesshoumaru streckte sich ausgiebig in seinem Stuhl, nachdem sie ihre traurige Geschichte erzählt hatte. Doch dann begann er mit einem Mal laut und heiser zu lachen. Perplex sah Kagome ihn an und konnte nicht glauben, was ihre müden Augen sahen. Sie hatte ihn noch nie richtig lachen sehen. Schließlich ebbte das Lachen ab und wandelte sich zu einem spitzbübischen, dreckigen Grinsen. „Kein Wunder, dass er zu langweilig war. Einmal Dämon, immer Dämon. Geht allen Frauen so. Hattest du einmal was mit ‘nem anständigen Youkai, bringen’s diese sterblichen Bürschchen nicht mehr.“ Er genoss ihre peinliche Überraschung und sah Kagome herausfordern an, während er tief befriedigt den Rauch in seine Lungen sog. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte und begriffen hatte, auf was er anspielte, färbte sich ihr Gesicht puterrot und empört schrie sie ihn an: „Es ist nicht so, wie du denkst! Ich habe nie mit Inuyasha geschlafen!“ „Oh Mann, was konnte das erbärmliche Halbblut überhaupt?“, schüttelte er gespielt enttäuscht den Kopf. Fassungslos sah ihn Kagome an. „Wie kommst du überhaupt auf das schmale Brett?“ Kurz dachte er nach, was aufgrund der zu zwei Dritteln leeren Flasche, die er zum Großteil zu verantworten hatte, länger als gewöhnlich dauerte. „Es sah immer so aus, als wäre das eine ernstere Geschichte“, erklärte er freimütig. Traurig seufzte Kagome bei der Erinnerung an das verfahrene Verhältnis zu Inuyasha und trank den Rest ihres Bechers aus, um den Gedanken wegzuspülen. Sie hatte schon viel zu viel, aber das war jetzt auch egal. „Es wäre eine ernste Geschichte geworden, hätte er Kikyou loslassen können. Und als er es konnte, war es zu spät.“ Sie wollte jetzt nicht mehr an Inuyasha denken. Bis sein Name wieder fiel, hatte sie sich wohl gefühlt und es war schön mit Sesshoumaru zusammen zu sitzen. Sie blinzelte das Bild des Hanyous hinfort und konzentrierte sich wieder auf ihren Trinkkumpan. „Was ist mit dir? Du kannst mir nicht erklären, dass du über hundert Jahre in Enthaltsamkeit gelebt hast und du weißt ja scheinbar einiges über die heimlichen Sehnsüchte sterblicher Frauen.“ Ihr Blick wurde weiter glasig, es wurde anstrengend ihn zu fokussieren. Immer schwerer wurden ihre Lider, immer mühsamer das Sprechen. Ihre Frage beendete Sesshoumarus Heiterkeit schlagartig. Sofort kehrte die Kälte und Angespanntheit in sein Gesicht zurück und er verkroch sich wie so oft hinter dunklem Sarkasmus. „Dir sind die Schlangen von willigen Frauen vor meinem Teehaus sicher sofort ins Auge gesprungen, ich komme quasi zu nichts anderem mehr. Deshalb vernachlässige ich auch meine Aufgabe als blutrünstiger Dämon und Nemesis der Menschheit, es fehlt zwischen den ganzen Affären einfach die Zeit.“ Mahnend sah Kagome ihn an und gab ihm zu verstehen, dass sie ihn damit nicht durchkommen lassen wollte. Da das nicht ausreichte, um ihn hinter seiner abweisenden Fassade hervorzuholen, zog sie noch eine Augenbraue vorwurfsvoll in die Höhe. „Hör auf so’n Mist zu erzählen“, schimpfte sie und machte eine wegwerfende Geste, als auch das nicht fruchtete. „Wer hat denn mit dem Mist angefangen?“, konterte er und stütze seinen inzwischen bleischweren Kopf mit seinem Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Was willst du hören? Ich sagte doch bereits, dass mein Leben eine Ansammlung von traurigen Geschichten ist, das müsstest gerade du verstehen. Also lass mir wenigstens den Galgenhumor, um es zu ertragen.“ Es war lange her, dass er die bittere Einsamkeit so deutlich gespürt hatte wie an diesem Abend. Tief in seinem Herzen, verborgen durch den dicken Eispanzer, hatte er alle Sehnsüchte und jedes Verlangen begraben, um es vor sich selbst zu verstecken. Doch durch die Geschichte der jungen Frau an seinem Tisch, die von Einsamkeit und unerfüllter Sehnsucht erzählte, wurden in den besiegt geglaubten Gefühlen neue Kräfte geweckt. Gestärkt fanden diese nun einen Weg aus ihrem Verließ zu entkommen und ihn von Neuem zu quälen. Und diesmal wollten sie sich nicht einmal ertränken lassen, was war bloß los mit ihm? Es tat Kagome weh ihn so gebrochen zu sehen. Sie hatte immer noch das Bild des stolzen und unbeugsamen Daiyoukai in ihrem Kopf, das die Wirklichkeit nur noch karikierte. Doch zwischen all dem Elend hatte sie an diesem Abend endlich das gefunden, was sie schon lange vermisst hatte: Einen Seelenverwandten. Die Zeit und das Schicksal hatten ihm auch übel mitgespielt und er war der Erste und Einzige, der ihren Kummer verstand. Nur durch seine Anwesenheit spendete er ihr Trost, seine Niedergeschlagenheit ließ sie sich nicht mehr so allein fühlen. Das eigenartige Gefühl in ihrer Brust, das sie schon den ganzen Abend verspürte, wurde immer intensiver. Sie wollte ihm dasselbe zurückgeben, was er ohne es zu wollen ihr zu Teil werden ließ, sie wollte seinen Schmerz lindern. Jetzt, da sie sich des Bedürfnisses bewusst wurde, fühlte sie, wie es sie zu ihm hinzog. Bereits zuvor hinterließen seine goldenen Augen Verwirrung in ihr, seine Ausstrahlung hatte sie vom ersten Moment ihres Wiedersehens gefesselt und sie hatte ihn mit anderen Augen gesehen als noch fünfhundert Jahre zuvor. Aber sie hatte es ignoriert. Hatte das Gefühl der Geborgenheit ignoriert, das sich immer eingestellt hatte, sobald sie in seinem Teehaus saß und verleugnet, dass es nicht nur die Neugierde war, die sie ihn immer wieder aufsuchen ließ. Sie kam hierher, weil sie ihn sehen wollte, das verstand sie nun. War es wohlmöglich nur ein Trugschluss, eine Schnapsidee? Es gab nur einen Weg es herauszufinden. Langsam stand sie auf und ging schwankend auf ihn zu. Zaghaft legte sie ihm eine Hand auf die Wange und wisperte: „Wir sind beide einsame Seelen. Lass uns gemeinsam einsam sein!“ Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und küsste den Daiyoukai. Ein Prickeln durchfuhr sie, als ihre Lippen die seinen berührten, zog von ihrem Mund eine Spur durch ihren Körper und endete als ein aufgeregtes Flattern in ihrem Bauch. Sesshoumaru saß regungslos auf seinem Platz, die Überraschung über die plötzliche Zärtlichkeit lähmte ihn und er ließ es einfach geschehen. Langsam löste sich Kagome wieder von ihm und ihr Gesicht verharrte kurz vor seinem. Braune Augen sahen ihn neugierig an und wieder einmal versank sie in flüssigem, goldenem Feuer. Er blinzelte. Einmal, zweimal, saß aber weiter still und stumm vor ihr. Ohne Vorwarnung zog er sie schließlich zu sich herunter und versiegelte ihren Mund mit seinem. Gierig eroberte er ihre Lippen, seine Hand fand den Weg in ihr Haar und zerwühlte es auf der Suche nach Halt. Kagome stand noch immer nach vorne gebeugt vor ihm, doch die klaffende Lücke zwischen ihnen störte sie, sie wollte ihm nahe sein, seinen Körper an ihrem spüren. Kurz unterbrach sie den Kuss, um zu Atem zu gelangen und richtete sich wieder auf. So stand nun eine Schülerin mit zerzaustem Haar vor dem früheren Herrn der westlichen Länder und warf ihm ein freches Lächeln zu. Verführerisch hatte sie den Kopf zur Seite geneigt und beobachtete ihn gespannt. Dem Genuss ergeben hatte Sesshoumaru den Kopf in den Nacken gelegt und nur langsam öffneten sich wieder seine Augen. Er hielt ihren Blick und sagte schließlich herausfordernd: „Na, überrascht von der eigenen Courage?“ Ihr Lächeln wurde breiter und sie überwand mit einem Schritt die kurze Distanz zwischen den beiden. „Nein, aber von deiner.“ Langsam ließ sie sich rittlings auf ihm nieder, doch sie kam gar nicht dazu ihr Spiel weiter aufzuziehen, denn er zog sie bereits wieder in einen hungrigen Kuss. Sie spürte die Spitze seiner Zunge ungeduldig an ihren Lippen, wie sie um Einlass bat. Gerne hätte sie noch eine Weile mit ihm gespielt, doch dazu fehlte ihr gerade die Geduld. Langsam ließ sie ihn gewähren und überließ ihm die Führung. Wie zwei Ertrinkende hielten sie sich an einander fest, beide Körper saßen fest umschlungen auf dem alten Stuhl. Mit geschlossenen Lidern glitt Kagomes Hand in sein Haar, ließ das seidige Silber durch ihre Finger tanzen und zog ihn schließlich näher an sich heran. Schnell verlor der Kuss seine Unschuld, der anfänglichen Neugier und Überraschung waren Lust und Hunger gefolgt. Er schmeckte herb und männlich; einfach aufregend und sie konnte nicht genug davon bekommen. Doch immer wieder entzog er sich ihr und widmete seine Aufmerksamkeit ihrem Hals. Auch seine Hände blieben nicht länger untätig, fordernd hatte er eine Hand auf ihren Po gelegt und die andere suchte gerade nach einem Weg unter ihre Bluse. Plötzlich hielt er inne, umfasste ihr Kinn und zwang sie so ihm ins Gesicht zu sehen. „Noch ein Funken und ich stehe in Flammen“, flüsterte er heiser. „Überleg dir, was du tun willst.“ Doch Kagome musste nicht überlegen. Sie wusste, worauf dieser Abend zu steuerte und sie wollte es. Sie wollte lodernd in Flammen stehen und ihren Kummer in der Hitze dieser Nacht verbrennen. Sie antwortete ihm nicht, sie zog hastig ihn zu einem leidenschaftlichen Kuss zu sich und räkelte sich lasziv in seiner erneuten Umarmung. Dieser Kuss hatte alle Fesseln gesprengt und ihren Verstand zum Teufel gejagt. Auch davor schon schwand er, aber seit sie seine Lippen auf ihr gespürt hatte, wurde sie nur noch von ihrem Verlangen gesteuert. Sie konnte sich auch morgen noch überlegen, was sie da gerade tat, jetzt wollte sie erleben und einfach nur noch fühlen. Sesshoumaru schien es nicht anders zu gehen, seine eiserne Selbstkontrolle schien gebrochen und er ließ sich von seiner Lust treiben. Kagomes Herz schlug wild in ihrer Brust, lange schon hatte sie sich nicht mehr so lebendig gefühlt. Sie gab sich nicht dem stummen Genuss hin, bestimmt schaffte sie es sich zu seinem Ohr zu kämpfen und es langsam mit ihren Lippen zu erforschen. Immer wieder verharrte sie kurz an einer Stelle, neckte ihn mit sanften Bissen. Ihr Werk blieb nicht unbemerkt, sein Atem ging bereits schwer und rau. Schließlich setzte sie ihre Erkundung an seinem Hals fort und raubte ihm damit jede Aufmerksamkeit. Strichen noch vorher seine Hände über ihren Körper, verharrten sie nun still an einer Stelle. Ein Biss in die Halsbeuge brachte Sesshoumaru schließlich zur Kapitulation und ein verzweifeltes Aufstöhnen entwich seiner Kehle. Damit war der Bann gebrochen, neue Energie durchfuhr seinen Körper, neuer Enthusiasmus breitete sich aus. Die störende Bluse, die seine Hände behinderte und ihm die Sicht auf ihren Körper raubte, zog er ihr über den Kopf aus. Fasziniert lag sein Blick auf ihrem fast nackten Oberkörper. Durch die plötzliche Kälte stellten sich ihre Nippel auf und drückten frech durch den zartblauen Stoff ihres BHs. Wenn sie schon nach Aufmerksamkeit verlangten, konnte er sie ihnen schlecht verwehren. Quälend langsam strichen die Fingerspitzen seiner rechten Hand von ihrem Schlüsselbein hinab zur Wölbung ihrer Brust und zogen eine heiße Spur auf Kagomes Haut. Sie saß nun aufrecht auf ihm, um sein Tun mit neugierigen Blicken zu verfolgen und immer wieder strichen ihre Hände über seine kraftvollen Arme. Endlich erreichte sein Daumen sein Ziel und umspielte die kleine Erhebung. Überrascht keuchte Kagome auf, ein elektrisiertes Zucken ging durch ihren Körper. Es bestätigte Sesshoumaru in seinem Tun und verlangend legte er die Hände um ihre Brüste, um ihnen weiter die Liebkosung zu Teil werden zu lassen, die ihre Nippel gefordert hatten. Sie konnte nicht mehr ruhig auf seinem Schoß sitzen bleiben, geschweige denn still sein. Wieder und wieder jagten Schauer ihren Körper hinab und sammelten sich in ihrem Unterleib. Ein wildes Verlangen wuchs dort heran, eine irre Spannung, die sich entladen wollte. Immer wieder zuckte ihr Becken und sie folgte der Bewegung seiner Hände mit dem Wiegen ihrer Hüften. Aber so sehr sie es genoss, die Ungeduld packte sie. Sie wollte mehr, sie wollte ihn und sie wollte es jetzt! Sie schob seine Hände an ihre Taille und strich mit einem Finger langsam über seine Brust. Das Hemd störte! Warum sollte nur er einen so interessanten Ausblick haben? Sorgfältig öffnete sie jeden der Knöpfe und arbeitete sich so bis zu seinem Bauch hinab. Nachdem der Stoff durch nichts mehr zusammengehalten wurde, offenbarte er endlich sein Geheimnis. Sie ahnte schon vorher, dass er kein schmächtiger Mann war, aber es war etwas anderes die muskulöse Brust zu sehen. Auch sein Bauch stand dem in nichts nach. Langsam strich sie über die weiche, erhitzte Haut und spürte die Härte der Muskulatur. Gebannt verfolgte er, wie sie ihm das lästige Hemd von den Schultern streifte. Doch dann war seine Geduld erschöpft, Gier flammte erneut auf und er zog sie wieder an sich heran, um sie mit neuem Eifer zu küssen. Unauffällig wanderten seine Hände ihren Rücken entlang und machten kurzen Prozess mit dem Verschluss ihres BHs. Überrascht von seiner Expertise schreckte sie auf. „Wo hast du das denn gelernt?“ „Hast du etwa an mir gezweifelt“, stellte er selbstgefällig lächelnd die Gegenfrage. Endlich waren ihre Brüste aus ihrem Gefängnis befreit und tippten keck gegen seine ebenfalls bloße Brust. Er schob sie etwas zurück, damit er einen besseren Blick auf ihren nackten Oberkörper hatte. Ihre Brüste waren voll und straff, schmiegten sich perfekt in seine Hände und benötigten dringend weitere Aufmerksamkeit. Doch diesmal wollte er eine Hand frei haben, um sie unter den Bund ihren Rocks zurück auf ihren Po fahren zu lassen, also beugte er sich weiter vor und neckte zuerst vorsichtig, dann immer fordernder, mit seiner Zunge einen der rosa Nippel. Dabei vergaß er nicht die andere Seite weiter mit seinen Fingern zu verwöhnen; er konnte und wollte keine der beiden vernachlässigen. Kagome ertrug diese süße Qual kaum noch. Die Spannung in ihr war nicht mehr zu ertragen, sie brauchte Erlösung und zwar schnellstmöglich! Immer wieder rutschte sie über seinen Schoß und dabei blieb ihr auch nicht verborgen, dass es Sesshoumaru wohl nicht anders ging. Wie konnte er nur so ruhig bleiben und sich mit unvergleichlicher Geduld ihrem Körper widmen? Es war für ihn über ein Jahrhundert her, dass er das letzte Mal einer Frau nah war. Seine Selbstbeherrschung war in der Tat übermenschlich. Ihre dagegen war bereits lange geschlagen. Unter jeder seiner Liebkosungen aufstöhnend zerging sie gerade vor Lust auf ihm und wollte eigentlich nur, dass er ihr endlich das gab, was sie sich so sehnlich wünschte. Sie wollte ihn ganz, nicht bloß diese neckischen Spiele, sie wollte ihn spüren. Sie sammelte den letzen Rest ihres von Lust und Alkohol umnebelten Verstandes, um ihn mit der gleichen Strategie zur Aufgabe zu zwingen. Sie tastete sich mit ihren vor gespannter Ekstase zittrigen Händen seinen Bauch hinab, bis sie endlich seine Erregung ertastete, die sich deutlich durch seine Hosen abzeichnete. Mit sanftem Druck strich sie darüber, folgte mit den Fingern der Kontur und genoss das Gefühl, dass sie allein es war, die dieses Verlangen jetzt in ihm erweckte. Aber das genügte ihr nicht, sie wollte keinen Stoff mehr spüren, sie wollte direkt seine Härte berühren. Ihre Finger fanden schnell die Knöpfe der störenden Hose und öffneten sie geschickt. Sie merkte wieder einmal, dass er in einigen Dingen noch den Traditionen der alten Kriegerkaste verbunden war; Wie ein Samurai unter seiner Rüstung trug er die schwarze Jeans auf nackter Haut. Es störte Kagome aber nicht, im Gegenteil, er erleichterte ihr Vorhaben. Entschlossen umfasste sie ihn und begann ihn auffordernd zu massieren. Kehlig knurrte er auf, während sie ihn mit geschickten Händen weiter streichelte. Spielerisch nahm sie ihn erst fest in die Hand, um ihm im nächsten Moment nur zart mit den Fingerkuppen zu streifen. Der Wechsel zwischen festen und zärtlichen Berührungen trieb ihn fast in den Wahnsinn. Sein Atem ging hektisch, immer wieder keuchte er verzweifelt auf. Jetzt durfte er die süße Folter erdulden, die er ihr eben noch zu Gute kommen ließ. Aber auch Sesshoumarus Geduld war endlich. Mit einem Schwung stand er auf und hob sie gleich mit sich in die Höhe. Er hielt sie mit einem Arm weiter fest an sich gepresst, mit dem anderen fegte er das Geschirr vom Tisch. Klirrend zersprang die Flasche auf dem Boden und auch von den beiden Tonbechern blieben nur Scherben. Mit rot leuchtenden Augen setzte er Kagome auf der Tischplatte ab und befreite sie endlich von dem Rock und der letzten störenden Wäsche. „Du hast es so gewollt“, grollte er, während er ungeduldig an seiner Hose nestelte um sich in Gänze zu befreien. Bestimmt drückte er sie nach hinten, bis sie auf dem Holz zum Liegen kam, dann brachte er sich zwischen ihre Schenkel. Mit einem Stoß versenkte er sich in ihr. Ein erleichtertes Seufzen entwich Kagome, endlich spürte sie ihn, endlich wich die sie fast zerreißende Spannung einer weiter anschwellenden Welle purer Ekstase. Hungrig trieb er sich wieder und wieder in sie, füllte sie aus. Kagome fühlte nichts mehr außer ihn, die harte Tischplatte unter ihr nahm sie nicht mehr wahr. Feste hielt er ihre Handgelenke und drückte sie neben ihren Kopf auf das Holz, er machte deutlich, wer die Führung übernahm. Aber selbst wenn sie es gewollt hätte, Kagome wäre nicht mehr dazu im Stande gewesen ihn noch zu necken. Sie nahm nur noch Fetzen ihrer Umgebung wahr, alles andere verschwand in einem dichten Nebel der Lust. Silbrig blitzendes Haar. Sein schwerer, stoßweiser Atmen. Ein feinherber Duft nach Moschus und Sommerregen. Lichter tanzten in ihrem Kopf, von weit her hörte sie ihre eigene Stimme, die seinen Namen schrie, während das Pulsieren ihres Orgasmus ihren Körper schüttelte. Doch er war unerbittlich und unermüdlich, wieder und wieder stieß er in sie und gönnte ihr keine Pause. Schließlich ließ er ihre Hände los, sie war sowieso nicht mehr in der Lage noch Willens sich ihm zu widersetzen und er umfasste hart ihre wippenden Brüste. Im Rhythmus seiner Lenden glitt er mit seinen Händen über ihren Torso und seine Klauen hinterließen feine rote Kratzer auf ihrer hellen Haut. Das stete Zucken ihrer Weiblichkeit brachte auch ihn seiner Erlösung immer näher. Kagomes Kopf hing bereits ergeben über den Rand des Tischs, ein Wimmern entschlüpfte ihrer Kehle, als er ihr linkes Bein über seine Schulter legte und sein Tempo nochmals intensivierte. Sie waren nun noch enger miteinander verbunden und mit einem tiefen Grollen ergoss sich Sesshoumaru schließlich tief in ihr. Erschöpft brach er über ihr zusammen und legte seinen Kopf auf ihre sich heftig hebende Brust. Wenn er überhaupt noch etwas von dem, das ihm umgab, wahrnahm, dann konnte er ihr wild schlagendes Herz hören. Sie verharrten einen Moment in dieser Position, bis beide die Nachwehen ihrer Ekstase verwunden hatten. Schließlich zog Sesshoumaru sich aus ihr zurück und müde trafen sich ihre Blicke, doch niemand sprach ein Wort. Eine wohlige Müdigkeit umfing Kagome, nun musste sie dem Abend seinen Tribut zollen. In ihrem Kopf drehte sich alles, ob es vom Trinkgelage oder dem euphorisierendem Sex kam, wusste sie nicht, es war ihr aber auch egal. Sie schloss ihre Augen, verbannte die Welt und entglitt in einen seligen Schlummer. Für heute hatte sie die Leere in sich und die Einsamkeit besiegt. Kapitel 15: klare Morgenluft ---------------------------- 15 – klare Morgenluft Langsam schlug Kagome die Augen auf. Das helle Tageslicht brannte sich unbarmherzig in ihr Hirn und sie kniff gepeinigt sofort wieder die Augen zu. Ihr Kopf schien zu explodieren, ein dumpfes Pochen hinter ihrer Stirn verdrängte jeden Gedanken. Auch der Rest ihres Körpers fühlte sich wie gerädert an, jeder Muskel schmerzte. Sie drehte sich herum und kuschelte sich in die warme Decke. Kerzengerade saß sie plötzlich im Bett. Decke? Bett? Verdammt, wo war sie? Das letzte woran sie sich erinnern konnte, war der Tisch, auf dem sie in einen seligen Schlummer gefallen war. Mit der Erinnerung an ihr Einschlafen kehrten nun auch all die anderen Dinge des vergangenen Abends wieder in ihr Bewusstsein zurück. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Sie hatte tatsächlich mit Sesshoumaru geschlafen, nachdem sie sich zusammen hemmungslos betrunken hatten. Wie konnte das nur passieren? Diese Überlegungen stellte sie aber zunächst zurück, sie musste erst einmal herausfinden wo sie war. Unter der schlichten Wolldecke war sie nackt, wie sie beschämt feststellte. Am Fußende des schmalen Bettes lagen auf einem Haufen ihre Kleider. Neugierig sah sie sich um. Sie war in einem kleinen Raum, der gerade groß genug war ein Bett und ein großes Regal zu beherbergen. Ordentlich gefaltet lagen verschiedene Kleidungsstücke in den Fächern, allesamt schwarz. Einige Kartons, deren Inhalt ihr verborgen blieb, standen auf dem obersten Regalboden, darunter ein Brett, auf dem verschiedene alt aussehende Gegenstände ausgestellt waren. Durch ein kleines Fenster fiel Licht in das Zimmer, in dem Staubteilchen tanzten. Eben noch hatte es sie geblendet, doch nun, da sich ihre Augen an den hellen Schein gewöhnt hatten, reichte er gerade aus, um die Kammer in genauen Augenschein zu nehmen. An der ihr gegenüberliegenden Wand war eine schwere Holztür. Hastig griff sie nach ihren Sachen und zog sich rasch unter der Decke an. War sie die gesamte Zeit, die sie geschlafen hatte, auch schon allein gewesen? Sie schlug die Decke beiseite und wollte aufstehen, aber ihr Kreislauf spielte nicht mit. Sofort wurde ihr schwindlig und alles begann sich zu drehen. Erschöpft fiel sie wieder auf die Bettkante zurück und beschloss einen Moment dort sitzen zu bleiben, bis sich ihr Körper daran gewöhnt haben würde wach zu sein. Wasser, dachte sie, ich brauche Wasser! Sie hatte so unglaublichen Durst, sie musste etwas zu trinken finden. Hoffentlich würde es auch helfen den widerlichen Geschmack aus ihrem Mund zu spülen. Ihre Zunge fühlte sich an, als sei in der Nacht etwas darauf gestorben. Aber die kurze Pause gab Kagome Gelegenheit weiter ihren Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Ihre neugierigen Augen entdeckten einen Holzständer, der oben an der Wand über ihrem Bett angebracht war. Darin aufgehängt schwebten drei Schwerter über ihrem Kopf. Erschrocken zuckte sie zusammen; das war Tessaiga! Die alte, abgewetzte Schwertscheide würde sie unter tausenden anderen sofort wiedererkennen. Auch die beiden anderen kamen ihr bekannt vor; eins im klassischen Stil eines antiken Katana, die andere Schwertscheide wurde von einem geometrischen Muster geziert und schien aus Metall zu bestehen. Alle drei waren von einer feinen Staubschicht bedeckt, es schien als wären sie schon sehr lange nicht mehr aus ihrer Halterung genommen worden. Trotzdem wirkten sie gepflegt und sie war sich sicher, dass alle drei noch immer kampfbereit waren. All ihre Beobachtungen ließen nur einen Schluss zu: Sie war in Sesshoumarus privatem Zimmer, in seinem Refugium. Hatte er sie dorthin getragen, nachdem sie in der Nacht einfach an Ort und Stelle weggenickt war? Untypisch für ihn so aufmerksam und galant zu sein, überlegte sie. Mit der neuen Erkenntnis war auch klar, dass es sich bei den beiden anderen Schwertern um Tenseiga und Bakusaiga handeln musste. Also hatte er das Schwert seines Bruders nach dessen Tod an sich genommen. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie des Schicksals, dass er zu unrühmlichsten Stunde endlich das Schwert in seinen Besitz gebracht hatte, nach dem er sich solange gesehnt hatte, es aber ihn nicht vor seinem traurigen Dasein retten konnte. Es war zu verlockend die Entdeckungstour fortzusetzen, ihre Neugierde jubilierte schon in ihr und rieb sich die Hände voller Vorfreude. Aber so interessant Sesshoumarus Privatsphäre auch war, so furchtbar wäre sein Zorn, wenn er sie beim Stöbern erwischen würde. Schweren Herzens verkniff sie es sich in dem großen Regal die interessanten Dinge genauer anzuschauen. Der Schwindel hatte sich auf ein erträgliches Maß reduziert und ihre Knie waren nicht mehr butterweich, also nahm sie einen weiteren Anlauf aufzustehen. Wacklig kam sie zum stehen, aber die Welt geriet nicht wieder aus den Fugen wie beim ersten Versuch. Schleichend ging sie zur Tür und öffnete sie. Sie führte in einen engen Flur, von dem rechts von ihr noch eine Tür abging und an dessen Ende zur linken Hand der Bambusvorhang hing, der in den Gastraum des Teehauses führte. Zaghaft öffnete Kagome die weitere Tür und war wenig überrascht, als sie in einem kleinen Badezimmer stand. Es war äußerst spartanisch gehalten; eine Toilette, ein kleines Waschbecken und ein Duschkopf, der aus der Wand ragte. Sowohl Wände als auch der Boden waren beige gefliest, aber auch hier nagte der Zahn der Zeit, denn einige Kacheln waren gesprungen. Zwei Haken hingen an der Wand, an denen Handtücher hingen. Alt und verwaschen, aber penibel sauber, wie auch der Rest des Raums. Überhaupt war Sesshoumarus persönlicher Bereich sehr aufgeräumt und ordentlich. Alles hatte seinen Platz, bis auf etwas Staub war auch an der Sauberkeit nichts auszusetzen. Seine Selbstdisziplin schloss seine Umgebung wohl mit ein. Es kam Kagome aber sehr gelegen diesen Ort gefunden zu haben. Leise schloss sie die Tür hinter sich, drehte den Schlüssel einmal herum und ließ sich sehr erleichtert auf der Keramik nieder. Sie hatte schon Befürchtungen gehabt, wie sie es bis nachhause hätte schaffen sollen. Unauffällig roch sie an ihrer Achsel und prüfte ihren Atem, während sie da saß. Das Erste, das sie zuhause tun würde, war ein ausgiebiges Bad! Beinahe ekelte sie sich schon vor sich selbst. Nachdem sie sich wieder gerichtet hatte, wusch sie sich die Hände und war dankbar, dass über dem Waschtisch kein Spiegel angebracht war. Sie hätte ihren eigenen Anblick nicht ertragen. Ihre Haare mussten dem Gefühl nach ein einziges Knäul sein und auch für ihr Gesicht nahm sie das Schlimmste an. Das kalte Wasser auf ihren Händen war erfrischend und belebend und um weitere Lebensgeister in sich zu wecken, spritzte sie sich etwas davon ins Gesicht. Langsam begann Kagome sich zu wundern, wo Sesshoumaru geblieben war, sie hatte noch keinen Hinweis auf seinen Verbleib gefunden. Wahrscheinlich stand er schon wieder rauchend hinter seiner Theke. Ob er hier auch Kaffee hatte? Sie hatte dringend eine große Tasse nötig. Sie schlurfte durch den Flur und teilte den Bambusvorhang wie Moses das rote Meer. Doch kaum konnte sie in die Teestube sehen, blieb ihr das Herz entsetzt stehen. Wo war Sesshoumaru verdammt nochmal abgeblieben und was um aller Welt machte Hanako hier ganz allein? Sesshoumaru lief ziellos durch die Stadt. Er hatte keine Ahnung wie lange er schon unterwegs war. Eine Stunde, vier Stunden? Sein Zeitgefühl war verschwunden. Das erste Licht des neuen Tages hatte den Nebel, den der Alkohol um seinen Verstand gelegt hatte, durchbrochen und er konnte wieder klar auf die Geschehnisse der Nacht zurückblicken. Wie konnte er nur so die Kontrolle über sich verlieren? Eigentlich wollte er sie doch aus seinem Leben drängen, wieder zurück zur Ruhe und Abgeschiedenheit finden und dann passierte das. Jetzt würde alles noch viel komplizierter, seufzte er. Wenn er es rational betrachtete, war es bloß unverbindlicher, betrunkener Sex; ein Ventil, rein körperlich und frei von Liebe oder Ähnlichem. Doch leider war es nicht so simpel und er konnte diesen Abend nicht so einfach abschütteln. Die Mauer, die er um sein Herz gezogen hatte, war rissig geworden. Unbemerkt hatten sich in den vergangenen Wochen feine Haarrisse gebildet, kleine Löcher waren herausgebrochen. Wie hatte es diese verdammte Miko bloß geschafft ihn durch diesen Wall aus Kälte zu berühren? Lang verdrängte Sehnsüchte und Gefühle wurden geweckt und gestern schließlich schlugen sie sich frei und die Mauer barst. Ein winziger Teil von ihm wollte nicht mehr allein sein, freute sich endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn annahm und verstand. Doch der überwältigende Rest wurde von Wut und Selbsthass zerfressen. Wut, dass sie in sein Leben eingedrungen war, es durcheinander brachte, es in Frage stellte und ihn der heilsamen Einsamkeit beraubte. Er haderte mit sich, wie hatte er es nur zulassen können? Warum hatte er sie nicht rigoros aus seiner Welt verbannt? Das war also aus ihm geworden, ein bedauernswerter Schwächling, der nicht einmal mehr mit einer aufdringlich neugierigen Schülerin fertig wurde. Am Morgen war er im Gastraum seines Teehauses erwacht und noch bevor er sich an die Geschehnisse des Abends erinnerte, sah er Kagome nackt zusammengerollt auf der Tischplatte schlafen. Die entblößte Brust hob sich bei jedem Atemzug und hatte ihn für einen Moment gefesselt. Doch da er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, wusste er, was zu tun war. Er durfte dieser niederen Begierde nicht wieder nachgeben, sie war immer noch ein Mensch und hatte in seiner Welt nichts verloren! Bevor er sich der Unordnung in seinem Innern widmen konnte, musste er die äußerlichen Spuren des Chaos der letzten Nacht beseitigen. Entschlossen packte er die schlafende Nackte, legte sie sich über die Schulter und brachte sie in seine Kammer. Sie schlief so fest, dass sie nicht einmal durch diesen ruppigen Transport aufwachte, nur das schwerfällige Schnaufen verriet, dass sie überhaupt noch lebte. Notdürftig deckte er sie zu; weniger, damit sie nicht frieren würde, sondern weil ihn ihr Anblick noch immer aus dem Gleichgewicht brachte. Mit wenigen Handgriffen hatte er auch die restlichen Hinterlassenschaften des Gelages wieder in Ordnung gebracht. Kaum war er im Begriff sich einen starken Tee aufzugießen, um den Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben, stand plötzlich Hanako vor ihm und sah ihn hilfesuchend an. Er hatte sie gar nicht zu Wort kommen lassen, auch wenn es ihn wunderte, was sie zu so früher Stunde von ihm wollte. Er musste weg, raus und sie erleichterte das Vorhaben mit ihrem überraschenden Besuch. Kurz murmelte er etwas davon, dass er weg müsste und bald wiederkäme, ob sie solange das Lokal hüten könne und eine Sekunde später fiel die Tür krachend ins Schloss. Seitdem lief er rastlos durch die Straßen; wenn er ehrlich mit sich war, lief er vor sich selbst davon. Aber es gab kein Entkommen, der Selbsthass und die aufgerissenen Wunden der Vergangenheit waren hartnäckige Verfolger. Sein Blick blieb an der Scheibe eines Schaufensters hängen, in der sich sein Gesicht spiegelte. Immer, wenn er sein Spiegelbild sah, fiel ihm auf wie alt er eigentlich geworden war. Nach außen hin wirkte er noch immer makellos und voll jugendlichem Esprit, aber er sah all die verstrichene Zeit, die diese Augen beobachtet hatten. Der kalte Glanz war stumpfer geworden, der unbedingte Wille darin war Resignation gewichen. Aber so sehr er es bedauerte, die Vergangenheit lag hinter ihm. Langsam, aber stetig hatte sich das Leben gewandelt und seine Gegenwart war zur Vergangenheit geworden. Und trotzdem war er immer noch da. Die Welt hatte sich gewandelt, sie war nicht mehr wiederzuerkennen, aber er war immer noch der Gleiche. Der Letzte, der Übriggebliebene. Alles, das ihm je etwas bedeutet hatte, war untergegangen, verloren im Strudel der Geschichte; Jeder, der ihm nahe stand, war tot. Das Leben war kompliziert geworden in diesen Zeiten und er sehnte sich nach ruhigen Bahnen. Er bevorzugte es, wenn alles berechenbar blieb, doch die Menschen pflegten alles immer wieder komplett umzukrempeln. Kaum hatte er sich mit einer Sache arrangiert, wurde sie über den Haufen geworfen und etwas Neues folgte. Und so ging es ihm auch gerade mit Kagome: Er hatte sich mühsam an ihre Gegenwart gewöhnt und jetzt war plötzlich alles in Frage gestellt. Wie würde sie mit dieser Sache umgehen? Er hatte keine Ahnung, aber fürchtete, dass es weiteren Wirbel nach sich ziehen würde. Mürrisch löste er sich von der spiegelnden Scheibe. Es brachte doch alles nichts, wollte er etwa weiter wie ein Feigling davon laufen? Sesshoumaru straffte seinen Körper, richtete sein Hemd und ging erhobenen Hauptes den Weg zurück zum Teehaus zum weißen Hund. Die ganze Sache würde er nun ein für alle Mal klären und danach wieder die Ruhe und Beschaulichkeit seines Lebens in der Gegenwart genießen. Vielleicht würde dann auch endlich sein Innerstes wieder zur Ruhe kommen und aufhören ihn mit solch albernen Sehnsüchten zu malträtieren. Kapitel 16: Morgenröte ---------------------- 16 – Morgenröte Fassungslos starrte Hanako Kagome an, die plötzlich aus dem hinteren Teil des Hauses auftauchte. Verwundert rieb sie sich die Augen, aber die Gestalt der Miko verschwand nicht. Sie bildete sich das doch nicht ein. Kagome schien nicht weniger überrascht zu sein die junge Hanyou zu sehen, ihr Gesicht wurde um einige Nuancen bleicher, als hätte sie einen Geist gesehen. „Was ma…. Du.. hier?“, stammelte Hanako, die zuerst wieder die Sprache gefunden hatte. Sie musterte ihr Gegenüber genau und bemerkte irritiert Kagomes derangiertes Äußeres. Die Haare wirr, die Augen noch trüb… Hatte sie die Nacht etwa hier verbracht? Kagome war nicht fähig zu antworten, die Scham erstickte jeden Laut in ihrer Kehle. Die ganze Sache war auch so schon peinlich genug, ohne dass sie nun Hanako Rede und Antwort zu stehen hatte. So wie das Mädchen sie gerade ansah, ahnte sie bestimmt was vorgefallen war. Oder hatte Sesshoumaru ihr etwa schon alles erzählt? Wo verdammt war das Loch, in das sie versinken konnte, wenn man es brauchte? Zu allem Überfluss spürte sie nun, wie das Blut in ihre Wangen schoss und sie heftig errötete. Wenn nicht schon vorher klar war, dass sie in einer hochnotpeinlichen Situation ertappt worden war, dann spätestens jetzt. Dröhnende Stille breitete sich aus, verschämte Betroffenheit waberte durch den Raum. Aber die beiden waren nach wie vor in ihrer Überraschung paralysiert und gafften sich weiter unverhohlen an. Schließlich fand Hanako als erste wieder zurück in das Hier und Jetzt. „Ich mach jetzt erst einmal Tee, du siehst nämlich so aus, als würdest du einen Starken brauchen. Und dann erzählst du mir, warum du hier bist und was alles passiert ist“, erklärte sie ruhig mit monotoner Stimme. Sie verbrachte definitiv zu viel Zeit mit diesem Eisklotz von einem Daiyoukai, stellte Kagome zerknirscht fest. Dessen kalte, analytische Art färbte auf die Kleine ab! Kaum wähnte Kagome sich unbeobachtet, da Hanako sich um den Tee kümmerte, schlug sie ihre Stirn verzweifelt auf die Theke. Verdammt, verdammt, verdammt! Wieso passierte so etwas immer ihr? Wie sollte sie nun aus der Nummer wieder herauskommen? Und wie sollte sie etwas erklären, das ihr im Moment noch selbst Kopfzerbrechen bereitete? Eins stand fest, sie musste hier weg, so schnell wie möglich! Inzwischen war sie auch sehr dankbar dafür, dass Sesshoumaru nicht da war. Sie wusste nicht, ob – und vor allem wie – sie ihm je wieder unter die Augen treten konnte. Sie gönnte sich noch einen Moment des Selbstmitleids und lag mit geschlossenen Augen auf ihren Armen. Das war alles zu viel für sie und sie musste dieses Knäul an Gefühlen und Gedanken in sich erst einmal in Ruhe ordnen. Gnadenlos beendete Hanako die Schonfrist, stellte einen dampfenden Becher vor sie und begann ihr unbarmherziges Verhör: „Was ist gestern Abend passiert? Du tauchst plötzlich aus seinem Bereich auf, völlig neben der Spur und heute Morgen ist Sesshoumaru nicht weniger durcheinander verschwunden. Erzähl mir nicht, es wäre nichts! Also, ich höre?“ „Das verstehst du nicht“, murmelte Kagome und hielt ihren immer noch schweren Kopf mit der Hand. Immerhin versteckte das ihre Sorgenfalten. „Komm mir nicht so“, erwiderte Hanako ruhig, „Ich bin vielleicht zu jung dafür, aber da gibt es nichts, was man nicht verstehen kann.“ Verzweifelt legte Kagome den Kopf in den Nacken und stierte gegen einen dunklen Fleck an der Decke. Aber auch das half nichts, Hanako verhinderte jegliches Herauswinden. „Ich versteh doch selbst nicht, was genau passiert ist und vor allem warum! Das bin eigentlich gar nicht ich! Sowas ist nicht meine Art…“, platze es aufgebracht heraus. Das war alles zu viel; Tränen kullerten plötzlich ihre geröteten Wangen herab und sie vergrub ihr Gesicht auf ihren Armen, um bitterlich zu weinen. Ihre Schultern zitterten, immer wieder wurde sie heftig von ihrem Weinkrampf geschüttelt. Plötzlich schreckte sie auf, als sie spürte wie sie an der Schulter berührt wurde. Hanakos Hand lag darauf und drückte sie aufmunternd. „Hey, beruhig dich wieder“, sagte sie sanft und versuchte sich an einem tröstenden Lächeln. „Es ist doch kein Weltuntergang, alles ist gut.“ Fassungslos wurde sie von Kagome mit verweinten Augen angestarrt. „Gar nichts ist gut! Ich habe völlig die Kontrolle über mich verloren, mit Sesshoumaru geschlafen und damit alles kaputtgemacht!“ Verloren versteckte sie sich wieder unter ihren Armen. Wenn sie nur lang genug die Augen schließen würde, wäre sie dann weg von diesem unglückseligen Ort? Zunächst schluckte Hanako einmal nach dem überraschenden Geständnis Kagomes. Einen Verdacht zu haben war eine Sache, ihn bestätigt zu bekommen eine ganz andere. Vorsichtig, aber dennoch bestimmt richtete sie die Weinende wieder auf. „Was geschehen ist, ist geschehen, egal wie sehr du es jetzt bereust. Und er ist auch nicht merkwürdiger als sonst, das renkt sich schon wieder alles ein.“ Bitter lachte Kagome auf. „Ja, er hat nur heute Morgen das Teehaus fluchtartig verlassen und ist seitdem spurlos verschwunden.“ „Er ist wahrscheinlich genauso durcheinander wie du, jetzt mal doch nicht alles schwarz. Der taucht schon wieder auf.“ Sie strich dem verweinten Häufchen Elend nochmals fürsorglich über den Rücken und schob die inzwischen nicht mehr ganz so heiße Tasse näher zu ihr. „So, jetzt trinkst du deinen Tee aus und gehst dann heim, um dich auszuruhen. Schlaf dich aus, wenn du dann aufwachst, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus!“ Rückblickend wusste Kagome nicht mehr wie genau sie nachhause gekommen war, sie hatte jede Erinnerung an den Weg verloren. Nach mehreren Versuchen hatte sie es endlich geschafft die Haustür aufzuschließen und stand etwas verloren im Hausflur, als müsste sie überlegen, warum sie eigentlich hergekommen war. „Kagome, Gott sei Dank, da bist du ja! Ich hab mir schon Sorgen gemacht“, begrüßte sie ihre Mutter, die aus dem Wohnzimmer geeilt kam. Doch nach kurzer Zeit schon wich die mütterliche Sorge einem Kreuzverhör. „Wo bist du gewesen, Kind? Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan, ich war krank vor Sorge! Es hätte sonst was mit dir sein können und jetzt tauchst du hier auf und siehst aus wie der leibhaftige Tod! Du hättest dich melden können, wenn du über Nacht wegbleibst!“ Müde schleppte sich Kagome an ihrer Mutter vorbei die Treppe hinauf. „Lass mich schlafen und ein Bad nehmen, bitte. Ich erzähle es dir später, ok?“ In der Zeit konnte sie sich eine plausible Notlüge für ihre Mutter überlegen. Sie würde ihr ganz sicher nicht die Wahrheit erzählen! Wie sollte sie das erklären? Ach Mama, übrigens ich habe mich gestern betrunken, nachdem ein Junge vor meinen Augen gestorben ist und habe es mit dem letzten Dämon wild auf einem alten Tisch mitten in einem Teehaus getrieben? Nein, das würde sie ihr ganz sicher nicht erzählen! Mit letzter Kraft schlurfte sie ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Geschafft, jetzt würde sie dem Dreck endlich wie ein Phönix aus der Asche entsteigen! Ungeduldig befreite sie sich von den nach durchzechtem Abend miefenden Klamotten, die sie umgehend in die Waschmaschine stopfte. Dann griff sie nach ihrer Zahnbürste, um endlich diesen scheußlichen Geschmack aus dem Mund zu bekommen. Leider stand sie dabei vor einem Spiegel und wurde nun mit ihrer eigenen Erscheinung konfrontiert, jetzt sah sie das ganze Elend. Der Teint aschfahl, immer noch trübe Augen, die ihr schon wieder zufallen wollten und Ringe darunter, die ins Endlose reichten. Um das Vogelnest auf ihrem Kopf würde sie sich gleich kümmern. Mutig entschlossen nahm sie ihre Bürste und setzte zum ersten Strich an, aber sie ächzte gepeinigt auf. Knoten reihte sich an Knoten, das würde wahrlich kein Vergnügen werden. Tapfer kämpfte sie sich durch das Gewirr und war am Ende überrascht überhaupt noch Haare auf dem Kopf zu haben; gefühlt mussten die doch eben alle ausgerissen worden sein. Den überlebenden Schopf flocht sie locker zu einem Zopf. Kagome drehte den Hahn der Badewanne auf und angenehm warmes Wasser plätscherte hinein. Dazu gab sie eine frisch duftende Badeessenz, die gleich einen imposanten Schaumteppich bildete. Ihre verspannten Muskeln zuckten voller Vorfreude auf die bevorstehende Entspannung. Konnte das nicht schneller gehen? Ungeduldig stellte sie sich in die Wanne, um wenigstens ihre eiskalten Füße in dem heißen Badewasser schon einmal zu wärmen. Kurze Zeit später war das Bad endlich vollständig eingelassen und sie glitt mit einem wohligen Seufzen in das duftende Wasser. Die Hitze prickelte auf ihrer Haut, aber es dauerte nicht lange und sie hatte sich daran gewöhnt. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie so durchgefroren war, es musste wohl an der Erschöpfung liegen. Endlich, nachdem ihr Körper die dringend notwenige Ruhe gefunden hatte, konnte sie klar auf die Ereignisse des vergangenen Abends blicken und das Chaos in ihren Gedanken sortieren. Das durfte alles nicht wahr sein! Bitte, es war ein Traum, ein seltsamer Traum, flehte sie in Gedanken das Schicksal an. Doch die Wahrheit wurde ihr unbarmherzig vor Augen geführt, als sie sich des Zustandes ihres Körpers gewahr wurde. Feine rote Striemen krochen von ihrer Hüfte hinauf zu ihrem Brustkorb, akkurat parallel. Beweise für die Leidenschaft des Daiyoukai, mit der er sie bedacht hatte. Sogar einen blauen Fleck an ihrer Hüfte hatte sie davon getragen, auch wenn sie gar nicht wusste, wann und wie genau sie ihn sich zugezogen hatte. Zum wiederholten Male an diesem noch jungen Tag schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen. Es war einfach eine Katastrophe. Sie hatte dank des merkwürdigen Gebräus völlig die Kontrolle über sich verloren, ohne jeden Scheu oder Hemmung hatte sie Sesshoumaru verführt. Zwar hatte der sich bereitwillig verführen lassen und sich nicht im Geringsten dagegen zur Wehr gesetzt und sogar das Ganze weiter vorangetrieben, aber das zählte für sie nicht. Sie hatte den Stein ins Rollen gebracht, als sie ihrem plötzlichen Impuls gefolgt war und ihn geküsst hatte. Ihr Verstand rotierte, versuchte die Folgen zu erfassen, die diese betrunkene Nacht nach sich ziehen würde. Wenn sich etwas wie ein fragiles Band der Freundschaft zwischen ihnen entwickelt hatte, so war es nun unwiederbringlich zerstört. Sie hatte wirklich gehofft eine – rein platonische! – Beziehung zu Sesshoumaru aufzubauen. Nicht nur, weil er die letzte Verbindung in die alte Welt war, sondern vor allem, weil sie ihn zu schätzen gelernt hatte. Sie mochte seinen schwarzen Humor, auch wenn er meist dazu diente seinen Schmerz zu verstecken. Die ruhige, besonnene Art, die er an den Tag legte, empfand sie auch als angenehm, besonders wenn sie an den leicht hysterischen Hühnerhaufen dachte, mit dem sie sonst ihre Zeit verbrachte. Aber das Kostbarste waren die Momente, in denen sie keine Worte brauchten einander zu verstehen. Sie hatten ähnliche Erfahrungen gemacht, sie musste nicht alles umständlich erklären, sondern er verstand auch so; Verstand den Trennungsschmerz und er verstand auch das Gefühl der Einsamkeit wie kein Zweiter. Kalt und präzise beendete der vernünftige Teil ihres Ichs diesen Gedankengang. Ja, all das hattest du und du hast es ein für alle Mal kaputt gemacht. Er ist geflohen, vor dir geflohen, das war’s, hör auf zu jammern und finde dich damit ab. Doch tapfer hielt weiter ein Teil ihres Herzens die Stellung, der sich nicht mit dem Status quo abfinden wollte. Überrascht horchte sie tiefer in sich hinein und hörte, was ihr Gefühl ihr mitzuteilen hatte. Es erinnerte sie an die Geborgenheit, die sie immer in seiner Nähe verspürt hatte, daran, dass er die Einsamkeit aus ihrem Herzen vertrieben hatte und es machte nun eindeutig klar, dass es nicht kampflos seine Zuneigung zu dem Daiyoukai aufgeben würde! All die Gefühle, die sie gestern Abend im Rausch erlebt hatte, sie waren real und keine Trugbilder. Der Alkohol hatte lediglich die mahnende Stimme ihres Verstandes niedergerungen und ihnen Raum verschafft. War das wirklich ihr innerstes Gefühl, ihr Sehnen, ihr Verlangen? Sie wollte ihn nicht verlieren. Sie wollte weiter bei ihm sein, auch wenn es völlig aussichtslos und schwachsinnig war. Eventuell sogar gefährlich, das hing von seiner Stimmung ab. Aber wenn sie nun ehrlich mit sich war, wollte sie weiter anknüpfen an dem Moment vor der Eskalation und sehen, wohin der Weg sie führen würde. Konnte sie diese unerwartete Eskalation zwischen ihnen nicht einfach als betrunkene Nacht abtun, als einen Ausrutscher, der weder zählte noch Bedeutung hatte? Nein, kannst du nicht, tadelte sie die kritische Vernunft. Vergiss deine Träume, schau in die Wirklichkeit! Er ist abgehauen, als ihm bewusst wurde, was geschehen ist! Sieh den Tatsachen ins Auge, Kagome! Aber das wollte sie nicht, jetzt nicht. Jetzt wollte sie in der Abgeschiedenheit des Badezimmers unbeobachtet den Erinnerungen an diesen Zwischenfall nachhängen. Sein Spruch „Einmal Dämon, immer Dämon“ kam ihr wieder in den Sinn. Ein schnurrender Seufzer verließ sie. Verdammt, wie recht er hatte! Das Liebesspiel mit ihm war kein Vergleich zu den ungelenken Versuchen Hojos. In jeder Sekunde hatte sie es spüren können, diese rohe, ursprüngliche Männlichkeit, die der Daiyoukai ausstrahlte. Absoluter Willen, Selbstbewusstsein, Macht. Sein Youki hatte es sogar geschafft durch den versteckenden Zauber hindurch sie zu blenden, ihr Reiki hatte schnell auf ihn reagiert und die Verbindung ihrer Kräfte hatte ihre Ekstase nur verstärkt. Noch nie wurde sie in solch ungeahnte Höhen katapultiert, dass ihr Hören und Sehen verging! Hojo dagegen… sie überlegte einen Moment, um ihn nach diesen neuen Erfahrungen einordnen zu können. Er war ein Junge, kein Mann. Unbeholfen, unsicher, immer darauf bedacht ja nichts falsch zu machen und ihr alles recht zu machen; langweilig und nicht aufregend. Es hatte zu Beginn natürlich seinen Reiz, es war alles neu und sie wollte wissen wie es sich anfühlte mit einem Jungen das Bett zu teilen. Aber schnell ging dieser Reiz verloren und sie hoffte immer, es würde schnell vorbei sein. Rückblickend war es ein Spiegelbild ihrer gesamten Beziehung. Bei Sesshoumaru war es anders, das gemeinsame Abenteuer hatte ihren Hunger entfacht. Unbewusst fuhr sie mit ihren Händen über die Kratzer an ihrem Bauch, dort wo vor Stunden noch seine Klauen auf ihr ruhten. Es hatte sich so gut angefühlt, sie wollte mehr, wieder diese ungezügelte Leidenschaft erleben! Stopp, maßregelte sie sich selbst in Gedanken. Diese Überlegungen waren überhaupt nicht hilfreich um zu einer Entscheidung zu gelangen, wie sie mit all dem umgehen sollte. Sie seufzte schwer. Sie war immer noch keinen Schritt weiter, sie war sich nun nur ihrer inneren Zerrissenheit noch mehr bewusst. Der Verstand sagte, sie solle ihn schnellstmöglich vergessen, aber ihr Herz sehnte sich nach Sesshoumaru. Wenn sie nicht achtgeben würde, war sie gerade dabei sich Hals über Kopf zu verlieben! Es war bereits früher Abend und der Trubel der Stadt begann sich zu legen, als Sesshoumaru wieder in sein Teehaus zurückkehrte. So plötzlich wie er verschwunden war, stand er nun wieder in der Tür und jagte Hanako den dritten Schrecken des Tages ein. Sie hatte den ganzen Tag über ausgeharrt und auf ihn gewartet; aus Pflichtbewusstsein, da er sie darum gebeten hatte, aber auch aus Neugier, wie er nun zu der Sache stand. Angespannt sah sich Sesshoumaru um. „Wo ist sie?“, schnaubte er kalt. „Wen meinst du?“, fragte Hanako unschuldig nach. Sie hatte beschlossen zunächst ahnungslos zu tun. „Du weißt genau, was ich meine! Ihr Geruch liegt immer noch in der Luft, klebt an dir, ihr habt miteinander gesprochen“, donnerte seine Stimme durch den Raum. Da sie aufgeflogen war und er ungeduldig vor Wut brodelte, gab Hanako ihre Strategie auf. „Sie ist heute Mittag nachhause gegangen, kurz nachdem sie aufgewacht ist. Sie sah sehr durcheinander aus, was ist…?“ Sie kam nicht dazu ihre Frage zu stellen, denn sofort schnitt Sesshoumaru ihr das Wort ab. „Das geht dich nichts an!“ Sie ergab sich ihrem Schicksal, es hatte keinen Zweck jetzt mit ihm darüber zu sprechen. Sein Blick gefror die Umgebung, seine Aura verströmte Wut und Aggression und er wollte sich nun in Ruhe in sein Schneckenhaus zurückziehen. Es war wohl besser ihn jetzt allein zu lassen. Sie schnappte sich ihre kleine Tasche und kam hinter der alten Theke hervor. Sie konnte es sich aber nicht verkneifen ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben: „Was auch immer das zwischen euch ist, es freut mich.“ Noch bevor sein empörter Blick sie aufspießen konnte, war sie durch die Tür verschwunden. Warum hatte es seinem Herzen einen Stich versetzt, als er sah, dass Kagome nicht mehr hier war? Natürlich war er froh darüber, er hatte keine Lust sich mit der Gefühlswelt eines Menschen auseinandersetzen zu müssen und er hatte schon die Befürchtung gehabt, dass sie mehr in dieses Intermezzo interpretieren würde. Aber es kratzte trotzdem irgendwie an seinem Stolz; schämte sie sich etwa? Schämte sie sich am Ende noch dafür, dass er es war, mit dem sie abgestürzt war? Sein ganzer Plan für den Tag war wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Er hatte erwartet, sie hier zu treffen und endgültig die Fronten klären zu können. Dass sie gefälligst ihn in Ruhe lassen solle und aufhören solle sein Leben durcheinander zu bringen; dass sie in seiner Welt nichts verloren hatte und sich nicht einmischen solle. Dann hätte er sie aus seinem Teehaus geschmissen und mit einer eindeutigen Drohung klargestellt, dass es gesünder sein würde sich seinen Anordnungen nicht zu widersetzen. Und jetzt saß er alleine an seinem üblichen Platz, zog nachdenklich an einer Zigarette und wusste nichts mit sich anzufangen. All diese Gedanken und Gefühle würden ihn noch länger quälen, bis endlich alles geklärt sein würde, wenn sie wieder auftauchte. Aber würde sie wieder kommen, hallte nervös die Frage aus dem verbannten Teil seines Herzens. Was, wenn sie ihn nie wieder sehen wollte? Nach dem sehr ausgiebigen Bad hatte Kagome sich in ihr Bett gelegt und den dringend notwendigen Schlaf nachgeholt. Es war bereits Abend, als der Duft des Essens ihrer Mutter sie weckte. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Hanako hatte recht, jetzt fühlte sie sich etwas besser. Immer noch durcheinander, aber die Panik war verflogen und ihr unerschütterlicher Optimismus zu ihr zurückgekehrt. Irgendwie würde sie das mit Sesshoumaru schon schaukeln. Jetzt musste sie sich erst einmal ihrer Mutter stellen, die genauso neugierig wie besorgt war. Sie schlüpfte aus ihrem Pyjama und zog sich eine bequeme Stoffhose an, deren elastischer Bund genug Platz für ein reichhaltiges Abendessen bot und ein lockeres T-Shirt. Barfuß ging sie die Treppe hinab und war überrascht, dass ihre Mutter nur für zwei gedeckt hatte. „Großvater und Sota sind heute bei einem Fußballspiel und kommen erst später nachhause“, klärte ihre Mutter sie auf. Es war Kagome nur recht. Mit ihrer Mutter allein konnte sie offener reden, vielleicht hatte sie sogar einen Rat für sie. Sie hatte einen guten Draht zu ihr, deshalb beschloss sie ihr etwas mehr zu erzählen, als sie eigentlich geplant hatte. Ihrer Verschwiegenheit konnte sie sich gewiss sein. Schweigend saßen sie sich gegenüber und aßen. Auch während des Abwaschs sprachen sie kein Wort. Schließlich saßen sich Mutter und Tochter bei einem Glas kühler Limonade gegenüber. „Also, wer ist der junge Mann, bei dem du heute Nacht warst?“, fragte Frau Higurashi fröhlich. Kagome hatte Mühe nicht die Limo aus ihrem Mund über den Tisch zu spucken vor verlegener Überraschung. Sie zwang sich zum Schlucken und stellte die empörte Gegenfrage: „Mama! Wie kommst du da drauf?“ Aber ihre leuchtenden Wangen ließen sie gerade mal wieder im Stich. Wie immer, wenn es um eine peinliche Situation ging. Ihre Mutter beobachtete amüsiert ihr Mienenspiel und kicherte: „Ach Kind, ich war auch mal jung. Die Anzeichen kann ich immer noch deuten, wenn man von so einer Nacht nachhause kommt.“ Empörung wich Erstaunen. „Mama?“ Was erzählte ihre Mutter da? Sie kannte sie immer als brave und etwas biedere Hausfrau, wovon sprach die Frau, die auf dem Stuhl ihrer Mutter saß? Sie konnte nicht mehr aufhören zu kichern und mit einem undeutbaren Lächeln sagte sie: „Kagome, ich bin nicht von Natur aus alt, also alt auf die Welt gekommen und war sofort mit deinem Vater verheiratet. Ich habe ihn auch einmal kennengelernt und diese Art heimlicher Treffen kenne ich nur zu gut. So und jetzt will ich wissen, mit wem du dich gestern Abend getroffen hast.“ „Du kannst dich noch an Inuyasha erinnern?“, begann Kagome schüchtern nach einer kurzen Pause. „Ja, natürlich. Warum fragst du?“, schallte es ihr prompt entgegen. „Er hat einen älteren Bruder, der ein Vollblutdämon ist und bis heute überlebt hat. Ich habe ihn vor einiger Zeit durch Zufall wiedergefunden und gestern haben wir uns eigentlich nur auf einen Tee getroffen.“ Den Teil mit dem tragischen Ende des Waschbäryoukais sparte sie aus. „Am Abend haben wir angefangen etwas zu trinken und irgendwann führte dann eins zum anderen. Ich glaube, weil wir beide uns einsam gefühlt haben und die Ereignisse von vor fünfhundert Jahren uns irgendwie verbinden. Heute Morgen war er verschwunden.“ Mit ehrlichem Interesse hörte ihre Mutter Kagomes Worten zu und ließ diese auf sich wirken. Doch die Wirkung setzte zuerst bei Kagome ein, zum wiederholten Male an diesem Tag versuchte sie angestrengt die aufsteigenden Tränen hinfort zu blinzeln. „Es ist alles kaputt! Ich hatte gehofft, eine Freundschaft zu ihm aufzubauen, jemanden zu haben, der all diese Dinge, über die ich nicht sprechen kann, versteht. Aber jetzt… Mama, ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.“ Tröstend ergriff sie die Hand ihrer Tochter. „Kagome, beruhig dich doch. Ich verstehe, dass das alles sehr plötzlich über dich hereingebrochen ist und dich verwirrt. Das ist doch nur normal, dass er auch durcheinander ist und ihn das alles überfordert. Warte doch einfach ab, wie sich die Dinge entwickeln.“ Inzwischen schniefte Kagome hemmungslos und war dankbar für das dargereichte Taschentuch. „Wieso muss das alles so kompliziert sein? Wieso müssen Männer so kompliziert sein? Warum tut das immer so weh? Erst Inuyasha, dann Hojo und ich habe Angst, dass ich gerade auf dem besten Weg bin mich in Sesshoumaru zu verlieben.“ Sie hatte schon immer ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrer Mutter, deshalb musste sie ihr nie verheimlichen, wenn sie einen Freund hatte. Ihre Mutter vertraute ihr und ihrem Urteil und wusste, dass sie verantwortungsbewusst mit sich umging. Und die kleine zuckerüberzogene Tablette jeden Tag trug ebenfalls zur mütterlichen Gelassenheit bei. „Liebe ist nun mal manchmal ein unordentliches Gefühl und es gibt wenig, das so sehr schmerzt, wie ein gebrochenes Herz. Das gehört aber einfach zum Leben dazu.“ Mit einem verschmitzten Zwinkern fügte sie hinzu: „Lass dich nicht entmutigen und denk immer dran: Männer haben auch ihr Gutes!“ Ihre Mutter hatte sie noch eine ganze Weile schweigend in den Arm genommen und sie getröstet. Jetzt war Kagome froh, dass sie es gewagt hatte ihrer Mutter zu beichten, was geschehen war. Sie hatte nicht erwartet auf so viel Verständnis zu stoßen. Sie verabschiedete sich, da sie noch etwas an den liegen gebliebenen Hausaufgaben in ihrem Zimmer arbeiten wollte. Als sie die Treppe nach oben ging, blieb ihr Blick an dem gerahmten Portrait ihres Vaters hängen. Ein Mann, knapp 35 Jahre alt strahlte fröhlich in die Kamera mit zwei kleinen Kindern auf dem Arm. Unbeschwerte Zeiten. Kurze Zeit nach dem Tag, an dem dieses Foto aufgenommen wurde, hatte er den Kampf gegen den Krebs verloren. Sie bewunderte ihre Mutter dafür, wie sie mit diesem schweren Schicksalsschlag umgegangen war. Sie war eine starke Frau, die sich immer liebevoll um ihre beiden Kinder gekümmert hatte, egal wie schlecht es ihr ging. Da sie es in ihrem alten Zuhause nicht mehr ausgehalten hatte, zog sie mit Kagome und ihrem Bruder wieder zu ihrem Vater in den Schrein. Nachdenklich öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer und hektisch suchten ihre Augen den Raum ab. Wo hatte sie ihre Schulsachen nur hingestellt? An ihrem üblichen Platz stand die Tasche nicht. Hatte sie sie vielleicht in ihrem Tran mit ins Bad genommen? Doch auch dort konnte sie nichts finden. Plötzlich drängte sich ein schrecklicher Gedanke in ihren Kopf: Sie hatte ihre Tasche im Teehaus vergessen! Kapitel 17: Druckausgleich -------------------------- 17 – Druckausgleich Es gab wahrlich vergnüglichere Dinge, die man an einem sonnigen Sonntagnachmittag unternehmen konnte; Dates im Stadtpark, hektoliterweise Eiscreme verschlingen, ein Sonnenbad mit einem guten Buch, Schwimmbad mit Freunden… um nur einige der zahllosen Alternativen zu nennen. Aber Kagome stand mit zitternden Händen vor der Tür des Teehauses zum weißen Hund und musste sich der zweifelhaften Laune eines Daiyoukai und ihrem eigenen Widerwillen ihm so schnell wieder unter die Augen treten zu müssen stellen. Hoffentlich würde er gnädig sein, doch es war nicht mehr als ein frommer Wunsch, denn alle Vorzeichen deuteten auf einen furchtbar schlecht gelaunten Sesshoumaru hin. An der Ursache dafür war sie zwar nicht gänzlich unbeteiligt, aber trotzdem würde er sie beschuldigen allein für diese verfahrene Situation verantwortlich zu sein. Da musste sie aber jetzt durch. Warum nur musste sie auch ausgerechnet ihre Schultasche an diesem speziellen Ort vergessen? Und auch noch nach so einem Ereignis? Im Kopf spielte sie bereits den ganzen Tag die verschiedensten Möglichkeiten durch, wie sie sich vor der Konfrontation mit dem Dämon drücken konnte. Sie könnte einfach ihre Sachen abhaken, im Teehaus belassen. Zwar müsste sie dann alle Bücher neu kaufen, aber das würde sie eher verschmerzen als die Verletzungen, die ihr geschundenes Herz gleich unweigerlich erleiden würde. Dann hätte sie eben am Montag einmal keine Hausaufgaben und würde sich den Tadel ihrer Lehrer einfangen. Sie könnte ja behaupten, ihr Hund hätte ihre Unterlagen gefressen. Sie musste bei dem Gedanken schief grinsen; so weit weg von der Wahrheit war diese Notlüge gar nicht. Heftig schüttelte sie den Kopf, um diese Überlegungen zu vertreiben. Sie stand nun schon geschlagene fünf Minuten vor dieser Tür, was war nur los mit ihr? Eine Kagome Higurashi ließ sich nicht einfach so von einem Dämon ins Bockshorn jagen! Sie hatte gegen unzählige Youkai, untote Söldner und einen größenwahnsinnigen Naraku gekämpft, da würde sie jetzt nicht klein beigeben und feige davon laufen! Sie straffte die Schultern, reckte selbstbewusst ihr Kinn nach vorne und drückte wildentschlossen die alte Messingklinke herunter. Knarzend öffnete sich die alte Holztür und sie schlüpfte hinein in die Höhle des Hundes. „Was willst du noch hier?“, knurrte es ihr sofort entgegen. „Verschwinde!“ Sie musste einige Male heftig blinzeln, der in der Luft liegende Rauch reizte ihre Augen und kratze im Rachen. Sie brauchte einen Moment, bis sie sich daran gewöhnt hatte und entdeckte schließlich Sesshoumaru, der sie mit finsterem Blick musterte. Er war gerade dabei seine Zigarette auszudrücken, fingerte aber bereits nach der nächsten. Also war er wie so oft zu seiner bewährten Strategie zurückgekehrt seine Probleme auszuräuchern, bis sie sich im Rauch auflösten. Das erklärte dann auch die furchtbare Luft im Innern des Teehauses, bemerkte Kagome. Auch bemerkten ihre feinen Sinne, dass sein Youki durch den Raum waberte; kalte Wut glomm darin, Hass, aber auch Resignation. Warum hatte er es nicht wie sonst vollständig unterdrückt? Entsetzt sah sie ihn an. Hatte diese Sache ihn so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht, arbeitete es so sehr in ihm? Sie musste schlucken. Das waren tolle Aussichten. „Ich habe nur etwas vergessen… letztes Mal“, sagte sie ausweichend und lief mit weichen Knien weiter in den Raum hinein. An die Theke gelehnt fand sie sofort ihre Tasche, schnappte sie sich und hing sie um ihre Schultern. Nicht, dass sie sie noch einmal liegen lassen würde. Sesshoumaru gab sich Mühe sie nicht anzusehen und starrte angespannt an die Wand rechts von ihm. Er gab sein Bestes sie vollständig zu ignorieren. Ein Stich durchfuhr Kagomes Herz, es tat weh solch eine Missachtung zu erfahren. Sie hatte nicht erwartet, dass er freundlich zu ihr sein würde, nein ganz sicher nicht. Aber dass sie es nun nicht einmal wert war verspottet zu werden oder dass er wenigstens mit ihr stritt, sie anschrie, sie beschimpfte, das war einfach furchtbar. Womit hatte sie solch eine Grausamkeit verdient? Sie trugen beide Anteil an dieser verfahrenen Situation und Kagome sah es nicht ein die Rolle der Schuldigen widerstandslos zu akzeptieren. Außerdem war es jetzt sowieso egal, schlimmer konnte es nicht mehr werden. „Hast du sonst nichts zu sagen?“, fragte sie kalt und fixierte ihn mit ihrem Blick. Er rührte sich nicht, seine Aufmerksamkeit galt immer noch der Wand. „Verschwinde aus meinem Leben, für immer und sofort!“, präzisierte er nun seine Aussage. Zunehmend gereizt verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie würde jetzt nicht klein beigeben, sondern ihm klar zu verstehen geben, was sie von seinem Verhalten hielt. „Wenn du glaubst, du könntest das alles lösen, indem du mich aus deinem Leben verbannst, irrst du. Was geschehen ist, ist nun einmal geschehen, daran können wir nichts ändern“, begann sie ruhig zu sprechen. Eben noch vor der Tür lähmte sie ihre Furcht, doch jetzt durchfloss sie eine feste Entschlossenheit und konzentrierte Ruhe. „Ich weiß nicht, was dich so aufwühlt, aber es wird nicht aufhören, nur weil ich durch diese Tür gehe.“ „Du hast recht, du weißt es nicht. Also hör auf kluge Reden zu schwingen und verschwinde“, antwortete er, weiter ohne sie eines Blickes zu würdigen. So würde das nichts werden, dachte Kagome, sie musste ihn aus seiner mentalen Festung locken, wenn sie zu ihm durchdringen wollte. „Also hast du beschlossen, dass du mich nun aus deiner kleinen Welt ekelst, deine Gedanken und Gefühle aus dir verbannst und in deinen alten Trott fällst. Dass du wieder ein völlig depressiver, alter Sack wirst, der der Vergangenheit nachtrauert und einsam und verbittert mit dem Schicksal hadert. Ja, das ist einem Daiyoukai würdig!“, provozierte sie ihn weiter. Ihr Gift blieb nicht ohne Wirkung, er drehte sich zu ihr herum und starrte sie mit kaum verhohlener Wut an. „Pass auf, was du sagst, Mensch!“ „Mehr fällt dir nicht ein? Du hast doch sonst auf alles eine Antwort“, stichelte Kagome nach. Sesshoumaru atmete einmal tief ein, er schien sich zu sammeln. „Sprich nicht von Dingen, die deinen Horizont übersteigen. Ich hatte ein wunderbar ruhiges, geordnetes Leben, bis du aufgetaucht bist. Seit du das erste Mal hier eingedrungen bist, habe ich nichts als Ärger mit dir, darf lästige Fragen beantworten und mich für Vergangenes rechtfertigen. Seit neustem darf ich mich auch noch wie ein Idiot fühlen, der nicht fähig ist die Kontrolle über sich zu behalten. Aber damit ist nun ein für alle Mal Schluss!“ „Oh ja, wunderbar, du hast recht! Du konntest in aller Ruhe deinem Schiechtum und dem Niedergang der Youkai beiwohnen, es ab und an bedauern und dabei rauchen. Und ich habe dich jetzt leider daran erinnert, wer du einst warst und was nun davon noch übrig geblieben ist; Nichts!“ Irgendwie entglitt Kagome gerade die Souveränität, Kopf und Herz fingen Feuer und sie hatte nun das dringende Bedürfnis ihm all das zu sagen, was sie bisher immer aus Rücksicht oder Furcht zurückgehalten hatte. Sie wollte ihn von seinem hohen Ross stürzen, denn er hatte keinerlei Berechtigung so herablassend mit ihr umzugehen. Und wenn sie auch nur ein kleines bisschen ehrlich mit sich war, dann wollte sie ihm auch einfach wehtun, denn er hatte sie so oft verletzt und trampelte auf ihren Gefühlen herum, um sich einen Spaß daraus zu machen. Sie würde Rache für ihr gebrochenes Herz nehmen! All die zärtlichen Gedanken des gestrigen Tages waren in diesem Moment wie ausgelöscht, verdrängt von ihrem nun aufbegehrenden Stolz. Da Sesshoumaru nun scheinbar auf Streit aus war, würde sie ihm diesen Wunsch nur zu gerne erfüllen. Kagomes rebellischer Stolz rieb sich heftig an Sesshoumarus; ein Funken aus dieser Reibung konnte nun sofort zur Explosion führen. „Halt den Mund!“, fuhr er sie ungehalten an, „Was denkst du, was dir das Recht gibt so zu sprechen? Unser kleines gemeinsames Abenteuer von vor fünfhundert Jahren? Es ist ein winziger Wimpernschlag in meinem Leben! Für dich mag das Mittelalter und der Kampf gegen Naraku dein Leben geworden sein, für mich ist es nichts. Uns verbindet gar nichts, geht das irgendwann in deinen Kopf, Mensch? Ich bin ein Youkai, du ein schwächlicher Mensch. Ich bin unsterblich, dein Leben ist lächerlich kurz! Ich bin die Vergangenheit, du bist die Zukunft. Akzeptier es endlich und hör auf die Weltordnung in Frage stellen zu wollen.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, stand er von seinem Platz auf und richtete sich vollends vor Kagome auf. Er überragte sie um mehr als einen Kopf, sah aus kalt glänzenden Augen auf sie herab und sein vor Wut pulsierendes Youki hüllte sie ein, lag schwer auf ihrer Brust und nahm ihr die Luft zum Atmen. Er wollte sie einschüchtern, ihr klarmachen, wer sie war und wo ihr Platz zu sein hatte. Sie lebten in zwei unterschiedlichen Welten, unterschiedliche Zeiten hatten sie geprägt und er würde es nicht zulassen, dass irgendjemand sein Leben, seine Person oder seine Entscheidungen in Frage stellte. Schon gar keine Sterbliche! „So, ich kleiner Mensch bringe also deine so sorgsam geordnete Welt durcheinander?“, erwiderte Kagome seinen Ausführungen. „Ich erinnere dich nur an das, was du verleugnest und vergessen willst.“ „Ach und was will ich deiner Meinung nach vergessen?“, höhnte Sesshoumaru. Seine linke Augenbraue zuckte bereits nach oben. Kagomes nächste Worte waren eine pure Provokation, sie zielte bewusst seinen wundesten Punkt an, um einen schweren Treffer zu landen. Das Risiko dabei vergaß sie in ihrer Wut allerdings. „Was würde Rin wohl sagen, wenn sie dich so sehen würde? Wie du dich selbst verleugnest, dich aufgeben hast und versuchst wieder in Eis zu erstarren? Denke von mir, was du willst, aber sei nicht so ein verdammter Feigling und hör auf vor dir selbst davon zu laufen!“ „Genug!“, knurrte er und seine Augen leuchteten blutrot auf. Hanakos Lungen brannten wie Feuer. Sie rannte nun schon den ganzen Weg vom Hafen bis in die Stadt. Es gab nur einen einzigen sicheren Ort für sie und sie konnte erst dann aufhören zu fliehen, wenn sie ihn erreicht haben würde. Ihr letzter Auftrag hatte im Desaster geendet und nun war sie auf der Flucht vor ihren Häschern. Alleine hatte sie keine Chance ihnen zu entkommen, sie brauchte Sesshoumarus Hilfe. Nur er war stark genug sie zu beschützen, er war ihre letzte Hoffnung heil aus der Sache herauszukommen. Sie war erwischt worden, noch bevor sie ihre Beute einpacken konnte, aber diesmal verfolgte sie kein Kaufhausdetektiv. Irritiert stoppte sie vor dem Teehaus. Was ging darin bloß vor? Sie spürte Sesshoumarus Kraft, wie sie den Raum füllte, wütend sich immer wieder entlud. War das wirklich Sesshoumaru? Diese Kraft, sie war so unglaublich stark, sie bekam Angst davon! Sie kannte seine Kraft, immer wenn sie mit ihren dämonischen Kräften Probleme hatte, umfing seine dämonische Aura sie und beruhigte ihr Inneres. Sie war sanft, beruhigend und schenkte ihr Geborgenheit. Sicher, er war stark, denn er war ja auch ein richtiger Youkai, aber diese Aura war so unglaublich mächtig, das konnte nicht er sein. Sie war wie ein heftig tobendes Gewitter, entlud sich in der Luft und verhieß entfesselte Zerstörung und Tod. Zaghaft öffnete sie dir Tür und schlich sich in das Teehaus. Sie stand noch im Schatten des Vorhangs, als sie sah, was vor sich ging. Sesshoumaru stand im Auge des Energiesturms, hielt Kagome mit einer Hand am Hals über dem Boden und sah sie mit rotleuchtenden Augen an. Die Finger seiner anderen Hand waren angespannt, seine scharfen Klauen traten deutlich hervor und sie leuchteten in einem seltsam grünen Licht. „Du kannst mich töten, aber das wird dir nichts bringen, Sesshoumaru! Du kannst nicht die Wahrheit töten oder von ihr davon laufen. Du bist der letzte Daiyoukai und hast ein erbärmliches Leben gewählt. Du kannst unsere gemeinsame Geschichte nicht verdrängen, genau wie die Verbindung zu Rin durch Hanako!“ Was sagte sie da? Tief in der dunkeltesten Ecke ihres Gedächtnisses klingelte etwas, als sie den Namen Rin hörte. Sie hatte ihn schon gehört, aber wo? Das war doch der Name des Mädchens aus der Geschichte, die ihr früher immer ihre Großmutter erzählt hatte! Die Geschichte von dem kleinen Menschenmädchen, das die Tochter eines berühmten Youkaifürsten wurde. In ihrer Brust stockte der Atem, ein fester Knoten legte sich um ihr Herz. Er sollte der letzte Daiyoukai sein? Waren das nicht in den Geschichten die Herrscher der Youkai? Ihre Gedanken rasten, drehten sich im Kreis, so dass ihr schwindlig wurde. Mit einem Klick fügte sich das letzte Teil in das Puzzel. Die Erkenntnis ließ sie zu Boden sinken, sie plumpste auf ihre Knie, das war zu viel für sie. All das, was Kagome gerade gesagt hatte, ließ nur einen Schluss zu: Sesshoumaru war jener Dämon, der ihre Vorfahrin bei sich aufnahm! Ein dumpfes Geräusch riss Sesshoumaru aus seiner Konzentration auf Kagomes blutiges Ende. Er spähte aus den Augenwinkeln in die Richtung, in der der Laut seinen Ursprung hatte und erschrak, als er Hanako mit vor Schreck geweiteten Augen auf dem Boden sitzen sah. Ihre großen Augen hafteten nach Antworten suchend an ihm, hatte sie etwa gehört, was Kagome gesagt hatte? Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie lächerlich das war, was er gerade tun wollte. Er löste seinen harten Griff um den Hals der Miko, die unsanft zu Boden fiel und ihren schmerzenden Hals hielt. Auch wenn seine Wut und die anderen so lästigen Gefühle in ihm nicht verraucht waren, so konnte er sein Vorhaben nicht vor den Augen des Hanyoumädchens in die Tat umsetzen. Er wollte ihr nicht ohne zwingende Not die kindliche Unschuld nehmen und sie mit Blut beflecken. Das Gold seiner Augen gewann wieder die Oberhand und verdrängte das zornentflammte Rot, sein Youki hörte auf zu toben. Die großen, traurigen Augen seines Schützlings brachten ihn wieder zurück in die Realität, beruhigten sein aufgewühltes Seelenleben. „Hanako“, sagte er leise und versuchte die übliche Kälte aus seiner Stimme zu verdrängen, um die Kleine nicht weiter zu verängstigen. Tränen liefen über Hanakos Wangen, starr verharrte ihr Blick im Nichts. Ihre Welt war soeben aus den Angeln gerissen worden, nichts war mehr so, wie es vorher war. Einem plötzlichen Impuls folgend rappelte sie sich auf und rannte durch die Tür hinaus fort. Kagome ergriff die Gelegenheit beim Schopf, dass Sesshoumaru wie erstarrt im Raum stand und flüchtete auch durch die noch immer offene Tür. Wenn Hanako nicht aufgetaucht wäre, dann würde sie jetzt nicht mehr leben, wurde ihr plötzlich bewusst. Sie hatte den Daiyoukai tatsächlich so sehr gereizt, dass er sie eiskalt töten wollte. Auch wenn es ihre Rettung war, bereute sie es jetzt schon, dass Hanako ihre Worte gehört hatte. Sie hätte es niemals von ihr erfahren sollen, schon gar nicht auf diese Weise! Kagome hatte sofort gespürt, dass in der Kleinen etwas zerstört worden war und sie fühlte sich nun so unendlich schuldig. Wie in Trance ging sie die Straße hinab, ihre Füße kannten den Weg zum Glück zur Genüge um nachhause zu finden. Sesshoumarus Welt hatte sie nun ebenfalls endgültig ins Wanken gebracht, sie hatte unbeabsichtigt sein Geheimnis preisgegeben. Was sollte sie nur tun? Wahrscheinlich war es das Beste, sich zunächst zurückzuziehen und den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen. Sie war schließlich das Epizentrum dieses Bebens. Endlich erreichte Hanako das, was sie ihr Zuhause nannte. In einem abbruchreifen, leeren Haus hatte sie ihr Lager aufgeschlagen und war vor Wind und Wetter geschützt. Sie bewohnte einen kleinen Raum, der nicht ganz so einsturzgefährdet war wie die Übrigen. Eine Luftmatratze bildete ihr Bett, auf dem sie sich sofort einrollte und die Decke über ihren zitternden Körper zog. Endlich war sie allein, endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen. Konnte das denn wirklich alles wahr sein? Sollte die tragische Gestalt des Wirts, der wie ein ärmlicher Eremit lebte, tatsächlich ein früherer Herrscher sein? Warum hatte er ihr nie etwas gesagt? Er wusste doch, dass sie wissen wollte, woher sie stammte, seit ihre gesamte Familie tot war. Er hätte es doch wenigstens ihr verraten können… Er kümmerte sich doch auch sonst um sie. Sein gesamtes Verhalten bekam unter dem Eindruck dieses Wissens einen neuen Sinn; Dass er wusste, wie er mit ihrem dämonischen Blut umzugehen hatte, dass er immer ein Auge auf sie hatte, sich um sie sorgte… Weil Sesshoumaru ihre Familie war. Zwar waren sie nicht blutsverwandt, aber er war so etwas wie ihr Ur-Ur-Urgroßvater. Wäre er nun immer noch für sie da, nachdem sie sein Geheimnis kannte? Langsam beruhigte sie sich etwas und der stete Strom der Tränen versiegte. Es war alles zu überraschend über sie hereingebrochen, hatte sie überrumpelt. Sie hatte ja nichts Schlimmes erfahren, eigentlich war es sogar etwas Schönes. Nur wie sie es erfahren hatte, war sehr aufwühlend. Wer war Kagome wirklich? Ihr Verstand arbeitete nun wieder auf Hochtouren, nachdem ihr Herz sich beruhigt hatte. Sie konnte kein einfacher Mensch sein, auch keine einfache Miko! Woher wusste sie, dass Sesshoumaru ein Daiyoukai war? Woher kannte sie den Namen des Mädchens, das er vor so langer Zeit bei sich aufgenommen hatte? Scheinbar war es Sesshoumaru klar, dass die junge Frau all das über ihn wusste, das erklärte auch ihr – zunächst – unbefangenes Miteinander, dass sie sich sofort so gut verstanden. Aber sie war doch ein Mensch, wieso wusste sie so gut über Dinge Bescheid, die tief in der Vergangenheit lagen? Eigentlich hatte sie Kagome sehr gern, aber jetzt gerade wusste sie nicht, was sie über sie denken sollte. Wenn sie all diese Dinge wusste, warum hatte sie sie ihr dann verschwiegen? Vielleicht wusste sie ja noch mehr, als sie zugab? Hanako beschloss das Thema ihrer Herkunft weiter zu erforschen. Sie wollte mehr über Sesshoumaru wissen, wer er war, wer ihre Ahnin Rin war. Von Kagome konnte sie es sicher erfahren, daher beschloss sie zunächst der Miko ihre Fragen zu stellen. Auch wollte sie unbedingt wissen, was da genau zwischen ihr und Sesshoumaru passiert war. Erst liebten sie sich eine Nacht lang, dann versuchte er sie umzubringen, das war ihr doch sehr suspekt. Dahinter musste ebenfalls mehr stecken… Für heute aber war es genug, sie musste all diese neuen Erkenntnisse erst einmal verdauen. Morgen würde sie sich Kagome schnappen und sie wusste auch schon wie! Kapitel 18: Der Weg zurück zur Vernunft --------------------------------------- 18 – Der Weg zurück zur Vernunft Müde schlenderte Kagome aus dem Schulgebäude über den Hof. Es zwar noch einige Wochen hin, aber dann würde das Sommerhalbjahr sich dem Ende nähern und Kagome sich den gefürchteten Examina stellen müssen. Die Schultage drehten sich schon jetzt um nichts anderes mehr, die Lehrer versuchten sie zu schleifen und ihnen das Maximum an Wissen in den Kopf zu prügeln, obwohl noch einige Wochen Zeit waren. Die Schwüle des Tages machte es auch nicht angenehmer in den stickigen Klassenzimmern zu sitzen, sie hatte bereits furchtbare Kopfschmerzen. Trotzdem würde sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen die ersten Vorbereitungen für ihren persönlichen perfekten Sommer zu treffen. Ihren alten Bikini hatte das Zeitliche gesegnet, denn er war an einigen äußerst pikanten Stellen doch etwas sehr durchsichtig geworden. Da die eigentliche Sommerhitze laut Wetterbericht nun unmittelbar bevorstand, musste dringend Ersatz her. Was gab es besseres um auf andere Gedanken zu kommen als einen ausgedehnten Einkaufsbummel quer durch alle Geschäfte? Sie musste dringend auf andere Gedanken kommen, sie kreisten schon viel zu lange um die folgenschwere Eskalation zwischen ihr und Sesshoumaru. Es war ihr immer noch ein Rätsel, wie es so weit kommen konnte, aber sie hatten sich beide wohl gegenseitig immer weiter provoziert. Beide hatten dann auf ihre Weise die wirklich schweren Geschütze ausgepackt und nun war ihr Verhältnis zueinander ein noch größerer Scherbenhaufen als zuvor. Aber das Schlimmste war, dass Hanako unbeabsichtigt zwischen ihre Fronten geraten war und von Sesshoumarus Geheimnis erfahren hatte. Die Ärmste war völlig verstört geflohen, Kagome machte sich große Sorgen. Aber das lag nun jenseits ihrer Zuständigkeit. Sie hatte lange und ausgiebig über Sesshoumarus Worte nachgedacht und kam zu dem Schluss, dass er nicht völlig unrecht hatte. Sie hatte in der Tat die Welt der beiden Youkai gehörig durcheinander gewirbelt. Es wäre wohl für alle Beteiligten das Beste, wenn sie sich in ihre langweilige, heile Welt zurückziehen würde. Auch für sie war es das Beste. Die ganze Sache mit Sesshoumaru hatte sie sehr mitgenommen. Immer noch schwankte sie zwischen Hass und Schwärmerei, er erzeugte starke Emotionen in ihr, die in alle Richtungen schossen. Mal war sie furchtbar wütend auf ihn und seine arrogante Art, im nächsten Moment weinte sie, weil sie ihn nicht verlieren wollte. Es wäre definitiv das Gesündeste ihn zu vergessen, nicht nur aus psychologischer Sicht. Er hatte ihr klar gezeigt, dass er immer noch der eiskalt tötende Dämon von früher sein konnte; es war auch der Grund dafür, dass sie trotz tropischer Temperaturen ein buntes Seidentuch um den Hals trug. Aber kaum näherte sie sich dem Schultor, zerplatzte ihr Vorhaben wie eine Seifenblase. Eine ernst schauende Hanako hatte sich ihr in den Weg gestellt und es war zu spät einen anderen Weg aus der Schule heraus zu wählen. Was wollte die Hanyou von ihr? Nichts Gutes, schwante ihr. Kagome ging weiter auf sie zu und war bestrebt sich nichts von ihrer Nervosität anmerken zu lassen. Sie würde nicht mit ihr über Sesshoumaru sprechen; es war der einzige Grund, den sie sich vorstellen konnte, warum Hanako sie nach der Schule abfangen wollte. Von sich aus würde sie nicht auf sie zu gehen, beschloss Kagome. Ganz unbedarft und ohne Eile schlenderte sie weiter auf das Mädchen zu. Wenn sie enorm viel Glück hätte, dann würde Hanako vielleicht der Mut verlassen sie anzusprechen. Wie immer in solchen Situationen hatte sie kein Glück. „Kagome!“, sprach Hanako sie sofort an, als sie in Hörweite war, „Wir müssen reden, dringend. Ich brauche deine Hilfe!“ Ihr Gesicht hatte bei diesen Worten einen flehenden Ausdruck angenommen, sie war nicht im Geringsten wütend, sie sah einfach nur verzweifelt und verloren aus. Auch wenn ihr Mitgefühl ihr lautstark befahl sich sofort um die Kleine zu kümmern, blieb sie zurückhaltend; Die Vernunft gebot es, außerdem hatte sie sich fest vorgenommen die Schattenwelt der Youkai hinter sich zu lassen. Das beinhaltete leider auch Hanako, so sehr sie die Hanyou auch mochte. Aber ihre enge Verbindung zu Sesshoumaru würde ihr sicher schnell wieder Probleme mit dem Daiyoukai bringen, der im Moment in seinen Handlungen und Reaktionen nicht einzuschätzen war. Sein letzter Ausbruch war ihr eine Lehre gewesen ihn niemals wieder zu unterschätzen. Schweigend lief sie an ihr vorbei. „Kagome! Lauf nicht weg, bitte“, rief Hanako ihr nach. Ein schweres Seufzen entwich ihr. Sie konnte das nicht, sie konnte nicht so kaltherzig sein gegenüber jemandem, dem es offensichtlich schlecht ging. Sie blieb stehen, drehte sich um und sagte müde: „Hanako, versteh doch bitte, ich kann dir deine Fragen nicht beantworten.“ Schnell hatte das Mädchen zu ihr aufgeschlossen. „Warum nicht? Warum willst du mir nicht erzählen, wer du wirklich bist und woher du Sesshoumaru kennst?“ „Weil du ja mit eigenen Augen gesehen hast, wohin das führt!“, antwortete Kagome ärgerlicher als beabsichtigt. „Wenn du etwas über ihn wissen willst, frag ihn selbst.“ Sie setzte ihren Weg fort, aber Hanako ließ nicht locker und folgte ihr. „Wie geht es dir denn jetzt? Das sah ganz schön übel aus, wie er dich da hielt“, erkundigte sich die Hanyou, aber sie wurde bei dem Thema deutlich kleinlauter. Sie hatte fast verdrängt, wie schwierig die Lage war und versuchte die Miko etwas zu besänftigen durch das Fragen nach ihrem Wohlergehen. Aber sie erreichte das genaue Gegenteil damit. Scheinbar hatte auch Kagome versucht den Vorfall zu vergessen, der jetzt wieder so in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wurde. „Oh mir geht es sehr gut!“, sagte sie spitz, „Wenn man mal davon absieht, dass dieser Gefühlskrüppel versucht hat mich umzubringen und ihn nur dein Auftauchen davon abgehalten hat. Und ich werde ihm keinen Grund geben sein Vorhaben zu vollenden, nur weil ich dir jetzt noch mehr von seinen Geheimnissen verrate. Ich werde ihm nie wieder einen Grund geben sich wie ein Arsch mir gegenüber zu verhalten, weil ich ihn nie wieder sehen werde. Ich werde all das hinter mir lassen und wieder ein normales Leben führen. Und so leid es mir tut, da ist kein Platz für neugierige Hanyoumädchen mehr.“ Sie hatte sich immer weiter in Rage geredet, die letzten Worte hatte sie geschimpft wie ein Rohrspatz. Immer schneller wurden ihre Schritte, als sie die Straße Richtung Innenstadt entlang stapfte, dicht gefolgt von einer immer verzweifelt dreinschauenden Hanako. „Aber… das war doch alles nur ein Versehen, ein Missverständnis. Er ist doch sonst gar nicht so“, widersprach Hanako energisch. Sie atmete mittlerweile schon schnaufend, da Kagome ein beachtliches Tempo an den Tag legte. „Falsch!“, pflaumte Kagome sie an, „Er ist eigentlich sogar noch viel schlimmer.“ Fieberhaft überlegte Hanako wie sie das Gespräch noch retten konnte. Sie sah gerade all ihre Felle davon schwimmen jemals noch etwas mehr über das Rätsel ihrer Familie und ihrer Herkunft zu erfahren. „Ich will doch nur wissen, woher ich komme! Ich will mich doch gar nicht in das zwischen euch einmischen“, platzte es inzwischen sehr hoffnungslos aus ihr heraus. Mühsam unterdrückte sie die aufsteigenden Tränen und schluckte den dicken Klos in ihrem Hals herunter. „Ich versteh dich ja, Hanako, aber versuch doch wenigstens meine Lage zu verstehen“, versuchte Kagome sich nun etwas ruhiger zu erklären. Es fiel ihr sehr schwer ihren Ärger über die Penetranz der Hanyou zurückzuhalten. Es war ihr letzter Versuch es ihr im Guten zu erklären. „Sesshoumaru hat recht mit dem, was er gesagt hat. Ich habe sein Leben auf den Kopf gestellt, ich gehöre nicht in eure Welt. Es ist für uns alle das Beste.“ „Woher weißt du dann von unserer Welt, wenn du dort angeblich nichts verloren hast?“, hakte ihre Verfolgerin trotzig nach. So einfach ließ sich Kagome nicht übertölpeln, sie marschierte eisern schweigend weiter. Doch die Hanyou ließ immer noch nicht locker. „Du gehörst in unsere Welt, sonst wüsstest du nicht von uns! Du kannst jetzt nicht einfach davon laufen!“ Kagome verdrehte ärgerlich die Augen und zog tief Luft in ihre Lungen ein. Jetzt würde dieses alberne Fragespiel aufhören, wenn sie es nicht auf die nette Art verstehen wollte, musste sie wohl andere Saiten aufziehen. Sie drehte sich wirbelnd um, doch der wütende Schwall Worte blieb ihr im Halse stecken. Wie aus dem Nichts war eine Gruppe grimmig schauender Männer aufgetaucht und hatte Hanako eingekesselt. Entsetzt sah sie, wie ein Kerl mit langen schwarzen Haaren sich vor der panisch zitternden Kleinen aufbaute und sie am Arm packte. „Hab ich dich, du räudiger Langfinger! Jetzt ist ein für alle Mal Schluss mit Davonlaufen!“, spie er höhnisch aus und das gemeine Grinsen in seinem Gesicht verhieß nichts Gutes. „Lass mich los!“, schrie Hanako und versuchte den harten Griff seiner Hand von sich loszureißen, aber ohne Erfolg. „Jetzt bist du wohl nicht mehr so mutig“, lachte der Kerl, packte sie und legte sie sich über die Schultern. Hanako strampelte, versuchte sich mit dem Mut der Verzweiflung aus seiner Umklammerung zu befreien, aber es war aussichtslos. So schnell die Bande aufgetaucht war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. „Das wird dir mieser, kleiner Diebin eine Lehre sein. Niemand beklaut die Pantherdämonen“, hallte es durch die Straße. Von Überraschung und Angst stand Kagome paralysiert da. Die ganze Zeit über war sie unfähig einzugreifen oder wenigstens etwas zu sagen, sie konnte nur hilflos mit ansehen, wie Hanako verschleppt wurde. Schon von Anfang an kamen ihr diese Kerle seltsam bekannt vor, aber sie kam einfach nicht darauf, woher sie sie kannte. Der Anführer hatte lange, schwarze Haare, der Rest war kahlgeschoren… Seine letzten Worte lösten den Knoten in ihrem Kopf. Das war die Rowdybande, die vor einiger Zeit im Teehaus gewütet hatte! Sie hatte damals versucht die Unholde so gut es ging zu ignorieren, bis ihr einer zu nahe kam. Arrogante Taugenichtse waren das, die sich zu viel auf das klägliche bisschen Dämonenkraft einbildeten, hatte Sesshoumaru ihr erklärt. Kaum hatte sie seinen Namen gedacht, wusste sie, was zu tun war. Sie rannte auf der Stelle los, rannte den ganzen Weg zurück zur Schule. Sie musste ihn alarmieren, er war der Einzige, der Hanako retten konnte. Sie hatte keine Ahnung, was die Panther vorhatten, aber es konnte nichts Gutes sein. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, eigentlich wollte sie Sesshoumaru nie wieder sehen. Panik breitete sich in ihr aus, sie hatte Angst davor ihm wieder unter die Augen zu treten. Wie würde er reagieren? Hoffentlich würde er sie lange genug am Leben lassen, damit sie ihm erzählen konnte, was geschehen war. Aber das zählte jetzt alles nicht, Hanako war in Gefahr, deshalb rang sie ihre Angst nieder und erreichte atemlos das Teehaus. „Hab ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt?“, begrüßte sie sofort Sesshoumarus wütende Stimme, als sie durch die Tür trat. Eine Welle seines Youkis traf sie hart und riss sie beinahe von den Beinen. „Hanako!“, keuchte Kagome nach Atem ringend, „Hanako wurde verschleppt!“ Der Schock ließ seine stoischen Gesichtszüge ihm einen Moment entgleiten und sie sah deutlich die Sorge und Überraschung. Sofort war sein Ärger vergessen. „Was ist passiert?“ „Die Panther…. Sie haben ihr aufgelauert und sie mitgenommen. Der Anführer sagte etwas davon, dass sie endlich die Diebin geschnappt hätten“, japste sie. Immer noch war sie völlig außer Puste, sie war so schnell gerannt wie sie nur konnte. Kurz überdachte er ihre Worte, dann flammte sein Youki in neuem Zorn auf. „Verdammt!“, schrie er und schlug hart mit der Faust auf das Holz des Tresens. Es splitterte unter seiner Kraft und ein klaffendes Loch blieb zurück. Jetzt ergab alles Sinn. Jetzt verstand er, warum sie ihn in den letzten Tagen so oft aufgesucht hatte. Sie musste bei einem ihrer Aufträge irgendwie dieser Bande in die Quere gekommen sein, irgendwas musste wohl schiefgegangen sein. Sie hatte ihn um Hilfe bitten wollen, doch er war so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er es nicht verstanden hatte. Wahrscheinlich hatte sie ernsthafte Probleme, aber er hatte nichts Besseres zu tun als sie von sich zu stoßen und sich grübelnd in die Einsamkeit zu verkriechen. Er war außer sich vor Wut und das Schlimmste war, er konnte niemand anderem als sich selbst einen Vorwurf machen. Selbst auf Kagome konnte er gerade nicht wirklich wütend sein, obwohl er es gerne sein würde. Nein, er hatte es verbockt, er hatte es nicht geschafft sie zu beschützen. Langsam beruhigte er sich und die Wut, die eben noch seinen Verstand umnebelt hatte, verrauchte etwas und ließ ihn klar denken. Diese Pantheryoukai hatten diesmal den Bogen überspannt. Seit einiger Zeit schon versuchten diese Bürschchen eine Art Vorherrschaft innerhalb der versprengten Youkai einzunehmen und setzten ihren Anspruch mit Gewalt durch. Ihr jüngstes Opfer war der Waschbär, der vor einigen Tagen unter seinen Händen gestorben war. Er hatte es aber bisher immer abgelehnt sich einzumischen, da es ihn nicht berührte. Wozu sich Ärger aufhalsen, sein Geheimnis riskieren, wenn es ihm keinen Vorteil brachte? Kagome hatte recht gehabt, so ungern er es sich eingestand: Irgendwann betraf es auch ihn und jetzt war es soweit. Ängstlich beobachtete Kagome ihn. Es hatte ihr einen Schreck eingejagt, als er seine Theke zerschlagen hatte, aber sie lief nicht weg. Sie fühlte sich auch schuldig, dass sie Hanako nicht versucht hatte beizustehen, dass sie sie im Stich gelassen hatte. Deshalb sah sie es als ihre Pflicht an Sesshoumaru bei ihrer Rettung zu helfen. Vorsichtig sprach sie den Dämon an: „Was willst du tun?“ Er sah konzentriert aus, immer wieder zuckten seine Augen, in seinem Kopf schien er alle Fakten zu überprüfen. Kurz sah er sie an, emotionslos teilte er ihr mit: „Sie befreien, was sonst? Diesmal ist dieses Panthergewürm einen Schritt zu weit gegangen!“ Fasziniert sah Kagome ihn an. Seine gesamte Ausstrahlung hatte sich gewandelt, in dem mit der Welt hadernden Wirt war wieder mehr der mächtige Daiyoukai zu erkennen. Stolz und aufrecht stand er im Raum, strahlte Kraft und tödliche Konzentration aus. „Ich komme mit.“ Sesshoumarus Kopf zuckte herum, als er ihre Worte vernahm. Noch bevor er ihr Angebot zurückweisen konnte, kam sie ihm zuvor. „Ich bin nicht unschuldig an dem, was passiert ist, deshalb muss ich ihr helfen. Keine Angst, ich werde dir kein Klotz am Bein sein. Nimm mich mit, ich kann auf mich selbst aufpassen. Wie du vielleicht noch weißt, kann ich auch kämpfen.“ Ernst sah er sie an und schien ihren Vorschlag zu prüfen. Seine Miene verriet nichts über seine Gedanken. Würde er es schaffen für den Moment zu vergessen, was zwischen ihnen stand? Konnte er darüber hinwegkommen, dass sie es war, die sein Geheimnis gelüftet hatte? „Einverstanden“, sagte er und ging durch den Vorhang hindurch in den privaten Teil des Hauses. Aufgeregt folgte Kagome ihm, sie konnte es kaum fassen, dass er ihre Unterstützung akzeptierte. Aber diese romantischen Gedanken, die schon wieder sich ausbreiten wollten, hatten hier nichts verloren. Sie hatten ein gemeinsames Ziel und es wäre einfacher zusammen zu erreichen, das war alles. In seiner Kammer angekommen sah sie, wie er eins der Schwerter aus der Halterung an der Wand nahm. Kaum hatte er es berührt, flammte das geometrische Muster der Klinge auf und schien sogar durch die Schwertscheide. Das war Bakusaiga! Für einen Moment hielt er es einfach nur in den Händen, sie spürte wie die Energien zwischen Dämon und Schwert ausgetauscht wurden. Er hatte es wohl sehr lange nicht benutzt und erneuerte gerade den Bund mit dem dämonischen Stahl. Schließlich steckte er es in seinen Gürtel und verließ den kleinen Raum wieder. „Die Bastarde hausen in einem verlassenen Einsiedlerhof vor den Toren der Stadt. Gehen wir!“ Vor der Tür suchte er den Schutz einer dunklen Seitengasse und reichte Kagome die Hand, die sie scheu ergriff. Sesshoumaru zog sie dicht an sich, sein Youki umhüllte sie beide und sie erhoben sich zum Himmel. Kagome hatte vollkommen vergessen, dass er mit Hilfe einer Art Energiekugel fliegen konnte! Kapitel 19: Aus der Dunkelheit heraus ------------------------------------- 19 – Aus der Dunkelheit heraus Es war seltsam ihm plötzlich wieder so nahe zu sein. Feste hielt sie sein Arm und presste sie an seine Seite, während sie durch die klare Luft rasten. Der Wind schlug hart gegen ihr Gesicht und zerzauste ihr das Haar. Kagome spürte die Wärme, die von seinem Körper ausgestrahlt wurde und die sich so vertraut anfühlte. Vertraut fühlte sie auch die Konturen seines Körpers durch die Kleidung hindurch und sofort hatte sie wieder die Bilder jener Nacht vor Augen. Erinnerungsfetzen wirbelten durch ihren Kopf; wie er sich über sie beugte, Gedanken an den attraktiven Körper, der nun von schwarzem Stoff verhüllt wurde und all die Gefühle, die sie sich hartnäckig verbot zu fühlen. Ein Teil von ihr war noch nicht bereit ihn einfach hinter sich zu lassen und zu vergessen und machte sich nun wieder lautstark bemerkbar. Sofort schritt ihr Verstand ein und machte klar deutlich, dass es aussichtslos war und rang die aufkeimende Sehnsucht nieder. Auch Sesshoumaru blieb nicht unberührt von der plötzlichen Nähe. Wieder und wieder führte er sich vor Augen, dass es einfach die effizienteste Art war möglichst schnell die Distanz zu überbrücken. Es wäre lächerlich dem Ganzen mehr Beachtung zu schenken, aber klammheimlich genoss es der rebellische Teil seiner Seele, der nicht aufhören wollte ihn mit Einsamkeit zu quälen und nahm das so eigentümliche Gefühl in sich auf. Aber diese Vertrautheit war unangebracht, jeder freundliche Gedanke an die Miko eine Verschwendung, denn sie hatte ihn verraten. Sie konnte ihm nützlich sein bei der Befreiung Hanakos, das war die einzige und ausschließliche Motivation sie nicht brutal von sich zu stoßen. Sobald die Hanyou in Sicherheit sein würde, würden sich auch Kagomes und seine Wege für alle Zeiten trennen. Angestrengt schweigend überflogen sie den Himmel über der weitläufigen Stadt. Sesshoumaru achtete darauf möglichst hoch am Himmel zu fliegen, so dass sie von unten nicht zu entdecken waren, auch wenn ein zufälliger Zeuge dieser Reise nur einen gleißenden Lichtball hätte sehen können. Unter ihnen spiegelte sich die Sonne in den unzähligen Türmen der Büros, aber die Hektik des Geschäftsviertels reichte nicht bis zu ihnen hinauf. Sie konnte zwar das Treiben der vielen Menschen auf den Straßen sehen, das entfernt an die Betriebsamkeit eines Ameisenstaats erinnerte, aber sie hörte nichts als das Rauschen des Windes in ihren Ohren. Es war wundervoll, diese Ruhe, dieser Ausblick; Es wäre noch wundervoller gewesen, wenn nicht die Gegenwart des Daiyoukai ihr jetzt gerade so unangenehm wäre. Der Flug dauerte nicht lange, denn Sesshoumaru flog in eiligem Tempo und so hatten sie die dicht aneinander gedrängten Häuser bald hinter sich gelassen. Grüne Felder bestimmten nun das Bild unter ihnen, doch schon bald verloren sie sich in einem immer dichter werdenden Wald, der die Berge am Horizont hinaufkroch. Je näher sie diesem kamen, desto spärlicher wurden die Anzeichen menschlicher Zivilisation, unberührte Natur lag vor ihnen. Sesshoumaru raste nun nicht mehr über den Himmel und ließ sich langsam tiefer sinken. Kagome vermutete, dass sie ihrem Ziel nahe waren und er versuchte den Rückzugsort der Pantheryoukai zu erspähen. „Ich rieche Rauch“, teilte er wenig später mit und landete mit ihr zwischen hohen Kiefern. Kaum hatten ihre Füße wieder festen Boden berührt, nahm Sesshoumaru Witterung auf. Immer wieder atmete er konzentriert die Luft ein und suchte nach der feinen Spur Qualm, die ihm am Himmel in die Nase gestiegen war. Sie wusste nicht, was sie tun konnte außer ihm Weg zu stehen, also lehnte sie sich gegen einen Baum und beobachtete Sesshoumarus Bemühungen. Er schien nun wirklich wieder in seinem Element zu sein, er streifte im Zwielicht der Bäume umher und untersuchte die Umgebung auf mögliche Spuren. Fasziniert folgte sie jeder seiner Regungen, jeder seiner geschmeidigen Bewegungen. Es wurde sofort deutlich, was seine eigentliche Natur war: Ein Jäger, ein Raubtier. Den bedauernswerten Wirt hatte er in der Stadt zurückgelassen. „Sie lagern nicht weit von hier, etwa zwei Stunden zu Fuß“, durchbrach er die Stille des Waldes und sah Kagome abschätzend an. „Drei Stunden“, korrigierte er sich einen Moment später abfällig. Es dauerte keine Sekunde und Kagome spürte die alte Wut in sich wieder aufkochen. Aber es würde sie ihrem Ziel nicht auch nur einen einzigen Schritt näherbringen, also verkniff sie sich eine schnippische Antwort. Das würde sie ihm schon heimzahlen! Ohne Vorwarnung verschwand er in den Büschen und machte sich auf den Weg. Kagome hatte Mühe ihm zu folgen und Schritt zu halten. Querfeldein liefen sie durch wild gewuchertes Unterholz, Sesshoumaru voran, der alles, was ihm im Weg wuchs, zerstörte und ein Stück dahinter eine immer frustrierter werdende Kagome, deren Beine auf dem kurzen Stück des Weges schon einige Schrammen erlitten hatten. Sich das laute Fluchen zu versagen war dabei die eigentliche Tortur, aber sie wollte nicht riskieren von einem umherstreifenden Panther entdeckt zu werden. Sesshoumaru war überrascht, dass sie ohne Beschwerden oder zu jammern den Gewaltmarsch mitmachte. Er sah deutlich aus dem Augenwinkel, dass es sie sehr anstrengte und sie es nicht gewohnt war durch unwegbares Gelände zu marschieren. Sie würden ihr Ziel wohl eher erreichen, als er erwartet hatte, er musste seine erste Einschätzung gedanklich korrigieren. Das änderte aber überhaupt nichts an der Tatsache, dass ihre Anwesenheit ihn nervös machte. Wie so oft war er hin und her gerissen was sie betraf. Auf der einen Seite war es ihm völlig zuwider, dass sie dabei war, auf der anderen machte er sich bereits Sorgen, ob sie bei dem Zusammentreffen mit dem Clan der Panther verletzt werden könnte und wie er sie schützen können würde. Doch bevor er sich über diese sich schon wieder in ihm entwickelnde Ambivalenz ärgern konnte, wurde seine Aufmerksamkeit auf eine Lichtung gelenkt, die sich vor ihm eröffnete. Schnell suchte er Deckung hinter den angrenzenden Bäumen um sich dem Blick des Wachpostens zu entziehen und deutete Kagome an sich still zu verhalten. Gerade noch rechtzeitig, den einen Moment später lief der Späher an ihrem Versteck vorbei. Als die Gefahr vorzeitig entdeckt zu werden gebannt war, flüsterte er: „Wir warten auf die Dämmerung. Bis dahin verschaffe ich mir einen Überblick über die Lage.“ Die Miko nickte zustimmend, fragte aber: „Was tue ich?“ „Still sein und warten.“ Mit nur einem Sprung war er in der dichten Krone eines Baums verschwunden. Wieder einmal schaffte er es, dass sie sich wie eine Idiotin fühlte. Enttäuscht setzte sie sich zwischen zwei Sträucher, die sie vor neugierigen Blicken verbargen. Es tat weh, dass er sie so offensichtlich von ihrer Unternehmung ausschloss und sie als Klotz am Bein sah. Der Stachel des abschätzigen Kommentars nach ihrer Landung saß ebenfalls noch tief. Natürlich war ihr Verhältnis zueinander im Moment sehr angespannt, aber warum hatte sie nun plötzlich wieder seine Achtung verloren? Vor jener verhängnisvollen Nacht hatte er sie respektvoller behandelt, er hatte sich ihr ein Stück weit geöffnet und den Anschein gemacht, dass ihm ihre Gesellschaft nicht unangenehm war. Jetzt war er wieder das kalte Ekelpaket, das sie vor fünfhundert Jahren getroffen hatte. Was hatte sie ihm getan, dass er sie nun so sehr verabscheute? Immerhin musste er wohl noch einen marginalen Nutzen in ihr sehen, da er sie mit hierher genommen hatte. Sie war die Miko mit den manchmal praktischen Fähigkeiten. Warum wurmte sie das so sehr, sie wollte ihn doch eigentlich vergessen und ihn aus ihren Gedanken verbannen! Wie lange dauerte das noch, bis er endlich von seiner Erkundung zurückkehrte, überlegte sie angespannt. Ihre Gedanken nutzten die beschäftigungslose Zeit um sich sinnlosen Spinnereien hinzugeben! „Wir müssen zur nordöstlichen Seite“, ertönte plötzlich Sesshoumarus Stimme neben ihr und jagte ihr einen furchtbaren Schrecken ein. Musste er sich auch immer so lautlos bewegen, hätte er sich nicht bemerkbar machen können, schimpfte Kagome empört in Gedanken. Wie so oft schluckte sie ihren Unmut herunter. „Wie gehen wir vor, was hast du gesehen?“ Sesshoumaru ging in die Hocke, um nicht gesehen zu werden, während er anfing das Notwendigste zu berichten. „Im Nordosten laufen zwar einige Panther Wache, aber von dort kommen wir am schnellsten zu der Scheune, in die sie Hanako gesteckt haben. Du bleibst hinter mir, wenn ich es sage, nimmst du sie und haust ab. Kein Geschrei, je weniger von denen mitbekommen, dass wir da sind, desto schneller sind wir da wieder raus.“ Kagome prägte sich seine Anweisungen gut ein und sah ihn dann sorgenvoll an. „Was ist, wenn sie uns entdecken? Oder wenn einer Alarm schlägt?“ „Das lass meine Sorge sein“, knurrte Sesshoumaru. „Was haben sie mit Hanako gemacht? Geht es ihr gut?“, schob Kagome eilig noch nach. Die Fragen gaben ihr Gelegenheit sich noch einen Moment länger in der Sicherheit des Unterholzes zu wiegen. „Sie haben wohl versucht sie dazu zu bringen ihre Auftraggeber zu verraten“, antwortete er kurzangebunden, aber Kagome konnte sich alles Weitere denken. Die Panther hatten versucht Hanako mit Gewalt zum Reden zu bringen, sicher war sie verletzt worden durch die brutalen Verhörmethoden. Es gab keine Zeit mehr zu verlieren, sie durfte jetzt nicht mehr zaudern! „Gehen wir“, sagte Kagome mit fester Stimme. „He, Zatsudan!“, rief einer der Pantheryoukai den Anführer der Gruppe, als er aus der baufälligen Scheune herauskam. Der Angesprochene saß an einem der zahlreichen Feuer, die zwischen den Gebäuden brannten und sah genervt auf. „Was ist jetzt schon wieder? Habt ihr’s endlich mal geschafft, was aus der Kleinen rauszukriegen?“ „Das ist es ja, sie will immer noch nicht singen, egal wie sehr wir ihr wehtun.“ Wütend sprang der Schwarzhaarige auf und ging auf seinen Lakaien zu. „Muss man denn hier alles selbst machen?“ Auf dem kurzen Weg ließ er die Knöchel seiner Hand knacken. Ruppig schubste er den jungen Mann beiseite, doch bevor er durch das weite Scheunentor treten konnte, wurde seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Aus der Dunkelheit des umliegenden Waldes näherte sich eine Silhouette und hielt direkt auf sie zu. „Kümmert euch darum!“, grollte er seine Mitstreiter an, die müßig herumstanden. Sofort rannten sie auf die Gestalt zu, doch kaum hatten sie sie erreicht, gingen sie unter lautem Schmerzensschrei zu Boden. Erstaunt beobachtete Zatsudan den Vormarsch des Unbekannten, er musste sich wohl doch selbst um das Problem kümmern. Mit der Diebin konnte er sich auch später noch ausgiebig beschäftigen. Einen Moment später jedoch lachte er höhnisch auf, denn der Unbekannte war in den Schein der Feuer getreten. „Was willst du hier, Sesshoumaru? Sag bloß, du warst es, der die beiden zu Boden geschickt hat!“ Grimmig setzte Sesshoumaru seinen Weg fort. Es gefiel ihm überhaupt nicht, dass er sich sofort mit dem großmäuligen Kopf der Bande auseinandersetzen musste. Zatsudan war ein unberechenbarer Hitzkopf, der sich viel auf die kümmerlichen Dämonenkräfte einbildete, die er sein Eigen nannte. Er war eine Spur stärker als die übrigen Hanyou seines Clans, deshalb war er ihr Anführer. Ohne Kampf würde er ihn nicht zur Aufgabe zwingen können. Genau das wollte er ursprünglich vermeiden, aber gegen diese Überheblichkeit war kein anderes Kraut gewachsen. „Gib mir Hanako“, sagte Sesshoumaru ruhig und blieb einige Meter vor seinem Gegner stehen. Die übrigen Panther hatten sein Eintreffen ebenfalls bemerkt und scharten sich neugierig hinter ihrem Boss. Verächtliche Blicke erreichten ihn, ebenso spöttisches Gelächter. Seine Leute im Rücken zu haben gab Zatsudan Auftrieb. „Und was wenn nicht? Was willst du dann tun? Mir wieder eine Predigt halten?“, konterte er mit vor Hohn triefender Stimme. Hinter ihm brach schallendes Gelächter aus. Sesshoumaru ließ sich nicht beeindrucken, er wiederholte seine Forderung erneut seelenruhig: „Lass sie gehen oder es wird dir leidtun.“ Die Meute bekam sich nun überhaupt nicht mehr ein, unter Gekicher bekam ihr Boss gerade noch heraus: „Mir soll es leidtun? Köstlich, überaus köstlich!“ Wieder schüttelte ihn ein Lachkrampf, doch er hatte sich schnell davon erholt. „Wenn du dich nicht sofort in dein Teehaus trollst, wird es dir leidtun! Was glaubst du, was du hier tust? Ein Schwächling gegen den gesamten Clan der Pantheryoukai? Verpiss dich, du Niemand, wenn dir dein Leben lieb ist! Geh Tee trinken, das ist gesünder!“ Kagome klopfte das Herz bis zum Hals. Die Panther hatten keine Ahnung wen sie da gerade bis aufs Blut reizten! Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Sesshoumaru es ihnen durchgehen lassen würde ihn so zu beleidigen, selbst jetzt in dieser Zeit. Es würde auf einen Kampf hinauslaufen, da war sie sich sicher und es würde in einem Blutbad enden, denn Sesshoumaru würde ganz gewiss keine Gnade walten lassen. Er war nun wieder fast sein altes Ich, wie er stolz und unnachgiebig vor der Bande stand. Die gleiche Ausstrahlung wie früher umgab ihn; unberechenbar, kalt, machtvoll und gnadenlos. Spürten das die Blödmänner denn nicht? Sein Youki war noch immer unterdrückt, aber es war doch klar zu erkennen, dass das eben kein Niemand war, der da vor ihnen stand! Aber der Gedanke löste Beklemmung in ihr aus. Seine Tarnung würde er in diesem Kampf aufgeben müssen, sein ruhiges Leben würde damit endgültig vorbei sein. Wieder einmal fühlte sie sich schuldig, denn am Anfang dieser Ereigniskaskade stand sie. Sie und diese eine betrunkene Nacht. Sesshoumaru schwieg auf diese erneute Frechheit hin. Dieses sinnlose Geschwätz war ihm schon immer zuwider gewesen. Verhöhnung und Prahlerei, um die eigene Schwäche zu kaschieren, so etwas hatte er nicht nötig. Ohne weitere Worte zu machen zog er sein Schwert aus dem Gürtel. Sofort schwoll das Gelächter wieder an, der Erste rollte sich auf dem Boden und hielt sich den Bauch. „Was willst du denn mit dem Zahnstocher?“, japste Zatsudan atemlos. Wieder schwieg Sesshoumaru. Es war einfach unter seiner Würde, etwas auf dieses Geschwätz zu geben oder gar zu erwidern. Gleich würde es ihm im Halse stecken bleiben. Die unbeeindruckte Gelassenheit und Ruhe seines Gegners machte den Anführer der Panther aber nun wütend. Nahm er ihn etwa nicht ernst? Er würde ihm gleich zeigen, dass mit ihm nicht zu spaßen war! Er griff hinter sich und zog eine Pistole aus dem Bund seiner Hose. „Dir werde ich dein Schweigen schon austreiben, gleich wirst du um Gnade winseln!“ Die anderen, die sich hinter ihm versammelt hatten, folgten seinem Beispiel und zogen ebenfalls ihre Waffen, hielten sich aber vorerst weiter im Hintergrund. Krachend fiel ein Schuss und Zatsudan lächelte siegesgewiss. Doch wider sein Erwarten sackte Sesshoumaru nicht getroffen zusammen. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit hatte er einen Schritt zur Seite gemacht und war der Kugel ausgewichen. Das konnte nicht sein, dachte der Panther, hatte er ihn etwa verfehlt? Wieder feuerte er und schoss sein gesamtes Magazin ab. Doch plötzlich verschwand sein Gegner für sein Auge, immer wieder blitzte er nur für einen Wimpernschlag lang auf. Wich er etwa den Kugeln aus? Das war unmöglich, so schnell konnte sich niemand bewegen! Sesshoumaru stand wieder ruhig an seinem Ausgangspunkt. Er spürte all die erstaunten und ungläubigen Blicke auf sich, doch sein Gesicht zeigte nicht die Spur einer Regung. Wenigstens hatte das dumme Gequatsche nun aufgehört, da die Hanyou nun offensichtlich Angst hatten; Der Gestank ihrer Furcht brannte ihm in der Nase. Bakusaiga flammte nun in grünem Licht auf, die ganze Zeit zuvor war das Schwert noch unscheinbar gewesen und hatte seine wahre Kraft versteckt. Mit einem großen Schwung entfesselte der Daiyoukai eine Welle purer Zerstörung, die auf die Panther zurollte. Das gleißend helle Licht verzehrte jeden, der damit in Berührung kam. Einige wenige, unter ihnen Zatsudan, waren geistesgegenwärtig gewesen und geflüchtet. Er hatte sich mit einem Hechtsprung gerettet und sah nun fassungslos, was der Angriff hinterlassen hatte. Durch den gesamten Hof war eine Schneise der Verwüstung gezogen, Trümmer lagen verstreut herum. Dazwischen sah er die Überreste seiner Kameraden, abgerissene Gliedmaßen, zerfetzte Körper und einige, die gerade ihr Leben aushauchten. Was war das gewesen? Wieder sah er zu Sesshoumaru, der nun mit demonstrativer Langeweile das Schlachtfeld betrachtete. Das Schwert in seiner Hand leuchtete aber immer noch, ein grünlich leuchtendes Feuer umhüllte es. Langsam schwante Zatsudan, dass der Schein trog und der mysteriöse Teehausbesitzer mehr war, als er zu sein vorgab. Was er da in den Händen hielt, musste wohl eins jener Dämonenschwerter sein, von dem er in Legenden erzählt bekommen hatte. Wer war dieser Sesshoumaru wirklich? Er schien nicht nur aus nostalgischen Gründen die Vergangenheit in seinem Teehaus zu bewahren. Langsam rappelte sich der Panther wieder auf und gab sich Mühe möglichst unbeeindruckt auszusehen; Lässig klopfte er sich den Staub von der Kleidung. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog eine kleine steinerne Tafel hervor, die von Schriftzeichen bedeckt war. „So, du willst also die alten Geschichten lebendig werden lassen? Den Wunsch erfülle ich dir gerne!“ Vorsichtig stellte er die handgroße Platte auf den Boden und kniete sich davor. Seine Finger formten eigentümliche Zeichen, sein Mund murmelte eine Beschwörung in einer fremdartigen Sprache. Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn des Pantherhanyou und rannen über sein Gesicht. Was immer er da versuchte, es strengte ihn enorm an. Kagome stand noch immer ein Stück hinter Sesshoumaru, aber sie spürte auch von dort, wie der Funken des Youki in dem knienden Hanyou anschwoll. Eigenartig, sie hatte bei all den Hanyou der Neuzeit noch nie gespürt, dass sie ihr Youki kontrollieren konnten, was ging da vor sich? Schwer atmend sandte Zatsudan schließlich einen schwach leuchtenden Hauch seines dämonischen Erbes durch die in einer komplizierten Geste verkrampften Finger. Als der Funken die Tafel erreichte, flammten die Schriftzeichen in rotem Licht auf. Nebel umhüllte den kleinen Schrein und schwoll schnell zu einer riesigen Wolke an. Ängstlich überlegte Kagome, was der Panther da nur beschworen haben könnte. Sesshoumaru dagegen sah sich das Schauspiel in seiner üblichen Gelassenheit an. Kapitel 20: auf alte Zeiten --------------------------- 20 – auf alte Zeiten Immer höher türmte sich der rot leuchtende Rauch, er reichte bereits über die Giebel der umliegenden Dächer. Youki entlud sich an den Schwaden, etwas braute sich in dem Inneren zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen, aus denen der Wahnsinn schien, begutachtete Zatsudan zufrieden sein Werk. Sein Mund war zu einer irre lachenden Fratze verzerrt. „So, du willst einen Kampf wie in alten Zeiten? Dann kämpfe gegen einen Gegner aus der alten Welt!“, schrie er durch das laute Toben der aus der Tafel strömenden Kraft. Mit einem gewaltigen Donnerhallen leuchtete die Rauchsäule auf und gab eine gigantische, geisterhafte Gestalt frei. Aus gelb leuchtenden Augen nahm ein riesiger Panther den ehemaligen Herrn der westlichen Länder in Augenschein und sah verächtlich auf ihn herab. Von seinem Kopf gingen drei lange Dornen ab, auch aus seinem Nacken ragten zwei spitze Hörner. Sein Körper steckte in einer Plattenrüstung, die sich schützend über die breiten Schultern legte, ein geschuppter Panzer verbarg die Brust. Über das katzenhafte Gesicht huschte ein Lächeln, das von den Reißzähnen unterbrochen wurde. Doch dieser beschworene Dämon war nicht real, er war ein Gespenst aus tiefer Vergangenheit in astraler Gestalt. Bedrohlich spreizte er die Krallen in unausgesprochener Drohung. Überwältigt starrte Kagome den Geist an, Angst kroch in ihre Glieder. Doch irgendwie kam er ihr seltsam bekannt vor, sie hatte diese riesige Katze schon einmal gesehen, aber wo nur? „Verneig dich vor dem Daiyoukai der Panther, Sesshoumaru! Mit seiner Hilfe werden wir das alte Reich des Südens wieder errichten und die Pantheryoukai wieder zu den rechtmäßigen Herrschern über die Youkai machen!“ Die Stimme Zatsudans überschlug sich bei diesem Aufruf, er kniete immer noch neben dem Schrein, der scheinbar den Geist dieses Daiyoukai im Diesseits gehalten hatte. Sofort fiel Kagome ein, warum ihr das alles so bekannt erschien. Sie hatte zusammen mit Inuyasha und auch Sesshoumaru im Mittelalter schon einmal gegen diesen Geist gekämpft! Damals hatten auch einige machthungrige Panther versucht mit Hilfe einiger Juwelensplitter und Seelen von gefangenen Menschen den toten Körper dieses Monsters wieder zum Leben zu erwecken. Sie wollten die Niederlage gegen Sesshoumaru rächen und auch damals schon wollten die Panther ihren Herrschaftsanspruch mit aller Gewalt durchsetzen. Zum Glück hatten es die beiden Hundedämonen mit vereinten Kräften geschafft den untoten Daiyoukai zu besiegen. Lange davor war das irdische Leben dieser überdimensionalen Katze bereits von Sesshoumarus und Inuyashas Vater beendet worden, etwas, wofür der wiedererweckte Dämon ebenfalls Rache nehmen wollte. Kagome stellte überrascht fest, dass es die durchtriebenen Panther wohl wieder geschafft hatten den Geist ihres Anführers vor dem Jenseits zu bewahren. Erkannte ihn Sesshoumaru auch, fragte sich Kagome. Mit stoischer Gelassenheit stand er mit gezogenem Schwert vor seinem überwältigend großen Gegner, aber wie immer verriet seine kalte Fassade nicht, was in ihm vorging. Die ganze Rettungsaktion war vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Bis eben hatte Kagome noch gehofft, dass sie die Panther besiegen könnten ohne Sesshoumarus vollständige wahre Identität preisgeben zu müssen. Er hätte seine plötzlichen Kräfte auf das Schwert schieben können, er hatte ja kaum einen Bruchteil seiner eigentlichen Macht gezeigt. Doch gegen einen Daiyoukai musste auch Sesshoumaru seine Kraft als Daiyoukai einsetzen. Er hatte keine andere Wahl, wenn er diesen Kampf gewinnen wollte. „Ein Menschenmädchen und ein Möchtegerndämon wollen sich mir in den Weg stellen? Das ich nicht lache!“, donnerte die tiefe Stimme des Geistes über sie hinweg. Hämisch fragte Zatsudan, der sich hinter seiner Beschwörung in Sicherheit gebracht hatte: „Na, machst du dir schon in die Hose vor Angst? Du Schwächling hast keine Chance!“ Letztlich konnte Kagome nicht sagen, welche der beiden Sticheleien es war, die Sesshoumarus Geduldsfaden zum Reißen brachte. Wütend sah er auf seine Gegner, fixierte sie mit seinem Blick. Sein Stolz hatte die ganze Zeit über schon unter den Beschimpfungen gelitten, Kagome war erstaunt, dass er überhaupt so lange so ruhig geblieben war. Plötzlich umspielte ein mordlustiges Grinsen seine Lippen und er schlenderte in aufreizender Gelassenheit auf seine beiden Gegner zu. Voller Vorfreude auf den bevorstehenden Kampf ließ er die Knöchel seiner freien Hand knacken. „Ihr mickrigen Kätzchen seid noch nie ein Gegner für mich gewesen. Nicht jetzt, nicht früher; nicht für mich, nicht für meinen Vater. Nicht mal mit meinem armseligen Halbbruder seid ihr fertig geworden!“, schnaubte Sesshoumaru verächtlich. Verdutzt schaute Zatsudan seinen Meister nach Rat suchend an, doch auch der konnte sich keinen Reim auf das machen, was ihnen gerade entgegen gespien wurde. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Bürschchen?“, brüllte der Geist zornig auf und versuchte damit wohl seine Ratlosigkeit zu verbergen. Fest umschloss er mit seiner linken Hand das kleine Holzplättchen, das um seinen Hals baumelte. Dann riss sich Sesshoumaru den Talisman vom Hals, der sein wahres Wesen Jahrhunderte vor der Welt versteckt hatte. Machtvoll entlud sich seine Aura, die endlich von ihren Fesseln befreit worden war und stürmte den Panthern entgegen. Seine Geburtssymbole, die ihn als Daiyoukai auswiesen, kamen wieder zum Vorschein, fein geschwungene magentafarbene Streifen zogen sich über seine Wangen und das Wappen des Westens, der blaue sichelförmige Halbmond, zeigte sich wieder auf seiner Stirn. Auch um seine Handgelenke legten sich wieder die purpurfarbenen Male. Kagome stockte der Atem; der Daiyoukai des Westens war wieder aus den Schatten getreten. Die Panther reagierten aber mit deutlich weniger Ehrfurcht. Verwirrt sahen sie Sesshoumaru an und versuchten zu verstehen, was geschehen war. Er hatte jetzt bunte Zeichen im Gesicht, aber was machte das schon für einen Unterschied? Die Überraschung hielt nicht lange an, schnell kehrte das überhebliche Grinsen in Zatsudans Gesicht zurück. Nur der Geist des Daiyoukai verstand, was sein Gegner soeben offenbart hatte. Die übrigen Hanyou konnten weder Auren spüren, noch wussten sie, was diese Symbole zu bedeuten hatten, aber dem großen Pantheryoukai gefroren die Gesichtszüge. Schreckgeweitete Augen konnten nicht aufhören den Inuyoukai anzustarren. Zatsudan bemerkte die plötzliche Zurückhaltung seines Meisters, es irritierte ihn. Hatte der Geist etwa Angst? „He, krieg dich wieder ein, der hat nur ein bisschen Schminke im Gesicht, na und? Er hat trotzdem keine Chance gegen dich!“, kommentierte er entspannt die schockierte Reaktion des Geistes. Doch dieser achtete gar nicht mehr auf die Bande Rowdys zu seinen Füßen. „Unmöglich!“, stieß der untote Daiyoukai mit zitternder Stimme aus, „Du bist vor über vierhundert Jahren verschwunden. Es gibt keine Inuyoukai mehr, du musst schon lange tot sein!“ „Du wolltest doch einen Kampf wie in alten Zeiten!“, knurrte Sesshoumaru mit grimmiger Freude. Der Schock der überrumpelnden Erkenntnis ließ nicht nach, fassungslos erklärte der Geist: „Der Daiyoukai des Westens ist tot, der Westen ist untergegangen! Du kannst es gar nicht sein!“ Jetzt wurde sogar Zatsudan stutzig. Hatte er eben richtig gehört? Sesshoumaru sollte ein Daiyoukai sein? Derselbe Sesshoumaru, der das heruntergekommene Teehaus betrieb? Wenn dem so war, warum lebte er dann so ärmlich und zurückgezogen? Angespannt überdachte Zatsudan die gesamte Situation; Er hatte vollkommen die Kontrolle über diesen Kampf verloren. Kagome nutzte die allgemeine Verwirrung und huschte in einem Bogen um den ganzen Kampfplatz herum. Ungesehen schaffte sie es bis zur seitliche Außenwand der Scheune, in der Hanako gefangen gehalten wurde. Selbst die Wächter waren von dem Aufeinandertreffen der beiden Daiyoukai so gebannt, dass sie gar nicht bemerkten, wie in ihrem Rücken jemand durch die Tür schlüpfte. Kagome brauchte einen Moment, bis sich ihre Augen an das schummrige Halbdunkel gewöhnt hatten, aber dann entdeckte sie Hanako. Die Hanyou lag gefesselt am Boden im Staub mit dem Kopf zur Rückwand. Ihre Kleidung war an einigen Stellen eingerissen, Kratzer überzogen ihren Rücken. Die Panther hatten es tatsächlich gewagt der Kleinen etwas anzutun! Kagome kniete sich neben sie und berührte sie vorsichtig an der Schulter. Noch bevor die Hanyou vor Schreck aufschreien konnte, flüsterte sie: „Ich bin’s, Kagome! Sei still, ich hol dich hier raus.“ Sofort riss Hanako ihren Kopf mühsam herum und starrte die junge Frau ungläubig an. Für Wiedersehensfreude hatten sie aber keine Zeit, auch nicht für weitere Erklärungen. Hastig machte sich Kagome daran die Fesseln zu lösen, doch die Riemen waren einfach zu fest verknotet. Ohne Messer oder etwas Scharfem würde sie sie nicht befreien können. „Ganz hinten in der Ecke ist ein Verschlag, da lagern sie Waffen drin“, murmelte Hanako leise, als sie Kagomes vergebliche Bemühungen bemerkte. „Dort findest du sicher etwas, mit dem du die Riemen durchtrennen kannst.“ Das ließ sich Kagome nicht zwei Mal sagen. Flink huschte sie tiefer in die Dunkelheit hinein und entdeckte auch gleich den erwähnten Verschlag. An die Rückwand der Scheune war eine Art Bretterschuppen gezimmert worden, dessen Tür zum Glück nicht verschlossen war. Kaum hatte sie sie geöffnet, entdeckte sie auf einem der Regalböden ein altes Messer, das aber noch scharf wirkte. Eilig überflogen ihre Augen die anderen gelagerten Gegenstände, vielleicht fand sie ja noch etwas, das hilfreich sein konnte. Jede Menge rostige Schwerter waren aufbewahrt, sogar einige Gewehre. Doch in der hintersten Ecke entdeckte Kagome etwas, das ihr wirklich nützlich sein konnte. In einen alten, ledernen Köcher gestopft stand dort ein Bogen an die Seitenwand gelehnt. In dem Köcher befanden sich sogar noch eine Handvoll Pfeile. Vorsichtig zog sie das Bündel aus dem Verschlag und versuchte keinen Lärm zu machen. Der Bogen war alt und nicht in bester Verfassung, aber würde ihren Zwecken genügen, stellte Kagome zufrieden fest. Jetzt fühlte sie sich deutlich besser, denn jetzt war sie nicht mehr hilflos und auf Sesshoumarus Schutz angewiesen. Sie schnappte sich auch das Messer und schlich sich zu Hanako zurück. Mit einigen kräftigen Schnitten hatte sie schließlich Hanako befreit. Vorsichtig rieb sich das Mädchen die geschundenen Handgelenke, die Fesseln waren viel zu fest gewesen und hatten eingeschnitten. „Geht es dir gut?“, fragte Kagome sie leise, „Kannst du laufen?“ „Ja, es wird schon gehen“, antwortete Hanako ebenso flüsternd und stellte sich auf die immer noch wackligen Beine. „Was ist da draußen passiert? Ich habe Geschrei und ein lautes Donnern gehört.“ „Sesshoumaru kämpft gegen die Panther“, klärte Kagome sie schnell auf, „Sie haben den Geist eines alten Daiyoukai beschworen und gleich wird es hier ungemütlich!“ Gebückt schlichen die beiden an der Wand entlang zum Tor der Scheune. Die Wachposten hatten immer noch alles um sich herum vergessen und so schafften sie es zwischen die Schatten der anderen zerstörten Gebäude zu schlüpfen und wieder den Bogen, den Kagome auch auf dem Hinweg gegangen war, zurück hinter Sesshoumaru zu laufen. Keiner der Panther hatte Hanakos Befreiung bemerkt, nur Sesshoumaru hatte gesehen, wie Kagome zunächst in die Scheune hinein geschlichen war und kurze Zeit später sich mit der Hanyou wieder davon stahl. Die Miko hatte sich dort drinnen sogar bewaffnet, stellte er zufrieden fest. Ein Umstand, der ihm sehr gelegen kam, denn nun konnte er sich ohne Rücksicht auf Verluste um die Panther kümmern; Hanako war in Sicherheit und er musste keine Angst haben sie versehentlich zu verletzen. Wieder einmal war die Miko überraschenderweise doch nützlich. „Ich werde euch Panther nun für alle Zeiten ausmerzen. Ihr seid mir das letzte Mal in die Quere gekommen“, drohte Sesshoumaru mit frischer Kampfeslust. Zum ersten Mal seit der Vernichtung des Westens ließ er seiner Kraft freien Lauf. Alle Fesseln um sein Youki sprengte er und der Sturm nahm von neuem Fahrt auf. Selbst die unwissenden jungen Panther spürten nun deutlich seine Macht, dass das nicht irgendein Dämon war, der ihnen gegenüber stand. Lichtbögen bildeten sich, die Luft knisterte und immer wieder entlud sich die dämonische Energie. Plötzlich leuchteten Sesshoumarus Augen rot auf und eine weitere Welle seiner Aura fegte über den Boden und riss einige der Hanyou von den Beinen. Langsam begann sein Gesicht sich zu verformen, die Nase wurde länger, bildete mit dem Mund eine Schnauze. Dann verschwand er mit einem Mal in einer Lichtkugel und schwebte einige Meter über dem Boden. „Was passiert da?“, fragte Hanako ängstlich, die zusammen mit Kagome alles aus sicherer Entfernung beobachtete. „Warum blitzt es so und was ist mit Sesshoumaru passiert?“ Selbst Kagome musste schlucken, ehe sie ehrfürchtig wisperte: „Das ist seine wahre Stärke, das war alles seine Kraft, die du gespürt hast. Jetzt verwandelt er sich in seine Dämonengestalt.“ Sie hatte es schon einige Male gesehen, wie Sesshoumaru sich verwandelt hatte im Kampf gegen Naraku und seine Abkömmlinge, aber es war immer noch eindrucksvoll und einschüchternd. Hanako schien nicht zu verstehen, was Kagome mit verwandeln meinte, aber noch bevor sie die Frage aussprechen konnte, bebte die Erde. Ein riesiger, weißer Hund sprang aus der Luft und landete auf dem Boden vor dem Geist des Pantheryoukai. War das etwa Sesshoumaru, fragte sich Hanako aufgeregt. Der Hund trug ebenfalls die blaue Mondsichel auf der Stirn, rote Streifen umrahmten das riesige Maul, aus denen scharfe Fänge ragten. Jetzt ergab es auch für Hanako Sinn, warum Sesshoumaru sein Teehaus „Zum weißen Hund“ genannt hatte. Kapitel 21: eine rettende Idee ------------------------------ 21 – eine rettende Idee Der riesige Dämonenhund bleckte die Fänge und knurrte seinen Gegner wütend an. Langsam zog er seine Kreise um den Pantherdaiyoukai und wartete auf den richtigen Moment zum Angriff. Immer wieder troff Gift aus seinem Maul, das den Boden verätzte, sobald es auf ihn fiel. Die alten Häuser rings um ihn herum interessierten Sesshoumaru nicht; stand eines davon im Weg, schlug er es mit seinen Pranken klein. Der Großteil des Rückzugsorts der Panther war inzwischen zerstört, die baufälligen Gebäude lagen in Trümmern und auch die Fahrzeuge waren fast alle zerstört. Sesshoumaru schien gründlich vorgehen zu wollen, überlegte Kagome. Die vielen anderen Hanyou, die zunächst noch ihren Anführer und den Geist frenetisch angefeuert hatten, waren in Panik geflohen. Einige wenige Mutige hatten am Rand des angrenzenden Waldes Schutz gesucht und beobachteten aus ihren Verstecken den Kampf der beiden Giganten. Nur Zatsudan harrte immer noch an Ort und Stelle aus, kniete immer noch am Boden neben der Steintafel, mit der er den Geist des alten Pantherdaiyoukais beschworen hatte. In seinem Blick spiegelten sich Faszination und Furcht, aber die Überraschung über das wahre Wesen seines Gegners hielt ihn noch immer gelähmt. Staunend erforschten seine immer noch weit aufgerissenen Augen jedes Detail des massigen Hundekörpers. Jeder Muskel war angespannt, zeichnete sich deutlich unter dem weißen Fell ab, stolz und aufrecht stand Sesshoumaru in Mitten der Zerstörung, die er über den Hof gebracht hatte. Wieso hatte er diese unbändige Kraft nur die ganze Zeit versteckt, grübelte Zatsudan noch immer. Warum hatte er sich in seinem Teehaus eigeigelt, er hätte doch ohne weiteres die verbliebenen Dämonen unter sich versammeln und sie neuer Größe führen können. Doch er hatte nun keine Zeit mehr über die Motive des Inuyoukai zu rätseln, denn schon stürzten sich die beiden Daiyoukai aufeinander. Ohne Mühe wich Sesshoumaru jedem Schlag des Panthers aus und blieb zunächst passiv. Er beobachtete seinen Gegner genau, analysierte seine Bewegungen und legte ihn sich Stück für Stück zu Recht. Sobald sein Gegner auch nur einen Fehler machen würde, auch nur ein winziges Loch in der Deckung aufblitzen würde, konnte er zu einem vernichtenden Schlag ausholen. Warum sollte er seine Kräfte in diesem sinnlosen Scharmützel verschwenden? Er hatte es nicht nötig so zu versuchen seine Widersacher zu beeindrucken. Schwungvoll holte der Panther immer wieder aus und versuchte Sesshoumaru mit einem Schlag seiner Klauen zu erwischen, aber egal wie hart oder schnell er zuschlug, der große Hund entzog sich ihm geschickt. Die Frustration stieg an, es machte den Geist wütend, dass er so vorgeführt wurde. „Bleib endlich stehen, du feiger Hund!“, fauchte er, nachdem ein mächtiger Schwinger wieder nicht sein Ziel getroffen hatte. Mit herkömmlichen Methoden war dem Inuyoukai nicht beizukommen, das sahen auch die stummen Beobachter am Rand des Waldes. Mit herausfordernder Gelassenheit stand Sesshoumaru wieder vor dem Geist und hatte ihn fest mit seinem Blick fixiert. Aber er blieb weiter stumm; diese erbärmlichen Panther verdienten seinen Spott nicht. Plötzlich entlud sich krachend ein Blitz neben Sesshoumaru, dem er gerade noch im letzten Moment ausweichen konnte. „Haha, jetzt wollen wir mal sehen, wie schnell du wirklich bist“, lachte der Panther atemlos. Über den drei Hörnern, die von seinem Kopf abgingen, hatte sich ein pulsierender Kugelblitz gebildet, dessen Ausläufer ungeduldig zuckten. Wenn dem Hund nicht mit roher Gewalt beizukommen war, dann mit Magie! Kurz hintereinander zuckten wieder Blitze durch die Luft, das Zischen durchschnitt die Luft. Den ersten zwei konnte Sesshoumaru noch ausweichen, doch Nummer drei und vier schnitten ihm den Weg ab und der Fünfte schlug in seiner Brust ein. Durch die Wucht wurde er nach hinten geschleudert und schlug krachend in einem der Trümmerberge ein. „Dir werde ich deinen Hochmut austreiben, du Hund! Dir werde ich Respekt vor den Pantheryoukai beibringen!“, kommentierte der Geist seinen ersten erfolgreichen Angriff. Doch Sesshoumaru war immer noch unbeeindruckt. Obwohl er sichtbar verletzt war und sicher mit Schmerzen zu kämpfen hatte, stand er wieder auf, schüttelte sich den Staub aus dem Fell und nahm seinen Gegner wieder in Augenschein. Innerlich aber arbeitete sein messerscharfer Verstand konzentriert. Diese Blitze waren ein Problem, er konnte immer nur einem auf einmal ausweichen und seine Deckung lag während des Ausweichmanövers offen. Den Treffer von eben hatte er gut weggesteckt, doch spurlos war er nicht an ihm vorbei gegangen. Lange würde er dem magischen Gewitter des Geists nicht widerstehen können, er musste seine Taktik ändern. Noch bevor der Pantherdaiyoukai die nächste Salve abfeuern konnte, stürzte Sesshoumaru sich auf ihn und schlug seine giftigen Fänge in seinen Gegner. Wenn die Verletzung ihn nicht töten würde, dann wenig später das Gift. Doch sein Gegner schüttelte ihn wieder ab wie ein lästiges Insekt. Der Angriff hatte überhaupt keine Wirkung auf ihn, er verpuffte einfach! Der Geist bekam sich nun nicht mehr ein vor höhnischem Gelächter, er hielt sich den Bauch und prustete: „Ich bin nicht von dieser Welt, deine Kraft ist wirkungslos gegen mich! Du kannst mir nichts entgegensetzen, also gib endlich auf und lass dich töten!“ Nach außen hin ließ sich der Inuyoukai nichts anmerken, doch seine innere Ruhe war hektischen Überlegungen gewichen. Verdammt, wie hatte er das nur nicht bedenken können! Der Panther war ein Geist, weder Kralle noch Gift konnte ihm etwas anhaben. Er war ein Geist, ein Wesen des Jenseits und daher nur mit einer Waffe des Jenseits zu besiegen. Genau wie damals im Kampf gegen Magatsuhi, den bösen Geist des Juwels; und auch den Kampf vor 500 Jahren gegen den damals schon untoten Pantherdaiyoukai konnte er nur dank des Erbes seines Vaters gewinnen. Nur ein Schwert auf der Welt war mächtig genug einen astralen Körper zu verletzen, doch Tenseiga ruhte in seiner Halterung über seiner Schlafstätte im Teehaus. Warum nur hatte er es nicht mitgenommen, verfluchte Sesshoumaru sich selbst. Früher hatte er es aus reiner Gewohnheit immer getragen, doch inzwischen war er zu stolz geworden das Schwert seines Vaters zu tragen. Er hatte seine eigene, viel mächtigere Waffe, doch Bakusaiga war hier und heute nutzlos. „Warum greift Sesshoumaru nicht wieder an?“, fragte Hanako flüsternd Kagome, die neben ihr hinter einem umgestürzten Baum kniete und der Dinge harrte. Besorgt beobachtete die Miko die beiden riesigen Kontrahenten; Der Geist des Panthers zum nächsten Angriff bereit, Sesshoumaru in defensivster Haltung. Er war beeinträchtigt durch den harten Treffer und auch sie hatte begriffen, dass seine Kraft gegen den Geist wirkungslos war. Was für Angriffsoptionen blieben ihm? Blieb ihm überhaupt noch eine Möglichkeit diesen Kampf zu gewinnen? „Kagome?“, riss das wiederholte Nachfragen Hanakos sie aus ihren Gedanken. Sie hatte vollkommen vergessen, dass die Kleine ihr eine Frage gestellt hatte. „Er überlegt. Das ist eine andere Art Kampf, als das, was du bisher kanntest.“ Kagome brachte es nicht übers Herz dem Hanyoumädchen die Wahrheit zu sagen. Es sah verdammt schlecht aus für Sesshoumaru, wenn er selbst in seiner Dämonengestalt keine Möglichkeit fand seinem Gegner Schaden zuzufügen. Tenseigas Fähigkeit Wesen aus der anderen Welt zu zerteilen kam ihr sofort in den Sinn, aber er hatte es nicht bei sich. Sie hatte auch keine Möglichkeit zum Teehaus zu eilen und es zu holen, denn sie konnte nicht in atemberaubender Geschwindigkeit fliegen wie der Daiyoukai. Ängstlich sah sie zu ihm herüber. Würde er eine Möglichkeit finden doch zu siegen? Wieder und wieder schlugen die Blitze mit lautem Donnerhall in dem riesigen, weißen Hund ein. Sesshoumaru war inzwischen schwer getroffen und wurde deshalb langsamer in seinen Reaktionen. Doch gerade dadurch musste er noch weitere Treffer einstecken, weil er immer weniger von ihnen ausweichen konnte. Sein Atem ging schwer, er wirkte erschöpft; doch er gab nicht auf. Die nächste Salve prasselte bereits auf ihn ein, der Panther gönnte ihm keine Atempause und nutzte gnadenlos die fortschreitende Erschöpfung seines Gegners aus. Nun, da seine Reflexe nicht mehr so schnell waren, konnte er Sesshoumaru auch wieder mit seinen Klauen angreifen. Die meisten dieser Hiebe wurden zwar geblockt, aber über Sesshoumarus Brust zog sich eine hässliche, tiefe Fleischwunde. Die Kraft verließ langsam, aber stetig den stolzen Daiyoukai des Westens. Schließlich verwandelte er sich wieder in seine menschliche Erscheinung zurück; es strengte einfach zu sehr an die Hundegestalt aufrecht zu erhalten und es brachte ihm nicht einmal einen Vorteil. Der große Hund verschwand in einer Lichtkugel und zum Vorschein kam ein erschöpfter Kämpfer, der sich haltsuchend auf sein Schwert stützte. Nun konnten auch Kagome und Hanako das ganze Ausmaß seiner Verletzungen sehen. Die Wunde, die sich über seine Brust zog, war zum Glück nicht allzu tief und er hatte es geschafft mit Hilfe seines Willens die Blutung zu stillen. Sein Hemd war am Rücken völlig zerfetzt, die Einschläge der vielen Blitze waren dort deutlich zu sehen. Die Anmut und machtvolle Ausstrahlung, die ihn sonst immer umgab, waren weggeblasen. Nicht einmal er konnte seine Mattheit und Abgeschlagenheit verbergen. Mit einem wütenden Knurren zog er plötzlich wieder Bakusaiga und feuerte eine Welle der zerstörerisch wütenden Energie in Richtung des Panthers. Er zielte dabei aber nicht auf den großen Geist, denn das wäre so oder so vergebens. Die Woge steuerte genau auf den – inzwischen deutlich kleinlauteren – Zatsudan zu, genauer gesagt auf die kleine und unscheinbar wirkende Steintafel vor ihm. „Dass du da erst jetzt draufkommst! Ich bin enttäuscht, Sesshoumaru, ich hätte wirklich mehr von dir erwartet“, kommentierte der Geist zynisch das zunehmend verzweifelte Aufbäumen seines Gegners. Angespannt folgte Sesshoumarus Blick seiner Attacke, doch er musste mit ansehen, wie sie an einem Bannkreis zerschellte. Der Geist hatte sich wohl schon lange rückversichert, deshalb hatte er ihn auch beinahe dazu aufgefordert, um sich an seiner Enttäuschung zu weiden. Wenn er Tessaiga mitgenommen hätte, dachte Sesshoumaru zerknirscht, dann wäre dieser Bannkreis nun kein Hindernis. Aber auch dieses Schwert seines Vaters hing in der hölzernen Halterung an der Wand seines Zimmers. „So, das fängt an mich zu langweilen“, hallte die Stimme des Geistes über das Feld, „Beenden wir das!“ Beschwörend hob er die Arme und sammelte die Energie des grollenden Gewittersturms in einem einzigen, gewaltigen Kugelblitz. Die Anstrengung brachte seine Arme zum Zittern, all seine Aufmerksamkeit war auf diese finale, mit Sicherheit tödliche Attacke konzentriert. Er hatte seine Deckung fallengelassen, er wäre nun nicht in der Lage einer Attacke auch nur auszuweichen, aber er musste sich keine Sorgen machen. Sesshoumaru war nicht mehr in der Lage dazu, geschlagen stand er vor ihm, einzig sein Stolz und das stützende Schwert hielten ihn noch auf den Beinen. Kagomes Herz schlug wild in ihrer Brust, Angst hielt es fest umschlungen und nahm ihr fast die Luft. Sesshoumaru konnte nichts ausrichten gegen seinen Gegner, der gerade zum alles entscheidenden Schlag ausholte. Wenn ihr nicht sofort die rettende Idee käme, bedeutete das das Ende des Daiyoukai! Der Gedanke versetzte ihrem Herzen einen Stich; egal was alles war, egal was für ein großes Ekel er auch zu ihr sein würde, sie wollte ihn nicht verlieren! Die Angst um ihn verbündete sich in ihrem Innersten mit der unterdrückten Zuneigung, gemeinsam rangen sie den zaudernden Verstand nieder. Es war natürlich blanker Selbstmord einfach ohne einen Plan sich in diesen Kampf einzumischen, aber sie hielt es nicht mehr aus untätig in ihrer sicheren Deckung auszuharren. Sie sprang auf und eilte an Sesshoumarus Seite. „Kagome, nein! Komm zurück!“, hallte ihr Hanakos panische Stimme hinterher, aber die Worte erreichten Kagome schon nicht mehr. Fieberhaft überschlugen sich die Gedanken in ihren Kopf. Was konnte sie bloß tun, um Sesshoumaru zu retten? Sie spürte das Tosen und Rauschen ihrer Kräfte in ihr, der ruhige Fluss ihres Reikis hatte sich in einen reißenden Strom verwandelt, bereit alles hinfort zu spülen, was ihm in die Quere kam. Aber würde ihre Kraft ausreichen einen Daiyoukai, auch nur dessen Geist, zu läutern? Kaum war sie bei dem verletzten Dämon angelangt, baute sie sich schützend vor ihm auf. „Verschwinde“, knurrte Sesshoumaru kraftlos, als er sich ihrer Anwesenheit bewusst wurde, „Nimm Hanako und hau endlich ab!“ „Nein, ich lass dich nicht im Stich!“, entgegnete sie entschieden und ihr wacher Blick huschte über ihre Gegner auf der Suche nach einem Schwachpunkt. Dabei blieben ihre Augen an der steinernen Beschwörungstafel hängen. Hatte nicht Sesshoumaru eben noch versucht sie zu zerstören? Die Tafel müsste der Anker sein, der den Geist mit dem Diesseits verband, überlegte Kagome angestrengt. Wenn man sie zerstören würde, dann… aber Sesshoumaru war eben schon daran gescheitert… Plötzlich hatte sie eine Idee! Kagome griff hinter sich und zog den alten Bogen aus dem Köcher zusammen mit einem Pfeil, den sie sofort in die etwas ausgeleierte Sehne spannte. „Oh, willst du mich etwa wie einen kleinen Poltergeist austreiben, Miko?“, spottete der Geist, als er die plötzlich stärker aufflammende Kampfeslust in den Augen der jungen Frau vor ihm sah. „Ich werde dich dahin schicken, wo du hin gehörst!“, antwortete die Miko kaltschnäuzig und nahm ihr Ziel ins Visier. Sesshoumaru wurde plötzlich aus seiner Lethargie gerissen, seine Sinne spielten verrückt, sein Youki alarmierte ihn. Müde öffnete er seine schweren Augen und spürte, wie Kagomes Kräfte mit einem Mal anschwollen, sie einhüllten. Was hatte sie vor? Sie konnte doch nicht wirklich so naiv und blöd sein und den Geist direkt angreifen wollen? „Triff!“, rief Kagome dem Pfeil hinterher, der sofort von dem gleißenden, heiligen Licht umfangen wurde und mit einer unbändigen Kraft in seinem Ziel einschlug. Der Bannkreis um die Tafel konnte dem Angriff Kagomes nicht widerstehen, sobald der Pfeil sich in ihn gebohrt hatte, zerfiel er zu verblassenden Funken Youkis. Ungeschützt lag nun der Schwachpunkt des Daiyoukai der Panther vor ihnen. Sesshoumaru sah sofort die Chance diesen Kampf doch noch zu gewinnen. Mit allerletzter Kraft schleuderte er Bakusaigas entfesselte Wut auf den kleinen Schrein und den immer noch dahinter knieenden Zatsudan, der im Angesicht seines Todes die Sprache verloren hatte. Mit einem Grollen verzehrte die Welle alles was ihr in den Weg kam, der Stein brach und verschwand zusammen mit dem Pantherhanyou im Licht. Der Geist heulte auf, versuchte sich verzweifelt an den kläglichen Rest Leben zu krallen, doch er verblasste und löste sich im ewigen Nichts auf. Stille lag über dem Schlachtfeld. Wo eben noch der Schlachtlärm dröhnte, breitete sich nun Ruhe aus. Durch die zerstörte Umgebung, die vielen Ruinen und toten Panther war es aber mehr eine Grabesstille und brachte Kagome dazu sich unwohl zu fühlen. Hanako war sofort zu Sesshoumaru geeilt, als der Kampf beendet war und umschwirrte ihn besorgt. Unaufhörlich redete sie auf ihn ein, befragte ihn zu seinen Verletzungen, aber sie drang nicht zu ihm durch. Sesshoumarus Geist war vor der Realität verschlossen, die Geschehnisse ließen ihm keine Ruhe. Er verdankte seinen Sieg dem Eingreifen Kagomes, wenn sie nicht mit ihrem heiligen Pfeil den Bannkreis gebrochen hätte, wäre er jetzt tot. Es wurmte ihn gewaltig, vor allem weil er nur durch die Hilfe eines Menschen siegen konnte. Und weil ausgerechnet sie es war. Sie, die er aus seinem Leben streichen und vergessen wollte; er stand nun in ihrer Schuld. Doch insgeheim war er beeindruckt von ihrer Entschlossenheit und dass sie die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Er war aber zu erschöpft um sich jetzt weitere Gedanken darum zu machen. „Gehen wir nach Hause“, hörte er schließlich Kagome sagen. Etwas abseits stand ein kleiner, alter Pickup, der auch unter dem Kampf gelitten hatte. Die Scheibe war gesprungen, die Stoßstange hing lose von der Karosse und unzählige Scharten und Beulen überzogen das Metall. Er war aber nicht vollkommen zerstört und machte den Anschein trotz allem noch fahrtüchtig zu sein. Die Tür leistete Sesshoumaru nicht viel Widerstand und mit einigen kundigen Handgriffen schaffte er es die Zündung kurzzuschließen. Woher er das konnte, darüber wollte sich Kagome im Moment keine Gedanken machen. Zu Dritt nahmen sie auf der Sitzbank Platz, Hanako zwischen ihnen und machten sich auf dem Heimweg. Schweigend saß Sesshoumaru am Steuer und folgte dem Weg durch den dichten Wald. Es war stockfinster, aber es musste auch bereits weit nach Mitternacht sein. Hanako war nach kurzer Zeit an Kagomes Schulter gelehnt eingeschlafen, die angespannte Stille wurde nur von dem Tuckern des Motors gestört. Nachdenklich sah Kagome aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Die Gedanken, die sie vor Hanakos Verschwinden hatte, holten sie nun wieder ein. Wie würde es mit ihr, Hanako und Sesshoumaru weitergehen? Wieder spürte sie die Zerrissenheit in ihrem Herzen, aber gerade die heutigen Ereignisse ließen nur einen Schluss zu. Es dauerte fast über eine Stunde, bis sie endlich das Teehaus erreichten. Sesshoumaru stellte das Fahrzeug in einer Seitengasse ab und nahm vorsichtig die immer noch schlafende Hanako auf seine Arme. Es war alles etwas viel für die Kleine, die nicht mitbekam, wie sie nun getragen wurde. Langsam ging der Daiyoukai zu seinem Teehaus, in kurzem Abstand folgte ihm Kagome. Schließlich standen sie sich im Schein einer Straßenlaterne gegenüber. Es wäre nun an der Zeit sich zu verabschieden, doch keiner der beiden brachte ein Wort heraus. Schweigend musterten sie sich. Nervös verlagerte Kagome immer wieder ihr Gewicht von einem auf das andere Bein, sie wusste, was dieser Moment bedeutete. Sie musste sich der grausamen Wirklichkeit stellen, ihr Entschluss stand fest. Schließlich nahm sie all ihren Mut zusammen und sprach die so endgültigen Worte aus. „Leb wohl, Sesshoumaru. Danke… für alles.“ Seine goldenen Augen hielten ihren Blick fest, es war beinahe, als sah er direkt in sie hinein um ihre Worte zu prüfen, ob sie standhaft blieb. Dann antwortete er mit einem Nicken und verschwand mit der schlafenden Hanyou in seinen Armen hinter der schweren Tür des Teehauses. Kapitel 22: Gutenachtgeschichte für Hanako ------------------------------------------ 22 – Gutenachtgeschichte für Hanako Hanako wurde durch die plötzliche Unruhe und Bewegung ihrer Schlafstätte wach. Verschlafen öffnete sie die Augen und sah direkt von unten in Sesshoumarus abgekämpftes Gesicht. Er trug sie in seinen Armen und hatte gerade mit ihr das Teehaus wieder betreten. Sie musste wohl während der Fahrt in diesem alten Transporter weggenickt sein, das war das Letzte, an das sie sich erinnern konnte. Aber die Müdigkeit war einfach zu groß gewesen und kaum war die Anspannung in ihr verflogen, waren ihr auch schon die Augen zugefallen. Schüchtern sah sie immer wieder auf sein Gesicht, es war so ungewohnt ihn mit den dämonischen Malen zu sehen. Die Linien und die Mondsichel, was bedeuteten sie bloß? Langsam kehrten auch wieder die Bilder des Kampfes in ihr Bewusstsein zurück, wie er sich in einen großen Hund verwandelt hatte, das magische Schwert und seine unglaublich mächtige Aura. Er war wirklich ein Daiyoukai, dann stimmte es auch, dass er der Fürst war, der ihre Vorfahrin einst aufgenommen hatte! So viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum, die Aufregung ließ sie ihre Müdigkeit vergessen. Sesshoumaru brachte die kleine Hanyou in den hinteren Teil des Gebäudes, in dem sein privates Zimmer verborgen lag. Er hatte längst bemerkt, dass sie wach geworden war, aber er zog es vor es zu ignorieren. Schließlich stand er mit dem Mädchen auf dem Arm in seiner kleinen Kammer und legte sie behutsam auf seinem Bett ab. „Du bleibst die Nacht hier, das ist sicherer. Einige der Panther konnten fliehen und ich will kein Risiko eingehen.“ Stumm nickte Hanako. Sie konnte gerade nicht sprechen, da sie nun im Licht der Lampe das volle Ausmaß von Sesshoumarus Verletzungen sah. Von dem Hemd war nicht mehr viel übrig, es hing in Fetzen an seinem Leib. Über die Brust zog sich ein hässlicher Kratzer, den nun schon eine dicke Kruste bedeckte. Auf seinem Rücken blitzten Brandwunden durch die Löcher des Stoffes, da hatten ihn wohl die Blitze getroffen. Es gab kaum einen Fleck an ihm, der nicht mindestens einen Kratzer erlitten hatte. Tränen sammelten sich in Hanakos Augen. All das nur ihretwegen! Er hatte sich in so große Gefahr begeben, sogar sein Geheimnis gelüftet, nur um sie zu retten. Sie schämte sich so sehr; wenn sie nicht so unachtsam und leichtsinnig gewesen wäre, würde er immer noch der kautzige Teehausbesitzer sein und hätte nicht diese vielen Verletzungen. „Mach dir nichts draus, das heilt bis morgen wieder“, durchschnitt seine tiefe Stimme die immer schwerer werdende Stille des Raums. Irgendwie hatte sein Zigarettenpäckchen in seiner Hosentasche überlebt und er zog das verknitterte Schächtelchen hervor. Doch kaum öffnete er es und fingerte nach einem der schlanken Stängel, verzog sich sein Gesicht ärgerlich. Gebrochen, genau in der Mitte. Die Nächste war ebenfalls nicht mehr zu gebrauchen, weil sie völlig zerbröselt war. Mit einem Schnauben warf er das ganze Elend in einen Papierkorb am Fenster und verließ den Raum. Hanako nutzte den unverhofften unbeobachteten Moment und sog gierig alle Eindrücke des Zimmers in sich auf. Noch niemals zuvor durfte sie es sehen. Ihr Interesse wurde von dem hölzernen Gestell über ihrem Kopf gefesselt. Zwei Schwerter lagen darin, ein Platz war frei. Er besaß noch mehr dämonische Schwerter? Waren die genauso mächtig wie das Grün leuchtende? Sie sahen überhaupt nicht danach aus, das eine war alt, die Scheide an einigen Stellen gesprungen und offenbarte eine stumpfe, schartige Klinge. Das andere wirkte völlig unauffällig und sah aus wie eins jener Schwerter, die überall als Souvenir an Touristen verkauft wurden. Sie spürte aber deutlich die dämonische Aura, die um den Stahl floss und ihre Neugier es zu berühren zügelte. Sesshoumaru öffnete auch schon wieder die Tür und zog einen gepolsterten Stuhl aus dem Gastraum hinter sich her. In der anderen Hand hielt er einen untypischerweise leeren Aschenbecher und unversehrte Zigaretten. Verstohlen schmunzelte Hanako, sie wusste, dass er eine eiserne Reserve auf Vorrat hatte. Müde ließ sich der Daiyoukai auf dem Stuhl nieder und eine Sekunde später klemmte bereits wieder eine brennende Zigarette in seinem Mundwinkel. Den Aschenbecher stellte er auf eins der Regalbretter. Wie ein Verdurstender an einer Flasche Wasser hing er an dem qualmenden kleinen Ding und zog den Rauch tief in sich auf. Kein Wunder, dachte Hanako, er hatte den halben Tag seinem liebsten Laster nicht frönen können. Sonst rauchte er beinahe Kette, vor diesen Ereignissen hatte sie nicht geglaubt, dass er auch nur eine wache Stunde ohne frisches Nikotin überstehen würde. Mit Unbehagen sah er an sich herab, das zerstörte Hemd ließ ihn sich unwohl fühlen. Müde stand er nochmals aus seinem Stuhl auf und zog sich die Überreste über den Kopf aus. Die Zeichnungen an seinen Handgelenken fielen Hanako wieder ins Auge, sie entdeckte auch die Linien, die sich um seine Hüften wanden. „Warum hast du es mir nie gesagt?“, platzte es aus ihr heraus. Die Offensichtlichkeit seiner Herkunft machte es ihr nun unmöglich ihre Fragen länger zurückzuhalten. Ergeben senkte er den Kopf und seufzte, er musste sich nun dem Unvermeidlichen stellen. Er griff nach einem frischen Hemd, das gefaltet in dem Regal lag und kleidete sich langsam wieder an. „Du hättest es nicht verstanden und wahrscheinlich auch nicht geglaubt.“ „Wie kannst du das behaupten?“, entgegnete Hanako empört, „Du hättest es wenigstens versuchen können. Hast du so wenig Vertrauen zu mir? Ich hatte dir auch geglaubt, dass du ein richtiger Youkai bist, ich habe dein Geheimnis gewahrt.“ Wieder ließ er sich in den Stuhl sinken. „Das ist es nicht, ich vertraue deinem Stillschweigen. Dieses Leben liegt hunderte Jahre zurück, ich wollte damit abschließen, es hinter mir lassen. In diesen Zeiten zählt all das nichts mehr und die Daiyoukai sind nur noch Legende.“ Nachdenklich verlor sich sein Blick in dem spärlichen Licht des Raumes. „Das heißt aber nicht, dass ich die Verbindung zu dir verleugnet habe. Es war mir immer bewusst, dass du die Nachkommin meiner Tochter bist“, kam er Hanakos Einwand zuvor. Große, traurige Augen sahen ihn flehentlich an. „Dann ist alles wahr? Die Geschichte, die mir als Kind erzählt wurde und das, was Kagome gesagt hat?“ Er nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette, ehe er rau antwortete: „Ja, das meiste hatte sich so zugetragen.“ „Erzählst du es mir? Ich will endlich verstehen, wer ich bin und woher ich komme. Bitte!“ „Ich bin der letzte der vier großen Herrscher und war der Herr über die westlichen Gebiete und die Inuyoukai“, begann Sesshoumaru seine Erzählung. „Früher war ich ein mächtiger Dämon, sowohl Menschen als auch Youkai fürchteten mich. Ich durchstreifte den Westen und tötete jeden, der sich mir in den Weg stellen wollte. Kalt und gnadenlos, aber es sicherte den Frieden in unsicheren Zeiten. Das Mädchen, von dem du erzählt bekommen hast, hieß Rin. Ich traf sie vor gut fünfhundert Jahren.“ „Wie alt bist du eigentlich?“, unterbrach ihn Hanako mit einer Frage. „Etwas über 1300 Jahre.“ Staunend glitt ihr Blick über ihn. „Du siehst aber noch immer so jung aus.“ Geschmeichelt lächelte er, ehe er antwortete: „Für einen Daiyoukai bin ich auch nicht alt. Mein Vater war über dreitausend Jahre alt, als er im Kampf starb und man beklagte, dass er so jung gestorben sei.“ Belustigt sah er das Unverständnis in Hanakos Augen und versuchte es ihr einfacher zu erklären: „Auf ein menschliches Leben übertragen wäre ich nicht mal dreißig.“ Das schien die Hanyou nun besser zu verstehen und so setzte er seine Geschichte fort. „Rin war ein Waisenkind, sie hatte durch einen Überfall von Banditen ihre Eltern und Geschwister verloren und lebte allein am Rand eines Dorfs. Die Menschen mieden sie und machten ihr das Leben schwer, sie war ganz allein und musste sich irgendwie selbst durchschlagen. Nach einem Kampf lag ich schwerverletzt im Wald in der Nähe und sie fand mich.“ „Wer hat dich denn so verletzt? Du bist doch stark!“, fiel ihm Hanako aufgeregt ins Wort. Sofort verfinsterte sich Sesshoumarus Gesicht. „Mein Halbbruder.“ „Du hast einen Bruder? War er auch so stark? Wer war er?“ Die Fragen sprudelten nur so aus ihr heraus, doch Sesshoumaru unterbrach ihren Redeschwall. „Halbbruder!“, betonte er nochmals, „Eins nach dem anderen, gedulde dich.“ Gespannt hing das Mädchen an seinen Lippen. „Rin wusste sofort, dass ich kein Mensch bin, aber sie hatte keine Angst, im Gegenteil. Sie beschloss mich pflegen zu wollen und kam immer wieder zu mir, um mir Essen zu bringen. Ich hatte es aber ignoriert, ein Mensch war meiner Beachtung nicht würdig. Kurz darauf wurde das Dorf von den Wolfyoukai angegriffen und ich fand sie tot im Wald. Zu dieser Zeit beschäftigte ich mich sehr mit dem Schwert, das mein Vater mir hinterlassen hatte. Tenseiga war das Schwert der Heilung und es hieß, dass es von einem mitfühlenden Herz geführt Toten wieder das Leben schenken konnte. Da ich sowieso das Schwert weiter erforschen wollte und ich ein wenig Mitleid mit ihr hatte, holte ich sie aus dem Totenreich zurück.“ „Ist das eins dieser Schwerter?“, fragte Hanako aufgeregt und deutete auf das Gestell über ihrem Kopf. Es war so aufregend, wenn man Geschichte anfassen konnte! „Ja“, sagte Sesshoumaru, erhob sich und zog das Unscheinbarere der beiden Schwerter aus der Halterung. Er setzte sich wieder Hanako gegenüber und hielt Tenseiga so, dass sie es gut sehen konnte. „Darf ich es anfassen?“, erkundigte sie sich schüchtern. „Nein, die dämonische Energie ist zu stark für dich. Das Schwert ist aus einem Fangzahn meines Vaters geschmiedet worden.“ Um ihre überbordende Wissbegierde zu stillen, zog er das Schwert aus seiner Scheide. Matt glänzte der Stahl, aber er sah aus wie jedes andere Schwert. Nur die mystische Aura, die es umgab, verriet die Herkunft des Schwerts. Schließlich steckte er Tenseiga wieder weg und lehnte es an das Regal neben sich. „Rin folgte mir von dem Tag an auf Schritt und Tritt. Sie hatte mich nie um Erlaubnis gefragt, sie tat es einfach. Dass sowohl ich als auch meine beiden Begleiter keine Menschen waren, störte sie nicht, im Gegenteil. Durch ihre schlechten Erfahrungen hatte sie Angst vor Menschen und fühlte sich unter Youkai zeit ihres Lebens wohler.“ Er erahnte die Frage, die der Hanyou auf der Zunge lag. „Mit mir reisten ein zweiköpfiger Drache, der mir als Reittier diente und dem Rin den Namen Ah-Un gab. Er mochte sie sehr und beschützte sie, wenn ich nicht da war. Außerdem begleitete mich mein Diener Jaken, ein Kappa, der sich oft mit Rin stritt. Aber insgeheim mochte er sie wohl.“ Sesshoumaru hatte lange nicht an seine beiden treusten Untergebenen gedacht, es versetzte seinem Herz einen kleinen Stich. Kurz hing er der fernen Erinnerung in Gedanken nach und steckte sich dabei wieder eine Zigarette an, wie immer, wenn ihn die Vergangenheit einholte. „Du hast das einfach akzeptiert, dass ein kleines Mädchen sich dir anschließt?“, wunderte sich Hanako und holte ihn aus seinen schweren Gedanken zurück. Ein trauriges Lächeln bildete sich in Sesshoumarus Gesicht. „Ich dachte zunächst, dass sie bald wieder verschwinden würde und habe sie ignoriert. Aber sie fühlte sich schnell sehr wohl und ihre fröhliche Art und das sonnige Gemüt nahmen mir die Schwermut und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart nicht mehr einsam. Schnell war es für mich normal sie um mich zu haben, ihr fröhliches Geplapper fehlte mir manchmal sogar. Ich wollte sie nicht mehr missen und so akzeptierte ich sie stillschweigend als Teil meiner Gruppe. Sie hatte es verstanden, auch ohne Worte. Als sie ungefähr acht Jahre alt war, musste ich sie eine Zeit lang einer alten Miko anvertrauen, da ich einige Kämpfe auszutragen hatte und es zu gefährlich war sie mit mir zu nehmen. Ich wollte auch, dass sie wieder lernte mit Menschen umzugehen und in dem Dorf lebten auch mein Halbbruder und dessen Kampfgefährten, also würde sie sich nicht völlig fremd fühlen. Ab und an besuchte ich sie.“ „War sie nicht traurig so ganz allein?“, erkundigte sich Hanako besorgt. „Sie hat uns vermisst, aber sie wusste, dass wir wiederkommen“, erwiderte Sesshoumaru. „Es dauerte zehn Jahre, dann nahm ich sie mit mir in den Westen und sie wurde dann auch offiziell meine Tochter. Dort traf sie dann auch auf ihren späteren Mann, einen meiner Heeresführer.“ „War sie hübsch?“, fragte das Mädchen nun etwas schüchtern. Es war eigentlich ja eine unnütze Frage, aber es interessierte sie brennend. „Ja, war sie. Sie war anmutig und schön, hatte eine warme und sanfte Ausstrahlung, viele meiner Männer hatten ein Auge auf sie geworfen.“ Vergnügt kicherte Hanako in sich hinein; manchmal war sie trotz allem eben ein typisches Mädchen und die Geschichte einer schönen Prinzessin, die sich verliebte, war genau so eine typische Mädchensache. Aber da war noch eine Sache, die sie nun mehr interessierte als die Romanze. „Warum weiß Kagome davon? Woher kannte sie ihren Namen und warum kennt sie dein Geheimnis?“ Auf diese Frage hatte Sesshoumaru schon gewartet. Er hatte schon zu Beginn seiner Erzählung beschlossen, dass er Hanako von Kagomes Abenteuer erzählen würde. Sie hatte auch schließlich sein Geheimnis verraten, da empfand er es nur als fair, wenn er nun ihres lüftete. „Weil sie dabei war“, antwortete er einer Sphinx gleich. Irritiert schüttelte Hanako den Kopf. „Wie meinst du das? Ich dachte, sie ist ein Mensch.“ „Ist sie auch“, trieb Sesshoumaru sein Verwirrspiel weiter. „Aber wenn sie jetzt eine junge Frau ist, wie kann sie dann vor fünfhundert Jahren…?“ Verwirrt brach Hanako den Gedanken ab. Irgendwas stimmte da nicht. „Sie ist kein normaler Mensch, stimmt’s?“, folgerte sie und sah Sesshoumaru prüfend an. Er saß entspannt rauchend auf dem Stuhl, sein Gesicht verbarg wie so oft jeden Gedanken und sein Blick ruhte interessiert auf dem Mädchen auf dem Bett vor ihm. Würde sie von allein auf des Rätsels Lösung kommen? Lächelnd beantwortete er die erneute Frage: „Nein, ist sie nicht.“ Nachdenklich strich Hanako mit ihren Fingern über ihr Kinn und überdachte alles Gehörte noch einmal. Wie konnte Kagome in zwei so unterschiedlichen Zeiten leben? Und was meinte Sesshoumaru damit, dass sie kein normaler Mensch sei? Sie war eine Miko, aber das konnte doch nicht das sein, was er meinte. „Was ist sie wirklich?“, stellte sie die entscheidende Frage. „Ich glaube, sie ist nicht nur eine einfache Miko mit ein paar spirituellen Kräften.“ Sesshoumarus Lächeln wurde breiter. Es machte ihn stolz, dass sein Schützling so scharfsinnig dachte und ohne seine Hilfe auf den Kern der Sache kam. Er lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme an seinem Hinterkopf. „Was weißt du über die Legende des Juwels der vier Seelen?“ Natürlich kannte Hanako diesen Mythos, er war sowohl unter Youkai als auch Menschen auch jetzt noch sehr bekannt. „Das Juwel kann jeden Wunsch erfüllen und es gab viele Kämpfe darum, es ist aber vor langer Zeit verschwunden. Es heißt, dass eine Miko den richtigen Wunsch geäußert hat und es deshalb diese Welt verlassen hat.“ Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, war ihr alles klar, es machte Klick in ihrem Kopf. Überrascht und mit offenem Mund starrte sie Sesshoumaru an. „Kagome ist diese Miko? Aber wie…?“ „Sie ist die Wiedergeburt der Priesterin, die das Juwel hütete. Auf dem Gelände des Tempels, in dem sie lebt, gibt es einen alten Brunnen, durch den sie in die Vergangenheit reisen konnte“, erklärte Sesshoumaru weiter das Mysterium von Kagomes Wissen und Fähigkeiten. „Dort trat das Juwel wieder aus ihrem Körper, in dem es lange unentdeckt ruhte. Dort traf sie auch meinen Halbbruder und später auch mich.“ Hanako zog das Kissen zu sich und hielt es vor ihren Bauch, um sich daran zu kuscheln. „Verstehe, sie ist durch die Zeit gereist. Habt ihr viele Abenteuer zusammen erlebt?“ Kalt erwiderte er: „Bei unserer ersten Begegnung habe ich versucht sie umzubringen. Sie reiste mit meinem Halbbruder und ich war froh, wenn ich sie nicht traf.“ „Du hast schon ein paar Mal deinen Bruder erwähnt. Erzähl mir von ihm!“, forderte ihn Hanako auf weiterzuerzählen. Der Wissensdurst dieses Mädchens war einfach nicht zu stillen, seufzte Sesshoumaru still. Sie war beinahe so schlimm wie Kagome. Doch zunächst knurrte er: „Halbbruder. Inuyasha war mein Halbbruder, seine Mutter war menschlich.“ „Also war er auch ein Halbblut!“, stieß das Hanyoumädchen ihm gegenüber aufgeregt aus. „Ja. Er war lange Zeit an einen Baum gebannt durch den Pfeil einer Miko, die er einst liebte. Ein Schwächling, ein Großmaul und Dummkopf war er.“ Sesshoumarus Blick verfinsterte sich weiter bei der Erinnerung an seinen Bruder, besonders Erinnerungen, die aus jener Zeit stammten. Bis heute hatte er ein widersprüchliches Verhältnis zu seinem Bruder; er verachtete ihn für das, was er war, hasste ihn, da seinetwegen ihr Vater starb und er der Erbe Tessaigas war; er respektierte, dass er das Schwert gemeistert hatte und zu einem brauchbaren Kämpfer geworden war. Kaum da sie es geschafft hatten einige Worte miteinander zu wechseln, ohne sich an die Gurgel gehen zu wollen, fiel er im großen Krieg. Sesshoumaru hatte es nie geschafft sein Verhältnis zu seinem Halbbruder für sich selbst zu klären und so schwankte seine Einstellung zwischen Verachtung und Akzeptanz. „Hasst du ihn, weil er dein Bruder ist oder weil er ein Halbdämon war?“, fragte Hanako seltsam abwesend. Hatte sie etwa bemerkt, was ihn ihm vorging? Er sah auf und ihr in die Augen, aber er fand keine passende Antwort. Jedenfalls keine, die er einem traurigen, aufgewühlten Hanyoumädchen geben wollte. „Verstehe“, sagte Hanako traurig nach einem Moment des unbehaglichen Schweigens und versuchte tapfer zu verhindern, dass sie weinte. Hatte sie sein Schweigen etwa auf sich selbst bezogen, schoss es Sesshoumaru in den Kopf. Trotz aller Mühen kullerten dicke Tränen über ihre Wangen. „Ich verstehe, dass du uns verachtest. Wir sind keine richtigen Dämonen, wir sind nicht so stark“, schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren kleinen Händen. Was geschah da gerade? Sesshoumaru verstand nicht, warum sie weinte. War es nur sein Schweigen und die Unfähigkeit zu verneinen, dass er Inuyasha lange verachtet hatte für das, was er war? Es war egal, warum sie weinte, er ertrug es nicht. Sofort kamen ihm Kagomes Worte in den Sinn, dass er eine Schwäche für traurige Kinderaugen hätte. Da war etwas dran, stand er sich ein. Hanako war ihm nicht egal, sie gehörte auf eine besondere Art zu ihm und er wollte nicht, dass sie unglücklich war. Plötzlich sprang sie auf, verzweifelt wimmerte sie: „Es ist dann wohl besser, wenn ich gehe.“ Doch bevor sie auch nur einen weiteren Schritt tun konnte, packte er sie am Handgelenk und zog sie wieder aufs Bett zurück. Sein Blick bohrte sich in ihre verweinten Augen. „Ich weiß nicht, wie du auf diese dumme Idee kommst, dass ich dich verachte. Das zwischen mir und meinem Halbbruder ist eine ganz eigene Sache und liegt mehr als vierhundert Jahre zurück.“ Seine Stimme war fest und bestimmt, aber genau das flößte Hanako Angst ein. Er bemerkte, wie sie versuchte ihm auszuweichen, deshalb tat er sein Bestes die eisige Kälte, die ihm immer zu Eigen war, aus seiner Stimme und seinem Blick zu verbannen. Sanfter fuhr er fort: „Du bist die letzte Verbindung zu meiner Tochter, ich kümmere mich schon dein ganzes Leben um dich. Ich weiß, was du bist und es hat mich nie interessiert. Warum sollte sich etwas zwischen uns ändern? Nur weil du jetzt weißt, wer ich wirklich bin?“ Hanakos Atmung wurde wieder weniger hektisch, ihre Aufregung und Angst legten sich langsam wieder. Aber um wieder ruhig werden zu können, brauchte sie eine Gewissheit. „Du bleibst trotz allem bei mir? Du wirst mich nicht allein lassen?“ „Ich bleibe bei dir.“ Sesshoumaru spürte, das Worte allein nicht ausreichten. Müde erhob er sich und setzte sich neben dem Mädchen auf das Bett. Unsicher griff er ihre Hand. Seine nun wieder sichtbaren Klauen umschlossen die zierliche Hand Hanakos. Ihm waren solche Dinge eigentlich zuwider, aber er konnte die Traurigkeit seines Schützlings nicht länger ertragen. Er wollte sie trösten, ihr die Sicherheit und Geborgenheit zurückgeben. Vorsichtig lehnte die Hanyou sich gegen seine Schulter, erst prüfend, aber nachdem er nicht zurückwich fester. „Habe ich eigentlich auch Ähnlichkeit mit ihr?“, fragte sie nachdenklich in die Stille hinein. Er verstand sofort, was sie meinte. „Du bist ihr sehr ähnlich. Du hast ihren unerschütterlichen Frohsinn und Glauben an das Gute, du hast sie gleichen warmen, freundlichen Augen wie sie.“ Sesshoumaru spürte, wie sie an seiner Schulter lächelte. „Und du hast die Stärke eines Hauptmanns der Inuyoukai“, fügte er hinzu. Sie saßen eine Weile noch schweigend nebeneinander, das Mädchen fest an die Schulter des Daiyoukai gekuschelt. Worte waren nicht mehr nötig, sie störten nur die verständige Stille. Schließlich sagte Sesshoumaru: „Schlaf jetzt, der Tag war anstrengend genug.“ Hanako kuschelte sich unter die Decke und murmelte: „Gute Nacht, Sesshoumaru.“ Er war schon aufgestanden und nahm wieder das Zigarettenpäckchen, das er ins Regal gelegt hatte, an sich. Als er in der Tür stand, warf er noch einen Blick auf sie, doch Hanako war bereits eingeschlafen. Er löschte das Licht, schloss leise die Tür und flüsterte: „Gute Nacht.“ Kapitel 23: Zurück in die Eiszeit --------------------------------- 23 – Zurück in die Eiszeit Ruhe war endlich wieder eingekehrt im Leben der Hanyou. Die Pantheryoukai hatten sich zurückgezogen und waren spurlos untergetaucht, nachdem sie von Sesshoumaru aufgerieben worden waren. Da es nun tagelang ruhig geblieben war, beschloss Hanako, dass es sicher genug war wieder ihren Unterschlupf zu verlassen und dem Teehaus einen Besuch abzustatten. Doch kaum stand sie vor der Tür, hörte sie lautes Geschrei aus dem Inneren lärmen. „Aber Sesshoumaru, warum nicht?“, hörte sie eine Stimme flehentlich winseln. Neugierig, was nun schon wieder los war, ging sie hinein. Dort entdeckte Hanako einen äußerst schlecht gelaunten Sesshoumaru, der wie üblich hinter seiner Theke stand und auf einen Haufen Lumpen vor ihm auf einem der Hocker herabsah. Bei näherer Betrachtung erwies sich das vor Dreck starrende Bündel als Babanuki, der Hehler und Rattenyoukai, den sie schon öfters im Teehaus getroffen hatte. Hanako bemerkte sofort, wie gefährlich genervt der Daiyoukai bereits war, aber das hatte Babanuki noch nicht begriffen; gespannt wartete er auf eine Antwort, aber für Sesshoumaru schien das Gespräch beendet zu sein. Er starrte konzentriert die Wand neben der Tür an und kramte in seiner Hosentasche nach einem Feuerzeug für die Zigarette, die er zwischen den Lippen balancierte. „Sesshoumaru, wir könnten ein Vermögen machen! Sei kein Narr! Jeder will dieses magische Schwert, mit dem du den Panthern eine Lektion erteilt hast“, wiederholte der Hanyou seine Bitte nun nochmals, nun aber deutlich verzweifelter. Mit einem wissenden Grinsen trat Hanako ebenfalls an die Theke. „Ah, Hanako, lang nicht gesehen. Hast du schon das Neuste gehört?“, begrüßte sie der dickliche Mann sofort, als er sich ihrer gewahr wurde. Sesshoumaru rollte gespielt theatralisch mit den Augen, um seinen stummen Protest kundzutun, dass er jedem präsentiert wurde wie eine zweiköpfige Katze. Dann drehte er sich weg und widmete sich einigen Tassen, die in der Spüle standen und abgewaschen werden wollten. Verschmitzt kicherte Hanako heimlich in sich hinein; das Spielchen machte sie nur zu gerne mit. „Nein, was denn? Erzähl!“, forderte sie ihn mit übertriebenem Enthusiasmus zum Bericht auf. „Sesshoumaru hat den Panthern eine Lektion erteilt, von der sie sich so schnell nicht erholen werden! Er hat uns allen die ganze Zeit verschwiegen, dass er der Letzte der legendären Daiyoukai ist“, erzählte Babanuki und schnappte dabei immer wieder aufgeregt nach Luft. Belustigt zog Hanako eine Augenbraue in die Höhe. „Wer hat dir denn das erzählt?“ „Einer der wenigen Panther, der das Gemetzel überlebt hat. Er hat auch gesagt, dass er sich in einen riesigen, weißen Hund verwandelt hat, stell dir das mal vor! Es wird von nichts anderem mehr gesprochen!“ Es war wohl genau das passiert, was sie befürchtet hatte; Die Berichte über den Kampf verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Babanuki versuchte wohl gerade einen Vorteil für sich aus der ganzen Sache zu ziehen, sei es, dass er sich bemühte das Schwert zu bekommen, als auch sich mit Sesshoumaru gutzustellen und dessen wohl immens gewachsenen Einfluss für sich zu nutzen. Wenn Hanako Sesshoumarus Gesichtsausdruck richtig deutete, dann war die Ratte wohl nicht der Erste, der bei ihm aufgeschlagen war. Wahrscheinlich war er auch einer der Verbreiter der ‚heißen Neuigkeiten‘; er liebte es einfach sich interessant zu machen. „Ich weiß nicht“, antwortete das Mädchen nachdenklich, „Glaubst du nicht auch, dass da viel Übertreibung dabei ist? Die Panther wollen doch sicher ihr Gesicht wahren, deswegen verbreiten sie jetzt diese Fantastereien.“ „Nein nein, das ist alles wahr!“, entgegnete Babanuki empört darüber, dass die Hanyou ihm nicht glauben wollte. „Denk doch mal nach, niemand weiß etwas über ihn, wo er herkommt oder so. Der Kerl, der mir das erzählt hat, war selbst dabei und hat alles mit eigenen Augen gesehen.“ „Und selbst wenn es so wäre… na und? Das ändert doch gar nichts. Sesshoumaru ist doch immer noch der Alte“, erwiderte sie leicht entmutigt. Es schien wirklich nicht möglich zu sein den gesamten Vorfall als wildes Gerücht abzutun, daher schien es ihr als das Klügste, dem ganzen die Sensation zu nehmen. „Denk doch mal nach, Kleine!“, ereiferte sich der Hehler nun wieder in neuer Erregung, „Stell dir doch mal die Möglichkeiten vor. Mit einem Daiyoukai an der Spitze können die Youkai endlich den Platz in der Welt einnehmen, der ihnen zusteht! Auch keiner von uns wird es wagen sich Sesshoumaru in den Weg zu stellen, die Dämonen wären geeint und mit vereinten Kräften könnten wir die Menschen besiegen!“ „Du bist doch ein armer Irrer“, tat Hanako seine Visionen mit wegwerfender Geste ab. „Warum hat er es denn nicht schon lange getan, wenn er die Möglichkeit dazu hätte?“ Überrascht stammelte Babanuki einige zusammenhangslose Wortfetzen, doch ihm fiel kein Einwand ein. Hilfesuchend sah er zu Sesshoumaru, der nun wieder unbeteiligt an der anderen Seite des Raums saß und seine Gedanken in Rauch hüllte. Warum interessierte den Daiyoukai weder Macht noch Reichtum? Was interessierte ihn überhaupt, hatte er noch Ziele? Bevor er von seinem wahren Wesen wusste, hielt er Sesshoumaru immer für einen gebrochenen Mann, der sich in seinem kläglichen Teehaus vor der Wirklichkeit versteckte. Ja, auch Babanuki hatte die ganze Zeit mit Spott und Geringschätzung auf den Wirt geblickt und nur seine umfangreichen Kenntnisse über vergangene Zeiten als nützlich befunden, um seine eigenen Geschäfte voranzutreiben. Nie war ihm die Frage in den Sinn gekommen, woher er all diese Dinge über die glorreichere Vergangenheit der Youkai wusste. In Babanukis Gedankenwelt waren die legendären Daiyoukai der Vergangenheit, von denen er aus Geschichten gehört hatte, übermächtige Herrscher, die nach Macht und Herrschaft strebten. Unbesiegbare, perfekte Wesen, die wie von einer anderen Welt waren. Hanakos Einwände machten ihm diese Diskrepanz zwischen seinem Bild und der Realität Sesshoumarus Leben wieder bewusst. „Wenn du nicht gleich aufhörst meine Geduld zu strapazieren, kannst du dich am eigenen Leib von dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte überzeugen“, knurrte Sesshoumaru gereizt. Er hasste es, wie er zum Mittelpunkt der Gerüchte geworden war und dass jeder sich berufen fühlte, in seinem Leben herumzuschnüffeln und Mutmaßungen anzustellen. In den vergangenen sechs Tagen waren zahllose Leute ins Teehaus gepilgert, um ihn wie eine Zirkusattraktion anzugaffen. Plötzlich wurden diejenigen freundlich und schmeichlerisch, die sich noch kurz zuvor zu fein waren mit ihm, dem eigenbrötlerischen Wirt, zu sprechen. Wie er diese Speichellecker verabscheute! Schon früher, als er noch der Herr über die westlichen Länder war, umkreisten sie ihn wie die Schmeißfliegen. Rückgratlose Schwächlinge, die sich durch seine Gunst einen Vorteil verschaffen wollten. Doch im Gegensatz zu damals verloren die heutigen Schmeißfliegen schnell das Interesse, da er ihnen keinen Hinweis gab, wie viel des Geredes der Wahrheit entsprach. Sogar einige der Panther hatten es gewagt bei ihm angekrochen zu kommen und unter demütigem Gewinsel nach seiner Gunst gefragt, um ihren Größenwahn von Neuem aufzubauen. Sesshoumarus Drohung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, denn Babanuki zuckte erschrocken zusammen. Er sah ein, dass er – jedenfalls an diesem Tag – nichts erreichen würde und verabschiedete sich wortreich und umständlich von dem Daiyoukai. Kaum war er wieder mit Hanako allein, strich er sich erschöpft mit dem Handrücken über die Augen. Das Mädchen verstand diese Geste sofort. „Es… Es tut mir so leid! Nur weil ich so leichtsinnig gewesen bin, hast du dein Geheimnis offenbaren müssen. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gut machen soll“, beteuerte sie und kämpfte tapfer gegen den aufsteigenden Klos im Hals. Sie schämte sich so sehr dafür, der Grund zu sein, der Sesshoumarus ruhiges Leben auf den Kopf gestellt hatte. „Irgendwann wäre es so oder so herausgekommen. Mach dir nichts daraus“, wehrte Sesshoumaru mit leerer Stimme ab, sein Blick glitt wieder ins Nichts zurück. „Wie geht es dir?“, fragte Hanako nach einer kurzen peinlichen Pause. „Sind deine Verletzungen verheilt?“ „Sind sie. Mach dir keine Sorgen“, entgegnete Sesshoumaru noch immer in Gedanken versunken. „Ich meinte eigentlich nicht nur deine Wunden“, deutete Hanako schüchtern an. Er schien ihre Bemerkung genau verstanden zu haben, sein Blick klärte sich wieder und der kalte goldene Glanz seiner Augen gab Hanako eindeutig zu verstehen, dass sie das überhaupt nichts anging. Er hatte es die letzten Tage erfolgreich vermieden an die Miko zu denken, was nun zunichte gemacht wurde. Mürrisch fügte er hinzu: „Ich bin eine verdammte Sehenswürdigkeit, ständig tingeln irgendwelche Leute hierher, um mir ungefragt Ratschläge über mein Leben zu erteilen und mich um Unterstützung für ihren eigenen Plan zur Weltherrschaft anzubetteln. Du hast es ja gerade mit eigenen Augen gesehen.“ Traurig glitt der Blick des Mädchens über die Gestalt des Daiyoukai. Einsamkeit umgab ihn wie eine Wolke, hüllte ihn komplett ein. Er war missmutiger als je zuvor und schien von einem tief sitzenden Hass auf die Welt beseelt zu sein. Sie konnte nur ahnen, wie sehr es ihn aufwühlen musste wieder vor Augen geführt zu bekommen, was er in der Vergangenheit zurückgelassen hatte. Niemand konnte das verstehen oder seinen Schmerz lindern. Niemand, bis auf eine Person… „Du weißt, dass es jemanden gibt, der deine Sorgen versteht“, machte Hanako ihren Gedanken zaghaft Luft. Angespannt sog Sesshoumaru den Rauch seiner Zigarette tief in seine Brust. „Das ist vorbei, ein für alle Mal“, stieß er schließlich heiser aus. „Aber warum?“, hielt Hanako aufgebracht dagegen. „Ihr seid beide Relikte einer längst vergangenen Zeit, sie kennt dein früheres Ich. Kagome hat deine Gedanken und Einsamkeit nachfühlen können, oder? Jedenfalls wirkte es so, denn du warst das erste Mal, seit ich dich kenne, ausgeglichen und hast sogar ein bisschen gute Laune gehabt. Willst du das denn nicht verstehen, dass sie dich aus deinen dunklen Gedanken befreien kann?“ Gefühllos und stechend bohrte sich sein Blick in ihren. „Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht in meiner Vergangenheit zu schnüffeln und ihre unbändige Neugier zu befriedigen. Ich bin nur eine Verbindung in die Vergangenheit für sie, zu denen, die sie dort zurücklassen musste. Ein Farbtupfer in ihrem langweiligen Leben, ein bisschen Abenteuer. Komm mir nicht damit, dass sie sich auch nur einen Moment dafür interessiert hätte, was mit mir ist.“ „Aber… ihr habt… ihr seid…“, stotterte Hanako verlegen. Sie wollte das jetzt nicht so klar benennen, es war ihr peinlich klar auszusprechen, dass die beiden miteinander geschlafen hatten. „Wenn es irgendein Band gab, das uns verband, dann ist es zerstört durch diese Nacht“, beendete er Hanakos Ringen um Worte. „Diese Nacht hat das Unvermeidliche nur beschleunigt! Was hat sie dir getan, warum treibst du sie so unerbittlich von dir fort?“ Hanakos Stimme war mit jedem Wort lauter geworden, seine Verbohrtheit machte sie wahnsinnig. Wie konnte man sich selbst nur so sehr im Weg stehen? Sesshoumaru zog es vor zu schweigen. Betont gelassen drehte er eine Zigarette zwischen den Fingern. Hanako stand ihm zwar nahe, aber das gab ihr nicht das Recht ihre Nase in seine Angelegenheiten zu stecken und schon gar nicht würde er sein Handeln vor ihr rechtfertigen. Sie hatte natürlich recht, gab der kleine, ehrlich zu seinen Gefühlen stehende Teil seines Herzens zu, den er immer so sorgsam unterdrückte. Aber so einfach war das eben nicht, er konnte ja schlecht einfach zu ihr hingehen und sagen, dass sie zwar wie ein Wirbelsturm sein Leben auf den Kopf gestellt hatte, aber es trotzdem angenehmer war, wenn sie da war und er sich nicht so allein fühlte. Da gab es diesen massiven Block in ihm, der zwischen seinen Gefühlen und seiner Außenwelt stand; sein Stolz. Er war mehr als sein empfindliches Ego, er war auch die mahnende Stimme Jahrhunderte alter Erfahrung, die ihm nun deutlich zu verstehen gab, dass es besser war das Gefühl verebben zu lassen. Es war, als würde sie gegen eine Wand reden. Hanako verzweifelte beinahe an Sesshoumarus Sturheit. Es war so offensichtlich, dass da noch ein Funken Zuneigung in ihm war, nur er versuchte ihn konsequent niederzutrampeln. Niemals würde sie diesen Mann verstehen und die seltsamen Gedankengänge, die ihn lenkten. Deshalb gab sie es auf weiter auf ihn einzureden, es war einfach vergebens. Alles, was sie sagte, prallte einfach an ihm ab. Sie seufzte einmal laut und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich lass dich mit deinem Weltschmerz allein. Du willst es ja wohl nicht anders.“ Mit diesen Worten verließ sie ihn für diesen Tag und Sesshoumaru blieb zurück – wieder einmal allein. Er wusste, dass es nicht stimmte, was er Hanako gerade über Kagome erzählt hatte. Aber er konnte es einfach nicht über die Lippen bringen, dass sie etwas Licht in den Schatten seines Lebens gebracht hatte. Er konnte es vor allem nicht sich selbst eingestehen. Er griff sich bei dem Gedanken an den Kopf; Was war er nur für ein Schwächling geworden, ein Schatten seines früheren Selbst. Er hatte aber keinerlei Motivation mehr etwas daran zu ändern, wozu auch? Er war allein, er musste das nur mit sich allein ausmachen und das ganze Elend seines Lebens ertragen. Hätte ihm das jemand vor fünfhundert Jahren gesagt, er hätte ihn empört für diese Unterstellung zur Rechenschaft gezogen. Jetzt war es ihm einfach nur noch egal und er wollte bloß noch die Ruhe seiner Abgeschiedenheit. Und diese Miko hatte diese Ruhe erheblich gestört. Dieses kurze, leidenschaftliche Intermezzo hatte zwar diese Tristesse durchbrochen und Licht in den Schatten gebracht, aber letztlich hatte sie alte Wunden wieder aufgerissen. Es war wie jedes Mal in seinem Leben: Jeder, den er an sich heranließ, hinterließ eine weitere Scharte auf seiner geschundenen Seele. So war es auch dieses Mal, er war zerrissen zwischen seiner Zuneigung zu ihr und den lang verdrängten Gefühlen der Vergangenheit. Sehenden Auges ging er direkt auf die Katastrophe zu und jetzt stand er vor dem Scherbenhaufen seines Inneren, von Kagomes Gefühlen und Hanako hatte er auch in Mitleidenschaft gezogen. Der einzige Weg so ein Desaster zu verhinder lag darin die schützende Einsamkeit nicht zu verlassen. Es war für alle Beteiligten das Beste. Das war es auch, was ihn jede Gefühlsregung für die Miko verleugnen ließ. Kagome schien es nun nach dem Kampf gegen die Pantheryoukai, der so viel Wirbel nach sich zog, begriffen zu haben und ließ ihn in Ruhe. Es war zwar traurig, aber das einzig Vernünftige. Nur Hanako wollte es nicht einsehen, dass er keine Wahl hatte. Die Vergangenheit hatte ihn bitter gelehrt, dass jeder, der ihm nahe stand, früher oder später darunter zu leiden hatte. Rin war oft genug seinetwegen in Gefahr gewesen und Kazuko und seine Tochter hatten mit dem Leben dafür bezahlen müssen. Jedes Mal, wenn so etwas geschah, brach wieder etwas in ihm und die Summe dieser Risse hatte ihn nun zu diesem gebrochenen Mann werden lassen. Ja, es war eine willkommene Abwechslung gewesen Zeit mit der jungen Priesterin zu verbringen. Aber die Vernunft gebot es das jetzt zu beenden, bevor sie ihm zu nahe stand. Selbst wenn sie nicht direkt unter ihm zu leiden haben würde, sie war sterblich. Irgendwann würde sie sterben und er blieb mit einer weiteren Narbe auf dem Herzen zurück – wieder einmal. Er lächelte schief, als er den Gedanken beendet hatte. Es zwar eine zynische Betrachtungsweise, völlig egoistisch. Aber niemand außer ihm dachte an ihn, also blieb diese undankbare Aufgabe an ihm selbst hängen. Wieder spürte er diese verwirrende Sehnsucht in sich. Tief in seinem Inneren wollte er nicht mehr allein sein, ein kleiner Teil seines Herzens wollte sich nicht mit der selbstauferlegten Isolation abfinden. Dieser Teil hatte sich sehr wohl gefühlt in Kagomes Beisein, hatte sich nach langer Zeit wieder lebendig gefühlt. Mit ihr war all das weniger unerträglich und die Vergangenheit schmerzte nicht ganz so sehr. Unbarmherzig schritt jedoch sein kalter Stolz ein und unterband diese warmen Gefühle. Was sollten diese Gedanken? Er kam auch bisher immer gut allein zurecht, warum sollte er jetzt jemanden an seiner Seite brauchen? Wie stellte sich das sein Gefühl eigentlich vor? Sollte er ihr etwa hinterher rennen, sie anflehen bei ihm zu bleiben? Sein Gesicht verhärtete sich augenblicklich bei der Überlegung. Nun hatte sein eisiger Verstand wieder die Oberhand. Kagome hatte überhaupt kein Recht an seiner Seite zu sein, sie hatte ihn verraten! Sie hatte sein Geheimnis ausgeplaudert und es war ihr gleichgültig, was aus ihm werden würde. Missmutig drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus, mit weitaus mehr Kraft als eigentlich nötig. Der Stummel zerbröselte unter seinem Druck. Er war doch sowieso nur ein Trostpflaster für sie, um seinen elendigen Halbbruder zu vergessen! Sie hatte doch selbst gesagt, dass sie noch immer an ihn dachte. Ganz sicher würde er sich nicht dazu herablassen Ersatz für dieses erbärmliche Halbblut zu sein. Warum verschwendete er überhaupt noch einen Gedanken an diese Frau? Sesshoumaru schüttelte einmal energisch den Kopf und verbannte die Gedanken an die Miko daraus; er verbot sich jede Erinnerung an sie, er würde sie für alle Zeiten vergessen. Er hatte Wichtigeres zu tun, er musste diesem überheblichen Haufen Hanyou beibringen ihn in Ruhe zu lassen. Doch aus dem eisigen Verließ in seiner Brust lachte ihn sein in Ketten gelegtes Herz aus. „Das kannst du nicht, du kannst sie nicht vergessen! Du wirst schon sehen…“ Kapitel 24: der richtige Wunsch ------------------------------- 24 – der richtige Wunsch Fest umschlossen Kagomes feingliedrige Hände den langen, hölzernen Stiel und kraftvoll fegte sie mit dem alten Besen über den Hof des Schreins der Familie Higurashi. Das letzte Sommergewitter hatte für etwas Verwüstung in den Bäumen und Sträuchern rund um den Vorplatz gesorgt und nun war es ihre Aufgabe das Areal wieder herzurichten, damit es für Besucher präsentabel war. Die Luft dieses Samstagmorgens war noch erfrischt durch das nächtliche Unwetter, die Schwüle aus der Luft durch den Regen ausgewaschen. Die umliegende Stadt erwachte erst langsam zu neuem Leben, der dumpfe Lärm der Straßen war noch nicht zu seiner üblichen Lautstärke angeschwollen. Durch die monotone Tätigkeit und die friedliche Ruhe ringsherum bekamen Kagomes Gedanken Raum frei umherzuziehen. Wie so oft kreisten ihre rastlosen Gedanken um das Trümmerfeld, das aus ihrem Herzen geworden war. Die letzte Verheerung lag erst einige Tage zurück, als sie sich endlich dazu durchgerungen hatte diese seltsame Sache zwischen ihr und Sesshoumaru zu beenden, bevor noch mehr Katastrophen daraus entstehen konnten. Aber ihr eigentlicher Antrieb Lebewohl zu sagen war ihre Angst noch weiter von dem kalten Daiyoukai verletzt zu werden, wenn sie ehrlich mit sich war. Es war eigentlich wie immer gelaufen; Sie verlor ihr Herz und es wurde nach kurzer Euphorie zerfetzt und ihr die Überreste wieder vor die Füße geworfen. Es würde wieder lange Zeit und viel Zuwendung brauchen, bis sie sich davon erholt haben würde. Daran war aber im Moment nicht im Entferntesten zu denken, immer noch klaffte der Stich in ihrem Herzen und das quälende Gefühl der Einsamkeit zehrte ihre Kräfte Stück für Stück auf. Jeden Morgen hatte sie das Gefühl, dass wieder ein kleiner Teil in ihr starb. Ein kleiner Teil, der in der Einsamkeit und Traurigkeit verdurstet war mangels Liebe. Sie war innerlich schon sehr löchrig geworden, wie sie befand. Viele kleine Teile ihres fröhlichen Ichs waren verschwunden; der Großteil durch Inuyasha und Sesshoumaru hatte nun auch wieder ein Massensterben ausgelöst. Es machte sie kraftlos, oft dachte Kagome morgens, dass sie nicht die Kraft aufbringen könnte morgens aus dem Bett zu kommen. Als sie heute Morgen in den Spiegel gesehen hatte und ihren leeren und hoffnungslosen Gesichtsausdruck bemerkte, begann sie nach langer Zeit wieder einmal mit dem Schicksal zu hadern. Was war ihr nur wieder alles widerfahren? Hatten denn die Götter kein Krümelchen Glück für sie vorgesehen? Ein winzig Kleines wenigstens, dass jemand an ihrer Seite wäre, mit dem alles ein bisschen erträglicher sein würde. Doch bisher war es immer so, dass das Schicksal mit dem Stückchen Hoffnung ihr vor der Nase herum gewedelt hatte und es, als es zum Greifen nah war, selbst vernaschte und sie dabei frech angelächelt. Während des ewigen herum Lavierens von Inuyasha hatte sie sich mehr als einmal wie ein Esel gefühlt, dessen Reiter ihn mit einer Karotte an einer Angel köderte. Wie so oft wurde sie beim dem Gedankengang wütend. Sie hatte doch schließlich ihren Teil der stillen Abmachung mit den Göttern gehalten, oder? Das Shikon no Tama war vernichtet, sie hatte so viele Mühen und Entbehrungen auf sich genommen dafür. Kaum hatte sie ihre Aufgabe erfüllt, wurde sie zum Dank ihren Freunden entrissen und in ihre trostlose eigene Zeit gesperrt. Hatte sie denn nun nicht das Recht auch glücklich zu werden, nachdem sie großes Unglück für alle anderen verhindert hatte? Immer energischer strich der Besen über den steinernen Boden auf dem Tempelhof. Kagome hatte sich Stück für Stück bis zum eigentlichen Schrein voran geputzt und stand jetzt vor einer großen Holzkiste, die auf einer Art Vorbau angebracht war und von den mächtigen Giebeln des Schreins überdacht war. Über der Kiste hing ein langes, kunstvoll geflochtenes Seil von der Decke herab, an dessen oberen Ende eine bronzene Glocke angebracht war. Das war der Teil des Tempelareals, an dem Menschen Bitten an die vielen verschiedenen Götter und Geister richten konnten. Kagome schenkte den sich im Wind wiegenden Seilen einen traurigen Blick. Sie hatte selten um etwas gebeten, eigentlich war sie immer recht zufrieden gewesen mit ihrem Leben. Besonders in der Zeit, als sie durch das Mittelalter streifte. Es war zwar oft hart und entbehrungsreich gewesen, aber sie war glücklich gebraucht zu werden und wahre Freunde an ihrer Seite zu haben. Trotz Inuyashas Wankelmut war sie die meiste Zeit glücklich verliebt und bis kurz vor ihrer Verbannung voller Hoffnung, dass ihrer Beziehung nun nichts mehr im Wege stehen würde. Traurig seufzte Kagome, sie hatte sich diese wehmütigen Gedanken schon lange nicht mehr gestattet. Verbannung war das richtige Wort, zum Dank für ihren Einsatz musste sie jetzt in diesem grauen, öden Exil namens Neuzeit leben. War es vermessen oder selbstsüchtig, wenn sie sich jetzt Glück von den Göttern erbat? Hatte sie ein Recht auf ein erfülltes Leben oder hatte sie sich in ihr Schicksal klaglos zu fügen? Kagome hatte bisher immer nur kleine Bitten an diesem Ort geäußert; das letzte Mal bat sie um gutes Gelingen für ihre Abschlussprüfung, aber das tat sie eher, weil ihr sehr abergläubischer Großvater darauf bestanden hatte. Eine auffrischende Windböe brachte die vielen Glocken zum Klingen, wie eine Aufmunterung sich endlich ein Herz zu nehmen und selbstbewusst zu ihrem Wunsch zu stehen und das helle Läuten unterbrach so ihre Zweifel. Es konnte ja nichts schaden, dachte Kagome und lehnte den Besen an das Geländer. Wenn andere Leute um einen Haufen unwichtigen Blödsinn bitten durften, dann sollte auch ihr ein Wunsch gestattet sein. Sie kramte in ihrer Hosentasche und fand ein fünfzig Yen Stück, das sie den Göttern opfern konnte. Unsicher hielt sie die Münze in der Hand. Was sollte sie sich eigentlich wünschen? So ein Wunsch musste gut überlegt sein, damit er nicht auf eine perfide Art ihr zum Verhängnis werden konnte. Das Shikon no Tama hatte ihr die Gefährlichkeit von unüberlegten Wünschen gelehrt. Sich einfach zu wünschen glücklich zu sein konnte alles Mögliche nach sich ziehen und am Ende wäre sie doch allein. Nein, sie musste schon wissen, was Glück für sie war. Sollte sie sich wünschen wieder durch den Brunnen zu Inuyasha reisen zu können? Der Gedanke an den Halbdämon löste sogleich ein schlechtes Gewissen in ihr aus. Obwohl sie sich ihm immer noch verbunden fühlte, hatte sie sich in die Arme Sesshoumarus fallen lassen und ihn dabei völlig vergessen. Es hatte etwas von Betrug an sich, sie hatte einfach irgendwann die Hoffnung fahren lassen ihn jemals wieder zu sehen und dann fing sie ausgerechnet etwas mit seinem verhassten Halbbruder an. Inuyasha hatte nie den Glauben an eine gemeinsame Zukunft aufgegeben. Wie sie erfahren hatte, harrte er den Rest seines Lebens in der Nähe des Brunnens aus und sie hatte ihn einfach fallen lassen und sich dem nächsten zugewandt. War das alles nun die Strafe für dieses schäbige Verhalten? Durfte sie Inuyasha nach allem einfach so hinter sich lassen, ihn zu einer Erinnerung werden lassen? Konnte sie überhaupt ihm nach dieser Nacht und den knospenden Gefühlen für den Daiyoukai nochmals unter die Augen treten? Und wenn sie gerade dabei war ehrlich mit sich zu sein, wollte sie das überhaupt? Entsetzt schlug sie die Hände vor die Augen, als sie ihre eigenen Gefühle erforschte. Sie wusste es nicht. Sie wusste nicht, ob sie Inuyasha jemals wieder aufrichtig lieben konnte und ob er sie wirklich glücklich machen würde. Kaum hatte sie einen Moment darüber nachgedacht, kamen die lang verdrängten Gefühle und Gedanken wieder an die Oberfläche; seine Besessenheit von Kikyou, die sie so oft verletzt hatte. Oh, sie hatte ihn so oft dafür gehasst! Kaum war die wandelnde Tote irgendwo aufgetaucht, ließ er sie wie eine heiße Kartoffel fallen und eilte zu ihr und er scherte sich einen Dreck darum, wie sehr sie selbst darunter litt. Kikyous endgültiger Tod hatte ihn tief getroffen, ihn beinahe zerbrochen. Hatte er auch so sehr um sie getrauert? Hatte ihn ihre plötzliche und unfreiwillige Trennung genauso getroffen? Eigentlich war sie doch immer eine Art Ersatz für ihn gewesen…. … woraufhin Kagome sich selbst Ersatz gesucht hatte. Sesshoumaru war zu Anfang streng genommen ein Ersatz für alles, was sie jenseits des Brunnens zurückgelassen hatte, ein aufregender Farbtupfer in einer grauen Welt. Sie hatte überhaupt kein Recht Inuyasha zu verurteilen, jetzt wo sie wusste, wie sehr die Trauer um eine verlorene Liebe wehtat und wie verzweifelt sie selbst nach Trost gesucht hatte. Nein, die Wiedererweckung Kikyous hatte nur alte Gefühle in Inuyasha zum Entflammen gebracht und er war von einer irrationalen Hoffnung getrieben wieder an die Vergangenheit anknüpfen zu können, auch wenn Kikyou nicht mehr die Selbe war und es eigentlich von Vornherein aussichtslos war. Der Makel war menschlich und letztlich war Inuyasha zur Hälfte ein Mensch. Sie konnte es nicht verzeihen, dass er ihr so übel mitgespielt hatte, aber sie konnte es nachvollziehen. Ihre Gedanken sprangen nun zu Sesshoumaru, nachdem sie ihn eben schon kurz gestreift hatten. Konnte sie mit ihm glücklich sein, war er derjenige, der ihre Einsamkeit vertreiben konnte? Das zwischen ihnen war kurz und heftig gewesen. Ein unerwartetes Wiedersehen, woraufhin sie schnell in dem anderen einen Leidensgenossen entdeckt hatten und sich ein Gefühl der Verbundenheit entwickelte. Beide waren sie mit einem Teil ihrer Selbst der Vergangenheit verbunden und trauerten um im Früher zurückgelassene Freunde und Lieben. Auf dem Höhepunkt ihrer beider Schwermut, ausgelöst durch geteilte Erinnerungen, warfen sie jede Vernunft über Bord, betäubten den Verstand und gaben sich ihrer verzweifelten Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe hin. Dabei hatte sie nicht sehen wollen, wer Sesshoumaru immer noch war, dass sich sein Wesen über die Jahrhunderte kaum verändert hatte. Mittlerweile war es nicht mehr so offensichtlich, aber er war genau wie damals ein gewissenloser Egomane, dessen Gefühlsleben völlig verkommen war, er aber leugnete überhaupt eins zu haben – vor anderen sowieso, aber auch vor sich selbst. Rückblickend war es beinahe gnädig von ihm gewesen, dass er früher seine Opfer sofort mehr oder weniger kurz und schmerzlos tötete; heute beschränkte er sich zwar darauf seinem Gegenüber Seelenqualen zu bereiten, aber das dafür umso erbarmungsloser und gründlicher. Kagome hatte in den letzten Tagen nicht nur einmal daran gedacht, dass es ihm sicher eine sadistische Freude bereitete sie nach dieser leichtsinnigen Annäherung büßen zu lassen dafür, dass sie hinter seine Fassade geblickt hatte. Wenn Sesshoumaru es zuließ – was eher die Ausnahme war – konnte er wirklich jemand sein, der ihr Trost und Geborgenheit spendete. Es war nicht unmöglich ihn zu lieben, aber er musste es erlauben. Sie hatte den Fehler begangen Gefühle zu ihm ohne sein Einverständnis zu entwickeln. Deshalb trat nun seine andere Seite zu Tage, die einfach nur zerstören wollte und der man unmöglich auch nur ein positives Gefühl entgegen bringen konnte. Wollte sie wirklich mit so jemandem zusammen sein? Dass sie auf seine Gunst angewiesen war, dass er ihr gestatte glücklich sein zu dürfen? Letztlich war es eigentlich müßig sich über den Daiyoukai und ein mögliches erneutes Aufflammen ihrer Beziehung Gedanken zu machen. Sie hatte es selbst versaut, sie, Kagome Higurashi, höchst persönlich. Sie hatte ihn von sich gestoßen, ihm Lebewohl gesagt. Niemals würde es sein übergroßes Ego gestatten, dass er über diese Kränkung seines männlichen Stolz hinwegsah. Was also sollte sie sich wünschen? Wäre es klug sich einen der beiden Brüder wieder in ihr Leben zu wünschen? Oder hatte das Schicksal etwas ganz anderes für sie geplant, etwas, das sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht mal erahnen konnte, sich nicht erträumen konnte? Ihr eigentliches Bedürfnis war es nicht mehr allein zu sein, sie wollte sich wieder geliebt und wertgeschätzt fühlen; Sie wollte all die Zuneigung und Fürsorge, die beinah in ihr überliefen, jemandem zu Teil werden lassen. Jemandem, der sie auch wirklich verdiente und nicht von ihren Gefühlen zehrte wie ein Parasit. Und plötzlich lag der richtige Wunsch klar vor ihr, wie eine plötzliche Eingebung. Kagome schnippte die Münze in den Holzbehälter, griff nach dem Seil und läutete so die Glocke. Dann klatschte sie zweimal in die Hände. Jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit der Götter und Geister des Schreins, jetzt schenkte ihr das Schicksal Gehör. Zunächst schüchtern murmelte sie ihre Bitte: „Findet jemanden, den ich lieben kann!“ Dann, einen Moment später, fügte sie mit einem bitteren Lächeln hinzu: „Und der mich auch lieben kann.“ Die Welt schien verstanden zu haben, den wieder frischte der Wind auf und zog durch die vielen Glocken, die vom Tempeldach herab baumelten und brachte sie laut zum Schellen. Vielleicht war es aber auch nur Zufall, sie war schließlich nur ein einfacher Mensch. Sie sollte nicht zu viel darauf geben. Trotzdem fühlte sie sich etwas leichter ums Herz und mit neuem Elan schwang sie wieder den Besen. Erschöpft sank Kagome abends in die wohlige Geborgenheit ihres Bettes. Der Tag hatte sie sehr geschafft, denn nachdem der Schrein auf Vordermann gebracht worden war, stürmten drei westliche Touristengruppen hindurch und hatten sie ziemlich auf Trapp gehalten. Fast der ganze Souvenirladen war ausgeplündert, ihr wurden Löcher in den Bauch gefragt und sie musste ihre mäßigen Englischkenntnisse zusammenkratzen um die Fragen leidlich zu beantworten. Zu allem Überfluss war sie auch noch allein gewesen, da ihre Familie eine entfernte Verwandte besucht hatte und Kagome sich mangels Sympathie dazu bereit erklärt hatte den Tempel zu hüten. Außerdem war ihr Großvater der Meinung, dass eine hübsche, junge Miko im Laden sich umsatzsteigernd auswirken würde. Die ganze Grübelei über Inuyasha und Sesshoumaru den Tag über hatte auch andere Sehnsüchte in ihr geweckt. Sie lechzte nicht nur nach dem Gefühl geliebt zu werden, ihr Körper sehnte sich auch danach begehrt zu werden, er wollte wieder Ekstase und Leidenschaft erleben. Eine tiefe Unruhe erfüllte ihren Körper, ein Kribbeln durchzog ihren Schoß und machte sie von Sekunde zu Sekunde angespannter. Wie ein Gewitter, dessen Wolken sich gerade am Himmel auftürmten und dass sich jeden Moment entladen wollte. Berührung! Sie wollte berührt werden, sich lebendig fühlen. In der Heimlichkeit ihres Schlafzimmers gestattete sie sich diese Gelüste und so führte sie langsam ihre Hand unter die Decke. Zärtlich glitten ihre eigenen Finger über die nur von einem dünnen Nachthemd bedeckte Brust. Genüsslich seufzte sie; oh wie sehr hatte sie das vermisst! Ihre Fingerkuppen umkreisten gedankenverloren die kleine Wölbung im Zentrum des Hügels und lösten so einen heißen Schauer in ihrer Mitte aus. Wie von alleine antwortete ihr Körper darauf und sandte ihre andere Hand tiefer unter Decke hinab bis zu ihrer Scham. Jede ihrer eigenen Berührungen prickelte auf ihrer Haut, schrie nach mehr. Warum sollte sie sich nur mit diesen schüchternen, verschämten Zärtlichkeiten begnügen? Gierig griff sie tiefer, ein erleichtertes Stöhnen entkam ihren Lippen, als sie das Zentrum ihrer Lust berührte. Immer wieder neckten ihre Finger die kleine Perle, steigerten so ihre Lust ins Unendliche. Plötzlich breitete sich in ihrem Mund der Hauch eines herben, rauchigen Geschmacks aus. Erinnerungen an einen harten Untergrund krochen ihren Rücken herunter; silberner Glanz blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Warum erinnerte sie sich ausgerechnet jetzt daran? Kurz stockte sie in ihrem Bemühen. Warum dachte sie an jenen Abend, warum wanderten ihre lüsternen Gedanken zurück zu Sesshoumaru? Weil es verdammt noch mal gut war, weil sie noch niemals zuvor so leidenschaftlich geliebt worden war wie auf dem alten Tisch im Teehaus. Eigentlich hatte sie ja beschlossen den Daiyoukai hinter sich zu lassen, aber jetzt war nicht der Moment ihr eigenes Verlangen in Frage zu stellen; für diesen Moment war es ihr egal. So gab sie sich vollkommen der Erinnerung hin, kramte in ihrem Kopf nach all den Details dieses Erlebnis. Fordernd spürte sie eine Hand ihre Brust umgreifen, ungeduldig rieb etwas über ihren Schoß und so nahm das Spiel wieder an Fahrt auf. Lichter tanzten vor ihren geschlossenen Augen, ihr Atem ging immer hektischer. Das quälende Ziehen in ihrem Schoß nahm weiter zu, die ersten Ausläufer des sich nähernden Gewitters durchzuckten ihr Innerstes. Verzweifelt drückte sie sich in die Kissen, in der Hoffnung so das elektrisierende Gefühl verstärken zu können. Das Wimmern aus ihrem Mund war kaum noch zu unterdrücken, sie sehnte sich so sehr nach Erlösung. In ihren Gedanken spürte sie den harten, muskulösen Körper auf sich, den Druck, mit dem er auf ihrer heißen Haut lag. Aus der Ferne ihrer Erinnerung hörte sie ein animalisches Knurren und kurz bevor sie dachte es nicht mehr aushalten zu können, entlud sich die Spannung in ihrem Unterleib in einem ekstatischen Aufbäumen. Lustvoll stöhnte sie auf und ritt auf der Welle ihres Orgasmus davon. Erschöpft blieb sie liegen, sie brauchte einen Moment, bis sie sich erholt hatte und wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Als sie wieder die Augen aufschlug, stellte sie fest, dass sie allein in den Kissen lag. Niemand war bei ihr, allein lag sie mit verrutschtem Nachthemd in ihrem Bett. Kagome fühlte sich erleichtert, die Entspannung überkam sie und geleitete sie in einen sanften Schlummer. Sie konnte sich ein anders Mal damit befassen, warum sie eben ausgerechnet an Sesshoumaru gedacht hatte, obwohl sie doch beschlossen hatte ihn für immer zu vergessen. Kapitel 25: Versprechen muss man halten --------------------------------------- 25 – Versprechen muss man halten Beschwingt schlenderte Kagome über den Schulhof, endlich hatte sie diese Woche Schule auch hinter sich gebracht und konnte sich jetzt in ein entspanntes Wochenende stürzen. Der Wetterbericht versprach Sonne satt, der neue Bikini war angeschafft und von den Freundinnen genehmigt und das Picknick wollte sie vorbereiten, sobald sie zuhause angekommen war. Dem Tag am See mit ihren drei besten Freundinnen stand nichts mehr im Wege. Glücklich schloss sie die Augen und drehte sich wie eine Sonnenblume dem hellen Licht vom Himmel zu. Es war einfach eine Qual den ganzen Tag in dem dunklen Klassenzimmer verbringen zu müssen. „Kagome!“, rief sie plötzlich eine helle Stimme und riss sie aus ihrer Ruhe. Ihre Augen entdeckten sofort den Störenfried; Am Schultor stand Hanako und winkte ihr verlegen zu. Es war anders als das letzte Mal. Das Mädchen wirkte sehr schüchtern und zurückhaltend, scheu verbarg sie ihren Körper schutzsuchend hinter dem Pfeiler des Tores. „Was willst du ihr?“, zischte sie Kagome ärgerlicher als beabsichtigt an, kaum dass sie zu ihr aufgeschlossen hatte. „Ich habe doch gesagt, dass ich raus aus der Geschichte bin, ein für alle Mal!“ Die Schimpftirade verschreckte die Hanyou noch weiter, sie kniff die Augen zu und ließ den Unmut stumm über sich ergehen. Sogar den Kopf hatte sie ängstlich zwischen die Schultern gezogen. Als der Sturm abflaute, entspannte sie sich zaghaft und murmelte: „Du hast mir etwas versprochen.“ Überrascht sah Kagome die Kleine an und schüttelte irritiert den Kopf. „Du hast versprochen mir Lesen beizubringen“, half Hanako ihr auf die Sprünge. Die junge Frau erinnerte sich wieder. Ja, sie hatte dem Mädchen vor Wochen in einer Eisdiele versprochen ihr Lesen und Schreiben beizubringen, nachdem sie entsetzt darüber war, dass sie hilflos vor der Eiskarte gesessen hatte. Aber musste sie ausgerechnet jetzt darauf festgenagelt werden? In Kagome wuchs der Verdacht, dass Hanako das unerfüllte Versprechen nur als Vorwand gebrauchte, um sie weiter treffen zu können. Irgendeinen Hintergedanken hatte die Kleine doch… Warum ausgerechnet jetzt? Sie kannte sie zu gut und wusste, dass Hanako ein ausgekochtes Schlitzohr sein konnte, wenn es nötig war. Sie hatte es ja auch geschafft Sesshoumaru um den Finger zu wickeln. Steckte er am Ende dahinter? „Hanako, das war vor… bevor alles so kompliziert wurde“, seufzte Kagome und hoffte, dass sie es schaffen würde die Kleine wieder von ihrem Vorhabe abzubringen. „Versteh das doch bitte. Ich kann nicht mehr zurück nach allem, was geschehen ist.“ „Du hast es aber versprochen!“, widersprach die Hanyou empört. „Versprechen muss man halten, egal was passiert.“ Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte Kagome missmutig an. Ergeben schloss Kagome die Augen um dem Starren entgehen zu können. Es hatte keinen Zweck sich auf diese kindische Diskussion einzulassen, Hanako würde nicht von ihrem Dickkopf ablassen. Sie beschloss daher ihre Strategie zu ändern. „Sesshoumaru wäre sicher nicht damit einverstanden, wenn er wüsste, dass du zu mir gehst“, sagte sie in jenem ganz speziellen, überlegenen Ton, in dem Erwachsene Kindern ihre Fehler aufzeigten. „Er weiß es nicht und ich werde es ihm nicht erzählen“, entkräftete Hanako sofort den Einwand. Spöttisch fügte sie hinzu: „Außer du rennst zu ihm und sagst es ihm, aber das glaube ich ehrlich gesagt nicht.“ Verdammt! Kagome fiel nun nichts mehr ein, wie sie sich aus diesem leichtsinnig gegebenen Versprechen wieder herauswinden konnte. Eigentlich behagte es ihr auch überhaupt nicht ein Versprechen zu brechen, es war nicht ihre Art. Aber in Anbetracht der Gemengelage wäre es eigentlich das Klügste die Hanyou einfach wieder wegzuschicken. Blöderweise ließ sie sich nicht so einfach wegschicken und stellte sich stur und bockig. War sie immer so oder wurden auch Youkai in diesem Alter anstrengend? Mit Grausen erinnerte sie sich an ihren eigenen pubertierenden Bruder. Kagome rollte mit den Augen und stieß angespannt die Luft aus. Der Klügere gab nach. „Wie hast du dir das überhaupt vorgestellt? Ich kann dir ja schlecht hier am Schultor etwas beibringen und ins Teehaus können wir nicht. Ich weiß auch aus dem Stand heraus gar nicht, wie das geht. Ich muss mich auch erst einmal vorbereiten.“ Vielleicht konnte sie Hanako ja zeigen wie naiv sie die Sache sah. Es war leicht sich etwas in den Kopf zu setzen, es dagegen umzusetzen war etwas völlig anderes. Das Mädchen schien auf diese Frage nur gewartet zu haben. Sie grinste schelmisch und zog etwas aus ihrer Umhängetasche. „Du musst mir nur erklären, was in diesem Buch steht. Das ist ein Leselernbuch für Kinder.“ „Wo hast du das denn her?“, fragte Kagome entsetzt. „Aus einer Buchhandlung. Die Verkäuferin hat es mir empfohlen und da hab ich es gekauft.“ Stirnrunzelnd beäugte Kagome die knallbunte Fibel. Die Kleine hatte ja wirklich an alles gedacht! Kritisch erkundigte sie sich trotzdem: „Was hast du der Dame erzählt, warum du so ein Buch brauchst?“ „Dass ich im Ausland großgeworden bin und es deshalb nicht gelernt habe“, erhielt sie prompt als Antwort. Die Kleine war nicht nur eine geschickte Diebin, sie konnte auch lügen ohne rot zu werden, dachte Kagome. Kein Wunder bei dem Umfeld. „Ich nehme an, du hast dir auch schon genau überlegt, wo wir hingehen sollen“, maulte Kagome. Sie war sehr angefressen darüber, dass sie dem Hanyoumädchen so einfach auf den Leim gegangen war. „Wir gehen ganz einfach in das Café, in dem wir uns bisher auch immer getroffen haben. Ich habe alles dabei, was wir brauchen; das Buch, Papier, Stifte.“ Hanako bemerkte wohl die dunklen Wolken, die Kagomes Laune verhagelten und lächelte sie zuckersüß und überglücklich an. „Du zahlst“, brummte Kagome missmutig und machte sich auf den Weg in die Stadt. Ein strahlendes Mädchen heftete sich ihr sofort an die Fersen, aber das spitzbübische Lächeln in ihrem Gesicht passte nicht zu dem so unschuldig wirkendem Rest der Erscheinung. Kagome hatte nicht einmal den ersten Schluck ihres Milchkaffees zu sich genommen, da hatte Hanako schon all ihre Sachen über den kleinen Bistrotisch verteilt, hielt einen Bleistift in der Hand und sah sie erwartungsvoll an. Die Kleine meinte es wohl ernst, dachte Kagome müde. Während sie ihre Hände an dem warmen Porzellan wärmte, begann sie zu dozieren: „Die japanische Sprache besteht aus drei unterschiedlichen Schriftsystemen. Hiragana und Katakana sind zwei Silbenalphabete, Kanji die komplizierteren Zeichen, bei denen jedes Wort ein eigenes Zeichen hat. Jedes Wort lässt sich in Hiragana schreiben, also bringe ich dir das auch zuerst bei. So wird das übrigens auch in der Schule gemacht.“ Den letzten Satz hatte sie noch schnell hinzugefügt, da sie schon einen Einwand in Hanakos Augen funkeln sah. Kurz musste die Hanyou überlegen, dann hatte sie eine neue Frage. „Warum gibt es zwei verschiedene Alphabete? Reicht nicht auch eins?“ Kagome kicherte leise. „Gute Frage. Eins ist für japanische Wörter, das andere ist für alle Wörter, die aus anderen Sprachen übernommen wurden. Viele Wörter, die in Katakana geschrieben werden, haben einen englischen Ursprung.“ Zusammen gingen sie die ersten Seiten des Buchs durch, auf denen die ersten fünf Zeichen erklärt wurden und es Übungen zum Schreiben gab. „Das ist ja doof, das sind nur Vokale. Da kann ich ja noch keine Wörter draus machen!“, beschwerte sich Hanako, als sie die erste Lektion durch hatten. Auf dem Tisch lagen viele vollgemalte Papiere, denn Kagome hatte ihre Schülerin immer wieder die Zeichen schreiben lassen und verbesserte sie laufend. Wenn sie schon schreiben lernte, dann sollte sie sich auch eine ordentliche Handschrift aneignen. „Doch, es gibt Wörter, die du schon schreiben kannst. Schau mal.“ Kagome nahm Hanako den Stift aus der Hand und schrieb zwei gleiche Zeichen in eine freie Ecke. „Was steht da?“ Das Mädchen runzelte etwas die Stirn und schien zu überlegen. „Gut (1)“ „Richtig!“, lobte Kagome. Wieder schrieb sie etwas, diesmal aber benutzte sie drei verschiedene Zeichen. „Und das?“ Nun brauchte Hanako etwas länger, bis sie die Schriftzeichen entschlüsselt hatte. „Blau (2)?“, antwortete sie schließlich unsicher fragend. „Ja, richtig! Sehr gut!“ Kagome war stolz, wie schnell ihr Schützling das Gelernte anwenden konnte. Wieder kratzte leise der Graphit über das Papier. „Das bedeutet Liebe (3)“, erklärte Hanako und setzte ein sphinxgleiches Lächeln auf. In diesem Moment begriff Kagome, was für ein kapitales Eigentor sie sich gerade geschossen hatte. Große, neugierige Augen lagen auf ihr, versuchten auf den Grund ihres Herzens zu sehen. Der Nachmittag lief bisher so gut, es ging nicht einmal um die verworrene Geschichte zwischen ihr und Sesshoumaru. Sie hatte zunächst fest damit gerechnet, dass Hanako sich nur mit ihr treffen wollte, damit sie ihr Löcher wegen des Daiyoukai in den Bauch fragen konnte. Aber sie war schnell angenehm überrascht darüber gewesen, dass es ihr tatsächlich ums Lernen und die Gesellschaft ging. Und jetzt hatte sie Hanako die Steilvorlage gegeben und sie sah festentschlossen aus sich diese Gelegenheit nicht nehmen zu lassen. „Willst du Sesshoumaru jetzt wirklich nie wieder sehen?“, fragte die Hanyou vorsichtig und rührte gedankenverloren die Reste der Sahne in ihre Schokolade. Kagomes Gesicht wurde bei dem Thema aschfahl und nahm einen gequälten Ausdruck an. „Hanako… bitte. Lass es gut sein.“ „Ihr seid wie für einander geschaffen, merkst du das denn nicht?“, platzte es aus dem Mädchen heraus. „Es ist nicht so einfach, wie du es dir vielleicht wünschst.“ Kagomes gute Laune war wie weggeblasen und die Sorgenfalte auf ihrer Stirn wurde wieder etwas tiefer. „Warum nicht?“ Hanako war so aufgebracht, dass ihre Stimme inzwischen lauter als beabsichtigt geworden war und die Blicke anderer Gäste auf sich zog. Etwas leiser setzte sie nach: „Glaubst du, dass das wirklich Zufall war zwischen euch beiden? Wenn ihr euch gleichgültig wärt, wäre es niemals dazu gekommen.“ „Du verstehst das nicht“, versuchte Kagome sich zu erklären. Mittlerweile hatte sie den Kopf in die Hände gestützt und sah betrübt auf den Tisch. „Wir waren beide völlig betrunken und nicht mehr bei Sinnen. Da tut man Dinge, ohne über die Folgen nachzudenken und die man dann hinterher bei klarem Kopf bereut.“ „Bereust du es?“, setzte Hanako ihr Kreuzverhör fort. Es war klar, dass sie Kagome nicht mehr in Ruhe lassen würde, bis sie auf ihre Fragen Antworten erhalten haben würde. Wenigstens konnte Kagome mehr oder weniger offen zu der Hanyou sein, da sie von den wesentlichen Dingen sowieso wusste. Vielleicht half es ihre Gedanken und Gefühle noch etwas mehr zu ordnen. „Ich weiß es nicht. Es hat so viel kaputt gemacht, es ist alles so kompliziert geworden“, sprach Kagome nachdenklich an Hanako vorbei in den Raum. Am Ende all dieser sich überschlagenden Ereignisse verlor Sesshoumaru seine Tarnung und die Welt der Youkai war in Aufruhr. Ganz am Beginn dieser Kaskade stand jedoch jene leichtsinnige Nacht. „Aber trotzdem kannst du dem Ganzen nicht alles Schöne absprechen“, vollendete schließlich Hanako nach einem Augenblick Kagomes Gedanken. „Nein“, flüsterte Kagome. Nach einer Weile fügte sie monoton hinzu. „Aber das ist unerheblich jetzt. Es war eine betrunkene Nacht, aus verzweifelter Einsamkeit entstanden und ohne Bedeutung, mehr nicht. Selbst wenn ich mehr darin sehen wollte, sind wir doch mal realistisch. Du hast gesehen, wie er jetzt zu mir steht.“ „Er ist doch genauso durcheinander wie du“, wandte Hanako ein. Sie konnte und wollte das einfach nicht so stehen lassen. „Ich habe Sesshoumaru noch niemals zuvor so ratlos gesehen, scheinbar weiß er auch nicht, wie er mit der ganzen Sache umgehen soll. Wenn du nur mit ihm reden würdest, dann könntest du ihm sicher den entscheidenden Schubs zur Tür hinaus…“ „Nein Hanako“, unterbrach Kagome den romantischen Optimismus, der sich gerade wieder breit machen wollte, „Er hasst Menschen, schon immer und mich ganz besonders. Hat er dir erzählt, wie wir uns das erste Mal begegnet sind?“ „Nein, er hat mir nur gesagt, dass du in die Vergangenheit reisen konntest und ihr euch dort getroffen habt, weil du mit seinem Bruder gereist bist.“ Kagome musste einmal tief durchatmen und die aufflammende Wut unterdrücken. Wie konnte der Daiyoukai einfach alles brühwarm weitertratschen, aber selbst so sehr auf seine Privatsphäre pochen? „Sein Bruder, Inuyasha, hatte von ihrem Vater ein mächtiges Schwert vererbt bekommen. Kurzum, Sesshoumaru versuchte seinen Bruder dazu zu benutzen das Grab ihres Vaters zu finden, um dort Tessaiga an sich zu reißen. Tessaiga ließ sich aber nicht von ihm führen und hatte ihn abgelehnt. Daraufhin hat er versucht seinen Bruder und auch mich umzubringen, was sich glücklicherweise verhindern ließ.“ Sprachlos sah Hanako ihr Gegenüber an, sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Warum…?“, wisperte sie so leise, dass man es kaum hören konnte. „So war er nun mal. Ein stolzer, machtversessener, grausamer und kaltherziger Widerling, für den Menschen nicht mehr als lästiges Ungeziefer waren. Und ich war immer nur das Anhängsel seines verachteten Halbbruders.“ Hanako gab aber nicht auf, trotz der fürchterlichen Dinge, die sie gerade erfuhr. „Aber das hat er doch scheinbar überwunden inzwischen. Ihr habt euch doch gut verstanden, ich finde, dass man gemerkt hat, dass ihr mehr für einander empfindet als bloße Freundschaft.“ Kagome nahm den letzten Schluck des inzwischen kalten Kaffees und schüttelte resigniert den Kopf. „Wenn da einmal mehr war, dann ist es nun unwiederbringlich dahin. Jetzt bin ich nur noch ein Störenfried, der sein ruhiges Leben auf den Kopf gestellt hat.“ Verzweifelt krallte sich das Mädchen weiter an den Strohhalm der Hoffnung, wollte einfach nicht loslassen. „Aber… wie könnt ihr das einfach so aufgeben? Warum redet ihr nicht wenigstens noch einmal miteinander?“ „Weil es besser so ist“, sagte Kagome kalt mit fester Stimme. „Wir kommen aus unterschiedlichen Welten und es ist besser, wenn jeder in seine eigene zurückkehrt. Es mag zwar schade sein und tut etwas weh, aber das geht vorbei. Wir werden beide unser Leben weiterleben, jeder in seiner Welt und dort vielleicht eines Tages glücklich werden.“ Hanako trat mit vielen Gedanken im Kopf den Heimweg an. Wie konnten sich zwei Menschen, die so offensichtlich füreinander bestimmt waren, nur so sehr im Weg stehen? Es war einfach zum Verrücktwerden. Nachdem sie nun auch mit Kagome gesprochen hatte, beschloss sie, dass es zwecklos war weiter zu versuchen die beiden zueinander zu führen. Je mehr sie die beiden bedrängte, desto verbissener igelten sie sich in ihren Gefühlen und Meinungen von einander ein. Sie war froh, dass Kagome wenigstens damit einverstanden war sie weiter zu unterrichten. Allerdings hatte sie ihr das Versprechen abgerungen nie wieder über Sesshoumaru zu sprechen und auch, dass der Daiyoukai nichts über ihre fortan geheimen Treffen erfahren durfte. Das Mädchen hatte zugestimmt, auch wenn es ihr beinah das Herz zerriss. Aber es war immer noch besser, als Kagome komplett aus ihrem Leben streichen zu müssen. Sie hatte die Miko in der kurzen Zeit sehr lieb gewonnen und hatte in ihr endlich die Freundin gefunden, die sie solange schon vermisst hatte. Vielleicht war es ja wahr, was so viele Menschen immer sagten: Die Zeit heilt alle Wunden. Vielleicht brauchten die Wunden auf Kagomes und Sesshoumarus Herzen nur mehr Zeit zu verheilen und eines fernen Tages schafften sie es über ihren Schatten zu springen, wer wusste das schon. Sie jedenfalls würde alles aufmerksam verfolgen. (1) gut - ii – いい (2) blau – aoi – あおい (3) Liebe – ai – あい Das ist lediglich die Hiragana-Schreibweise, die auch Hanako gerade lernt ;) Kapitel 26: wahrscheinlich eher unwahrscheinlich ------------------------------------------------ 26 – wahrscheinlich eher unwahrscheinlich Kagome stellte den Kragen auf und kuschelte sich fest in ihren Mantel, um dem eisigen Herbstwind zu trotzen. Lange schon hatte der Sommer für dieses Jahr seine Schicht beendet und das Feld seinem ungemütlichen Kollegen Herbst überlassen. Monate waren vergangen, seit der Daiyoukai ihre Gefühle auf den Kopf gestellt hatte und die graue Tristesse fügte sich passend in ihr graues, ödes Leben ein. Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage den ersten Sturm angekündigt mit Regen, Hagel und allem, was dazu gehörte. Die ersten Ausläufer ließen jetzt bereits die vielen bunten Blätter über die Straße tanzen. Der November tauchte die Welt in ein bedrückendes Zwielicht, alles wirkte dumpfer und matter als in den anderen Monaten. Mit dem morgendlichen Nebel zog auch eine melancholische Stimmung auf und verdrängte die sommerliche Unbeschwertheit aus den Herzen der Menschen. Eine weitere kalte Böe umfing ihre Beine, die unter ihrem Rock hervorschauten und nur von einer dünnen Strumpfhose bedeckt waren. In dieser Jahreszeit die Schuluniform tragen zu müssen, zu der nun mal auch der Rock gehörte, war kein Vergnügen. Sie war sowieso immer etwas verfroren. Wenigstens hatte sie diesen Tag in der Schule nun hinter sich gebracht. Der Abend dämmerte bereits, auch wenn es kaum fünf Uhr am Nachmittag war. Jetzt, wo die Tage wieder so kurz waren, hatte Kagome oft das Gefühl, dass sie den gesamten Tag nur in der Klasse hockte. Im Dunkeln aus dem Haus, im Dunklen wieder zurück, sie schien den gesamten Tag zu verpassen. Wobei es eigentlich nicht wirklich etwas zu verpassen gab, was machte sie sich eigentlich vor… Die Routine ihres Lebens lastete wieder schwer auf ihren zierlichen Schultern. Wieder war jeder Tag ein Ebenbild seines Vorgängers, einer so monoton wie der andere. Wenn sie aus der Schule nachhause kam, setzte sie sich an ihre Hausaufgaben und las dann noch etwas zur Entspannung. Ab und an ging sie mit ihren Freundinnen aus, aber auch diese Unternehmungen konnten sie nicht von ihrer Schwermut befreien. Nicht nur einmal hatte sie sich gefragt, während sie von den drei glücklichen jungen Frauen umgeben war, ob mit ihr noch alles in Ordnung war. Sie empfand einfach keine Freude, egal wie sehr sich ihre Mädels auch bemühten sie auf andere Gedanken zu bringen. Kein Kinofilm, keine Shoppingtour und kein Streifzug durch das Nachtleben hatte bisher etwas daran ändern können. In diesen Bahnen verlief ihr Leben, seit der Brunnen sich für immer geschlossen hatte. Innerlich hatte sie diese Welt bereits verlassen und mit ihr abgeschlossen, alles in ihr sehnte sich wieder nach der bunten und wilden Zeit der Youkai, die sie so sehr zu schätzen gelernt hatte. In der Moderne gab es einfach nichts, das dieses Verlangen zu stillen vermochte. Das glaubte sie zumindest, bis sie den letzten Überlebenden aus jenen glücklichen Tagen wiedergefunden hatte. Für eine kurze Zeit schloss sich diese Lücke in ihr, um kurze Zeit später umso heftiger wieder aufgerissen zu werden. Das mit Sesshoumaru… was war das eigentlich gewesen? Eine Affäre, ein Abenteuer, wie sollte sie es nennen? In jedem Fall lag es Monate in der Vergangenheit und hatte eine tiefe Narbe in ihrem Inneren zurück gelassen. Wieso dachte sie eigentlich immer an diese eine Nacht, wenn sie sich so traurig und allein fühlte? Eigentlich wollte sie ihn doch vergessen. Der letzte übriggebliebene Moment der Freude in ihrem Leben war das wöchentliche Treffen mit Hanako. Sie hatte es einfach nicht übers Herz bringen können der Hanyou ihren Herzenswunsch abzuschlagen und brachte ihr deshalb nun jeden Freitag Lesen und Schreiben in einem Café bei. Dafür hatten sie eine strenge Abmachung getroffen, dass niemals auch nur ein Sterbenswörtchen über den Daiyoukai verloren werden durfte. Trotz der oft aufkeimenden wehmütigen Erinnerungen war es schön von Hanako immer auf dem neusten Stand gehalten zu werden, was Neuigkeiten und Klatsch aus der Schattenwelt der Youkai betraf. Sie hatte das fröhliche Mädchen fest in ihr Herz geschlossen und sie stellte den letzten Farbtupfer in Kagomes eintönigem Leben dar. Heute, nach diesem anstrengenden Tag, hatte sich Kagome definitiv eine Belohnung verdient. Sie hatte vor wenigen Minuten endlich die gefürchtete Matheklausur hinter sich gebracht, die ihr schon wochenlag den Schlaf geraubt hatte. Wahrscheinlichkeitsrechnung, wer brauchte denn so etwas? Die Wahrscheinlichkeiten in ihrem Leben konnte sie an einer Hand abzählen. Wenn sie weiter hier im Kalten stand und es nicht vor dem Regen bis nachhause schaffen würde, dann fing sie sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine Erkältung ein. Dazu musste sie keine großen Berechnungen anstellen, das sagte einem schließlich der gesunde Menschenverstand. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals in ihrem Leben einen Mann finden würde, mit dem sie auch glücklich werden konnte, war hingegen verschwindend gering. Es machte die ganze Sache nicht weniger trostlos, wenn sie sich ausrechnen würde, wie viele Nullen genau hinter Komma standen. Die Sache mit Sesshoumaru wieder gerade zu biegen und einen Neuanfang zu starten sprengte dagegen das Fassungsvermögen ihres Verstandes für winzig kleine Zahlen. Eher würde sie zeitgleich in der Lotterie gewinnen und von einem Blitz erschlagen werden, so absurd unwahrscheinlich war dieser Fall. Das waren immerhin praktische Anwendungen für die seltsame Kunst der Stochastik. Was dagegen musste sie lernen? Kagome durfte ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war aus einer Urne mit sechs Kugeln die Schwarze zu ziehen. Sehr lebensnah, spottete sie in Gedanken. Bei ihrem Glück zog sie sowieso die Niete, aber als Antwort in einem Mathetest eignete sich diese tiefere Erkenntnis über das Sein leider nicht. Aber sie hatte das Thema nun endlich hinter sich gebracht und Kagome war guter Dinge sich nie mehr in ihrem Leben damit befassen zu müssen. Nach anstrengenden Tests gab es nur eine Sache, nach der sich ihr ausgemergelter Verstand sehnte: Schokolade! Sie war zu erschöpft um noch den Umweg über den Supermarkt zu machen, deshalb lief sie schnurstracks zu dem kleinen Einkaufskiosk, der wenige hundert Meter neben der Schule seinen Sitz hatte. Es musste nicht immer die Großfamilienpackung Süßigkeiten sein, ein bis zwei Schokoriegel würden auch ihre Gelüste befriedigen, witzelte sie innerlich voller Vorfreude. Kaum war sie durch die Tür geschlüpft, wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Vor der Theke standen noch mindestens zehn andere Menschen und füllten den kleinen Verkaufsraum beinahe komplett aus. Die Schlange wand sich zwischen Regalen mit Zeitschriften, Büchsenessen, Knabbereien, Alkohol und noch vielem mehr durch. In diesen kleinen Lädchen, die meist bis spät in die Nacht geöffnet hatten, bekam man im Notfall fast alles, um nicht verhungern zu müssen bis die Supermärkte wieder geöffnet haben würden. Schon oft war es ihrer Mutter passiert, dass sie eine entscheidende Kleinigkeit für das sonntägliche Essen vergessen hatte und einer der vielen kleinen Kioske, die in einem engmaschigen Netz über die Stadt verteilt waren, rettete dann der Familie Higurashi das Abendessen. Dieses Wasserhäuschen stellte die Grundversorgung der benachbarten Schule mit allem, was gestresste und unterzuckerte Schüler so brauchten, sicher. In der Mittagspause fielen die Schüler ein, die keine Lust auf das gesunde Essen hatten, das ihre Mütter ihnen eingepackt hatten. Daher war der Kiosk sehr breit sortiert, was Süßigkeiten betraf und der alte Mann, der ihn betrieb, war immer auch eine Art Kummerkasten und Seelsorger für verzweifelte Schüler. Das Warten gab Kagomes Heißhunger Gelegenheit sich zu überlegen, womit genau er gestillt werden wollte. Einfach nur zartschmelzende Milchschokolade oder doch verfeinert mit süßem, klebrigen Karamell? Samtiger Nougat, der die Schokolade im Mund noch eine Spur cremiger werden ließ? Dunkle Schokolade, deren herbes Aroma die Geschmacksknospen ihrer Zunge zum tanzen brachte, vielleicht gespickt mit knackigen Nüssen? Frische Pfefferminzcreme, zuckriges Marzipan oder exotische Kokosflocken? Es war zum Verrücktwerden, wie sollte sich bei der Auswahl ein Mensch entscheiden können? Ihr im Keller liegender Zuckerspiegel kannte die Antwort und schrie gierig: „Alles! Nimm einfach alles und iss es sofort!“ Aber so verlockend es war, leider hatte sie dazu nicht genug Geld bei sich. Doch plötzlich riss sie eine schmierige Stimme aus ihren schokoladeumhüllten Phantasien: „Hey, Kagome! Na, ganz allein hier?“ Kagomes Gesicht gefror sofort, jede Vorfreude war verschwunden. Toshi, es war dieser widerliche Weiberheld, der nun hinter ihr in der Schlange stand und wohl beschlossen hatte wieder einmal einen Versuch zu starten auch ihrem Rock hinterher zu jagen. „Hast du heute noch was vor?“, hauchte er unvermittelt in ihr Ohr und stellte sich ungefragt dicht hinter sie. Die Wolke seines aufdringlichen Parfums nebelte sie vollständig ein, reizte ihre empfindliche Nase und hinterließ ein flaues Gefühl im Magen. Sicher war es eigentlich ein angenehmer Duft, überlegte Kagome, doch weniger war meistens eben mehr und Toshi schien immer darin zu baden. Es war auch schon im Klassenzimmer kaum auszuhalten. Kagome tippelte einige kleine Schritte vor, bis ihr der nächste Wartende den Raum versperrte. Sie wollte einfach nur Distanz zwischen sich und diesen Casanova bringen, doch das ging in dem beengten Lädchen nicht. Toshi rückte ebenfalls in der Schlange nach und war ihr nun wieder deutlich zu nah. „Na wie sieht’s aus, Kleine?“, flötete er weiter in ihr Ohr und benutzte dabei jenen Singsang, den er sich wohl aus schlechten Filmen abschaut hatte. „Danke, verzichte!“, zischte Kagome gereizt. „Ach komm schon. Wir machen uns einen schönen Nachmittag, ich führ dich aus, dann suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen…“ „Nein, ganz sicher nicht!“, erwiderte Kagome nun schon etwas lauter. Langsam aber sicher wurde ihr mulmig zumute. Der Kerl machte sich immer weiter an sie heran, ignorierte ihren Widerspruch und die anderen Leute um sie herum versuchten alles zu ignorieren. Und für einen gezielten Tritt in die Weichteile war es gerade zu eng, stellte sie niedergeschlagen fest. „Stell dich doch nicht so an. Ich weiß, dass du es auch willst, sei nicht so schüchtern“, gurrte es weiter in ihr Ohr, was ihren Magen sich fast umdrehen ließ. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie plötzlich eine fremde Hand auf ihrer Hüfte spürte, die sich verdächtig in Richtung ihres Pos bewegte. „Lass das!“, stieß sie ängstlich aus, aber Toshi antwortete nur mit einem hämischen Lachen. Doch so plötzlich die Hand da war, so plötzlich war sie auch wieder weg. Das lüsterne Säuseln war weg von ihrem Ohr und von etwas weiter hinten hörte sie ein schmerzerfülltes Winseln. „Nein heißt nein“, hörte sie eine tiefe Stimme ruhig klarstellen. Sie drehte sich schnell um und wollte ihren Augen nicht trauen. Da stand Sesshoumaru in seiner üblichen gelangweilten Attitüde und hielt Toshis Hand fest in seiner. Sein kalter Blick lag verächtlich auf dem Jüngling und er wartete wohl gerade auf eine Reaktion, um zu entscheiden, wie er weiter mit ihm verfahren würde. „Du Arschloch, lass mich los, sonst passiert was!“, schrie Toshi wütend und versuchte seine Hand aus dem stahlharten Griff zu befreien. Da das nicht gelang, wollte er gerade mit der freien Hand zu einem Schwinger ausholen, doch mitten in der Bewegung hielt er inne. Er schrie laut auf vor Schmerz, als ein hässliches Krachen und Knirschen seiner anderen Hand zu hören war. Das Geräusch von brechenden Knochen sandte Kagome eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Die Schlange vor ihnen hatte sich in der Zwischenzeit aufgelöst und sie standen nun mehr oder weniger direkt vor dem Verkaufstresen. Den alten Besitzer schien der kleine Tumult in seinem Laden überhaupt nicht zu stören, denn er fragte völlig unbeeindruckt: „Was darf’s sein?“ Sesshoumaru nutzte Kagomes Überraschung und überging die vor ihm Stehende. „Zwei Mal das Übliche.“ Dabei hielt er die zertrümmerte Hand des Casanovas noch immer lässig fest. Mit seiner freien Hand nahm er zwei Schachteln Zigaretten entgegen und zog einen Geldschein aus der Brusttasche seines Hemdes. Sesshoumaru warf nochmals einen verächtlichen Blick auf den geschlagenen jungen Mann, von dem nun keinerlei Gegenwehr mehr zu erwarten war. Er schleuderte die Hand samt Besitzer angewidert von sich und verließ den Kiosk wieder ohne ein weiteres Wort zu sagen. „Warte!“, rief Kagome und stürzte aus dem Laden dem Daiyoukai hinterher. So wie es aussah, sollte sie dringend darüber nachdenken Lotto zu spielen und sich bei Gewitter unter dem Bett zu verstecken. Schweigend schlenderte Sesshoumaru die Straße entlang, es schien ihm egal zu sein, ob Kagome ihm folgte oder nicht. Jedenfalls unternahm er nichts um es zu verhindern. Schnell hatte sie ihn eingeholt und griff nach seinem Unterarm. „Warte, bitte!“ Aufreizend langsam drehte er sich zu ihr herum und sah sie mit unergründlichem Blick an. Seine abweisende Maske funktionierte wieder, niemand konnte auch nur erahnen, was in ihm vorging. „Was willst du noch?“, fragte er schließlich, nachdem sie schon eine kleine Weile so auf der Straße standen; Kagome hielt immer noch seinen linken Arm, er hatte den Oberkörper zu ihr herum gedreht. „Ich möchte mich bei dir bedanken, dass du mir den Kerl vom Leib gehalten hast. Das hättest du nicht tun müssen“, sagte Kagome zaghaft und schaute vorsichtig durch die ihr ins Gesicht hängenden Fransen ihres Ponys. Sie suchte in seinem Gesicht nach irgendeinem Hinweis, nach irgendeiner Reaktion, doch seine Züge waren wie so oft in Stein gemeißelt. Würde er jetzt wütend werden, weil sie ihm nachgelaufen war? „Keine Ursache“, murmelte Sesshoumaru einen Augenblick später monoton und befreite das eben gekaufte Päckchen Zigaretten von seiner Umhüllung. Sekundenbruchteile später klemmte bereits wieder eine Brennende zwischen seinen Lippen. Für ihn schien die Sache nun geklärt zu sein, denn er wollte bereits wieder weiter gehen, doch Kagome ließ seinen Arm nicht los. „Noch nicht…“, flüsterte sie. Sesshoumarus Gesicht bekam einen leicht ärgerlichen Zug, der aber auch als gequält interpretiert werden konnte, als er knurrte: „Was noch?“ Kurz drohte der Mut Kagome zu verlassen, seine abweisende Haltung machte ihr Angst. Sie hatte beinahe vergessen, wie gut er Menschen auf Distanz halten konnte und dass die schroffe Fassade nur dem Schutz eines einsamen, vernarbten Herzens diente. So oft hatte sie sich überlegt, was sein würde, wenn sie sich wiederträfen. Jetzt war dieser Moment gekommen und ihr Kopf war wie leergefegt. All die klugen Sätze, all die Vorsätze waren im Nichts verschwunden. Kagome schluckte, kämpfte verzweifelt gegen die Angst und wirren Gefühle in ihr an. Es war, als wären die vergangenen Monate nie gewesen. In ihrem Gefühl stand sie wieder in jener Nacht vor dem Teehaus, nachdem sie die Panther besiegt hatten. Nichts, aber auch gar nichts hatte sie seitdem verarbeitet oder für sich geklärt. Sie hatte nur verdrängt, versucht zu vergessen, welchen Platz der Daiyoukai in ihr sich mit der Zeit erschlichen hatte. „Wie geht es dir jetzt?“, begann sie schließlich leise und schüchtern zu Sesshoumarus Rücken zu sprechen. „Dein Leben muss sich ziemlich verändert haben.“ Sie konnte und wollte ihn einfach noch nicht ziehen lassen. „Es ist wie immer. Die Unruhe hat sich schnell wieder gelegt“, antwortete er überraschend entspannt und zog weiter an seiner Zigarette. „Das freut mich zu hören“, sagte sie mit einem entspannten Lächeln. Die sich nun schon wieder ausbreitende Stille war beinahe unerträglich für Kagome, sie wollte dieses Gespräch nicht abreißen lassen, sie musste einfach wieder etwas sagen. Wieder frischte der Wind auf und kroch gnadenlos durch jede Ritze in ihre Jacke. „Ist dir nicht kalt?“, stellte sie eine weitere Frage; etwas Besseres fiel ihr gerade nicht ein und Sesshoumaru stand wie immer nur mit einem schwarzen Hemd bekleidet vor ihr trotz des Herbsts. „Ihr Menschen friert, ich nicht“, entgegnete er leicht empört, aber die Kälte wich langsam etwas aus seiner Stimme. „Stimmt, du hast ja nicht so triviale Probleme wie wir niederen Menschen“, kicherte sie. „Schön, dass selbst du das jetzt verstehst.“ Inzwischen hatte er sich auch vollständig zu ihr herumgedreht und sah sie abschätzig von oben herab an. Ganz spurlos schien dieses unerwartete Wiedersehen aber nicht an ihm vorbeizugehen, denn das Gold in seinen Augen war nicht ganz so unterkühlt wie für gewöhnlich und Kagome war davon überzeugt, ein nervöses Flackern darin sehen zu können. Wieder breitete sich Schweigen aus, während sie sich mitten auf einer belebten Straße gegenüber standen und beide unschlüssig waren, was sie tun oder sagen sollten. Plötzlich und heftig überkam Kagome die Erkenntnis, dass sie ihn vermisste. Seine ruhige Art, seinen trockenen Sarkasmus, mit dem er die Dinge betrachtete, die Faszination, die von seinem dämonischen Wesen aus ging… Die Liste in ihren Kopf wurde immer länger und auch die Erinnerung an die unbändige Leidenschaft des Daiyoukai kehrte wieder in ihr Bewusstsein zurück. Auch erinnerte sie sich wieder an das Gefühl der Geborgenheit, das sie immer hatte, wenn sie mit ihm im Teehaus saß und über das Früher redete. Ihr Herz begann aufgeregt zu schlagen, was sollte sie denn nun mit diesen neuen Gedanken anfangen? Alles in ihr geriet ins Wanken, sie hatte doch beschlossen ihn vergessen zu wollen! Hektisch überlegte sie, was sie nun tun oder sagen konnte… sollte… musste… Sesshoumaru hatte seine Zigarette zu Ende geraucht und warf den Stummel achtlos zu Boden. Er sah sie noch einmal eindringlich an, aber schien nicht das in ihrem Gesicht zu finden, nach dem er gesucht hatte. „Na dann“, sagte er und drehte sich wieder herum, um die Straße hinab in Richtung des Teehauses zu laufen. Kagome war überrumpelt und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, die Zeit schien nun für einen Moment stehen zu bleiben. Die Blätter hörten auf im Wind herumzuwirbeln und schwebten in der Luft, die Passanten um sie herum wurden zur starren Kulisse. Zahllose Überlegungen ratterten wie durch einen einarmigen Banditen durch Kagomes Kopf. Schließlich setzten die Worte, die wie von allein ihren Mund verließen, den Fluss der Zeit wieder in Bewegung: „Darf ich dich wiedersehen?“ Kapitel 27: ein regnerischer Tag im November (Teil 1) ----------------------------------------------------- 27 – ein regnerischer Tag im November (Teil 1) Misstrauisch beobachteten Yuka, Eri und Ayumi ihre Freundin Kagome. Irgendetwas war passiert, denn sie war plötzlich wie verwandelt. Aus dem depressiven Haufen Elend kam von einem Tag auf den anderen eine fröhliche und optimistische junge Frau zum Vorschein, die nur so vor Glück strahlte. Selbst jetzt im Unterricht lächelte sie, nicht einmal die fiesesten Fangfragen der Lehrer konnten ihrem Frohsinn etwas anhaben. Gestern noch saß sie am selben Platz mit hängenden Schultern und Augen, die von tiefer Hoffnungslosigkeit zeugten. So eine Wandlung kam nicht einfach über Nacht, für so etwas musste es einen Grund geben! Und es war klar, dass dieser Grund ein Jemand war, denn so unnatürlich gut gelaunt war nur jemand, der heftig und frisch verliebt war. Den ganzen Tag schon schienen Kagomes Gedanken in Tagträumen zu hängen, sie weilte wohl in ihrer eigenen bonbonfarbenen Welt. An wen dachte sie da bloß? Als die Klingel den Beginn der Mittagpause verkündete, merkte Kagome nicht einmal, dass sich ihre drei besten Freundinnen alleine auf den Weg in die Cafeteria machten. Sie spazierte abwesend durch die Gänge und schien von einer nervösen Unruhe beseelt zu sein. Sie fand keine Ruhe, rastlos lief sie durch die Schule. Was verursachte nur diese Aufregung? In der überfüllten Cafeteria schafften es die Drei einen freien Tisch zu ergattern um dort Kriegsrat zu halten. „Hat jemand was mitbekommen?“, stellte Eri die erste Frage, „Ich verstehe das nicht. Gestern noch zu Tode betrübt und heute himmelhoch jauchzend, da soll mal einer draus schlau werden.“ „Sie wollte doch gestern nach der Schule direkt nachhause, oder? Sie war von dem blöden Test so fertig, dass sie nicht mal mit uns ins Café wollte“, rekapitulierte nun Yuka die Ereignisse des gestrigen Tages. Ayumi, die bisher geschwiegen hatte, kreiste schon die ganze Zeit gedankenverloren mit ihrem Zeigefinger über ihr Kinn, sie schien angestrengt zu überlegen. Schließlich murmelte sie: „Man könnte fast meinen, dass sie gestern auf dem Heimweg der Liebe ihres Lebens begegnet ist, aber sowas passiert eigentlich nur in Liebesfilmen.“ „Ich habs!“, quiekte Yuka plötzlich auf, als ein Gedankenblitz sie durchfuhr. „Ihr erinnert euch doch noch, dass Kagome im Sommer sich ständig mit einem angeblich alten Bekannten, dem es nicht gut ging, getroffen hat. Da war sie doch auch so gut drauf.“ Eri verstand sofort, worauf Yuka hinaus wollte. Yuka war so etwas wie ein Sherlock Holmes in Liebesdingen und Eri nahm dabei die Rolle des Watson ein. „… und dieser Bekannte hat ihr nun gestern seine Liebe gestanden!“, beendete sie Yukas Gedanken. „So muss es sein“, erklärte Yuka sehr zufrieden mit sich. Ayumi wollte sich aber nicht so recht von der allgemeinen Begeisterung anstecken lassen und gab zu bedenken: „Ich weiß nicht... Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt? Kagome hatte uns doch gesagt, dass es nur ein alter Bekannter war, wieso soll da jetzt mehr sein?“ Doch den Einwand konnte Yuka nicht gelten lassen. „Wir reden hier von Kagome! Weißt du noch, wie lange sie uns das mit ihrem Freund aus dem Ausland verschwiegen hatte? Wer weiß, ob das wirklich nur ein Bekannter war.“ Eri pflichtete ihr sofort bei: „So viel Mühe und Gedanken macht man sich nicht bei einem einfachen Bekannten.“ Während sie das Wort Bekannter aussprach, setzte sie es mit ihren Fingern in Anführungszeichen, um ihren Argwohn nochmals zu verdeutlichen. „Solange es nicht in absolut trockenen Tüchern ist, wird sie uns nie auch nur ein Sterbenswörtchen erzählen“, seufzte Ayumi resigniert. „Man müsste sie auf Schritt und Tritt verfolgen, wenn man etwas rauskriegen möchte.“ „Super Idee, Ayumi!“, schrie Yuka, ballte begeistert die Fäuste und haute sie auf den Tisch. „So durcheinander und aufgeregt wie Kagome den ganzen Tag schon ist, findet heute irgendwas Wichtiges statt. Wir heften uns nach der Schule heimlich an ihre Fersen, dann kriegen wir schon raus, was da vor sich geht.“ „Wenn sie das herausfindet, reißt sie uns den Kopf ab“, wandte Eri ein, die trotz aller Neugier unsicher war, ob sie nicht zu weit damit gingen ihrer Freundin nachzuspionieren. „Dann dürfen wir uns halt nicht erwischen lassen!“ Damit fegte Yuka alle Einwände vom Tisch. Ayumi hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen. Kagome bekam von all dem nichts mit und hatte ihre drei Freundinnen auch völlig vergessen, als sie nach dem Ende der letzten Stunde ihre Tasche packte und sofort aus dem Gebäude stürzte. Eilig machte sie sich auf den Weg nachhause. In sicherem Abstand folgten ihr die drei selbsternannten Liebesdetektive, immer darauf bedacht außer Sichtweite zu bleiben. Doch selbst wenn sie nur wenige Schritte hinter ihr gegangen wären, hätte Kagome sie nicht bemerkt, da sie so in Gedanken war. Beinahe wäre sie sogar in einen entgegenkommenden alten Mann gelaufen, dem sie erst im letzten Moment ausgewichen war. Sie hatte definitiv irgendetwas vor, wenn sie so schnell heim eilte, das stand nun fest. „Warum geht sie nachhause?“, fragte Eri etwas enttäuscht, als sie sich unauffällig an eine Bushaltestelle gegenüber der Treppe zum Higurashi-Schrein setzten, von der aus sie alles im Blick hatten. „Ich dachte, sie hat eine Verabredung?“ „Denk doch mal nach, Mensch!“, wies Yuka sie sofort zurecht, „Würdest du in deinen Schulklamotten zu einem Date gehen?“ „Nein…“, überlegte Eri unsicher, kam aber nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken. Ayumi sprang Yuka zur Seite: „Eben, sie macht sich sicher gerade zurecht. Ich bin gespannt, was sie anzieht. Hoffentlich nicht zu sexy, sonst kommt der Kerl noch auf blöde Gedanken. Das ist sehr schwierig bei einem ersten Date.“ Nach ungefähr einer halben Stunde geriet der Hühnerhaufen in Aufruhr. „Da kommt sie!“, flüsterte Ayumi aufgeregt, als sie sah, dass jemand am oberen Ende der Treppen auftauchte. „Hab ich‘s euch doch gesagt“, verkündete Yuka stolz, „Könnt ihr sehen, was sie anhat?“ Eri kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. „Ihren beigen Mantel… Moment, da blitzt ein blauer Rock drunter hervor! Ich glaube, sie hat das Kleid an, das sie im Schlussverkauf bei Doresu ergattert hat.“ Sogar jetzt noch schwang etwas Neid in ihrer Stimme mit, denn sie war damals leer ausgegangen und sie fragte sich bis heute, wie Kagome es geschafft hatte sich genau das Teil zu sichern, auf das sie ein Auge geworfen hatte. Ein anfeuerndes Lächeln breitete sich auf Yukas Gesicht aus, sie wirkte wie ein Trainer, der aus der Ringecke heraus seinen Boxer anfeuerte. „Gute Wahl! Das sieht weiblich aus, aber nicht billig. Etwas Besseres hätte sie nicht aussuchen können für ein Rendezvous.“ Kurz kommentierten die drei Kritikerinnen noch das dezente Makeup und die offen getragenen Haare ihrer Freundin, dann versteckten sie sich hastig hinter einer Mauer, denn Kagome wechselte die Straßenseite und lief direkt auf sie zu. Kagome marschierte zügig die Straße entlang in Richtung der Innenstadt, bog aber in eine Seitenstraße ein anstatt wieder zurück in Richtung Schule zu gehen. Der Weg führte sie weiter durch eine von Läden gesäumte Allee, die plötzlich an einem Park endete. „Oh, wie romantisch! Sie treffen sich im Hanami-Park“, schmachtete Ayumi ergriffen, als Kagomes Ziel feststand. Doch irritiert mussten die Verfolgerinnen feststellen, dass Kagome vor den Pforten des Parks nach links abbog und direkt zu einem alten Café lief. „Das Café kenn ich!“, stieß Eri aufgeregt aus, „Es ist ganz im Stil eines alten Wiener Kaffeehauses eingerichtet und die Terrasse ragt direkt in den Park. Schade, dass es jetzt anfängt zu regnen, das ist so schön dort. Im Frühling kann man dort Kuchen direkt unter den blühenden Kirschbäumen essen.“ „Und jetzt? Wir können doch nicht auch in das Café, dann sieht sie uns gleich“, fragte Ayumi unsicher. Sie hatte schon Angst, dass sie nie erfahren konnten, wer der mysteriöse Unbekannte war, mit dem Kagome sich traf. „Ich habe eine Idee, los folgt mir!“, forderte Yuka ihre Mitstreiterinnen auf, eilte ein Stückchen des Weges zurück und verschwand hinter dem Eingang des Parks. Atemlos rannten Eri und Ayumi hinterher und verstanden auch gleich, was ihre Freundin im Sinn hatte. Auf der Rückseite des Hauses breitete sich eine große, steinerne Terrasse aus, die durch große Glastüren mit dem Inneren des Cafés verbunden war. Der Außenbereich war sogar zum Teil überdacht, was den Beobachtungsposten etwas komfortabler machte. Einige der Tische standen noch draußen, wahrscheinlich für wetterfeste Raucher und so fanden die drei Spione einen Platz, von dem aus sie bequem in das Innere des Cafés sehen konnten, ohne jedoch Gefahr zu laufen sofort entdeckt zu werden. Kaum hatten alle drei ihren Platz eingenommen, sahen sie, wie Kagome sich zu einem Unbekannten an den Tisch setzte und ihn sehr vertraut begrüßte. Glücklicherweise war der Tisch gut einsehbar und lag ihrem Posten fast gegenüber. „Wer zum Kuckuck ist das?“, stellte Yuka sofort die Frage, die allen durch den Kopf ging. „Der ist ja viel älter als Kagome, der hat ja sogar schon weiße Haare. Was will sie mit so einem alten Sack?“, murrte Eri enttäuscht. „Aber irgendwie sieht er dann doch nicht so alt aus. Schaut euch mal sein Gesicht an, er sieht überhaupt nicht alt aus. Der ist höchstens dreißig.“ Ayumi beugte sich weit nach vorne vor und hoffte so das Rätsel lösen zu können. „Der sieht fast so aus wie der Kerl aus dem Ausland, mit dem sich Kagome in der Mittelstufe getroffen hat“, überlegte das Gehirn der Truppe Yuka laut. „Stimmt!“, rief Eri aufgeregt, „Der hatte auch weiße, lange Haare! Der sah so ähnlich aus, aber war jünger.“ Kritisch beäugte Ayumi weiter Kagomes Date, um dann enttäuscht kundzutun: „Sie scheint eine Schwäche für langes, weißes Haar zu haben… Ich weiß nicht, was sie daran findet. Ich find den Kerl trotz allem zu alt für sie, der ist locker zehn Jahre älter als Kagome.“ Verständnislos schüttelte Yuka den Kopf. „Also echt, ist sie denn aus dieser Geschichte nicht schlau geworden? Ihr Ex war ein Rowdy und hat sie ständig betrogen. Das ist doch total bescheuert mit dessen Abziehbild was anzufangen. Wenn der aus der gleichen Szene kommt wie ihr Ex, dann behandelt er sie sicher aus so.“ „Der da sieht aber irgendwie anders aus als ihr Ex“, versuchte Eri nun aus der Ferne Kagomes Verabredung einzuschätzen. „Er sieht schon älter und erfahrener aus, ihr Ex hatte ja mehr was Jungenhaftes. Irgendwie wirkt er so… so kalt. Irgendwie berechnend. Ich bin mir echt nicht sicher, ob er Kagome gut tun wird.“ Erschrocken schlug Ayumi die Hand vor den Mund, vor Schreck stockte ihr der Atem. Sie war eine hoffnungslose Romantikerin, deswegen erschütterte sie der Gedanke nun auch so sehr. „Du meinst…. Er will sie nur ausnutzen? Er liebt sie gar nicht und will am Ende nur ihren Körper?“ Betroffen sahen sich die Drei an; So etwas wünschten sie niemandem, aber es ergab durchaus Sinn, was Ayumi schlussfolgerte. Ängstlich fügte Eri hinzu: „Wer weiß, vielleicht ist das einer von den Kerlen, die auf junge Mädchen stehen und sie erst mit Geschenken und Versprechen verliebt machen, um dann ihren Spaß zu haben. Ich hab davon in einer Zeitschrift gelesen…“ Fassungslos und mit leerem Blick schüttelte Yuka den Kopf: „Kagome kann doch nicht so doof sein… Sowas würde sie merken, oder?“ Fragend sahen sich die Freundinnen an, die gute Laune hatte sich nun in Luft aufgelöst. Jetzt hatten sie Angst um ihre Freundin. Schließlich fand Eri als Erste wieder die Worte: „Wir beobachten das jetzt genau, schließlich wissen wir noch nichts Genaues. Vielleicht irren wir uns ja auch, ich würde es mir sogar wünschen.“ Ernst sah sie ihre beiden Mitstreiterinnen an. „Sobald uns irgendetwas komisch vorkommt oder der Typ sich an Kagome ranmachen will, gehen wir dazwischen! Wir müssen unsere Freundin beschützen, denn dafür sind beste Freundinnen da!“ Entschlossen sahen sich die drei Freundinnen in die Augen und nickten. Ein Fehler und dieser Schmierlappen würde sie aber einmal so richtig kennenlernen! Unsicher bahnte sich Kagome ihren Weg zwischen den vielen Stühlen und Tischen hindurch. In diesem Café war sie noch nie gewesen, obwohl es eigentlich nicht weit von ihrem Zuhause aus war. Die Atmosphäre war einmalig, es war so völlig anders als die üblichen Cafés und Bistros in der Gegend, die alle irgendwie ziemlich gleich aussahen. Der Hauch des alten Europa wehte durch die die gewölbten Decken, von denen gläserne Lampen herabhingen und den Raum in ein warmes, schummriges Licht tauchten, da der Tag draußen so trüb war, dass kaum Licht durch die großen Fenster fiel. An den Wänden waren halbkreisförmige Sitzecken angebracht, vor denen zierliche, runde Bistrotische standen und einige ebenso filigran gearbeitete Stühle. Direkt neben dem Eingang stand eine Vitrine, in der erlesene Kuchen und Torten präsentiert wurden. Der Duft von Kaffee kitzelte in ihrer Nase und erzeugte ein heimeliges Gefühl. Nach kurzem Suchen hatte sie endlich ihr Ziel erreicht. Auf einer der Sitzbänke saß Sesshoumaru und wirkte unbeteiligt wie eh und je. „Ein nettes Café, das du da vorgeschlagen hast“, sagte Kagome, als sie sich neben ihn setzte. „Nur warum hier und nicht im Teehaus?“ „Glaubst du wirklich, dass ich mir etwas aus dem Spülwasser mache?“, brummte Sesshoumaru und machte seiner Begleitung etwas Platz. Nach einem kurzen Moment fügte er hinzu: „Ich dachte, es wäre angemessener für unser Wiedersehen… nach allem.“ Er schien sich untypischerweise wirklich Gedanken gemacht zu haben, stellte Kagome in Gedanken angenehm überrascht fest, auch wenn er sich Mühe gab seine übliche Unbeteiligtheit zu demonstrieren. So ganz gleichgültig war es ihm anscheinend dann doch nicht. Kurze Zeit später kam einer der umherschwirrenden Kellner zu ihnen an den Tisch, um ihre Bestellung aufzunehmen. Sesshoumaru schaute nicht einmal in die angebotene Karte, sondern orderte sofort ohne Umschweife Kaffee und Käsetorte und sah dem Kellner mahnend in die Augen. Kagome fragte sich, was es mit diesem Blickkontakt auf sich hatte und beschloss sich dem Daiyoukai anzuschließen. Es sah so aus, als wäre er nicht das erste Mal hier und wüsste, was zu empfehlen war. Schweigend saßen sie nebeneinander und warteten darauf, dass die Bedienung mit ihrer Bestellung zurückkam. Es war Kagome etwas unangenehm, aber sie hatte einfach keine Idee, wie sie ein Gespräch anfangen konnte. Es erschien ihr irgendwie dümmlich mit einem sinnfreien Smalltalk über das Wetter oder Ähnlichem zu beginnen und Sesshoumaru machte keine Anstalten sein Schweigen zu brechen. Es dauerte zum Glück nicht lange, bis sie aus ihrem Leiden erlöst wurde. Der junge Mann kehrte mit einem Tablett zu ihnen zurück und servierte beiden Kaffee und Kuchen. Verwundert bemerkte Kagome, dass er Sesshoumaru das deutlich größere Stück hinstellte und ihm dabei verschwörerisch zuzwinkerte. Die vertraute Geste und das Wissen um die Vorlieben bestärkten Kagome in ihrer Vermutung, dass Sesshoumaru diesen Ort regelmäßig aufsuchte, wahrscheinlich gerade wegen des Kuchens. Mit einem überlegenen Lächeln spottete sie, kaum dass sie wieder unter sich waren: „So so, der Herr des Westens und furchtbarster Schrecken, der je über die Menschheit gekommen ist, hat also eine heimliche Schwäche für Käsekuchen?“ „Irgendetwas Gutes musste die Menschheit eines Tages hervorbringen. Ein Jammer, dass es solange gebraucht hatte.“ Es war amüsant zu sehen, dass er etwas ertappt wirkte; dass ausgerechnet er einer so profanen Leidenschaft frönte. Kagome konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken, doch noch bevor Sesshoumaru empört sie zurechtweisen konnte, eröffnete sie ihm: „Irgendwie fühlt es sich seltsam an mit dir so normal in einem Café zu sitzen. Es will nicht recht zusammenpassen, es passt nicht zu dem Bild von dir, das ich im Kopf habe. Ich habe immer noch den stolzen Dämon von vor fünfhundert Jahren vor Augen, wenn ich an dich denke.“ Gewissenhaft zerteile Sesshoumaru mit der Gabel das mächtige Stück Kuchen und stocherte nervös darin herum. Schließlich ließ er davon ab und sah Kagome ernst an. „Ich kann der Dame am Nachbartisch auch gerne das Herz aus der Brust reißen, wenn es dir hilft dich wohler zu fühlen.“ Er war wieder ganz der Alte, stellte Kagome unter lautem Lachen fest. Kaum fühlte er sich unsicher oder wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, versteckte er sich hinter seinem beißenden Sarkasmus und zynischer Gelassenheit. Es fiel ihr schwer sich wieder zu beruhigen, die Frau am Nachbartisch hatte sie schon erbost angesehen, weil sie so laut lachte. Endlich bekam sie sich wieder ein, wischte sich eine Lachträne aus dem Auge und seufzte erleichtert: „Das hat mir so gefehlt. Wirklich, ich habe das ehrlich vermisst.“ Irritiert sah Sesshoumaru sie an. „Was?“ „Das alles, die schlechten Witze. Dich.“ Der sonst so beherrschte Daiyoukai musste tief Luft holen, die Anspannung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Seine goldenen Augen huschten nervös im Raum umher, bis er sich endlich zu einer Antwort durchringen konnte. „So sehr ich es auch versucht habe zu verdrängen, ich dich auch.“ Kagome genoss es einmal Oberwasser zu haben, ihn so schwimmend und nervös zu erleben. Die Gelegenheit durfte nicht ungenutzt vorüberziehen. „Ich dachte, ich hätte dein wunderbar ruhiges und geordnetes Leben nur durcheinandergebracht oder irre ich mich?“ Es war ein gewagtes Spiel ihn so in die Ecke zu drängen, aber Kagome hatte das Gefühl, dass er sie gewähren lassen würde; Ihm war heute bei diesem Treffen nicht nach Streit, das spürte sie. „Hast du, ich habe es verabscheut und dich dafür gehasst. Aber ich muss zugeben, mir hat der Trubel in den letzten Monaten gefehlt.“ Da er an diesem Ort nicht rauchen durfte, rang er nun sein aufgewühltes Inneres mit einer Gabel Kuchen nieder. Nachdenklich richtete sich seine Aufmerksamkeit nach innen, während er es im Mund hatte. Kagomes Herz überschlug sich in ihrer Brust, in höchster Anspannung hing sie an seinen Lippen und wartete ungeduldig darauf, was er als nächstes zu sagen hatte. „Es war wieder ein Leben, kein Dahinsiechen“, fuhr er endlich fort, „Ich habe mich selbst wieder gefunden und nach langer Zeit wieder lebendig gefühlt, dafür danke ich dir.“ Sprachlos starrte Kagome ihn an, sie wusste einfach nicht, was sie auf diese Offenbarung antworten sollte. Die ganze Zeit hatte er sie von sich gestoßen, beleidigt, erniedrigt und immer wieder klargemacht, was für eine elende Nervensäge sie doch sei. Und nun das! Sie konnte einfach nicht glauben, dass das nur sein starrer Panzer gewesen sein sollte, dass es darunter so anders ausgesehen haben soll. Wenn sogar er eingesehen hatte, dass ihre Treffen ihm gut getan hatten, warum hatte er dann nicht vorher versucht zu verhindern, dass sie getrennte Wege gingen? War er wirklich so selbstzerstörerisch, nur um seinen Stolz zu schützen? „Und wenn ich dir jetzt in die Augen sehe, denke ich, dass es dir nicht anders ergangen ist. Es ist lustig, ihr Menschen seid immer wie ein offenes Buch zu lesen, ihr verbergt eure Gefühle nie“, beendete er seine Erklärung und rührte beiläufig in seinem Kaffee. „Was siehst du denn?“, wisperte Kagome mit zitternden Lippen. „Dieselben verleugne Kapitel 28: ein regnerischer Tag im November (Teil 2) ----------------------------------------------------- „Und wenn ich dir jetzt in die Augen sehe, denke ich, dass es dir nicht anders ergangen ist. Es ist lustig, ihr Menschen seid immer wie ein offenes Buch zu lesen, ihr verbergt eure Gefühle nie“, beendete er seine Erklärung und rührte beiläufig in seinem Kaffee. „Was siehst du denn?“, wisperte Kagome mit zitternden Lippen. „Dieselben verleugneten Gefühle, unterdrückte Liebe.“ Kagome blinzelte einmal, blinzelte noch einmal, aber der Moment löste sich nicht in bunten Wolken auf. Es war also kein Traum, auch wenn sie sich fern der Wirklichkeit fühlte. „Das heißt“, begann sie mit zitternder Stimme zu stottern, „Du hast… Du bist…“ Das Adrenalin und die vielen Schmetterlinge in ihrem Bauch verhinderten gerade jeden auch nur einigermaßen klaren Gedanken. Sie atmete einmal tief durch, versuchte so ihre überbordende Aufregung niederzuringen und nahm dann all ihren Mut und ihre Entschlossenheit zusammen: „Hast du mir wirklich gerade gesagt, dass du die ganze Zeit wie ich gefühlt hast?“ Sesshoumarus Augenbraue bewegte sich langsam wieder nach oben und offenbarte einen nicht zu deutenden, fragenden Blick. „Du hast wirklich nichts bemerkt? Für gewöhnlich bin ich kein liebeskranker Trottel, der sich von seinen Gefühlen beherrschen lässt, oder?“ „Dann hast du das aber gut versteckt“, entgegnete Kagome nun etwas gefasster. „Du hast keine Gelegenheit ausgelassen mir zu sagen, wie sehr ich dich nerve, was für ein dummer, schwacher Mensch ich sei und das ich bitte für immer verschwinden soll. Ich war bis vor zwei Minuten der festen Überzeugung, dass du mich nicht leiden kannst.“ Nachdenklich sah Sesshoumaru durch das Fenster in den Regen und schwieg. Er schien über die Worte der jungen Frau nachzudenken, denn er wirkte abwesend. Schließlich brach er sein Schweigen: „Ich dachte es auch, aber hinter meinem kalten Ich hast du etwas berührt. Es hat lange gedauert, bis ich es verstanden habe und glaub mir, ich habe mich damit nicht leicht getan.“ „Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass du mich nicht verachtest?“, hakte Kagome nochmals nach. Dieser Mann war einfach kompliziert und es schien ihm gerade unmöglich sich frei heraus klar auszudrücken. Offenbar tat er sich wirklich schwer mit allem, was hinter seinem Stolz verborgen lag. „Gefühle können sich ändern“, sagte er ruhig. Dann sah er ihr wieder direkt ins Gesicht und fixierte ihren Blick. Ernst fügte er hinzu: „Das solltest du ebenso gut wissen wie ich.“ Kagome errötete beschämt; sie verstand genau, was er meinte. Bis sie den Daiyoukai wieder getroffen hatte, gehörte ihr Herz Inuyasha und zerbrach beinahe durch die unfreiwillige Trennung. Je besser sie aber Sesshoumaru kennenlernte und je mehr Zeit verging, desto mehr schlich sich ihre Zuneigung von dem vorlauten Hanyou weg und langsam, aber stetig, nahm Sesshoumaru den Platz seines Bruders in ihrem Herzen ein. Jetzt, da es so deutlich ausgesprochen war, fühlte es sich immer noch ein wenig wie Verrat an. „Wieso schämst du dich dafür? Du hast dein Leben weitergelebt, in die Zukunft gesehen und hast nicht an Vergangenem festgekrallt“, fragte er irritiert über ihre Scham nach. „Wie eine Kerze im Wind“, flüsterte Kagome mit hängendem Kopf. „Dreht der Wind, folgt die Flamme. Aber so sollte es nicht sein…“  Behutsam umfasste Sesshoumaru ihr Kinn und richtete ihren Blick so zum Fenster hinaus. Es war später Nachmittag und die Dämmerung zog auf. Im Halbdunkel tanzte das Laub durch die Luft, immer wieder vom Wind und Regen geschüttelt. „Es ist ein Wunder, dass dein Licht nicht erloschen ist. Es ist schwierig für eine Flamme dem Herbstwind zu trotzen. Das, was du erlebt hast, war mehr als das, ein Sturm. Meinst du nicht auch?“ „Trotzdem sollte ich nicht“, setzte Kagome zu einer Antwort an, aber sie kam nicht dazu. Sesshoumaru fiel ihr sofort ins Wort: „Sollen, müssen, hätte… Das haben wir solange mitgemacht, dieses Spiel und es hat uns nur unglücklich gemacht.“ Stumm nickte Kagome. „Was wir miteinander erlebt haben, das war einfach nur der Versuch diesen Schmerz und diese Schuld zu betäuben und zu verdrängen. Aber warum sollten wir uns das aufbürden?“ „Liebe kommt und Liebe geht wieder, das ist der Lauf der Welt“, pflichtete Kagome ihm schüchtern bei. „Es hat noch nicht einmal jemand Schuld daran, es passierte einfach.“ „Ich will das nicht mehr“, eröffnete Sesshoumaru ihr plötzlich. „Vorher habe ich es nicht mehr gespürt, aber diese Trostlosigkeit frisst mich auf. Seit du weg bist, merke ich, wie sie mich immer weiter zu verschlingen droht. Rückblickend war deine Anwesenheit...“ Er zögerte einen Augenblick den Satz zu beenden, das Geständnis verlangte ihm wohl einiges ab. „…angenehm.“ Er atmete schwer aus, aber er wirkte nicht aufrichtig in dem, was er sagte. Es klang hohl und aufgesetzt, aber Kagome ahnte, dass dieses förmliche Wort als Platzhalter für die vielen verworrenen Gefühlte diente, die in ihm verborgen waren. „Was willst du denn?“, stellte Kagome die Gegenfrage. Äußerlich wirkte sie ruhig, aber ihr Inneres war in Aufruhr. Dieses Gespräch war seltsam: auf der einen Seite offenbarte der Dämon seine Gefühle, auf der anderen sprach er es so förmlich und nüchtern aus, als wären seine Empfindungen nur das Resultat einer logischen Überlegung, bar jeden zärtlichen Gefühls. „Klarheit.“ Ein Lächeln huschte für einen Moment über sein Gesicht, das bei jedem anderen als schüchterne Aufforderung gegolten hätte. „Deshalb habe ich dem Treffen zugestimmt.“ Angespannt starrte Kagome ihn an, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und verdrängte die Luft zum Atmen aus ihren Lungen. Das konnte nun wieder alles heißen… Klarheit. In Gedanken schrie sie ihn an, er solle sich nun endlich entscheiden, ob er sie wollte oder nicht. Stattdessen sagte sie: „Klarheit worüber?“ „Ob du mir nochmal die Ruhe und den Frieden gewährst, den du mir in jener Nacht geschenkt hast.“ Wieder erschlich er sich etwas Zeit, in dem er verschwenderisch langsam einen Schluck seines Kaffees trank. Schließlich sah er sie wieder ernst an. Zum ersten Mal breitete sich ein Hauch Wärme in dem kalten Gold seiner Augen aus. „Mein Leben ist seit Jahrhunderten in Aufruhr und ich verbringe es allein. Gib mir wieder diesen inneren Frieden und bleib bei mir, sei mein.“ Jetzt, da er es ausgesprochen hatte, wirkte er erleichtert. Die Anspannung verschwand aus seinem Körper und er sah ihr prüfend ins Gesicht. „Wenn du wirklich Gefühle für mich hegst, dann halte dich nicht länger zurück. Wenn du mich nicht willst, stehe ich auf und verschwinde in der regnerischen Nacht. Für immer“. Die Welt schien den Atem anzuhalten. Kein Geräusch drang mehr an Kagomes Ohr, sie hörte nur das Rauschen ihres eigenen Bluts und das wilde Pochen ihres Herzens. War das wirklich real? Geschah das tatsächlich, hatte Sesshoumaru sie gerade wirklich darum gebeten bei ihm zu bleiben? Nein, das konnte nicht sein. Wenn der Geist sich nach innen richtete, ließ er das Gesicht leer zurück, so auch jetzt gerade bei Kagome. Jeder Ausdruck war aus ihren Augen verschwunden, nicht einmal der Daiyoukai konnte erahnen, was in ihr vorging. Er zog seine eigenen Schlüsse aus ihrem Schweigen und stürzte hastig seinen Kaffee herunter. Im letzten Moment erwachte Kagome wieder aus ihrer Trance und hielt ihn vom Gehen ab. „Warte!“ Er hatte sich schon etwas erhoben und ließ sich nun nach ihrer Intervention wieder auf der Sitzbank nieder. Ungeduldig starrte er sie an. „Das ist alles so plötzlich“, erklärte sie hastig ihr Schweigen. „Ich war in dem festen Glauben, dass du allein sein willst und deine Ruhe vor mir möchtest. Dass es dir besser geht, wenn du Zeit für dich hast.“ „Ich habe mehr als genug Zeit allein verbracht“, murrte Sesshoumaru. Kagome seufzte mit einem Lächeln. Es schien ihm tatsächlich ernst zu sein, sonst hätte er ihr Schweigen nicht gleich als eine Zurückweisung interpretiert. „Du hast, seit ich dich kenne, den Eindruck gemacht, dass du jemand bist, der lieber mit sich allein ist. Der die Ruhe und Ordnung schätzt. Ich habe so viel in deinem Leben durcheinander gebracht, nur wegen mir ist dein Geheimnis gelüftet worden. Deswegen überfordert es mich gerade, dass du ausgerechnet bei mir dich selbst wieder gefunden hast.“ Er antwortete mit einem ungewohnt milden Lächeln auf den Lippen. „Mir fällt niemand ein, der mich besser aus diesem Tief hätte reißen können.“ Sehr skeptisch suchten Kagomes Augen sein Gesicht ab nach einem Hinweis darauf, ob er das tatsächlich ernst meinte oder ihm der Schalk im Nacken saß. „Wer bist du und was hast du mit Sesshoumaru gemacht?“, hakte sie kritisch nach und kräuselte nachdenklich ihre Stirn. „Niemand außer dir kann so warmherzig sein, obwohl das eigene Herz gebrochen ist; sich um andere Sorgen machen, während man selbst von nahestehenden Freunden immer wieder verletzt wird. Nur eine geborene Miko hat diese innere Stärke und so hatte ich Glück, dass ich von dir gefunden worden bin.“ „Das beantwortet nicht meine Frage“, entgegnete die so Gepriesene misstrauisch. Provozierend hob der Daiyoukai zum wiederholten Male die Augenbraue. „Wäre es dir lieber, wenn ich wie immer dir erkläre, wie unwürdig du meiner bist und meine Gedanken hinter der Wand aus Eis verberge?“ „Nein… Aber…“ Kagome kam gar nicht dazu ihr Unbehagen weiter zu erklären. „Eben. Menschen… was man macht, macht man verkehrt“, seufzte er und schüttelte übertrieben enttäuscht den Kopf. „Es ist einfach so ungewohnt“, rechtfertigte sich Kagome kleinlaut weiter. „Ich kenne dich nur als kaltherzigen, arroganten Kotzbrocken.“ „Hn. Lenk nicht vom Thema ab“, antwortete er auf den Vorwurf. „Wäre es nicht mal an Zeit an dein eigenes Glück zu denken, nachdem du so viele gebrochene Seelen geheilt hast?“ Nachdenklich sah Kagome auf ihre wieder einmal nervös in ihren Rock gekrallten Hände. Ein wenig hatte er recht, sie stellte immer die anderen über ihr eigenes Wohlergehen. Früher schon hatte sie all ihre Kraft aufgebracht Inuyasha zu stützen, obwohl er immer wieder Kikyou hinterher geeilt war und ihr damit immer wieder das Herz gebrochen hatte. Niemals hatte sie sich gestattet an sich zu denken, sie hatte nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. Es erschien ihr immer selbstsüchtig. Auch für alle anderen war sie da, sie konnte es einfach nicht ertragen jemanden unglücklich zu sehen. Auch als sie sich wieder in ihrem alten Leben in der Neuzeit zurechtfinden musste, schlüpfte sie wieder wie selbstverständlich in ihre Rolle als Helferin in der Not und versuchte so das Gefühl der Leere aus sich zu vertreiben. So war sie nun einmal, auch obwohl sie sich so einsam und verzweifelt fühlte. Kagome, die bedingungslos jedem beistand, gestattete sich selbst nicht auch einmal um Hilfe zu bitten. Konnte es wirklich so einfach sein? Sie konnte es einfach nicht glauben, dass sich so plötzlich ihre Sehnsüchte erfüllen sollten, dass, nachdem sie jede Hoffnung aufgegeben hatte das mit Sesshoumaru noch einmal zu retten, er nun plötzlich hier mit ihr in diesem bezaubernden Kaffeehaus saß und ihr eröffnete, dass er sich nach ihrer Nähe sehnte. „Ich weiß doch gar nicht, wie das geht… mein eigenes Glück zu finden“, flüsterte Kagome schüchtern und umfasst unsicher mit ihren Händen ihre Schultern. Es spendete etwas Trost sich selbst zu umarmen. Zum zweiten Male an diesem Tag legte Sesshoumaru seine Finger unter ihr Kinn und hob ihren niedergeschlagenen Blick. So zwang er sie in seine Augen zu sehen, als er mit tiefer, ruhiger Stimme sprach: „Für den Anfang könntest du ehrlich zu dir sein.“ Schwer seufzte Kagome. War es wirklich so einfach? Durfte sie einfach ihrem Herzen folgen? Und dann sollte sich alles in Wohlgefallen auflösen… aber was hatte sie schon zu verlieren? „Jemand wie du könnte jemanden wie mich lieben? Auch wenn der Schatten der Vergangenheit nicht mehr so schwer auf uns liegt?“, dachte Kagome laut nach. „Was sollte dagegen sprechen?“, fragte Sesshoumaru ruhig nach. Er schien nun zu verstehen, dass ihre Zweifel nichts mit seiner Person zu tun hatten und so rebellierte auch sein Stolz nicht. Kagome überwand langsam ihre Unsicherheit und ihre übliche Vorwitzigkeit kam wieder zum Vorschein. „Naja, wenn du niemandem mehr die Schuld geben kannst dafür, dass du verweichlichst und doch so etwas ähnliches wie ein Herz hast, das zu Gefühlen fähig ist, dann könnte das tatsächlich was werden mit uns.“ Der so Bezichtigte verzog aus Reflex das Gesicht, denn er war es nicht gewohnt, dass jemand so mit ihm sprach, geschweige denn ihm zärtliche Empfindungen unterstellte. Doch genau das schätzte er an ihr und es hatte ihn betrübt sie eben noch so niedergeschlagen zu sehen. Nie würde er das aber gestehen, das war eins seiner vielen Geheimnisse. „Außerdem habe ich dich eh für alle Zeiten für Männer versaut“, bemerkte Sesshoumaru trocken. „Einmal Dämon, immer Dämon.“ Verträumt sah Kagome in den immer weiter aufziehenden Sturm nach draußen. Da Sesshoumaru die ganze Zeit schon direkt neben ihr saß, packte sie kühn die Gelegenheit beim Schopfe und lehnte ihren Kopf vertraut an seine Schulter. „Mhmmm, da geb ich dir recht.“ Es war schön ihm wieder so nah sein zu dürfen. Beinahe hätte sie vergessen, welche Geborgenheit er ausstrahlte und wie gut sich der Körper des Daiyoukai anfühlte. Ein zarter Rotschimmer machte sich um ihre Nase herum breit, da ihre Gedanken von ganz allein zu anderen Aspekten des Körpers des Dämons wanderten. Sesshoumaru schien es tatsächlich ernst zu sein mit dem, was er sagte. Für gewöhnlich vermied er jeden Körperkontakt penibel, aber nun gestattete er es. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und legte lose seinen Arm über den Rücken der jungen Frau an seiner Seite. Kagome bemerkte durch die Nähe, wie sich sein Körper entspannte; seine Atmung wurde tiefer und ruhiger, die Spannung wich aus seiner Muskulatur. Hatte sie tatsächlich solch eine Wirkung auf ihn? Sie gestattete sich aber nur kurz abzuschweifen, denn ihr kam ein ernsterer Gedanke in den Sinn. „Was wird das jetzt eigentlich zwischen uns?“ „Naja, du wirst mich nicht mehr los, musst meine Launen ertragen und wir leben glücklich in unserer kleinen Welt und halten die Reste der Youkai davon ab sich gegenseitig auszurotten. Vielleicht reiße ich auch die Weltherrschaft an mich, wenn mir langweilig ist und du wirst die Königin der Welt“, erwiderte Sesshoumaru weltmännisch auf ihre Frage. Kagome konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. „Oh, du bist wirklich eine ausgezeichnete Partie!“ Aber schnell wich die Ausgelassenheit aus ihrer Stimme und ernst schob sie eine weitere Frage hinterher: „Aber eine Sache lässt mich nicht los… Du bist ein Youkai, ich nur ein Mensch.“ „Ach was?“, stieß der Daiyoukai übertrieben erstaunt aus. „Bitte zieh das nicht ins Lächerliche, es ist mir ernst. Ich werde irgendwann anfangen zu altern, mein Körper wird welken und eines Tages werde ich sterben. Du nicht. Du wirst keinen Tag älter aussehen als heute und mich irgendwann zu Grabe tragen müssen.“ Untypische Wärme strahlte das Gold seiner Augen aus, die sahen, wie sich Kagome wieder bekümmert enger an ihn lehnte. Warum machte sie sich so viele Gedanken darum, er wäre doch eigentlich derjenige, der sich darum Sorgen machen müsste. „Ja, du wirst eines Tages nicht mehr bei mir sein können. Es wird mich schwer mitnehmen, mir das Herz brechen und ich werde trauern. Die Erinnerung an dich wird mich mein ganzes Leben weiter begleiten und du wirst nicht vergessen werden wie all die anderen Menschen. Aber vergiss nicht, davor werden wunderbare Jahre liegen.“ Um seine Worte zu unterstreichen, hauchte er einen federleichten Kuss auf ihre Stirn. Diese ganze Gefühlsduselei war ihm eigentlich zuwider und er fühlte sich sehr unbeholfen, aber selbst er spürte, dass in diesem Moment Worte allein nicht genügten. Genießerisch schloss Kagome die Augen und gab sich der seltenen Zärtlichkeit des Dämons hin. Sie spürte die Wärme, die hinter seinen Worten lag und auch die Aufrichtigkeit. Es verfehlte auch nicht seine Wirkung, schnell wurde ihr wieder leicht ums Herz und die dunklen Gedanken wichen endlich und trübten nicht mehr das Gefühl des Glücks. Offenbar konnte es doch so einfach sein und irgendjemand da oben meinte es heute wohl gut mit ihr, indem er ihr das Glück, das sie sich heimlich seit einiger Zeit gewünscht hatte, in den Schoß legte. Wie hatte Sesshoumaru es ihr eben noch geraten? Sie sollte anfangen öfter an sich zu denken, ihre Wünsche nicht verleugnen und sie sich erfüllen. Dieser Moment erschien ihr als genau der Richtige, um damit anzufangen. Immer noch an seine Seite geschmiegt hob sie den Kopf und suchte seine Aufmerksamkeit. Als sie sich dieser sicher war, streckte sie unendlich langsam ihre zierliche Hand aus, um ihm dann endlich über die Wange zu streichen. Seine Geburtsmale fehlten ihr, sein Gesicht wirkte so unvollständig. Gespannt verfolgte Sesshoumaru ihr Tun und harrte der Dinge, die nun folgen mochten. Es schien ihm zu gefallen, das verlieh Kagome nun den nötigen Übermut. Beherzt legte sie ihre Hand an seinen Hinterkopf, zog ihn zu sich herab und gab endlich ihrem drängendsten Verlangen nach und küsste ihn. Der Kuss war anders als das, was sie zuvor miteinander geteilt hatten. Ihm fehlte das wilde Verlangen, das lodernde Feuer der Leidenschaft und auch die Tatsache, dass sie beide einen klaren Kopf hatten, veränderte die Wahrnehmung. All die Gedanken und Empfindungen, sie sie nicht aussprechen konnten, fanden nun einen Weg den anderen doch noch zu erreichen; Das unausgesprochene Versprechen die Einsamkeit für immer zu beenden. Sesshoumarus Worte kitzelten an ihrem Ohr, als er flüsterte: „Ich fürchte, unser kleines Treffen ist nicht unbemerkt geblieben.“ Hektisch sah Kagome auf und entdeckte drei erstaunte Gesichter, die sich an die Glasscheibe ihnen gegenüber drückten. Was hatten die Drei hier zu suchen? Die Spione zuckten ertappt zusammen, als der wütende Blick ihrer Freundin sie traf und lösten sich von der Scheibe. Kurz verschwanden sie in der Dunkelheit des regnerischen Novembertages, aber nur Sekunden später kündigte das Klingeln einer kleinen Glocke an, dass jemand durch die Tür der Terrasse hereinkam. „Keine Angst, ich werde sie nicht fressen, ich bin noch viel zu satt vom Kuchen“, bedeutete ihr Sesshoumaru belustigt. Sekunden später bauten sich Eri, Yuka und Ayumi vor dem Paar auf. „Lass sofort die Finger von unserer Freundin, sie ist kein Freiwild!“, ereiferte sich Yuka sofort. Eri sprang ihr zur Seite: „Wir werden nicht zulassen, dass du mit ihren Gefühlen spielst!“ Oh Gott, war das peinlich! Kagome wünschte sich sehnsüchtig ein großes Loch im Boden, in dem sie versinken konnte. Oder besser, das die drei Störenfriede verschlingen würde. „Mädels, ganz ruhig“, versuchte sie beschämt die Situation zu entschärfen, doch Yuka überging einfach diesen Versuch. „Kagome, weißt du denn nicht, was solche Kerle im Sinn haben? Ich weiß nicht, was er dir erzählt hat, aber diese Typen schmieren dir doch nur Honig ums Maul, um dich gefügig zu machen. Die machen sich einen Sport daraus arme, unschuldige Schulmädchen zu verführen.“ „Wir haben uns doch nur Sorgen gemacht“, murmelte Ayumi schüchtern entschuldigend. Diese Unverfrorenheit hatte für einen Moment Kagome die Sprache verschlagen, doch langsam entließ die Überraschung sie aus ihrem Bann. „Sagt mal, wie kommt ihr denn auf diese bescheuerte Idee? Geht’s euch noch ganz gut?“ Sesshoumaru verfolgte das ganze amüsiert und hielt sich im Hintergrund. „Kagome, der Kerl ist mindestens zehn Jahre älter als du. Was glaubst du, was der von dir will?“, wies sie nun wieder Yuka zurecht. „Das ist ja wohl meine Sache!“, keifte Kagome sie aufgebracht an. „Hört gefälligst auf euch in mein Leben einzumischen!“ Yuka und Eri waren sofort beleidigt. Eingeschnappt entgegnete Eri: „Wenn du meinst. Aber komm bloß nicht angekrochen, wenn dir das Herz gebrochen wurde.“ Ayumi beschlich das ungute Gefühl, dass sie sich in einen Irrtum verrannt hatten. Taten sie Kagomes Begleitung vielleicht gerade fürchterlich unrecht? „Kagome, wer ist das denn eigentlich?“, fragte sie zaghaft und versuchte so die Wogen etwas zu glätten. Kurz sah Kagome zu Sesshoumaru, der immer noch entspannt das Geschehen verfolgte und versicherte sich stumm seiner Zustimmung. Entschlossen ergriff sie seine Hand, bevor sie sagte: „Das ist Sesshoumaru, ihm gehört das Teehaus am Ende der Straße und ist mein Liebster.“ Kapitel 29: Nachschlag, der Erste: Zucker ----------------------------------------- 29 – Nachschlag, der Erste: Zucker Samstagnachmittage waren eigentlich schon immer die ungünstigste Zeit für eine Plünderung der Geschäfte der Einkaufsmeile. Es kamen immer alle zur gleichen Zeit auf dieselbe Idee und so endete es immer in einem dichten Gedränge; unzählige Menschen schoben ihre Körper dicht an dicht durch den Menschenauflauf. Trotzdem hatte sich eine Gruppe junger Frauen an diesem sommerlichen Tag am großen Brunnen verabredet, um gemeinsam die Läden zu stürmen. Es handelte sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Einkaufsbummel, nein! An diesem Tag mussten Entscheidungen getroffen werden, die wohlmöglich Einfluss auf das gesamte Leben haben würden. Kagome und ihre drei Freundinnen hatten die Schule abgeschlossen. Alle Examen waren geschrieben, alle Prüfungen waren – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg – bestanden und nun mussten sie sich nur noch auf die Abschlussfeier vorbereiten, bei der sie in festlichem Ambiente ihre Zeugnisse überreicht bekommen würden. Ein solcher Anlass erforderte natürlich eine entsprechend festliche und glamouröse Garderobe und die wollten die Mädchen heute beschaffen. Die meisten Schülerinnen stilisierten diese Frage zu einer Entscheidung hoch, die ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen würde. Ein zu unscheinbares oder braves Kleid und ruckzuck musste man sein Dasein als treusorgende Ehefrau eines öden Finanzbeamten bestreiten und dem Schwinden dessen Haars zusehen. Umgekehrt galt natürlich auch, dass ein zu gewagter Schlitz unweigerlich zu einem chaotischen Leben an der Seite eines notorisch untreuen Taugenichts führte. Kombinierte man das unselige Kleid nun auch noch mit dem falschen, weil zu protzigem Schmuck, so konnte aus dem Nichtsnutz schnell ein Kleinkrimineller oder gar Yakuza werden. Schließlich wussten alle Mädchen aus entsprechenden Zeitschriften, Filmen und Serien, dass dieser Abend der wichtigste in ihrem ganzen Leben sein würde und es ausschließlich um ihr Aussehen und ihre Begleitung gehen würde. Die Abschlussnote und eigenen Zukunftspläne waren ja ganz nett, aber was brachte eine hochbezahlte Stelle als Professorin der Chemie, wenn frau keinen Mann hatte? Kagome ließ sich von all dem nur wenig beeindrucken. Natürlich wollte sie atemberaubend aussehen an diesem speziellen Abend, aber sie definierte sich nicht ausschließlich über ihr Äußeres. Dazu hatte sie einfach zu viel erlebt; eine attraktive Hülle hatte nichts zu bedeuten. Im Übrigen war sie sich bereits im Klaren darüber, wohin ihr weiterer Lebensweg sie führte und an wessen Seite sie ihn beschreiten würde. Daher war sie relativ gelassen, es ging heute nicht um Sein oder Nichtsein, Leben oder Tod. Sie hatte auch Hanako mit zu dieser Shoppingtour eingeladen. In den vergangenen Monaten hatte sie eine enge Freundschaft zu dem jüngeren Hanyoumädchen aufgebaut und es war eine gute Gelegenheit Hanako die Normalität des Lebens eines menschlichen Mädchens zu vermitteln. Neben diesen noblen Absichten hatte Kagome erhebliche Zweifel am Geschmack ihrer Freundinnen und deshalb war ihr eine vernünftige Stimme wichtig in der Jury, die über ihre Erscheinung entscheiden würde. Außerdem kannte Hanako Sesshoumaru gut genug um beurteilen zu können, ob sie seinen Geschmack traf. Seit nunmehr einem dreiviertel Jahr waren die Miko und der Daiyoukai offiziell ein Paar und es lief überraschend problemlos. Hanako war in Freudentränen ausgebrochen, als sie davon gehört hatte. Der Rest der Youkaiwelt hatte die Nachricht mit einem Schulterzucken quittiert; es interessierte sie nicht weiter. Kagomes Freundinnen waren da schon eher ein Problem gewesen, es hatte Wochen gebraucht sie davon zu überzeugen, dass Sesshoumaru kein Schürzenjäger war. Mittlerweile hatte sich der Hühnerhaufen damit abgefunden, aber Kagome achtete penibel darauf die Drei von ihrem Liebsten fernzuhalten. Zwar ignorierte Sesshoumaru sie gekonnt und nahm keinerlei Notiz, selbst wenn sie in einem Raum waren, aber sie wollte nicht riskieren, dass ihre Freundinnen in einem ihrer zahlreichen idiotischen Momenten etwas taten oder sagten, was das schlagartig ändern würde. Sie zweifelte nicht an seiner Liebe zu ihr, aber sie machte sich große Sorgen um die Gesundheit der Drei. „Hey Kagome! Hier sind wir!“, rief Yuka über die Straße, kaum dass Kagome und Hanako in Sichtweite kamen. „Wen hast du denn da mitgebracht?“, fragte Ayumi neugierig. Kagome war auf diese Frage vorbereitet und so antwortete sie gelassen: „Ah, das ist Hanako. Sie ist das Patenkind von meinem Freund und ich habe sie heute zur Verstärkung mitgebracht.“ Für einen Moment herrschte eine etwas angespannte Atmosphäre, wie so oft, wenn die Sprache auf Kagomes Beziehung kam. Schüchtern sah Hanako zu Kagome, die eigenartige Stimmung verunsicherte sie. Eri bemerkte, dass sie ungewollt das Mädchen in Verlegenheit gebracht hatten und versuchte die Situation zu retten. „Schön dich kennenzulernen. Ich bin Eri, das sind Yuka und Ayumi. Wir sind Kagomes beste Freundinnen und gehen zusammen zur Schule.“ „Du meintest wohl gingen“, lachte Yuka. „Deswegen sind wir doch hier.“ Das war das Stichwort und einen Augenblick später verschwanden sie im ersten Kaufhaus. Unter den wachsamen Augen einiger älterer Verkäuferinnen streiften die Mädchen zwischen den Kleiderständern hindurch und begutachteten mit kritischem Blick die angebotenen Stücke. Es war nervig die Verkäuferinnen davon helfen zu wollen. Gleich der erste Rat hatte einen furchterregend altmodischen Geschmack offenbart und Kagome wollte nicht aussehen wie ihre eigene Großmutter. Außerdem hatte sie ihre eigenen Vorstellungen und suchte nach einem Kleid, das sich damit deckte. Hanako hatte sich etwas von der Gruppe abgesondert und war einige Regale weiter hinten verschwunden, wo sie etwas gefunden zu haben schien, was ihr ganzes Interesse fesselte. Die Miko störte sich nicht daran, sie freute sich sogar, dass auch Hanako am stöbern war und wünschte ihr viel Glück für sich fündig zu werden. Als wollte das Schicksal sie für ihren uneigennützigen Gedanken belohnen, fiel ihr plötzlich auf, dass zwischen all dem Glitzerzeug ein verirrtes Kleid hing, das definitiv nicht an diesen Ständer gehörte. Es war Liebe auf den ersten Blick und so zog Kagome den feinen Stoff zwischen Pailletten und Strass hervor. Am anderen Ende des Ganges entdeckte sie nun Hanako, die auch einen Kleiderbügel über dem Arm liegen hatte. „Na, hast du auch was gefunden?“, fragte Kagome fröhlich. Schüchtern zeigte das Mädchen seine Beute. „Ich habe es in der Kinderabteilung gefunden, aber es passt. Ich finde es einfach süß“, begann sie sich zu rechtfertigen. Kagome verstand sofort, warum sie sich in das T-Shirt verliebt hatte. Auf den roten Stoff war ein niedlicher, weißer Comic-Hund gedruckt. „Ich verstehe“, zwinkerte Kagome. Der Raubzug durch die Regale und Gänge endete schon bald vor den Umkleidekabinen. Sie hatten vereinbart, dass jede einzeln die Kleider anprobieren würde und sich dem Urteil der anderen stellen musste. Glücklicherweise standen ein paar Stühle vor den Umkleiden, denn Kagome taten inzwischen die Füße weh. Es war eine Wohltat endlich einen Moment sitzen zu können. Der Vorhang raschelte, wurde zur Seite gezogen und hervor kam Yuka in einem Alptraum aus pinker Seide und Tüll. Kagomes erster Gedanke war ein knallrosa Baiser-Törtchen, das beim Backen explodiert war. „Ich liebe es!“, seufzte Yuka ergriffen, „Ich fühle mich wie eine Prinzessin.“ Die beiden anderen pflichteten ihr sofort bei, sie hatten sich auch Hals über Kopf in das Kleid verliebt. Nur Kagome rang noch immer um Worte und Hanako starrte mit großen Augen auf das leuchtende Pink. „Yuka, das ist nur der Abschied aus der Schule und nicht die Oscarverleihung! Meinst du nicht, dass das etwas zu viel ist?“ Es entsprach nicht wirklich Kagomes Gedanken, aber es war das Diplomatischste, das ihr gerade durch den Kopf ging. „Ja eben, deswegen muss man sich ja auch richtig aufdonnern! Langweiliges Zeug kann ich mein ganzes Leben noch anziehen.“ Damit war es beschlossen. Yuka, Eri und Ayumi hielten es für eine ungeheuer geniale Idee als Zeichen ihrer Freundschaft und Verbundenheit alle das gleiche Kleid zu tragen. Während die Drei gackernd Pläne für den großen Abend schmiedeten, flüsterte Hanako besorgt in Kagomes Ohr: „Tu das bloß nicht! Das sieht so scheußlich aus, ich will mir nicht mal vorstellen, was er dazu sagt…“ „Keine Angst“, beruhigte Kagome das schwer mitgenommene Mädchen wieder, „Soweit wird es nicht kommen.“ Dann nahm sie das Kleid, das sie schon die ganze Zeit über ihren Arm liegen hatte und verschwand ebenfalls hinter dem Vorhang. Kurze Zeit später hörte man es schnaufen und ächzen, auch der ein oder andere sehr undamenhafte Fluch erklang hinter der Sichtblende. Schließlich gab Kagome es auf und bat Ayumi zur Hilfe, die den störrischen Reißverschluss schließlich bezwang. Endlich wurde der Vorhang beiseite gezogen und gab den Blick frei auf das, was er verbarg. „Wieso schließt du dich uns nicht an?“, maulte Eri sofort. „Weil ich schon meinen Prinzen habe und mich nicht wie eine verzweifelte Prinzessin geben muss“, konterte Kagome schnippisch. Sie hatte sich schon lange vorher Gedanken gemacht, was sie anziehen würde und war heilfroh etwas gefunden zu haben, was ihren Vorstellungen entsprach. „Na, meinst du, das geht?“, zwinkerte sie Hanako verschwörerisch zu. Sie drehte sich einmal um ihre Achse um der Hanyou einen besseren Blick für ihr Urteil zu gewähren. Präsentiert wurde ein nachtblaues, ärmelloses Kleid, dass Kagome bis zum Knie reichte. Der zart schimmernde Stoff umspielte leicht ihre weiblichen Kurven und fiel fließend von ihrer Taille bis zum Saum. Darüber wirkte das Kleid wie aus einem langen Band gemacht, dass sich um ihren Oberkörper gewickelt hatte und so ihr Dekolleté äußerst vorteilhaft betonte, jedoch ohne zu tiefe Einblicke zuzulassen. Das dunkle Blau bildete einen schönen Kontrast zu ihrer hellen, makellosen Haut und ließ sie erstrahlen. „Und wie das geht!“, freute sich Hanako. Der Rest der Truppe enthielt sich seiner Stimme, da sie immer noch beleidigt waren, dass Kagome sich weigerte das Gleiche zu tragen wie sie. Hanako kehrte nach dem Raubzug der Welt der Menschen für eine Weile den Rücken und besuchte Sesshoumaru im Teehaus zum weißen Hund. Sie fand ihn an seinem üblichen Platz in einem alten Buch versunken vor. „Ich bin wieder da!“ Kurz sah er auf, nahm ihre Anwesenheit zur Kenntnis und widmete sich dann gleich wieder seiner Lektüre. „Bist du denn gar nicht neugierig?“, fragte Hanako erstaunt. Sie hatte ihm erzählt, warum sie sich mit Kagome getroffen hatte und hatte nun etwas mehr Interesse von ihm erwartet. „Nein, warum auch? Es betrifft mich nicht“, antwortete er schließlich, als ihm schwante, dass er nicht um ein Gespräch herumkam. „Wie? Das betrifft dich nicht? Du gehst doch mit ihr dahin!“ Schweigend antwortete er, indem er seine Augenbrauen empört nach oben zog. „Das ist nicht dein Ernst!“, wies ihn Hanako zurecht, als sie sich ihm gegenüber auf einen der Hocker fallen ließ. Mahnend sah er über den Rand des Buchs und erwartete damit eine Erklärung für den unvermittelten Vorwurf. Fassungslos fragte das Mädchen weiter: „Hast du eine Ahnung wie wichtig das für Kagome ist, was das ihr bedeutet?“ „Sie beendet die Schule. Ich wüsste nicht, warum das meine Anwesenheit erfordert“, stellte Sesshoumaru klar. „Oh Mann, du hast wirklich keine Ahnung vom Leben der Menschen heute“, seufzte Hanako und schüttelte resigniert den Kopf. Sofort verengten sich die Augen des Daiyoukai gefährlich, er war es nicht gewohnt, dass sein Schützling so mit ihm sprach. Seit sie so viel Zeit mit Kagome verbrachte, war das schüchterne Mädchen aufgeblüht und zu seinem Leidwesen hatte das vorlaute Wesen seiner Liebsten auf sie abgefärbt. „Vorsicht…“, zischte er gereizt. „Das ist ein ganz besonderer Tag für Kagome, ein neuer Lebensabschnitt beginnt, sie fängt ihr Leben als Erwachsene an. Das wird natürlich gefeiert, sie bekommt in einer Art Zeremonie ihr Abschlusszeugnis verliehen vor den Augen all ihrer Freunde und ihrer Familie.“ Sesshoumarus Blick war wie immer undurchschaubar, aber Hanako war sich sicher, dass er zuhörte. „Deswegen auch die ganze Aufregung um das Kleid“, fuhr die Hanyou fort. „Hn.“ Mit diesem Laut bestätigte der ehemalige Herr des Westens, dass er die Ausführungen zu den Initiationsriten in die Welt der Erwachsenen bei den Menschen zur Kenntnis genommen hatte. Weiter wollte er sich aber dazu nicht äußern und hüllte sich stattdessen wieder einmal in Schweigen und Rauch. „Wenn du nicht kommst, wird Kagome sehr enttäuscht und traurig sein. Und ich werde dir das niemals verzeihen, also überleg dir genau, was du tun willst.“ Mit dieser Drohung verschwand Hanako wieder und ließ einen mürrischen Sesshoumaru zurück. Niemand machte ihm Vorschriften, was er zu tun oder zu lassen hatte! Aber es stimmte ihn unfreiwillig nachdenklich und so war an ein Weiterlesen seines Buchs nicht mehr zu denken. Genervt legte er es beiseite und schaltete dann das verstaubte Radio wieder ein. Warum ließ ihn die Stille sich gerade so unwohl fühlen? Der große Tag war schließlich gekommen. Kagome hatte sich schon am Nachmittag im Bad verbarrikadiert um sich auf den Abend vorzubereiten. Baden, frisieren, Maniküre und ein straffes Kosmetikprogramm standen auf der Tagesordnung, damit sie vorzeigbar sein würde. Obwohl sie zeitig damit angefangen hatte, war sie jetzt kurz vor Ultimo erheblich im Stress. Es hatte viel länger als angenommen gebraucht ihr Haar davon zu überzeugen in weichen Kaskaden über ihren Rücken zu fallen, denn bei den ersten Versuchen endete es in einer Art After-Taifun-Frisur. Immerhin war das Problem nun gelöst, sie war bereits angezogen und musste nun nur noch etwas nachschminken. Plötzlich klopfte es an der Badezimmertür. „Kagome?“, hörte sie die gedämpfte Stimme ihrer Mutter rufen, „Dein Freund ist da.“ Vor lauter Schreck verschmierte sie die Mascara über ihre Wange. Sie hatte überhaupt nicht mit ihm gerechnet, nachdem er so mürrisch auf ihre Einladung reagiert hatte. Vor Wochen schon hatte sie ihn gefragt und er hatte nur darauf verwiesen, wie sehr er Menschen hasste. Eigentlich hatte sie sich vor Wochen auch schon damit abgefunden an diesem Abend allein zu sein, sie hatte sich sogar schon eine passende Ausrede parat gelegt, warum ihr Freund heute nicht diesen besonderen Tag mit ihr verbrachte. Es tat zwar weh, aber sie verstand ihn auch irgendwie; er war nun einmal ein Youkai und lebte in einer anderen Welt. Umso mehr war sie nun überrascht, dass er seine Meinung geändert hatte. „Sag ihm, er soll unten kurz warten“, antwortete sie durch die geschlossene Tür. Kurz nachdem sie und Sesshoumaru ein Paar geworden waren, hatte sie ihn ihrer Familie vorgestellt. Da alle bereits Inuyasha gekannt hatten, war es kein Problem gewesen und sie musste nicht über sein wahres Wesen lügen. Nur Sota hatte sie vorher behutsam erklärt, dass Sesshoumaru nicht so ein lustiger Dämon war wie Inuyasha, auch wenn sie Brüder waren. Ihr kleiner Bruder schien es verstanden zu haben, denn die wenigen Male, die er dem Daiyoukai begegnete, bestaunte er ihn aus sicherer Entfernung. Ihre Mutter behandelte ihr Gefährte relativ neutral, aber immer höflich. Zu ihrem Großvater jedoch hatte er ein sehr spezielles Verhältnis. Der alte Priester wusste natürlich sofort, wen er vor sich stehen hatte, als er von Kagome erfuhr, dass Sesshoumaru ein Daiyoukai war, noch dazu einer der vier Herrscher. Großvater Higurashi hatte eine umfangreiche Sammlung von Objekten und Schriften über die untergegangene Welt der Youkai und wusste viel darüber für einen Menschen der Neuzeit. Leider vergaß er des Öfteren, dass er in eben jener lebte und legte sehr viel Wert auf alten Aberglaube. Aber gerade dadurch hatte er sich Sesshoumarus Wohlwollen erarbeitet, denn dieser genoss es heimlich endlich einmal wieder den gleichen Respekt entgegengebracht zu bekommen wie damals und über alte Geschichten plaudern zu können. Untypisch aufmerksam hatte er dem alten Mann sogar ein Stück aus seinem eigenen Archiv zum Geburtstag überlassen. Ihm war aufgefallen, dass der Priester fast von allen Youkaiherrschern der jüngeren Geschichte einen Siegelabdruck besaß. Nur der des Westens fehlte bisher und so hatte Sesshoumaru den Anlass genutzt um die Lücke zu schließen. Sprach man ihn aber auf diese stillschweigende Freundschaft an, so stritt er alles ab, wie er es immer tat. Nach kurzer Zeit hatte Kagome das Malheur auf ihrer Wange beseitigt und war endlich fertig. Als sie die Treppe zum Wohnzimmer herunterkam, fand sie ihren Liebsten im Wohnzimmer sitzend mit ihrem Großvater. Vor den beiden Männern stand jeweils eine Schale Sake. „Ah, da bist du ja endlich, Kagome. Wir haben schon mal auf dein Glück angestoßen, ich konnte Sesshoumaru-sama ja nicht einfach hier sitzen lassen“, wurde ihr sofort die Erklärung für die gemütliche Runde geliefert. Sie wollte nicht ganz daran glauben, dass die beiden nur einmal auf ihr Glück getrunken hatten, denn das faltige Gesicht des Priesters leuchtete bereits an einigen Stellen verdächtig rötlich. Staunend glitt Kagomes Blick über ihren Gefährten. Sesshoumaru hatte tatsächlich einen schwarzen Anzug an, wo auch immer er ihn herhatte. Feine schwarze Schurwolle, perfekter Sitz; Sie wusste nicht, dass er so etwas besaß. Darunter trug er wie immer ein schwarzes Hemd, jedoch ohne Krawatte. Das störte sie jedoch überhaupt nicht, denn es hätte nicht zu ihm gepasst. Sie verband ihn immer mit Unabhängigkeit und Freiheit, da wäre ein so formales Kleidungsstück albern gewesen, wie eine Verkleidung. Da es sich aber um einen feierlichen Anlass handelte, hatte er einen Knopf mehr als für gewöhnlich geschlossen. Ansonsten sah er wie immer aus, die Haare locker auf Höhe der Schulterblätter zusammengebunden, den hölzerne Anhänger um seinen Hals und einen gelangweilten Ausdruck im Gesicht. „Ich lass euch beiden dann mal alleine und mach mich auf fertig“, verkündete ihr Großvater schließlich und machte sich auf den mühsamen Weg die Treppe hinauf. Kagome stand immer noch ohne ein Wort zu sagen vor dem auf einem Sessel sitzenden Daiyoukai. „Ich dachte, du wolltest nicht…“, begann Kagome zaghaft zu sprechen, doch sie wurde schnell unterbrochen. „Dir auch erst mal einen guten Abend“, sagte Sesshoumaru spöttisch und stand dabei auf. Peinlich betreten senkte Kagome den Blick, aber plötzlich tauchten ein Paar schwarze Schuhe in ihrem Blickfeld auf. „Es ist dir wichtig und irgendwie werde ich es schon überleben“, erklärte er ihr weiter. Kagome ahnte, dass er nicht alleine zu dieser Einsicht gelangt war, aber sie würde sich hüten ihm das zu sagen. Seine Hand legte sich unter ihr Kinn und brachte sie so dazu ihm direkt in die Augen zu sehen. „Du siehst hübsch aus. Sehr gute Wahl. Aber da fehlt noch etwas.“ Innerhalb von Sekundenbruchteilen stand er dicht hinter ihr, sie spürte die Wärme seines Körpers in ihrem Rücken. Doch auf einmal wurde das Gefühl der Geborgenheit unterbrochen durch etwas Kaltes, das sie an ihrem Hals spürte. Aufgeregt fühlte sie mit ihren Händen nach, was es war und sie ertastete kühles Metall. Als sie an sich heruntersah, entdeckte sie eine Kette aus Silber mit einem schweren Anhänger, der auf ihrer Brust ruhte. Begierig sie besser sehen zu können eilte sie in den Flur zu dem großen Spiegel und stand ungläubig staunend davor. Sesshoumaru folgte ihr gemächlich, stellte sich wieder hinter sie und genoss die offenbar gelungene Überraschung. Kagome sah sich selbst mit einer feingliedrigen Kette aus reinem Silber um den Hals. An ihr befestigt war ein ebenfalls silberner Anhänger in Form einer Mondsichel. Die Enden der Sichel zeigten nach oben und in den Zwischenraum war ein tiefblau funkelnder Saphir gearbeitet. Wieder und wieder fuhren ihre Finger die Konturen nach, als müsste sie sich überzeugen, dass das Schmuckstück real war. „Sie gehörte vor sehr langer Zeit meiner Mutter. Mein Vater hatte sie für sie anfertigen lassen lange vor meiner Geburt. Gefällt sie dir?“ Tränen der Freude und Rührung setzten zur Überflutung von Kagomes Augen an, tapfer versuchte sie sie wegzublinzeln. „Ja! Ich weiß nicht, was ich sagen soll…. Danke“, sagte sie leise. Überglücklich lehnte sie sich gegen ihn und schmiegte sich an seine Brust. Zärtlich legte er seine Arme um ihre Taille und flüsterte in ihr Ohr: „Vor fünfhundert Jahren wärst du damit jetzt offiziell Gefährtin des Westens gewesen.“ Der wunderbare Moment wurde leider rüde unterbrochen bevor sie ihren Gefährten zum Dank küssen konnte, da ihr Großvater die Treppen wieder herunter polterte. „So, wir wären dann alle soweit! Lasst uns aufbrechen!“ Kapitel 30: Nachschlag, der Zweite: Zitronen -------------------------------------------- 30 – Nachschlag, der Zweite: Zitronen Die gemeinsamte Fahrt im Kleinwagen der Familie Higurashi war etwas beengt. Kagomes Mutter hatte darauf bestanden mit dem Auto zu fahren, da sie nicht im Dunklen zu Fuß nachhause gehen wollte. Den Einwand, dass Sesshoumaru ja auch noch da war, wollte sie aber partout nicht gelten lassen. Vermutlich war es nur ein Vorwand, um zu verschleiern, dass der Rückweg auf hohen Absätzen mehr als beschwerlich werden würde. So lenkte Frau Higurashi nun den Wagen durch den zähfließenden Verkehr. Neben ihr saß Großvater und beschimpfte gerade wüst eine Limousine, die sie nach einem gewagten Überholmanöver geschnitten hatte. Den begrenzten Raum auf der Rückbank teilten sich Sota, Kagome und Sesshoumaru. Die beengten Platzverhältnisse störten Kagome nur wenig, es war ein willkommener Grund sich dicht an ihren Gefährten zu kuscheln, der die gesamte kurze Fahrt über konzentriert aus dem Fenster starrte. „Unglaublich, der Kerl hat seinen Führerschein doch sicher in der Lotterie gewonnen!“, krakeelte der alte Mann weiter. Er war so aufgebracht, er konnte sich gar nicht mehr einkriegen. Es hatte aber ganz bestimmt nichts mit dem Sake zu tun, dass Großvater sich so echauffierte, ihm war lediglich die Sicherheit im Straßenverkehr ein ernstes Anliegen. Mild lächelnd versuchte Kagomes Mutter die Situation zu beruhigen. „Es ist nichts passiert und außerdem sind wir gleich da. Verdirb dir nicht die Laune durch so einen Blödmann“, sprach sie und bog dabei in die Einfahrt der Schule ein. Da es ein lauer Sommerabend war mit wolkenlosem Himmel, hatten einige der anderen Besucher offenbar das Auto stehenlassen und waren zu Fuß gekommen. Problemlos fanden sie einen Parkplatz. Kaum standen sie, stürzte Sesshoumaru auch schon aus dem Auto. Doch sofort erntete ein großes Schild seine tiefste Missbilligung; Auf dem gesamten Schulgelände war es strengstens untersagt zu rauchen. „Menschen“, schnaubte er abfällig. Mit diesen Worten stellte er sich auf den Parkplatz und steckte sich in aller Gelassenheit eine Zigarette an. In Kagome wuchs die Befürchtung, dass er das Verbot schlimmer als alles andere an diesem Abend finden würde. Nervige Menschen und dann durfte er seinen Geist nicht mit Rauch klären, das würde eine harte Nuss werden für den Daiyoukai. „Wir gehen schon mal vor, du findest uns ja dann“, sagte sie und schloss zu ihrer Familie auf. Ihre Familie hatte sich dem Anlass entsprechend ebenfalls schick gemacht, aber ihre Mutter und ihr Großvater waren die beiden einzigen, die traditionelle Kleidung gewählt hatten. Sie stachen in ihren Kimono unter den  vielen Gästen hervor. Schnell hatte Kagome sie im Gewühl des Foyers der Aula aus den Augen verloren, aber sie würde sie schon wieder finden. Ebenfalls aus der Masse hervor stachen ihre drei Freundinnen, die in ihren pinken Kleidern unübersehbar waren. Kagome beschloss sie zunächst zu begrüßen. Neugierig sah sie sich um und stellte entsetzt fest, dass die Drei noch nicht einmal die größte Modesünde begangen hatten. So viele Mädchen hatten viel zu dick aufgetragen, einige sahen mehr nach Karneval aus denn nach einer Feier, alternativ wäre auch der Vergleich mit einer Discokugel zulässig gewesen. Andere waren derart spärlich bekleidet, dass Kagome sich fragte, ob es nicht praktischer gewesen wäre gleich in Unterwäsche zu erscheinen. Jedes der Mädchen buhlte um Aufmerksamkeit, jedes mit eigenen Mitteln. Erfreulicherweise gab es auch zurückhaltendere Gemüter, die optisch einen angenehmen Kontrast bildeten. Die Jungs hingegen hatten scheinbar alle denselben schlecht sitzenden Anzug gekauft. Viele versanken in den viel zu großen Kleidungsstücken und sahen aus, als hätten sie sich von ihren Vätern ausgeliehen. Bei anderen spannten die Knöpfe am Bauch bedenklich und Kagome wartete nur darauf, dass einer mit einem lauten Knall abplatzen und als Geschoss durch den Raum fliegen würde. Endlich hatte sie es geschafft sich durch das Gewühl zu kämpfen und erreichte ihre Freundinnen. Diese standen in einer Ecke und unterhielten sich gerade angeregt mit Hojo und dessen Begleitung. „Ah, Kagome, da bist du ja endlich!“, begrüßte sie Yuka auch gleich überschwänglich. „Du kommst genau richtig. Wir haben gerade von dir gesprochen.“ „Das ist aber schön“, sagte Kagome verlegen. Ihre feinen Mikosinne erkannten sofort die sich anbahnende Katastrophe. „Wir haben uns gerade darüber unterhalten, was wir nach der Schule machen wollen, ob wir schon Rückmeldungen von Unis haben“, erklärte Hojo. „Dabei ist uns aufgefallen, dass wir von dir noch gar nichts gehört haben, was du später machen willst.“ „Ich habe zwar noch ein Jahr Schule zu machen, aber bereits jetzt habe ich die Zusage einer berühmten Schauspielschule“, drängte sich Hojos Begleitung wieder in den Vordergrund. Es schien dem Mädchen überhaupt nicht zu gefallen, dass mit dem Eintreffen Kagomes die allgemeine Aufmerksamkeit von ihr selbst zu der jungen Frau gewechselt war. Kurz musterte Kagome das Mädchen. Die Haare zu blond, die Augen zu geistlos, das Gesicht zu dümmlich und dann auch noch dieser peinliche Partnerlook. Sie hatte ihr Kleid tatsächlich farblich an Hojos Krawatte und Einstecktuch angepasst oder umgekehrt. In jedem Fall fand sie es ziemlich albern. Sie konnte sich gerade ein kleines Stück in Sesshoumaru hineinversetzen, wie furchtbar das alles auf ihn wirken musste. Wo steckte der eigentlich, wie lange brauchte er für eine Zigarette? Aber da das Mädchen jetzt das Wetteifern um den beeindruckendsten Gesprächsbeitrag eröffnet hatte, legten auch ihre Freundinnen nach. „Ich werde Sprachen studieren und Dolmetscherin werden“, sagte Ayumi aufgeregt. „Dann treffe ich sicher viele wichtige und bekannte Persönlichkeiten.“  „Ich bin auf der Polizeiakademie aufgenommen worden“, freute sich eine sichtlich aufgekratzte Yuka. Das passte zu ihr, dachte Kagome. Sie steckte zu gern ihre Nase in alles, besonders wenn es sie nichts anging. Hojo war nicht ganz so überschwänglich wie die Mädchen als er berichtete, dass er an der medizinischen Fakultät der Universität Tokyos aufgenommen worden war, aber er erzählte nicht ohne Stolz von der schwierigen Aufnahmeprüfung. Eri quiekte fröhlich: „Und ich gehe auf das Wirtschaftscollage. Wenn ich einen guten Abschluss schaffe, kriege ich sicher einen ordentlichen Job bei einer Bank.“ All ihre nun ehemaligen Klassenkameraden malten sich ihre Zukunft in den rosigsten  Farben aus. „Was ist mir dir Kagome?“, fragte Yuka nun nach. „Hast du Pläne?“ „Natürlich“, lächelte Kagome. „Ich werde den Schrein eines Tages von meinem Großvater übernehmen und bis dahin alles lernen, was eine Miko wissen muss.“ „Was, eine Miko? Ist das dein Ernst?“, riefen Eri und Ayumi im Chor. Das Gesicht der angehenden Priesterin verfinsterte sich. „Ja ist es. Was dagegen?“ „Nein nein“, ruderte Eri sofort zurück, „Ich dachte nur, jetzt wo du einen Freund hast….“ „Was dachtest du?“, unterbrach Kagome erbarmungslos. Ihr gefiel überhaupt nicht worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte. „Naja, ich dachte, Mikos dürften keinen Freund haben“, rechtfertigte sich Eri weiter. „Musst du dich da nicht entscheiden?“ „Wenn sie überhaupt einen Freund hat!“ Mit diesen Worten gesellte sich Toshi zu der Gruppe. „Warum ist sie alleine hier, wenn sie doch einen Freund hat? Ich glaub ihr das nicht. Deswegen ist das ja auch kein Problem für sie Miko zu werden, auch wenn ich es für eine Verschwendung halte, dass ein so hübsches Ding in einem Tempel verschwindet.“ Wütend funkelte Kagome den Weiberhelden an. Die Diskussion hatte ihr gerade noch gefehlt! Überhaupt, gab es an diesem Abend nichts Wichtigeres als ihr Privatleben? Und wo verdammt steckte Sesshoumaru, wenn man ihn brauchte? Wie konnte er sie nur so allein lassen? „Mein Freund ist draußen und raucht“, entgegnete Kagome den Unterstellungen und bemühte sich, dass man ihr nicht ansah, was ihr durch den Kopf ging. „Jaja, das hätte ich jetzt auch gesagt“, ätzte Toshi weiter. Er blieb seinem latent ordinärem Stil auch an diesem Tag treu und hatte sich in einen zu engen, glänzenden Anzug gepresst. Irgendwie schaffte es kein Junge aus ihrem Jahrgang eine geschmackvollen und gleichzeitig gut sitzenden Anzug zu tragen. „Aber wie willst du das denn jetzt alles unter einen Hut bekommen? Ich dachte eine Miko müsste ihre Reinheit wahren?“, lenkte Ayumi nun das Gespräch auf das ursprüngliche Thema zurück. Entnervt verdrehte Kagome die Augen. „Das ist ja wohl meine Sache! Außerdem meint der Begriff Reinheit nicht, dass ich keinen Freund haben darf, sondern-“ Sie kam nicht dazu den Satz zu beenden, den plötzlich hörte sie hinter sich Sesshoumarus tiefe Stimme belustigt fragen: „Dass du auf gewisse Dinge verzichten müsstest? Das fände ich in der Tat schade und ich glaube, du würdest es auch vermissen.“ Als würde der Daiyoukai ahnen welche Fragen sich seine Gefährtin wegen seiner Abwesenheit stellen lassen musste, hauchte er ihr einen Kuss auf die Wange. Kagome leuchtete sofort knallrot auf, die anderen wagten es nicht mehr auch nur ein Wort mehr zu sagen. Selbst Toshi hatte es die Sprache verschlagen. Entsetzt stellte er fest, wer Kagomes Freund war und sofort war die Erinnerung an das letzte Zusammentreffen präsent. Sesshoumaru ließ es sich nicht nehmen ihm ein spöttisches Lächeln zu Teil werden zu lassen. Die peinliche Situation wurde glücklicherweise durch die Durchsage der Lautsprecher gelöst, dass der offizielle Teil des Abends nun beginnen würde. Alles strömte in das Innere der Aula. Dabei trafen sie auch wieder auf Kagomes Familie und suchten sich einen freien Platz in den endlosen Stuhlreihen. Das Stimmgemurmel ebbte ab, sobald der Schulleiter an das Rednerpult trat und zu einer langatmigen Rede ansetzte. Er sprach über die Bedeutung der Schule, den Ernst des Lebens und ermahnte immer wieder seine Abgänger fleißig im Leben zu sein. Seine monotone Stimme schnarrte durch den Raum und es fiel Kagome sichtlich schwer sich auf den Inhalt seiner Worte zu konzentrieren, da der eintönige Singsang eine einschläfernde Wirkung auf sie hatte. Kurz blickte sie zu Sesshoumaru neben sich. Erstaunt stellte sie fest, dass er unauffällig in die Innentasche seines Jacketts griff und einen flachen, metallenen Gegenstand hervorzog. Neugierig schaute sie genauer hin und beobachtete, wie er den Verschluss öffnete und einen Schluck aus dem Flachmann nahm. „Muss das denn sein?“, zischte sie ärgerlich, „Du bist unmöglich!“ Gewissenhaft schraubte er den Deckel wieder fest und verstaute die Notration in wieder in der Innentasche. Dann sah er Kagome ernst an. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich das irgendwie überleben werde.“ Schließlich hatte der Direktor endlich seine wortreiche Rede beendet und nun begann der wesentliche Teil des Abends. Alle Schüler der Abschlussklasse wurden einzeln auf die Bühne gebeten. Dort drückte man ihnen das Zeugnis in die Hand samt schwitzigem Händedruck und ein paar warmen Worten des nun ehemaligen Klassenlehrers. Eine kurze Verbeugung zum Publikum dieses epochalen Moments, dann hatte man auf der anderen Seite der Bühne wieder in den Zuschauerraum zu verschwinden und der nächste erklomm die Treppe zur Bühne, um dort im Akkord abgearbeitet zu werden. Da dies klassenweise und nach Namen sortiert geschah, hatten sich Kagomes Klassenkameraden schon in Reih und Glied vor dem Zugang zur Bühne aufgestellt und warteten aufgeregt auf ihren großen Auftritt. Kagome fügte sich schnell in die Schlange ein und stand damit direkt vor Hojo. „Alles Gute, Higurashi!“, flüsterte es auch prompt in ihrem Rücken. Endlich hatte das Warten ein Ende und Kagome durfte sich ihr Zeugnis abholen. Nachdem sie das offizielle Procedere hinter sich hatte, drehte sie sich kurz zum Zuschauerraum und verbeugte sich angemessen. Dabei erhaschte sie einen Blick auf Sesshoumaru und ihre Familie. Ihre Mutter wischte sich gerade mit einem Taschentuch Tränen der Rührung und Freude aus den Augen und versuchte dabei ihr Makeup nicht zu zerstören; Sota und Großvater strahlten vor Stolz und applaudierten eifrig. Sesshoumaru saß scheinbar regungslos in seinem Stuhl, lässig nach hinten gelehnt und mit verschränkten Armen, als würde ihn all das nicht interessieren. Doch das kundige Auge Kagomes entdeckte sofort das schiefe, anerkennende Grinsen in seinem Gesicht, das der Gipfel seiner öffentlich ausgesprochenen Bewunderung für sie war. Er nickte sogar einmal zustimmend, als er wohl ihren Blick bemerkte, er war regelrecht überschwänglich. Der Rest der Veranstaltung zog sich gefühlt immer weiter in die Länge. Es dauerte ewig, bis endlich jeder Absolvent sein Zeugnis hatte und dann spielte auch noch das Schulorchester, um die Feierlichkeit dieses Moments zu unterstreichen, Beethovens Ode an die Freude. So feierlich das zum Teil unbeholfene Musizieren von jüngeren Schülern eben sein konnte. Kagome war heilfroh, als das Stück beendet war und die Missklänge ein Ende hatten. Besorgt sah sie zu Sesshoumaru, ob dessen feines Gehör Schaden genommen hatte. Sein gequälter Gesichtsausdruck war ihr Antwort genug. Endlich war nun der Festakt beendet und alle Gäste strömten wieder in dichtem Gedränge aus der Aula heraus. Im Foyer war in der Zwischenzeit ein kleiner Ausschank aufgebaut worden, um Getränke zum Anstoßen auf den heutigen Tag bereit zu stellen. „Du weißt, wo du mich findest“, flüsterte Sesshoumaru Kagome angespannt ins Ohr und lief zielstrebig zum Ausgang. Mit schmachtendem Blick wurde der Abgang des Daiyoukais inkognito verfolgt. „Bei dem würde ich ganz sicher kein Keuschheitsgelübde ablegen und in einen Schrein gehen“, raunte Hojos Begleitung gedankenverloren. „Hikaru!“, ermahnte sie Hojo sofort entsetzt. Beschämt darüber von ihrem Freund erwischt worden zu sein hatte das Mädchen immerhin den Anstand angemessen rot zu werden. Es war sowieso schon ein seltsames Gefühl für den Mädchenschwarm seinem Nachfolger gegenüber zu stehen. „Er sieht ja heiß aus, aber der Kerl ist innerlich eiskalt“, kommentierte Eri die Schwärmereien. Sie war inzwischen mit den anderen beiden Damen in Pink dazu gestoßen. „Ich frage mich manchmal echt, was Kagome an dem findet“, pflichtete ihr Yuka auch gleich bei. Ayumi, die hoffnungslose Romantikerin, wollte das aber so nicht stehenlassen und stellte deshalb die Frage in den Raum: „Vielleicht ist er ja anders, wenn sie allein sind, wer weiß?“ Das Grüppchen hatte aber eine weitere Zuhörerin. Kagome fühlte sich in diesem Moment sehr allein, es wurde ihr wieder einmal schmerzlich bewusst, wie wenig sie ihre Freundinnen eigentlich verstanden. Das war nicht mehr ihre Welt, sie wollte auch gar nicht mehr in diese Welt zurückkehren. Ihre Familie war gerade in alle Winde zerstreut, aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihre Mutter in ein Gespräch mit einer anderen Frau vertieft war. Sota und Großvater konnte sie gerade nicht entdecken. Es gab sowieso nur eine Person, die dieses aufsteigende Gefühl der Einsamkeit vertreiben konnte. Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg durch die Menschenmenge und gelangte schließlich nach draußen. Dort hatten sich in der Zwischenzeit einige Raucher versammelt und standen auf dem Parkplatz in Grüppchen beisammen. Doch Sesshoumaru war nicht dabei. War er etwa gegangen, weil die Anwesenheit so vieler Menschen unerträglich geworden war? Gerade als sie darüber nachdachte, traf sie ein Schwall Youki. Ihre Sinne registrierten die schwache dämonische Kraft sofort und alarmierten sie. Doch sie spürte, dass es keine Bedrohung darstellte. Sesshoumaru war so aufmerksam gewesen und hatte eine für alle anderen unsichtbare Spur gelegt, damit sie ihn finden konnte. Die Quelle des Youkis erspürte sie auf dem Dach des Schulgebäudes. Offenbar hatte er sich ein einsames Plätzchen gesucht, wo er vor all den überdrehten jungen Menschen sicher war. Sie konnte es ihm nicht verübeln und machte sich gleich auf den Weg. Nach einer mittelschweren Odyssee durch das ganze Schulgebäude hatte sie endlich einen Aufgang zum Dach gefunden. Kaum war sie durch die Tür in die laue Sommernacht getreten, hatte sie ihn auch schon entdeckt. Sesshoumaru saß in Licht des Vollmondes auf dem flachen Dach der Schule und sah nachdenklich auf die Lichter der umliegenden Stadt. Von diesem Punkt aus konnte man die hell erleuchteten Hochhäuser des Geschäftsviertels sehen und das Leuchten der unzähligen Straßenlaternen, das zwischen den Häuserschluchten hervorschien. All das künstliche Licht vertrieb unbarmherzig die Dunkelheit der Nacht, die es an diesem Abend auch noch mit dem hellen Schein des Mondes aufnehmen musste. Der Lärm der Stadt hallte zu ihnen herauf, von weit her hallte die Sirene eines Polizeiautos zu ihnen und der Verkehr war auch zu dieser Stunde noch geschäftig und bildete ein leises Rauschen im Hintergrund. Stumm setzte Kagome sich neben ihn auf das Dach und genoss die Ruhe des Ortes. Nach dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der nun ohne sie fortgesetzt werden würde, war die Stille der Nacht erholsam. Sie merkte, wie ihr aufgewühltes Inneres wieder zur Ruhe kam. Sesshoumarus Anwesenheit hatte noch immer eine ungeheuer beruhigende Wirkung auf sie und gab ihr Sicherheit. „Danke, dass du es solange ausgehalten hast“, sagte sie nach einer Weile in die Nacht hinein. „Ich kann mir nur vorstellen, wie furchtbar es für dich gewesen sein muss.“ „Hn, es ist ja ein hoffentlich einmaliges Ereignis“, wehrte er ihren Dank brummend ab. Es war so typisch für den Daiyoukai, er mochte es überhaupt nicht, wenn man eine seiner seltenen freundlichen Gesten lobend erwähnte. Wenigstens tat er sich nicht mehr so schwer damit gegenüber seiner Gefährtin offener als für gewöhnlich zu sein, aber es geschah immer unausgesprochen. Kagome hatte aber sehr schnell gelernt zu verstehen, was hinter den schlichten und manchmal kalten Worten sich verbarg. Lächelnd erklärte sie: „In unserem Schrein gibt es keine derartigen Veranstaltungen, keine Sorge.“ Plötzlich drehte er sich ruckartig zu ihr und sah sie eindringlich an, als hätte man ihm ein Stichwort gegeben. „Es ist dir ernst eine geweihte Miko zu werden?“ Irritiert darüber legte Kagome die Stirn in Falten. „Ja, warum? Ist das ein Problem?“ Es schien nicht die Antwort zu sein, auf die er gehofft hatte. „Weil du die Gefährtin eines Dämons bist. Eine Miko muss rein und unbefleckt sein.“ Kagome brach in schallendem Gelächter aus, als sie von seinen Bedenken erfuhr. „Da machst du dir jetzt Gedanken drum? Ist es dafür nicht etwas spät?“, sagte sie augenzwinkernd, als sie sich wieder eingekriegt hatte. Noch bevor Sesshoumaru wütend darüber werden konnte, dass sie ihn ausgelacht hatte, fügte sie hinzu: „Überleg mal, wenn meine Kraft als Miko wirklich daran hängen würde, dann hätte ich ja im Kampf gegen die Panther dir nicht mit einem heiligen Pfeil helfen können. Wenn du dich erinnerst, davor habe ich auch schon mit einem Dämon geschlafen.“ Jetzt verstand er gar nichts mehr, es war das erste Mal, dass Kagome ihn so verwirrt erlebte, es stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie rutschte ein Stück näher an ihn und legte die Hände um seinen Nacken. „Ich erklär‘s dir: Die Kräfte einer Miko hängen einzig und allein von ihrem Herzen ab. Es geht um eine reine Seele, rein von allen schlechten Gedanken und Motiven. Ich bin deine Gefährtin, weil ich dich aufrichtig liebe. Wenn ich es getan hätte, nur weil du ein Daiyoukai bist und ich mir dadurch einen Vorteil erhoffte, dann hätte ich meine Kräfte verloren.“ Sesshoumaru musste schlucken, als er diese Worte so beiläufig ausgesprochen von Kagome hörte. Warum ging ihr das so einfach von den Lippen, so nebenbei? Wieso konnte sie ihr Innerstes so offenbaren, ohne Angst verletzt zu werden? „Ich bin eine Miko, solange ich wie eine Miko handle und fühle. Mein Körper hat damit nichts zu tun, geschweige denn irgendein Häutchen in mir. Das wird nur bis heute erzählt, dass dem so ist, weil es so schön einfach ist und Männer sich das ausgedacht haben. Ich war selbst überrascht, als ich nach meinem ersten Mal festgestellt habe, dass ich meine spirituellen Fähigkeiten noch habe. Danach habe ich in alten Aufzeichnungen von verschiedenen Mikos die Erklärung gefunden. Du musst dir also keine Gedanken machen, es wird sich nichts ändern.“ Mit jedem Wort klärte sich die Verwirrung Sesshoumarus etwas mehr. Plötzlich umfasste er ihre Hüfte, zog sie auf seinen Schoß und küsste sie hungrig. Seine Hände hielten ihren Rücken dabei und zogen den zierlichen Körper heran, als würde er nicht genug bekommen. „Dann ist es ja auch kein Problem, dass ich mir nach dem Abend eine Belohnung verdient habe“, raunte er rau in ihr Ohr. Sofort saß Kagome kerzengerade auf ihm. „Wie jetzt sofort? Hier?“ Ihr schüchternes Zögern amüsierte ihn, das machte das Spiel nur interessanter. „Wo sonst?“, fragte er, während er damit begann ihren Widerstand zu brechen und vorsichtig in jene besonders empfindliche Stelle an ihrem Hals biss. Seiner rechten Hand wurde schnell langweilig auf Kagomes Rücken und so führte er sie langsam über ihre Beine unter den feinen Stoff des Kleids. „Es wäre eine Verschwendung“, erklärte er weiter, „Die Nacht ist mild, du siehst wundervoll aus… was spricht dagegen?“ Es fiel Kagome sichtlich schwer ihre Meinung weiter zu verteidigen. Sesshoumaru war gerade sehr überzeugend und ihr gesamter Körper stimmte ihm zu. Er kannte ihn inzwischen zu gut, kannte all ihre empfindlichen Stellen und schaffte es so immer wieder sie in kürzester Zeit zu einem willenlosen Bündel drängender Lust werden zu lassen. Doch ihr Verstand hielt tapfer die Stellung. Da Sesshoumarus linke Hand nun offenbar auch genug von ihrem Rücken hatte und sich der Erkundung ihrer Brüste widmete, musste ihr Kopf nun alle Reserven mobilisieren, um sich nicht sofort geschlagen geben zu müssen. „Weil das hier meine Schule ist“, japste sie über den Kopf ihres Liebsten hinweg, dessen Lippen sich weiter ihrem Hals hingaben. „Du meinst war. Das wurde doch heute feierlich beendet.“ Sie spürte auf ihrer Haut, wie sein Mund ein Lächeln formte. Gleichzeitig unterstrich er sein Argument, in dem seine Hand fordernd ihren Po umfasste. Auch die Hand an ihrer Brust blieb in der Zwischenzeit nicht untätig. Kagomes verräterischer Körper hatte schon längst beschlossen sich der Verführungskunst des Daiyoukai hinzugeben und sie spürte deutlich, wie sich die Knospen ihrer Brüste gegen den zarten Stoff drückten, der sie noch verhüllte. Warum nur konnte man unter diese Art Kleider nie einen BH ziehen? „Sesshoumaru…“, seufzte sie hilflos in dem Versuch sich nicht völlig in dem Moment zu verlieren. „Also dann auf ein Neues: Was spricht dagegen?“, raunte er erneut in ihr Ohr und gab sich dabei keinerlei Mühe die eigene Lust in der Stimme zu verschleiern. Und da die Gelegenheit gerade günstig erschien und er quasi in der Nähe war, eroberte er wieder ihre Lippen. Ein leidenschaftlicher Kuss war immer noch eine der wirksamsten Methoden jemanden von Widerworten abzuhalten. Doch Kagome machte noch immer Anstalten sich ihm zu entziehen, also musste er nachdrücklicher werden; sofort nahm er ihre Zunge in Beschlag, so dass sie keinen Widerspruch mehr aussprechen konnte. Schließlich entriss sich Kagome aber seinen Lippen, denn sie brauchte dringend neuen Atem. Schwer atmend sah sie ihn an, sie schien sich erst jetzt wieder bewusst darüber zu werden, wo sie überhaupt war. „Wenn uns jemand sieht…“, versuchte sie wieder einen Einwand geltend zu machen, doch Sesshoumaru schnitt ihr das Wort ab. „Hier oben sieht uns niemand. Und wenn schon.“ So aufregend er ihr Kleid auch fand, langsam aber sicher störte es ihn. Verstohlen strich er mit seinen Händen über ihre Seiten auf der Suche nach dem Reißverschluss. Normalerweise hätte er kurzen Prozess mit dem Kleidungsstück gemacht, aber da er wusste, dass dieses eine besondere Bedeutung hatte, übte er sich in Geduld. Auch wenn er es nicht erwarten konnte seine Liebste nackt im Mondschein betrachten zu können mit nichts anderem als dem Silber der Kette am Körper. Seine Geduld wurde sehr strapaziert, bis er endlich den Schlüssel zu seiner Sehnsucht zwischen ihren Schulterblättern fand. Vorsichtig zog er daran und gab den Blick auf ihren bloßen Rücken frei. Kagome wehrte sich nur noch mehr als halbherzig gegen seine Liebkosungen. Sie klammerte sich an ihn, presste ihren Körper dicht an seinen um ihn mit jedem Stück ihrer Haut spüren zu können. Ein Prickeln durchfuhr ihre Haut, als sie seine Hände fühlte, wie sie ihren Körper von dem nun sehr störenden Stoff befreiten. Spätestens jetzt wehte eine weiße Flagge in Kagomes Herzen, ihr Verstand kapitulierte nun vor ihrem Körper und ihrer wachsenden Lust und verabschiedete sich für dieses Mal. Einen Augenblick später hatte es Sesshoumaru endlich geschafft und das nachtblaue Kleid lag unbeachtet auf dem noch warmen Flachdach der Schule. Weder wollte noch konnte Kagome nun untätig bleiben. Das Jackett gesellte sich ohne Mühe zu dem Kleid und ihre flinken Finger huschten bereits über seine Brust und öffneten die Knöpfe. Sie war so darin versunken Sesshoumaru von seiner Kleidung zu entledigen, dass sie das siegestrunkene Lächeln in seinem Gesicht nicht bemerkte. Doch plötzlich sah sie ihn ernst an. „Ich will Dich. Richtig. Nicht bloß den Schein.“ Er brauchte einen Moment, bis er verstand, was sie meinte. Dann nickte er stumm und zog den Talisman über seinen Kopf. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann erschienen die Dämonenmale wieder satt wie eh und je auf seiner Haut. Sie zuckte kurz zusammen, als sie spürte, wie sich seine nun kräftigeren Klauen an ihre Haut drückten. Lächelnd stricht sie mit den Fingern über die Streifen auf seinen Wangen und hauchte ehrfurchtsvoll einen Kuss auf das Wappen auf seiner Stirn. Die eigentlich so unschuldige Geste entfachte seinen Hunger aufs Neue und beendete den ruhigen Moment. Seine Augen glühten in tiefem Rot auf, ein Grollen entwich seiner Kehle und von Neuem machte der nun entfesselte Daiyoukai sich an die Eroberung des Körpers der Miko in seinen Armen. Doch noch bevor sich sein Mund auf ihre Brust legen konnte, um sein Werk dort zu vollenden, drückte ihn Kagome etwas von sich und lächelte ihn herausfordernd an: „War nicht eigentlich die Rede davon, dass du eine Belohnung verdient hättest nach dem Abend? Warum bekomme ich dann jetzt eine?“„Weil das jetzt schon Belohnung genug ist“, knurrte er ungeduldig und versuchte sofort wieder die Oberhand zu gewinnen. Doch so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Zwar war sie geschlagen und gefangen in ihrem Verlangen, aber trotzdem würde das Spiel jetzt nach ihren Regeln weitergespielt werden. Sie rutschte etwas dichter an ihn heran und brachte ihn damit dazu sich nach hinten zu lehnen. Durch ein aufforderndes Drücken gegen seine nackte Brust legte er sich schließlich auf den Rücken. „Nein, das lasse ich so nicht gelten. Wer so viel auf sich nimmt um seine Gefährtin glücklich zu machen, der soll auch angemessen dafür entschädigt werden.“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, ließ sie ihre Hüften kurz neckend über seinen inzwischen nackten Schoß kreisen. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Ergeben warf er den Kopf in den Nacken und atmete schwer aus. Doch lange konnte er nicht die Augen von seiner Liebsten lassen, der Anblick fesselte ihn einfach zu sehr. Sie saß rittlings auf ihm, nackt mit nichts anderem als dem edlen Schmuck am Leib. Hinter ihr am Himmel schwebte der volle Kreis des Mondes am Himmel und tauchte ihren Körper in zarten Schein. Er hatte in seinem ganzen langen Leben noch niemals zuvor etwas so wunderschönes gesehen. Die Faszination lähmte ihn, er war zu keiner Regung fähig und betrachtete nur staunend das Wesen, das auf ihm saß und ihn anlächelte. Doch das Lächeln verlor schnell seine helles Strahlen, dunkle Wolken der Lust zogen in Kagomes Augen auf und der Schalk blitzte Sesshoumaru daraus entgegen. Langsam beugte Kagome sich nach vorne und stahl sich von dem von Lust und Bewunderung noch immer gebannten Daiyoukai einen Kuss. Die Berührung ihrer Brüste auf seiner nackten Brust ließen ihn erschauern und riss ihn aus seinen Gedanken. Doch bevor er auch nur sich überlegen konnte, was er zu tun gedachte, verloren sich seine Sinne wieder in Ekstase. Kagomes Lippen wanderten langsam von seinem Mund über den muskulösen Oberkörper hinab und sie hielt auch nicht inne, als sie seinen Nabel erreicht hatte. Als sie schließlich seine harte Männlichkeit erreichte und ihn mit ihrem Mund heiß umschloss, stockte ihm der Atem. Ein überlegenes Lächeln zierte die Lippen seiner Liebhaberin, sie fühlte sich durch seine Reaktion in ihrem Tun bestärkt und umgriff fest mit ihrer Hand seine Härte. Spielerisch umkreiste ihre Zunge ihre Beute, neckte ihn und strich wie zufällig immer wieder über jenen ganz besonders empfindlichen Punkt. Zwar wusste Sesshoumaru genau wo ihre Schwachpunkte lagen, aber sie kannte ebenfalls seine empfindsamen Stellen gut genug, um ihm nun die Besinnung zu rauben. Ihre Finger flogen sanft und zärtlich über seinen Schaft, beinah wie auf einer Flöte. Doch kaum merkte sie, dass er sich in der Berührung verlor, umfasste sie ihn wieder fester und erhöhte den Druck ihrer Lippen. Das Spiel und der stete Wechsel zwischen sanften und festen Liebkosungen brachten den Dämon gefährlich nahe an den Punkt, an dem er von seiner Begierde fortgerissen werden würde. Doch so einfach würde sie ihn nicht seiner Lust überlassen und so hielt sie inne, kaum dass sie spürte, wie er sich unter ihr aufzubäumen begann. Empört über diese Tortur hob er seinen Kopf und wollte sich über das süße Leiden beschweren. Doch noch ehe er es schaffte auch nur ein Wort hervorzubringen, beugte sie sich erneut über ihn und versenkte seine Erregung in ihrem Mund und ließ ihn so vergessen, was er eigentlich sagen wollte. Sesshoumarus Ungeduld wuchs in jeder Sekunde weiter an. So sehr er dieses Spiel genoss und Kagome gerne die Führung überließ, aber jetzt war die Zeit gekommen den Spieß wieder herumzudrehen. Flink setzte er sich auf, zog in einer fließenden Bewegung die überraschte Miko auf sich und versenkte sich ihn ihr. Überrascht von der plötzlichen Entschlossenheit ihres Liebsten entwich ein erleichtertes Stöhnen ihrem Mund. Es war auch ihr immer schwerer gefallen ihre anwachsende Gier zu beherrschen und nicht sofort ausgehungert über Sesshoumaru herzufallen. Genüsslich streckte sie ihren Körper, drückte sich fester auf die Lenden des Daiyoukai und stimmte mit ihrem Becken in den Rhythmus mit ein. Doch geschlagen geben wollte sie sich nicht, so einfach ließ sie ihn nicht die Führung zurückerobern. Wieder drückte sie ihren Gefährten hinab, so dass er mit seinen Schultern auf dem noch warmen Belag des Dachs zum Liegen kam. In dem Kuss, mit dem sie sich danach wieder von ihm löste und sich aufrecht auf ihn setzte, lag ein verheißungsvolles Versprechen, das Sesshoumaru milde stimmte und sie in Vorfreude gewähren ließ. Es war ein prächtiger Anblick, der sich ihm nun bot. Auf ihm saß Kagome, hatte in steigendem Genuss die Augen geschlossen und immer wieder seufzte sie ergeben als Antwort auf seine steten Bewegungen. Doch sie hatte gewiss nicht vor in dieser Passivität zu verharren. Sie verlagerte etwas ihren Schwerpunkt und zwang Sesshoumaru damit still zu halten. Irritiert sah er sie mit fragendem Blick an, den sie mit einem selbstsicheren Lächeln beantwortete. Dann begann unbarmherzig der wiegende Tanz ihrer Hüften, in geschmeidigen Bewegungen kreiste sie über ihm und ihr nackter Körper folgte der Welle der Bewegung. Sie zwang ihr Opfer damit jeder Handlung beraubt sich ihr hinzugeben und ihr auf dem Weg zur absoluten Ekstase zu folgen. Der Anblick ihrer sich wiegenden, nackten Brüste und die sich in ihm immer weiter ausbreitende Erregung versetzten Sesshoumaru in eine Art Trance. Er vergaß alles um sich herum, vergaß wo sie waren und was an diesem Abend geschehen war. Einzig und allein der nackten Schönheit auf ihm galt seine Aufmerksamkeit. Der Anblick der vollen, runden Brüste, die sanft im Licht der Nacht schimmerten, erinnerte ihn daran seine Gefährtin nicht zu vernachlässigen. Außerdem war es zu verlockend, er wollte sie unbedingt berühren, sie mit allen Sinnen erfassen. Langsam krochen seine Hände an ihren Flanken hinauf und legten sich um die beiden wippenden  Hügel. Forschend wanderten seine Daumen über die Wölbung und kamen schließlich auf den festen Nippeln zum Liegen. Sie umkreisten das empfindsame Zentrum, zuerst sanft, dann immer fordernder und zufrieden sah er in das Gesicht Kagomes. Sein Bemühen war nicht ohne Wirkung, ihr Atem ging immer hektischer und ein feiner Rotschimmer glühte auf ihren Wangen. Unkontrolliert verließ immer wieder ein wohliges Seufzen ihre sinnlich geöffneten Lippen. Doch das war ihm nicht genug, das befriedigte nicht seinen Eroberungsinstinkt. Er wollte sie willenlos sehen, völlig gefangen in ihrer Lust; sie sollte ihn darum anflehen sie endlich zu erlösen und vollends in den wilden Strudel der Leidenschaft zu stoßen. Er löste den Griff seiner Rechten von ihrer Brust und strich wieder an der heißen Haut ihres Bauchs hinab. Zielstrebig fand er sein Ziel in ihrem Schoß, die kleine, versteckte Perle, die der Schlüssel zur Sprengung aller Bescheidenheit war. Kagome war so ihn ihrem Tanz auf ihm gefangen, dass sie es noch gar nicht bemerkt hatte, wie sein Zeigefinger zärtlich begann das Epizentrum ihrer Libido zu necken und zu reizen. Das Beben tief in ihr war aber so stark, dass sie es gar nicht ignorieren konnte. Langsam breitete es sich heiß und zuckend zwischen ihren Schenkeln aus, eine enorme Welle ungezügelter Lust, die alles mit sich hinfort riss. Sesshoumaru spürte immer stärker das wilde Zucken, das ihn umgab, spürte, wie auch er mitgerissen wurde. Es war sinnlos Widerstand zu leisten, er gab sich der Welle hin, ließ sich forttragen zu ungeahnten Höhen. In einem letzten verzweifelten Stöhnen, um dem nicht mehr auszuhaltendem Gefühl der Begierde Raum zu geben, schrie sie seinen Namen und sackte erschöpft auf der breiten Brust des Daiyoukai zusammen. Lange noch saßen die beiden engumschlungen auf dem Dach der Schule und genossen die laue Sommernacht. Vorsichtshalber hatten sie auf Kagomes Drängen hin sich wieder angezogen und nun lehnte die Miko in einvernehmlichem Schweigen an der Brust des inzwischen wieder getarnten Dämons. Auf dem Parkplatz sahen sie wie immer mehr der dort geparkten Autos wegfuhren und am Ende der Straße verschwanden. Auch ihre Familie war vor einiger Zeit bereits aufgebrochen, sie hatten wohl geahnt, dass es vergeblich sein würde auf das junge Glück zu warten. „Wir sollten auch bald aufbrechen“, murmelte Kagome, als die Uhr des nahen Kirchturms Mitternacht schlug. Entspannt antwortete ihr Gefährte: „Wohin willst du?“ „Wohin du gehst, es ist mir gleich, solange ich bei dir sein kann.“ Schließlich stahlen sie sich heimlich durch das Treppenhaus wieder herunter. Auf dem Flur, der ins Foyer der Aula führte, wurde plötzlich eine Tür aufgeschlagen und aus einer schäbigen, kleinen Besenkammer torkelte eine sichtlich betrunkene Yuka, die noch immer ein Sektglas in der Hand hielt, notdürftig gestützt von Toshi, der in nicht viel besserer Verfassung war. In der Hektik hatte es der Casanova nicht mehr fertig gebracht die Spuren dieses kleinen Stelldicheins zu kaschieren, sein Hemd hing schief geknöpft aus dem Hosenbund. Yukas Erscheinung war auch nicht mehr so adrett wie zu Beginn des Abends, die Haare waren zerzaust, der Lippenstift verschmiert. Die beiden waren aber so betrunken und von den Nachwehen ihrer Leidenschaft umnebelt, dass sie von den beiden Zeugen auf dem Flur nichts mitbekamen. Kagome versuchte verzweifelt nicht zu lachen; das würde sie Yuka sehr bald genüsslich unter die Nase reiben und sie freute sich schon jetzt diebisch auf die Reaktion ihrer Freundin. „Wohin?“, fragte Sesshoumaru lakonisch, als sie endlich aus dem Schulgebäude kamen und auf der menschenleeren Straße standen. Kagome ergriff seine Hand und lehnte sich nach Geborgenheit suchend an seine Schulter. „Bring mich nachhause.“ Epilog: Endlichkeit und Ewigkeit -------------------------------- Sesshoumaru saß alleine auf dem Sofa und hielt den Kopf in seine Hände gestützt. Er war allein in dem kleinen Haus auf dem Gelände des Higurashi-Schreins und er würde es von nun an für immer sein. Vor drei Tagen war seine Gefährtin gestorben. So wenig er es auch wahrhaben wollte, aber Kagome war tot. Fast siebzig Jahre lang hatten sie Seite an Seite gelebt, nie einen Tag ohne den anderen verbracht. Die Jahre flogen nur so dahin, es war eine glückliche Zeit. Doch die Endlichkeit war unbarmherzig und gnadenlos und verschonte die Miko nicht. Zu bald schon waren die ersten Zeichen sichtbar, eine erste graue Strähne zog sich durch ihr langes, schwarzes Haar. Feine Falten umrahmten ihre Augen, ihr Körper wurde gebrechlicher. Schließlich ergriff eine schwere Krankheit Besitz von ihr, die bereits eine alte Frau geworden war und vor drei Tagen hatte sie schließlich den Kampf gegen den unsichtbaren Feind verloren. Sie lag in seinen Armen, als sie ihren letzten Atemzug tat und das Feuer ihrer Augen für immer erlosch. Sie ging dorthin, wohin er ihr nicht folgen konnte. So blieb er zurück und saß allein auf dem Sofa, den Kopf voll mit finsteren Gedanken. Es stand vom Tag ihres ersten Wiedersehens an fest, dass es so kommen würde, doch er hatte es verdrängt, wollte es vergessen und sich nicht der grausamen Wirklichkeit stellen. Kagome war sterblich, ihre Lebensspanne umfasste nicht einmal einen Bruchteil seines unsterblichen Daseins. Es stand fest, dass sie ihn eines Tages verlassen musste und doch haderte er nun mit ihrem gemeinsamen Schicksal. Warum war alles, was gut und schön war, nur so vergänglich? Die letzten Wochen hatten den Daiyoukai kompromisslos mit all dem konfrontiert, er musste mit ansehen, wie der Körper seiner Liebsten immer weiter der Krankheit erlag. Schon lange davor hatte er begonnen zu verwelken, wie eine Blume, die abgeschnitten in einer Vase stand und jeden Tag etwas von ihrer Schönheit einbüßte. Doch es hatte Sesshoumaru nicht interessiert. Es war ihm gleich gewesen, ob sie ein Mädchen oder eine alte Frau war, es hatte seiner Liebe zu ihr nie Abbruch getan. Er hatte sein Herz nicht an ihre Hülle verloren, sondern an das helle, warme Licht ihrer Seele. Vor drei Tagen war es erloschen. Auch in ihrem letzten Augenblick waren ihre Gedanken bei ihm, sah sie direkt in sein Herz und verstand, was ihn bewegte. „Vergiss nicht, du wirst niemals mehr allein sein. Ich werde immer bei dir sein, Liebster.“ Aber er saß jetzt allein auf dem viel zu groß wirkendem Sofa in dem viel zu großen, leeren Raum. Das Haus wirkte an diesem Tag heute noch leerer und verlassener, da all seine übrigen Bewohner nicht da waren. Heute wurde seine Gefährtin beerdigt. Viele Menschen und Youkai hatten ihr Kommen angekündigt, denn die warmherzige Miko hinterließ in vielen Leben eine klaffende Lücke und wurde schmerzlich vermisst. Sesshoumaru aber wollte allein sein, suchte die heilsame Stille der Einsamkeit, um dort ungestört um seine Liebste trauern zu können. Er spürte, wie die Kälte am Grunde seines Herzens wieder wuchs, wie alles in ihm langsam wieder zu Eis erstarrte, jetzt da die Wärme Kagomes es nicht mehr zurückdrängte. Er hasste diese Zeremonien, niemanden ging sein Schmerz etwas an und er hatte es gewiss nicht nötig seine Trauer vor anderen unter Beweis zu stellen. Hier in der Abgeschiedenheit gestattete er sich den Schmerz zu spüren. Es war nicht nur die Traurigkeit, die ihn erfüllte, nein auch Wut mischte sich darunter. Er hasste seine unsterbliche Existenz, er hasste es dazu verdammt zu sein, immer wieder allein zurückgelassen zu werden. Alles in seinem Leben war endlich, von beschränkter Dauer, nur er selbst nicht und seine Einsamkeit; beides war für die Ewigkeit bestimmt. Er würde nie einer Krankheit erliegen, sein Körper würde nicht irgendwann seinen Dienst versagen aufgrund von Alter und Gebrechlichkeit. Ihm wurde ein natürlicher Tod nicht gewährt. Nur durch seine oder die Hand seiner Gegner konnte sein Leben beendet werden. Doch selbst alle seine Feinde waren seit vielen Jahren tot. Sie war ihm lästig, die Ewigkeit seiner Existenz, heute mehr denn je. Was hatte ein Relikt der Vergangenheit noch in dieser Welt verloren? Die dunklen Gedanken drohten ihn zu übermannen und so griff er hektisch nach der Schachtel Zigaretten vor ihm auf dem kleinen Tisch. Das Klicken des Feuerzeugs durchschnitt die Stille und der Rauch verdrängte schnell die Enge in seiner Brust. Er konnte seinen Vater nur zu gut verstehen nach all der Zeit, warum er sehenden Auges in den Tod gegangen war. Er musste nicht um seine sterbliche Liebe trauern und dabei zusehen, wie nach und nach all seine Weggefährten ihn verließen. „Was soll die Qualmerei im Haus?“, riss ihn plötzlich eine helle Stimme aus seinem Hadern mit der Welt. In der Tür stand eine junge Frau und sah ihn empört an. Sie war komplett in schwarz gekleidet, ihr dunkles Haar fiel lang über ihren Rücken und verschmolz mit der Schwärze des Stoffs. Das Klackern ihrer Absätze hallte durch den Raum und störte das empfindliche Gehör Sesshoumarus. Ihre goldenen Augen waren von vielen Tränen gerötet, funkelten ihn aber trotzdem erbost an. „Du weißt, dass Mama es gehasst hat und es dir im Haus verboten hat.“ Er brummte etwas Unverständliches in Richtung seiner Tochter und führte trotzig die Zigarette wieder an die Lippen. Die junge Frau war ihre Tochter Inuko. So jung war sie gar nicht, es war noch nicht lange her, dass sie ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatten. Sein unsterbliches Blut verlängerte auch ihr Leben, im Gegensatz zu den vielen anderen Hanyou war ihre Lebensspanne viel länger als die eines Menschen und deshalb wirkte sie wie eine Anfang Zwanzigjährige. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter, hatte auch ihr Temperament geerbt und ihm war als stände nun die jüngere Ausgabe seiner Gefährtin vor ihm. Doch ihre Augen verrieten sie, die schmalen, raubtierhaften Schlitze auf goldenem Grund zeichneten sie als sein Kind aus, genau wie die blaue Mondsichel auf ihrer Stirn, die aber jetzt durch einen Talisman verborgen wurde. Der Tag ihrer Geburt war einer der Glücklichsten in seinem Leben und er war stets ein stolzer Vater, der seine Tochter über alles liebte, auch wenn das nur ein kundiger Beobachter erahnen konnte. Nur jetzt gerade in diesem Moment etwas weniger, da sie Salz in die Wunden seines Herzens streute. „Wenn du unbedingt rauchen musst, dann geh vor die Tür oder ins Teehaus“, sagte sie mahnend und setzte sich neben ihren Vater auf die Couch. „Hn, was macht das noch für einen Unterschied? Sie ist tot“, antwortete er ruppig. Mitfühlend sah die Hanyou ihn an. Sie kannte ihren Vater und dessen verschlossene Art gut und so verstand sie sofort, was hinter seinen Worten steckte. Vorsichtig fragte sie nach: „Du vermisst sie sehr, nicht wahr?“ „Die Frage kannst du dir schenken“, knurrte er zur Antwort und fischte die nächste Zigarette aus der Packung, während er mit der anderen Hand die Vorherige im Aschenbecher ausdrückte. Inuko seufzte schwer. Es war sinnlos mit Sesshoumaru zu sprechen, wenn er so gelaunt war. Er hatte sich tief in seinem Weltschmerz verbarrikadiert und ließ nun niemanden mehr an sich heran. Egal, was sie auch sagen würde um ihn zu trösten, er würde es diskreditieren und eine zynische und gemeine Antwort geben. Aber so war ihr Vater nun einmal, sie kannte ihn nicht anders und wusste, dass seine Grantigkeit eigentlich nicht ihr galt. Müde stand sie wieder auf, die vergangenen Tage waren auch an ihr nicht spurlos vorbei gegangen. Trost würde sie heute nicht bei ihrem Vater finden, es würde das Beste sein ihn wieder allein zu lassen. Trotzdem umarmte sie ihn vorsichtig und flüsterte zum Abschied: „Denk dran Vater, sie hat dir versprochen, dich nicht allein zu lassen. Mama wird immer da sein, unsichtbar um dich herum und über dich wachen.“ Dann stand sie auf und ging die Treppe hinauf. Im nächsten Augenblick war er wieder allein in dem viel zu leeren Wohnzimmer. Unruhe erfüllte ihn plötzlich, er hielt es nicht aus weiter still zu sitzen. Rastlos lief er rauchend durch den Raum, irgendetwas in seinem Inneren wühlte ihn gerade auf. Die Luft war auf einmal viel zu stickig, der Raum viel zu beengt und er fühlte sich eingesperrt. Sesshoumaru trat an die große Glastür, die zum Garten führte und öffnete sie. Von draußen wirbelte eine warme Brise auf ihn zu, die sanfte Luft umhüllte ihn. Die Wärme, sie vertrieb die Kälte aus seinem Herzen; sie kam ihm so unendlich vertraut vor! Erschrocken riss er die Augen auf und sah sich um, doch da war niemand. Er stand immer noch allein im Wohnzimmer des Häuschens auf dem Gelände des Higurashi-Schreins. Woher kam dann dieses Gefühl? „Liebster“, hallte von weit weg ein Flüstern an sein Ohr. Kaum versuchte er sich darauf zu konzentrieren, war die Stimme auch schon wieder weg. Er hörte nur das Rauschen des Winds, das Rascheln einiger weniger verstreuter Blätter. Verlor er gerade den Verstand? Raubte die Trauer ihm nun jeden klaren Gedanken und begann er zu phantasieren? Verzweifelt schlug er die Hände vor das Gesicht, der kurze Moment des vertrauten Gefühls hatte die Wunden auf seiner Seele erneut aufgerissen und der Gedanke an ihre Stimme zerriss ihm gerade das Herz. Doch wieder frischte der Wind auf, wirbelte um ihn herum und schloss ihn in eine luftige Umarmung. „Du bist nicht allein.“ Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. Dann war es eben so, dann verlor er eben seinen Verstand. Die warme Brise umwehte ihn weiter unablässig und vertrieb Stück um Stück die dunklen Wolken aus seinem Geist. Er fühlte wieder von fern ihre Berührung auf seiner Haut, wie ein Echo hörte er wieder ihre Stimme. Er hielt noch immer eine brennende Zigarette in seiner Hand und nachdenklich betrachtete er die Glut. Neuer Elan erfüllte ihn, schnell ging er ins Zimmer wieder hinein und packte den Aschenbecher, der immer noch auf dem Couchtisch stand. Dann ging er hinaus in den Garten und stellte die gläserne Schale auf den Boden. „Entschuldige Liebste“, sagte Sesshoumaru und drückte die Zigarette aus. 終わり - ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)