Zwischenwelten von Minerva_Noctua (Ereri) ================================================================================ Kapitel 8: Nachtklang --------------------- Nach einem anstrengenden Tag voll zermürbender Recherchearbeit wünschte sich Eren nur noch in die heiße Dusche und ins Bett. Die Aussicht wieder auf dieser Teufelscouch schlafen zu müssen, verpasste ihm allerdings einen Dämpfer. Er klopfte wieder, bevor er Levis Appartement betrat und fand ihn in der Küche. Er schien irgendetwas zuzubereiten und nahm von Erens Anwesenheit keine sichtliche Notiz. „Hallo“, begrüßte Eren ihn trotzdem etwas kleinlaut, „Ich gehe gleich duschen.“ Er ersparte sich auf eine Antwort zu warten und ging schnurstracks ins Bad, wo er sich eine richtig lange Dusche gönnte. Danach wischte er wie angeschafft alle Wassertropfen mit einem Lappen weg und warf seine Kleidung in den Wäschekorb. Dummerweise hatte er seine Schlafkleidung nicht mitgenommen, sodass er sich bei der Couch umziehen musste, wo seine Tasche lag. Als Eren sich das Handtuch um die Hüfte schlang, zögerte er kurz. Eigentlich konnte er sich das Handtuch auch sparen. Er hatte oft genug mit Levi geduscht oder in der Sauna gesessen und schwerlich etwas zu verbergen. Abgesehen davon beendete Levi vielleicht dieses unsägliche Schweigen, sei es auch nur um Eren wegen seiner Nacktheit in der Wohnung zu schelten. Komischerweise fühlte sich Eren etwas unsicher, als er dann tatsächlich splitterfasernackt das Bad verließ, durchs Schlafzimmer ging und dann raus in das Wohnzimmer zur Couch, wo Levi ihn unzensiert beobachten konnte. Seine Wangen begannen zu glühen, als er mit auf den Boden gerichteten Blick begann seine Trainingshose und ein bequemes olivgrünes Shirt aus der Tasche zu ziehen. Er wagte gar nicht erst nachzusehen, ob Levi ihn ansah oder weiterhin ignorierte. Erst als er wieder bekleidet war, sah er auf und blickte auf Levis Rücken, der vor dem Herd stand. Ein Schaudern floss wie Honig von seiner Brust in seinen Bauch und er erkannte überrascht Enttäuschung. Eren atmete tief durch. Dabei fiel sein Blick zufällig auf die Couch und er bemerkte das darüber gezogene Laken. Mit einem Lächeln bückte er sich und strich über die weiche Oberfläche. Levi hatte ihm unter das Laken sogar noch eine weitere Decke gelegt, um die Liegefläche annehmbarer zu gestalten. Er kümmerte sich also doch um ihn. Das ließ Eren den Entschluss fassen nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, sondern etwas diplomatischer zu versuchen herauszufinden, warum Levi ihn quasi mit Schweigen strafte. Dieses Spielchen hatten sie schließlich bereits bei Ausbildungsende und nach den letzten Monaten allmählich aufblühender Freundschaft fühlte sich Eren mit der Wiederholung dieser Behandlung ziemlich vor den Kopf gestoßen. „Danke für das Laken“, lächelte Eren etwas gezwungen als er zum Küchentresen ging und sich auf den Barstuhl setzte. Diesmal drehte sich Levi mit Besteck in der Hand um und legte es vor Eren. Seine Mimik wirkte erstarrt wie das Gesicht einer Statue und ließ Eren innerlich zurückschrecken. „Bitte“, erwiderte Levi gewöhnlich knapp. Als er sich wieder zum Herd drehte, atmete Eren tief ein, entschlossen das verflixte Eis zu brechen. „Was kochst du denn? Das riecht wirklich lecker“, erkundigte er sich und spürte bereits seinen Magen rumoren. Er hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen. „Eine Kartoffelsuppe.“ „Oh wow, ich hatte schon lange keine Kartoffelsuppe mehr“, bemühte sich Eren um ein Lächeln, „Das ist jetzt genau richtig bei diesem widerlich feuchten Wetter.“ Es regnete seit Tagen ohne Unterlass. „Du warst den ganzen Tag drin, was interessiert dich da das Wetter.“ „Mir ist trotzdem den ganzen Tag in diesem alten Gemäuer zu klamm gewesen“, meinte Eren und konnte den etwas trotzigen Unterton nicht verdrängen. Levi drehte sich mit zwei vollen Suppentellern um und stellte einen vor Eren. „Danke.“ Levi nickte bloß und drehte sich zum Suppentopf, um ihn abzudecken und ein paar Tropfen von seinem Rand zu wischen, ehe er sich Eren gegenüber auf den Barstuhl setzte. „Guten Appetit!“ Neugierig tauchte Eren den Löffel in die dickliche Flüssigkeit und probierte vorsichtig. „Wow, das schmeckt echt gut!“, strahlte er und verbrannte sich beim nächsten gierigen Schluck die Zunge. „Falls du noch irgendwas nachwürzen willst, sag Bescheid. Ich bin da oft etwas zurückhaltend.“ „Oh nein, es ist perfekt“, lächelte Eren und meinte es ernst. Es war wirklich sehr lecker. Levi nickte und begann selbst mit dem Essen. „Machst du oft Suppen?“ „Ja.“ „Warum?“ Genervt suchten Levis Augen Eren und blickten ihn abweisend an. „Was denn?“, entfuhr es Eren ungeduldig, „Ich will doch nur etwas Konversation betreiben.“ „Lass es bleiben“, schmetterte Levi ab und aß mit aller Ruhe in der Welt weiter. Verständnislos zog Eren seine Augenbrauen zusammen. „Hab ich wieder irgendwas falsch gemacht?“, forderte er zu wissen, woraufhin Levi ihn zweifelnd ansah. „Nein, Eren“, erwiderte er strapaziert, „Ich bin einfach nicht in Stimmung zu reden.“ Schnaubend konzentrierte sich Eren wieder aufs Essen und schmollte in seinen Teller. Die bleierne Unzufriedenheit und Wut in seinem Bauch ließ ihm jeden Schluck fast im Halse stecken bleiben. Als er so vor sich hin brütete, fiel ihm wieder das Gespräch mit Armin ein. „Warum machst du das eigentlich?“, als er sah, dass Levi ihn verständnislos anblickte, erklärte er weiter, „Diesen Job. Warum hast du die Führung dieser Einheit eigentlich übernommen? Um Erwin Smith einen Gefallen zu tun oder weil du es wolltest?“ Zugegeben, diplomatisch war das nicht. Weder die Wortwahl, noch der vorwurfsvolle Ton. Er bekam auch prompt die Quittung. Levis Augen wurden kalt und bedrohlich und er erstarrte vollkommen. Eren spürte sein Herz rasen und erwartete jeden Augenblick mit einem saftigen Arschtritt rausgeschmissen zu werden. Doch nichts dergleichen geschah. Eren zuckte zusammen, als Levi aufstand und sein Geschirr nahm. Ohne weitere Reaktion auf Erens Frage hin, begann er seine nicht mal aufgegessene Suppe in eine Verschlussbox zu füllen und aufzuräumen. Mit aufgerissenen Augen beobachtete Eren dieses Verhalten und versuchte zu begreifen, warum Levi so auf ihn reagierte. „Levi…“ „Lass gut sein. Ich bin müde. Räum den Topf weg, wenn du fertig bist.“ Mit diesen tonlosen und gespenstisch kraftlos klingenden Worten verabschiedete sich Levi für die Nacht. Eren verstand es nicht. Er verstand Levi nicht. Resignierend schob er den leeren Suppenteller von sich. Sein Herz klopfte schwer in seiner Brust und er fühlte sich auf einmal so schrecklich miserabel. Der körperliche und emotionale Stress der letzten zwei Wochen schienen ihn einzuholen. Vielleicht hatte Armin Recht und er unterschätzte den Druck, dem sich Levi ausgesetzt sah. Vielleicht hielt Eren ihn für zu stark, zu unbeugsam. Und vielleicht spielte es keine große Rolle, warum Levi tat was er tat. Mit knirschenden Zähnen entschloss er sich Levi zu unterstützten und aufzuhören ständig etwas von ihm zu erwarten. Wer war Eren schon, dass er den Anspruch stellte, dass Levi ihn anders behandelte als seine restlichen Kameraden. *~* Frustriert drehte sich Levi im Bett zum abertausenden Mal um und schnaufte genervt. Er fand einfach keine Ruhe. Ständig musste er an Erens Worte und seine erschrockenen Augen denken. Er wollte Eren nicht verletzen oder mit Schweigen strafen - der einzigen Strafe, von der Eren selbst gesagt hatte, dass sie ihn fertig machte. Levi hatte sich schon immer in diese kalte, passive Attitüde geflüchtet, wenn er sich besonders angreifbar fühlte. Damit wollte er natürlich nicht die wenigen Menschen, die ihm Nahe genug standen, verletzen. Aber er konnte sich nicht beherrschen. Es war als stünde er wie ein Fremder daneben und würde sein abweisendes Verhalten ohne Eingriffsmöglichkeiten beobachten. Es war ein Automatismus. Die Leute, die ihn aus diesem Verhaltensmuster rausreißen konnten, hatten sich mittlerweile auf Null reduziert. Nicht einmal Erwin und Hanji kamen in so einer Situation an ihn heran, aber sie wussten wenigstens, dass er sie deswegen nicht weniger schätzte und sich irgendwann wieder einkriegen würde. Levi verabscheute diese Seite an sich. Er kam sich vor wie ein angeschossenes Tier, das blind und instinktiv jeden biss, der zu Nahe kam. Er war wohl auch nicht mehr als ein gemartertes Tier. Levi wusste im Gegensatz zu seiner Jugend nun zumindest, warum er in dieses Verhaltensmuster zurückgefallen war. Ungehalten schob Levi seine Decke zur Seite. Ihm war zu heiß und der elendige Raum zu stickig. Völlig entnervt stand er auf und ging ins Bad, um das dortige Fenster zu öffnen. Ein feucht-kalter Windhauch zog daraufhin durch bis ins Schlafzimmer. Endlich hatte er den Eindruck wieder atmen zu können, sodass er sich erschöpft ins Bett verkroch. Aber egal an was Levi versuchte zu denken, seine Gedanken fanden früher oder später immer zu Eren zurück. Sei es im beruflichen Kontext oder… eben weniger beruflich. Der Depp musste ja in seiner Wohnung landen! Verschissener Wasserrohrbruch! Eren war glücklicher- und fatalerweise die einzige Person, die Levi in seinen vier Wänden ertragen wollte. Allerdings kam Levi nicht damit zurecht. Nicht nachdem er sich zu diesem Idioten hingezogen fühlte beziehungsweise akzeptiert hatte, dass er dies tat. Er konnte nichts daran ändern. Er konnte nur warten und hoffen, dass es verging. Zumindest hatte er sich das eingeredet. Jetzt lag Eren nebenan und es half beim besten Willen nicht, wenn Eren verwuschelt nach seiner Dusche nackt durch die Wohnung lief. Natürlich hatte Levi ihn schon unzählige Male nackt gesehen und ihm war die ganze Zeit klar gewesen, wie gut gebaut Eren war. Himmel, dafür brauchte es nie Phantasie. Rückblickend betrachtet verstand Levi nun wenigstens seine eigene Zurückhaltung Eren anzusehen, wenn sie zusammen in der Sauna waren oder duschten. Es hätte ihm früher auffallen können, dass er Eren nicht mit der selben Gleichgültigkeit ansah wie jeden anderen Mann. Was hatte es ihn je gekümmert, ob er den Schwanz eines anderen begaffte? Es war seltsam wie sich das Verhalten änderte, wenn man für jemanden Gefühle entwickelte. Frustriert legte Levi einen Arm über seine Augen und knirschte mit den Zähnen. Die andere Hand legte er über sein schnell schlagendes Herz, versucht sich zu beruhigen. Er fühlte sich so fürchterlich außer Kontrolle und ärgerte sich maßlos darüber. Natürlich half es denkbar wenig. Sicherlich wäre es einfacher diesen Job zu machen, ohne jedes Mal einen Herzaussetzer zu bekommen, wenn er einem seiner Untergebenen in die Augen schaute, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Er musste bei der Arbeit einfach einen kühlen Kopf bewahren. Das konnte er. Ob er sich beherrschen konnte, Eren mit seiner abweisenden Art nicht zu vertreiben, wusste er nicht. Es war so unpassend. *** Levi wachte vom leisen Öffnen seiner Schlafzimmertüre auf. Eren tapste leise mit einem Kleiderbündel an ihm vorbei ins Bad, wo Levi ein leises Zischen durch die Türe hindurch vernahm. Ups. Er hatte das Fenster die ganze Nacht offen gelassen. Eren würde es da drin vermutlich die Eier abfrieren. Das Geräusch der Dusche ließ Levi einen Blick auf seine Uhr werfen. 06:28 Uhr. Um halb Acht hatten sie ihre Morgenbesprechung, das hieß dass Levi keine Zeit mehr für sein Workout hatte. Lautlos seufzend drehte er sich um und wartete bis Eren aus dem Bad und seinem Schlafzimmer war, bevor er aufstand. Das Bad dampfte regelrecht, dennoch hatte sich Eren augenscheinlich bemüht die Duschkabine trocken zu wischen. Eigentlich hätte er lüften müssen. Lustlos zog sich Levi aus und stellte sich unter die lauwarme Dusche, die er Stück für Stück kälter stellte, um in die Gänge zu kommen. Der Tag würde lang und anstrengend werden. Außerdem musste er sich etwas mit Eren einfallen lassen. Er konnte ihn schlecht die nächsten drei Wochen so behandeln. Das würde bei ihrer beider Temperament bloß eskalieren und der Zusammenarbeit schaden. Fröstelnd stieg Levi aus der Dusche, trocknete sich ab, wischte alles trocken und kippte das Fenster. Da erst einmal geplant war sich mit den Recherchenergebnissen zu spielen, zog er sich einen dunkelgrünen Cashmerepullover und schwarze Jeans an. Als er das Wohnzimmer betrat, fand er Eren in der Küche werkelnd vor. Er schien irgendwas mit der Pfanne zuzubereiten. „Du hast vergessen das Bad zu lüften“, begrüßte Levi ihn und schlug sich mental für seinen unleidlichen Ton auf die Stirn. Eren drehte sich blinzelnd um. „Ich weiß, ich wollte dir nur ersparen, dass du dir so wie ich den Arsch abfrierst.“ „Das hätte mir nichts ausgemacht“, erklärte Levi kühl, einerseits angetan von der Umsicht, andererseits angesäuert wegen Erens Wortwahl. „Ich mache gerade Pfannkuchen zum Frühstück“, wechselte Eren nüchtern das Thema, „Ich dachte mir, dass wir uns mit dem Kochen abwechseln könnten. Da du außer Honig und Milch nichts mehr hast, dachte ich, dass wir heute Mittag eine Einkaufsliste erstellen könnten, damit die Kantineleute uns was beiseite legen.“ Es war Gang und Gebe, dass ihre Nahrungsmittel über die Kantine bezogen wurden. Es war billiger über den Großhandel und so gut wie alles konnte bestellt werden. „Für heute Abend haben wir noch Suppe. Morgen kannst du kochen. Aber ich werde mich selbst um meine Einkaufsliste kümmern.“ „Gut, dann hätten wir das geklärt.“ Eren verzog die Lippen zu einem sozialkonformen Lächeln; ein Lächeln ohne Freude, sondern einer Friedensbotschaft. Ohne weitere Worte wandte sich Eren wieder den Pfannkuchen zu und stapelte die fertigen Stücke auf einem großen Teller. Wortlos setzte sich Levi auf den Barhocker, auf dem Eren gestern gesessen hatte. Er beobachtete Erens schnelle Handgriffe und ordentliche Arbeit. Als der Teig aufgebraucht war, stellte er zwei Teller auf den Tisch und den Pfannkuchenteller daneben. „Ich hoffe, du magst so etwas mit Honig“, sagte Eren und stellte ein Glas mit Akazienhonig zwischen sie. „Ich habe es noch nicht probiert.“ Eren warf ihm einen fassungslosen Blick zu. „Du hattest noch nie Pfannkuchen mit Honig?!“ „Warum sagst du es, als hätte ich gerade einen Mord gestanden?“ Eren blickte ihn ungläubig an. „Wie kommt man in seinem Leben an Pfannkuchen mit Honig vorbei?“ „Tue ich ja nicht. Ich lebe noch und esse das jetzt“, erwiderte er mit desinteressierter Stimme. Anscheinend hatte sich Eren vorgenommen ihn heute warm zu quasseln. „Gibt es etwas, dass du nicht gerne isst? Nicht, dass ich etwas mache, was du nicht magst.“ „Nicht wirklich“, erwiderte er und verteilte den Honig mit einem Löffel über den Pfannkuchen. Es roch wirklich gut und als Levi ein Stück davon probierte, seufzte er innerlich auf. So ein Frühstück war um einiges besser als Eierbrot, Müsli oder Obstyoghurt. „Und? Schmeckt es? Soll ich das morgen wieder machen?“, lächelte Eren zwischen zwei Bissen. „Ja“, antwortete Levi, „Zu allem.“ Erens Lippen verzogen sich zu einem ehrlichen Lächeln, das seine Augen zum ersten Mal an diesem Morgen zum Strahlen brachte. „Das freut mich!“ Tatsächlich schien es ihn soweit zufrieden zu stellen, dass er die Klappe hielt und sich aufs Essen konzentrierte. Levi atmete möglichst unbemerkt tief durch und versuchte an die bevorstehenden Aufgaben zu denken, aber es mochte nur schleppend funktionieren. Sie mussten nicht viel tun, außer einen Aktionsplan zu erstellen, um einige Personen auszuspionieren. Dafür konnten sie auch auf den Gesamteuropäischen Geheimdienst - GEG - zurückgreifen. So wie die es verbockt hatten, waren sie zur Zeit zahm wie Lämmer, wenn man was von ihnen wollte. Und Erwin hatte über X Ecken dafür gesorgt, dass Levi derjenige sein konnte, der etwas wollte. „Alles in Ordnung?“, fragte Eren unvermittelt und ließ Levi aufblicken. Noch ehe Levi den Mund aufmachte, redete Eren weiter. „Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angefahren habe. Ich sollte dir eigentlich helfen und nicht deine Motive in Frage stellen.“ Eren blickte zerknirscht auf seinen leeren Teller, doch dann schaute er ihm fest in die Augen. Es war keine Reue in seinen expressiven Augen, nur Hingabe und Entschlossenheit. Was sollte Levi darauf erwidern? Er fühlte sich ziemlich hilflos. Er warf einen Blick auf die Uhr am Herd. „Es ist 07:16 Uhr. Wir sollten uns mit dem Frühstück beeilen.“ Vor den Kopf gestoßen blickte Eren wieder auf seinen Teller und nickte. *** „Hab ich das richtig verstanden, Sir?“, hakte Jean blinzelnd nach, „Wir sollen uns in diesen Club einschleusen und der Tochter des rechtsradikalen Dr. Pritz einen Mikrosender unter die Haut spritzen.“ Zwar herrschte immer noch allgemeines Ausgangsverbot nach 21:00 Uhr, aber es hielt sich natürlich nicht jeder daran. Einschlägige Clubs am wenigsten. „Am besten nicht irgendwo unter die Haut, sondern in den Oberschenkel“, bestätigte Levi gelassen als sprächen sie über die Auswahl eines Restaurants für ihren nächsten Besuch. „Das heißt wir müssen Undercover hin und möglichst eng an Tamara Pritz herankommen. Die Spritze dürfte sie nicht bemerken, wenn wir schnell und präzise arbeiten“, führte Armin weiter aus. Levi nickte. „Deswegen möchte ich vier von euch reinschicken. Es ist ein Tanzclub, wo nur Leute mit dem entsprechenden Namen oder Aussehen reinkommen. In den VIP-Bereich kommt man nur mit entsprechenden Tanzfähigkeiten und natürlich befindet sich unsere Zielperson genau dort.“ Der Club war die einzige Möglichkeit so nah an die Frau heranzukommen. Zusammen mit der GEG würden sie insgesamt 28 Personen in den nächsten fünf Tagen verwanzen. Sie würden sehen, wie viele nützliche Informationen sie dadurch gewannen. Das Vorgehen wurde bereits richterlich im Schnellverfahren abgesegnet. Weitere 43 Personen mussten mit herkömmlicheren Methoden überwacht werden. „Welche vier wollen wir in den Club schicken? Armin?“, fragte Marco. „Was? Warum ich?“ Überrascht zeigte Armin auf sich. „In der Tat. Ich brauche gute Tänzer. Gut genug seht ihr alle aus“, erwiderte Levi und sah auf seine Leute, „Und ich will auch zwei Frauen reinschicken. Wir haben keine Ahnung, welche Präferenzen die Zielperson hat. Sie wurde bisher mit Männern und Frauen beobachtet.“ „Normalerweise ziehen die Rechten heterosexuelle Partnerschaften vor“, warf Berthold ein. „Partnerschaften. Aber was in einem Club geschieht, dürfte denen auch egal sein“, widersprach Annie träge. Es war bereits kurz nach Mitternacht. Levi wollte es auch langsam gut sein lassen. In den Club kamen sie ohnehin erst morgen Nacht. „Wen würdet ihr außer Armin noch reinschicken?“ „Historia und Eren haben schön miteinander getanzt“, fiel Connie ein. „Ich bin sofort dabei!“, erklärte Eren engagiert. Jean verdrehte dabei die Augen. „So ungehalten wie du Idiot bist, bezweifle ich, dass du so nah an eine Frau rankommst.“ „Was hast du-“ „Es reicht!“, herrschte Levi die Streithähne an und massierte sich dabei die Schläfen. „Soweit ich mich erinnere, hat Eren bereits viele Undercover-Einsätze hinter sich. Haare färben, Kontaktlinsen und fertig“, befahl Levi die Reaktionen seiner Kameraden ausblendend, „Da Armin im Einsatz sein wird und Hannah hier bleibt, brauchen wir Historia draußen zur Überwachung. Wie viele Undercover-Einsätze hattest du, Sasha?“ Perplex zuckte Sasha in ihrem Stuhl zusammen und sah ihn alarmiert an. „Keinen einzigen, Sir.“ „Dann wird dies dein Erster sein. Du wirst mit Ymir reingehen“, an Letztere wandte er sich nun, „Ich habe dich noch nicht tanzen sehen, aber wenn du schlecht bist, werde ich das im Laufe des Tages schon hinbiegen.“ „Ich kann tanzen und ich habe schon monatelang Undercover im Drogenmilieu gearbeitet“, winkte Ymir ab. Levi war froh über ihre unkomplizierte Art. „In Ordnung. Alles weitere besprechen wir morgen um 08:00 Uhr. Gute Nacht“, verabschiedete sich Levi und alle standen mit einem erleichterten Stöhnen auf. Levi sehnte sich nach seinem Bett, aber da hatte er seine Rechnung ohne Eren gemacht. „Ich würde die Suppe aufwärmen, falls du zuerst ins Bad möchtest“, erklärte Eren, als er die Appartementtür hinter ihnen schloss. Überrascht drehte sich Levi um. „Jetzt?“ „Wann sonst?“ Eren blinzelte irritiert. „Du willst mitten in der Nacht noch was essen?“ Verunsichert starrte Eren ihn an. „Ja, wir haben am Mittag bloß diesen fürchterlichen Salat gehabt und die Suppe muss sowieso gegessen werden.“ Eigentlich hatte Eren Recht. Das bisschen Suppe würde ihm vermutlich ganz gut tun. Der Salat war in der Tat widerlich gewesen. Die Stadt hatte etwas Probleme bei der Beschaffung von frischen Lebensmitteln, da jedes Fahrzeug, das in die Stadt fuhr, gefilzt wurde und damit den Transport verzögerte. „In Ordnung.“ Damit verschwand Levi ins Bad und gönnte sich eine kurze heiße Dusche, ehe er in Shirt und schwarzen Boxershorts in die Küche schlenderte, wo die Suppe bereits köchelte. Wortlos setzte er sich an den Tresen und ließ sich von Eren den Suppenteller vor die Nase setzen. „Danke“, brachte er müde heraus und nahm sich fest vor sich um mehr Umgänglichkeit zu bemühen. „Gern“, lächelte Eren zaghaft und setzte sich ihm gegenüber, „Ich dachte, ich mache heute Abend einen Zucchinieintopf, wenn du einverstanden bist.“ „Klar, heute dürfte es nicht so spät werden.“ Sie mussten sich auf den Einsatz vorbereiten und einen weiteren besprechen. Levi hatte mit einem der GEG-Leute, Hannes irgendwer ausgemacht, dass sie zehn der 28 Personen in Eigenregie verwanzen würden. „Ich werde meine Haare am besten blond färben und hellbraune Kontaktlinsen tragen. Das hat mich immer am meisten verändert.“ Levi warf einen prüfenden Blick auf Eren, sich schwerlich ein anderes Aussehen vorstellen könnend. Sie aßen still ihre Suppe fertig und Levi räumte die Küche auf, während Eren ins Bad verschwand. Als Levi wenig später im Bett lag, beglückwünschte er sich für sein etwas weniger asoziales Benehmen. *** Ein Rumsen und Fluchen weckte ihn aus seinem leichten Schlaf. Mehr aus einem Automatismus heraus raffte sich Levi auf und trat ins Wohnzimmer, wo er Eren vor der Couch am Boden vorfand. Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Türrahmen und beobachtete Eren dabei, wie er sich grummelnd den Nacken massierte. „Was machst du?“ Erschrocken drehte sich Eren um und fasste sich bei der ruckartigen Bewegung wieder stöhnend ins Genick. „Ich bin von der Couch gerutscht. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.“ „So laut wie du warst, hättest du jeden aufgeweckt.“ Levi betrachtete Erens Verlegenheit und erinnerte sich daran, dass Eren auch schon nach der ersten Nacht Nackenschmerzen gehabt und sich den ganzen Tag recht steif bewegt hatte. Die Couch war nicht zum Schlafen geeignet. Das würden noch viel strapazierendere Wochen werden als Levi ohnehin schon befürchtet hatte. „Nimm Decke und Kissen, du kannst bei mir schlafen. Wenn du willst“, fügte er Letzteres noch hinzu. Überrascht blinzelte Eren zu ihm hoch. „Echt jetzt?“, hakte er ungläubig nach, „Ich kann mit in deinem Bett schlafen?“ „Schlimmer als Hanji wirst du wohl kaum sein“, tat es Levi ab, „Entscheide dich, bevor ich es mir anders überlege.“ „J-Ja, natürlich“, strahlte Eren und sprang auf, „Diese Couch ist ein Gräuel.“ Levi drehte sich während Erens Worte um und ging ins Bett. Er machte für Eren Platz, der keine Minute später mit Decke und Kissen vor ihm stand und wartete, bis Levi die äußere Betthälfte frei gemacht hatte. Er schlief lieber an der Wand, denn er traute sich eher zu unbemerkt über Eren zu steigen als Eren über ihn. Außerdem konnte er ihn so auch einfach aus dem Bett schmeißen. So wie Hanji. „Vielen Dank. Das ist wirklich nett von dir“, lächelte Eren, während er sich neben ihm niederließ. „Abwarten.“ „Wieso?“ „Wenn du dich zu breit machst, schnarchst oder mich bedrängst werde ich dich mit einem Arschtritt rausschmeißen.“ Eren kuschelte sich in die Decke und sah ihn dann abgeklärt an. „Find ich fair.“ „Ich meine das ernst“, betonte Levi. „Ganz ehrlich“, seufzte Eren müde, „Alles ist besser als diese Couch. Das Bett ist himmlisch.“ „Hm.“ Levi wusste nichts mehr zu sagen und drehte sich auf den Rücken. Nachdem Stille eingekehrt war, wurde Levi von seiner eigenen Entscheidung überfordert. Da lag er nun. Keine dreißig Zentimeter von dem schönen jungen Mann entfernt in einem fensterlosen Raum und mit nervös flatterndem Herzen. Und mit jeder weiteren Minute wurde es schlimmer. Er begann Eren zu riechen und verdammt noch mal, er roch ihm unheimlich gut. Er fühlte sich davon angezogen wie sonst nur von dem Duft erlesener Teeblätter. Es war eine bittersüße Qual. Ob Eren sich Gedanken darüber machte, dass er mit seinem Vorgesetzten im selben Bett lag? Levi musste an ihre erste Interaktion vor ziemlich genau zwei Jahren denken, als er sich Eren als Gymnastikpartner genommen hatte. Der Unterschied war immens. Eren wurde zwar immer noch verlegen, aber von der Obrigkeitsscheue war nichts mehr übrig. Natürlich gab es noch genug für Eren zu lernen, aber er hatte sich in die Richtung entwickelt, die Levi sich vorgestellt hatte. Dass er jemals wieder so fühlen könnte, hatte sich Levi jedoch selbst in seinen pathetischsten Träumen nicht vorstellen können. Er hoffte inständig, dass er diese Schwärmerei hinter sich lassen konnte. Er hatte sich doch gerade erst damit abgefunden sich mit Eren zu befreunden… *~* „Ist das euer ernst?“, fuhr sie Levi an, „Muss man euch erst abfüllen, damit ihr tanzen könnt?“ Verschüchtert hielten sie inne und sahen verschämt zu Boden. Außer Ymir natürlich. Sie verschränkte irritiert die Arme vor der Brust und betrachtete Levi mit kühler Gleichgültigkeit. „Ihr seid alle völlig steif.“ „Das ist ja auch keine Tanzstimmung. Im Club ist das anders“, redete Ymir dagegen, doch Levi ignorierte sie. „Armin, du hast keinen Besenstil im Arsch. Eren, Sasha. Was macht ihr mit euren Armen? Einen imaginären Welpen tot schütteln?“, dann erst erwiderte Levi ihren Blick, „Und du tanzt wie ein Roboter.“ Wenig begeistert rümpfte Ymir die Nase. „Vielleicht würde es helfen, wenn du mit uns tanzt.“ Immerhin tanzte ihr General-Leutnant verdammt gut und ein anschauliches Beispiel wäre im Zweifel hilfreicher als angepisste Blicke und Worte. „Nochmal“, befahl Levi und schaltete mit einer Fernbedienung die Musikanlage an. Wenn möglich, dann wurde es nach dieser Ansage noch schlimmer. Hoch konzentriert versuchten sie sich locker und geschmeidig zu bewegen, was unter Levis genervten Augen zu einem lächerlichen Gehampel steifer Zwölfjähriger wurde, die zum ersten Mal ihre Hüften zu Musik schwangen. Levi schaltete die Musik prompt aus und starrte sie in Grund und Boden. Entnervt schnaubte Ymir, während ihre Kameraden verlegen an ihrer Kleidung nestelten wie gescholtene Kinder. Lächerlich. „So, ich hab’ die Schnauze voll. So wird das nichts. Jäger! Komm her, wir tanzen jetzt zusammen. Das ist kein Line Dance.“ „Was? Warum soll ich mit dir tanzen?“, fragte Jäger mit seinen großen grünen Welpenaugen. Der Mann war ein Phänomen. Ymir konnte sich endlos über sein lächerlich hübsches Gesicht aufregen. „Ich habe gesehen, wie du mit Historia tanzt. Das machst du jetzt mit mir“, befahl sie barsch. Sie wollte diese Farce hinter sich bringen. Sie stand nicht gerne im Mittelpunkt und wollte von ihrem miesepetrigen Vorgesetzten weg. Sie könnte schwören, dass der Kerl heute morgen mit dem falschen Bein aufgestanden war. „Na ja“, maulte Jäger, hielt bei ihrem grantigen Blick jedoch die Klappe und stellte sich vor sie. „Steht nicht so dumm rum!“, fauchte Ymir Sasha und Armin an, „Ihr sollt auch tanzen.“ Die Idioten schraken tatsächlich auf und stellten sich in eine vernünftige Tanzposition. Levi hatte inzwischen ein passendes Lied für einen Partnertanz ausgewählt und drückte auf Play, als sie alle bereit waren. Es war angenehm, wie kooperativ ihr Boss war. Man konnte ihm keinen Mangel an Teamfähigkeit vorwerfen, egal wie autoritär und bestimmt er sonst war. Es war als hätte man einen Schalter umgelegt. Sowie sie zu tanzen begannen wurden ihre Bewegungen flüssig und weich. Wie Ymir sich gedacht hatte nahm der Paartanz die verkniffene Anspannung aus ihrer Haltung und sie konzentrierten sich nicht mehr auf Levis angepisstes Gesicht, sondern auf den Partner und die Musik. Levi ließ sie ein paar Stücke tanzen, ehe er die Musik unterbrach. „In Ordnung. Nun wieder Einzeln. Ich werde mittanzen, wenn’s euch hilft.“ Ach auf einmal, dachte sich Ymir, sparte sich jedoch jeglichen Kommentar. Hauptsache sie wurden bald fertig. Die anderen bereiteten immerhin ihre anderen neun Einsätze vor und es war geradezu albern, dass sie hier mit ihrem Boss tanzen übten wie blutige Anfänger. Als die Musik wieder anging trat Levi in ihre Reihe und begann sich mit ihnen zu bewegen. Nach den ersten Takten bemerkte Ymir, wie ihre Kameraden allmählich inne hielten. Das konnte doch nicht wahr sein! Als sie um Eren lugte, stockte sie allerdings auch abrupt. Verdammt! Das half kein bisschen. Es gab wohl nichts, was Levi mit seinem Körper nicht konnte. Ohne irgendwas besonderes zu machen, schaffte er es so sündhaft gemein fantastisch zu einem langweiligen Discosong zu tanzen, dass Sasha ihn mit offenem Mund begaffte und Armin und Eren ihn mit blinzelnder Bewunderung anstarrten wie die Volldeppen, die sie waren. Zugegeben, selbst Ymir fühlte sich von der ästhetischen Ausstrahlung dieses komischen, kleinen Mannes angezogen. „Was zum Teufel macht ihr da?“, wurden sie von Levi angefahren, als er ihre Blicke bemerkte. „Eye fucking“, erwiderte Ymir trocken und wünschte sich in diesem Moment Historia herbei. Sie wäre vor Lachen zusammengebrochen bei den erschütterten Blicken ihrer Kameraden. Levi selbst verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie mit einer genervt hochgezogenen Augenbraue. „Wenn ihr das morgen Nacht versaut, sorge ich persönlich dafür, dass ihr jedes einzelne bewohnte Appartement in diesem Komplex putzen müsst“, versprach Levi ihnen am Ende mit seiner Geduld. „Wir werden nicht versagen!“, ereiferte sich Eren mit völlig überzeugtem Blick. Ymir verdrehte die Augen. Klar würden sie nicht versagen. Es dauerte fast eine weitere Stunde bis Levi mit ihnen zufrieden war. *** „Ich bin fix und fertig“, seufzte Historia, als Ymir sich hinter ihren Stuhl stellte. Mit einem sanften Lächeln legte Ymir die Hände auf die schmalen Schultern ihrer Freundin, die sich nach hinten lehnte und den Nacken in den Kopf legte. Sie war so rücksichtslos schön, dass Ymir jedesmal aufs Neue der Atem stockte. „Frag mal. Das war eine Katastrophe. Die Idioten machen sich vor Levi in die Hosen.“ „Hey!“, rief Eren beleidigt zu ihr herüber. „Chill’ Jäger“, winkte Ymir ab und ignorierte ihn. „Könnt ihr jetzt tanzen?“, fragte Historia schmunzelnd. „Ja ja, geht schon. Wenn die Jungs die Windeln wechseln, wird das schon.“ „Hey!“ „Jetzt weiß ich wenigstens, was hier so stinkt“, funkte Jean dazwischen, als er von seinem Tablet aufsah und Eren einen pointierten Blick zuwarf. „Fick dich, Pferdefresse!“ Jeans dämliches Grinsen fiel in sich zusammen und verzerrte sich zu einer wütenden Fratze. „Was hast du Penner gesagt?“ Here we go, schnaufte Ymir gedanklich. Eren warf ihm einen überheblichen Blick zu. „Geh arbeiten, Bukephalos.“ „Du willst es echt wissen, Wichser!“, knurrte Jean und sprang zornig von seinem Stuhl auf. Ymir fand es faszinierend wie schnell die Zwei sich gegenseitig in Rage bringen konnten. Ihre Gruppenführer, Ladies and Gentlemen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass ihr aufeinander steht.“ Das bescherte Ymir die Aufmerksamkeit dieser Idioten. „Ich meine, ganz ehrlich. Sexuelle Frustration wie sie leibt und lebt.“ Jean und Eren starrten sie an als sei sie geisteskrank. Dann wanderte ihr Blick langsam zum jeweils anderen. Verekelt verzogen sie ihre Münder und das pure Grauen spiegelte sich auf ihren Gesichtern. Was für Kindsköpfe. Hätte Ymir nicht um ihre beruflichen Qualitäten gewusst, hätte sie die Zwei schon längst abgehakt. „Was ist hier los?“, ertönte die gelangweilte Stimme ihres Vorgesetzten von der Tür. Ruckartig schreckte Jean zurück zu seinem Arbeitsplatz und Eren stakste zu Armin, der sich zu Hannah gesetzt hatte. Ein Schmunzeln ging durch den gesamten Raum und als Ymir runterblickte, lachte Historia leise mit vorgehaltener Hand. So lustig war das nun wirklich nicht. Aber Ymir liebte es Historias Lachen zu sehen. Egal aus welchem Grund. „Wie weit seit ihr, Historia?“, wollte Levi wissen und stellte sich mit seiner Teetasse neben sie. Ymir wich einen höflichen Schritt zur Seite und beobachtete sie neugierig. „Wir können Walker und Jachumsen auf dem Parteitag morgen Abend verwanzen. Zillinger hat heute um 18:00 Uhr einen Arzttermin. Da müsste sich einer reinschleichen und ihm die Mikrosenderspritze unter die Impfspritzen mischen. Walter und Baquari sind am Sonntag voraussichtlich beim Gottesdienst. An den anderen sind wir noch dran.“ „Ich bezweifle, dass wir so einfach an Zillinger rankommen. Dafür müssten wir schon denjenigen umdrehen, der die Spritzen gibt.“ „Er lässt es in einer Arztpraxis machen. Stimmt, das wird schwer“, grummelte Historia, „Vielleicht kann ich mich als Patientin reinschmuggeln und da die Spritzen vertauschen.“ „Das kommt auf die Impfungen an. Im Grunde dürften wir ihm keine Impfdosis vorenthalten.“ „Können wir diese Aufgaben nicht auch noch der GEG übertragen?“, mischte sich Ymir ein. Levi wandte seinen steinernen Blick ihr zu. „Und mit was sollen wir uns dann die Zeit vertreiben?“ „Die Penner kassieren, die von denen tatsächlich Leichen im Keller haben“, betonte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Levi schnaubte. „Ich gehe telefonieren“, erwiderte er und wandte sich um. Dieses Verhalten ließ sie leicht überrascht zu Historia herabblicken. „Was war das?“ Die zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, er hat auch keine Lust mehr die Arbeit von dem gesamten europäischen Sicherheitsapparat aufgehalst zu bekommen.“ „Das fällt ihm jetzt erst ein?“ Ungläubig lehnte sich Ymir an Historias Schreibtisch. „Wie gesagt, vermutlich hat er jetzt auch keine Lust mehr dazu und fängt an mehr zu delegieren.“ „Es ist ja auch schwierig“, schaltete sich Connie in ihr Gespräch ein, „Immerhin müssen wir uns als neue Einheit erst beweisen und wahrscheinlich hängt das Ministerium an Rivailles’ Arsch.“ „Da hängt es ganz sicher“, meinte Reiner trocken, während er auf seinem Tablet wie verrückt herumkritzelte. „Ymir! Komm! Wir müssen unser Outfit festlegen“, rief Sasha zu ihr rüber. „Ich geh’ als Rockerbraut“, erwiderte sie gelangweilt. „Du sollst doch nicht als du selbst gehen“, triezte sie Historia mit einem frechen Grinsen. Ymir lachte auf und legte den Kopf schief, kurz davor Historia aus ihrem Stuhl in eine stürmische Umarmung zu ziehen. Natürlich hielt sie sich zurück und zwinkerte ihrer Freundin zu, die prompt begreifend blinzelte. Sie wusste, dass noch was auf sie zukommen würde, wenn sie alleine waren. Ymir leckte sich genüsslich die Lippen, wurde aber von Sashas Gezeter in die Realität zurückgeholt. „Ja, Herr Gott nochmal! Ich komm’ ja schon“, moserte sie und ging zu Vielfraß, Nerdyboule und Kamikatze. Sie besprachen ihre Montur und gingen nochmal die Architektur des Clubs durch. Sie würden erst morgen in den Einsatz gehen, also sah es Ymir nicht wirklich ein sich zu hetzen. Sie waren alle ziemlich gestresst und unzufrieden mit ihrer Arbeit und Ymir bemühte sich dem etwas entgegen zu wirken. Sie konnten nicht mehr tun. Die politischen Unruhen und die zügellosen Medien waren Übel, die sie nicht verhindern konnten. Sie mussten dankbar sein, dass die Bevölkerung sich großteils an die Ausgangssperren hielt und die kontinuierlichen Leibesvisitationen duldete. Und dass es keine weiteren Anschläge gab. Noch schienen die Terroristen das strangulierte Aufatmen zu beobachten und das war die einzige Lücke, die sie hatten. Zweifellos würden bald wieder Leute sterben. „Oi! Hört her“, rief Levi über ihre Besprechungen, sodass alle Köpfe zu ihm schnellten. Ymir schnalzte mit der Zunge. Sie hätte nicht geglaubt, dass ihr Boss noch angepisster aussehen konnte als heute Morgen. Sie hatte sich geirrt. Das mussten amüsante Telefonate gewesen sein, um eine solch erstaunliche Steigerung auf der Angepisstheitsskala herbeizuführen. „Alle die sich nicht mit Tamara Pritz, Georg Walker und Bjørn Jachumsen beschäftigen reichen ihre bisherigen Ergebnisse Frederic Vase weiter. Der kümmert sich um die Aufgabenzuweisung an die anderen Einheiten und arbeitet mit der GEG zusammen. Danach könnt ihr euch eine Stunde freinehmen, bevor ihr die anderen bei ihrer Einsatzplanung unterstützt.“ Die meisten starrten Levi mit großen Augen an, aber Ymir hob triumphierend die Faust und grinste ihren Boss an. Erst dann schien es ihren Kameraden zu dämmern und sie seufzten erleichtert auf. „Heißt das, dass wir einfach so Däumchen drehen sollen, wenn wir die drei Ziele verwanzt haben?“, fragte Kirschstein ungläubig, der nicht sonderlich erfreut schien seine Arbeit abzugeben. Er hatte anscheinend schon ein paar recht detaillierte Einsatzpläne ausgearbeitet. „Es war alles andere als einfach“, grollte Levi gefährlich, sodass sie alle leicht die Köpfe einzogen, „Und keine Angst, Kirschstein, dir und keinem von euch wird in nächster Zeit die Arbeit ausgehen.“ Autsch. Bei diesem Tonfall verschluckte man sich glatt an der eigenen eingeatmeten Luft. „Ja, Sir!“, brachten sie alle etwas atemlos heraus, was Levi mit einem leichten Nicken zur Kenntnis nahm und sie wieder alleine ließ. Mit einem breiten Grinsen wandte sich Ymir wieder ihrer Gruppe zu. „Hah, endlich etwas mehr Freizeit!“ „Freizeit?“, echauffierte sich Eren prompt so herrlich empört, dass Ymir gleich auf die Bremse trat. Den Zug wollte sie vorbeiziehen lassen. „Chill out, oh man. Ich arbeite genauso viel wie du, okay.“ „Scheinbar nimmst du das alles nicht so ernst“, warf Eren ihr vor, was sie nur mit Mühe ohne Augenrollen hinnahm. „Soll ich dir ein Motivationsschreiben vorlegen?“, erwiderte sie dennoch sarkastisch, „Anscheinend ist der Boss nicht der Einzige, der heute etwas sensibel reagiert, huh?“ Eren sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen sauer an, schien sich jedoch abzuregen. „Leute, lasst uns lieber nochmal den Plan durchgehen“, holte sie Armin zurück zum Thema. Immerhin behielt Nerdyboule einen kühlen Kopf. *~* Sich die Nase reibend ging Eren am Abend zu Levis Appartement. Er verabscheute den Geruch von Haartönungen. Trotz Shampoonieren und auswaschen, hatte sich der Gestank in seine Nasenflügel gebrannt. Wenigstens störten ihn die Kontaktlinsen nicht. In seinem früheren Präsidium hatten sie eine Frau, die jedes Mal Augenentzündungen bekam, wenn man ihr Kontaktlinsen zuschob. Das ist erstmal scheiße. Eren klopfte an und glücklicherweise wurde ihm zügig geöffnet. Levis Ausdruck änderte sich in einem Sekundenbruchteil von gelangweilt zu überrascht, was Eren erst recht etwas unsicher über die Nase reiben ließ. „Ähm, hi!“, begrüßte er ihn verlegen lächelnd. Levi ging zur Seite und ließ ihn eintreten. „Du in blond ist seltsam.“ „Ich weiß“, stöhnte Eren, „Und diese Tönung macht mich wahnsinnig! Ich krieg den Gestank einfach nicht aus der Nase.“ Levi warf ihm einen skeptischen Blick zu, der Eren daran erinnerte, dass die Stimmung zwischen ihnen etwas angespannt war und sein Ausbruch es womöglich nicht besser machte. „Ich mache gerade einen Jasmintee. Vielleicht wird es besser, wenn du deine Nase da reinschiebst.“ Erleichtert seufzte Eren auf. „Jasmintee klingt lecker“, lächelte er, „Und ich bin ja auch mit dem Zucchinieintopf dran, da kommen auch viele geruchsintensive Zutaten rein.“ „Hm.“ „Hast du noch Lust auf Zucchinieintopf?“, hakte Eren nach und beobachtete Levi dabei, wie er den Tee in zwei Tassen goss. „So war es abgemacht.“ Eren nickte und schluckte den plötzlichen Kloß in seinem Hals runter. Er sollte nicht so sensibel auf Levis gelangweiltes Gesicht und seine leicht irritierten Worte reagieren. Er wusch sich die Hände und begann die Zutaten und Gegenstände für den Eintopf zusammenzusuchen, als Levi neben ihn an die Küchentheke trat und ihm eine Tasse vor die Nase hielt. „Danke“, lächelte Eren und nahm die Tasse in seine Hände. Der Tee duftete fantastisch. Gierig inhalierte er den heißen Dampf. „Kann ich dir beim Kochen helfen?“ Überrascht sah Eren auf. „Klar. Wenn du möchtest.“ „Würde ich sonst fragen?“ „Nein“, seufzte Eren, „Du wohl nicht.“ „Aber andere schon?“ Levi warf ihm einen wenig amüsierten Blick zu. Es kam Eren vor, als versuche Levi seine Mimik zu kontrollieren. Ansonsten war sein Gesichtsausdruck auf natürlichere Weise stoisch. Warum trug er plötzlich eine Maske vor ihm? Es verursachte ein ungutes Gefühl. Als läge ein mit Steinen gefülltes Säckchen in seinem Magen. „Viele fragen nur aus Höflichkeit und hoffen darauf eine Absage zu bekommen.“ „Vielleicht wollte ich auch nur ein „Nein“ hören.“ „Tja, zu spät“, grinste Eren ihn an und legte ihm die Zucchini zum Schälen und Schneiden vor die Nase, „Aber wenn du nicht wollen würdest, würdest du mich einfach ignorieren.“ Levi warf ihm einen kurzen Blick zu und summte zustimmend, ehe er sich die Hände waschen ging. Sie bereiteten schweigend den Eintopf vor und obwohl es nicht direkt das angenehme Schweigen war, das Eren schon oft mit Levi genossen hatte, war er momentan zufrieden damit. Als sie den Topf zum Köcheln auf den Herd gestellt hatten, machte es sich Eren an der Theke mit der letzten Tasse Tee gemütlich und schloss erschöpft die Augen. „Gibt es eigentlich einen Tee, den du besonders gerne trinkst?“, riss Levis ruhige Stimme Eren aus seinen trägen Gedanken. „Ich habe eigentlich keine Favoriten. Aber mit bitteren Tees kannst du mich jagen. Oder mit seltsamen Geschmackssorten wie Schokolade-Ingwer oder so.“ Eren verzog angewidert das Gesicht. „Ingwer ist gut, aber es gibt schon perverse Kombinationen.“ „Ja, nicht?“, gestikulierte Eren mit der rechten Hand, „Wenn ich Schokolade will, dann trink ich doch keinen Tee, sondern Kakao oder so.“ „Ich würde einen Kräutertee mit Holunder-, Lindenblüten, Thymian, Salbei, Drachenkopfblätter, Spitzwegerich und Malvenblüten machen, wenn du sowas magst.“ Eren blickte ihn mit großen Augen an. „Also die erste Hälfte sagt mir sogar was, aber das andere Zeug kenne ich nicht und klingt giftig.“ Levi betrachtete Eren wie einen Kretin, allerdings lag Amüsement in seinen sturmgrauen Augen und Eren war es als löse sich ein Knoten in seiner Brust und er wüsste nach langer Zeit wieder wie man atmet. Es war ein plötzliches, unerwartetes Gefühl. Es machte ihn glücklich. „Es ist eigentlich ein Erkältungstee, deswegen sind viele beruhigende Kräuter drin. Ist aber gut und weder bitter noch giftig.“ Er verdrehte die Augen. „Ja, gern“, lächelte Eren, „Ich probiere gerne was Neues aus.“ Daraufhin nahm Levi Sieb und ausgespülte Teekanne und bereitete den Tee vor. „Trinkst du eigentlich einfach nur gerne Tee oder kennst du dich auch mit Kräutern aus?“, fragte Eren plötzlich und fing Levis Aufmerksamkeit wieder ein, welcher sich mit verschränkten Armen an die Küchentheke lehnte, um ihn anzusehen. „Anfangs erst das eine. In Bangkok trinkt man eher Tee und Kaffee mochte ich nie sonderlich. Es ist eher ein Mittel zum Zweck, um mich vorm Wachkoma zu bewahren.“ Levis Körper spannte sich auf einmal komplett an, als ihm seine Formulierung dämmerte. Eren lächelte ihn milde an. Er hatte kein Problem mit dem Wort „Koma“ in jeglicher Hinsicht. Nicht mehr. Auf gewisse Weise fühlte er sich durch Levis Umsicht geschmeichelt, aber er wollte nicht, dass er sich deswegen unwohl fühlte. Deswegen hakte Eren weiter nach. „Aber dann hast du auch angefangen dich für die Zutaten zu interessieren?“ Levis Haltung entkrampfte sich ein wenig, als er in seinen Erinnerungen versank. „Ja, ich mochte wie die verschiedenen Blätter dufteten und begann nach Büchern zur Kräuterkunde und Botanik allgemein zu suchen. Wenn mich etwas interessiert, lerne ich schnell und merke mir auch fast alles, sodass ich in kürzester Zeit viel über die verschiedenen Zutaten wusste und immer - wenn ich konnte - für sämtliche Beschwerden und Gelüste einzelne Kräuter besorgt und selber Tees kreiert habe.“ „Wow“, strahlte Eren beeindruckt, „Das klingt nach einer richtigen Leidenschaft. Machst du heute auch noch deine eigenen Teesorten?“ „Selten. Die käuflichen Mischungen sind recht passabel und decken meine Bedürfnisse gut genug ab.“ Just in diesem Augenblick war das Wasser fertig und Levi drehte sich um und goss den Tee auf. „Gab es irgendeine Mischung, die du am liebsten gemacht hast?“ Levi blickte auf die Uhr am Herd, ehe er sich wieder Eren zuwendete. „Wenn es ging, habe ich verschiedene Schwarzteesorten kreiert. Davon gab es nur wenig gute Blätter auf dem Markt.“ Eren verschränkte die Arme auf der Theke und legte den Kopf leicht schief. „Das klingt wirklich interessant. Ich würde zu gern mal einen deiner Tees probieren.“ Levi schnaubte. „Du würdest den Unterschied zu anderen Teesorten doch gar nicht bemerken.“ „Wer weiß“, grinste Eren zwinkernd, „Vielleicht werde ich nach den drei Wochen mit dir zum Teeexperten mutiert sein.“ „Du legst doch gar keinen Wert auf solche Details“, stellte Levi trocken fest und entfernte das Sieb aus der Kanne, ehe er diese auf die Theke stellte und sich mit seiner Tasse Eren gegenüber setzte. „Hey!“, beschwerte sich Eren sogleich, während Levi ihre Tassen aufgoss, „Das kannst du doch gar nicht wissen!“ „Hm.“ Nachdenklich nahm Levi seine Tasse am oberen Rand und hielt sie sich mit genießerisch geschlossenen Augen vor die Nase. Es war Eren ein Rätsel, wie er die Tasse so halten konnte. Neugierig nahm Eren auch seine Tasse und sog den angenehmen Duft auf. Er konnte unmöglich einzelne Zutaten bestimmen, aber womöglich brauchte man dafür einfach Übung im Erschnüffeln der verschiedenen Blätter und Blüten. „Bevor ich zum Militär gegangen bin, dachte ich immer, dass ich eines Tages meinen eigenen Teeladen eröffnen würde“, durchbrach Levi plötzlich die aufgekommene Stille mit einer ungewohnt tiefen, nachdenklichen Stimme. Erstaunt blickte Eren von seinem Tee auf. Levi starrte stur auf seine Tasse, einen erschreckend verletzlichen Ausdruck in seinen Augen widerspiegelnd. Nein, nicht verletzlich, begriff Eren. Nostalgisch. Die rohe, düstere Variante bittersüßer Erinnerungen. „Das hätte sicherlich super funktioniert“, sagte Eren leise und lächelte, als Levi ihm in die Augen sah, „So ordentlich und gewissenhaft wie du bist, hätten die Leute dir die Bude eingerannt.“ Als Eren in Levis Augen erkannte, dass er sich wieder zurückzog, redete er schnell weiter. „Als ich klein war, wollte ich Tierfilmer werden“, bei der Erinnerung begann Eren zu strahlen, „Da war dieser Kerl, als wir ein paar Monate im Kongo waren, der war Tierforscher oder so und hat die ganze Welt bereist, um Dokumentationen zu drehen. Das fand ich so cool, dass ich das auch unbedingt machen wollte!“ Neugierig geworden blickte Levi ihn weiterhin an. „Was hat dir an diesem Beruf am besten gefallen?“ „Das Reisen und die Aussicht viele verschiedene Tiere sehen zu können“, grinste Eren verträumt, „Allerdings war ich da ungefähr fünf Jahre alt und hatte keine Ahnung von der Welt. Zumindest nicht allzu viel. Es hat mir nicht gefallen ständig mit meinen Eltern umherzureisen, ohne Kontrolle darüber zu haben wann und wohin. Ich hab es gehasst, dass sie mich immer wie eine Sache mitgeschleift haben. Ich wollte selber über mich entscheiden und in dem Sinne frei sein. Da klang der Tierforscher, der mit seiner Crew die Welt bereiste, wie ein wahr gewordener Traum. Ziemlich kindisch und im Nachhinein tut es mir leid, dass ich immer so einen Aufstand gemacht habe, wenn wir wieder woanders hinfliegen mussten.“ „Das klingt normal für ein Kind“, meinte Levi und trank einen Schluck, „Warum hat dir das Reisen mit deinen Eltern nicht gefallen? Weil du deine Freunde immer aufgeben musstest?“ „Nicht wirklich“, erwiderte Eren und stand auf, als der Herd aufleuchtete. Der Eintopf war fertig. „Ich war nie sonderlich beliebt und hatte nie sonderlich gute Freunde, die ich vermisst hätte. Es waren eher die Orte, an die wir mussten. „Meistens waren es irgendwelche Flüchtlingslager oder überfüllte Krankenhäuser in stickigen, heißen Städten mit vielen, gehetzten Menschen. Ich habe so viele schwer kranke und verletzte Menschen gesehen und nichts auch nur annähernd Schönes. Das beste, was passieren konnte, war, dass ich Neugeborene sehen konnte, die zur Abwechslung mal von einer glücklichen und nicht todtraurigen Mutter in die Arme genommen wurden. „Als Kind nimmt man die Geschehnisse hin wie sie sind, aber im Nachhinein war es fürchterlich und oft sehr gefährlich. Aber für meine Eltern war es die Berufung und sie haben auch alles getan, um mich zu beschützen und auszubilden.“ Gedankenverloren richtete Eren die Theke her und gab das Essen auf ihre Teller. Er spürte Levis Blick auf sich ruhen, aber das Gefühl riss ihn nicht aus den bildhaften Erinnerungen über seine Eltern. Er sah sich als kleiner trotziger Junge seine Mutter anschreien, weil sie wieder nicht nach Hause gekommen war wie sie es versprochen hatte. Sie brach oft ihre Versprechen. Sein Vater machte erst keine mehr. Er sah ihr Lächeln vor seinem geistigen Auge, doch ihr Gesicht war verschwommen, sodass ihre Gesichtskonturen durch ein Foto, das Eren von ihr besaß, ersetzt wurden. Nur Fotos konnten die Gesichter seiner Eltern in allen Details für Eren bewahren. „Also hast du als Kind nie mit dem Gedanken gespielt auch Arzt zu werden“, riss Levi ihn aus seinen erstickenden Gedanken, „sondern immer nur Tierfilmer?“ Eren setzte sich wieder auf den Barstuhl und nahm die Gabel in die Hand, ehe er Levi betrübt anlächelte. „Doch, als ich Sieben war oder so. Meine Eltern waren nicht so begeistert von meiner Schwärmerei und hatten mir eingeschärft, dass ich zuvor etwas handfesteres lernen müsse. Also wollte ich dann Medizin studieren, um danach als Tierforscher durch die Wildnis zu streifen.“ „Warum hast du später dann nicht doch noch Medizin studiert?“, fragte Levi und Eren erkannte ein leichtes Zögern. Erneut freute sich Eren über Levis Vorsicht, aber er war noch viel erfreuter über Levis Interesse. Sie hatten schon viel geredet, aber nie über ihre Vergangenheit oder wirklich persönliche Dinge. Eren schenkte Levi ein sanftes Lächeln. „Meine Eltern konnten mit ihrer Arbeit nur Pflaster auf schon zugefügte Wunden kleben. Ich wollte es gar nicht erst dazu kommen lassen. Ich wollte verhindern, dass es erst zu diesen Wunden kam. Ziemlich idealistisch, ich weiß. Und vermutlich hätte ich dafür Politiker werden müssen, aber ich war zu wütend und ehrlich, um die Spielchen der Politik mitmachen zu können.“ „Warum bist du nicht zum Militär gegangen?“, fragte Levi ihn zwischen zwei Bissen. Eren hielt auf halben Weg zum Mund inne. „Die nehmen keinen auf, der eine ungefestigte Vergangenheit hat. Und ein Waisenjunge, der seine Eltern bei einem Terroranschlag in Afrika verloren hat, fällt definitiv darunter.“ Echtes ungläubiges Amüsement blitzte durch Levis Augen und er lachte einmal auf. „Was ist daran lustig?“, wollte Eren verständnislos wissen. Da zeigte der Kerl so gut wie nie Emotionen und jetzt lachte er über Erens Situation? Levi nahm mit belustigt glänzenden Augen wieder die Gabel zur Hand. „Es ist nur lächerlich ironisch, dass sie dich wegen sowas abgewiesen haben. Scheiß Bürokratie. Wenn es nach solchen Vorgaben ginge, wäre ich nie Soldat geworden. Und nun hängen unzählige Auszeichnungen an meiner Brust wie Christkugeln am Weihnachtsbaum.“ „Huh“, schnaufte Eren und nahm einen Bissen. Er zögerte auf den Zug aufzuspringen und Levi über die Umstände seiner Rekrutierung auszufragen, da er das Gefühl hatte, dass er Levi dadurch wieder abschrecken könnte. Das wollte er um jeden Preis verhindern, zu gut fühlte es sich an mit ihm reden zu können. „Immerhin bin ich jetzt in einer Position, in der ich was bewirken könnte, auch wenn es sich momentan nicht so anfühlt.“ Levis Blick wurde wieder härter, professionell. „Der Einstieg in diesen Job war beschissen und ich habe es auch nicht besser gemacht“, gab Levi zu, „Ich habe mich zu sehr von Erwin und den ganzen Ärschen der anderen Einheiten bequatschen lassen. Aber damit ist jetzt Schluss.“ Eren betrachtete Levi mit einem erstaunten Blinzeln. „Echt? Hat nicht so gewirkt.“ Levi schnaubte abwertend. „Eigentlich sind wir eine Spezialeinheit, die innerhalb und außerhalb Europas Terroristen und dergleichen ausmerzen sollte. Eine Mischung aus GSG9, GEG und Militär. Nicht wir sollen den anderen zuarbeiten, sondern sie uns. Und ich werde keinen Finger mehr rühren, solange es Kompetenzgejammer gibt, weil die anderen Einheiten uns für überflüssig halten.“ Sie waren allein schon flexibler und unabhängiger als GSG9 und GEG. Und das Heer durfte im Inland sowieso nicht agieren, außer bei Naturkatastrophen. „Wenn wir erst einmal auf die richtige Spur kommen, werden sie sehen, dass wir eine Daseinsberechtigung haben“, grinste Eren entschlossen. Levi sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, doch dann nahmen seine Augen plötzlich einen gar zerknirschten Ausdruck an, den Eren so noch nicht bei ihm gesehen hatte. „Du hattest mich gefragt, warum ich diesen Job mache“, begann Levi mit monotoner Stimme und blickte ihm wieder direkt in die Augen, „Es stimmt, dass mich Erwin darum gebeten hat eure Ausbildung zu leiten, aber ich wäre dem nicht nachgekommen, wenn ich es nicht gewollt hätte und ich bereue die Entscheidung auch nicht.“ Levi sah ihn durchdringend an, Eren glaubte ihm. Er begann erneut zu strahlen. „Danke, dass du mir das gesagt hast!“ Levi schnaufte, ob seiner Überschwänglichkeit und sah auf seinen Teller. Keine Sekunde später erhob sich Levi und stellte das Geschirr in die Spüle. „Danke für das gute Essen. Ich geh' schon mal vor ins Bad.“ „Ist gut“, nickte Eren gut gelaunt und stand ebenfalls auf, um die Küche aufzuräumen. *** „Ich schwöre, ich schmeiß’ dich raus, wenn du dich auch nur einmal noch bewegst“, grollte Levi hörbar am Ende seines Geduldsfadens. Eren schnaufte auf und drehte sich vom Bauch auf die Seite, um Levi ansehen zu können, der mit geschlossenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln auf dem Rücken lag. „Tut mir leid, aber ich finde einfach keine Ruhe“, erklärte Eren in normaler Lautstärke, was Levi genug zu irritieren schien, dass er die Augen öffnete und ihn wütend anfunkelte. „Ist mir scheiß egal! Ich bin todmüde und will weder das Bett ruckeln, noch deine Körperwärme spüren, also reiß dich zusammen, halt's Maul und bleib mir von der Pelle! Ansonsten trete ich dich aus dem Bett!“ Eren brummelte unzufrieden und warf Levi einen schmollenden Blick zu. „Aber wenn ich in der Nacht unbewusst an dich heranrücke, dann bitte Arschtritt nur als ultima ratio“, bat Eren im Flüsterton, „Ich hab im Waisenhaus jahrelang mit Mikasa im selben Bett geschlafen, bis man uns verpetzt hat und die Betreuer es zu heikel fanden uns das mitten in der Pubertät zu erlauben.“ Eren schnaubte verschämt. „Da wir nicht blutsverwandt sind, hatten sie Angst, das was passieren könnte und haben uns ins Gebet genommen. Das war so peinlich!“ Bei der Erinnerung wurden seine Wangen heiß und er barg das Gesicht in der Hand. Aber er fing sich schnell wieder und erzählte munter weiter. „Als Mikasa dann im Krankenhaus war, hat Armin eine Zeit lang bei mir geschlafen, um mich zu trösten. Das heißt ich bin es gewöhnt mit jemandem im Bett zu schlafen und hab normalerweise keine Scheu, also bitte erst aufwecken, bevor du mich rausschmeißt.“ Als Eren wieder Luft holte, nahm er sich die Zeit Levi wieder in die Augen zu sehen. Der betrachtete ihn mit leicht geöffnetem Mund, erstaunt aufgerissenen Augen und irritiert zusammengezogenen Augenbrauen. „Bist du wach?“, fragte Levi ihn trocken. Verwundert legte Eren die Stirn in Falten. „Ja, aber wa- Au!!!“ Levi trat ihm unvermittelt gegen das Schienbein. Es war nicht sonderlich schmerzhaft, dennoch rieb sich Eren jammernd über die malträtierte Stelle. „Hey!“ „Was an „Halt’s Maul“ verstehst du nicht?“, knurrte Levi. „Ich wollte dich ja bloß vorwarnen, Mensch!“, moserte Eren und zog die Decke enger um sich, „Es könnte halt sein, dass ich dir gegen Ende der drei Wochen unabsichtlich auf die Pelle rücke, weil ich meine Scheu mit der Gewöhnung verlieren könnte. Autsch! Verdammt noch mal, Levi!“ Echauffiert rieb sich Eren über seinen Oberschenkel. „Noch ein Wort und ich trete noch eine Stufe höher, da wo es wirklich weh tut“, grollte Levi bitterböse, „Dann wollen wir mal sehen, wie schnell du die Scheu vor mir verlierst.“ Unzufrieden stöhnte Eren auf und rollte sich zusammen wie eine beleidigte Katze und funkelte Levi vorwurfsvoll aus der über den Kopf gezogenen Decke heraus an. Levi schnaubte bloß entnervt und drehte ihm den Rücken zu. *~* Äußerlich völlig ruhig beobachtete Levi das Geschehen auf dem Bildschirm. Er sah alles durch eine winzige Kamera, die sich an Annies Colliers befand. Sie und Marco hatten sich Undercover auf den Parteitag als Kellner geschlichen, wo sie Walker und Jachumsen verwanzen sollten. Historia beobachtete auf zwei Monitoren jeden ihrer Schritte und kommunizierte wie auch Levi über Ohrmikrofone mit ihnen. Der Parteitag hatte um 17:00 Uhr begonnen und es konnte dauern, bis sich eine Gelegenheit ergeben würde die Sender zu spritzen. Die Spritzen waren zwar nur 1,00 x 0,50 mm groß und verursachten keinerlei Zwicken, wenn man die Sender unter die Haut spritzte, allerdings musste man sehr präzise und schnell vorgehen, damit das Ziel nichts bemerkte. Es war nicht sonderlich einfach unbemerkt an den Oberschenkel eines Fremden zu kommen, wo die Mikrosender am besten festsaßen. „Team Beta ist in acht Minuten am Zielort“, informierte ihn Hannah, die an den Monitoren gegenüber Historia saß. Normalerweise würden sie aus einem Jet aus die Überwachung übernehmen, allerdings war Hannah es in ihrem Zustand verboten zu fliegen, sodass sie nun in einem Van 43 km von dem Club entfernt saßen, zu dem Team Beta aufgebrochen war. Team Alpha wurde von Jean und seiner Gruppe aus einem Hotel in der Nähe des Parteitags vor Ort unterstützt, falls es notwendig werden sollte. Wenn Hannah arbeiten wollte, war Levi dankbar dafür und erlaubte es im Rahmen der Vorschriften und gesundem Menschenverstand. Levi setzte sich neben Hannah und beobachtete mit ihr die vier Monitore, die die Bilder von winzigen Kameras, welche an der Kleidung angebracht waren, zeigten. „Historia, ich schalte auf Beta.“ „Verstanden!“ Zusammen mit Reiner behielt sie Marco und Annie im Auge. „Team Beta kommen. Versteht ihr mich?“, sprach Levi in sein Headset mit ihren Lockvögeln. „Ganz deutlich, Sir“, erwiderte Eren stellvertretend für alle. „Gut. Viel Erfolg Beta.“ „Danke, Sir!“, kam es unisono zurück. Wenn alles glatt lief, würde Levi sie nur beobachten und keinen Kontakt aufnehmen müssen. Er hoffte, dass sie den Einsatz bald über die Bühne brachten. *~* Nur keine Panik. Nicht durchdrehen. Alles wird gut. „Whaaaaa!“ „Sag’ mal!“ „Spinnst du?“ „Was geht denn mit dir?“ Mit vorgebeugtem Oberkörper und geballten Fäusten auf den Knien starrte Sasha auf den Boden. Ihr Herz raste unangenehm in ihrer Brust und Übelkeit schnürte ihren Magen zu, während sie sich gleichzeitig fühlte, als müsse sie jeden Augenblick aufs Klo rennen. Sie wimmerte und biss die Zähne zusammen. „Du gehst nur in einen Club, also kein Grund für dich so nervös zu sein.“ Sie sah ein wenig auf und begegnete Connies lächelndem Gesicht und seinen gütigen Augen. Seine Hand ruhte warm auf ihrer Schulter, es war als zöge er ihr sämtliche Nervosität aus dem Leib. Obwohl das Zusammenleben mit ihm zu Anfang echt anstrengend gewesen war und sie sich oft genug gefetzt hatten, konnte Sasha nicht abstreiten, dass sie sich näher gekommen waren. Eine vertrauensvolle Freundschaft verband sie und diese schlichte Geste vermochte es tatsächlich Sasha zu beruhigen. Sie setzte sich wieder gerade hin und schenkte Connie ein Lächeln, das er mit einem treudoofen Grinsen erwiderte. „Was laberst du Springer?“, hänselte Ymir, „Wir gehen in den Club für rechtsradikale Wichser. Ein falsches Wort und dir wird aufs Maul geschlagen.“ „Wie gut für dich, dass du eine Frau bist“, fuhr Connie sie postwendend an, grinste dann gehässig, „Obwohl, wenn ich dich länger angucke…“ „Sollte das etwa ein armseliger Versuch eines Witzes sein?“ „Haltet die Klappe!“, fuhr Eren dazwischen und warf Connie und Ymir einen strengen Blick zu. Ymir biss sich sichtlich auf die Zunge und zischte abfällig, während Connie sich beleidigt im Sitz umdrehte. „Das ist nicht die Zeit für Streit“, beschwichtigte Armin gekonnt, „Dieser Einsatz ist für deinen Ersten eigentlich ganz gut.“ Sasha begegnete Armins nun dunkelbraunen Augen, die zu seinen haselnussbraun gefärbtem Haar perfekt passten. Er lächelte sie mit einer gottgewollten Ruhe an. „Der Einsatz steht und fällt nicht mit deinen Taten allein, wir sind auch noch da und die Lichtverhältnisse im Club werden uns in die Hände spielen.“ „Ja, schon“, erwiderte sie kleinlaut, „Es ist halt was komplett anderes. Normalerweise beobachte ich das Geschehen aus der Ferne und bin nicht mitten drin.“ „Wenn wir erstmal da sind, wirst du so beschäftigt sein, dass dir die Nervosität vergeht“, versicherte Armin ihr. „Okay, danke“, lächelte Sasha gezwungen. Der Van hielt an. „Wir sind da, ihr müsst hier raus“, rief Berthold hinterm Steuer zu ihnen nach hinten, „Ihr wisst wo der Club ist und wo wir auf euch warten werden.“ „Ja!“ Simultan erhoben sie sich und stiegen aus dem Van in die frische Nachtluft. „Ihr kennt die Richtung“, meinte Connie und grinste sie an, bevor er die Schiebetüre schloss, „Viel Spaß!“ Sie sahen dem Van alle ziemlich miesepetrig hinterher. „Na gut, auf geht’s!“ Zielstrebig führte sie Eren an. Ymir verdrehte die Augen. „Bringen wir’s hinter uns.“ Sie liefen einige Zeit durch das nächtliche Dresden. Es war dank der Sperrstunde wie ausgestorben. Unter normalen Umständen hätten sie wie jede andere Gruppe an jungen Nachtschwärmern mit ihrer schicken sexy Kleidung ausgesehen. Sie waren lediglich etwas konservativer gekleidet, um in den rechtsorientierten Club überhaupt reinzukommen. Eren war mit seinen blonden Haaren, honigbraunen Augen, Hemd und alter Militärhose wirklich nicht mehr zu erkennen Armin konnte seine blauen Augen und blonden Haare leider nicht behalten und musste beides mit braun ersetzen. Sie sollten immerhin ihren Typ verschleiern. Vielleicht hatte er sich deswegen in Springerstiefel und Muskelshirt gezwängt. Es war ein irritierender Anblick. Sasha hatte wie Ymir blaue Augen und schwarzes Haar, aber während Ymir in engen Jeans und Pseudo-Militärjacke gekleidet worden war, musste Sasha in einem altmodischen, züchtigen Blümchenkleid gehen. Sie fühlte sich unwohl und dämlich. Wie sollte sie so an ihr Ziel herankommen? Der Club lag in einer zwielichtigen Seitenstraße versteckt und der Eingang wurde von zwei glatzköpfigen Muskelprotzen bewacht. Es stand sonst keiner auf der Straße und die Atmosphäre versetzte Sasha in Alarmbereitschaft. Die Luft fühlte sich dick und bleiern an. Sie war froh, dass Eren voranging. Er und Ymir hatten von ihnen die größte Erfahrung in Undercover-Einsätzen. Ohne sichtlich Notiz von den Rausschmeißern zu nehmen, ging Eren auf sie zu und hielt ihnen einen echten gefälschten Ausweis unter die Nase. „Martin Loibl aus Nürnberg, huh“, las einer der Protze vor, „Wie kommt ein Kack-Tourist an diese Adresse?“ „Die richtigen Freunde“, erwiderte Eren kalt und passiv. Sasha lief ein Schauder den Rücken hinab. Sie hatte in den Einsätzen oft genug diesen kalten Ton von Eren gehört, aber es war etwas anderes seine emotionslosen Augen dabei zu sehen. Sie hatte nicht für möglich gehalten einmal so wenig Gefühl in ihnen erkennen zu können. Der Protz durchbohrte Eren mit seinen kleinen Schweinsäuglein, nickte dann jedoch und gab ihm den Ausweis zurück. „Anna Dietrich aus Ansbach, Friedrich Meringer aus Nürnberg“, las der Protz vor und nahm schließlich Sashas Ausweis zur Hand, „Und eine Stefanie Seidel aus Nürnberg. Ihr habt wohl auch die richtigen Freunde.“ Der gehässige Tonfall des Mannes machte Sasha wütend doch Ymir hakte sich bloß bei ihr unter und zog sie mit sich in den Club. „Natürlich haben wir das“, grinste Ymir süffisant und zwinkerte den Männern zu, ehe sie aus der Sicht waren. Ein düsterer, tür- und fensterloser Gang führte zu einer breiten Feuerschutztür. Ohne erkennbares Zögern zog Eren die Türflügel auf. Dröhnende Musik und schwüle Hitze schlug ihnen entgegen. Sasha war einen Augenblick von den vielen Eindrücken überwältigt, dann setzen ihre Instinkte ein. Schnell huschten ihre Augen durch den Club, sogen alle Details auf. Hitze. Überwiegend männlich. Schweiß. Trunkenheit. 15 Leute in der VIP-Lounge. Tamara Pritz. Sie blickte mit einer mühevollen Selbstherrlichkeit auf den unteren Bereich des Clubs herab, umringt von drei Männern und einer Frau, die ihren Stil imitierte. Sie war das Alphatier. Sie war aber schwach. Sasha verzog verächtlich den Mund. Menschen waren die einzigen Tiere, die sich so uneingeschränkt hingebungsvoll blenden ließen. Eren und Armin gingen zur Bar und bestellten ihnen allen ein Bier. Ihre Sinne mussten scharf bleiben, aber nichts zu trinken würde auffallen. Bier war ein Kompromiss und sie hatten Tabletten zu sich genommen, die Alkohol in gewissen Mengen aufzulösen vermochten. Eine Maß Bier pro Stunde würde sie also nicht betrunken machen. „Alkibletten“ wurden sie im Volksmund genannt und waren ziemlich teuer. Nur reiche Kids konnten sich das Zeug leisten und die Krankenkasse bezahlte es nur für die Therapie von Alkoholikern, um sie vor einer teuren Lebertransplantation zu bewahren. „Hey, Steff“, rief Ymir über den rassistischen Sprechgesang hinweg, „Lass uns zur Bar gehen.“ Ymirs Haltung hatte sich völlig verändert. Sie bewegte sich plötzlich feminin und strahlte schalkhaften Spaß aus. Sasha biss die Zähne zusammen. Sie musste sich endlich unter Kontrolle bringen. Es war lachhaft wie sie sich anstellte. Sie war kein blutiger Anfänger mehr. Als Armin ihr eine Flasche Bier in die Hand drückte, begann sie sich langsam zu beruhigen. Alles würde nach Plan laufen. *~* Observationen waren zum Kotzen. Hierzu zählte für Levi auch das stumpfsinnige auf-die-Monitoren-Gestarre bei diesem Einsatz. Bei Annie und Marco hatte sich bisher keine Gelegenheit ergeben an die Zielpersonen zu gelangen, allerdings war Levi zuversichtlich, dass nach den Vorträgen die Stimmung locker genug wurde, um sich ihnen zu nähern. Team Beta befand sich im Club und hatte sich erfolgreich integriert. Sie tanzten nun seit fast einer Stunde relativ erfolgreich, wenn man nach dem zustimmenden Gegröle ihrer Umgebung urteilte. Eine Einladung in den V.I.P.-Bereich hatte leider noch keiner bekommen. „Bei Annie tut sich was“, riss Historia Levi aus seinen Gedanken. Er drehte sich im Stuhl um und rollte sich neben Historia. „Annie hat Walker angeflirtet und der geht drauf ein.“ „Der besoffene Sack“, murrte Levi und erntete von seinen Leuten kugelrunde Augen. Er beobachtete auf dem Monitor wie geschickt Annie den gut gelaunten, gut beschwipsten Mann um den Finger wickelte. Sie brauchte nicht viel zu reden. Annie war die Femme Fatale, die mit ihrer Körpersprache mehr sagen konnte als mit Worten. Und es wirkte. Levi rümpfte angewidert die Nase. Menschen konnten so unglaublich einfach gestrickt sein, darauf konnte man sich wenigstens verlassen. Keine zwanzig Minuten später hatte Annie den Kerl auf die Toiletten gelockt. Sie hatte sich mit ihm in eine Kabine auf dem Herrenklo gezwängt und ließ sich an der Brust begrapschen, während sie an seinem Gürtel herumfummelte. „Bott kommen“, sagte Levi in das Micro, was auch Annie hören konnte. „Bott hier“, kam es leise zurück. „Bott, geh zum Männerklo im linken Flügel bei der Treppe. Annie ist dort mit Walker. Ich möchte, dass du sie auf mein Zeichen hin störst und Annie damit raus schmeißt.“ „Verstanden, Sir.“ Levi beobachtete wie Annie langsam auf die Knie ging und mit ihren Händen die entblößten, haarigen Oberschenkel des beleibten Mannes hoch strich. Es war eine unauffällige Bewegung, in der Annie mit dem Daumen den silbernen Ring an ihrem Ringfinger drückte, in dem die Spritze verborgen war, der die Wanze direkt unter die Haut setzte. Historia stieß ein triumphierendes „Ha!“ aus und wandte sich mit einem Nicken an Levi. „Bott kommen. Hol Annie da raus.“ „Verstanden, Sir!“ Annie war gerade dabei Walkers Unterhose runterzuziehen, als ein lauter Knall beide zusammenzucken ließ. „Ich sehe ganz genau, dass Sie da zu Zweit drin sind! Kommen Sie sofort raus!“, wetterte Marco beeindruckend autoritär. „Verpiss dich“, schimpfte Walker, woraufhin Marco weiter gegen die Kabinentür schlug. „Ich werde weitermachen, bis Sie da raus kommen“, versprach er zornig und schlug auf die Tür ein. Annie stand auf und richtete ihre Kleidung, während Walker fluchend wie der letzte Prolet seine Hose hochzog. Annie beeilte sich die Tür aufzuschließen und herauszuschlüpfen, ehe der protestierende Walker sie aufhalten konnte und ging zielstrebig wie abgesprochen zu den Bediensteten-Räumen, wo sie sich im passenden Augenblick davonschleichen und zu Jeans Gruppe stoßen würde. Marco hatte sich unterdessen ungesehen schnell zurück zu seiner Stelle begeben und stolzierte mit einem Tablett voller Champagner-Gläser an einem krebsroten, mühevoll Contenance suchenden Walker vorbei, der aus dem Herrenklo stolperte. Das war gut gelaufen. Jetzt musste Marco zusehen, wie er an Jachumsen kam. Levi atmete tief durch und wandte sich zu Hannah. „Was Neues bei Beta?“ „Yupp, Eren und Sasha sind soeben in der V.I.P.-Lounge angekommen“, grinste sie. „Ausgerechnet die Zwei.“ Levi rollte sich wieder zu den Monitoren von Team Beta und beobachtete wie Eren und Sasha auf einer Couch saßen, zwei Weißbier auf dem Tischchen vor ihnen. Tamara Pritz stand mit vier Leuten am Geländer, hielt sich an einem Bier fest und sah auf die Tanzenden herunter. Es würde nicht einfach werden an sie heran zu kommen. Levi schaltete sein Micro auf die Frequenz von Team Beta, um ihre Gespräche belauschen und die Hintergrundgeräusche wahrnehmen zu können. „Sie ist leicht zu beeindrucken“, flüsterte Sasha in Erens Ohr, welcher sie leicht von sich schob. „Wie kommst du darauf?“ „Sie ist kein Alpha-Tier. Die anderen denken das bloß.“ „Und was für ein Vorgehen schlägst du diesbezüglich vor?“ „Du solltest Blickkontakt suchen und möglichst dominant dabei gucken.“ „Aha… Dominant gucken… Krieg ich hin.“ Skeptisch nahm Eren sein Bier zur Hand und trank. Es verging keine lange Zeit bis die andere Frau neben Tamara Pritz diese auf Erens Blicke aufmerksam zu machen schien. Ihre Zielperson suchte daraufhin immer wieder neugierig Erens Augen. Levi erkannte durch Sashas Videochip wie Eren geschickt ein verführerisches Lächeln auf seine Lippen meißelte. Obwohl Levi mittlerweile wusste wie gut Eren sich verstellen konnte, war er jedes Mal aufs Neue verdutzt. Lächerlich. Nun hatten die Typen an der Seite von Tamara Pritz Wind von ihrem Interesse an Eren bekommen und durchbohrten Eren mit ihren dummen Augen. Das war eine heikle Situation. Entweder die Situation eskalierte oder Eren schaffte es trotz dieser Wichser an die dumme Pute heranzukommen. „Die Männer sind schwach. Wenn du jetzt selbstbewusst auf die Frau zugehst, werden sie vermutlich weichen“, wisperte Sasha Eren zu, „Aber du musst echt selbstbewusst rüberkommen, sonst machen die dich fertig! Die sehen vermeintliche Schwäche sofort!“ „Roger that“, erwiderte Eren und Levi konnte das breite Grinsen durch Sashas Videochip sehen. Eren stand auf und schritt mit den gemächlichen Schritten eines Mannes, der wusste, dass er den Raum kontrollierte auf das Grüppchen zu. Pritz und Freundin betrachteten Eren neugierig-abschätzend, während die Typen sich Eren zuwandten und die Köpfe lauernd senkten. „Heil“, grüßte Eren die Gruppe mit kräftiger Stimme. „Heil“, erwiderte Pritz mit einem lasziven Lächeln. Die anderen grüßten oder brummten den selben Gruß. Eren ignorierte die Männer komplett, obwohl sie ihn immer noch angespannt musterten. Noch war die Situation nicht stabil. „Entschuldige, dass ich so direkt bin, aber ich konnte die Augen nicht von dir lassen, seit ich hergekommen bin.“ „Oh“, schnaufte Hannah neben Levi und sprach ins Micro, „Was war das denn, Eren?“ „Scht!“, machte Levi Hannah mundtot, die sich leicht verlegen an die Nase fasste. Wer wusste schon, ob sich Eren von solchen Kommentaren nicht aus dem Konzept bringen ließ. „Ich bin übrigens Martin“, stellte sich Eren vor. „Tamara“, kam es mit einem hochnäsigen Halsrecken und eindeutig interessierten Augen zurück. Levi verabscheute Menschen, denen die Dummheit aus den Augen sprang und gleichzeitig dachten, alle anderen dienten ihrer bloßen Belustigung. „Du bist neu. Wo kommst du her?“, begann sie vorerst immerhin anzubeißen. „Ich komme aus Nürnberg und bin mit meinen Leuten auf Kurzurlaub hier.“ „Ist das da hinten deine Freundin?“, hakte sie mit angewidertem Ton nach. Eren lachte. Es klang echt. „Eine Kameradin würde es eher treffen. Sie trifft nicht ganz meinen Geschmack.“ „Und was ist dein Geschmack?“ Eren beugte sich leicht nach vorne. „Was denkst du?“, raunte er ihr zu. „Hey! Verzieh dich“, fuhr einer der Typen dazwischen. „Möchtest du, dass ich mich verziehe?“, hauchte Eren unbeeindruckt. Pritz biss an. „Nein“, sagte sie bestimmt und machte eine wegwerfende Geste. Ihre „Freunde“ verzogen sich tatsächlich. Wie dumm konnte man sein… Eren wartete bis sie allein waren, ehe er weitersprach: „Magst du was trinken?“ „Bier.“ Eren drehte sich um und schnippte, was Sashas Aufmerksamkeit erregte. „Bring’ uns bitte Bier!“ Sasha sprang gehetzt von der Couch auf, ehe sie sich wieder zusammenriss und normal weiterging. Wäre es nicht ihrer Nervosität zuzuschreiben, hätte man dieses Verhalten als gut geschauspielert bezeichnen können. „Kommandierst du deine Freunde immer so herum?“, bemerkte Pritz mit verschlagenen Augen und tadelndem Ton. „Wieso herumkommandieren? Ich habe sie bloß etwas gebeten“, stellte Eren klar, „Wenn man Autorität ausstrahlt, braucht man niemanden herumkommandieren.“ Pritz’ Augen blitzten zufrieden. Sie hatte den Köder geschluckt. Levi atmete tief durch. Jetzt musste Eren nur noch einmal mit der Hand über ihren Oberschenkel streichen und mittels der Haarnadelspritze, die sich in dem silbernen Ring an seinem Mittelfinger befand, die Wanze setzen. „Hier das Bier!“ Sasha überreichte Eren und Pritz das Bier, wobei letztere bewusst nach dem Krug griff, den Sasha Eren hinhielt. „Danke, Stefanie. Du kannst ja mal schauen, wo die anderen sind“, erklärte Eren ihr mit einer leichten Arroganz, von der Levi keine Ahnung hatte, woher die kam. Levi folgte angespannt dem Gespräch, als er von Historia herausgerissen wurde. „Marco hat Jachumsen!“, grinste sie triumphierend, was die anderen im Wagen aufatmen ließ. Levi rollte sich auf die andere Seite und betrachtete die Bildschirme. Marco war gerade dabei Glassplitter vom Boden aufzulesen, während er von einem der anderen Kellner gescholten wurde. „Er hat Jachumsen Champagner drüber gekippt.“ „Ja und es war herrlich Marco“, lachte Historia, „Er ist so schön gestolpert, rot angelaufen und hat versucht Jachumsens Beine abzutrocknen.“ Levi nickte kaum merklich, ehe er Kontakt zu Team Alpha aufnahm: „Team Alpha, kommen. Zieht euch geordnet zurück und haltet euch an den Plan.“ „Verstanden, Sir“, kam es unisono zurück. Erleichtert rollte sich Levi wieder zu den Monitoren, die Team Betas Bewegungen wiedergaben und aufzeichneten. Die Kuh war noch nicht vom Eis. Erst wenn sie alle in ihrem Besprechungsraum in Paris saßen, konnte man von einem gelungenen Einsatz sprechen. Mittlerweile saßen Eren und Pritz voreinander. Das war wenig hilfreich, da sich ihre Distanz nicht genügend verringert hatte. Auch so würde sich Eren in ihren persönlichen Bereich hineinwagen müssen, wobei die Gefahr bestünde, dass Pritz sich zurückzog. Von allen Nazischlampen, warum musste ausgerechnet diese schwer zu kriegen spielen. Eren laberte sie mit dem auswendig gelernten Wissen seiner gefälschten Identität zu und machte ihr womöglich schöne Augen. Leider war Sasha tatsächlich zu Armin und Ymir zurückgekehrt. Die standen wenig produktiv mit einem Bier in der Hand in einer Ecke und beobachteten ihr Umfeld, konnten Eren im V.I.P-Bereich jedoch nicht sehen. Ungeduld war bei solchen Einsätzen fehl am Platze. *~* Eren fühlte sich wie ein Schleifstein, der zwischen unerfahrenen Händen aufgerieben wurde. Die innere Anspannung und geduldslose Wut ließ sich nur Dank jahrelangem Training soweit verdrängen, dass ihm äußerlich nichts davon angesehen werden konnte. Er hatte solche Einsätze selten genossen und bewunderte die Leute, die gern gerade diese Arbeit der Installation von Spionagetechnologie an Lebewesen oder Sachen verrichteten. Gerade als Eren sich weitere Sätze zurechtlegte, um diese dumme Pute zu bezirzen, hörte er das gute alte Scheppern von zerbrochenen Gläsern und Flaschen, auf die Körper krachten. Eren reagierte noch, bevor die Musik unterbrach und von aggressivem Gegröle abgelöst wurde. Er lehnte sich vor und legte wie zur Besänftigung seine Hand auf Pritz’ Oberschenkel. „Ich schaue mal schnell nach, ob bei meinen Leuten alles in Ordnung ist. Ich komme gleich wieder“, versprach er mit einem bemüht gewinnenden Lächeln. Sie merkte nicht, wie ihr die Abhörwanze durch die dünne Jeans unter die Haut gespritzt wurde und blinzelte ihn missfallend an. Mit einem Nicken kaufte sie es ihm ab und er stand bemüht gelassen auf, innerlich jubilierend. An der Brüstung angekommen, blickte er hinab auf die Tanzfläche, wo eine Schlägerei zugange war. Seine suchenden Augen entdeckten Armin und die anderen, welche bemüht teilnahmslos in einer Ecke standen und das Geschehen aufmerksam beobachteten. Glücklicherweise schien Armin den Blick auf sich zu spüren und sah hoch. „Können wir aufbrechen?“, erschallten Armins Worte dumpf in seinem Ohr. Da die Typen von Pritz quasi neben ihm standen, legte Eren bloß den Kopf ein wenig zur Seite. Armin kannte ihn gut genug, um diese nicht abgesprochene Geste zu deuten. Und das tat er. „Leute, Auftrag erfüllt! Wir können uns zurückziehen.“ Die Bestätigung des Rückzugsbegehrens kam prompt. „Dann zieht euch zügig und möglichst unauffällig zurück. Ihr kennt die Befehle.“ „Verstanden, Sir!“, ertönte es pflichtbewusst von Armin. Eren wandte den Blick zurück zu Pritz, die ihn mit ungeduldiger Wachsamkeit beobachtete. Er durfte sie nicht verärgern und hoffte, dass sie kein Drama machen würde, als er einen Finger hochhielt und ihr mit einem bittenden Lächeln bedeutete kurz auf ihn zu warten. Eren wartete nicht auf eine Reaktion von ihr und drehte sich zur Treppe. Seine Bewegungen waren gelassen als sei er auf dem Weg zum Klo, obwohl die Schlägerei unten immer noch in vollem Gange war und er am liebsten wie auf dem Parcours durch die Menge zum Ausgang gesprintet wäre. Die anderen gingen zwar bereits vor, um nicht den Anschein zu erwecken, dass er mit ihnen fortging. Das schien Pritz und Gefolge allerdings nicht davon abzuhalten ihn misstrauisch vom Geländer aus zu beobachten. „Wir müssen fliehen. Auf mein Kommando rennt ihr“, flüsterte Eren und erhielt sogleich ein dreistimmiges „Verstanden“. Eren schlängelte sich zwischen den grölenden und stinkenden Leute durch und es war ihm als fühle er regelrecht wie die Schalter bei seinen Beobachtern umgelegt wurden, sowie er einen Schritt an dem Gang, welcher zu den Toiletten führte, vorbei tat. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass er ab nun verfolgt wurde, um für die „Verarsche“ Pritz’ verprügelt zu werden. Genervt und definitiv lustlos raunte er seinen Kollegen das Kommando ins Ohr, öffnete die Feuerschutztür und spurtete den Gang hinunter. Er hörte durch das Mikro einen Zwist mit den Security-Leuten, ignorierte dies jedoch geflissentlich und nahm weiter Tempo auf. Voller Schwung rammte Eren einen der Typen und schlug ihm in den Solarplexus, woraufhin der sich japsend krümmte. Seine Kameraden hatten geistesgegenwärtig den Zweiten niedergestreckt. „Hey!“, brüllte es hinter ihnen aus dem Gang. Erens Verfolger holten auf. Mit einem letzten versicherndem Blick in die Runde spurteten Eren und die anderen los. Sie wussten wo Berthold auf sie warten würde. Sie hatten den Stadtplan vor ihrem Einsatz für diesen und die umliegenden Viertel memorieren müssen. Die feuchte Luft peitschte Eren unliebsam entgegen als sie durch Seitenstraßen hetzten, hinter sich die keuchenden Verfolger und verdammt waren die hartnäckig! Was sollte der Scheiß? Wenn sie die Wichser nicht schnell los wurden, würden sie einen Umweg nehmen müssen, um ihren Treffpunkt zu verschleiern und darauf hatte keiner Bock. Ihre Einheit war müde und allgemein überarbeitet. Vor ihnen lag eine Hauptstraße und wenn Eren sich richtig erinnerte, würden sie dort in die Seitenstraße gelangen, von der aus sie auf den Platz kamen, an dessen Rand Berthold parkte. Sie mussten sie jetzt abschütteln. Sie sprinteten auf die Hauptstraße und direkt vor ein anfahrendes Fahrzeug, was Ymir ins Straucheln brachte und Armin in die Quere kommen, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. „Passt auf“, schrie Eren instinktiv, aber da stürzten sie schon zu Boden. Sasha reagierte schnell und packte Armin am Oberarm, zog ihn hoch, während Ymir sich fluchend aufraffte. „Halt! Keine Bewegung!“, brüllte plötzlich eine weibliche Stimme und ließ Eren zu dem Fahrzeug herumwirbeln. Eine blonde Frau stand mit gezogener Waffe neben dem Fahrzeug, aus dem nun auch noch ein Mann ausstieg. Sie waren ausgerechnet vor ein Polizeifahrzeug gestolpert. Eren hob beschwichtigend die Hände. „Hey…“, begann er, doch Levi unterbrach ihn. „Lasst euch mitnehmen! Spielt mit. Wir wollen nicht noch mehr Aufsehen erregen. Wir holen euch später raus.“ Tief durchatmend begann Eren eine erzürnte Maske aufzusetzen. „Wir wollen keinen Ärger, also fuchteln Sie mir nicht mit der Knarre vor der Nase herum“, sprach er die blonde Polizistin mit harter Stimme an. „Halt’s Maul!“, fauchte sie ihn nervös an, „Los, runter auf den Boden, Hände wo ich sie sehen kann!“ Sie benahm sich wie ein aufgescheuchtes Huhn. Mit Knarre. Ein Killerhuhn. Eren konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er sich schnaufend auf den eisigen Asphalt legte. Unterdessen brüllte ihr Kollege dieselben Befehle den anderen zu. Er war kräftig gebaut, reifer. Er hatte die Gelassenheit eines erfahrenen Polizeibeamten, der sich selten aus seinem gewohnten Trott reißen ließ. Aus dem Augenwinkel erkannte Eren ihre Verfolger sich in der Seitenstraße herumdrücken. Nun, gut. Zumindest würden die sie in Ruhe lassen und im Zweifel war ihre Tarnung nicht aufgeflogen. So wie Ymir den zunehmend verärgerten Polizisten anmaulte, würden sie sie hoffentlich nicht in eine Schublade stecken. „Verpiss dich, Schwuchtel“, spuckte Ymir aus, als ihr Handschellen angelegt wurden, „Wird man so als unschuldiger Bürger von den Sicherheitsbehörden behandelt?!“ „Ihr habt gegen die Ausgangsperre verstoßen, also so unschuldig seid ihr nicht“, erwiderte der Polizist leidenschaftslos und zog Ymir rücksichtslos an den Handschellen von der Straße hoch und schaffte sie zum Fahrzeug. Es war ein mittelgroßer Polizeibus, gerade groß genug, um sie fortzuschaffen. „Wir wollen keinen Stress“, murrte Armin und schielte zur Polizistin hoch, die sie bewachte. Sie ignorierte ihn und wartete bis ihr Kollege Sasha und Armin aufgepflückt hatte, ehe sie sich ihm widmete. Ziemlich ungeschickt legte sie ihm die Handschellen an und zerrte ihn auf die Füße. Frech grinsend wandte er seinen Kopf zu der groben Frau. „Erster Einsatz?“ Sie sah ihn aufgebracht an. Sie blieb kalt und stieß ihn zu dem Fahrzeug. Diese Behandlung war unangemessen. Gut, das Land war in Terroralarm, sie hatten die Sperrstunde gehörig überschritten und sahen nicht sonderlich vertrauenserweckend aus. Eren hoffte, dass er als junger Polizist eine bessere Figur abgegeben hatte… Sie wurden auf eine Polizeiwache gefahren, wo ihre falschen Identitäten aufgenommen wurden. Glücklicherweise wurden ihre Identitäten für solche Einsätze im Zentralserver gespeichert, damit sie bei entsprechenden Nachforschungen nicht aufflogen; das galt natürlich auch für polizeiliche Überprüfungen. Spannender wurde es, als sie gefilzt wurden. Allerdings gingen die Polizeibeamten nur oberflächlich vor, tasteten sie auf Waffen und Gegenstände ab und fanden nichts. Sie erwarteten kein gut verstecktes Mikro in ihren Ohren oder Mini-Kameras in den Knöpfen ihrer Kleidung oder in den Halsketten der Mädels. Levi ermahnte sie weiter in der Rolle zu bleiben, um etwaige Spione weiterhin zu täuschen. Er würde sie bald rausholen. Nach ihrer Registrierung wurden sie in eine Ausnüchterungszelle zu drei weiteren Insassen gesteckt, die nur müde die Köpfe hoben und sich noch breiter auf den einzigen Bänken im Raum machten. Sie hatten weder Lust noch war ihnen es der Ärger wert die Penner von den Bänken zu drängen, also setzten sie sich auf den Boden und schimpften ihrer Rolle entsprechend über die verwichsten Bullen. Hoffentlich holte sie Levi bald heraus. *~* Der telefonierte mit einem wenig amüsierten Erwin, der die frühen Morgenstunden lieber anders genutzt hätte, als seinem entnervten Freund einen Blanko-Scheck auszustellen, den er bloß an den Leiter der Polizeidienststelle zu senden hatte, um den zur Löschung aller Daten und Entlassung ihrer Gefangenen zu veranlassen. Natürlich hätte Levi selbst einen Blanko-Scheck ausstellen können, aber das hätte vermutlich eine Stunde lang gedauert. Erwin musste bloß sein Tablet anmachen, einen Ordner öffnen und den passenden Blanko-Scheck auswählen und ihm schicken. Ob es unpassend war einen der Hauptakteure des Krisenstabs wegen so einer Banalität um seinen raren Schlaf zu bringen? Nein. Es war arschig. Und ein großes „Fuck you“ von seinem General-Leutnant, der in dem Behördenchaos um seine Daseinsberechtigung - entgegen aller Absprachen - völlig allein kämpfen musste. Wer brauchte eine Europäische Sondereinheit, wenn genug andere hochqualifizierte Polizisten in anderen Einheiten auf den Einsatz warteten? Und das in diesen Zeiten? Levis gut kontrollierte Wut wurde Erwin mit diesem unpassenden und förmlichen Anruf wie ein nasser Lappen um die Ohren gehauen. Er kommentierte nichts und schickte Levi die nötigen Unterlagen, innerlich fest entschlossen das Thema ESE nochmals anzusprechen und die Zähne zusammenzubeißen, wenn er wieder wie ein Kind angesehen wurde, das eine tote Eidechse anschleppte. Levi druckte die Unterlagen aus und sie fuhren zu dem zweiten Van, wo er Berthold den Blanko-Scheck übergab. Sicherheitshalber hatte der sich ebenfalls die Haare blond gefärbt, grüne Kontaktlinsen und schlichte Handwerkskleidung an. Damit kam er zumindest unauffällig in die Dienststelle. Diskretion war nun höchste Priorität. Also ließ sich Berthold zwei Stunden Zeit, ehe er in die Dienststelle marschierte, von verwirrten, aufgebrachten Polizisten empfangen wurde, denen er eine gute Geschichte erzählte, die im Büro des Vorgesetzten fortgeführt und mit einem Brief beendet wurde. Diskret wurden sämtliche Daten manipuliert, Fingerabdrücke ausgetauscht, falsche Akten angelegt. Dann holte Berthold einen Werkzeugkoffer aus dem Van, in dem andere Klamotten versteckt waren. Da die anderen Gefangenen schliefen, wurden Armin, Ymir, Sasha und Eren leise aus der Zelle in einen Vernehmungsraum gebracht, wo sie sich umzogen. Gleichzeitig überprüften Reiner und Historia mittels zwei als Maus getarnten Drohnen die Umgebung und entdeckten zwei verdächtige Personen und warteten bis diese verschwunden waren. Ansonsten waren die Straßen menschenleer. Dementsprechend stiegen sie um sieben Uhr morgens als Handwerker verkleidet mit Werkzeugtaschen in den Händen zu Berthold in den Wagen und fuhren endlich heim. Etwas holprig die ganze Geschichte, aber bis auf drei Polizisten und dessen Vorgesetzter hatte wohl keiner Verdacht geschöpft, dass sich hinter ihrer Fassade mehr verbarg als Naziabschaum. Connies Daumen hoch, erwiderte Sasha mit einem müden Lächeln, der Rest von ihnen nickte die lobenden Schulterklopfer ab und schlief ein, sowie das Geräusch der zuschnappenden Anschnallgurte verklungen war. *~* Es war purer Wille, den Eren nach ihrer Ankunft in Paris aufrecht in ihren Besprechungssaal brachte. Na ja. Und Levi. Levis eindeutig viel zu wache Stimme. Sie besprachen den Einsatz in allen Details und überraschenderweise fand Levi nicht viel zu bemäkeln. Er schien generell von dem Einsatz im Club genervt und weniger von ihrer mangelnden Professionalität beim Rückzug. Soweit sich bereits aus der funktionsfähigen Wanze von Pritz heraushören ließ, schöpften sie und ihre Knalltüten keinen Verdacht und wollten sie nur aufmischen, weil Eren ihre Chefin sitzengelassen hatte. Für Marco und Annie fand er fast nur lobende Worte, so auch bei allen anderen. „In Ordnung“, schloss Levi nach beinahe 40 Minuten, „Ihr habt heute und morgen frei. Ich möchte euch nicht arbeiten sehen. Schlaft, ruht euch aus. Übermorgen um 08:00 Uhr wieder hier.“ Mit diesen Worten stand Levi auf und ignorierte ihre Einwendungen geflissentlich. Es war eine vernünftige Entscheidung. Sie krochen am Zahnfleisch daher. Also schlürften sie erschöpft in ihr Wohngebäude und die Treppen hoch. Erens Herz machte bei der Erinnerung, dass er bei Levi schlafen würde, einen kurzen Satz und flößte ihm mehr Energie ein. Mit neuem Schwung ging er zu der Appartementtür. Sie war lediglich angelehnt. Schmunzelnd betrat er die allmählich vertraute Wohnung, zog Schuhe und Jacke aus, ehe er ins Schlafzimmer schlich. Er zog sich bis auf die Unterwäsche aus, die verschwitzten Klamotten zusammengeknüllt auf dem Schoß und wartete auf dem Bett sitzend bis Levi aus dem Bad kam. Keine fünf Minuten später trat Levi in seiner Schlafkleidung und feuchten Haaren aus dem Bad und Eren stand mit einem leichten Lächeln auf. Levis Blick huschte über seinen Körper, doch anstatt Kritik an Erens Handhabung mit seiner zerknüllten Kleidung fand er etwas anderes in den dunklen Augen aufblitzen. Etwas, das er nicht zuordnen konnte und ihn mit einem inneren Schauder trocken schlucken ließ. Dafür waren Levis Worte umso eindeutiger. „Putz’ die Dusche vernünftig, wenn du die Farbe aus den Haaren wäschst und vergiss nicht das Fenster zu kippen und die Wäsche in einen Wäschesack zu stecken, bevor du sie in die Waschmaschine legst.“ Eren nickte im vorbeigehen bloß leicht dümmlich. „Und Eren.“ Er blieb stehen und blickte in Levis ernstes Gesicht. „Vergiss nicht nur das Clear Universal Waschmittel herzunehmen.“ Nochmals nickte Eren mechanisch und beeilte sich ins Bad zu kommen, bevor Levi noch etwas einfiel, das seinen Schlaf hinauszögerte. *** Eine geschlagene Stunde später schaffte es Eren endlich wieder mit braunen Haaren, grünen Augen und einem sauber hinterlassenem Bad ins Bett. Fenster gekippt, richtiges Waschmittel benutzt. Er war stolz auf sich. Ohne eine Minute lang weiter die Augen offenhalten zu können, kroch er zu Levi ins Bett und blieb wie tot auf dem Bauch liegen. Nach ein paar Augenblicken öffnete er sie dennoch und blickte auf Levis Hinterkopf. Er lag mit dem Rücken zu ihm, beinah gänzlich unter der Decke vergraben. Langsam tröpfelte Freude in sein Bewusstsein. Ein Schwall der Euphorie ließ ihn sich seitlich zusammenrollen und kichern, wodurch die Decke um Levis Schultern leicht bewegt wurde. Erst jetzt realisierte er, dass er den Auftrag erfüllt hatte. Er merkte kaum, dass er sich einmal übermütig nach rechts und links drehte und wieder kicherte wie ein Dreijähriger. „Zur Hölle? Halt dich still.“ Eren erstarrte mit dem Kopf auf Levis Schulterhöhe. „Ähm… Ich dachte, dass du schläfst.“ „Wenn du dich fallen lässt wie ein nasser Sack und dich wälzt wie ein Hund in der Scheiße?“ „Ich bin trocken und das Bett ist sauber“, grinste Eren wenig phantasievoll. „Schnauze und schlaf“, knurrte Levi postwendend. „Ja ja“, erwiderte Eren und drehte sich auf den Rücken. Nur um sich eine Minute später wieder auf die Seite zu drehen. „Eren.“ Ein Wort. Eine Drohung. Jedesmal wenn Levi das „R“ in seinem Namen besonders rollte, wusste Eren, dass er kurz davor stand wirklich die Geduld zu verlieren. Da er nicht massakriert werden wollte, aber auch keine Ruhe fand, versuchte Eren sich zu erklären. „Ich bin auf einmal bloß so aufgekratzt, weil ich verstanden habe, dass ich es war, der die Pritz verwanzt hat.“ „Und?“, kam es genervt zurück. „Na ja, es war nicht Ymir, die bereits Hardcore-Undercover gearbeitet hat und verdammt fantastisch darin war.“ Sie hatte eines der größten Drogenkartelle in der Geschichte Europas auffliegen lassen, nachdem sie sich dort erfolgreich für zwei Jahre eingeschlichen hatte. „Und es war auch nicht Armin, der in die Lounge gekommen ist, obwohl er der beste Tänzer von uns ist und auch eine klasse Vorstellung abgeliefert hat. Ich war es. Ich hab es geschafft!“ „Und?“ „Was und? Nichts und! Ich freu mich darüber, dass ich als Underdog es geschafft habe diesen Auftrag zu erfüllen und nicht die ach so tolle Ymir, der begabte Armin oder Sasha“, erklärte Eren und ließ den Arm in ausladender Geste lautstark auf die Decke fallen. Er hörte Levi ausatmen, ansonsten regte er sich keinen Millimeter und schwieg beharrlich. Eren wollte nicht nach Komplimenten fischen oder sich aufplustern. Es war schlichte Freude, die sich in Unruhe kanalisierte. Warum fühlte er sich also von Levis Passivität vor den Kopf gestoßen? Tief durchatmend drehte sich Eren um und rollte sich zusammen. Er musste wirklich an seiner Launenhaftigkeit arbeiten. *~* Sie tat genau das, was sie von ihr verlangten. Manchmal musste man Opfer bringen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Auch in dem Fall, dass man sich diese Ziele nicht selbst gesetzt hatte. Verdrießlich zwar, aber sie hatte schon früh lernen müssen die Zähne zusammenzubeißen. Sie legte das Speichermedium auf den Schreibtisch ihres Sekretärs, auf dem sich bereits ein Stapel von Speichermedien angesammelt hatte und schob ihn unbemerkt zwischen diese. Keiner würde ihr auf die Schliche kommen und ihr Sekretär war ein Trottel. *~* Als Eren gegen 15:00 Uhr aufwachte, war Levi natürlich längst ausgeflogen. Freundlicherweise hatte er in einem Zettel am Küchentisch vermerkt, dass er am Abend kochen wolle und zuvor noch ein paar Dinge mit Erwin und Shadis zu klären hatte. Das kam Eren gerade recht. Er wollte ohnehin etwas im Bett faulenzen und sich zur Abwechslung einen Film ansehen, um sich von der Arbeit abzulenken. Nach einer fix gefutterten Mandarine, schmiss er sich mit seinem Tablet aufs Bett und suchte sich aus seinem Film, Fernsehen und Serien-Abonnement eine klassische Komödie aus, die er fast auswendig kannte und ihn trotzdem noch amüsierte und aufzuheitern vermochte. Unzählige Male hatte er sich mit Mikasa und Armin auf die Couch in ihrer alten WG gezwängt und diesen Film geguckt. Heute schien es anders zu sein. Erens Gedanken wanderten ständig zur Arbeit, all den Problemen, zu Mikasa und der Kcrizott. So konnte er unmöglich abschalten. Mit einem genervten Stöhnen wühlte sich Eren wieder aus dem Bett, legte das Tablet unter sein Kopfkissen und machte das Bett. Danach stand er etwas unschlüssig im Zimmer herum und ließ seine Augen ziellos über die Wände hin zum Bad schweifen. Levi war weg und die anderen wollte er nicht stören. Sein Blick blieb an der Dusche hängen, die er durch die offene Badezimmertür erkennen konnte. Kurz spielte er mit dem Gedanken sich eine lange Dusche zu gönnen und ein wenig zu masturbieren, um sich abzulenken. Diese Idee verwarf er bei dem Gedanken daran die Dusche danach erneut putzen zu müssen. Schnaubend fasste Eren den Entschluss wenigstens trainieren zu gehen. Wozu hatten sie diese riesigen Fitnessräume schon, wenn er sie nur dreimal in der Woche aufsuchte. *** Die Tür war kaum einen Spalt breit geöffnet, als er erstarrte. Mit vor Überraschung aufgerissenen Augen schlug er die Tür zum Fitnessraum auf und blickte in von seinem schwungvollen Auftritt bedröppelte Gesichter. „Heeeey!“ „Bonjour!“ „Ereeen!“ Fünf Leute grölten gleichzeitig auf wie bei einem Saufgelage. Der momentanen Stimmung nach zu urteilen, war es ein Saufgelage. Süffisant grinsend kam Connie auf ihn zu und legte mit einem leichten Sprung einen Arm um seinen Hals. Dass er Eren dabei auf grobe Weise auf seine Höhe herunterzog, ging gänzlich an ihm vorbei. „Noch ein verlorener Sohn, der sich unserem spontanen Haufen anschließen möchte.“ Reiner, Mylius, Thomas und Sasha grölten, klatschten und pfiffen. Sie machten Lärm für 20 Leute. „Was habt ihr intus und wo kriege ich das her?“, verlangte Eren mit ernster Miene zu wissen und kassierte eine weitere Runde ausgelassene Begeisterung. Nur gut, dass die Wände dick waren. Die Kollegen aus anderen Einheiten hätten ihnen den Vogel gezeigt und ausgeschimpft wie ein strenger Lehrer die ungezogene Klasse. „Außer Armin und Historia sind wir nun vollzählig!“, schrie ihm Connie ins Ohr. „Echt?“ „Jepp, alle sind da“, grinste Reiner vom Rudergerät aus, „Peu à peu sind alle eingeflogen.“ „Auch Levi?“ Nicht nur Reiner verdrehte die Augen, ehe Connie erklärte: „Nein, der Boss ist nicht da, aber dafür hocken die anderen in der Sauna oder dümpeln im Schwimmbecken. Ich sag dir, du glaubst nicht wie dick Hannah geworden ist! Das siehst du unter der ganzen Kleidung gar nicht richtig!“ „Sie ist nicht dick!“, verbesserte Sasha ihren Mitbewohner mit einem wilden Blick vom Laufband herunter, „Sie ist schwanger!“ „Ach so, und wie nennt man den gewonnen Körperumfang dann?“, gestikulierte Connie wild und ließ dabei von Eren ab, der sich mit einer Grimasse das Genick massierte. „Ich würde sagen sie ist rundlicher“, meinte Thomas wenig hilfreich. „Der Gravidität-Grad ist erhöht“, schmunzelte Mylius, während Reiner lachte. „Du meinst die Gravidität ist bereits weit fortgeschritten!“ „Ihr seid blöd“, maulte Sasha und stellte pikiert eine höhere Laufgeschwindigkeit ein. Mit einem wohlwollenden Schmunzeln hängte Eren sein Handtuch auf den Handtuchhalter bei der Tür und stellte sich auf das Laufband neben Sasha. Diese Chaoten und Ausdauertraining waren genau die richtige Abwechslung. *~* Historia warf ihm einen zweifelnden Blick zu, doch Armin blieb stoisch. „Sir, ich verstehe ja, dass wir uns ausruhen müssen und die anderen Einheiten mit uns zusammenarbeiten sollen“, betonte er nochmals, „Aber ich fühle mich wirklich nicht wohl damit.“ Levi wollte alle Aufzeichnungen der installierten Wanzen von Mitarbeitern der GEG oder MEK überwachen und überprüfen lassen. Faktisch blieb die ESE damit vorerst arbeitslos. Das war und konnte einfach nicht richtig sein! „Wie ich bereits sagte“, erklärte Levi fast gelangweilt mit verschränkten Armen, „Unsere Aufgabe ist es nicht den Job anderer Einheiten zu machen, sondern schnell einzugreifen, falls sich die Gelegenheit ergibt.“ „Und wann soll sich diese Gelegenheit ergeben, wenn wir uns sämtliche Informationen bloß zuleiten lassen?“, begehrte Armin in seltener Leidenschaft auf, „Die MEK präferiert gewohnheitsmäßig die GSG9 und die GEG bleibt sowieso lieber auf ihrem Wissen sitzen als es anderen Einheiten zugänglich zu machen!“ „Daran habe ich gedacht“, blieb Levi ruhig, „Sie haben Order vom Innenminister persönlich, dass sie uns sämtliches Material und ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Verfügung stellen müssen. Sie sind verpflichtet uns als zuständige Einheit in diesem Fall anzusehen und gleich der GSG9 zu behandeln.“ Das nahm Armin etwas Wind aus den Segeln. „Der Innenminister persönlich.“ Levi nickte. „Ich habe zwar lange telefonieren müssen, aber mithilfe von Erwin und Shadis konnte ich immerhin soviel erreichen. Ansonsten hätte uns die MEK sicherlich übergangen.“ Armin verschränkte die Arme und blickte nachdenklich auf Levis Schuhspitzen. Anders als die SEK und MEK, die jeweils den einzelnen Bundesstaaten unterstanden, operierte die GSG9 als Staatspolizei innerhalb der Vereinigten Staaten von Europa. Zwar waren ihr ursprünglich auch Auslandseinsätze erlaubt, aber wegen mangelndem Personal und steigender Inlandseinsätze führte sie kaum noch Einsätze außerhalb der Grenzen Europas aus. Nicht zuletzt dafür sollte die ESE dienen. Darüber hinaus sollte die ESE als hochqualifizierte, militärisch ausgebildete Einheit der GSG9 im Inland bei schwierigen Einsätzen behilflich sein. Anders als bei der GSG9 war jedoch nicht der Innenminister, sondern der Verteidigungsminister ihr Dienstherr, was nicht zuletzt für Spannungen sorgte. Umso erfreulicher war eine Weisung vom Innenminister, denn das ließ kaum Spielraum für Machtdemonstrationen der anderen Einheiten gegenüber der ESE. „Wenn es recht ist, würde ich trotzdem gerne mit den zuständigen Gruppenleitern der MEK sprechen und ihre Arbeit überwachen“, bat Historia mit sanfter, aber durchaus selbstbewusster Stimme, „Natürlich erst nach unserem freien Tag morgen.“ „Wir haben ohnehin um 08.00 Uhr eine Besprechung“, meinte Levi mit einem leichten Nicken, „Im Rahmen dessen können wir auch darüber nochmal sprechen, aber es schadet sicherlich nicht, wenn ihr Zwei denen auf die Finger schaut.“ „Super, danke!“, lächelte Historia beneidenswert gewinnend, während Armin besänftigt durchatmete. „Geht euch nun ausruhen“, befahl Levi und ging zur Tür des Besprechungsraumes, in dem sie ihm aufgelauert hatten. „Und was ist mit Ihnen?“, hakte Historia freundlich nach. Levi warf einen Blick über die Schulter, ehe er hinaustrat. „Ich hab jetzt auch frei.“ Das laute Knacken der sich schließenden Tür war beinahe schmerzhaft laut in der Stille des großen Raums, in dem Armin und Historia noch einige Momente schweigend verweilten. „Was hältst du davon?“, ergriff Armin das Wort. Nachdenklich blickte Historia zu ihm auf und verschränkte dabei die Arme. „Ich denke, dass es die richtige Entscheidung ist so viel wie möglich zu delegieren.“ „Aber es schwächt gleichzeitig unsere Position. Wir konnten uns noch nicht beweisen und es wundert mich dementsprechend auch nicht, dass die anderen uns nicht ernst nehmen.“ „Immerhin haben wir sie auf eine neue Spur gebracht. Dass hinter den Anschlägen Gruppierungen wie die Raknatz, Isurumi, Nardotza und Kcrizott stecken könnten, haben sie bis zu unseren Hinweisen nur vermuten können. Jetzt haben wir einen begründeten Verdacht.“ „Na ja. Ohne weitere Indizien können wir eigentlich nicht von einem begründeten Verdacht sprechen.“ „Ich bin davon überzeugt, dass wir durch diese groß angelegte Abhöraktion entscheidende Hinweise bekommen werden, die unseren Verdacht erhärten.“ „Hoffentlich“, seufzte Armin, „Ansonsten werden wir wohl erneute Anschläge nicht verhindern können.“ Obwohl jeder einzelne Polizist und Geheimagent auf Hochtouren arbeitete, tappten sie immer noch im Dunklen. Die Zivilbevölkerung würde das nicht ewig dulden. Bis jetzt hielten sich die Unruhen in Grenzen. Nur… Wie lange noch? „Wir leben in einem Überwachungsstaat. Früher oder später macht einer einen Fehler. Das war bisher immer der Fall“, versicherte ihm Historia mit fast naiver Überzeugung, „Und dann werden wir sie finden.“ Tief ausatmend rieb sich Armin über die Augen. „Wir müssen.“ *~* Lautes Gegröle riss Eren aus seiner Konzentration, sodass er die Hantel ablegte und sich aufsetzte, um die Ursache der lauten Freude begutachten zu können. Freudig zogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen auseinander, als er Armin sah, der mit Historia gerade den Fitnessraum betreten hatte. Jetzt waren sie tatsächlich alle da. „Ich habe dich schon vermisst!“, rief Eren seinem besten Freund zu, der von der Überschwänglichkeit ihrer Kameraden genauso überrumpelt schien wie Eren vor einer guten Stunde. Armin fand seinen Blick und lächelte ihm zu. „Sauna?“, formten seine Lippen die stille Frage. Lachend schüttelte Eren den Kopf und bedeutete ihm, dass er zumindest erst ein wenig trainieren möge. Geschlagen ließ Armin den Kopf hängen und wandte sich einem vakanten Rudergerät zu. Es dauerte allerdings keine halbe Stunde, bevor er ihn bezirzte und sie doch noch gemeinsam in die Sauna gingen. Danach wollte Eren ohnehin noch schwimmen gehen. In der Sauna trafen sie auf Ymir, Annie, Berthold, Reiner, Franz und Marco. Die Sauna war glücklicherweise groß genug für sie alle und noch war genug Platz, um sich hinzulegen. Die Sauna war ein Luxus, den sie alle schon oft gern genossen hatten. Die Nacktheit machte den Frauen auch nichts aus, solange keine aufdringlichen GSG9’ler dazukamen und bis jetzt war nur einmal einer dabei gewesen, der meinte Mina mit derben Sprüchen anmachen zu müssen. Die Aktion ging nach hinten los, da Mina ziemlich schlagfertig und sich keineswegs zu schade war den Vollpfosten anzuzeigen. Der kleine Eklat führte zu einem ziemlich peinlichen Gespräch zwischen dem Arschloch, dessen Vorgesetztem und Levi, welches darin resultierte, dass der Kerl bei den nachfolgenden Zusammentreffen keinen Ton mehr von sich gab. Seufzend breitete sich Armin auf der obersten Liege aus, während Eren Wasser nachgoss. „Ist Hannah noch immer im Schwimmbad?“, fragte Eren und sah Franz an, der ihm am nächsten lag. „Ja, sie ist kaum aus dem Wasser zu kriegen und plaudert unentwegt mit Mina.“ „Weißt du eigentlich bereits das Geschlecht des Kindes?“ Den Blicken der anderen Männer nach zu urteilen war bisher keiner auf die Idee gekommen diese Frage zu stellen. Franz lachte gutmütig. „Nein, wir wollen überrascht werden.“ „Ende Februar ist es schon soweit, oder?“, hakte Marco nach. „Ja, angeblich der 24., aber wir werden sehen. Es soll alles ganz natürlich ablaufen.“ „Wahnsinn. Echt“, sinnierte Reiner, „Kein Jahr und boom Vater. Was ist das für ein Gefühl?“ „Das ist schwer zu beschreiben“, erwiderte Franz mit einem milden Lächeln, „Einerseits ist da Stolz und Freude, andererseits fühlt es sich trotzdem noch unwirklich an und ist irgendwie beängstigend. Da kommt ein hilfloses, kleines Wesen auf die Welt und du musst dich darum kümmern, darauf achten, es groß ziehen. Das ist eine immense Verantwortung - und gerade bei diesem Job wird das schwer.“ Überlegend setzte sich Reiner auf, um Franz besser ansehen zu können. „Tja, schwierig. Aber immerhin könnt ihr euch bei den Einsätzen abwechseln und Hannah muss sowieso nicht unbedingt vor Ort sein, um einen guten Job zu machen.“ „Gott sei Dank! Ansonsten wäre es wirklich schwierig geworden. Levi ist glücklicherweise auch sehr entgegenkommend und hat uns die Elternzeit unseren Wünschen entsprechend genehmigt.“ „Stimmt schon“, mischte sich Ymir nun mit rechthaberischer Stimme ein, „Aber wie kann man nur so dämlich sein und nicht vernünftig verhüten.“ Gelassen zuckte Franz mit den Schultern. Marco fand das weniger lustig. „Was soll das, Ymir?“ „Schon gut“, winkte Franz ab und stand auf, um Wasser nachzugießen. Die Dampfentwicklung war enorm, sodass der ein oder andere sich räusperte oder schnaufte. „Irgendwo beneide ich dich“, räumte Reiner ein, „Ich will zwar noch nicht Vater werden, aber zumindest eine Freundin wäre schön.“ „Was ist eigentlich aus der Brünetten mit dem Muttermal auf der Stirn geworden“, stutzte Eren, ob dieser Aussage. „Die hat ja letztes Jahr nach dem Abschluss Schluss gemacht“, erklärte er bereitwillig, „Sie wollte mit mir zusammenziehen und ernst machen. Alles nicht möglich bei diesem Job. Sie ist Optikerin, da konnte sie einfach nicht verstehen, dass ich nie der Acht-Stunden-und-Daheim-Abendesser-Typ bin.“ Ein verständnisvolles Raunen ging durch den Raum. „Hier laufen ja genug Polizistinnen rum“, grinste Ymir schelmisch. Annie setzte sich auf der obersten Bank auf, um ihre Kameraden ansehen zu können. „Was brauchst du auch eine Beziehung, Reiner?“ Verständnislos erwiderte er ihren Blick. „Weil es schön ist jemanden zu haben?“ Skeptisch kniff sie leicht die Augen zusammen. „Wenn es nur um Sex geht, sind die Straßen von Paris der ideale Ort.“ „Es geht mir nicht nur darum“, murrte Reiner nicht sonderlich angetan. „Normalerweise eignet sich Paris gut, um Kontakte zu knüpfen“, sinnierte Marco, „Wenn es draußen nicht so chaotisch wäre, hätte ich vorgeschlagen, dass wir morgen etwas in der Stadt unternehmen.“ Reiner schüttelte missmutig den Kopf. „Du musst reden. Hast du nicht noch eine Freundin?“ „Nicht mehr. Ich hab mit ihr an Weihnachten Schluss gemacht, nachdem ich erfahren habe, dass sie mich mit einem Kerl vom Kegelclub betrogen hat.“ Ein mitfühlendes Zischen ging durch den Raum. „So eine blöde Kuh.“ „Sauerei!“ „Das ist das Allerletzte!“ „Wer kegelt heutzutage überhaupt noch?“ „Ich denke nicht, dass das der Punkt ist, Ymir“, schmunzelte Annie und betrachtete die Runde mit selten amüsiert glänzenden Augen. „Sollte er aber“, beharrte sie mit theatralischer Gestik, „Da hat sie sich so einen vorbildlichen Mann geangelt und dann vögelt sie einen aus dem Kegelclub! Was für ein Abstieg.“ Unweigerlich zogen sich sämtliche Mundwinkel hoch. „Ich glaube, ich war einmal mit einem Kumpel kegeln. Oder bowlen. Gibt’s da einen Unterschied?“, fragte Eren und erntete ratlose Gesichter und Schulterzucken. Reiner zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ „So“, seufzte Berthold, „Ich muss hier raus. Ich krieg keine Luft mehr.“ „Du bist ja auch schon ewig drin“, kommentierte Reiner den Abgang seines Freundes, „Ich glaub, ich pack’s auch langsam. Mehr als zwanzig Minuten sollten es sowieso nicht sein.“ „Gehen wir dann noch schwimmen?“, richtete Armin das Wort an Eren, der träge zu ihm blinzelte. „Ja, ich würde schon gerne.“ „Gut, dann lass uns gehen“, lächelte Armin und schob sich von der Saunabank. „Och, geht ihr etwa alle schon?“ „Sind wir alle?“, sprang Ymir prompt auf Franz’ Worte an. „Nein, nein“, erwiderte Franz wie aus der Pistole geschossen. „Ich geh auch“, verkündete Annie und stand auf. Mit einem lauten Seufzer tat es ihr Ymir gleich. „Naaa gut. Wenn’s denn sein muss.“ „Du musst ja nicht mitlaufen, Ymir“, stichelte Eren, was ihm prompt den Mittelfinger und einen desinteressierten Blick einbrachte. Mit einem ergebenen Stöhnen folgte Franz ihm und Armin aus der Sauna und unter die Eisdusche draußen neben dem Saunaeingang. *** Mit fünf 50 Meter langen Bahnen war das Schwimmbad nicht sonderlich groß. Es war überschaubar und definitiv etwas überfüllt als sie zu 16. darin herumplanschten und um die Wette schwammen. „Verdammt nochmal! Jäger!“, prustete Reiner sich am Beckenrand abstützend. Nach 14 Bahnen Wettschwimmen waren nur noch er und Marco übrig. „Immerhin bist du Dritter“, tröstete Jean ihn mit einem Schulterklopfer vom Beckenrand aus. Jean hatte nach neun Runden bereits das Handtuch geworfen. Er war ein fantastischer Läufer, aber beim Schwimmen zu langsam. Eren musste zugeben, dass er das etwas erfreut zur Kenntnis nahm. Allerdings hielt Jean nun zu Marco, der mit einer Leichtigkeit alle abgehängt hatte, die Eren schummrig werden ließ. Wenn Eren gewusst hätte, dass Marco in seiner Jugend die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen im Schwimmen gewonnen hatte, wäre er bei seinem Aufruf zum Wettkampf und zu bunten Schwimmwetten etwas vorsichtiger gewesen. Das hatte man davon, wenn man sich nicht genau über das Leben seiner Kameraden informierte und mit Tunnelblick durch die Welt lief. Eren fragte sich allen Ernstes wie Levi nur so fahrlässig sein konnte und sich partout weigerte ihre Akten zu lesen. Informationen auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, war ein feuchter Ermittlertraum. „Armin?“, rief Eren, „Gibt es überhaupt noch jemanden, der auf mich wettet?“ Armin sah ihn mit großen blauen Augen an wie ein Kind, das beim Naschen vor dem Essen erwischt worden ist. Eren verzog missbilligend das Gesicht, noch ehe Armin mit roten Wangen antwortete. „Na ja“, druckste er herum, „Wenn du gewinnst, bist du um 250 € reicher...“ Anklagend starrte Eren seinen Freund an und meinte bedrohlich leise: „Selbst du wettest gegen mich?“ „Sieh es so, wenn keiner auf dich wettet, bleibt mehr Geld für dich übrig - falls du wider Erwarten gewinnst“, grinste Jean gehässig. Normalerweise wäre Eren ihm für seine freche Klappe mit nacktem Arsch ins Gesicht gesprungen, stattdessen nutzte er die aufgestaute Wut und das Gefühl der Schmach, um sich auf die letzten zwei Bahnen vorzubereiten. Die alles entscheidenden Bahnen. Er spürte das Adrenalin regelrecht in seinen Adern aufkochen. Die Geräusche versanken in einem weißen Rauschen und er schloss die Augen. „Heyyyy!“, grölte es monoton vom Beckenrand. Er ignorierte es. „Boss!“ Eren riss so schnell die Augen auf, dass es ihn für eine Sekunde lang blendete. Die Welt tauchte aus dem grellen Schleier auf und gab die Sicht auf ihren Vorgesetzten frei, der mit einem Handtuch über der linken Schulter und Badeshorts auf seine euphorische Einheit blickte. Levi sah sie mit verwunderter Überraschung an, ehe er die jubelnden Ausrufe wegblinzelte und sie mit einem tadelnden Blick bedachte. Eren meinte angestrengten Ernst auf Levis Gesichtszügen ausmachen zu können, aber er konnte sich auch täuschen. In den das Licht widerspiegelnden Augen konnte er nicht lesen. „Sind wir hier in einem Affenzirkus?“ Die ruhige Frage schnitt jedwedes Gegröle ab und hinterließ schalkhaftes Gegrinse. Eren konnte nicht anders, als diese künstliche Ruhe zu unterbrechen. „Aber du wirst bestimmt auf mich wetten, oder Levi?“ Levis Blick schnellte zu ihm und durchbohrte ihn auf diese einnehmende, nervös machende Art, die Eren gelernt hatte mit einem breiten Grinsen zu entgegnen. Der kurze Moment des gegenseitigen Musterns wurde von lautem Gelächter unterbrochen. „Nice try“, schüttelte Ymir sich lachend und stützte sich auf Historias Schulter, um nicht umzufallen. „Von wegen, Jäger“, wieherte Jean und erstickte fast an seinen Worten. „Ganz schlechter Deal, Sir“, japste Connie. Miesepetrig blendete Eren die Worte seiner Kameraden aus und warf einen Blick auf Marco, der neben ihm im Wasser trieb. Der Kerl lächelte peinlich berührt vor sich hin, was Eren geschlagen seufzen ließ. Obwohl Levi bloß eine Hand anhob, hörte das Gebabbel sofort auf und bloß unterdrückte Lacher und Gekicher störten die erneute Stille. „Welche armen Kreaturen haben euch denn ins Hirn geschissen?“ Eren ließ sich bis zur Nase ins Wasser sinken, um das Grinsen zu verbergen, welches sich bei den verdatterten Blicken seiner Kameraden unweigerlich auf seinen Lippen ausbreitete. „Es geht um ein Wettschwimmen, bei dem nur noch Marco und Eren übrig sind“, erklärte Hannah, die mit einem großen Handtuch um den Schultern am Beckenrand saß, „Da Marco früher Leistungsschwimmer war, haben alle auf ihn gesetzt.“ Levi schien einen Augenblick nachzudenken, ehe er leidenschaftslos das Handtuch von der Schulter zog und zu der Bank an der Seite der Schwimmhalle ging. „Habt ihr keine sinnvollere Verwendung für euer Geld.“ „Ach, hier und da ein wenig Spaß muss sein“, lachte Reiner dröhnend, was die Atmosphäre allgemein wieder etwas auflockerte. Darauf erwiderte Levi nichts mehr, obwohl seine angehobene Augenbraue auf einen inneren Monolog hindeutete. „Wollen Sie vielleicht mit uns um die Wette schwimmen, Levi“, kam die Frage überraschend von Marco, der Zuspruch der anderen folgte sogleich. Das erregte Levis Interesse gerade lange genug, um ihn zu einem Kopfschütteln zu verleiten. „Nein, danke. Ich bin zum Entspannen hier und nicht zu eurer Belustigung.“ Damit war die Angelegenheit für Levi sichtlich erledigt. Ohne weiter Notiz von ihnen zu nehmen, ging er zu der äußersten Bahn, sprang elegant ins Wasser und schwamm in gemächlichem Tempo vor sich hin. Nun gut. Man konnte niemanden zu seinem Glück zwingen. „Auf eine letzte Runde?“, riss Marco ihn aus seinen Beobachtungen. Eren grinste ihn schelmisch an. „Auf jeden Fall!“ Die zuvor abgeflaute Anspannung nahm mit der wiedergewonnen Aufmerksamkeit der Kameraden wieder zu und Adrenalin schoss durch seine Adern, als sie auf den Startblöcken standen und Thomas ansagte. Eren schloss die Augen. Er meinte Sturmgraue auf sich zu spüren. Auf Kommando tauchte er wie ein Torpedo ins Wasser ein und kraulte die zwei letzten Bahnen unter Mobilisierung all seiner Kraft. Er fühlte sich schneller als jemals zuvor. Schlussendlich gewann Marco mit einer Armlänge Abstand. Allerdings empfand Eren zum ersten Mal keine Betrübnis oder Frustration, ob einer Niederlage und Jeans dämlichen Äußerungen. Er spürte, dass er besser geworden war und alles gegeben hatte. Es war ein angenehmes Gefühl. Unbewusst suchte er Levis Blick, den er für einen Wimpernschlag fand. Gerade lang genug um Wohlwollen zu erkennen. Mit einem verlegenen Lächeln nahm er die aufbauenden Worte seiner Kameraden hin und ruhte sich eine Weile am Beckenrand aus, während die anderen sich fröhlich wieder ins Wasser schwangen und wie Kinder planschten. Aus irgendeinem Grund überkam Eren bei diesen Geräuschen und dem Anblick seiner Kameraden ein wahnsinnig nostalgisches Gefühl und eine unbegreifliche Ruhe. Irgendwie. Irgendwie gehörte er genau hier hin. *~* Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann auf die Schwäche der Menschen und Gottes Gleichgültigkeit. +++ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)