Kamigami ga waku waku da yo! von Shizana (One Shot Sammlung Part II) ================================================================================ Garten voller Wunder (Afterpartyshipping) ----------------------------------------- Warmer Sonnenschein, eine milde Brise und der Duft von Blüten in der Luft. Mehr war es nicht, was Dionysos brauchte, um nach einem ermüdenden Schultag zu seinen Lebensgeistern zurückzufinden. Die meisten anderen Schüler hatten sich bereits ihren freiwilligen Nachschulaktivitäten angenommen und er hatte nun, da er wieder einigermaßen wach war, fest vor, dasselbe zu tun. „Mal sehen … Heute ist das Unkraut dran, ich muss gießen und die Reben müssen geschnitten werden. Oh, und umtopfen! Das sollte ich vielleicht sogar als Erstes tun.“ Laut listete er seinen heutigen Arbeitsplan vor sich auf. Es stand eine Menge an. Dank Zeus‘ freier Laune, die Jahreszeiten nach seinem Belieben wechseln zu lassen, hatte er kaum genug Zeit, all seinen Pflanzen dieselbe aufopfernde Liebe zukommen zu lassen, die sie für ihr gesundes Gedeihen benötigten. Auch kam er manchmal kaum mit der Arbeit hinterher, denn durch die unvorhersehbar abwechselnden Wetterbedingungen an diesem Ort konnte er sich selten an einem Plan festhalten. Einen Vorteil hatte das Ganze: Manchmal brachten eben diese Umstände ganz interessante Überraschungen in seinem Garten zutage. In derselben Strenge bedeuteten sie aber auch einiges an Ärger für ihn. An manchen Tagen hatte sich so viel in seinem kleinen Garten getan, dass die damit angefallene Arbeit an Mühe grenzte. Nichts, was Dionysos sonderlich gut gefiel. Schwer seufzte er. „Na, wir werden sehen.“ Auf seinem Weg zu seinem Garten kam er an dem weiten Sportplatz vorbei. Hier war es lauter von den vielen Schülern, die ihren Sportclubaktivitäten nachgingen. Nichts, was ihm persönlich zusagen würde, aber die heiteren und ausgelassenen Rufe ließen ihn lächeln. Er ließ seinen Blick schweifen. Ein paar Mädchen liefen ihre Bahnen im Sprint, ein paar Jungs beschäftigten sich mit Fußball, in einem anderen Bereich ging man Sportarten wie Basket- und Football nach. Und noch etwas weiter waren die Felder für die Tennisclubs. „Hm?“ Seine Aufmerksamkeit wurde auf eine Person gelenkt, die etwas abseits des ganzen Treibens vor den Gittern stand. Zuschauer waren hier nicht selten, besonders beim Feld für den Soft-Tennisclub waren größere Randgrüppchen nicht unüblich. Aber diese eine Person stand abseits jeglicher Gesellschaft und beobachtete aus sicherer Distanz das Spiel, welches sich der Tennisclub gerade bot. Dionysos entschied sich kurzerhand für einen kleinen Zwischenstopp und lenkte seine Schritte um. „Jo, Hades-san“, grüßte er lässig und gesellte sich an die Seite seines Onkels. „Was gibt’s?“ „Apollon spielt.“ „Ah, ich seh‘ schon.“ So wirklich »spielen« konnte man es nicht nennen. Das Spiel gestaltete sich im Doppel, jede Seite bestand aus zwei Personen. Der Ball ging jeweils zwei, drei Mal hin und her, bis Apollon ihn entweder verfehlte, gegen das Netz oder zu weit außer Reichweite der Gegenseite spielte. Kein harmonisches Miteinander, sondern mehr ein wüstes Herumgerenne zeichnete das Spiel aus. Dionysos konnte sich anhand von Apollons Entschuldigungen ausmalen, dass er heute nicht gerade seinen besten Lauf hatte. „Aber eher schlecht als recht“, kommentierte er das Schauspiel und zuckte unter einem bemitleidenden Lächeln die Schultern. „Mh.“ „Geht das schon die ganze Zeit so?“ „Mh.“ Ein weiterer Schlag ging daneben. Im hohen Bogen fand der Ball über das abgrenzende Gitter und ließ eine kleine Gruppe von Bewunderern erschrocken auseinanderspringen. Unter weiteren Entschuldigungen eilte Apollon heran, sein Lächeln bemüht, als er um den Ball bat. „Aber irgendwie niedlich, unser Kleiner. Obwohl er manchmal so ein Tollpatsch ist und von allen Seiten Kritik erntet, verliert er nie sein sonniges Gemüt und steckt andere mit seiner guten Laune an. Wen wundert es, dass er selbst hier schnell neue Freunde gefunden hat? Er ist einfach unermüdlich. Ganz unser Apollon, meinst du nicht?“ Dionysos bemerkte im Reden nicht, wie sich Hades stillschweigend von dem Spiel abgewandt hatte. Erst als er sich nach einer Bestätigung suchend der nun freien Stelle an seiner Seite zuwandte, wurde er auf dessen Rückzug aufmerksam. Er tat es ihm sogleich nach, drehte sich von dem Gitter weg und ließ das lärmende Dilemma hinter sich. „Was hast du noch vor?“ „Lesen, vielleicht.“ „Ist das nicht ziemlich langweilig? Es dauert noch ein wenig, bis der Astronomieclub Sinn macht, nicht?“ Auf hin dieses Einwurfs blieb Hades stehen. Er warf nur einen Blick über die Schulter zu ihm zurück. „Dionysos, ich werde schon eine Beschäftigung für mich finden. Allein.“ Dionysos, mit hinter dem Nacken verschränkten Armen, hielt ebenfalls inne und besah ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Hm, willst du damit sagen, du findest eine allein ohne meine Hilfe, oder eine für dich allein?“ Hades richtete sein Gesicht wieder nach vorn. „Folge mir nicht“, wies er an, schon setzte er sich in Bewegung und entfernte sich. „Du bist wirklich mehr der Einzelgänger, hm?“ Diese Aussicht gefiel ihm nicht. Der Gedanke, dass sich Hades ein weiteres Mal stillschweigend irgendwohin zurückziehen und zum Alleinsein verdammen würde, widerstrebte ihm. Dabei hatten sie an Zeus‘ Schule endlich die Gelegenheit, mehr Zeit miteinander zu verbringen und dabei ganz auf ihre Pflichten als Götter zu pfeifen. Diese Zeit war dazu bestimmt, um sich auszuruhen und es zu genießen; nicht, um weiteren Unmut zu säen. ‚Säen, hm?‘ „Weißt du, ich habe mir überlegt“, begann er zu erzählen, wobei er sich gemächlich in Bewegung setzte, damit Hades ihn auch ja hörte, „vielleicht sollte ich mir noch ein paar Leute in den Gärtnerclub hinzuholen. Ich hatte schon einmal welche angeworben, aber bisher hat niemand den benötigten grünen Daumen bewiesen. Das ist echt ärgerlich, denn ich könnte wirklich jemanden gebrauchen, der mir mit den Pflanzen hilft.“ Sein Plan ging auf. Die Beharrlichkeit in seinen Worten drang zu Hades durch und bewegte ihn ein weiteres Mal dazu, stehen zu bleiben und sich über die Schulter nach ihm umzusehen. Er hatte Hades‘ volle Aufmerksamkeit, das war alles, was er brauchte. „Ich weiß, du bist nicht so der größte Vertreter von meinem Hobby mit dem Wein und so, aber vielleicht magst du es ja trotzdem einmal versuchen? Ich habe auch viele Blumen, die gepflegt werden müssen. Du magst doch sicherlich schöne Dinge? Ich bräuchte wirklich dringend jemanden, der mir bei der Arbeit aushilft.“ „Wieso fragst du nicht jemand anderen? Kusanagi, zum Beispiel?“ „Ich könnte niemals vertreten, dass sich eine Frau in der Gartenarbeit ihre zarten Hände schmutzig macht“, wies er lächelnd zurück. „Apollon?“ „Du hast doch gesehen, wie er mit seinem Schläger umgeht. Sollte ich ihm wirklich eine Harke oder Schere anvertrauen?“ „Die Japaner?“ „Haben keine Ahnung. Und ehe du fragst: Baldr zieht mir zu viel Aufmerksamkeit auf sich, Loki ist mehr der Zerstörer als ein Erbauer und Thor … passt einfach nicht ins Bild. Bei den Geistschülern habe ich bereits mein Glück versucht, jedoch ohne Erfolg.“ Für mehrere Sekunden verweilte Hades in Schweigen, während er das Gesicht des Neffen prüfte. Schließlich stieß er ein ergebenes Seufzen aus. „Ich werde dich mehr aufhalten, als ich dir eine Hilfe sein kann“, erklärte er seine Zweifel. Dionysos tat es mit einem breiten, zuversichtlichen Grinsen ab. „Lass uns das erst herausfinden, ehe du das von dir behauptest. Ich bin der Chef in meinem Garten. Unter meiner Anweisung kann schon nicht viel schiefgehen.“   Bei Dionysos‘ kleinen Garten angekommen, dirigierte er Hades zuerst in den Schuppen. „Hier, zieh das über“, wies er ihn an, wobei er ihm eine lange, dunkelgrüne Schürze entgegenhielt. „Binde sie bitte gut fest, damit sie eng anliegt, aber sie sollte dir nicht im Weg sein. Hm, glaubst du, dass du auch eine andere Hose brauchst? Man macht sich bei der Gartenarbeit schnell dreckig.“ „Es geht schon“, lehnte Hades leise ab. Kurz besah er sich die Schürze auf seinem Arm, ehe er sich noch einmal an Dionysos wandte: „Und du bist dir wirklich sicher?“ „Na sicher bin ich sicher“, gab er unter einem selbstsicheren Grinsen zurück. „Nun mach dir mal nicht so viele Gedanken. Du wirst sehen, es wird Spaß machen!“ Überzeugt schien Hades nicht, doch er entgegnete auch nichts. Schweigend ergab er sich seinem Schicksal und zog sich die Schutzkleidung über den Kopf. Im direkten Anschluss begleitete er Dionysos nach draußen und ließ sich an die vielen Kleinbeete heranführen. „Also, am einfachsten ist das Unkrautjäten. Schau, du hältst Ausschau nach allem Gewächs, was nicht wie diese ordentlichen Saaten aussieht. Das ziehst du dann hiermit oder mit den Händen heraus und tust es einfach in den Eimer. Schau, ungefähr so“, unterwies er ihn in seiner ersten Aufgabe, von der Dionysos überzeugt war, dass er sie schaffen würde. Er gab sich extra Mühe, alles so zu erklären, dass Hades es auch verstand. „Und wenn du dir mal nicht sicher bist, ruf einfach nach mir. Ich schaue es mir dann an, bevor du etwas Falsches herausziehst“, schloss er und klopfte seinem Onkel einmal aufmunternd auf die Schulter. „Ich versuche es“, willigte Hades ein und machte sich sogleich daran, das eben Gelernte in die Tat umzusetzen. Dionysos beobachtete ihn einige Zeit dabei, bis er gewiss war, dass alles schon funktionieren würde, ehe er sich in Richtung Schuppen abwandte. Es war an der Zeit für seine wichtigste Arbeit des Tages: die Orchideen mussten für das neue Substrat, welches er zusammengesetzt hatte, umgetopft werden. Dafür hatte er sie die letzten Tage ausreichend bewässert und versorgt, damit sie für den heutigen Tag stark genug waren. Diese hübschen Blumengewächse gehörten mit zu seinem größten Stolz. Eines Tages, wenn er genug kräftige Triebe von ihnen gezüchtet hatte, würde er sie in den öffentlichen Räumlichkeiten der Schule verteilen, um jeden an ihrer Schönheit teilhaben zu lassen. Jeder sollte sie sehen und jeder sollte sich an ihnen erfreuen. Doch bis es soweit war, dauerte es noch und die sensiblen Pflanzen brauchten viel Pflege. „Ah!“ Dionysos‘ erschrockener Ausruf wurde von einem lauten Scheppern begleitet, das Hades‘ Aufmerksamkeit auf sich zog. „Dionysos? Alles in Ordnung?“ „Ja, schon gut. Alles in Ordnung“, kam es zu ihm zurück. Ein leiseres „Oh nein, meine geliebte Orchidee“ folgte, gerade als sich Hades aus seiner Hocke erhob, um zu sehen, was passiert war. Er erkannte seinen Neffen inmitten eines Scherbenhaufens aus Ton, Erde, Rindestücken und dem, was wohl besagte Orchideenpflanze gewesen war. Alles lag unordentlich zu dessen Füßen verteilt, bedeckte zum Teil die grünen Gummistiefel und wurde bereits von Dionysos‘ fürsorglichen Händen betrauert. „Ist das mein …?“ „Hm? Ach nein, nur keine Sorge“, bemühte sich Dionysos schnell um ein tröstliches Lächeln, als er erkannte, welche Gedanken den Unterweltgott soeben befallen hatten. „Das hat nichts mit dir zu tun. Der Topf ist mir aus der Hand gerutscht. So war es zwar nicht geplant, aber auf die Art geht es schneller mit dem Umfüllen der Erde. Ist nur schade um den Topf, aber zum Glück kostet mich die Ausrüstung ja nichts. Alles halb so schlimm“, versuchte er ihn zu beschwichtigen. Das war natürlich gelogen, die Orchideen waren hinüber. Einen harten Sturz aus über ein Meter fünfzig Höhe würde die zarte Pflanze nur schwer überstehen.   Nach diesem ernüchternden Vorfall hatte Dionysos schweren Herzens entschieden, das Umtopfen seiner geliebten Pflanzen besser auf einen anderen Tag zu verschieben. Der Verlust einer seiner hart gezüchteten Orchideen hatte ihn fürs Erste einen Dämpfer versetzt, sodass er keine weiteren Risiken eingehen wollte. Sicher war sicher, vor allem für seine Pflanzen. Als Nächstes nahm er sich seine Weinreben vor. Einige der Triebe mussten beschnitten werden, damit die Kletterpflanzen ausreichend gedeihen konnten. Er wollte sie in bester Verfassung sehen, sodass die Ernte eines Tages reich ausfallen würde. Sie waren ihm besonders wichtig und er widmete sich ihnen stets mit ganzer Hingabe, denn sie würden es sein, aus denen er den besten Wein der Schule gewinnen würde, sobald die Zeit reif dafür wäre. Ein lautes Poltern durchbrach das kontinuierlich-ruhige Schnippschnapp, welches von Dionysos fröhlichen Summen begleitet worden war. Dieses war nun vorbei, stattdessen verließ ein schmerzerfülltes Stöhnen seinen Lippen. „Dionysos?“ „Nichts passiert“, antwortete er gleich, konnte aber nicht verhindern, dass Hades schneller bei ihm war, als er sich zurück auf die Beine hieven konnte. „Das war wohl etwas zu weit vorgestreckt. Ich hab‘ die Leiter unter den Füßen verloren“, lächelte er ungeschickt. Wortlos sah Hades auf das Bild, welches sich ihm ergab: Dionysos rücklings auf dem Erdboden, neben ihm die umgekippte Bockleiter, weit abseits die Heckenschere und neben dem Gott einige der Ranken und Blätter, die er mit sich gerissen haben musste. An sich war es eine Kunst, so unglücklich zu stürzen. Die kleine Leiter mit ihren drei Stufen bestand aus massivem Holz und war durch ihren runden Podest normalerweise stabil genug, um jemanden doppelten Gewichts des Fruchtbarkeitgottes tragen zu können. Dennoch lag sie jetzt umgekippt neben ihm und für Hades gab es nur eine Erklärung, wie das möglich sein konnte. „Das ist nur, weil ich –“ „Wer hoch hinaus will, wird tief fallen, oder wie war das?“, fiel ihm Dionysos, der sich gerade zurück auf die Beine kämpfte, direkt ins Wort. Beiläufig befreite er seine Rückfront vom Schmutz und sah hinauf zu seinen Reben, die gerade einmal zur Hälfte ordentlich geschnitten waren. „Dionysos, ich denke –“ „Hm, den einen dort habe ich etwas zu weit geschnitten. Was meinst du?“ „Ich … ich denke –“ „Wer fällt, muss nur wieder aufstehen. Jetzt, da ich wieder auf den Beinen bin, kann die Arbeit weitergehen. Nur keine Müdigkeit vortäuschen!“ „Dion… –“ „Wie weit bist du mit dem Unkraut?“ Es hatte keinen Zweck. „Gleich fertig.“ „Sehr gut! Dann lege ich dir schon einmal alles für das Gießen zurecht. Wie das geht, zeige ich dir dann, wenn du soweit bist.“ Es hatte wirklich keinen Zweck. Für Dionysos‘ unerschöpfliches Lächeln hatte Hades nur ein müdes Seufzen übrig.   Kurz darauf hatte sich Hades dem Bewässern der Beete angenommen. Dionysos hatte sich seit geraumer Zeit im Schuppen verschanzt, aus welchem hin und wieder ein leiseres bis lauteres Scheppern zu hören war. Es rang ihm ein Seufzen ab, doch er wollte nicht nachsehen und fragte auch nicht weiter nach. Das Resultat würde doch nur dasselbe sein, wie schon beim letzten Mal. Hades war davon überzeugt, dass sein Unglück an all diesen Unfällen schuld war, doch Dionysos schien das gar nicht hören zu wollen. Sicherlich meinte er es nur gut und wollte ihn durch sein Hinwegblicken in seiner Schuld entlasten. Hades wusste das, doch das änderte leider nichts an der Tatsache. All das Unglück, welches sein Fluch über andere brachte … Er sollte wirklich nicht hier sein. „Okay, ich bin fertig. Wenn du dann soweit bist, können wir –“ Ein Ziehen am Schlauch … „Vorsicht!“ … ein Poltern … „Wuah!“ … ein Sturz. „Ah, verdammt. Tut mir leid, Hades-san, ich –“ „Nein, das ist meine –“ „Oh nein! Nicht das Nelkenbeet! Bitte nicht meine geliebten Nelken!“ Hades verstummte. Es versetzte ihm einen Stich mitten durch die Brust, in dieses verzweifelte Gesicht Dionysos‘ blicken zu müssen. Er war über ihn gebeugt, durchnässt bis aufs Hemd dank der Flutungsattacke, die Hades nicht hatte verhindern können, als er die Kontrolle über den Gartenschlauch verloren hatte. Aber selbst das, neben dem unschicklichen Sturz des Neffen, bei welchem er Hades einfach mit sich gerissen hatte, wäre verkraftbar gewesen, doch nicht dieser bestürzte Gesichtsausdruck. „Es tut mir leid. Daran ist nur mein Unheil –“ „Hm? Ach was, nein“, wies er die Worte schnell zurück. Sein Lächeln war sichtlich bemüht, das blieb Hades nicht verborgen. „Ich war doch derjenige, der über den Schlauch gestolpert ist. Das war einfach nur ungeschickt, mehr aber auch nicht. Das hatte nichts mit dir zu tun.“ „Nein, mein Unglück ist schuld daran.“ „Hm?“ Es ging nicht, er konnte diesen Anblick nicht länger ertragen. Gepeinigt drehte Hades den Kopf zur Seite. „Ich wollte dir davon abraten. Ich habe geahnt, dass so etwas passieren würde. … Nein, ich wusste es. Es ist mein Fluch. Mir ist nicht vergönnt, so etwas wie Glück zu empfinden. Und aus diesem Grund kann keinem in meiner Gegenwart –“ „Shht!“ Er verstummte augenblicklich. Inzwischen hatte sich Hades irgendwie daran gewöhnt, dass man ihm des Öfteren ins Wort fiel; dass man ihm hingegen gänzlich den Mund verbat, war ihm neu. Und dann auch noch ausgerechnet einer seiner eigenen Neffen. Folglich irritiert drehte er den Kopf und erstarrte für den ersten Moment. Dionysos, noch immer über ihm, hatte sich weiter zu ihm herabgebeugt. Sein Gesicht war nahe, zu nahe. Überhaupt wurde Hades erst jetzt so richtig bewusst, dass ein viel zu geringer Sicherheitsabstand zwischen ihnen beiden lag. Er sah sich zwischen Armen und Beinen des jungen Gottes festgekeilt und war nicht einmal dazu in der Lage, sich mit der Hand die nassen Tropfen fortzuwischen, die aus Dionysos‘ durchtränktem Haar auf ihn herabfielen. „Wunderschön.“ Auf die Lippen des Fruchtbarkeitgottes legte sich ein lockeres Lächeln. Seine grünen Augen nahmen einen weichen Ausdruck an. Für einen weiteren Atemzug war Hades wie paralysiert. Unfähig, von ihm wegzusehen, sich zu rühren oder auch nur zu bemerken, wie sich Dionysos‘ Hand auf seine Stirn zubewegte. „D-Dionysos! Was …?“ „Hades ist so wunderschön“, erklang Dionysos‘ Stimme erneut in einer Tonlage, die Hades einen leichten Schauer versetzte. So sanft, so beruhigend … Nie zuvor hatte jemand so mit ihm gesprochen. „Das war es, was ich gerade gedacht habe.“ Er war zu keiner Regung mehr fähig. Der kurze Anflug von Gegenwehr verebbte genauso schnell, wie sie über ihn gekommen war. Dionysos‘ federleichte Berührung, als er ihm das lange Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte, hatte sich als ungeahnt zärtlich herausgestellt. Er konnte ein leichtes Kribbeln an der Stelle verspüren, an der Dionysos‘ Finger seine Haut kurz berührt hatten. Zugleich spürte er die Panik in sich aufwallen, als ihm jäh bewusst wurde, was der Gott mit dieser flüchtigen Geste freigelegt hatte. Tief sog Dionysos dieses Bild in sich auf: Hades, der in einem Meer aus Blüten lag. Hades, der in diesem Moment so rein und unschuldig, und gleichzeitig so verletzbar wirkte. Hades, in dessen schmal geschnittenem Gesicht so viele Emotionsregungen abliefen, dass er ganze Geschichten aus ihnen hätte erzählen können. Er war in seiner aktuellen Verfassung kein Gott, ebenso wenig wie er selbst, und doch selbst in dieser menschlichen Gestalt so vollkommen, dass Dionysos nicht anders konnte, als ihn zu bewundern. „Und es ist wahr: Du bist wirklich wunderschön. Selbst mit diesem Auge“, sprach er seine Gedanken laut aus, wobei sein Daumen zärtlich an seinem Augenwinkel entlangstrich. Hades hielt sein linkes Auge stets unter seinem langen Pony verborgen, und das aus gutem Grund. Ein Auge, dessen Grundfarbe Schwarz war, hätte wohlmöglich jeden verschreckt. Menschen gleichermaßen wie Götter. Dionysos hatte fast vergessen, dass es existierte. Er hätte sich den erneuten Anblick nach dieser langen Zeit wesentlich schlimmer vorgestellt, aber das war es nicht. Ganz im Gegenteil: Er spürte keinerlei Unbehagen oder Abscheu, während er es aus nächster Nähe betrachtete, nur stille Bewunderung und Faszination. „Lass das“, brachte Hades leise hervor. Er drehte den Kopf zur Seite, um Dionysos‘ eingehenden Blick auszuweichen. Das lange Haar fiel ihm zurück ins Gesicht und verbarg, was niemand hätte sehen sollen. „Weißt du, was mir ebenfalls gerade durch den Kopf geht?“ Er würde darauf keine Antwort bekommen, was Dionysos wusste, weswegen er einfach weitersprach: „»Wann habe ich ihn eigentlich zuletzt gesehen?« Ich muss damals noch ein Knirps gewesen sein, kann das sein? Du warst sehr selten zu Besuch und wenn, hat man dich kaum zu Gesicht bekommen. In die Unterwelt darf nicht jeder und du weißt ja … Ich glaube, es ist wirklich Jahrzehnte her, dass wir uns das letzte Mal so richtig gesehen haben.“ Hades sagte nichts darauf. Er hüllte sich in Schweigen und ließ sich nichts von dem anmerken, was in ihm vorgehen musste. „Zu schade, dass wir diese Dinger nicht losbekommen. Im Augenblick würde ich dich wirklich zu gern richtig sehen. Als der Hades, der du eigentlich bist. Es ist wirklich ewig her.“ „Das willst du nicht wirklich“, murmelte Hades so leise, dass es kaum zu verstehen war. „Tja, lässt sich nichts machen“, überging Dionysos seine Worte und setzte sich auf. „Aber weißt du, wenn man es von der Perspektive aus betrachtet, finde ich, hat es sogar etwas Gutes, dass wir hier gefangen sind. So haben wir die Gelegenheit, mehr Zeit miteinander zu verbringen und ich komme endlich dazu, dich besser kennenzulernen.“ Er schenkte ihm ein breites Lächeln, als Hades daraufhin zögerlich den Kopf zu ihm drehte. „Findest du nicht?“ „… Dionysos.“ „Hm?“ „… Runter.“ Er verstand nicht auf Anhieb. Hades‘ Gesicht nahm eine rötliche Färbung an, als er dieses Mal deutlicher sprach: „Bitte, geh von mir runter.“ „Oh, na klar. Wobei … Was ist, wenn ich jetzt Nein sage?“ „… Unglück wird dich wieder befallen.“ „Hm, nein. Das überzeugt mich nicht wirklich.“ „Dionysos!“ „Schon gut, schon gut“, lachte er und fügte noch ein „War nur ein Scherz, komm schon“ mit an. Sofort kam er der Bitte nach und erhob sich, woraufhin er Hades die Hand reichte, um ihm ebenfalls aufzuhelfen. Das Beet war ein Dilemma, das erkannte er nun. So schön die Blüten auch um Hades herum ausgesehen hatten, es änderte nichts an dem bitteren Beigeschmack, dass die Pflanzen zerstört waren. Unmöglich würde er sie ohne göttliche Fähigkeiten noch retten können. Er musste ganz von vorn beginnen und sie erneut aufziehen. „Oh, schau! Eine hat es überlebt“, rief er plötzlich aus und ging in die Hocke. Eine einzige Blume ragte noch stolz und kraftvoll aus der Erde, welche nicht unter den beiden Göttern plattgedrückt worden war. Ihr Blütenköpfchen wippte, als wollte sie, dass man ihr Aufmerksamkeit zukommen ließ. „So ein Glück. Jetzt wird alles wieder gut.“ „Glück?“, wiederholte Hades leise. Unbewegt stand er neben seinem Neffen und beobachtete, wie dieser zwischen all der Zerstörung das Blumenköpfchen behutsam anhob. Die gesamte Situation war äußerst unglücklich, bedauerlich. Wie Dionysos dennoch von »Glück« sprechen konnte, war ihm unbegreiflich. „So eine tapfere Kleine“, schwelgte Dionysos in seiner offenen Bewunderung, der er der kleinen Blume entgegenbrachte. Wieder und wieder strichen seine Finger über die einzelnen roten Blütenblätter, als belobigte er ihre Stärke. „Dir ist hoffentlich bewusst, dass es ab sofort deine Aufgabe sein wird, auf sie aufzupassen?“, sprach er an Hades gewandt, ohne sich nach ihm umzudrehen. „Meine …?“ „Sie muss noch groß und stark werden. Außerdem braucht sie viele neue Geschwister, damit sie nicht so allein ist. Jemand muss gut für sie sorgen“, erklärte er. „… Ich halte das für keine so gute –“ „Sie hat es bereits entschieden.“ Über die Schulter wandte er sich Hades zu. Sein Gesicht zeigte ein gütiges Lächeln. „Tut mir wirklich leid, Hades-san, aber ich muss darauf bestehen.“ Hades hatte kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Er wollte widersprechen, doch ein Blick auf diese kleine Blume ließ ihn verstummen. Sein Gefühl sagte ihm, dass sein Unglück auch diese letzte Nelke zerstören würde. Einmal hatte sie ihm gestrotzt, doch würde es ihr ein weiteres Mal gelingen? Er empfand Glück, wenn er sie betrachtete, doch würde sie es schaffen, es weiter in ihm heranwachsen zu lassen? Er wusste es nicht zu sagen. Dieser kleine Garten steckte voller Überraschungen. Und wohlmöglich voller Wunder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)