Liebe triumphiert von Nessi-chan ================================================================================ Kapitel 1: Solang' ich dich hab ------------------------------- „Das ist nicht wahr, oder?“ Stöhnend legte Yûri an seinem übergroßen Schreibtisch den Kopf in die Hände. „Ich fürchte doch, Heika.“ Auch Gwendal schien von der Nachricht nicht unbedingt entzückt. „Lord von Karbelnikoff hat sich heute Morgen ankündigen lassen. Sich und… den Kandidaten.“ „Hatten wir denn das letzte Mal nicht genug Chaos?“ Oh ja, Chaos war fast noch untertrieben, wenn man bedachte, was sich in Blood Pledge Castle abgespielt hatte, als Lord Densham von Karbelnikoff das letzte Mal versucht hatte, seine exzentrische Schwester Anissina politisch wertvoll zu verheiraten. Nein, so etwas musste man nicht unbedingt zweimal erleben. „Können wir das nicht irgendwie… ablehnen?“ Günter sah erschrocken zu seinem jungen Herrscher. „Heika! So sehr es mir auch in der Seele schmerzt, Euch einen Wunsch verweigern zu müssen, aber ein solches Verhalten wäre ein Affront gegenüber dem Herrscherhaus von Karbelnikoff! Im schlimmsten Falle könnte es einen Aufstand geben und…“ „Schon gut, schon gut!“ Yûri hob die Hände, um den Redefluss seines Schulmeisters zu stoppen. Die Quintessenz hatte er verstanden. „Ganz schlechte Idee, verstanden.“ „Überlassen wir es doch Anissina.“ Desinteressiert zuckte Wolfram mit den Schultern. „Sie hat doch bisher noch jeden Mann in die Flucht geschlagen.“ Daraufhin herrschte Schweigen im Raum. Zwar teilten alle Wolframs Auffassung, aber keiner getraute sich, das offen zu sagen. Gerade die Augen von Gwenal und Günter zuckten kurz in alle Winkel des Raumes, als hätten sie Angst, „die Rote Teufelin“ – wie Anissina etwas unfein genannt wurde – könnte aus dem Nichts irgendwo auftauchen und auf Grund dieser Aussage zornig sein. Was eventuell das Ausprobieren irgendeiner skurrilen Erfindung nach sich zog, deren Opfer hauptsächlich die beiden waren. „Also gut.“, durchbrach Yûri schließlich die Stille. „Dann müssen wir da wohl durch.“ In diesem Moment klopfte es an der Tür und Yûris Leibwächter und Kommandant der Wache Konrad trat ein. „Lord von Karbelnikoff ist soeben eingetroffen.“ „Allein?“ „Ja, er sagte, sein… der weiterhin Erwartete würde sich etwas verspäten.“ „Gut.“ Yûri erhob sich und seufzte noch einmal. „Dann werden wir mal versuchen, die Zeit irgendwie… zu überbrücken.“ Und hoffen, dass das Schloss danach noch stand. Stunden später herrschte eisiges Schweigen im Thronsaal. Anissina hatte die Arme vor der Brust verschränkt und strafte ihren älteren Bruder mit einem bösen Blick. Deutlich hatte sie ihm gesagt, dass sie weniger als nichts davon hielt, hier mit irgendjemandem, von dem sie noch nie gehört hatte, verheiratet zu werden. Yûri saß auf seinem Thron und war bezüglich der Situation genauso hilflos wie Gwendal, Günter, Wolfram und Murata. Cherie hatte ein paar Mal zustimmend genickt, während Anissina ihrem Bruder die Meinung gesagt hatte und Konrad hatte sich komplett zurückgehalten, wirkte aber deutlich ruhiger als die anderen. Ob dies an seiner militärischen Ausbildung oder der Tatsache, dass Anissina ihn für kein Experiment missbrauchen konnte, lag, war nicht zu sagen. Schließlich kündigte die Dorcas den erwarteten Lord Augustin von Hiller an. Der Mann wirkte auf den ersten Blick in Ordnung. Vielleicht etwas steif, aber immerhin trat er auch gerade vor seinen König, sodass man nicht bestimmen konnte, inwiefern das ein Charakterzug von ihm war. Als er sich tief verbeugte, begann Yûri mit der Begrüßung, die Günter ihm nun schon unzählig oft vorgebetet hatte. „Lord von Hiller, ich freue mich, Euch hier auf Blood Pledge Castle begrüßen zu dürfen.“ „Ich danke Euch, Heika.“ Lord von Hiller richtete sich wieder auf. „Und ich bedauere, dass es für mich – auch wenn mir das Treffen mit Euch eine Ehre ist – kein so erfreulicher Anlass ist wie angenommen.“ „Bitte?“ Yûri war verwirrt. Der Mann war doch hier, um sich mit Anissina zu verloben. Und anscheinend hatte er selbst das mit Lord von Karbelnikoff vereinbart. Gut, Anissina wollte ihn nicht, aber es war wohl mehr als unhöflich, sie sofort so deutlich abzulehnen. „Heika, ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber ich wurde betrogen. Von diesem Mann!“ Dabei zeigte er auf Anissinas Bruder, dem fast die Augen aus dem Kopf fielen vor Fassungslosigkeit. „Wie bitte? Heika, ich versichere Euch, niemals habe ich auf betrügerische Art gehandelt!“ Yûri hob die Hände. Er hatte mittlerweile gelernt, dass er so einen Tumult unterbinden konnte. „Lord von Hiller, auf welche Art, meint Ihr, hat Lord von Karbelnikoff Euch betrogen?“ „Der Lord und ich kamen überein, dass ich eine eheliche Verbindung mit seiner jüngeren Schwester – Lady Anissina von Karbelnikoff – eingehen könnte.“ Soweit waren ja auch alle im Bilde. „Jedoch versicherte er mir auch, dass sie eine ehrenvolle Jungfrau sei – und ich weiß mittlerweile, dass dies eine Lüge ist.“ Das war ein Hammer – offensichtlich für alle Anwesenden. Lord von Karbelnikoff wirkte ehrlich entsetzt. Es war anzunehmen, dass er davon ausgegangen war, nichts Falsches versprochen zu haben. Anissina war totenblass geworden und fand anscheinend auch keine Worte dafür. Und alle anderen fühlten sich alles andere als wohl bei dem Gedanken, dass sie jetzt über das Intimleben Anissinas debattieren sollten. „Woher…“ Gwendal räusperte sich leicht, um wieder Kontrolle über seine Stimme zu erlangen. „…zieht Ihr Eure Kenntnis?“ „Mir ist dies zugespielt worden.“ Lord von Hiller winkte einen seiner Diener nach vorne, der eine Schale vor dem Thron aufstellte. Dann zog der Lord selber eine Art Kugel aus der Innentasche. „Was ist das?“, flüsterte Yûri, denn er wollte lieber vorher wissen, was auf ihn zukam. „Es ist eine magische Art, Geschehnisse aufzuzeichnen.“, antwortete Günter ebenso leise. „Aber sie erwies sich als unhandlich und daher wurde schon seit langer Zeit kein Gebrauch mehr davon gemacht.“ Okay, also eine Art altes Überwachungsband. Da konnte ja wohl nicht viel passieren. Vor ihnen erschien wie auf einer riesigen Leinwand ein Gemach – offensichtlich das einer Frau und offensichtlich bei Nacht oder zumindest am späten Abend. Auf der Fensterbank des geöffneten Fensters saß eine Frau – nur in ein weißes Laken gehüllt. Auf den zweiten Blick erkannte man sie als Anissina, die lächelnd in die Nacht hinaus sah. „Nimm‘ mir den Atem, wenn du mich küsst. Nur dann bin ich sicher, dass du bei mir bist. Nicht mal in Träumen fiel es mir ein, bei dir zu liegen – mit dir eins zu sein. Für ein paar Stunden, solang‘ ich dich hab, vergess‘ ich die Grenzen, die’s bisher für mich gab. Wenn mir auch klar ist, was ist, bleibt nicht wahr, die Hoffnung bleibt unauslöschbar. Solang‘ ich dich hab…“ An ihr vorbei konnte man sehen, wie sich eine Tür öffnete, die anscheinend zu einem Bad führte. Nicht ungewöhnlich für die Privatgemächer Adeliger. Und dass ein Mann hervortreten würde, war ja nach der Ankündigung auch keine Überraschung mehr. Die stellte sich erst ein, als man den Mann erkennen konnte, der mit einem ebenfalls weißen Handtuch um die Hüften das Schlafzimmer betrat: Es war Konrad. „Bin ich gefangen oder befreit? Mir scheint, was vor dir war, unendlich weit.“ Nun war er bei ihr angekommen und strich ihr lächelnd über die Wange und gleichzeitig ein paar Strähnen ihres roten Haares zurück. „Ich könnte sagen, ich sei verhext. So stark ist die Sehnsucht, die du in mir weckst.“ Anissina glitt von der Fensterbank und legte nun ihrerseits eine Hand an seine Wange, während seine Arme sich um ihre Taille legten. „Für ein paar Stunden, solang‘ ich dich hab, will ich mich ergeben, wie ich mich nie ergab.“ „Und ist auch morgen schon alles vorbei…“ „…es bleibt diese Nacht für uns zwei. Für ein paar Stunden, solang‘ ich dich hab, sei so wie du sein willst. Wir beide sind so stark. Hol uns das Mondlicht…“ Das in ihrem Rücken in den Raum fiel, während sie sich – einander immer noch zärtlich in die Augen blickend – langsam in Richtung des großen Bettes bewegten. „…deck‘ uns damit zu. Denn alles, was zählt, das bist du. Solang‘ ich dich hab…“ Sie ließen sich auf das Bett sinken, doch Anissinas Blick zeugte noch von einer leichten Abwesenheit, weshalb Konrad sich auf die Ellenbogen stützte und ihren Blick zu deuten versuchte. „Was ist?“ Anissina lächelte und schüttelte leicht den Kopf. „Es ist nur… zum ersten Mal… fühl‘ ich mich irgendwie… wicked.“ Damit traf ihr Blick den seinen und ihre Lippen fanden sich in einem hingebungsvollen Kuss. Hier endete die kleine Vorstellung und Lord von Hiller nahm die Kugel wieder an sich. „Näheres ist nicht verzeichnet, aber die Situation spricht in meinen Augen für sich.“ Da konnte man allerdings nichts entgegenhalten – denn dass die beiden so gut wie nackt miteinander im Bett gelegen hatten und nichts passiert war, war wohl mehr als unwahrscheinlich. Gerade wenn man die Blicke und Zärtlichkeiten bedachte, die sie ausgetauscht hatten. „Wäre die Lady geschändet worden, hätte ich darüber hinwegsehen können, aber sie hat sich hingegeben – einem halbblütigen Mann hingegeben.“ Er würdigte Konrad nicht einmal eines Blickes. „Ich denke, wir… beenden das hier… erstmal.“ Denn Yûri wollte einfach nur raus aus dieser Situation – und war sicher, dass er da nicht der Einzige war. Was das hektische Aufbrechen daraufhin deutlich machte – wobei als Erste Anissina verschwunden war. Kapitel 2: Sind die Sterne gegen uns? ------------------------------------- Yûri hatte es Cherie überlassen, sich um die Gäste zu kümmern. Sie hatte zwar eigentlich zu Anissina oder ihrem Sohn gewollt, aber man hatte ihr klargemacht, dass nur sie herzlich genug wäre, um diese Situation zu retten – wobei Günter sicherheitshalber Gisela gebeten hatte, alles im Auge zu behalten. „Was… ich meine, wie… was jetzt?“ Fast ein wenig hilflos sah Yûri in seinem Arbeitszimmer von einem zum anderen: Wolfram, Günter, Gwendal und Murata. Doch auch von denen schien das eben Gesehene keiner schon so richtig verdaut zu haben. „Nun…“ Irgendwann fasste sich Gwendal, um das Ganze so sachlich wie möglich zu analysieren. „Ich denke, was da… passiert ist, müssen wir wohl nicht mehr näher ausführen.“ Denn wie gesagt: Im Grunde waren sie alle erwachsen genug, um es sich denken zu können. „Festzustellen ist daher nur… dass es lange her ist.“ „Woher weißt du das?“ Yûri sah den Ältesten der drei Brüder verdutzt an. Hatte Gwendal etwa von allem gewusst? Möglich wäre es, immerhin war er Anissinas Kindheitsfreund und Konrads Bruder. „Konrad. Er war noch nicht… vom Krieg gezeichnet.“ Daraufhin nickte Wolfram ernst. „Das stimmt. Er hat aus dem großen Krieg einige Narben davongetragen – und die waren da noch nicht zu sehen.“ „Aber wenn die beiden schon so lange… ich meine, sie hätten doch…“ Yûri konnte es nicht verstehen. „Es ist nicht so einfach, Heika.“ Günter tat sich wieder schwer, seinen verehrten Herrscher enttäuschen zu müssen, aber dieser hatte eine Erklärung verlangt. „Anissina ist eine Lady aus dem Hochadel. Und Konrad…“ Er zögerte und sah entschuldigend zu Gwendal und Wolfram. Murata nahm es ihm ab, weiterreden zu müssen. „Lord Weller ist im Grunde unter ihrem Stand. Wenn man so will, duldet man ihn nur in einer solch hohen Position, weil seine Mutter die ehemalige Maô ist.“ Es war hart formuliert, aber ärgerlicher Weise war es die Wahrheit. „Und was machen wir jetzt?“ Gwendal zuckte mit den Schultern. „Zuerst einmal hoffen, dass das da draußen nicht explodiert – und ansonsten können wir nichts machen, solange wir nichts Genaues wissen.“ Anissina hatte sich erst einmal in ihr Labor eingeschlossen. Zuerst hatte sie in ihr Gemach auf Blood Pledge Castle gehen wollen, aber vor diesen Räumlichkeiten herrschte eine solch allgemeine Angst, dass sie hier am ungestörtesten sein würde. Die hatten doch alle keine Ahnung! Und wagten es doch zu urteilen! Sicher, sie könnte das aufklären, aber dafür waren bei ihr jetzt die Erinnerungen an damals zu frisch hochgekommen… vor allem an das, was gefolgt war, als sie sich mit der Zukunft dessen, was zwischen ihnen war, hatten beschäftigen müssen… Konrad stand da – in seiner Armeeuniform und mit einem Gesichtsausdruck, der nicht zu deuten war. Anissina rang mit den Händen, während sie nach den richtigen Worten suchte. „Es ist aus, wir beide dürfen uns nie wieder sehen. Das zu sagen, bin ich hier und dann, dann muss ich gehen. Wir stellen 1000 Fragen, doch das Herz wird nie verstehen. Und denkst du an mich irgendwann nach langer, langer Zeit, dann ist auch dieser Schmerz ein Stück Vergangenheit.“ Konrad trat auf sie zu und nahm ihre unruhigen Hände in seine. „Was ich für dich fühle bleibt, was ich auch immer tu. Ich werd‘ weiterleben, weiß ich auch nicht wozu. Ich werd‘ bis zum letzten Tag mich fragen: Wo bist du?“ Er senkte den Kopf und es schien, als kämpfe er gegen Tränen der Verzweiflung an. „Wollten wir nicht glücklich sein, ein ganzes Leben lang? Welches Schicksal hat uns zwei verdammt zum Untergang?“ Langsam glitten ihre Hände aus den seinen und er stützte sich mit gesenktem Kopf auf einer kleinen Kommode ab. „Sind die Sterne gegen uns? Lässt der Himmel uns allein? Zahlen wir für ein Verbrechen, das die Götter nicht verzeihen?“ In einer verzweifelten Geste schlug er auf das Möbelstück. „Oder ist das nur das Spiel von einer bösen Macht? Wir sahen das Paradies vor uns und stürzten in die Nacht.“ In Anissinas Gesicht spiegelten sich etliche Gefühle wieder: das eigene Leid, das Mitleid mit ihm, die Verzweiflung, all das nicht ändern zu können. Sie trat an ihn heran und legte ihm von hinten die Hand auf die Schulter. Einen Moment lang herrschte die Stille der Verzweiflung im Raum, ehe sie sich dann wieder einen Schritt weg bewegte. „Sinnlos, sich zu wehren! Was geschehen muss, muss geschehen. Jeder Weg ist uns versperrt, wohin wir uns auch drehen.“ Konrad drehte sich wieder zu ihr und legte die Hände an ihre Oberarme. Er packte sie nicht zu fest, aber sie musste ihn ansehen. „Alles, was ich will, bist du – doch dich darf ich nicht sehen. Manchmal wünsch‘ ich mir beinah, ich hätte nie gespürt, wie tief Liebe gehen kann…“ „…aus der kein Ausweg führt.“ Anissina legte nun die Hände auf seine Brust. Die Entschlossenheit, an der sie sich zu Anfang noch so festgehalten hatte, war völlig verschwunden. „Sind die Sterne gegen uns? Lässt der Himmel uns allein? Zahlen wir für ein Verbrechen, das die Götter nicht verzeihen?“ Hilfe suchend sahen sie einander in die Augen. „Oder ist das nur das Spiel von einer bösen Macht? Wir sahen das Paradies vor uns und stürzten in die Nacht.“ Sie sank in seine Arme und er hielt sie fest. Sie wollten einander nicht hergeben. Es war nicht fair – aber sie wussten, dass sie nicht die Kraft hatten, dem zu trotzen, was ihnen im Weg stand. Kapitel 3: Dir gehört mein Herz ------------------------------- Auch Konrad war allein. Er saß in dem Gemach, das ihm als Sohn der ehemaligen Maô zugewiesen war. Zunächst hatte er Anissina folgen wollen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie war kein schutzbedürftiges, kleines Häschen, sie war eine Wildkatze – und die entschied selber, wann man sich ihr nähern durfte. ‚Außerdem wäre ich ihr momentan vielleicht auch keine große Hilfe gewesen.‘ Denn auch ihn hatten die Erinnerungen und Gefühle voll erwischt. Sie hatten erkennen müssen, dass Liebe manchmal einfach nicht reichte, um alle Widerstände zu überwinden. Ihn selbst hatte das damals völlig aus der Bahn geworfen. Er war in der Truppe aggressiv aufgefallen und hatte sich auch einige Male Vorgesetzten gegenüber im Ton vergriffen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – hatte man kurz darauf, nach Ausbruch des Krieges, seiner Bitte stattgegeben, eine Kompanie aus Halbblütigen in die Schlacht zu führen. Ihm selbst war damals alles egal gewesen. In seinem Herzen hatte er alles verloren, was spielte es da für eine Rolle, ob sein Körper in der Schlacht fiel? Nun, irgendeine schien es gewesen zu sein, denn er blieb am Leben – als einer von Zweien. Als „Löwe von Ruthenberg“ wurde er bekannt – obwohl er da eigentlich hatte sterben wollen. ‚Das Schicksal hat anders entschieden.‘ Der Grund – oder zumindest etwas, was seine Seele wieder aufgerichtet hatte – hatte sich gezeigt, als er auf der Krankenstation des Schlosses wieder zu sich gekommen war. Zunächst einmal hatte er nicht bestimmen können, wo er war. Doch je mehr sich sein Blick klärte, desto mehr erkannte er Blood Pledge Castle. Er lebte – es sei denn, man hatte auch noch im Tod Schmerzen, die von seinen Kampfeswunden herrührten. Aber wie war er hergekommen…? ‚Yozaku!‘ Er konnte sich dunkel erinnern, dass sein Kindheitsfreund und engster Kamerad ihn vom Schlachtfeld geschleppt hatte. Doch dann hatten die Schmerzen und der Blutverlust ihn in die Ohnmacht getrieben. Aber es gab keine andere Lösung, es musste Yozaku gewesen sein. Als er sich mit suchendem Blick nach seinem Freund umsah, wurde er einer Person gewahr, die an seinem Bett saß. Es war nicht Yozaku. Auch nicht seine Mutter oder einer seiner Brüder. „Anya…“ Mit schwacher Stimme sprach er den Kosenamen seiner Geliebten aus, die daraufhin aufschreckte und ihn anblickte. „Konrad…“ Er konnte sehen, wie ihre Augen glasig wurden und hörte die Brüchigkeit in ihrer Stimme. „Shinou sei Dank, dass du lebst…“ Er konnte ihre Tränen nicht mitansehen, strich ihr mit einer Hand über die Wange und sprach dann mit sanfter Stimme mit ihr. „Hör‘ auf zu weinen – und nimm‘ meine Hand.“ Sie folgte seinen Worten sofort, indem sie seine Hand zwischen ihre nahm. „Halt sie ganz fest – keine Angst! Egal, was kommen mag, ich bin bei dir. Denk nur an mich – keine Angst!“ Immer noch liefen ihr Tränen über die Wangen, aber er spürte die Erleichterung. Er hatte überlebt, weil auch ihre Liebe noch immer lebte. „Sie wollen nicht mit uns’ren Augen sehen. Vertrauen nicht, was sie nicht verstehen.“ Das wussten sie – doch es war nicht wichtig. Nicht jetzt. „Wir sind verschieden, doch uns’re Herzen sind nicht verschieden, sondern eins.“ Mit seiner freien Hand nahm er eine von ihren und legte sie mit seiner darüber auf seine Brust. „Denn dir gehört mein Herz.“ Nun nahm sie seine andere Hand und legte sie mit ihrer darauf so auf ihre Brust, dass er ihren Herzschlag fühlen konnte. Aus ihrem Lächeln sprach das pure Glück, dass sie ihn nicht verloren hatte. „Ja, dir gehört mein Herz. Von heute an für alle Ewigkeit.“ Sie waren schon einmal an diesem Punkt gewesen, aber das, was geschehen war, hatte sie gestärkt. Sie würden einander immer verbunden bleiben. „Dir gehört mein Herz.“ Es war wie ein Mantra. Wie ein Schwur, den sie einander immer wieder ablegten. „Dir gehört es, ja, dir.“ Sie hatte ihn vorher zurückweisen wollen, aber er hatte ihr immer angesehen, dass sie auch nur verzweifelt gewesen war und nicht gewusst hatte, was sie tun sollte. „Nun bist du hier bei mir…“ „Oh, du bist bei mir…“ „Und ich auf ewig hier, bei dir.“ Sie blickten einander in die Augen und bei keinem gab es Zweifel. „Bei dir.“ Konrad versuchte sich aufzurichten, was sie erst zu verhindern versuchte, ihm dann aber half. „Ja, ich will für dich da sein.“ „Immer nur bei dir.“ „Und ich bleibe dann bei dir.“ Es war ein Versprechen, das er ihr aus tiefstem Herzen geben wollte – und sie nickte. „Ja, ich bleibe dann bei dir.“ Er hinterfragte nicht. Fragte nicht, was geschehen war, sondern sah die Aufrichtigkeit in ihren Augen. „Glaube mir.“ Sie nickte und half ihm, sich wieder hinzulegen, da all dies doch noch zu anstrengend für ihn war. „Ja, ich bleibe dann bei dir. Auf ewig hier – bei mir.“ Konrad schloss erschöpft die Augen, spürte dann aber ihre Lippen sanft auf seinen und wusste, dass alles nur besser werden konnte. Sie waren bereits beide durch die Hölle gegangen – und sie waren noch da. Das musste etwas Gutes bedeuten. Doch während sich sowohl Anissina als auch Konrad den Erinnerungen an all das, was geschehen war, ergaben, kam die Versammlung in Yûris Arbeitszimmer keinen Schritt weiter – und das wurmte alle. Schließlich ging Gwendal in Richtung Tür. „Was hast du vor, Bruder?“ Wolfram sah ihm nach, unschlüssig, ob er mitkommen oder bei Yûri bleiben sollte. „Es gibt nur einen, der uns Antworten geben kann – und wird.“ Der älteste Bruder öffnete die Tür und schnauzte einen Gardisten an. „Bringen Sie Yozaku Gurrier hierher!“ Man hörte noch ein „Jawohl, Lord von Voltaire!“, doch da hatte Gwendal die Tür auch schon wieder geschlossen. „Yozaku?“ Yûri sah Gwendal unsicher an. „Ja. Er ist Konrads engster Vertrauter – und ein Untergebener. Wenn wir ihm den Befehl geben, muss er antworten.“ Kapitel 4: Wenn ich dein Spiegel wär' ------------------------------------- „Ich weiß nicht…“ Yûri wand sich ein wenig und suchte mit zweifelndem Gesicht jemanden, der seine Skepsis an Gwendals Vorhaben teilte. „Konrad und Yozaku sind Freunde. Beste Freunde. Da können wir doch nicht…“ „Wir müssen.“ Gwendal blieb barsch bei seiner Anordnung, worauf es Günter etwas diplomatischer versuchte. „Heika, Eure Rücksicht auf die Gefühle Yozakus ehrt Euch, aber… Lord von Hiller kann nach diesem Vorfall harte Repressalien von Lord von Karbelnikoff verlangen, wenn nicht gar eine Verurteilung dessen als Betrüger anstreben. Mit furchtbaren Konsequenzen möglicherweise. Ich fürchte, unsere einzige Chance ist tatsächlich, alles in Erfahrung zu bringen, um dieses Unheil abzuwenden.“ Yûri sah noch einmal zu Murata und Wolfram, doch die schienen sich da im Augenblick raushalten zu wollen, da ihnen auch nichts einfiel, womit sie Yûri unterstützen konnten. Kurz darauf klopfte es an der Tür und Yozaku trat ein. „Ihr wünschtet mich zu sehen?“ Er verbeugte sich leicht und sah dann in die Runde. „Ja, Yozaku.“ Yûri ergab sich in sein Schicksal. „Bitte tritt näher.“ Ebenfalls mit etwas argwöhnischem Blick folgte der Spion dem Befehl, bis er vor dem Schreibtisch seines Herrschers stand. „Yozaku… dir ist ja auch nicht entgangen, was sich hier… ereignet hat nach der Ankunft von Lord von Hiller.“ Yozaku nickte, wartete aber weiter ab, was da noch kommen würde. „Du hast wohl ein so enges Vertrauen zu Konrad wie sonst keiner. Kannst du… uns etwas über die Hintergründe sagen? Was damals war?“ Der Blick des rothaarigen Spions ging überrascht von einem zum anderen, bis er wieder bei Yûri war. „Warum sprecht ihr nicht mit Konrad?“ „Das würden wir gern.“ Yûri seufzte. „Allerdings ist er… im Moment nicht auffindbar.“ „Heika, ich bin Euch ergeben, das wisst Ihr, aber wisst Ihr auch, was Ihr da verlangt? Konrad ist nicht nur mein mir vorgesetzter Kommandant, er ist auch mein Freund. Jetzt hier so über Dinge zu reden, die er mir absolut im Vertrauen gesagt hat, käme dem beinahe größten denkbaren Verrat gleich!“ Der junge Maô seufzte. Natürlich war ihm das klar! Er hatte Yozaku auch nie dazu zwingen wollen, aber das war jetzt auch keine Lösung. „Yozaku Gurrier, dein Herrscher hat dir eine Frage gestellt. Beantworte sie!“ Gwendals herrischer Einwand machte es da nicht wirklich besser. „Yozaku…“ Yûri versuchte es im Guten, als habe er das gerade nicht gehört. „…ich verstehe deinen Zwiespalt. Ich verstehe vollkommen, dass du Konrad nicht so… hintergehen willst. Aber ich weiß nicht, was dieser Lord da draußen alles tun wird, um seine Ehre in seinen Augen wieder reinzuwaschen. Und dass er nicht viel von Konrad auf Grund seiner Abstammung hält, haben wir gehört.“ Wieder seufzte er. „Ich möchte einfach verhindern, dass ihm oder Anissina wegen dieser Sache etwas passiert. Aber dazu muss ich wissen, was vorgefallen ist. Bitte, Yozaku! Hilf mir dabei!“ Der Spion ließ den Kopf hängen – und sah deshalb nicht, wie verblüfft Wolfram seinen Verlobten anstarrte. Es war dem jüngsten Sohn der Ex-Maô unbegreiflich, dass Yûri mit einer Bitte, die Schwäche zum Ausdruck brachte, mehr bewirkt hatte als Gwendal mit seinem deutlichen Befehl. „Nun gut, ich… ich werde Euch sagen, was ich weiß. Aber… ich kann Euch nicht versprechen, dass das alles ist.“ „Alles hilft uns im Moment weiter.“ Denn sie wussten ja so ziemlich nichts. „Also… war das zwischen Anissina und Konrad eine… einmalige Sache?“ „Nein.“ Yozaku schüttelte den Kopf, wobei er diesmal auch die schockierten Gesichter von Gwendal, Günter und Wolfram sah. „Nein, es… es war Liebe, Heika. Ich weiß nicht, wann genau und wie es angefangen hat, aber… Konrad hatte sich Hals über Kopf in Lady Anissina verliebt.“ „Aber was war denn dann mit Lady Julia?“ Günter sah ihn verständnislos an. „Konrad hat sich damals sogar als Schwertmeister an den Hof der von Wincotts versetzen lassen.“ Yozaku konnte ein leicht verschmitztes Lachen nicht unterdrücken. „Ja, das war ein beachtlicher Trick von ihm. Er wusste um die Gerüchte – die wirklich nur Gerüchte waren – und ließ sich dorthin versetzen.“ Er trat an die Karte des Königreiches, die an der Wand hing und deutete auf einen Punkt. „Hier ist der Hof der von Wincotts. Und hier – unweit der Grenze – ist der Hof der von Karbelnikoffs.“ Den beiden Brüdern und Günter zeichnete sich mit leichtem Entsetzen ein gewisses Verstehen auf den Gesichtern ab, das Yozaku sogleich bestätigte. „In strengem Ritt kommt man in zwei Stunden von einem Hof zum anderen. So konnte Konrad in den Nächten zu Lady Anissina kommen, ohne Aufsehen zu erregen.“ „Aber… wenn sie sich so geliebt haben…“ Yûri verstand noch nicht ganz. „Warum haben sie dann nicht… geheiratet? Ich meine…“ Yozaku lächelte bitter, während er zum Schreibtisch zurückkam. „Das war nicht so einfach, Heika. Letztlich… besaß Konrad immer noch den Makel des Menschenblutes seines Vaters. Eine Mazoku zu heiraten wäre ohnehin schon nicht einfach gewesen – und eine Lady aus dem Hochadel so ziemlich unmöglich.“ „Aber hätte Cherie-sama da nicht etwas tun können?“ Yûri sah das Problem noch immer nicht. „Sie war doch Maô damals. Hätte sie nicht einfach… ihren Segen geben können?“ Fragend sah er zu Günter, der sich in solchen Dingen am besten auskannte. „Prinzipiell schon. Konrad hätte bei ihr vorsprechen müssen und dann… hätte sie es gewissermaßen… anordnen können. Also den damaligen Lord von Karbelnikoff überstimmen können, seine Tochter mit ihrem Willen, für eine Ehe mit Konrad freizugeben.“ „Hätte.“ Yozaku sah auf den Boden und in seinem Blick hielten sich Wut und Trauer die Waage. „Was heißt das?“ Yûri hakte nach, woraufhin Yozaku aufsah. „Konrad war bei seiner Frau Mutter – und hat sie darum gebeten.“ „Und was… ist passiert?“ „Das will ich euch sagen.“ Konrad war in seine blaue Paradeuniform gekleidet, als er das private Empfangszimmer seiner Mutter betrat. Cherie stand am Fenster und sah auf den mit Fackeln erleuchteten Hof hinunter. Sie drehte sich nicht um, auch wenn sie wusste, dass ihr Sohn hinter ihr stand, um sie in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. „Wie oft hab ich gewartet, dass du mit mir sprichst? Wie hoffte ich, dass du endlich das Schweigen brichst!“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Doch dich erschreckt, wie ähnlich wir beide uns sind. So überflüssig, so überdrüssig der Welt, die zu sterben beginnt.“ Denn er wusste, dass seine Mutter sich manchmal so fühlte, da ihr ihr Bruder nahezu alle Regentenpflichten aus der Hand genommen hatte. „Wenn ich dein Spiegel wär‘, dann würdest du dich in mir sehen. Dann fiel’s dir nicht so schwer, was ich nicht sage zu verstehen. Bis du dich umdrehst – weil du dich zu gut in mir erkennst.“ Ein leichtes Zucken schien bei dieser Bemerkung durch den Körper der Herrscherin zu gehen, doch er war sich nicht sicher, ob sie es als Seitenhieb auffasste, weil sie ihm noch immer den Rücken zukehrte, oder ob er es sich einfach eingebildet hatte und es nur ein Flackern des Feuers von außen war. „Du ziehst mich an – und lässt mich doch niemals zu dir. Seh ich dich an, weicht dein Blick immer aus vor mir.“ Er trat einen Schritt nach vorn – einfach um sie spüren zu lassen, dass er sich jetzt nicht abweisen lassen würde. „Wir sind uns fremd – und sind uns zutiefst verwandt. Ich geb dir Zeichen, will dich erreichen, doch zwischen uns steht eine Wand. Wenn ich dein Spiegel wär‘, dann würdest du dich in mir sehen. Dann fiel’s dir nicht so schwer, was ich nicht sage zu verstehen.“ Nun wandte sich seine Mutter tatsächlich um. „Was soll die Störung? Was gibt’s? Was willst du hier?“ Konrad sank vor ihr auf ein Knie. Endlich hatte er sie erreicht! „Mutter, ich brauche dich!“ Bittend sah er sie an. Er kniete hier wie ein Untergebener, aber er war doch ein Sohn, der die Hilfe seiner Mutter suchte. „Ich komm in höchste Not. Fühl mich gefangen und umstellt. Von der Gefahr bedroht, entehrt zu sein vor aller Welt. Nur dir alleine kann ich anvertrauen, worum es geht.“ Er erhob sich wieder, um ihr in die Augen sehen zu können. „Ich seh keinen Ausweg mehr.“ Cherie sprach zugleich halblaut, sodass sich ihre Worte fast mit seinen verwoben. „Ich will’s nicht erfahren.“ „Hof und Ehe sind mir eine Qual. Ich krank, mein Leben leer…“ Da er wusste, dass er so einfach nicht bekommen würde, was sein Herz begehrte. „Kann’s dir nicht ersparen.“ Konrad wurde lauter, da sie ihm anscheinend nicht zuhören wollte und stoppte so ihren eigenen Redefluss. „…und nun dieser elende Skandal!“ Denn er wusste, dass man ihn beschuldigte, Lady Julia zu einem Bruch ihrer Verlobung verführen zu wollen. Und er selbst konnte sich nicht einfach daraus befreien. „Nur wenn du für mich beim Lord bittest, ist es noch nicht zu spät!“ Mit der puren Hoffnung in seinem Blick sah er zu ihr, doch ihre tonlose Antwort schlug ihm wie eine Ohrfeige entgegen. „Den Lords bin ich längst entglitten. Hab alle Fesseln durchgeschnitten. Ich bitte nie! Ich tu’s auch nicht für dich.“ Sie wandte sich sofort wieder ab, während Konrads Gesichtsausdruck sich versteinerte, bevor er ohne ein weiteres Wort das Zimmer verließ. Alle im Zimmer starrten Yozaku an. „Das… das kann nicht sein!“ Wolfram schüttelte fassungslos den Kopf. Auch alle anderen konnten es nicht glauben. Die Ex-Maô war immer die Verfechterin der Liebe gewesen. Sie selbst hatte einen Menschen geheiratet und somit Konrad das Leben geschenkt. Es war undenkbar, dass nun gerade sie ihm seine große Liebe nicht gestattete. „So hat es Konrad mir berichtet.“ Yozaku zuckte mit den Schultern. „Er war am Ende. Er sah keinen Sinn mehr. Deshalb… meldete er sich auch freiwillig dafür, dass Rutenberg-Regiment zu führen – weil es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit der sichere Tod sein würde.“ Yûri konnte es nicht fassen. Es machte alles keinen Sinn in seinem Kopf. „Wir müssen mit Cherie-sama sprechen.“ Und diesmal entschied er das. Kapitel 5: Du allein -------------------- Du allein Anissina war inzwischen in das Gemach gegangen, das sie hier auf Blood Pledge Castle bewohnte. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. ‚Dass gerade ich mich so lange davor gescheut habe, ist eigentlich ein Skandal.‘ Und doch stand sie – vielleicht weil sie es sich auch selbst nicht hatte eingestehen wollen – immer noch etwas zögernd vor dem leuchtend roten Jungfernkleid, das auf ihrem Bett lag. ‚Geh nach vorn! Tu, was du tun musst! Tu es für dich – und für alle Frauen dieses Reiches!‘ Yûri hatte sich inzwischen – begleitet von dem ganzen „Beraterstab“ aus seinem Arbeitszimmer – in den Innenhof begeben, wo Cherie-sama die Gäste ablenkte und bei Laune zu halten versuchte. „Heika!“ Doch merklich erleichtert lächelnd kam die ehemalige Regentin auf den amtierenden Dämonenkönig zu. „Ich bin froh, dass Ihr da seid. Die Herren… sind bisher ruhig geblieben, aber sie werden sich ohne eine Entscheidung wohl nicht beruhigen.“ Yûri musste die Worte erst einmal ordnen, ehe er nickte. Die Geschichte, die Yozaku ihnen erzählt hatte, hatte ihn so eingenommen, dass er die einander beschuldigenden Adligen fast vergessen hatte. „Gut, Cherie-sama, danke, aber… darum geht es erstmal nicht.“ Verwirrt legte die Ex-Maô den Kopf schief. „So? Worum geht es dann?“ Yûri zögerte. Gerade weil er sich ein solches Handeln bei Cherie-sama nicht vorstellen konnte, wusste er nicht, wie er das jetzt ausdrücken sollte. Doch wie nahezu immer, wenn Yûri keine Worte fand, übernahm Wolfram das für ihn – in sehr deutlicher Art und Weise. „Hast du Konrad versagt, Anissina zu heiraten?“ Innerlich stöhnte Yûri auf. ‚Memo an mich: Wolfram niemals wichtige Verhandlungen führen lassen!‘ „Was? Wie… wie kommt ihr darauf?“ Erschrocken sah Cherie-sama von einem zum anderen. „Nun…“ Gwendal versuchte mit seiner abgeklärten Art etwas Ruhe reinzubringen, damit niemand weiter auf dieses Gespräch aufmerksam wurde. „Wir haben aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass Konrad damals, als du regiert hast, bei dir vorgesprochen hat, damit du dich bei Lord von Karbelnikoff für ihn verwendest und dieses heimliche Spiel eine Ende hätte finden können. Doch du sollst ihn abgewiesen und gesagt haben, du hättest dich von den Lords gelöst und würdest nie bitten – auch nicht für ihn. Kurz darauf ist er dann Richtung Rutenberg gezogen.“ Jetzt wurde die Mutter der drei ungleichen Brüder leichenblass. Sie schien die Worte, die Gwendal möglichst genau zitiert hatte, wiederzuerkennen. „Aber… aber… da ging es doch nicht… Oh Shinou, es ging um Anissina?“ Nun war es an der Männergruppe verwirrt zu sein. „Was nahmt Ihr an, um wen es sich handeln sollte?“, fragte Günter, um irgendwie Licht in dieses Dunkel zu bringen. „Na… um Julia.“ „Julia?“ Natürlich wusste Yûri um Suzanna Julia von Wincott, aber er befürchtete, dass es nun mit ihr im Spiel noch komplizierter würde. „Ja.“ Cherie-sama nickte und versuchte, sich zu fassen, um sich zu erklären. „Konrad… Nach seiner Ausbildung zum Schwertmeister bestand er auf eine Versetzung an den Hof der von Wincotts. Es gab schnell… Gerüchte, dass die Verbindung zwischen ihm und Julia nicht nur rein… ehrerbietender Natur war.“ Das Nicken seitens Gwendal, Günter und Wolfram bestätigte, dass der Klatsch damals wohl tatsächlich ziemliche Dimensionen angenommen hatte. „Julia war damals schon mit Adalbert von Grantz verlobt und… Stoffel meinte, dass wir uns einen Skandal solcher Art nicht leisten könnten.“ Bei der Erwähnung ihres Onkels verfinsterten sich die Mienen von Gwendal und Wolfram, doch sie schwiegen. „Was für ein Skandal?“, fragte Yûri, doch an Cherie-samas Stelle antwortete Günter mit seiner Erklärungsvermutung. „Der Skandal, wenn Lady Julia ihren Verlobten für Konrad verlassen hätte. Zwar hätte er, um Julia heiraten zu können – gegen den Willen ihres Vaters – der Zustimmung einer höheren Instanz bedurft, aber dies war ja alles andere als unmöglich, wenn die eigene Mutter Dämonenkönigin ist.“ Cherie-sama nickte. „Stoffel warnte mich, dass Konrad zu mir kommen und mich um mein Wort gegen den Lord bitten würde – und kurz darauf stand er tatsächlich vor mir und… bat mich um genau dies.“ „Aber es ging doch nicht um Julia!“ Yûri verstand immer noch nicht ganz. „Aber das hat er nicht gesagt.“ Überrascht wandten sich alle zu Gwendal um. „Wenn ich die genauen Worte im Kopf durchgehe, wie sie uns… die Quelle genannt hat, dann hat Konrad nur von ‚dem Lord‘ gesprochen. Und dass es nicht zu spät wäre, wenn Mutter für ihn bitten würde. Er hat keinen Namen genannt. Und durch Stoffels vorherige… Intervention hat Mutter wohl angenommen, dass es sich um Julia handelt, während Konrad von Anissina gesprochen hat.“ Fassungslos sahen sich alle an. Das machte Sinn! Erschreckenden Sinn! Es war alles ein großes, tragisches Missverständnis gewesen. „Aber warum hat er sich an den Hof der von Wincotts versetzen lassen?“ Das ergab für den jungen Maô noch keinen Sinn. Für Günter mittlerweile anscheinend schon. „Der Hof der von Wincotts und der der von Karbelnikoffs liegen nicht sehr weit voneinander entfernt. Ein gutes Pferd schafft die Strecke in weniger als zwei Stunden. Vermutlich… wollte er keine Gerüchte bezüglich sich und Anissina schüren und… hatte das Vertrauen darin, dass sich das über ihn und Julia geben würde, da ja wirklich nichts war.“ Ein fataler Irrtum – auch durch Julias frühen Tod. „Und was machen wir…“ „Heika!“ Außer Atem kam Yozaku vor ihnen zum Stehen. Yûri hatte ihn nach dem Gespräch losgeschickt, um Konrad zu suchen. „Yozaku, was ist los?“ „Konrad!“, keuchte der Spion. „Er duelliert sich mit so einem Tier von Schwertmeister in den Diensten Lord von Hillers!“ „Was?“, fuhr Gwendal an Yûris Stelle auf. „Wieso hast du ihn nicht aufgehalten?“ „Wollte ich ja, aber…“ Yozaku zuckte hilflos mit den Schultern. „Er war zu allem entschlossen und hat mich weggeschickt. Nicht mal als Sekundant sollte ich bleiben. Da dachte ich, ich muss Euch holen.“ „Dann los!“, rief Yûri so laut, dass nun auch die restlichen Leute auf dem Hof darauf aufmerksam wurden. „Durch’s Schloss, das geht…“ Er verstummte mitten im Satz, denn am oberen Ende der Treppe war Anissina erschienen – in einem leuchtend roten Kleid, wie man es sich bei einer adeligen Jungfrau im mittelalterlichen Europa vorstellte. Sie war blass und schaute sehr ernst, doch es war nicht zu erkennen, ob sie mitbekommen hatte, in welch gefährliche Lage sich Konrad ihretwegen begeben hatte. „Anissina!“ Überraschend erklang die Stimme ihres Bruders, der nun zu ihnen trat. „Du… du trägst ja das Übergabegewand!“ Fragend sah Yûri zu Günter, der ihm flüsternd erklärte. „Es ist das Gewand, das unter den Frauen einer Familie vererbt wird und das sie tragen, wenn sie sich einem Mann versprechen. Also in gewisser Weise ein Verlobungsgewand.“ Was auch weniger objektbezogen klang als Übergabegewand. „Dann hat sich die Lady also entschieden.“ Mit einem selbstgefälligen Grinsen trat Lord von Hiller neben Anissinas Bruder. „Auch wenn Euch das trotzdem nicht billig kommen wird.“ Anissina ignorierte die letzte Bemerkung und nickte. „Ja, ich habe mich entschieden.“ Sie atmete noch einmal tief durch und hob dann den Kopf. „Du allein gibst mir Kraft zu leben. Und die Welt ist wunderschön, wenn wir zusammen sind. Nie zuvor war mir so klar: Nur du allein gibst mir Kraft zu leben. Nimm mich, halt mich, fühl mich, spür mich und versteh mich, denn ich weiß es jetzt genau… ganz genau.“ Spätestens jetzt brauchte man nicht mehr zu raten, dass sie nicht von Lord von Hiller sondern von Konrad sprach. „Hier bin ich…“ Mit einer Hand wie zur Beruhigung auf ihr Herz gelegt, trat sie ein paar Stufen hinab. „…suche dich! Jeder Tag ohne dich ist ohne Hoffnung. Doch mit dir wird’s endlich hell in mir. Du bist das Licht in meinem Leben.“ „Sie bricht mit ihrer Familie.“ Wolfram flüsterte zwar, doch Yûri glaubte, tatsächlich so etwas wie Bewunderung aus der Stimme des jungen Prinzen herauszuhören. „Sie ist bereit, all ihre Ansprüche und Titel für Konrad abzulegen.“ Yûri sah wieder zu Anissina auf. Wenn es tatsächlich das bedeutete, dann bewunderte er sie zutiefst für ihren Mut. „Du allein gibst mir Kraft zu leben. Und die Welt ist wunderschön, wenn wir zusammen sind. Du allein kannst mein Leben bewegen.“ Sie wusste, was für Konsequenzen diese Worte hatten – und entgegen der Vermutung der anderen hatte sie gehört, dass Konrad sich duellierte. Und sie kannte den Schwertmeister der von Hillers, welcher auch für schmutzige Tricks bekannt war. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn Konrad ihretwegen etwas geschah, als sich plötzlich die kleine Gruppe von Bediensteten auf der einen Seite des Hofes teilte und Konrad – mit durchaus schmutziger Uniform aber auf den ersten Blick unverletzt – auf die Treppe zutrat. „Anya, ich hab dich gesucht. Ist alles okay?“ Er hatte ihre Worte nicht gehört und das Kleid konnte auch etwas Schlimmes bedeuten. „Ich bin okay. Aber meinetwegen hast du verloren.“ „Das stimmt nicht. Deinetwegen hab ich gewonnen.“ Im Hintergrund humpelte von Hillers Schwertmeister wütend grummelnd zu seinem Herrn hinüber. „Du hast gewonnen?“ Anissina konnte ihr Glück kaum fassen. Mit einem Sieg im Duell, das von Hiller offenbar abgesegnet hatte, hatte Konrad dessen Anspruch auf eine Ehe mit Anissina zunichte gemacht – ob er selbst sie heiratete oder nicht. „Ich hab gewonnen.“ Lächelnd zog er ein Tuch aus seiner Jackentasche, das ihr gehörte. Die ritterliche Tugend, das Tuch der Herzensdame mit sich zu führen, wenn man auszog ihre Ehre zu verteidigen. Das Tuch auf seine Hand gelegt streckte er diese nach ihr aus. „Komm!“ Langsam trat sie die Treppe hinunter. „Hier bin ich…“ „Hier bin ich…“ „…suche dich.“ „…suche dich.“ „Jeder Tag ohne dich war ohne Hoffnung.“ Als sie am Fuß der Treppe angekommen war, sank Konrad auf ein Knie nieder und küsste in sanfter Formvollendung ihren Handrücken. „Doch mit dir wird’s endlich hell in mir.“ Auf ihren Wink hin erhob er sich wieder, legte die Hand unter ihr Kinn und hob es so leicht an. „Du bist das Licht in meinem Leben.“ Fest umschlangen sie die Hände zwischen sich. „Du allein…“ „…nur du allein…“ „…gibst mir Kraft zu leben. Und die Welt ist wunderschön, wenn wir zusammen sind.“ „Selbst die Nacht ist für mich hell.“ „Selbst die Nacht ist für mich hell.“ „Nur du allein gibst mir Kraft zu leben.“ Sie ließen die Hände los, er legte die Arme um ihre Taille, sie die Hände auf seine Brust. „Nimm mich, halt mich, fühl mich, spür mich und versteh mich! Und wir werden’s schaffen. Wir allein.“ Denn im Zweifel würde ihnen – sollte Anissinas Bruder sie verstoßen und Konrad die Konsequenzen für den Verstoß gegen das Duellverbot tragen müssen – nichts anderes übrig bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)