Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 15: klare Morgenluft ---------------------------- 15 – klare Morgenluft Langsam schlug Kagome die Augen auf. Das helle Tageslicht brannte sich unbarmherzig in ihr Hirn und sie kniff gepeinigt sofort wieder die Augen zu. Ihr Kopf schien zu explodieren, ein dumpfes Pochen hinter ihrer Stirn verdrängte jeden Gedanken. Auch der Rest ihres Körpers fühlte sich wie gerädert an, jeder Muskel schmerzte. Sie drehte sich herum und kuschelte sich in die warme Decke. Kerzengerade saß sie plötzlich im Bett. Decke? Bett? Verdammt, wo war sie? Das letzte woran sie sich erinnern konnte, war der Tisch, auf dem sie in einen seligen Schlummer gefallen war. Mit der Erinnerung an ihr Einschlafen kehrten nun auch all die anderen Dinge des vergangenen Abends wieder in ihr Bewusstsein zurück. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Sie hatte tatsächlich mit Sesshoumaru geschlafen, nachdem sie sich zusammen hemmungslos betrunken hatten. Wie konnte das nur passieren? Diese Überlegungen stellte sie aber zunächst zurück, sie musste erst einmal herausfinden wo sie war. Unter der schlichten Wolldecke war sie nackt, wie sie beschämt feststellte. Am Fußende des schmalen Bettes lagen auf einem Haufen ihre Kleider. Neugierig sah sie sich um. Sie war in einem kleinen Raum, der gerade groß genug war ein Bett und ein großes Regal zu beherbergen. Ordentlich gefaltet lagen verschiedene Kleidungsstücke in den Fächern, allesamt schwarz. Einige Kartons, deren Inhalt ihr verborgen blieb, standen auf dem obersten Regalboden, darunter ein Brett, auf dem verschiedene alt aussehende Gegenstände ausgestellt waren. Durch ein kleines Fenster fiel Licht in das Zimmer, in dem Staubteilchen tanzten. Eben noch hatte es sie geblendet, doch nun, da sich ihre Augen an den hellen Schein gewöhnt hatten, reichte er gerade aus, um die Kammer in genauen Augenschein zu nehmen. An der ihr gegenüberliegenden Wand war eine schwere Holztür. Hastig griff sie nach ihren Sachen und zog sich rasch unter der Decke an. War sie die gesamte Zeit, die sie geschlafen hatte, auch schon allein gewesen? Sie schlug die Decke beiseite und wollte aufstehen, aber ihr Kreislauf spielte nicht mit. Sofort wurde ihr schwindlig und alles begann sich zu drehen. Erschöpft fiel sie wieder auf die Bettkante zurück und beschloss einen Moment dort sitzen zu bleiben, bis sich ihr Körper daran gewöhnt haben würde wach zu sein. Wasser, dachte sie, ich brauche Wasser! Sie hatte so unglaublichen Durst, sie musste etwas zu trinken finden. Hoffentlich würde es auch helfen den widerlichen Geschmack aus ihrem Mund zu spülen. Ihre Zunge fühlte sich an, als sei in der Nacht etwas darauf gestorben. Aber die kurze Pause gab Kagome Gelegenheit weiter ihren Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Ihre neugierigen Augen entdeckten einen Holzständer, der oben an der Wand über ihrem Bett angebracht war. Darin aufgehängt schwebten drei Schwerter über ihrem Kopf. Erschrocken zuckte sie zusammen; das war Tessaiga! Die alte, abgewetzte Schwertscheide würde sie unter tausenden anderen sofort wiedererkennen. Auch die beiden anderen kamen ihr bekannt vor; eins im klassischen Stil eines antiken Katana, die andere Schwertscheide wurde von einem geometrischen Muster geziert und schien aus Metall zu bestehen. Alle drei waren von einer feinen Staubschicht bedeckt, es schien als wären sie schon sehr lange nicht mehr aus ihrer Halterung genommen worden. Trotzdem wirkten sie gepflegt und sie war sich sicher, dass alle drei noch immer kampfbereit waren. All ihre Beobachtungen ließen nur einen Schluss zu: Sie war in Sesshoumarus privatem Zimmer, in seinem Refugium. Hatte er sie dorthin getragen, nachdem sie in der Nacht einfach an Ort und Stelle weggenickt war? Untypisch für ihn so aufmerksam und galant zu sein, überlegte sie. Mit der neuen Erkenntnis war auch klar, dass es sich bei den beiden anderen Schwertern um Tenseiga und Bakusaiga handeln musste. Also hatte er das Schwert seines Bruders nach dessen Tod an sich genommen. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie des Schicksals, dass er zu unrühmlichsten Stunde endlich das Schwert in seinen Besitz gebracht hatte, nach dem er sich solange gesehnt hatte, es aber ihn nicht vor seinem traurigen Dasein retten konnte. Es war zu verlockend die Entdeckungstour fortzusetzen, ihre Neugierde jubilierte schon in ihr und rieb sich die Hände voller Vorfreude. Aber so interessant Sesshoumarus Privatsphäre auch war, so furchtbar wäre sein Zorn, wenn er sie beim Stöbern erwischen würde. Schweren Herzens verkniff sie es sich in dem großen Regal die interessanten Dinge genauer anzuschauen. Der Schwindel hatte sich auf ein erträgliches Maß reduziert und ihre Knie waren nicht mehr butterweich, also nahm sie einen weiteren Anlauf aufzustehen. Wacklig kam sie zum stehen, aber die Welt geriet nicht wieder aus den Fugen wie beim ersten Versuch. Schleichend ging sie zur Tür und öffnete sie. Sie führte in einen engen Flur, von dem rechts von ihr noch eine Tür abging und an dessen Ende zur linken Hand der Bambusvorhang hing, der in den Gastraum des Teehauses führte. Zaghaft öffnete Kagome die weitere Tür und war wenig überrascht, als sie in einem kleinen Badezimmer stand. Es war äußerst spartanisch gehalten; eine Toilette, ein kleines Waschbecken und ein Duschkopf, der aus der Wand ragte. Sowohl Wände als auch der Boden waren beige gefliest, aber auch hier nagte der Zahn der Zeit, denn einige Kacheln waren gesprungen. Zwei Haken hingen an der Wand, an denen Handtücher hingen. Alt und verwaschen, aber penibel sauber, wie auch der Rest des Raums. Überhaupt war Sesshoumarus persönlicher Bereich sehr aufgeräumt und ordentlich. Alles hatte seinen Platz, bis auf etwas Staub war auch an der Sauberkeit nichts auszusetzen. Seine Selbstdisziplin schloss seine Umgebung wohl mit ein. Es kam Kagome aber sehr gelegen diesen Ort gefunden zu haben. Leise schloss sie die Tür hinter sich, drehte den Schlüssel einmal herum und ließ sich sehr erleichtert auf der Keramik nieder. Sie hatte schon Befürchtungen gehabt, wie sie es bis nachhause hätte schaffen sollen. Unauffällig roch sie an ihrer Achsel und prüfte ihren Atem, während sie da saß. Das Erste, das sie zuhause tun würde, war ein ausgiebiges Bad! Beinahe ekelte sie sich schon vor sich selbst. Nachdem sie sich wieder gerichtet hatte, wusch sie sich die Hände und war dankbar, dass über dem Waschtisch kein Spiegel angebracht war. Sie hätte ihren eigenen Anblick nicht ertragen. Ihre Haare mussten dem Gefühl nach ein einziges Knäul sein und auch für ihr Gesicht nahm sie das Schlimmste an. Das kalte Wasser auf ihren Händen war erfrischend und belebend und um weitere Lebensgeister in sich zu wecken, spritzte sie sich etwas davon ins Gesicht. Langsam begann Kagome sich zu wundern, wo Sesshoumaru geblieben war, sie hatte noch keinen Hinweis auf seinen Verbleib gefunden. Wahrscheinlich stand er schon wieder rauchend hinter seiner Theke. Ob er hier auch Kaffee hatte? Sie hatte dringend eine große Tasse nötig. Sie schlurfte durch den Flur und teilte den Bambusvorhang wie Moses das rote Meer. Doch kaum konnte sie in die Teestube sehen, blieb ihr das Herz entsetzt stehen. Wo war Sesshoumaru verdammt nochmal abgeblieben und was um aller Welt machte Hanako hier ganz allein? Sesshoumaru lief ziellos durch die Stadt. Er hatte keine Ahnung wie lange er schon unterwegs war. Eine Stunde, vier Stunden? Sein Zeitgefühl war verschwunden. Das erste Licht des neuen Tages hatte den Nebel, den der Alkohol um seinen Verstand gelegt hatte, durchbrochen und er konnte wieder klar auf die Geschehnisse der Nacht zurückblicken. Wie konnte er nur so die Kontrolle über sich verlieren? Eigentlich wollte er sie doch aus seinem Leben drängen, wieder zurück zur Ruhe und Abgeschiedenheit finden und dann passierte das. Jetzt würde alles noch viel komplizierter, seufzte er. Wenn er es rational betrachtete, war es bloß unverbindlicher, betrunkener Sex; ein Ventil, rein körperlich und frei von Liebe oder Ähnlichem. Doch leider war es nicht so simpel und er konnte diesen Abend nicht so einfach abschütteln. Die Mauer, die er um sein Herz gezogen hatte, war rissig geworden. Unbemerkt hatten sich in den vergangenen Wochen feine Haarrisse gebildet, kleine Löcher waren herausgebrochen. Wie hatte es diese verdammte Miko bloß geschafft ihn durch diesen Wall aus Kälte zu berühren? Lang verdrängte Sehnsüchte und Gefühle wurden geweckt und gestern schließlich schlugen sie sich frei und die Mauer barst. Ein winziger Teil von ihm wollte nicht mehr allein sein, freute sich endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn annahm und verstand. Doch der überwältigende Rest wurde von Wut und Selbsthass zerfressen. Wut, dass sie in sein Leben eingedrungen war, es durcheinander brachte, es in Frage stellte und ihn der heilsamen Einsamkeit beraubte. Er haderte mit sich, wie hatte er es nur zulassen können? Warum hatte er sie nicht rigoros aus seiner Welt verbannt? Das war also aus ihm geworden, ein bedauernswerter Schwächling, der nicht einmal mehr mit einer aufdringlich neugierigen Schülerin fertig wurde. Am Morgen war er im Gastraum seines Teehauses erwacht und noch bevor er sich an die Geschehnisse des Abends erinnerte, sah er Kagome nackt zusammengerollt auf der Tischplatte schlafen. Die entblößte Brust hob sich bei jedem Atemzug und hatte ihn für einen Moment gefesselt. Doch da er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, wusste er, was zu tun war. Er durfte dieser niederen Begierde nicht wieder nachgeben, sie war immer noch ein Mensch und hatte in seiner Welt nichts verloren! Bevor er sich der Unordnung in seinem Innern widmen konnte, musste er die äußerlichen Spuren des Chaos der letzten Nacht beseitigen. Entschlossen packte er die schlafende Nackte, legte sie sich über die Schulter und brachte sie in seine Kammer. Sie schlief so fest, dass sie nicht einmal durch diesen ruppigen Transport aufwachte, nur das schwerfällige Schnaufen verriet, dass sie überhaupt noch lebte. Notdürftig deckte er sie zu; weniger, damit sie nicht frieren würde, sondern weil ihn ihr Anblick noch immer aus dem Gleichgewicht brachte. Mit wenigen Handgriffen hatte er auch die restlichen Hinterlassenschaften des Gelages wieder in Ordnung gebracht. Kaum war er im Begriff sich einen starken Tee aufzugießen, um den Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben, stand plötzlich Hanako vor ihm und sah ihn hilfesuchend an. Er hatte sie gar nicht zu Wort kommen lassen, auch wenn es ihn wunderte, was sie zu so früher Stunde von ihm wollte. Er musste weg, raus und sie erleichterte das Vorhaben mit ihrem überraschenden Besuch. Kurz murmelte er etwas davon, dass er weg müsste und bald wiederkäme, ob sie solange das Lokal hüten könne und eine Sekunde später fiel die Tür krachend ins Schloss. Seitdem lief er rastlos durch die Straßen; wenn er ehrlich mit sich war, lief er vor sich selbst davon. Aber es gab kein Entkommen, der Selbsthass und die aufgerissenen Wunden der Vergangenheit waren hartnäckige Verfolger. Sein Blick blieb an der Scheibe eines Schaufensters hängen, in der sich sein Gesicht spiegelte. Immer, wenn er sein Spiegelbild sah, fiel ihm auf wie alt er eigentlich geworden war. Nach außen hin wirkte er noch immer makellos und voll jugendlichem Esprit, aber er sah all die verstrichene Zeit, die diese Augen beobachtet hatten. Der kalte Glanz war stumpfer geworden, der unbedingte Wille darin war Resignation gewichen. Aber so sehr er es bedauerte, die Vergangenheit lag hinter ihm. Langsam, aber stetig hatte sich das Leben gewandelt und seine Gegenwart war zur Vergangenheit geworden. Und trotzdem war er immer noch da. Die Welt hatte sich gewandelt, sie war nicht mehr wiederzuerkennen, aber er war immer noch der Gleiche. Der Letzte, der Übriggebliebene. Alles, das ihm je etwas bedeutet hatte, war untergegangen, verloren im Strudel der Geschichte; Jeder, der ihm nahe stand, war tot. Das Leben war kompliziert geworden in diesen Zeiten und er sehnte sich nach ruhigen Bahnen. Er bevorzugte es, wenn alles berechenbar blieb, doch die Menschen pflegten alles immer wieder komplett umzukrempeln. Kaum hatte er sich mit einer Sache arrangiert, wurde sie über den Haufen geworfen und etwas Neues folgte. Und so ging es ihm auch gerade mit Kagome: Er hatte sich mühsam an ihre Gegenwart gewöhnt und jetzt war plötzlich alles in Frage gestellt. Wie würde sie mit dieser Sache umgehen? Er hatte keine Ahnung, aber fürchtete, dass es weiteren Wirbel nach sich ziehen würde. Mürrisch löste er sich von der spiegelnden Scheibe. Es brachte doch alles nichts, wollte er etwa weiter wie ein Feigling davon laufen? Sesshoumaru straffte seinen Körper, richtete sein Hemd und ging erhobenen Hauptes den Weg zurück zum Teehaus zum weißen Hund. Die ganze Sache würde er nun ein für alle Mal klären und danach wieder die Ruhe und Beschaulichkeit seines Lebens in der Gegenwart genießen. Vielleicht würde dann auch endlich sein Innerstes wieder zur Ruhe kommen und aufhören ihn mit solch albernen Sehnsüchten zu malträtieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)