Zwischenwelten von Minerva_Noctua (Ereri) ================================================================================ Kapitel 4: Dämmerung -------------------- Im letzten Kapitel hat Levi die Weihnachtszeit hinter sich gebracht, Eren getriezt und etwas besser kennengelernt. Eren musste sich hingegen nicht nur mit den Militärs herumschlagen, sondern auch mit Jean, der ziemlich deprimiert Silvester im Ausbildungskomplex verbringen musste. Ich wünsche euch allen viel Spaß beim vierten Kapitel! +++ Ausbildungsplan Einheit 5 - 09. Januar 2122 bis 31. März 2122 Montag bis Freitag 05:00 Uhr: Aufstehen 05:15 Uhr: Workout 06:15 Uhr: Pause 07:00 Uhr: Frühstück 08:00 Uhr: Appell 08:10 Uhr: Einsatzplanung 11:45 Uhr: Pause 12:00 Uhr: Mittagessen 13:00 Uhr: Einsatzsimulation 17:30 Uhr: Pause 18:00 Uhr: Abschlussbesprechung 19:00 Uhr: Abendessen 21:00 Uhr: Nachtruhe Samstag 06:00 Uhr: Aufstehen 07:00 Uhr: Frühstück 08:00 Uhr: Appell 08:10 Uhr: Psychologisches Testverfahren 12:00 Uhr: Mittagessen 13:30 Uhr: Gruppenübungen 18:45 Uhr: Pause 19:00 Uhr: Abendessen 22:00 Uhr: Nachtruhe Sonntag Eine Stunde Schwimmen zwischen 09:00 Uhr und 20:00 Uhr Im ersten Moment schien die 5. Ausbildungseinheit nicht so anstrengend zu werden wie die letzten Vier. Es brauchte keine Woche um sie eines besseren zu belehren. Bei der Einsatzplanung bekamen sie alle einen etwa 100 bis 150 seitenlangen, fiktiven Sachverhalt, der ihnen alle Informationen, auch zu etwaigen Kriminellen gab. Bei ihrem ersten Einsatz sollten sie ein Waffenlager räumen, das sich im Keller eines Wohnkomplexes befand. Natürlich fehlten ihnen einige Informationen, die sie auch nicht beschaffen konnten. Die Aufgabe bestand darin anhand des Sachverhalts einen Einsatz vorzubereiten, der strategisch so sicher und effizient wie möglich Erfolg versprach. Als Polizisten kannten sie solche Einsätze, wodurch in der Theorie keine großen Hindernisse zu befürchten waren. Der Clue an der Aufgabe lag darin, dass sie 35 Rekruten waren und ihnen die Aufgabe ohne festgelegte Hierarchie hingeworfen wurde und sie zusehen mussten, dass sie innerhalb von dreieinhalb Stunden zu einem brauchbaren Ergebnis kamen, damit sie am Nachmittag den gestellten Einsatz ausführen konnten. Dabei wurden sie von Hanji, Mike und einem weiteren Ausbilder schweigend beobachtet und analysiert. Die erste Stunde verbrachten sie mit Lesen. Die zweite Stunde fassten sie die Ergebnisse zusammen und begannen über die Vorgehensweise zu diskutieren. GSG9 gegen SEK und beide gegen den Rest. Jeder wusste es besser. In der dritten Stunde hatten sie fünf verschiedene Alternativen übrig, die vehement von den verschiedenen Parteien vertreten wurden. In der letzten halben Stunde schrieen sie sich an bis zwei Alternativen übrig blieben. Die Zeit war vorbei und sie gingen Essen, weiterhin streitend. Als am Nachmittag die Einsatzsimulation begann, standen sie mit ungewaschenem Hals und zwei Fronten da, die ihre favorisierte Vorgehensweise ums Verrecken durchsetzen wollten. Im letzten Moment konnte Armin sie überreden sich den anderen anzuschließen, obwohl nicht nur Eren keineswegs von dem anderen Plan überzeugt war. Aber er verließ sich auf Armins Urteil und unterstützte ihn, was auch die anderen Schritt für Schritt überzeugte - sogar Jean. Das „Waffenlager“ befand sich im Keller des Verwaltungsgebäudes und die festzusetzenden Kriminellen spielten drei weitere Ausbilder. Sie wurden völlig fertig gemacht. Sie wurden zwar nur mit Farbkugeln beschossen, aber verdammt nochmal, das tat saumäßig weh und jeder einzelne von ihnen war danach völlig gelb von all der Farbe. Sie hätten sich besser organisieren müssen - welch Wunder, sie waren ein chaotischer Haufen. Es war demütigend. Ihre Ausbilder schrieben stoisch und wortlos alle Ereignisse in ihre Notizblöcke. In der Abschlussbesprechung wurden sie mit den Ergebnissen konfrontiert und von Hanji und Mike auf qualvoll sachlicher Basis auseinandergenommen. Die folgenden Tage waren ähnlich furchtbar und frustrierend. Zu viele von ihnen beharrten auf ihrem Führungsanspruch, sodass sie keinen einzigen Einsatz erfolgreich ausführten. Am Samstag waren sie einzeln unterschiedlichen Urteils-, Deutungs- und Leistungstests unterzogen worden, die ihre Psyche durchleuchten sollten. Bei den Gruppenübungen mussten sie jeweils zu fünft irgendwelche praktischen oder theoretischen Probleme lösen. Das fing mit der Konstruktion einer Brücke aus Papier und Zahnstochern an und endete mit der Erstellung eines architektonischen Bauplans der Schwimmhalle am Computer. Es waren teilweise völlig unterschiedliche Aufgaben, die anscheinend dazu dienen sollten sie unter Zeitdruck zur Zusammenarbeit zu zwingen. Je nach Gruppenkonstellation gelang es besser oder schlechter. Am Sonntag waren sie alle schließlich zu frustriert, um sich miteinander zu befassen und gingen sich möglichst aus dem Weg. Eren hatte sich den ganzen Tag im Zimmer mit Armin verschanzt, Musik gehört und gelesen, sodass er erst abends zum Schwimmen ging. Insgeheim hoffte er, dass er Levi dort vorfand und sich auf andere Gedanken bringen konnte, blieb jedoch allein bis man ihn rausschmiss. Er tauchte gerade einige Runden, sodass er die andere Person erst bemerkte, als er direkt vor ihr auftauchte. Eren erschrak und starrte mit großen Augen in gelangweilte Sturmgraue. „Es ist nach 20:00 Uhr“, begrüßte ihn Levi, „Mach, dass du raus kommst.“ Eren hielt sich am Beckenrand fest und wischte sich das Wasser aus den Augen, während er zu seinem Ausbilder aufsah. Levi hockte in schwarzer Trainingshose und langärmligem azurblauem Shirt vor ihm und schien nicht bester Laune. „Wollen Sie nicht eine Runde mit mir schwimmen?“, lächelte Eren bemüht gewinnend. „Nein, ich hab mir den Magen mit dem Mensafraß heute verdorben und mir ist zum Kotzen. Also beweg deinen Arsch, ich will zusperren.“ Gereizt stand Levi auf und warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. Eren beeilte sich aus dem Wasser zu kommen. Er bemerkte, dass er angestarrt wurde und sah fragend zurück. Als Levi es bemerkte deutete er auf Erens Schlüsselbein. Er sah automatisch auf sich hinunter, obwohl er sofort wusste, auf was Levi hindeutete. „Ich bin vorgestern bei der Simulation gestürzt, nachdem ich erschossen wurde.“ Seine ganze obere Brust war bläulich grünlich. „Tch.“ Ohne weiteres Wort wandte Levi sich ab und ging Richtung Umkleiden. Eren fühlte sich von dem abfälligen Laut beleidigt. Es schürte nur mehr seine Unsicherheit und Angst wie bei der SEK bei einem Psycho-Test zu versagen. Er durfte nicht versagen. Er musste es schaffen. „Sir? Kann ich Ihnen eine Frage stellen?“ „Wenn du weiterhin wie angewurzelt stehen bleibst, statt deinen lahmen Arsch nach draußen zu schwingen, dann nicht mehr.“ Zügig ging Eren in die Umkleide und begann sich auszuziehen. Levi stand bei ihm gegen einen Spind gelehnt und starrte grimmig ins Leere. Eren packte die Gelegenheit am Schopfe. „Was ist die bessere Entscheidung: Zu tun, wie man glaubt, dass es von einem erwartet wird oder wie man meint, dass es das Richtige ist?“ Levi wandte den Kopf zu ihm, bedachte ihn mit gezückter Augenbraue und purem Unverständnis. „Bist du gehirnamputiert? Was soll die beschissene Frage?“ „Genau das, was ich gefragt habe“, erwiderte Eren trotzig und starrte Levi stur entgegen, was diesem unerwartet ein Seufzen entlockte. „Jetzt mal eine Lektion fürs Leben, Balg. Du weißt nie, welche Entscheidung richtig ist. Es existiert keine richtige Entscheidung. Es gibt lediglich Entscheidungen, die du weniger bereust als andere. Also verlier' dein Ziel nicht aus den Augen und wähl die Alternative, mit der du eher leben kannst.“ Eren sah ihn mit großen Augen an, seine Gedanken rasten. „Und frag mich nichts über die Psycho-Tests, ich bin nicht involviert und es interessiert mich auch nicht. So oder so entgeht keiner Hanjis Urteil. So nervtötend das Vierauge auch ist, sie ist eine äußerst kompetente Medizinerin und Psychologin.“ Nachdenklich und verunsichert zwirbelte Eren seinen Pullover in den Händen. Natürlich konnte Levi ihm keinen Tipp geben, damit würde er seine Pflichten verletzen. Seine Worte ergaben auch Sinn, halfen Eren jedoch in diesem Augenblick nicht aus seiner Misere. Ein gereiztes Fingerschnippen holte Eren aus seinen Gedanken. „Hey du Bremse, mach und zieh dich an oder ich schleif dich nackt raus!“ Hastig zog Eren den Pulli über den Kopf und beeilte sich mit dem Fertig machen. Levi zerrte ihn buchstäblich aus der Schwimmhalle und sperrte ab. Es war eine eisige, klare Nacht, in der man die Sterne ohne das künstliche Laternenlicht auf dem Gelände hätte sehen können. Eren hauchte aus Gewohnheit seine Finger an, obwohl sie noch nicht kalt waren. Ein nervöser Tick. „Danke“, sagte Eren unvermittelt zu dem Rücken Levis, als dieser den Hallenschlüssel mehrmals im Schloss drehte, „Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie mich nicht aufgegeben haben.“ Levi drehte sich fahrig um, als könne er nicht glauben, was er hörte. Sturmgraue Augen bedachten ihn mit einem bisher nie da gewesenem Erstaunen. „Das warst du selber.“ Sie sahen sich an. Nunmehr hinabsehen zu müssen, fühlte sich nicht mehr seltsam an. Generell Levis Präsenz war nicht mehr einschüchternd oder bedrängend. Respekteinflößend ohne Frage, Eren hatte sich mittlerweile jedoch an Levis Art gewöhnt und er empfand seine Gegenwart eher als angenehm und bestärkend. Aus diesem Gefühl heraus zogen sich Erens Lippen zu einem breiten, ehrlichen Lächeln auseinander. „Trotzdem danke.“ Der Ausdruck in Levis Augen veränderte sich, im Schein der Laternen konnte Eren seine Mimik doch leider nicht erkennen. „Hau schon ab, Schleimschleuder. Da wird mir nur noch schlechter“, fuhr Levi ihn mit kühler Stimme an und wandte sich ab. Ein Glucksen entfuhr Eren und er ging leise lachend zurück zu den Unterkünften. *~* Als Levi das rhythmische Klopfen an seiner Wohnungstür hörte, seufzte er genervt auf und überlegte kurz es schlicht zu ignorieren. Bei der dritten Strophe von Elvis' „Love Me Tender“ verwarf er jeglichen Gedanken an eine Vermeidungstaktik in dem Wissen, dass er dem schlussendlich doch nicht ausweichen können würde. Schwungvoll öffnete er die Tür. „Du hast fünf Sekunden mich davon zu überzeugen dir nicht jeden Finger einzeln zu brechen“, begrüßte er den Störenfried mit finsterem Gesichtsausdruck. Hanji hielt einen Packen Akten abwehrend vor ihr Gesicht. Erneut seufzte Levi und trat beiseite, woraufhin seine Kameradin flink in die Wohnung schlüpfte und sich zielstrebig ins Wohnzimmer begab. Sie ließ sich auf die Couch plumpsen und breitete die Akten auf dem niedrigen Tisch vor ihr aus als sei sie daheim. Wortlos schlenderte Levi in die Küche und setzte einen Kräutertee auf, ehe er sich auf den Sessel ihr gegenüber niederließ. Er beobachtete sie kurz beim Durchblättern der Akten. „Ich hatte einen verflucht langen Tag, also spuck schon mal aus, was du willst, Vierauge.“ „Ich habe hier die Akten von den restlichen Rekruten. Zehn werden fliegen und zehn sind Wackelkandidaten, die ich vorerst dir überlassen möchte“, erklärte Hanji und deutete auf drei Stapel. „Warum willst du sie mir überlassen? Schmeiß sie halt raus, wenn du nicht von ihnen überzeugt bist.“ „Ich denke, dass sie den Übergebliebenen gut tun werden.“ „Du willst sie ausnutzen? Als was?“ Hanji konnte sehr opportunistisch mit Menschen umgehen, um nicht zu sagen rücksichtslos, wenn sie ein festes Ziel vor Augen hatte. „Als Herausforderung und Motivation. Die Wackelkandidaten werden Unruhe reinbringen, mit der die anderen Rekruten zurechtkommen müssen. Um sie rauszuschmeißen fehlen mir überdies genügend sachliche Gründe. Außerdem, vielleicht findest du ja einen Einsatzbereich für sie“, erläuterte sie und putze zu Levis Missfallen unterdessen ihre Brillengläser mit dem Zipfel ihres Pyjamaoberteils. Nur Hanji konnte in einem dunkelblauen Pyjama mit lachenden Sonnen und Monden durch die Gegend laufen und dabei ernstzunehmend wirken. „Und wieso konntest du mir das nicht morgen sagen? Es sind noch zwei Wochen bis zum Einheitsende.“ Gemächlich stand Levi wieder auf und entfernte in der Küche das Sieb mit den Kräutern aus der Teekanne und stellte sie mit zwei Tassen auf einem Tablett vor Hanji ab, wobei ein paar Akten versehentlich vom Couchtisch rutschten. Hanji hob sie auf und blätterte sie desinteressiert durch. „Ich möchte mit dir kurz über diejenigen sprechen, von denen ich glaube, dass sie die Ausbildung abschließen werden.“ „Und wieso zum Teufel muss das ausgerechnet jetzt sein? Ich bin müde.“ Entnervt lümmelte sich Levi in den Sessel und rieb sich die Schläfen. „Weil ich vorhin von Erwin erfahren habe, dass er dich breitschlagen konnte auch nach der Ausbildung die ersten Rekruten der ESE anzuleiten und mit ihnen Einsätze auszuführen“, grinste sie ihn mit einem unheilvollen Glitzern in den Augen an und schlürfte aus ihrer Teetasse, was sie zum Strahlen und Kichern brachte, „Du hast meinen Lieblingstee gemacht! Ui danke, Levi~!“ Er ignorierte ihre überschäumende Freude. „Es ist bloß Tee, Blindschleiche.“ Hanji wippte noch ein paar Mal glucksend hin und her, schnüffelte genüsslich am Tee und schlürfte daraus wie ein Somalier. Levi musste sich davon abhalten verlegen den Ärmel seines Hemdes zurecht zu zupfen. Sie kriegte sich nach ein paar mahnenden Blicken seinerseits langsam ein und räusperte sich: „Ich möchte, dass du dir die letzten Wochen die Kiddies anschaust und schon mal überlegst, wen wir wie einsetzen, damit wir deine Einheit gleich koordiniert beginnen können.“ Das ergab gewissen Sinn. Dennoch wäre nichts zu Bruch gegangen, wenn sie morgen darüber gesprochen hätten. Aber Hanjis zufriedenes Gesicht mit der dämlichen Teetasse davor, hielt ihn davon ab sie rauszuschmeißen. „Also ich erzähl dir dann mal grob meine bisherigen Eindrücke.“ „Mach schon mal und bitte nicht die ganze Nacht, du elende Märchentante“, moserte er. Hanji lachte ausgelassenen und nahm endlich ein paar Akten auf den Schoß, ehe sie ihre Erkenntnisse abspulte. „Franz Brandt und Hannah Meyer sind die geborenen Befehlsempfänger. Sie machen das, was man ihnen befiehlt, solange es nicht völlig hirnrissig ist. Thomas Wagner und Mina Carolina sind dahingegen skeptischer, aber verlässlich. Mit diesen Vieren hat man einen soliden Grundstock und eine Absicherung im Rücken. „Annie Leonhardt, Berthold Hoover, Reiner Braun und Ymir Lenz sind willensstark und offensiv. Annie ist sehr stoisch und Ymir eigenwillig, aber sie ordnen sich unter, wenn man sie überzeugt. Selbst Reiner zeigt keinen kompromisslosen Führungswille, aber er erwartet, dass man sein Urteil gebührend berücksichtigt. „Armin Alert ist ein hervorragender Stratege und Historia Reiss sehr einfühlsam und vorsichtig - ein Bindemittel. Die Beiden arbeiten gut zusammen, allerdings sind sie nicht für riskante Einsätze zu empfehlen, sondern eher Strippenzieher. „Sasha Braus und Connie Springer sind Mitläufer - sie eine außerordentliche Scharfschützin, er sehr schnell, wendig und leise, aber nicht die hellste Leuchte am Firmament. „Marco Bott ist der Ruhepol der Gruppe. Jeder mag ihn und hört ihm zu, aber er ist nicht mutig genug, um in stressigen Situationen schnell Entscheidungen zu treffen. „Das liegt eher Jean Kirschstein. Er ist sehr dominant und ein sehr rationaler, pragmatischer Mensch, der lieber auf Nummer sicher geht und keine ausgefallenen Problemlösungen verfolgen will. Daher kommt es mit Eren Jäger ständig zu Reibereien.“ Levi merkte auf, was Hanji ihrem Schmunzeln nach zu beurteilen auffiel. „Eren ist viel risikofreudiger und innovativ, was schwierigere Vorhaben angeht. Ihm fehlt jedoch oft der Weitblick und die Umsicht, dass seine Kollegen nicht ebenso mutig in bestimmten Situationen handeln. Glücklicherweise sieht Jean das, aber seine Art Contra zu geben ist wenig konstruktiv. Die Zwei sind völlig gegensätzlich. Glücklicherweise haben ihnen die Weihnachtsferien gut getan und die Zeit allein hat anscheinend ihr gegenseitiges Verständnis gefördert, sodass sie sich in dieser Einheit zusammenraufen konnten. Förderlich war auch, dass Erens bester Freund Armin die besten Einsatzstrategien präsentieren konnte und sich Eren spätestens nach der ersten Woche völlig auf ihn verlassen hat. Auf diese Weise gelang es diesen fünfzehn Rekruten ein gutes Einsatzteam zu bilden und zunehmend vorzeigbare Ergebnisse abzuliefern.“ „Also hat sich Eren gemausert und dich überzeugt?“, hakte Levi nach, was Hanji mit einem selbstgefälligen Grinsen zur Kenntnis nahm und sich tiefer in die Couch lümmelte. „Eren braucht Führung. Er ist sehr leidenschaftlich und ungestüm, hat keine herausragenden Fähigkeiten in irgendeinem Bereich, ist aber vielseitig einsetzbar. Er ist dafür von allen am Willensstärksten und wahnsinnig ehrgeizig. Er hat Führungspotenzial, wäre bisher jedoch ein Risiko. Er hat nie gelernt im Team zu arbeiten, deswegen hat es mich zugegebenermaßen überrascht, dass er das plötzlich geändert hat. Er hat sich zurückgenommen und ist gelassener an die Aufgaben rangegangen und da keiner der anderen sich um die Führerrolle gerissen hat, haben sie sich Armins Plänen untergeordnet. Ich habe immer noch Zweifel, ob Eren kontrollierbar ist, wenn er die Gelegenheit bekäme sich für seine Familie zu rächen und früher oder später würde er mit der Kcrizott in Berührung kommen. Aber ich möchte dir die abschließende Beurteilung diesbezüglich überlassen. Wenn er auf jemanden hört, dann auf dich.“ Hanji schenkte sich eine weitere Tasse nach und sog genüsslich den Kräuterduft ein. „Außerdem hätte anfangs bei dir auch keiner geglaubt, dass du mal so einen verantwortungsvollen und aufopfernden Offizier abgeben würdest“, grinste Hanji diebisch über den Tassenrand hinweg. „Du vergleichst uns beide? Das Balg ist ganz anders als ich“, meinte Levi mit hartem Tonfall. Er überging Hanjis vorige Worte geflissentlich. Er ertrug keine positiven Aussagen zu seiner Führungsqualität. Er fühlte sich verschmäht und dessen unwürdig. „Ihr seid ziemlich unterschiedlich, aber es gibt sehr viele Überschneidungen bei euren Handlungen und Ansichten. Eren ist jetzt ungefähr da, wo du mit Anfang Zwanzig warst. Aus ihm könnte auch eine hervorragende Führungspersönlichkeit werden und ich kann es nicht vertreten, ihm und uns diese Chance wegen seiner Vergangenheit zu verwehren. Mit Unterstützung und der richtigen Anleitung ist er in den Griff zu kriegen. Machst du das, Levi?“ „Was soll die dumme Frage? Ich werde die Arschgeigen in Einsätze führen müssen und wenn ich ihn bis Juni nicht rausschmeiße, werde ich mich zwangsläufig auch um ihn kümmern müssen.“ „Ach, ich bin sicher, dass du dich gut um alle kümmern wirst“, betonte Hanji delphisch. „Warum reden wir dann noch?“ Levi konnte es nicht ausstehen, wenn Hanji ihn mit ihrer Doppeldeutigkeit triezte. Meistens war da etwas im Busch oder sie heckte irgendetwas aus, was ihm nicht gefallen würde. Hanji neigte den Kopf leicht, sodass sich das Licht in ihren Brillengläsern reflektierte. Es verlieh ihr immer die Aura eines verrückten Genies. Letztlich entsprach das wohl auch den Tatsachen. „Hast du zu den Rekruten noch Fragen?“ „Nach deiner Erzählung zu urteilen, waren diese fünfzehn Rekruten auch diejenigen, die sich gegen den Rest zusammengetan haben. Ist das korrekt?“ „Nicht ganz. Noch drei hatten sich ihnen angeschlossen, aber von denen habe ich bloß Mylius Zeramuski behalten.“ „Was hat dich von ihnen überzeugt?“ „Ihre Kompromissbereitschaft, trotz vieler Differenzen. Die anderen Rekruten haben sich einem Alphatier angeschlossen, das sie manipulierend seinem Willen nach geformt hat. Erfolg war ihnen nicht abzusprechen, aber so etwas suchen wir nicht.“ „Ich denke, ich weiß wen du meinst.“ Nachdenklich trommelte Levi mit seinen Fingern gegen die rechte Armlehne seines Sessels. „Ich freue mich auf diese Rekruten. Sie sind gut und die nächsten drei Monate kannst du sie dir schön passend zurechtlegen, sodass die ersten Einsätze unter Führung der GSG9 und SEK sicherlich besser laufen werden als erwartet.“ „Bist du da nicht zu voreilig?“ „Komm morgen mit und sieh sie dir an.“ Sie schwiegen eine Weile und Levi hing seinen Gedanken nach. Er kannte jeden Rekruten und sah sie bereits in verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn zu Hanji zurücksehen, die ihre Beine gemütlich auf die Couch legte und weiterhin an ihrer Teetasse nippte. „Was treibst du da eigentlich? Ich hab nur einen Liter gemacht, sauf endlich!“, kommentierte er genervt ihre Gemütlichkeit. „Hey! Ich genieße diesen wunderbaren Tee eben“, schmollte Hanji gespielt echauffiert, „Hetz' mich doch nicht so, du Giftzwerg.“ „Fick dich“, knurrte Levi und durchbohrte sie mit einem bösen Blick. „Fick du mich“, blubberte sie hinterm Tassenrand, was Levi sie überrascht anblicken ließ. „Was?“ Seine Reaktion entlockte Hanji ein erheitertes Glucksen und sie stellte die Tasse auf den Tisch, ehe sie sich seitlich komplett auf die Couch legte, ihren Kopf auf der Hand abgestützt. Sie warf ihm einen verruchten Blick zu und Levi konnte nicht leugnen, dass Hanji mit den offenen, wilden Haaren und dem weiten Pyjama, der sich nun an den richtigen Stellen an ihren Körper schmiegte, unheimlich anziehend wirkte. „Wie wär's, hm, Levi? Ein kleiner One-Night-Stand?“, raunte sie ihm zu und wenn es nicht Hanji gewesen wäre, hätte es ihm eine Gänsehaut beschert. „So nötig hab ich's nicht.“ Theatralisch drehte sich Hanji auf den Rücken, beide Arme von sich gestreckt. „Bah! Ich schon. Ich hatte seit zwei Jahren keinen Sex mehr; ich glaub, ich weiß gar nicht mehr, wie's geht“, jammerte sie. „Was ist eigentlich mit diesem Moblit-Typen passiert? Auf den hattest du doch ein Auge geworfen, soweit ich mich erinnere“, fiel Levi ein. „Naaa, erst als es zu spät war und er irgendwo nach Südostasien versetzt wurde. Ich hab seitdem nix mehr von ihm gesehen oder gehört.“ Wehmut zeichnete sich auf ihren Gesichtszügen ab. Moblit Berner war Hanjis rechte Hand und Untergebener gewesen. Obwohl sie sonst nie etwas hatte anbrennen lassen, war ihr erst spät aufgefallen, dass Moblit mehr als Sympathie für sie übrig hatte. Und anscheinend hatte sie die Gelegenheit mit ihm vollends verpasst. „Was macht er in Südostasien?“ „Ärzte ohne Grenzen.“ „Hm.“ „Wann hattest du das letzte Mal Sex?“ „Das geht dich einen Scheißdreck an.“ So eine Frage konnte auch nur Hanji stellen. „Ach komm schon! Ich hab's dir auch von mir gesagt!“, quengelte sie und drehte sich wieder seitlich, um ihn anzusehen. „Was ich niemals wissen wollte, scheiß Vierauge.“ Levi verzog verekelt den Mund. „Dafür, wie du aufgewachsen bist, hab ich selten mitbekommen, dass du überhaupt Sex hattest. So eine Schande bei all dem Interesse an dir.“ Levi war kurzzeitig sprachlos. Er wusste nicht, ob er amüsiert oder zornig sein sollte. Er entschied sich für zornig, das war gewohnter. „Raus!“, befahl er kalt und stand auf. Hanji blickte ihm unschuldig und völlig unbeeindruckt entgegen. Sie kannte ihn mittlerweile lang genug, um einschätzen zu können, wann er ernsthaft böse war. „Ich habe mich immer gefragt, wie du so im Bett bist, aber du hast mich damals ja schon aus Prinzip abgelehnt“, sinnierte sie im Plauderton und warf ihm einen verschmitzten Blick zu. Levi verschränkte unentschlossen die Arme vor der Brust. „Das sollte dir zu denken geben.“ „Du weißt ja gar nicht was du verpasst“, grinste sie lasziv und zwinkerte ihm zu, „Ich bin echt gut.“ „Deine Verführungskünste wären effektiver, wenn du stumm wärest.“ Hanji guckte überrascht und sprang plötzlich auf. „Ach so?“ Levi beobachtete sie verständnislos bis sie sich zu seinem blanken Entsetzen plötzlich das Oberteil über den Kopf zog und oben ohne vor ihm stand. Sie grinste ihn frech und schamlos erwartungsvoll an. „Wow, du hast ja doch Brüste“, stellte Levi trocken fest und starrte auf Hanjis nackten Oberkörper. Klein hin oder her, aber ansonsten waren sie perfekt. Gleich groß, straff und hell mit kleinen rosigen Brustwarzen. Es hätten auch die Brüste einer Zwanzigjährigen sein können. Abgesehen davon war Hanjis Oberkörper durchtrainiert und genau in dem Maße muskulös, dass es bei einer Frau attraktiv wirkte. Levi konnte verstehen, dass sie begehrt war und wenn sie sich damals anders kennengelernt hätten, wäre er wahrscheinlich auch mit ihr im Bett gelandet. „Du bist gemein für jemanden, der die Augen nicht von mir lassen kann“, grinste Hanji ihn belustigt an. Irgendetwas an ihrem Blick und dieser Situation ließ ein unnachgiebiges Kribbeln Levis Bauch hinaufsteigen. Er barg sein Gesicht in der Hand und schüttelte mit einem Schmunzeln auf den Lippen den Kopf. Ohne ein weiteres Wort überbrückte er den Abstand zwischen ihnen, packte Hanji am Handgelenk und zerrte sie durch die Wohnung zur nächsten Tür, wo er die überrumpelte Frau ruppig ins dunkle Treppenhaus schob. „Und du wunderst dich ernsthaft, warum ich es vermeide Zeit mit dir allein in einem Raum zu verbringen...“ Hanji fing sich wieder und brach in ansteckendes Gelächter aus. Sie versuchte vergeblich sich das Oberteil wieder anzuziehen und blieb mit dem Kopf stecken, was sie nur noch mehr glucksen ließ. Levi beobachte ihr Mühen kurzweilig, bevor er seufzte und beherzt eingriff. „Du bist so ein dummes Huhn.“ Sie hielt sich ruhig, als sie seine Finger an ihrem Kopf spürte, sodass er ihr problemlos das Oberteil überziehen konnte. Ein hochroter Kopf mit verschobener Brille und funkelnden Augen kam zum Vorschein. Mit strengem Blick schüttelte er den Kopf, als stünde er vor einem ungezogenen Kind und fasste nach Hanjis Brille, um sie ihr wieder gerade auf die Nase zu schieben. Sie nahm es mit einem sanften Lächeln zur Kenntnis und rückte das Gestell hinter ihrem Ohr zurecht, dann kehrte das freche Grinsen zurück. „Gib es zu, wenn du mich länger hättest ansehen müssen, wärest du über mich hergefallen, Levi-Schatzi.“ „Dafür hätte ich taub sein müssen. Spätestens dein Mundwerk zerstört jeden Funken Erotik.“ Sie schlug ihm spielerisch auf den Arm und wandte sich dann schwungvoll von ihm ab, wobei das Treppenhauslicht ausgelöst wurde. „Aaaber“, grinste Hanji fröhlich und zwinkerte ihm zu, „Ich habe dich aufgemuntert!“ Levi konnte gar nicht so schnell gucken, schon rauschte Hanji polternd und jubelnd die Stufen herunter. Vermutlich standen Erwin und Mike nun senkrecht in ihren Betten. Kopfschüttelnd schloss Levi die Tür und schnaubte belustigt, ein seltenes Lächeln auf den Lippen. Er drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Dabei fielen ihm die Akten der Rekruten auf. Die müsste er Hanji am Morgen bringen, jetzt hatte er keine Lust mehr dazu. Wer wusste schon, was ihr wieder einfallen würde, wenn er vor ihrer Tür stand. Levi schnaubte erneut. Hanji hatte ihn tatsächlich aufgemuntert und amüsiert. Immer noch hielt sich ein kleines Schmunzeln auf seinen Lippen und als er in der Nacht im Bett lag und an Hanjis Aktion zurückdachte, konnte er ein belustigtes Prusten nicht unterdrücken. „Diese dämliche Brillenschlange...“ *~* Es war überraschend den General-Leutnant am Montag plötzlich bei Hanji und Mike sitzen zu sehen, als ihnen der neue Fall ausgeteilt wurde. Levi hatte sie diese Einheit über lediglich morgens trainiert, sonst hatten sie ihn den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen. Zu Erens Bedauern hatte er Levi auch nicht mehr beim Schwimmen oder sonst außerhalb des Trainings getroffen, was ihn zugegebenermaßen enttäuscht hatte. Umso erdrückender wirkte seine Präsenz nun auf ihn und er musste sich schwer zusammenreißen, um konzentriert bei der Sache zu bleiben, doch spätestens bei der Diskussion über ihre Vorgehensweise hatte er sich zu sehr in den Einsatz vertieft, um von den Ausbildern Notiz zu nehmen. Ebenso bei der Einsatzsimulation am Nachmittag. Auch die folgenden Tage spielte Levi Beobachter. Nach Armins Meinung sollte der General-Leutnant wohl seine Einschätzung zu ihnen abgeben, damit Hanji und Mike ihre Bewertungen abschließen konnten. Kein sehr beruhigender Gedanke für Eren, der gekonnt verdrängt hatte, dass die Einheit fast vorbei war und am 31. März viele fliegen würden - hoffentlich ohne ihn. „Ähm, Leute?“, riss Connie ihn aus seinen brodelnden Gedanken und zeigte auf die Ausbilder vor ihnen, „Ist das Rivaille da in der Schurkenkluft?“ „Was?“, rief Jean entsetzt und folgte Connies Fingerzeig. Statt wie üblich drei Ausbildern, waren es nun vier und obwohl sie in schwarzen Overalls und Stoffmasken vor dem Eingang des Rohbaus standen, war Levi unschwer an seiner Statur zu identifizieren. „Fuck! Das ist er bestimmt“, fluchte Jean, „Warum will der mitmachen?“ „Keine Panik, was soll schon großartig anders werden“, versuchte Reiner sie zu beruhigen, erreichte jedoch das Gegenteil. „Was heißt hier keine Panik?!“, gestikulierte Connie, „Rivaille ist ein Elitesoldat! Er wird uns sicherlich mit Absicht fertig machen!“ „Die drei Anderen sind von der GSG9 beziehungsweise SEK, also auch nicht gerade Hampelmänner“, erwiderte Reiner gelassen. „Macht euch nicht in die Hose, ihr Feiglinge“, ertönte Annies Stimme hinter Reiner und Berthold. Sie schaute unbeeindruckt und gelangweilt wie immer drein. „Genau und außerdem bringt es nichts sich zu wundern. Unser Plan ist gut und wenn wir die Nerven behalten, wird schon alles gut gehen“, mischte sich Armin ein. „Du hast recht. Wir schaffen das schon. Wir sind gut“, lächelte Marco und warf dem zweifelnden Connie einen aufmunternden Blick zu. „Also los!“, forderte Reiner sie auf und schritt selbstbewusst voran. Heute sollten sie bei einer illegalen Geldübergabe die Täter festnehmen, wobei sie als Gebäude ein in Bau befindliches Einkaufszentrum am Rand Münchens als Einsatzgelände zur Verfügung gestellt bekommen hatten. „Okay, Rekruten“, trat Mike hervor, während die vier „Täter“ im Gebäude verschwanden, um sich zu positionieren, „Ihr werdet von diesem Eingang hier starten, ab da seid ihr wie immer auf euch gestellt. Ihr habt noch 182 Minuten aaab jetzt.“ Mike betätigte eine Stoppuhr und trat zur Seite. Der Einsatz begann. Sie zogen sich ihre Schutzhelme auf und machten sich bereit. Wie immer gab es zwei Fronten. Glücklicherweise konnten sie sich einigen, dass das eine Team nach seiner eigenen Vorgehensweise die zwei Hauptziele, gekennzeichnet mit einem roten und gelben Tuch am Oberarm, die sie möglichst „lebendig“ festsetzen sollten, und das andere Team sich um die Absicherung kümmern sollte. Heute würden sie das Gebäude sichern. „Hey, Anton“, rief Eren, bevor sie das Gebäude betraten dem Anführer des anderen Teams zu, „Falls Rivaille eines der Zielobjekte ist, erschieß ihn.“ „Was? Spinnst du, Jäger? Das gibt Abzüge“, blaffte Anton zurück. Er war kein schlechter Kerl, aber unheimlich von sich selbst überzeugt. „Wenn Rivaille in die Gänge kommt, wird er uns alle fertig machen.“ Eren hatte Levi bisher nur im Training erleben können, doch das reichte, um ihn einzuschätzen und wenn selbst Hanji sagte, er sei der beste Soldat, den sie je getroffen hatte, dann mussten sie verhindern, dass er eingriff. „Piss dich nicht an. Der kocht auch nur mit Wasser.“ „Mag sein, aber es ist kochend heiß“, meinte Eren ernst. „Ach was. Werden wir ja noch sehen“, winkte Anton abschätzig ab. Eren knirschte mit den Zähnen, schwieg jedoch. Es ging los. Sie drangen behutsam immer tiefer ins Gebäude vor. Das Kaufhaus war groß, verschachtelt und viele Gerüste erschwerten einen lautlosen Zugang - kurz: der reinste Alptraum. Sie konnten sich auf den Gerüsten überhalb eines Rondells positionieren und die Subjekte unter ihnen anvisieren. Alle Vier standen tatenlos herum, zwei unterhielten sich sogar, doch die Sicherheit war trügerisch. Zu allem Übel trug Levi ein gelbes Tuch um den linken Oberarm, das signalisierte, dass er einer der beiden Männer war, die sie unbedingt festnehmen sollten. Eren wusste, dass es unmöglich war, aber Anton und seine Leute waren dafür verantwortlich die Subjekte festzusetzen, während Eren mit Armin und ihren Freunden dafür zu sorgen hatte, dass sie dabei nicht erschossen wurden, sodass nicht mehr zu tun blieb, als zu hoffen, dass sie selbst mit Levi fertig wurden. Fünf Polizisten machten sich bereit auf die Subjekte zuzustürmen, drei weitere befestigten Seile an Gerüststangen, um von oben einzugreifen. Sie waren geschickt, schnell und koordiniert. Simultan schlugen sie los und die Hölle brach aus. Kaum wurden die Rekruten bemerkt, schossen die zwei Ausbilder auf sie, während die zwei restlichen Ausbilder nach den Verborgenen suchten und diese beschossen, um ihren Leuten Deckung zu geben. Levi traf alle Acht zielgenau mitten ins Gesicht und in die Brust. Trotz Schutzkleidung und Helme war der Aufprall hart und sie durften nicht weitermachen. Erens Kameraden schossen, doch sie trafen niemanden ohne sich selbst zu gefährden. Antons Leute versuchten anscheinend einen Plan B, doch sie waren zu langsam und konnten sich nicht neu formieren, verharrten an Ort und Stelle. Levi visierte einen der Rekruten in den Gerüsten an, Eren sah, dass er ihn treffen würde und keiner sonst den Rekruten retten konnte. Eigenmächtig nahm Eren Levi ins Fadenkreuz und zielte auf seine Brust. Hochkonzentriert legte er seinen Finger auf den Abzug, atmete ruhig aus und betätigte ihn. Eine Kugel schlug plötzlich neben seinem Kopf im Gerüst ein und er zuckte leicht zusammen, aber es reichte damit er sein Ziel verfehlte und direkt an Levis Brust vorbeischoss. Eren robbte sich etwas zurück, um nicht angeschossen zu werden, gleichzeitig stellte er fest, dass er nicht getroffen hatte und Levi ihn lokalisiert hatte. Obwohl die Maske der Ausbilder bloß einen Augenschlitz aufwiesen, sah Eren wie sich die stahlgrauen Augen hart und gefährlich auf ihn richteten. Eine unwillkürliche Welle der Furcht ließ Erens Magen absacken und er zog sich zügig zurück. Levi rannte in seine Richtung und sprang das Gerüst hinauf, hinter ihm her. „Vorsicht Eren! Auf 5 Uhr hat dich einer im Visier!“, brüllte Armin durch den Kommunikationschip in sein Ohr. „Keine Sorge, ich hab ihn“, sagte Sasha und ein Schuss ertönte. Im Augenwinkel sah Eren, wie sie einen Ausbilder in die linke Brust traf, direkt ins Herz. Eren rannte über das Gerüst und sprang auf einen Balken, drehte sich um und sah gerade noch, wie Levi zwei weitere Rekruten auf seinem Weg zu ihm niederschoss. Fuck, hallte es in Erens Gedanken wider, als er sich vom Balken eine Etage tiefer schwang. „Sasha und Connie haben noch einen Ausbilder erschossen“, rief Reiner euphorisch in sein Ohr. „Scheiße!“, fluchte Connie plötzlich in sein Ohr und Eren sah ihn an dem Gerüst gegenüber baumeln, „Rivaille hat mich am Kopf getroffen, bin draußen.“ „Alles ok?“, fragte Eren, sah jedoch, wie sich Connie sicher hochzog und auf dem Gerüst sitzen blieb. „Rückzug! Rückzug!“, brüllte Armin in sein Ohr, „Rauf ins zweite Stockwerk, zum Brunnen!“ Ohne zu zögern rannten sie zurück und schwangen sich von den Gerüsten zu Boden. Eren wagte nicht sich umzudrehen, sondern beeilte sich in Sicherheit zu kommen. „Wir sind alleine“, versicherte Berthold, der sie nach hinten absicherte, als sie die Treppen hoch sprinteten. „Fuck!“, fluchte Anton und riss sich den Schutzhelm vom Kopf, „Das ist alles deine Schuld, Jäger! Warum hast du dich eingemischt?!“ Stocksauer stakste Anton auf ihn zu und packte ihn grob vorne an der Schutzweste. „Ich hab dir deinen Arsch gerettet, Huber. Rivaille hätte euch alle fertig gemacht“, knurrte Eren wütend. „Das stimmt, Anton. Er hat mich quasi gerettet“, beschwichtigte Stefanos Gekas, einer von Antons Leuten, woraufhin Eren losgelassen wurde. Schnaubend spuckte Anton auf den Boden und wandte sich ab. „Wir sind nur noch zu sechzehnt“, stellte Armin fest, „Wenn wir das Ruder noch rumreißen wollen, müssen wir Rivaille erschießen. Es reicht, wenn wir den anderen festnehmen.“ „Das hab ich doch schon von Anfang an gesagt“, beschwerte sich Eren. „Schnauze, wir haben keine Zeit für sowas“, fauchte Jean, „Wir könnten jeden Augenblick angegriffen werden.“ „Hört mir zu, ich habe eine Idee“, begann Armin und erklärte ihre neue Vorgehensweise. Diesmal zogen Anton und seine drei übrig gebliebenen Leute mit. *~* Eigentlich hatte Levi gedacht, es wäre amüsant die Bälger fertig zu machen und sie mit Farbkugeln abzuschießen, aber mittlerweile war er angepisst. Der andere Ausbilder, Hoffmann, lief hinter ihm her und labberte auf ihn ein, dass er sich gefährdet hatte, als er einem der Rekruten hinterhergejagt hatte. Gefährdet. Am Arsch. Der Schwachkopf hatte keine Ahnung durch welchen Kugelhagel er bereits hatte durchmüssen. Levi mochte zwar zu gewagten Manövern neigen, doch das lag daran, dass Dritte nicht nachvollziehen konnten, was er konnte und was nicht. Er wäre längst tot, hätte er nicht schon als Kind gelernt seine Fähigkeiten richtig einzuschätzen. Umso mehr ärgerte er sich, dass er den einen Schützen zu spät bemerkt hatte. Er hätte ihn beinahe getroffen und das aus bloßer Arroganz seinerseits, weil er gesehen hatte, wie verschreckt die Rekruten auf seine präzisen Schüsse reagiert hatten. Das würde ihm nicht noch einmal passieren. Immerhin hatte er sie in die Flucht geschlagen und nun würde er sie suchen und jeden Einzelnen ausknipsen. Er entsicherte seine Waffe, als sie in einen unübersichtlichen Bereich des Rohbaus kamen. Links und rechts reihten sich Geschäfte eine Passage entlang, Gerüste erschwerten den Überblick. Es wäre ein guter Ort, um auf sie zuzugreifen. Levi blickte nach oben. An der Decke befanden sich Balken, an denen man sich hinab schwingen konnte. Er schnaubte wenig begeistert. Seine Lust in diese offensichtliche Falle zu latschten, hielt sich in Grenzen. „Hey, Hoffmann. Halt mir den Rücken frei“, befahl Levi, was dem hochrangigen Polizisten, der eine solche Umgangsweise ungern über sich ergehen ließ, hinter ihm sauer aufstieß. Desinteressiert sprintete Levi plötzlich los und warf sich mit den Beinen voran unter eines der Gerüste, welches mit einer Plane soweit verdeckt war, dass man ihn darunter nicht anvisieren konnte. Er kroch dort entlang, sprang hervor und schmiss sich hinter eine Säule. Es blieb ruhig. Er drang weiter vor bis die Passage zu Ende war und sich vor ihm ein Rondell mit einem unfertigen Brunnen präsentierte. Levi hatte sich den Gebäudeplan eingeprägt und wusste, an welchen Stellen sich ein Zugriff anbot, sodass er schnurgerade in eine weitere Passage ging. Ein Schrei ließ Levi sich umdrehen und er sah, dass Hoffmann von zwei Rekruten überwältigt wurde. Er schoss ohne zu zögern und präzise. Allerdings traf er beide Rekruten bloß am Oberkörper, da er sich rasant um die eigene Achse drehen musste, um zwei weitere Rekruten zu erschießen, die seine Ablenkung ausgenutzt hatten. Levi kletterte auf eines der Gerüste bis unter die Decke, wo er zumindest von oben und unten nicht erwischt werden konnte. Er gab Hoffmann Feuerschutz so gut er konnte, doch der Trottel war die Inkompetenz in Person, sodass Levi ihn nicht mehr schützen konnte, als er selbst wieder angegriffen wurde. Sie schossen Hoffmann ab, dann wurde es verdächtig still. Sie heckten etwas aus. Wenn Levi richtig gezählt hatte, müssten noch zehn Rekruten übrig sein, minus die, die Hoffmann vielleicht noch erwischt hatte. Es war das reinste Ballerspiel und ziemlich lächerlich. Sie hatten nicht genug Respekt vorm Spieltod, da musste Levi sich noch etwas einfallen lassen, wenn er mit den Bälgern Einsätze einübte. Unangenehme Konsequenzen. Er hörte jemanden unter sich und ahnte bereits, was sie vorhatten. Sie lösten die Stangen aus ihren Verankerungen, sodass das Gerüst mit ihm drauf abstürzte. Kraftvoll stieß er sich vom Gerüstboden ab und rollte sich über den Boden, schoss wild um sich, verschreckte planmäßig seine Gegner und traf außerplanmäßig einen in der Brust und einen an der Schulter - der zwar weitermachen durfte, aber da die Schulter nicht so gut gepolstert war zu lange vor Schmerz erstarrte, sodass Levi einen Kopfschuss nachsetzen konnte. Mutig schlitterte ein Rekrut vor seine Füße, um ihn zu Fall zu bringen. Wie eine Gazelle sprang er über ihn und schoss ihm ins Gesicht und einem anderen in die Brust. Sie hatten keine Ahnung, wie sie ihn aufhalten sollten. Levi rannte aus der Passage und verbarg sich hinter der Säule einer Halle. Langsam ging ihm die Geduld aus. Und die Munition, wie er feststellte, als in die Säule geschossen wurde und er nicht erwidern konnte. Die Farbpatrone war leer und er hatte keinen Ersatz. Soviel zu Mikes Zusicherung, dass er sie schon nicht leer bekommen würde. Von wegen. Also wartete er. Nach einiger Zeit hörte er, wie sich Schritte näherten. Vermutlich wollte ihn einer von links und einer von rechts angreifen, während der Rest versuchte ihn zu erschießen. Der Zugriff erfolgte plötzlich und simultan. Levi gelang es dennoch dem einen mit der Waffe eine überzuziehen und dem anderen den Arm zu verdrehen und ihn als Schutzschild zu benutzen, sodass niemand wagte auf ihn zu zielen. Die Person in seinem Griff war leicht und kräftig, definitiv weiblich. Das konnte nur Annie Leonhardt sein, ein Grund mehr sich zu beeilen aus der Schusslinie zu kommen und die Frau loszuwerden. Gegen seine Kraft konnte sie nicht viel ausrichten, aber sie war flink und ein wahres Miststück im Nahkampf. Sie würde jeden Strohhalm ergreifen, um ihn fertig zu machen. Beim Training hatte sie ihm bereits in die Eier getreten und er war nicht sonderlich erpicht darauf diese Erfahrung zu wiederholen. Annie begann sich zunehmend in seinem Griff zu winden, sodass er ihr kurzum mit der Handkante auf den Hals schlug. Sie sackte bewusstlos in seinen Armen zusammen. Das war der Moment, in dem er von hinten angegriffen wurde. Der Kerl, den er zuvor niedergeschlagen hatte, hatte sich erholt und zielte mit der Waffe auf ihn. Gerade so rechtzeitig, konnte Levi sich so drehen, dass weder die Schützen von vorne, noch der Angreifer schießen konnten, ohne seine Geisel zu gefährden. Der Angreifer war jedoch nicht auf den Kopf gefallen und stürmte ohne erkennbares Zögern auf ihn zu, wobei er seine Waffe fallen ließ. Im ersten Moment war Levi perplex, erkannte dann jedoch, dass der Angreifer wohl vermeiden wollte von ihm entwaffnet zu werden. In dieser Situation gar nicht dumm. Das funktionierte natürlich nur, weil sie sich kannten, andernfalls wäre es unmöglich seine Waffe zurückzulassen. Noch ein Punkt, den Levi mit den Rekruten behandeln müsste. Levi sah es zwar kommen, begeistert war er jedoch nicht, als sein Angreifer mit voller Wucht in ihn hineinlief. Er versuchte zwar noch Annie als Schutzschild vor sich zu halten, aber der Rekrut war geschickt genug, um ihn am Genick zu packen und ihn schwungvoll zur Seite und zu Boden zu reißen. Levi ließ Annie los, in dem Bewusstsein, dass nicht auf ihn geschossen werden würde, solange die anderen ihm so nah waren. Zu seiner Überraschung tat sein Angreifer das einzig Richtige in dieser Situation. Er packte Annie unter den Achseln und zog sie von ihm weg. Natürlich konnte Levi nun fliehen, bevor wieder auf ihn geschossen wurde. Aber erstens war er mit der Geduld am Ende und zweitens war er sauer. Er stieß sich vom Boden ab und rammte sich mit den Armen vorm Kopf und den Ellenbogen voran in den Bauch des Rekruten, der Annie rechtzeitig losgelassen hatte, um sie aus der Gefahrenzone zu halten. Obwohl Levi ihn umgerissen hatte, rappelte er sich schnell auf und stellte sich vor Annie. Doch als er erkannte, dass Levi erneut angreifen würde und er mit Annie nicht fliehen konnte, stellte er sich ihm. Das erfüllte Levi mit kribbelnder Kampfeslust. Der Rekrut wagte nicht den ersten Zug zu machen. Levi holte aus und schlug mit der linken Faust nach ihm, als er sich entsprechend duckte, trat er dem Rekrut mit dem Fuß in den Bauch. Geistesgegenwärtig griff der Rekrut nach seinem Fußgelenk, federte den Schlag ab und brachte Levi aus dem Gleichgewicht. Flink drehte er sich und ließ sich fallen, drückte sich mit den Händen am Boden ab und wandte sich aus den Händen des Rekruten. Dann warf sich Levi auf den Rekruten, der zur Seite sprang, jedoch nicht weit genug, sodass Levi seinen Arm zu fassen bekam und ihn herumriss. Der Rekrut schlug ihm gekonnt in den Solarplexus, sodass Levi der Atem wegblieb und ihm schwindlig wurde. Um nicht die Kontrolle zu verlieren, packte er den Arm des Rekruten noch fester, drehte sich an dessen Seite und warf ihn schwungvoll über seine Schulter zu Boden, ließ ihn jedoch nicht los, sondern hielt ihn weiterhin fest, um eigentlich weiterzumachen. Doch ein knackendes Geräusch und ein wütender Schmerzschrei ließ ihn inne halten. „Eren?“ Überrascht blickte Levi auf den vor ihm auf dem Boden liegenden Rekruten, ihm dämmerte erst jetzt, dass ihm die Bewegungen eher hätten verraten müssen gegen wen er kämpfte. Prompt wurde Levis Unaufmerksamkeit ausgenutzt und er erschossen. Er hatte für den Schützen bloß einen strafenden Blick übrig und sah wieder zu Eren hinab, der sich aufrappelte und fluchend den linken Arm hielt. „Eren!“, rief Armin und rannte zu ihnen, wobei er den Helm absetzte, „Hast du dir den Arm gebrochen?“ „Nein, denke nicht“, presste Eren hervor und ließ sich von Armin den Schutzhelm ausziehen. Unterdessen kümmerte sich Berthold mit Historia um die langsam zu sich kommende Annie und Ymir stakste selbstsicher und mit schadenfrohen Augen zu Eren hinüber. „Sah echt toll aus, wie du geflogen bist. Wie ein kleines Fuchsbaby.“ „Fick dich“, fluchte Eren, was Ymir auflachen ließ. „Ymir“, schalt Armin sie, woraufhin sie sich schulterzuckend abwandte und zu den anderen ging. Kaum ging Levi einen Schritt vor, um Erens Schulter zu kontrollieren, hörte er auch schon Hanji zu ihnen laufen. „Was ist denn hier passiert? Mike, geh du zu Annie“, befahl sie und ging absichtlich nah an Levi vorbei und warf ihm einen zurechtweisenden Blick zu, ehe sie sich vor Eren kniete. Levi wandte den Kopf trotzig ab und riss sich die Maske vom Kopf. „Lass mal ansehen“, forderte sie sanftmütig und tastete vorsichtig Erens Schulter ab, „Wir müssen deine Jacke ausziehen.“ Behutsam und mit Armins Hilfe zog sie ihm die gepolsterte Einsatzjacke aus, was Eren zischend und mit schmerzverzerrtem Gesicht über sich ergehen ließ. Hanji betrachtete seinen Arm fachmännisch und grinste ihn dann aufmunternd an. „Ist nur eine Schulterluxation. Einbügeln und fixieren, dann wirst du morgen nichts mehr davon spüren.“ Eren sah mit großen Augen in ihr euphorisches Gesicht. „Okay. Danke, Generaloberstabsärztin Zoë.“ Es war Levi ein Rätsel, wie die Leute sie immer mit vollem Titel anreden konnten. Er hätte vergessen, was er sagen wollte, bevor er das ganze Wort herausbrächte. Im nächsten Moment lagen Hanjis Augen auf ihm. Ihre Lippen waren zu einem breiten Grinsen auseinander gezogen, doch in ihren Augen spiegelte sich Ernst und eine Mahnung. Er hasste es, so von ihr angesehen zu werden. „Levi wird mit dir zu meinem Auto gehen, während wir hier aufräumen, und sich um deine Schulter kümmern.“ Levi starrte sie wenig erfreut an und stellte zu seinem Verdruss fest, dass Eren noch viel weniger erfreut von dieser Aussicht war. „Levi kann das genauso gut wie ich“, versicherte sie Eren und ließ es gar nicht erst zu Widerworten kommen. Dann wandte sie sich ihm zu und drückte ihm ihren Autoschlüssel in die Hand. „Der Arztkoffer ist hinten. Da ist alles drin, was du brauchst.“ Mit diesen Worten ließ sie sie stehen und ging zu Mike und Annie, die schon wieder stand und fit wirkte. Er hatte ja auch nicht sonderlich fest zugeschlagen, eigentlich hätte sie nur benommen sein müssen. Er sah wieder zu Eren, dem Armin aufmunternd auf die gesunde Schulter tappte und sich vorläufig verabschiedete. „Kannst du aufstehen?“, fragte Levi zugegebenermaßen ziemlich ruppig und kassierte prompt einen hitzigen Blick und ein trotziges Schnauben, als Eren sich hochhievte und ihm mit zusammengezogenen Augenbrauen folgte. Klar, er war erfahren genug und hätte besser aufpassen müssen, als er ihn hingeworfen hatte, aber Levi fühlte sich deswegen nicht schuldig. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er ihm so schnell den Arm auskugeln könnte und sie waren nicht zum Spaß hier. Wer mit Samthandschuhen angefasst werden wollte, musste sich einen anderen Beruf suchen. Levi ging zielstrebig aus dem Gebäude hinaus, ab da wurde es kompliziert. Er war mit den anderen Ausbildern gekommen, wusste nicht wo Hanji geparkt hatte und nach seiner Erfahrung hatte sie sich sicherlich wieder etwas besonderes ausgedacht. Genervt sah er sich um. „Warte hier. Ich suche das Auto.“ Levi lief los und suchte den Parkplatz ab. Er fand Hanjis Sanitätswagen hinter großen Bauschuttcontainern versteckt. Er stieg ein, bemüht den Staub und die ganzen Papiere auf dem Beifahrersitz zu ignorieren, und fuhr zu Eren, welcher immer noch ziemlich angepisst dreinschaute. Er stellte sich vor ihn hin, stieg aus und öffnete die Heckklappe. Der Arztkoffer war im Grunde Beiwerk, da der Sanitätswagen zur Genüge ausgerüstet war, doch Hanji schleppte den abgenutzten, mehrfach geflickten Koffer überall hin. Das Teil hatte sogar den Krieg überlebt und nur der neue Lederbezug verdeckte alte Blutflecken und tausende Erinnerungen. Levi hatte keinen Sinn für derartige Nostalgie. Er klappte Hanjis Heiligtum auf und suchte sich die richtige Spritze heraus und zog Handschuhe an. „Ich werde dir als erstes ein Lokalanästhetikum spritzen“, erklärte er, als Eren neben ihn gekommen war. Levi bedeutete ihm sich hinzusetzen. Eren trug noch ein eng anliegendes Shirt, das störte. „Halt mal, ich muss das Oberteil zerschneiden.“ Mit diesen Worten drückte er ihm die aufgezogene Spritze in die Hand und nahm sich eine Schere, um den Ärmel behutsam abzuschneiden. Eren zuckte etwas und biss die Zähne zusammen, schwieg jedoch eisern weiter. Nachdem er die Schulter völlig freigeschnitten und desinfiziert hatte, nahm er die Spritze und betäubte die Schulter. „Da fällt mir ein, du bist nicht auf irgendwas allergisch, oder?“ „Das fragen Sie mich erst jetzt?“ Eren blickte ihm zum ersten Mal in die Augen. Er war aufgebracht. „Ich hab deine Akte nicht gelesen.“ Levi dachte sich nichts dabei. Hanji hätte ihm von einer Unverträglichkeit erzählt und wenn Eren eine allergische Reaktion gezeigt hätte, würde er hier schon das richtige Gegenmittel finden. „Immer noch nicht? Sollten das Vorgesetzte nicht tun?“ Erens Tonfall verärgerte Levi. „Warum so eingeschnappt, Balg? Verkraftest du's nicht, wenn du mal einstecken musst?“ Eren sah ihn mit großen Augen an, deutlich überrascht, trotz der steten Wut in ihnen. „Ich bin nicht böse auf Sie, wenn Sie das meinen. Mich kotzt nur die ganze Situation an. Ich hab den anderen gesagt, dass wir Sie sofort erschießen müssen.“ Erkennend neigte Levi den Kopf. „Du warst der Schütze, der mich fast in die Brust getroffen hätte.“ Eren nickte missmutig, ehe er in einer nervösen Geste auf seine Unterlippe biss. Anscheinend hatte sich plötzlich eine gewisse Verlegenheit eingeschlichen. Belustigt davon schmunzelte Levi und holte eine weitere Spritze aus dem Koffer, zusammen mit einem Beißgummi. Eren beobachtete ihn verwundert dabei. „Was ist so komisch?“ „Du bist so ein dämliches Gör.“ „W-Wie bitte? Sie haben mir den Arm ausgekugelt, ich habe Schmerzen und Sie beleidigen mich? What the fuck?“, regte sich Eren auf, sichtlich rot vor Empörung, Scham und Schmerz. Levi schnaubte belustigt und spritzte ein schmerzstillendes Mittel in Erens Arm, nachdem er die Einstichstelle ebenfalls desinfiziert hatte. „Ich habe heute viel über euch Hosenscheißer gelernt und einige Ideen, was wir in der nächsten Einheit üben werden.“ Es würde nervenaufreibend werden, aber ein bisschen freute sich Levi dennoch darauf. „Ich renke jetzt deine Schulter ein, also nimm das Beißgummi in den Mund und versuch dich nicht unnötig zu verkrampfen.“ Eren schenkte ihm einen zweifelnden Blick und tat wie geheißen. Levi packte und drehte Erens Arm so schnell wieder ins Gelenk, dass er kaum Zeit hatte sich leid zu tun oder gar zu schreien. Ein peinvolles Stöhnen, war alles wofür ihm Zeit blieb, ehe er unterdrückt und mit stickiger Stimme fluchte. „Schon vorbei. Ich werde den Arm fixieren und Hanji wird den Arm vielleicht noch tomographieren. Keine Ahnung.“ Eren ließ seine Augen noch zugekniffen, als er vorsichtig damit begann eine Schlinge um Erens Arm und Schulter zu binden. Eren stöhnte erneut, öffnete dann jedoch die Augen und nahm das Gummi aus seinem Mund. Deutliche Einkerbungen zeigten wie hart er draufgebissen hatte. „Normalerweise dürfte morgen nichts mehr weh tun.“ Prüfend betrachtete Eren seinen Arm und atmete tief durch. „Danke.“ Levi nahm es zur Kenntnis und stieg ins Auto, um die gebrauchten Spritzen, Handschuhe und Wattepads wegzuschmeißen. Das Beißgummi warf er mit spitzen Fingern in das Miniaturspülbecken. Sollte Hanji es sachgemäß aufräumen. Anschließend desinfizierte und trocknete er seine eigenen Hände. „Um nochmal auf die Akten zurückzukommen“, fiel Levi wieder ein und stellte klar, „Ich habe bereits gesagt, dass ich mir mein eigenes Bild mache, außerdem werden die medizinischen Tests nach dieser Einheit nochmal routinemäßig wiederholt und mir vorgelegt. Dementsprechend muss ich deine Akte nicht ansehen. Ich weiß alles, was ich wissen muss.“ Eren schien über seine Worte nachzudenken, dann wandte er seinen Kopf ruckartig ihm zu. „Dann muss auch ich die medizinischen Test nochmal machen“, hakte Eren nach, unterschwellige Aufregung mitschwingend. „Red' ich Suaheli?“ Dann begriff er. „Oh, da hab ich wohl zuviel verraten, huh?“ Schulterzuckend schloss Levi den Arztkoffer und stellte ihn zurück. Eren starrte ihn ungläubig und mit vorsichtiger Freude an. „H-Heißt das, ich bin weiter? I-Ich hab bestanden? Die Psycho-Tests?“ Es faszinierte Levi wie ein erwachsener Mann so gucken konnte. Er musste als Kind der Horror gewesen sein. „Du schaust wie ein Welpe, dem man sein Lieblingsspielzeug vor die Nase hält. Hör' auf damit, das ist peinlich“, schnaubte Levi erheitert. Es war klar, dass Eren das unabsichtlich machte. Noch schlimmer. Eren blinzelte verwirrt und die Verlegenheit erreichte nun auch seine Augen. Er musste sich sichtlich bemühen den Blick zu halten. „Das wäre nur so...whaa!“ Übermütig wippte Eren zur Seite, woraufhin er sich in nächster Sekunde zischend an die Schulter fasste. „Hanji färbt wohl ab“, bemerkte Levi trocken, doch die Freude des Jungen war ansteckend, „Freu dich nicht zu früh, die nächste Einheit wird die Hölle.“ Nichtsdestotrotz funkelte Eren ihn froh an. „Ist Armin auch weiter?“, fiel ihm plötzlich ein und Besorgnis spiegelte sich in seinem Gesicht, „Ich weiß, Sie dürfen nichts sagen, aber ich würde nichts verraten oder so...“ „Alle die am Schluss noch gelebt haben, bleiben. Hanji hat es mir Sonntag Abend erzählt, deswegen sehe ich kein Problem darin dir soviel zu verraten. Mehr allerdings auch nicht.“ „Vielen Dank, Levi“, strahlte Eren und für einen Moment wunderte sich Levi, ob es so gut gewesen war dem Balg zu erlauben ihn beim Vornamen zu nennen... *** „Und? Was sagst du zu ihnen?“, wollte Hanji lautstark wissen, als sie in den Gemeinschaftsraum am selben Abend polterte, sodass Levi genervt zusammenzuckte, als er aus der Pokerpartie mit Erwin und Mike aufgeschreckt wurde. „Schrei nicht so, Weib! Ich höre ausgezeichnet“, knurrte er sie an und legte die Karten verdeckt auf den Tisch. Mike und Erwin taten es ihm gleich. Es wäre unmöglich das Spiel fortzusetzen solange Hanji etwas wollte. Schwungvoll schmiss sie sich auf den Sessel neben ihm. „Los, sag schon!“ Levi warf ihr einen schmutzigen Blick zu, ehe er nachgab. „Die einen sind scheiße, die anderen beschissen.“ „Ich glaub, das musst du konkretisieren“, grinste Mike erheitert, während Erwin abwartend zu ihnen schaute. „Aaaalso denkst du, dass du die scheiß Leute hinbiegst?“ Erwin und Mike starrten Hanji an. Scheinbar hatten sie immer noch nicht begriffen, dass ihre Gehirne in mancherlei Hinsicht verstörend synchron liefen. „Natürlich“, erwiderte Levi zufrieden. „Wunderbar!“, jubelte Hanji und klatschte in die Hände. Dann wurde sie abrupt ernst. „Es wäre nur gut, wenn du niemanden verletzt. Wir brauchen die Rekruten fit.“ „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Jäger so ein Porzellanpüppchen ist“, wehrte Levi ab und erwiderte den strengen Blick. „Dir war von seinem Schlag schwindlig und deswegen hast du zu spät losgelassen“, erklärte Hanji, was Levi durchaus bewusst war, „Es ist keine Kritik, ich will nur sagen, dass du in dieser Situation einfach eher nachgeben solltest. Sein Arm ist unbeschädigt, aber mit deiner Kraft kannst du sogar Knochen brechen und sowas können wir nicht gebrauchen.“ „Das weiß ich selbst“, verdeutlichte er ihr in tiefer Tonlage und einem missbilligenden Blick. Er brauchte keinen Moralapostel und Hanji müsste das eigentlich wissen. Ihr Misstrauen kränkte ihn. „Ich weiß“, lächelte Hanji ihn zuversichtlich an, ganz klar ein Versuch ihm die Anspannung wieder zu nehmen, doch es misslang natürlich. „Wir können die Rekruten nicht in Watte packen“, meldete sich Erwin plötzlich mit gefasstem Entschluss zu Wort, „Natürlich sollten Verletzungen vermieden werden, aber ich denke, dass eine etwas rauere Umgangsart jetzt genau das Richtige ist.“ „Also ist es okay, wenn ich die nächsten Monate Gelenke einrenke und Extremitäten eingipse?“, brauste Hanji ungläubig auf. Auch Levi bedachte ihn mit zweifelndem Blick. „Wir haben noch drei Monate bis die Ausbildung abgeschlossen ist, neun bis sie in autonome Einsätze geschickt werden. Wir können uns weder einen Fehlschlag des Projekts erlauben, noch dass Levi da draußen sich nicht hundertprozentig auf seine Leute verlassen kann. Also tu, was du willst, Levi.“ Verblüfft versuchte Levi in Erwins Augen zu lesen. Natürlich hatte Erwin mehr im Sinn als er zu erkennen gab. Diese forsche Aussage kam nicht von ferner liefen. Irgendetwas heckte dieser Mistkerl wieder aus. „Ein Blanko-Scheck, huh? Das wäre gar nicht nötig gewesen.“ Erwin, der sich mit Hanji ein Blickduell geliefert hatte, sah zu ihm. „Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, die diese Rekruten herausragend machen.“ Die Ernsthaftigkeit Erwins ließ sie alle kurz inne halten. „Was verheimlichst du uns wieder, Erwin?“, sprach Mike als erstes und betrachtete seinen Freund genau. „Nichts, was sich nicht aus dem Tagesgeschehen erschließen würde“, erwiderte Erwin knapp. „Keine Informationen darüber hinausgehend?“, hakte Mike trotzdem nach, was ihm ein klares „Nein“ von Erwin einbrachte. „Das sind gefährliche Zeiten“, betonte Erwin und redete sich heiß, „In Afrika erheben sich die Menschenrechtler, die russisch-chinesische Allianz ist unkooperativ bezüglich der Friedenskorps und die U.S.A. konnten immer noch kein Wirtschaftsabkommen mit Brasilien und Argentinien schließen. Die Welt ist in Unruhe und von den zahlreichen radikalen Organisationen brauche ich gar nicht anfangen. Wir sitzen in einem Wespennest und die V.S.E. kneifen taub die Augen zu und gebärden sich als ginge es sie nichts an. Nur weil der dritte Weltkrieg 63 Jahre her ist, sind sie davon überzeugt, dass das System funktioniert.“ „Danke für die Geschichtsstunde, aber die Zeiten waren immer gefährlich und das Volk immer dumm“, sagte Levi unbeeindruckt und kassierte dafür einen scharfen Blick von Erwin, „Das wird sich auch nie ändern. Wir können nur unseren Job machen und die Arschlöcher davor bewahren unterzugehen, bevor wir untergehen.“ „Ich weiß dann gar nicht, worüber wir hier reden“, stellte Erwin mit harter Stimme fest. „Entspannt euch!“, seufzte Hanji tief auf, den Kopf in den Nacken legend und streckte Arme und Beine von sich, „Wir sind Kriegsveteranen. Wir haben die Hölle überlebt und arbeiten weiter. Wir schaffen alles, solange wir zusammenarbeiten.“ „Das war das Wort zum Freitag“, nickte Mike und nahm die Karten auf, „Lasst uns weiterspielen.“ „Hanji kann für mich einspringen. Ich geh' ins Bett.“ Mental etwas angeschlagen stand Levi auf. „Yaaay“, jubelte sie und warf sich auf seinen Platz, „Ich hoffe, dass dein Blatt was taugt.“ Er schwieg und schlenderte mit gezücktem Mittelfinger aus dem Raum. *** Als Levi diese Nacht im Bett lag, dachte er noch lange über Erwins Worte und die Rekruten nach. Die gesellschafts-politische Lage war angespannt, da es einfach zu viele Menschen gab und nur derjenige mit der größten Wirtschaftskraft sein Volk ernähren konnte. Das war nichts Neues und wohl nicht der Grund für Erwins Unruhe. Wahrscheinlich saß ihm die Regierung im Nacken, nachdem Erwin die anderen Ausbilder zu Levis Gunsten ausgetauscht beziehungsweise rausgeschmissen hatte. Außer natürlich Erwin verheimlichte doch etwas und es gab noch viel konkretere Terrordrohungen als der Presse bekannt waren, aber wieso sollte Erwin ihnen das verheimlichen? Die Rekruten hingegen waren tatsächlich brauchbar. Levi konnte sich einen guten Eindruck verschaffen, vor allem seine eigene Teilnahme hatte ihm großen Aufschluss gegeben. Er verstand Hanjis Auswahl und war gespannt darauf, wie gut er die Übrigen bekommen konnte. Eren spukte ihm dabei am meisten im Kopf herum. Der Mistkerl hatte ihn tatsächlich von Anfang an eliminieren wollen, obwohl das Tuch an seinem Arm signalisierte, dass er am besten gefangen zu nehmen sei. Es war eine gleichsam kluge wie dumme Entscheidung. Klug, weil Levi am Gefährlichsten gewesen war und sie die Mission leichter hätten erfüllen können. Dumm, weil sie so ein Vorgehen auf lange Sicht zu nichts brachte. Sie würden ihre zukünftigen Gegner nicht kennen oder zumindest nicht so gut. Sie würden nicht lernen mit unerwarteten Schwierigkeiten zurechtzukommen. Dafür musste Levi nun sorgen. Ansonsten gefiel ihm Erens Vorgehensweise. Er hatte seine Kameradin beschützt und sich ihm mutig gestellt. Levi musste ihm noch sehr viel beibringen, damit hatte Hanji recht, aber er war zuversichtlich. Er würde diesen Haufen schon hinbiegen und den Rest ausmustern. „Hn“, schnaubte Levi erheitert, als er an Erens Reaktion auf die Nachricht, dass er den letzten Ausbildungsabschnitt erreichen würde, dachte. Levi drehte sich tief durchatmend auf die Seite und rollte sich zusammen. Was für ein hitzköpfiges Balg. *~* Glücklicherweise waren alle zu abgelenkt, um sich an seinen Geburtstag zu erinnern, sodass ihm niemand außer Armin gratulierte. Eren mochte es nicht wegen sowas im Mittelpunkt zu stehen. Im Grunde stand er generell nicht gern im Mittelpunkt, was man bei seiner Art kaum vermuten würde. Wahrscheinlich lag das daran, dass er kein Mitläufer war und öfters gegen den Strom schwamm. Sowas zog Aufmerksamkeit auf sich. Umso mehr freute er sich auf das Ende des Tages. Es war der letzte Tag der 5. Einheit und Morgen würden sie die Ergebnisse erhalten und einige das Gelände verlassen müssen. Wie Eren erfahren durfte, würden Armin und er auf jeden Fall weiterkommen, weswegen er der ganzen Sache gelassen entgegenblickte. Da sie Morgen frei haben würden, saßen sie etwas länger als sonst in der Mensa und unterhielten sich. Keiner wusste, ob er noch eine weitere Nacht hier verbringen würde. „Also so lustig ist es also echt nicht, dass ich aus Sachsen komme“, jammerte Connie, während die anderen ihn auslachten und versuchten den Dialekt nachzumachen. „Ihr seid solche Arschlöcher!“, regte er sich weiter auf, „Ich hätte es euch nicht sagen sollen, ihr Wichser!“ „Ach komm schon! Das ist doch nicht böse gemeint“, versicherte ihm Reiner mit einem freundschaftlichen Grinsen und klopfte ihm bestätigend auf die Schulter. Murrend schüttelte Connie Reiners Pranke ab und verschränkte demonstrativ beleidigt die Arme vor der Brust. „Ihr könnt mich mal“, murmelte er vor sich hin. „Hey Sasha! Wo genau kommst du eigentlich her?“, verlangte Ymir plötzlich zu wissen. Sie war eine große schlanke Frau mit braunen Haaren und Sommersprossen, die ziemlich rau und unverschämt mit ihnen umging. „Aus Stavanger in Norwegen“, erwiderte sie mit vollem Mund, wobei sich Chipsbrösel in ihren Mundwinkeln sammelten. „Da warst du zuletzt, hast du gesagt, aber geboren bist du doch woanders?“, fragte Jean neugierig nach. Sasha leckte sich über die Lippen und schluckte, ehe sie nickte. „Ich stamme aus einem Jägerdorf weiter im Norden.“ „Noch nördlicher?“ Jean fröstelte es bei dem Gedanken sichtlich. „Bist du deswegen so eine gute Schützin? Weil du von klein auf das Jagdhandwerk erlernt hast?“, ertönte nun Historias geschmeidige, feine Stimme. Sie wohnte mit Ymir zusammen und war ihr komplettes Gegenteil. Klein, zierlich, blond und ein wahrer niedlicher Engel. „Genau. Ich hab mit fünf mein erstes Wild erlegt.“ Die Erinnerung daran brachte Sashas Augen zum Funkeln, was von ihnen mit einem verstörten Blick zur Kenntnis genommen wurde. „Psycho“, sprach Ymir aus, was den meisten wohl durch den Kopf geschossen war. Entgeistert sah Sasha auf und in Ymirs Augen: „W-Was?“ „Ymir! Wie kannst du sowas sagen? Du weißt doch nicht, wie die Leute dort leben“, keuchte Historia verlegen auf und zupfte vorwurfsvoll an Ymirs Ärmel. „Ach, du bist so süß“, quietschte Ymir und packte das neben ihr sitzende Mädchen schwungvoll und schloss sie in die Arme, was Historia ein überraschtes Schnaufen entlockte. Das war der einzige Moment, in dem das Grinsen auf Ymirs Lippen ehrlich gutmütig war. Eren verstand nicht, wie eine so zarte Person wie Historia mit Ymir zurechtkam und sie sich auch noch so innig angefreundet hatten. Es gab bereits Gerüchte, ob sie nicht ein Paar wären. Von Ymirs Seite bestünden da keine Zweifel, aber Historia schien weder lesbisch noch an mehr als Freundschaft interessiert zu sein. Aber was wusste man schon von fremden Beziehungen? „Und wie bist du dann zur Polizei gekommen? Du bist doch Scharfschützin geworden?“, fragte Connie interessiert nach, was die Aufmerksamkeit wieder auf Sasha lenkte. Sie lächelte, nachdem sie runtergeschluckt hatte. Die Erinnerung schien sie zu freuen, obwohl ihre Augen eine gewisse Wehmut ausstrahlten. „Bei uns im Dorf gab es zwei Bauern, die jahrzehntelang zerstritten waren und eines Tages haben sie ernst gemacht und sich duelliert. Dabei haben sie sich gegenseitig erschossen. Na ja, der eine hat noch ein paar Tage gelebt, aber die Wunden waren fatal. Die Polizei kam zur Ermittlung und blieb zwei Wochen bei uns, bis sie den Fall aufgeklärt hatten.“ Sie schien nicht zu bemerken, dass der ganze Tisch sie anstarrte und trank genüsslich einen Schluck Saft. „Aber wieso hat die Aufklärung des Falles so lange gebraucht?“, durchbrach Armin das zähe Schweigen. „Ja und warum sind die zwei Wochen im Dorf geblieben?“, wunderte sich Marco. „Unser Dorf ist klein und sehr abgelegen. Da kommt man schwer hin. Und gedauert hat es, weil alle zu den Tatumständen geschwiegen haben und sich die Tochter des einen Bauern kurz darauf selbst erschossen hat.“ „Wahhh? Damit haben sich doch alle strafbar gemacht?“, rief Connie fassungslos, wofür ihm Sasha einen ratlosen Blick zuwarf. „Na ja, es waren halt Fremde. Die Polizisten, mein ich.“ Sasha zuckte mit den Schultern, als wäre der Mangel an Kooperationsbereitschaft in einem Mordfall in diesem Fall völlig normal. Marco ignorierte die skurrile Antwort und fragte weiter nach. „Und wie bist du dann darauf gekommen selbst Polizistin zu werden und das Dorf zu verlassen?“ „Einer der Polizisten hat in unserem Haus übernachtet und mir viel erzählt. Er war sehr nett.“ Ein verdächtiger Rotschimmer kroch ihre Wangen entlang, was Marco und Historia lächeln ließ. Jean schnaubte ernüchtert. „Du hast dich also in einen Polizisten verknallt und bist ihm nachgelaufen.“ „Was?“, entfuhr es Connie, der Sashas Röte nicht hatte einordnen können und auch Reiner sah leicht perplex drein, was Berthold mit einem Schmunzeln kommentierte. „Jean!“, ermahnte ihn Marco leicht vorwurfsvoll und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. „S-So war das nicht“, stammelte Sasha mit hochrotem Kopf, „D-Das war nicht so.“ „Was hat dich so fasziniert, dass du dein Dorf verlassen hast?“, versuchte Historia mit sanfter Stimme Sasha aus ihrer Schamstarre zu lösen, was ihr auch prompt gelang. Sasha blickte ihr tief in die strahlend blauen Augen und es schien, als würde sie in diesem Moment nur Historias Anwesenheit wahrnehmen. „Er hat mir viel von der Welt erzählt und von seinem Beruf und mir viel erklärt. Als ich bei der Lösung des Falles sehr hilfreich war, versuchte er mich davon zu überzeugen das Dorf zu verlassen, um mir eine sichere Zukunft aufzubauen. Wir waren alle sehr arm und einfach, ich hätte nur Jägerin werden und einen Bauern oder Schmied heiraten können, der sowieso über drei Ecken mit mir verwandt gewesen wäre. Also hab ich beschlossen zu gehen und einen Teil meines Gehalts ins Dorf zu schicken. Es war die schwierigste Entscheidung meines Lebens.“ „Dann ward ihr kein Paar?“, fragte Connie unverblümt plötzlich in die Stille nach Sashas Erklärung, was kollektives Stöhnen und Seufzen auslöste. Sasha war zwar immer noch rot, aber sie hatte sich soweit gefangen, dass sie ihm antworten konnte. „Vier Jahre lang. Er war mein erster Freund.“ „Oh, wie süß“, schwärmte Historia, woraufhin sie nochmals herzlich von Ymir durchgewuschelt wurde, die nicht als Einzige entzückt von der liebreizenden Frau war. Es gab wohl keinen Mann unter ihnen, der Historia nicht süß fand und ihr gegenüber keinen großen Beschützerinstinkt entwickelt hatte. Ohne Ymir würden sie wohl alle Schlange stehen. Während Historia weiter geknuddelt und Sasha verschämt wurde, driftete Eren allmählich mit den Gedanken ab. „Was denkst du?“, fragte ihn Armin leise und musterte ihn ein wenig besorgt. Typisch Armin. Er war unheimlich aufmerksam und reagierte sensibler auf Erens Stimmungsschwankungen als er selbst. „Ich fühle mich ziemlich erschlagen und glaube, ich gehe noch eine Runde schwimmen und ins Bett.“ Armin nickte verständnisvoll, doch Verwunderung spiegelte sich dennoch in seinen Augen. „Okay, mach das. Ich bleibe auch nicht mehr lang.“ Er nickte zu seinem halb vollen Glas. Lächelnd erhob sich Eren und klopfte Armin freundschaftlich zwei Mal auf die Schulter, ehe er sich verabschiedete. „Gute Nacht, Leute.“ „Du gehst schon?“, hakte Reiner überrascht nach, wurde jedoch von Jean belehrt. „Lass ihn doch, das ist sein letzter Abend. Da will er sich allein in den Schlaf weinen.“ Ein paar Leute schnaubten belustigt, andere verdrehten die Augen. „Fick dich, Jean. Ganz ehrlich. Fick dich“, erwiderte Eren auf den schwachen Kommentar und ignorierte jedes weitere Gerede. Er war echt nicht in der Stimmung dafür. Missmutig schlenderte er hinaus und selbst die klare, milde Nachtluft konnte ihn nicht aus seinem plötzlichen Tief reißen. Wie auf Autopilot holte er seine Schwimmsachen und schlenderte zum Hallenbad. Erst das auf seiner Haut kalte Wasser riss ihn aus seiner Trübnis und er begann mit einem tiefen Atemzug so schnell zu schwimmen als ginge es um sein Leben. Er hatte ein verzweifeltes Bedürfnis all die unterschwellige Energie mitsamt sämtlichem Frust aus seinem Körper zu pressen. Er wusste nicht, woher dieses unangenehme Gefühl kam, aber ihm wurde klar, dass es sich nicht nur über den heutigen Tag hinweg aufgebaut hatte. Er war so vertieft in sein Training, dass er Levi erst nicht bemerkte. Als er den gelangweilt dreinschauenden Soldaten entdeckte, beendete er seine Runde Brustschwimmen und hielt einen halben Meter vorm Beckenrand an. Tief nach Luft schnappend blinzelte er sich das von seinen Haaren heruntertropfende Wasser aus den Augen und blickte zum General-Leutnant hinauf. Levi betrachtete ihn wie ein Insekt, aber Eren durchschaute seine Fassade mittlerweile gut genug, um einen Hauch Amüsement in den sturmgrauen Augen ausmachen zu können. Woher das kam, konnte er zwar nicht sagen, aber zumindest vermieste es Erens Tag nicht noch weiter. Einen übellaunigen Levi konnte er gerade wirklich nicht gebrauchen. „Guten Abend, Sir“, begrüßte Eren ihn höflich, nachdem sich die Stille dahinzog. Levi löste seine verschränkten Arme und hockte sich hin. Einen Augenblick lang schweifte Erens Blick von seinen Augen hinab, als ihm die neue Badehose auffiel. Normalerweise trug Levi immer ganz schwarze Profi-Badeshorts, sodass das nun königsblaue Exemplar seine Aufmerksamkeit einfing. Die Hand, die ihm vor seine Nase gehalten wurde, riss ihn aus seiner Beobachtung. Fragend sah Eren die schlanken, kräftigen Finger entlang den muskulösen Arm nach oben und in Levis graue Augen, in denen sich das Licht spiegelte. Seine schmalen, geschwungenen Lippen zuckten belustigt. „Alles Gute zum Geburtstag, Eren“, erklärte Levi die ausgestreckte Hand, woraufhin Eren überrascht blinzelte, ehe sich seine Wangen vor Verlegenheit erhitzten. „Ah!“, entfuhr es ihm überrumpelt und überschwänglich ergriff er Levis Hand, „Vielen Dank!“ Nun verzogen sich Levis Lippen doch noch zu einem kleinen Schmunzeln und er erwiderte Erens Händedruck fest und selbstsicher. Es war kein solch dominanter Händedruck wie Erwins oder gehetzter wie Hanjis. Es fühlte sich angenehm an. Levis Autorität war unaufdringlich, obgleich unmissverständlich und klar. Für Eren fühlte es sich immer gut an, wenn er Levi berührte - natürlich abgesehen von den Malen, in denen er von ihm geschlagen oder halb ertränkt wurde... Allerdings wirkten auch jene eher unschönen Erfahrungen nicht in dem Maß abschreckend auf Eren, wie es unter Umständen gesund gewesen wäre. Nachdem er seine Obrigkeitsscheue Levi gegenüber überwunden und nunmehr Bewunderung und Respekt dessen Platz eingenommen hatten, hatte sich ebenso ein unleugbarer Schalk in Erens Kopf festgesetzt, der ihn dazu antrieb diesen haushoch überlegenen Mann ständig herauszufordern beziehungsweise schlicht zu ärgern. Ob es Mut oder himmelschreiende Dummheit war, wusste Eren nicht genau, aber in seiner Neugier für Levi und dem Bestreben ihm gleichzukommen, verschwammen alle guten Vorsätze sich an die der Hierarchie streng innewohnenden Grundsätze von Anstand und Demut zu halten. Es war wohl dieser Schalk, der Eren verschmitzt Grinsen, den Händedruck verstärken und schwungvoll die Beine am Beckenrand abstoßen ließ. Er brachte Levi aus dem Gleichgewicht und zog ihn erfolgreich ins Wasser, obschon der es trotz Überraschung noch fertigbrachte halbwegs elegant mit Kopf und Armen ins Wasser abzutauchen, als Eren ihn ruckartig über sich hinwegzog. Das Hoch über sein gelungenes Wagnis schwand jedoch schnell dahin, als Levi wieder auftauchte und ihn knapp über der Wasseroberfläche hinweg mit stechenden Augen anstarrte, die ihm schreckliche Qualen versprachen. Aus einem Impuls heraus drehte sich Eren um und stützte sich schnell am Beckenrand ab, um aus dem Wasser zu fliehen. Sicherlich nicht der würdevollste Abgang auf der Welt, aber in diesem Moment tausendmal besser als durch das Abflussgitter am Beckenboden getreten zu werden. Nein, Eren hatte sich das nicht vor seiner frechen Aktion überlegt. Er war weder erschrocken noch überrascht, als sich zwei starke Arme um seine Taille schlangen und ihn mit Leichtigkeit zurück ins Wasser zogen. Mit einem langgezogenen Klagelaut ließ sich Eren widerstandslos abpflücken und unter Wasser drücken. Er hatte es verdient und außerdem ließ ihn Levi früher los, wenn er sich nicht wehrte... Als er losgelassen wurde, tauchte er mit brennenden Lungen auf und japste jämmerlich nach Luft, wobei er sich prompt noch verschluckte und fast erstickte. „Du bist so ein Scheißgör. Unglaublich, dass sie dich aus der Vorschule gelassen haben.“ Eren war zu beschäftigt mit Atmen, um den Spott richtig zu verstehen. Er beruhigte sich allmählich und das erste, was seine Sinne wahrnahmen, waren nicht die Geräusche um ihn herum, sondern warme Haut und feste Muskeln unter seinen Fingerspitzen. Perplex schlug Eren die Augen auf und blickte direkt auf Levis Nasenspitze, kaum eine Handbreit von sich entfernt. „Wah!“ Erschrocken keuchte er auf und riss den Kopf zurück. Sie waren ziemlich weit in der Mitte des Beckens - es war Eren ein Rätsel, wie er dahin gekommen war - und in seiner Not hatte er sich an Levis Schultern festgekrallt, um sich über Wasser zu halten. Zusätzlich lag der eine Arm, den Levi nicht unbedingt brauchte, um sie Beide halbwegs über Wasser zu halten, stabilisierend um Erens Taille. Scham war gar kein Ausdruck dafür, was er in diesem Augenblick empfand. Mechanisch ließ er von Levi ab, als dieser seinen Arm fortnahm und gluckerte prompt wieder ab. Es war ihm nur recht und ein guter Ersatz für das Loch, in dem er sich nur zu gerne auf Nimmerwiedersehen verstecken wollte. Aber Levi schlang erneut seinen Arm um ihn, bevor er mit dem Kopf völlig abtauchte und zog ihn zu sich heran. „Angst vor der eigenen Courage, huh?“ Eren schnaubte mit heißen Wangen, doch aller Verlegenheit zum Trotz wirbelte ein unnachgiebiger Sturm von seinem Bauch in seine Brust empor und erfüllte ihn mit euphorischer Kühnheit. „Angst nicht, nein. Ich bin nur schüchtern“, grinste Eren verschmitzt und fügte mit tieferem Tonfall ein vielversprechendes „Sir“ an. Levis rechte Augenbraue zuckte genervt und er ließ Eren los. „Du bist auf dem geistigen Stand eines Fünfzehnjährigen. Du musst Hanji bestochen haben und Mike gleich mit dazu.“ „Wieso ausgerechnet Fünfzehn? Und nein, Hanji und Mike sind Soldaten. Ehrenwert. Unbestechlich.“ Eren wurde von Levis belustigtem Zungenschnalzen unterbrochen. „Soldaten sind vieles, aber Ehre und Ehrlichkeit sind antiquierte Vorstellungen ihrer Eigenschaften.“ „Und warum Fünfzehn?“, bohrte Eren mit unschuldigen Rehaugen nach. „Wegen Blicken wie diesen“, stellte Levi trocken fest und bedachte ihn mit einem abgeklärten Gesichtsausdruck, den Mund missmutig leicht verzogen. „Ich bin halt expressiv.“ Eren zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Warum bist du hier und nicht mit deinen Freunden feiern?“ „Außer Armin weiß keiner von meinem Geburtstag. Ich mag keine geheuchelte Aufmerksamkeit deswegen bekommen. Es ist ein Tag wie jeder andere auch.“ „Aber die Dreistigkeit besitzen und mir Vorhaltungen machen“, grollte Levi mit stechenden Augen. „Für mich hat sich ja auch keiner das Bein ausgerissen, um mich zu feiern. Außerdem ist mir nach dem Verlust meiner Eltern und dem Koma meiner Schwester nicht sonderlich zu feiern zumute“, erklärte Eren offen. Er sah, dass sich etwas an Levis Ausdruck änderte und für einen Moment glaubte er, sein Vorgesetzter würde sich vor ihm zurückziehen, dieses private Geständnis von sich schieben und das Thema wechseln. Man musste schließlich eine angemessene Distanz wahren. Heute anscheinend nicht. „Trübsal blasen bringt dich auch nicht weiter.“ Eren legte den Kopf zweifelnd schief und sah ihn kritisch an. „Wirklich?“ „Du kannst dir deinen Sarkasmus in den Arsch schieben. Bei mir war das etwas anderes und du hast kein Recht darüber zu urteilen“, erwiderte Levi hart, seine Augen starr und unleserlich. „Ich urteile nicht, ich vergleiche nur das, was ich sehe“, erklärte Eren mit behutsamer Stimme. Er wollte nicht, dass Levi ihn missverstand. „Du bist blind“, entfuhr es Levi schroff und mit einer abrupten Ehrlichkeit, die Eren überrascht blinzeln ließ. „Dann machen Sie mich sehend“, lächelte Eren und erfreute sich an der kurz erkennbaren Irritation seines Gegenübers. „Bin ich Jesus oder was? Ich bin nicht dazu da dich zu erleuchten, du dummes Balg.“ „Ich würde gerne mehr über Sie erfahren“, gab Eren selbstsicher zu, „Ich finde Sie faszinierend.“ Levi betrachtete ihn mit einer Mischung aus Befremdung und Amüsement. Nach einer Weile verschwand jegliche Erheiterung und wurde von resignierter Abgeklärtheit ersetzt, die Eren innerlich schaudern ließ. „Du hast dir das falsche Vorbild ausgesucht.“ Levi sagte dies mit einer Finalität, die Eren trocken schlucken ließ. Hinnehmen konnte er das natürlich nicht. „Sollten Ausbilder nicht Leitfiguren sein?“ „Was du in mir suchst ist keine Leitfigur, Balg, sondern einen Mentor und das bin ich nicht.“ „Doch, seit dem Tag auf der Lichtung, als Sie mit mir trainiert haben, während die anderen Theorie hatten“, entgegnete Eren prompt und sah diesmal deutliches Erstaunen über Levis Züge huschen. Erens Worte schienen ihm ganz und gar nicht zu passen und er wunderte sich warum Levi so eine Abneigung dagegen hatte als Vorbild genommen zu werden. Er konnte sich nur vorstellen, dass es etwas mit seiner toten Einheit und der Unterbrechung seines aktiven Militärdienstes zu tun hatte. Zumindest schien ihn der Gedanke genügend abzustoßen, um sich von ihm abzuwenden und mit dem Schwimmen beginnen zu wollen. „Ich werde dir diese Hirngespinste in den kommenden Monaten schon austreiben“, verkündete Levi Unheil versprechend. Erens Lippen zogen sich zu einem strahlenden Lächeln auseinander. „Ich freu mich schon!“ *~* „Arlert Armin, Bott Marco, Brandt Franz, Braun Reiner, Braus Sasha, Cabaye Louis, Carolina Mina, Gekas Stefanos, Hoover Berthold, Jäger Eren, Janmaat Tim, Kirschstein Jean, Lenz Ymir, Leonhardt Annie, Meyer Hannah, Miller Severin, Paletta Thiago, Pedro Richard, Ramos David, Reiss Historia, Rémy Oliver, Shaw James, Springer Connie, Wagner Thomas, Zeramuski Mylius - allen anderen, die nicht aufgerufen wurden, wünsche ich im Namen des Europäischen Justizministeriums und Ihrer Ausbilder viel Erfolg für die Zukunft. Sie können Ihre vorherigen Arbeitsplätze wieder einnehmen und werden aufgrund Ihrer in diesem Programm erworbenen Zusatzqualifikationen in einer höheren Tarifklasse eingestuft. Jene, die die Ausbildung fortsetzen bitte ich den Unterrichtsraum 13a aufzusuchen, um weitere Anweisungen von General-Leutnant Rivaille entgegenzunehmen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Erwin Smith von den Rekruten und überließ die restlichen 25 Levis Gutdünken. Grinsend stieß Hanji ihm den Ellenbogen in die Seite, was ihr prompt einen wütenden Blick einbrachte. Sie nervte Levi schon die ganze Zeit mit ihrer Vorfreude auf seine Trainingseinheit, in der er den Rekruten ihrer Meinung nach den letzten Schliff verpassen würde. In Wahrheit stand er vor einem Haufen Marmorblöcken. Gutes Material, ohne Zweifel, aber mehr auch nicht. In den kommenden drei Monaten würde er Skulpturen aus ihnen raushauen müssen und nicht alle würden es durchstehen, sondern zerspringen, wo er sie an einer empfindlichen Stelle traf. Er würde jedem Einzelnen abwechselnd jede Aufgabe zukommen lassen, die bei einem Einsatz anfiel, unabhängig von den Psycho-Gutachten über ihre Fähigkeiten und Charakterzüge. Eine Führungspersönlichkeit ohne Rückhalt aus Überzeugung war genauso wenig Wert wie ein Schuh ohne Sohle und der beste Stratege unnütz, wenn ihm keiner folgte. Natürlich hatten sich Hanji und Mike große Mühe mit ihren Bewertungen gegeben und diese waren weitaus differenzierter und komplexer, doch auch das ersparte Levi nicht den Aufwand jeden Einzelnen auf Herz und Nieren zu überprüfen. Er würde sie in solche Stresssituationen bringen, dass ihre wahre Natur und Qualität roh zu Tage trat und nur anhand dessen würde sich ihre weitere Laufbahn entscheiden. Als er in den Unterrichtsraum ging, folgten ihm seine Rekruten bereits enthusiastisch und setzten sich aufmerksam und gespannt auf ihre Plätze. Hanji und Mike hielten sich neugierig im Hintergrund und beobachteten ihn verschmitzt grinsend. Er hatte das Bedürfnis ihnen die Fresse zu polieren. Levi stand mit verschränkten Armen neben dem Pult. Er kannte ihre Namen, vorangegangene Anstellungen, Trainingsverhalten und Ende Juni würde er ihre dunkelsten Geheimnisse und sehnsüchtigsten Wünsche kennen. „Ich begrüße euch zu der 6. Einheit der ESE-Ausbildung“, begann er mit tiefer, stets leicht genervter Tonlage, „Ich kann euch bereits jetzt verraten, dass zehn von euch nur da sind, um den anderen ein Bein zu stellen, bevor sie aussortiert werden.“ Die Gesichtszüge der Rekruten entgleisten und Unglaube, Irritation sowie Beunruhigung und Missmut schlug ihm entgegen. Nur ein grünes Augenpaar betrachtete ihn mit milder Neugier. Wo war all die Verunsicherung dieses Balgs hinverschwunden? Im Hintergrund konnte er sehen, wie sich Hanji unter unterdrücktem Lachen an Mike abstützen musste. Irgendwann platze diese dämliche Ulknudel noch. „Wer und wie viele schlussendlich nicht bestehen werden, wird erst am 30. Juni feststehen. Bis dahin werden wir jeden Tag einen Einsatz mit einer festen Hierarchie und Aufgabenzuordnung absolvieren. Ich will sehen, wofür ihr wirklich taugt. Diese Einsätze werden unterschiedlichster Natur sein und ein Großteil davon keinen polizeilichen Bezug aufweisen. Ihr werdet keinen Lehrplan von mir bekommen, denn den wird es nicht geben. Für die körperliche Fitness seid ihr nun selbst verantwortlich, aber Frühstück gibt es wie gewohnt um sieben Uhr. Irgendwelche Fragen?“ Marco Bott hob seine Hand, was Levi mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. „Sehe ich das richtig, dass wir unseren späteren Alltag jetzt schon simulieren werden?“ Levi neigte leicht den Kopf, als er Marco direkt in die Augen sah. Wie die meisten erwiderte er den Blick nicht direkt, sondern fokussierte einen Punkt auf Levis Stirn. „Was die Unvorhersehbarkeit des Tagesablaufs angeht schon, aber da ihr die letzten Monate mit Einsatzsimulationen verbracht habt, werden die Aufgaben meist anderer Art sein.“ Die Rekruten tauschten ratlose Blicke, zuckten mit den Schultern, aber keiner machte Anstalten weitere Fragen zu stellen. „Da die Einheit offiziell erst morgen beginnt, habe ich beschlossen, dass wir heute einen Ausflug nach München machen“, verkündete Levi gelangweilt, doch die Rekruten betrachteten ihn teils verwundert teils aufgeregt, „Vormittags gehen wir ins Deutsche Museum und nachmittags werden wir uns in der Innenstadt aufhalten. Der Bus fährt in einer halben Stunde los.“ Für Levi war die Einführung damit beendet. Er machte sich nicht die Mühe den Rekruten weitere Anweisungen zu geben und ging stattdessen durch die Mittelreihe zum Ausgang, wobei er die aufgekommene Unruhe ignorierte. „Darf ich mit auf den Ausflug kommen? Darf ich? Darf ich? Bitte~!“, quengelte Hanji, als er an ihr vorbei ging. Sie hüpfte vor überschäumender Energie und Aufregung herum wie ein hyperaktiver Flummi. „Nein“, fuhr er sie harsch an, um sie mundtot zu machen. Nähme er Hanji mit, könnte er sich den Sinn des Ausflugs in die Haare schmieren. Er käme gar nicht dazu, die Rekruten in vergleichsweise entspanntem Umfeld zu beobachten, wenn ihm Hanji ständig ein Ohr abkauen und jeden um sich herum aufmischen würde. „Ohhh.“ Schmollend und enttäuscht ließ sie ihren Kopf hängen, woraufhin ihr Mike belustigt aufmunternd auf die Schulter klopfte. Levi ignorierte sie den restlichen Tag über. *** Levi fühlte sich wie die böse Nanny, von der jeder erwartete, dass sie jeden Augenblick einen Welpen massakrierte und sich das Fell als Trophäe auf den Kopf setzte. Die Rekruten waren alle Mitte Zwanzig, erwachsen, fähig, beruflich erfolgreich und dennoch huschten sie ihm wie verschüchterte Sechsjährige hinterher. Es war nervenzermürbend und verfehlte den Zweck. Im Deutschen Museum verteilten sie sich zwar je nach Interessen auf den verschiedenen Ebenen und Ausstellungen, aber davon hatte Levi herzlich wenig. Er konnte nicht viel beobachten und die Zusammensetzung der Gruppen überraschte ihn nicht. Eren und Armin traten ständig im Doppel auf und dass sich ihnen Reiner, Berthold, Connie und Sasha angeschlossenen hatten, war nachvollziehbar. Sie teilten sich Küche und Bad. Franz, Hannah, Thomas und Mina waren Pärchen, sodass der Umstand, dass sie sich absonderten, um verliebt durch die Gegend zu turteln, wohl ein Gefallen für die anderen war. Kein sexuell frustrierter Single wollte den ganzen Tag Leuten bei ihrem persönlichen, glücklichen Real-life Liebesfilm zusehen. Jean, Marco und Mylius hatten sich zusammengetan, um ihrem Interesse an der Werkstoff- und Produktionsausstellung zu frönen, während Historia und Ymir zur Kommunikationsausstellung gelaufen waren. Der Rest marschierte zuerst in einer Gruppe durch die Gegend und hatte sich dann in unterschiedliche Zweiergespanne aufgeteilt. Annie war die Einzige, die sich desinteressiert mit einer Politikzeitschrift ins Museumscafé setzte. Nun wünschte er sich tatsächlich Hanji herbei. Er hätte sie zu Annie schicken können, die sie dann voll unverhohlener Neugierde ausgefragt und ihm ihre Erkenntnisse mitgeteilt hätte. Sich selbst zu Annie zu setzen und ein Gespräch anzufangen lag ihm fern. Levi war kein sonderlich sozialer Mensch und die Handvoll Menschen, die er je als Freunde angesehen hatte, waren die berühmten Ausnahmen von der Regel. Er hegte ein grundlegend tiefes Misstrauen gegenüber anderen und obgleich er keineswegs ein Misanthrop war, hielt er die Menschen lieber auf Abstand. Es musste schon viel passieren, bevor er einfach so jemanden ansprach und solange er nicht unbedingt musste, würde er Annie in Ruhe lassen. Also schlenderte er ebenfalls durch das große Museum, füllte seinen Kopf mit Wissen und beobachtete hin und wieder das Sozialverhalten der Rekruten, wenn sie seinen Weg kreuzten. *** Nach dem Museumsbesuch hatte er die Horde auf die Innenstadt Münchens losgelassen und seinen Plan für gescheitert erklärt. Wirklich Neues hatte er nicht gelernt und die Hektik der Großstadt zerrte in einem Maße an seinen Nerven, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Nach all der Zeit auf Reisen, in der Natur und im Ausbildungskomplex hatte er verdrängt wie anstrengend, laut und nervig Großstadtmenschen sein konnten. Obwohl er in vielen Städten der Welt gelebt hatte, strapazierte ihn München besonders. Vielleicht lag das an dem Selbstverständnis der Menschen oder an Levis Tagesform, aber er sehnte sich momentan in den Fitnessraum und die Sauna in ihrem Appartementhaus. Er saß draußen in einem großen Café Restaurant mit Blick auf das Karlstor. Der Brunnen am Stachus versprühte wertvolles Wasser kunstvoll in der Luft. Es war ein sonniger Märztag und der Frühlingsduft übertünchte selbst die unzähligen Parfums und Lebensmittelgerüche. Die Rekruten wussten wo er saß. Mike hatte ihm den Tipp gegeben diese Lokalität aufzusuchen, da sie die besten Kaffees, Tees, süßen Köstlichkeiten und einfachen Gerichte anboten. Der Vorteil von Lebensmittelketten war ihr einheitliches Angebot, man konnte nicht viel falsch machen und obwohl Levi eigentlich kleine einheimische Betriebe vorzog, musste er Mike zustimmen. Abgesehen davon war es ein Ding der Unmöglichkeit in der Innenstadt ein Café oder Restaurant zu finden, dass nicht lieblosen Touristenfraß anbot. Nach geschlagenen drei Stunden des Bummelns entdeckte Levi ein paar Rekruten die Fußgängerzone durchs Karlstor schlendern. Jeder hatte ein, zwei Tüten dabei und sie schienen nicht bereit es dabei zu belassen. Neugierig peilten sie das zweistöckige E-Book-Geschäft an und verschwanden erneut im schwarzen Loch des Konsums. Kurz darauf trudelte auch Eren mit seinen „Mitbewohnern“ und Annie, Historia, Ymir und Mylius ein, die sich direkt auf einen Eisstand stürzten. Milde interessiert beobachtete er die Gruppe über den Rand seiner Tasse hinweg. Sie redeten wild durcheinander, sichtlich zufrieden und freundschaftlich. Sogar Annie schien ihr Gespräch mit Historia und Berthold zu genießen. Es wurde langsam zur Gewohnheit, dass sie sich immer als erstes bemerkten. Levi ließ seinen Blick nur kurz schweifen und fand sich in seegrünen Augen wieder. Er stockte innerlich, als er diesen ehrlichen, neugierigen Ausdruck in ihnen erkannte, loderndes Temperament stetig in ihren Tiefen erkennbar. Dieses Balg war lächerlich expressiv. Regelrecht widerlich. Er konnte nicht wegsehen. Etwas herausforderndes blitzte in Erens Augen auf, dann wandte er sich auf einmal ab und sprach mit Armin, was Levi mit zusammengezogenen Augenbrauen begutachtete. Levi setzte seine Tasse ab, als sich Eren mit Armin im Schlepptau von der Gruppe löste, die ihnen fragende Blicke hinterherwarf, und auf seinen Tisch zusteuerte. „Können wir uns zu Ihnen setzen, Sir?“, fragte Eren mit einem forschen Lächeln. Armin neben ihm stieß ihm Möchtegernunauffällig in die Seite, während er sich gebührend benahm, aber nicht weit kam: „Guten Tag, Sir!“ „Ich weiß nicht. Könnt ihr?“ Levi hob eine Augenbraue und bohrte seine Augen dabei in Erens. „Wir können“, grinste Eren und schob einen Stuhl zurück. „Vielen Dank.“ Armin lächelte höflich und setzte sich Levi gegenüber. „Ich würd' gleich was bestellen. Kann ich euch was mitnehmen?“, bot Eren an, bevor er sich setzte. Armin wartete bis Levi reagierte, der mit dem Finger auf den Rand seiner Tasse tippte. Eren schaute ihn abwartend an, ein amüsiertes Schmunzeln auf den Lippen. „Earl Grey mit Honig und Milch.“ Eren nickte lächelnd und betrachtete Armin, der sich kurz die am Tisch liegende Karte durchblätterte. „Diesen Black Bean Afternoon Latte, bitte. Ah! Und einen Apfelstrudel!“ „Für Sie auch etwas zu essen, Sir?“ Levis Antwort bestand aus einem gelangweilten Blick, der Eren in den Arsch trat. „Ookay“, sagte Eren gedehnt und verschwand im Café. Levi nahm seine Tasse und trank den letzten Schluck, wobei er Armin beobachtete, der sich mit der Speisekarte ablenkte. Er wusste sichtlich nicht, was er sagen sollte. Er war viel zu steif, wenn er nicht in irgendwelchen Aufgaben versank. Ohne es geplant zu haben, ergriff Levi das Wort, als er die leere Tasse von sich geschoben hatte. „Du und Eren kennt euch schon sehr lange.“ Armin sah überrascht auf, dann erfüllte ein nachdenkliches Leuchten seine blauen Augen. „Ja, seit fast 14 Jahren. Wir waren so elf, zwölf.“ Levi erwiderte seinen Blick fordernd und Armin verstand und lächelte. „Wir gingen auf verschiedene Gymnasien, aber mein Heimweg führte immer an der Waisenschule vorbei. Ich war recht klein, androgyn und der Klassenstreber, erdenklich unbeliebt und wurde oft gemobbt. Eines Tages haben mir drei Jungs aus meiner Klasse mal wieder auf dem Heimweg aufgelauert, mir die Bücher aus den Armen geschlagen, die ich aus der Schulbibliothek hatte ausleihen dürfen“, Armin sprach es aus, als sei dies die schlimmste Untat dieser Rowdys gewesen, „und mich verprügelt.“ Ein sanfter Ausdruck legte sich auf seine Züge. „Eren hatte das gesehen und ist mir zu Hilfe geeilt, aber auch er wurde von den größeren Jungs verhauen, als er mich beschützen wollte. Mikasa hat uns beide dann gerettet. Seitdem sind wir immer zusammen ein Stück des Heimwegs gelaufen und haben uns angefreundet. Es lag sofort etwas besonderes zwischen uns Dreien.“ „Was ist Mikasa für eine Person?“, hakte Levi in dem Bewusstsein nach, dass er ein sehr emotionales Gebiet betrat. Doch etwas in ihm konnte nicht anders als sich zu interessieren. „Sie ist sehr stark und stoisch. Ihnen eigentlich etwas ähnlich, wenn ich das so sagen darf. Sie war in allem immer die Beste und sie hat Eren immer sehr geliebt und ihn beschützt. Nach dem Tod ihrer Eltern war er ihr einziger Anker, weil er sich sehr um sie gekümmert hatte und als dann auch seine Eltern starben, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht Eren glücklich zu machen. Leider hat sie es oft übertrieben und die Zwei sind oft aneinander geraten, aber ihre Beziehung war trotzdem sehr innig. Eren hat es fast umgebracht, als Mikasa so schwer verwundet wurde. Ohne mich hätte er es wohl nicht überstanden. Immerhin ist sie das Letzte, was ihm an Familie geblieben ist.“ Zum Ende hin wurde Armin immer leiser. Traurig schloss er die Augen und biss die Zähne fest aufeinander. Es fiel ihm sichtlich schwer über dieses Thema zu sprechen und er litt unter dem Schicksal seiner engsten Freunde. Levi konnte ihn verstehen. „Gut, dass Eren einen Freund wie dich hat.“ Verblüfft riss Armin die Augen auf und sah ihn an. In diesem Moment trat Eren mit einem großen Tablett nach draußen und lenkte die Aufmerksamkeit mit seinen steifen Bewegungen, um die darauf balancierten Tassen und Gläser nicht zu verschütten, auf sich. „Sooo, hier ist es“, grinste Eren erleichtert, als er das Tablett ablegte und begann ihnen ihre Bestellungen zu reichen, „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Die Leute vor mir konnten sich nicht entscheiden.“ „Ich hoffe, du hast nicht zuviel Milch rein gekippt“, bedankte sich Levi, als Eren ihm den Tee lächelnd vor die Nase setzte. „Kann es denn je zuviel Milch sein?“, konterte Eren frech grinsend und zwinkerte ihm zweideutig zu. Armin sog scharf die Luft ein, doch Levi verzog bloß angewidert das Gesicht. „Abartig. Wenn zuviel drin ist, kannst du's selber saufen.“ Diesmal beschränkte sich Eren auf ein charmantes Schmunzeln und gab Armin seinen Kaffee und Strudel herüber. „Und du isst zwei Stück Kuchen?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen deutete Armin auf die zwei Schokoladentortenstücke, während Eren sich hinsetzte. „Da ist so eine Erdbeer-Rhabarber-Füllung drin.“ Eren fuchtelte mit der Gabel darüber herum, als erkläre das alles. „Aha“, machte Armin amüsiert und reckte den Hals zu Erens Getränk, „Und dazu einen Moccachino, oder?“ „Natürlich“, grinste Eren und schob sich verträumt eine Gabel voll Torte in den Mund. Armin schüttelte kichernd den Kopf. Es war erstaunlich, wie sehr er sich in den letzten Minuten entspannt hatte. „Als wenn du nicht schon ohne Zuckerschock unausstehlich wärest“, rümpfte Levi die Nase beim Anblick des ganzen Süßkrams. Eren warf ihm einen zufriedenen Blick zu, der Levi erneut innerlich stocken ließ. Er hatte schon scheußlich viele Emotionen in diesen seegrünen Augen erkannt, doch stets verbarg sich ganz tief versteckt in ihnen die dumpfe schale Trauer, die nur lange unterdrückter Verlust zu erzeugen vermochte. Dieser Ausdruck war ihm verhasst. In diesem einen kurzen Augenblick war er verschwunden. Nicht permanent, nein. Das war unmöglich. Aber der stumpf pochende Schmerz hatte lang genug nachgelassen, um von einem spontanen Hochgefühl verdrängt zu werden. Levi verstand nicht, warum ihm das gerade jetzt so stark auffiel oder weshalb es ihn dermaßen tangierte. Sie kannten den gleichen Schmerz - Erens Art damit umzugehen faszinierte ihn auf unerklärliche Weise und das verwirrte ihn. „Die wissen, wie man Kaffee macht“, seufzte Armin genüsslich und erntete ein zustimmendes Murren von seinem Freund. Skeptisch widmete sich Levi seinem Earl Grey und rührte noch einmal um, bevor er den Teelöffel ablegte und die Tasse zu seinen Lippen führte und die cremefarbene Flüssigkeit prüfend beäugte. Doch als er den Tee probierte, schloss er wohlwollend die Augen. Das Balg hatte es nicht versaut. Levi merkte erst, dass er sich etwas anstellte, als ihm Erens belustigter Blick auffiel. „Hat man dir Balg nicht beigebracht, dass Starren unhöflich ist?“, fuhr Levi ihn prompt an. Eren riss gespielt schockiert die Augen auf und fasste sich ans Herz. „Vergebt, General-Leutnant! Ich war nur so aufgeregt, weil ich nicht wusste, ob ich Ihrem Urteil standhalte.“ Armin starrte Eren fassungslos an. Der arme Junge starb gerade tausend Schamtode, ob dieser Unverschämtheit. Nie zuvor hatte er sie beide zusammen gesehen, wusste nicht, dass sie sich des Öfteren jenseits aller Formalitäten bewegten. Levi war keineswegs verärgert. Er hatte jedoch das Bedürfnis Eren eine Kopfnuss zu verpassen, was quer über den Tisch mit den ganzen Tassen und Gläsern schlecht umsetzbar war, sodass er sich auf einen scharfen Blick beschränkte. Alle Konter auf seinen Lippen blieben unausgesprochen, sie würden den Rahmen des guten Benehmens sprengen und Levi glaubte nicht, dass Armin zwischen Ernst und Schalk ebenso unterscheiden konnte wie Eren. Der mögliche Ärger wegen etwaigen Missverständnissen war es ihm nicht wert. Erens Blick nach zu urteilen wartete er auf eine gehässige Erwiderung, dann blinzelte er kurz erkennend und widmete sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen wieder seinem Tortenstück. Armin beobachtete es leicht verstört, man konnte es regelrecht in seinem Hirn rattern hören. Levi fiel indessen etwas ganz anderes auf. Die anderen Rekruten hatten sich beim Brunnen versammelt und obwohl sie zuvor sehr unentschlossen schienen, hatten sie nun wohl genug Mut gefasst, um sich nach dem Essen des Eises zu ihnen zu gesellen. Überraschenderweise war Jean Kirschstein der Erste, der genug Eier in der Hose hatte und sich selbstbewusst näherte. Die anderen folgten ihm. „Hey Eren! Wieder beim Einschleimen?“ Verärgert zogen sich Erens Augenbrauen zusammen und er warf Jean einen schmutzigen Blick zu, den Mund zu voll für einen Konter. „Ich bezweifle es. Eher im Gegenteil“, murmelte Armin trocken, was Jean aufhorchen ließ. Die anderen gaben ihm jedoch keine Gelegenheit weiter darauf herumzureiten und das Chaos brach aus. „Eren, isst du beide Stücke? Kann ich eins haben? Ist es lecker? Es sieht so lecker aus!“, bombardierte Sasha Braus Eren und Levi meinte Sabber an ihren Mundwinkeln glänzen zu sehen. Sie war ein verrücktes Exemplar und erinnerte Levi etwas an Hanji. Sie war zwar einfältiger, aber beide waren ehrlich in ihrem Enthusiasmus und ernsthaft, wenn es sein musste. Allerdings war sie zu unkonventionell, um sich reibungslos in ein Team einzugliedern, eher eine Einzelkämpferin. „Machst du Sasha nach, oder was?“, grinste Connie Springer breit und deutete auf Erens Teller. Er war wohl einer der schlichtesten der Rekruten, aber fähig und gut einzuschätzen. „Dürfen wir uns dazusetzen?“, fragte Berthold Hoover ihn höflich, was Levi missmutig mit einem Nicken quittierte. Der Tisch war lang genug für zehn Leute. „Ich würde einen Kaffee holen, kann ich jemandem was mitbringen“, bot Historia Reiss lächelnd an. Sie brachte alle zum dahinschmelzen, aber außer ihrem zarten Wesen wies sie auch technisches Geschick und herausragende Spionagefähigkeiten auf. Sie war die perfekte Mogelpackung. „Danke, ich schau erst mal, was es gibt.“ Marco Bott setzte sich lächelnd neben Armin. Sasha rannte in das Café Restaurant, gefolgt von Connie, Historia, Ymir Lenz und Jean. Levi wunderte sich über die ausgelassene Stimmung der Rekruten, die sich in seiner Gegenwart sonst immer wie brave Püppchen betrugen. Das war die Gelegenheit sie besser kennenzulernen und Erens entspannte Körperhaltung und gelassene Gesprächsführung mit Reiner Braun und Marco schien sich auf die anderen zu übertragen. Levi fühlte sich bittersüß an die abendlichen Runden mit dem Jägertrupp zurückerinnert. „Hey Eren“, rief Connie quer über den Tisch, „Du gehst doch oft abends schwimmen, nicht wahr?“ Eren blinzelte seinen Kameraden an, ungewohnt zurückhaltend. „Ja, warum?“ „Na, jetzt müssen wir uns nicht mehr an einen Trainingsplan halten, da könnten wir zusammen gehen“, grinste Connie treudoof. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun“, nuschelte Ymir zwischen zwei Bissen. „Ich finde, dass das eine gute Idee ist“, mischte sich Reiner ein, „Schwimmen ist der perfekte Ausgleichssport und wenn wir was abmachen, kann sich keiner drücken.“ Eren sah zwischen Connie und Reiner hin und her. Euphorie sah anders aus. „Hm.“ Die meisten pflichteten Reiner bei, was Eren mit einem missmutigen Gesichtsausdruck zur Kenntnis nahm. Sie nahmen ihn als Beispiel und Aufhänger, allerdings über seinen Kopf hinweg. Zumindest ließ Eren es zu. Offensichtlich fehlte es ihm an Mut und Verstand seine Kameraden davon zu überzeugen, dass er alleine schwimmen gehen wollte. Oder... Nun. Wohl nicht ganz alleine. Ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick und plötzlich fühlten sich ihre monatelangen Schwimmwettkämpfe bedeutend an. Ein wohlgehütetes Geheimnis, das keines war. Etwas das gerade verloren ging, egal wie selten sie sich in den Monaten zuvor im Hallenbad über den Weg gelaufen waren. Dieses beschissene Balg mit diesen scheiß verfluchten seegrünen Augen ging ihm langsam aber sicher unter die Haut. *~* Sie wussten genau, was sie taten, als sie ihr giftiges Netz sponnen. +++ Das war das 4. Kapitel^___^. Ursprünglich sollte Levi mit Hanji schlafen. Aber dann hat mir ihre Freundschaft so sehr gefallen, dass ich sie nicht mit Spaß-Sex beeinträchtigen wollte. Was meint ihr? Hätte euch eine LeviHan-Romanze gefallen? Die fremden Rekruten haben die Vor- und Nachnamen von Fußballspielern, weil ich Namen gesucht habe und gerade die WM gelaufen ist, als ich das Kapitel geschrieben habe:D Die Einsatzszene ist mir schwer gefallen. Habt ihr Verbesserungsvorschläge? Ich sitze nämlich gerade am 7. Kapitel und hänge an so einer Szene:-( Ich bin so gespannt auf eure Kritik und hoffe, dass ihr euch Zeit dafür nehmt:-) Ich würde mich wahnsinnig freuen! Das nächste Kapitel kommt Anfang Juni. Leider schaffe ich es nicht schneller wegen Examensvorbereitung und anderen Querelen. Im 5. Kapitel wird es emotionaler. Man erfährt mehr über Mikasa und Eren verscherzt es sich mit Levi... Außerdem endet die Ausbildung, yay:D Bye Minerva Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)