Das Teehaus am Ende der Straße von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 11: Tod und Wiedergeburt -------------------------------- 11 – Tod und Wiedergeburt Unentschlossen stand Kagome vor der langen Kuchentheke der Bäckerei. So viele verschiedene Sorten zur Auswahl, wie sollte man sich denn da nur entscheiden? Einer sah besser aus als der andere. „Oh, du triffst dich noch mit jemandem?“, sprach Eri sie von hinten an. Erschrocken zuckte Kagome zusammen. „Äh…ja“, antwortete sie unsicher. Unbedarft fragte ihre Freundin weiter nach: „Mit wem denn? Kenne ich die Person?“ Warum mussten ihre Freundinnen eigentlich immer so verdammt neugierig sein, dachte Kagome kraftlos. „Nein, du kennst ihn nicht“, murmelte sie leise zur Antwort. „Ah, ein er! Ist er der Grund, warum du in letzter Zeit so oft in Gedanken bist?“ Wenn Eri einmal Lunte gerochen hatte, gab es kein Entkommen. Schon gar nicht, wenn es sich um Herzensangelegenheiten handelte, die sie eigentlich nichts anzugehen hatten. Lachend wehrte Kagome ab: „Nein, es ist nur ein alter Bekannter, nicht wie du schon wieder denkst!“ „Und warum dann der Kuchen? Warum gibst du dir dann solche Mühe?“, stocherte Eri unbarmherzig nach. Stöhnend rollte Kagome mit den Augen. Die Frau sollte zur Polizei gehen nach der Schule. Wenn sie etwas wissen wollte, gab es kein Entkommen. „Ich weiß, dass es ihm im Moment nicht gut geht und möchte ihm eine Freude machen. Halt, bevor du schon wieder anfängst dir die wildesten Sachen zusammen zu spinnen! Wir sind nur befreundet und ich bin nicht ganz unschuldig an seinem Kummer, deshalb möchte ich es wieder gutmachen.“ „Soso, dafür, dass es nur ein alter Bekannter ist, machst du dir aber sehr viel Sorgen.“ Prüfend sah Eri sie an. Konnte man denn wirklich nichts vor dieser Klatschtante geheim halten? Es war zum Verzweifeln… „Eri, du interpretierst da schon wieder viel zu viel hinein. Wenn du weniger dieser kitschigen Romane lesen würdest, könntest du auch verstehen, dass man mit Männern auch nur befreundet sein kann“, versuchte Kagome sie mit einem eindeutigen Unterton in der Stimme zum Schweigen zu bringen. Nebenbei bestellte sie bei der inzwischen etwas ungeduldigen Verkäuferin zwei Schokoladenmuffins. Schokolade mochte eigentlich jeder, also konnte sie damit nichts falsch machen und die großen Stückchen auf den Muffins hatten einen Heißhunger in ihr geweckt. „Oh, das ist mir schon klar“, antwortete Eri mit einem geheimnisvollen Lächeln, „Nur ich nehme es dir in diesem Fall nicht ab. Aber du wirst es auch schon noch einsehen.“ Jetzt stand es ein für alle Male fest: Eri war wahnsinnig. Anders war die letzte Aussage für Kagome nicht zu erklären. Schnell packte sie das herrlich duftende Paket in ihre Tasche und verabschiedete sich grummelnd von ihrer Schulfreundin, um Sesshoumaru zu besuchen. „Oh, Mutter Theresa schaut nach ihrem verlorenen Schäfchen!“, sagte Sesshoumaru mit vor Hohn triefender Stimme, als er sie in der Tür sah. „Dir auch einen schönen Tag“, antwortete sie seiner Provokation spitz. Was war denn in ihn gefahren, dass er sie so begrüßte? War er etwa enttäuscht, dass sie in den letzten Tagen nicht bei ihm war? Wenn seine Liebenswürdigkeit ein Gradmesser für seine Verfassung war, dann ging es ihm in der Tat fürchterlich. Er versteckte seine verletzte Seele hinter der kalten und abweisenden Mauer, die er um sich gezogen hatte. Süffisant setzte er nach: „Lass mich raten, jetzt nachdem du meine Geschichte kennst, bin ich uninteressant. Du bist hergekommen, weil dich dein schlechtes Gewissen plagt, nachdem Hanako sich bei dir ausgeweint hat, wie unmöglich ich bin und du willst dich davon überzeugen, dass ich mir nichts angetan habe. Also konnte sie ihren Mund doch nicht halten.“ Er suchte offensichtlich Streit und versuchte sich so wieder besser zu fühlen. Das Spielchen spielte sie aber nicht mit. Das kannte sie schon zur Genüge, Inuyasha war genauso gewesen. Es hatte schon eine gewisse Ironie, dass sich die beiden ungeliebten Brüder in vielen Dingen doch so ähnlich waren. „Du bist zynisch“, entgegnete sie ihm ruhig. „Und du naiv“, knurrte er zurück. Wieder ging sie nicht darauf ein. „Ich dachte, du würdest dich vielleicht freuen, wenn ich dir etwas Süßes mitbringe und wir unser Gespräch fortsetzen.“ Mit stechend kaltem Blick sah er sie an. In ihm schien es zu arbeiten, zunächst sagte er gar nichts. Dann aber ätzte er los: „Oh ja, endlich habe ich die Gelegenheit mir alles von der Seele zu reden, nur dank dir wird meine verdammte Seele gerettet! Hätte ich dich doch früher schon getroffen! Doch auch mit deiner rechtschaffenden Empörung kannst du an meiner Vergangenheit nichts ändern und kannst mir auch nicht die Widrigkeiten meines Lebens ersparen. Ohne dich wäre mir ja nie in den Sinn gekommen, was für ein bedauernswertes Schicksal mir widerfahren ist. Aber nun bist du ja da, du wirst mich retten und alles wird sich sofort zum Guten wenden!“ Wie hatte sie das jetzt zu verstehen? Sie dachte einen Augenblick darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass es eigentlich nichts mit ihr zu tun hatte. Er war einfach frustriert und überfordert von seinen Erinnerungen und Empfindungen; Sie war nur das Ventil, so wie es auch Hanako schon gewesen war, um Druck abzubauen. Genervt von seinem theatralischen Selbstmitleid verschränkte sie die Arme vor der Brust. „War’s das jetzt?“ Keine Antwort, er beugte sich nur wieder über etwas, das vor ihm lag und vom Tresen verborgen wurde. „Schön. Ich war die letzten Tage nicht hier, weil ich für eine Prüfung lernen musste und ich dachte, dass es dir sowieso ganz recht wäre mich nicht ständig um dich zu haben. Das war wohl ein Irrtum, aber wie man es macht, ist es verkehrt. Wenn ich gehen soll, dann sag es, aber hör auf deine schlechte Laune an jedem auszulassen! Und das dramatische Lamentieren steht dir im Übrigen überhaupt nicht.“ Er schien ehrlich überrascht zu sein, dass sie es wagte ihm die Stirn zu bieten. Das war wohl eine völlig neue Erfahrung für ihn und die Option sie einfach wie Ungeziefer zu vernichten war ihm in dieser Zeit genommen. So hatte er jedenfalls früher stets solche Situationen gelöst und es war wohl auch die Erklärung dafür, warum er gerade nicht wusste, was er mit Kagome anfangen sollte und völlig überfordert mit der Situation war. Er starrte sie noch einen Moment finster an, dann widmete er sich wieder dem Gegenstand auf dem Tisch vor sich und schnaubte abfällig: „Pshaw, mach doch was du willst. Es kümmert mich nicht.“ Warum in Gottes Namen konnte dieser Mann nicht einfach sagen, dass sie bleiben sollte? Mit einem kurzen Blick zur Decke sandte Kagome ein Stoßgebet gen Himmel in der Hoffnung, dass er dadurch irgendwann einmal zugänglicher werden würde. Es war ihm wohl wichtig nicht in den Verruf zu kommen, dass ihm etwas an seinen Mitmenschen lag. Es war ihm schon vor fünfhundert Jahren wichtig und ein Teil seines alten Ichs, den er nie abgelegt hatte. Alles wäre so viel einfacher, wenn er endlich begreifen würde, dass er nicht mehr unnahbar sein musste um seine Widersacher auf Abstand zu halten. Er war nicht mehr der Herr des Westens, er war nun auf Augenhöhe mit allen anderen und derartige Attitüde unnötig. Sie setzte sich auf ihren üblichen Platz und zog die Tüte der Bäckerei aus ihrer Tasche. „Darf ich dem hohen Herrn diesen Schokomuffin als Zeichen meiner Treue und Ergebenheit überreichen? Bitte verzeiht meine Abwesenheit der letzten Tage“, sagte Kagome gespielt förmlich und grinste ihn keck an. „Dieser Sesshoumaru nimmt deinen Tribut an.“ Die alte Ausdrucksweise war ihm noch immer zu Eigen und ohne Mühe fand er wieder in seinen alten Habitus zurück. Sogar seinen unnachahmlich arroganten und überheblichen Blick setzte er für einen Moment wieder auf und ließ ihn abschätzig über das dargereichte Gebäck gleiten. Stumm kicherte Kagome in sich hinein. Das Herz eines Hundes erreichte man über seinen Bauch und beim Herrn der Hunde war es kein bisschen anders. Die Krümel waren noch nicht zum Stillliegen auf dem Teller gekommen, da nahm er schon wieder einen feinen Pinsel zur Hand und beugte sich über ein Dokument. Konzentriert und mit ruhiger Hand zog er die feinen Linien der vielen Schriftzeichen nach. Interessiert warf Kagome einen Blick darauf und vor Schreck blieb ihr das Herz stehen. Das war eine Sterbeurkunde! Und er trug seinen Namen darauf ein! „Warum… schreibst du deinen eigenen Totenschein?“, wisperte sie geschockt und ihr Gesicht war nun merklich blasser geworden. Verstimmt von der Störung sah er auf und erklärte ruhig: „Von Zeit zu Zeit muss ich für die Bürokratie der Menschen sterben, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.“ Kagome beugte sich weiter nach Vorne um einen besseren Blick auf die Papiere zu haben. „Sesshoumaru Inu no Taisho VII? Ich dachte, du hast deinen Titel verloren?“ Er setzte sich nun wieder aufrecht. Sie hatte ihn so oder so aus seiner Konzentration gerissen und würde ihn erst wieder in Ruhe weiterarbeiten lassen, wenn all ihre Fragen beantwortet wäre. „Ich bin nicht mehr Herr des Westens, aber immer noch der Anführer der Inuyoukai. Auch wenn der Titel nichts mehr wert ist, da keiner außer mir überlebt hat.“ Ein Stich durchfuhr Kagomes Herz. Es war also traurige Gewissheit, was sie schon lange vermutet hatte; Inuyasha war tot. Sie hatte es die ganze Zeit geahnt, dass der Hanyou die vergangenen fünf Jahrhunderte nicht überlebt hatte, sonst hätten sie sich ja wiedergesehen, so wie sie Sesshoumaru wieder getroffen hatte. Aber vor Sesshoumaru würde sie sich nicht die Blöße geben um ihn zu trauern, das wollte sie lieber mit sich selbst ausmachen. Vielleicht gab es bald einen Weg von ihm ohne Spott und Häme zu erfahren, was genau Inuyasha widerfahren war. Sie schluckte die Tränen tapfer herunter und versuchte das Gespräch mit dem Daiyoukai fortzusetzen, als ob nichts geschehen sei. Entweder wollte er nicht über seinen Bruder sprechen und trat deshalb nicht weiter auf ihrem versehrten Herzen herum oder er hatte es gar nicht realisiert, was er unabsichtlich preisgegeben hatte. Es war ihr nur recht. „Du bist geschickt. Das Dokument sieht wirklich echt aus.“ „Ich hatte genug Zeit es zu lernen“, sagte er immer noch missmutig. Sie untersuchte weiter mit neugierigem Blick die verstreuten Unterlagen und entdeckte den Entwurf eines Erbscheins, der ebenfalls auf Sesshoumaru lief, aber in der achten Generation. „Verstehe, du stirbst also und vererbst dir selbst deinen ganzen Besitz. So fällt es niemandem auf, dass du schon so lange lebst.“ „Ich musste damit anfangen um meine Deckung zu wahren. Solange diese menschlichen Beamten eine Urkunde sehen, ist es ihnen egal.“ „Und warum ausgerechnet jetzt?“ Er zuckte unbeeindruckt mit den Achseln. „Mir war danach und es wäre sowieso bald wieder an der Zeit.“ Kagome durchstöberte weiter mit den Augen die Materialien. Viele verschiedene Stifte und Pinsel lagen verstreut herum oder waren noch in ihrem Etui, mit Hilfe eines Tuschsteins hatte er Tinte angerührt. Etwas abseits außerhalb der Reichweite von möglichen Flecken lag eine lederne Mappe. Sie lag aufgeschlagen auf der Arbeitsfläche und Kagome konnte einen kurzen Blick auf viele alt aussehende Urkunden werfen. „Was ist das dort hinten? Das sieht sehr alt und wertvoll aus!“ Gelangweilt folgte er ihrer Aufmerksamkeit und sah, was sie nun schon wieder in Bann geschlagen hatte. „Auftragsarbeiten“, erklärte er lapidar. Kagome stutze: „Wie meinst du das? Das sind alles Fälschungen von dir?“ Da an ein konzentriertes Weiterarbeiten nun endgültig nicht mehr zu denken war, begann er nun die verschiedenen Utensilien zusammen zu räumen. „Dachtest du, dass das Teehaus so gut läuft? Sogar ich benötige eine gewisse Menge Geld und sei es nur, um Zigaretten zu kaufen.“ Kaum erwähnte er sein liebstes Laster, hatte er auch schon wieder eine im Mundwinkel. „Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht“, gab Kagome kleinlaut zu. „Was für Aufträge sind das denn?“ „Alte Urkunden oder sonstige Sachen. Wenn man so alt ist, kennt man eben noch die alten Techniken und Schriften. Aber es ist mir im Grunde egal, wer mir den Auftrag gibt und wofür er es haben will. Es interessiert mich nicht, wie die Menschen sich betrügen.“ Das ergab in der Tat Sinn, stellte Kagome fest, als sie sich seine Aussage nochmals durch den Kopf gehen ließ. „Wie kommst du an Aufträge? Du scheinst ja nicht mal ein Telefon zu besitzen“, erforschte sie weiter seine Geschäftstätigkeit. „Betriebsgeheimnis“, schmunzelte er, „Außerdem wüsste ich auch nicht, wozu ich ein Telefon bräuchte. Man weiß, wo ich zu finden bin und ich konnte bisher auch gut ohne leben.“ Lachend stöhnte Kagome gespielt genervt auf: „Oh, jetzt hörst du dich furchtbar alt an! Mein Großvater sagt so etwas auch dauernd!“ Aber in diesem Moment wurde Kagome schmerzlich bewusst, dass sie eigentlich nichts über Sesshoumaru und sein Leben im 21. Jahrhundert wusste. Sie hatte sich wie so oft keine Gedanken gemacht über ein so entscheidendes Detail wie sein Auskommen. Er war einfach da, stand wie ein Schlot qualmend in seinem Teehaus und kümmerte sich um versprengte Youkais. So viele Fragen drängten sich nun auf. Wo wohnte er? Was fing er sonst noch mit seiner Zeit an? Was aß er gerne? Wo kaufte er ein und waren die Menschen nicht trotz seiner Tarnung misstrauisch? Machte er auch einmal Ferien? Hatte er ein Auto oder wenigstens ein Fahrrad? All das waren für sich genommen profane Dinge, aber zusammen ergaben sie ein Bild, dass sein Leben abbildete und nicht bloß eine verklärte Phantasie, wie sie bis jetzt in ihrem Kopf vorherrschte. Sie beschloss, dem ganzen auf den Grund zu gehen. Die Fragen über seine Vergangenheit wollte sie ohnehin heute nicht mehr stellen, da sie sah, wie mitgenommen er noch von ihrem letzten Gespräch war. Vielleicht war sein Alltag nicht ein ganz so heikles Thema und er würde nicht wieder versuchen sich ein zu igeln und um sich zu schlagen. „Wenn du die ganze Zeit hier bist, wo wohnst du dann eigentlich“, begann sie die Fragen aus ihrem Verstand herauszuschießen. „Hier“, antwortete er gelangweilt. Stutzig sah sie ihn an. Nächtigte er etwa auf dem verklebten Boden des Gastraums? Als würde er ihre Gedanken lesen können, verfinsterte sich seine Miene etwas. Lässig zeigte er mit dem Daumen über seine Schulter auf die an der Rückwand gelegenen Durchgang in das Hintere des Gebäudes. „Wieso lebst du hier und hast keine eigene Wohnung“, fragte Kagome erstaunt. „Es ist praktischer“, erklärte er, als wäre es das Selbstverständlichste. „Außerdem gehört mir das Haus, ich habe keine Menschen um mich, also warum sollte ich?“ „Das Haus gehört dir? Wann hast du es gekauft?“ Ein verschmitztes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. „Wer sagte etwas von Kaufen?“ In ihr drängte sich der Verdacht auf, dass alle Dokumente, die das Haus betrafen, ebenfalls aus seiner Feder stammen mussten. Aber es war wohl vernünftiger ihn nicht dazu zu befragen. „Ach du liebe Güte ist das spät!“, erschrak sich Kagome beim Blick auf die Uhr. „Es ist zwar Freitag, aber ich wollte eigentlich früh zuhause sein!“ Sie verabschiedete sich gutgelaunt von dem Daiyoukai und war froh, dass sich die Wogen zwischen ihnen wieder etwas geglättet hatten. Es beruhigte sie auch, dass Sesshoumaru nicht mehr ganz so depressiv wirkte und konnte ihn nun guten Gewissens allein lassen. Doch kaum öffnete sie die Tür, stand ihr plötzlich eine Gruppe junger Youkai gegenüber, die einen blutüberströmten jungen Mann in das Teehaus hineintrugen. Alle Pläne für den Abend waren hinfällig, sie musste wissen, was passiert war! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)