Die Legende von Shikon No Yosei von Ami_Mercury (Das Schicksal einer Elementarmagierin) ================================================================================ Kapitel 9: Zwischenspiel 03: Eine Legende zum Wintertag ------------------------------------------------------- Das Juwel der vier Seeles Erst wenige Wochen waren unsere Helden von ihrer Schlacht zurückgekehrt, da neigte sich das Jahr des tyrianischen Kalenders bereits dem Ende entgegen und überall hielt Grenth´s eisiger Winter Einzug … Wirklich überall? Nein, denn in Cantha hatte es noch nie geschneit – nicht ohne Magie. Und so blieb Shikon No Yosei´s Wunsch nach einer eisigen Schneelandschaft unerfüllt. Denn ihre magischen Kräfte hatten sich von dem gewaltigen Zauber gegen den Großen Zerstörer noch nicht wieder erholt und es blieb die quälende Frage, ob sie überhaupt zurückkehren würden … trotz der Diagnose der kundigen Asura. „Shiko, wach´ auf! Wir müssen los.“, rüttelte Ohtah Ryutaiyo sie früh am Morgen aus dem Schlaf. Die schöne Elementarmagierin rieb sich verschlafen über die Augen, doch ihre jahrelangen Abenteuer ließen sie dennoch aufhorchen. Doch anstelle einer Antwort, zog er ihr nur die Bettdecke vom Leib und ein Frösteln überlief Shikon No Yosei. „Hier, zieh´ das an.“, verlangte er ungewohnt autoritär. Der Braunhaarige hatte seiner Angebeteten dicke Winterkleidung hingelegt – allein dass er sich an ihren Kleiderschrank getraut hatte, verschlug ihr schon die Sprache. Innerlich zuckte Shikon No Yosei die Achseln; immerhin ging es hier um Ohtah Ryutaiyo – er hatte für alles einen Beweggrund. „Aber ins Bad darf ich schon noch, oder?“, neckte sie ihn. Er lächelte schief und hauchte nahe an ihren Lippen: „Wenn du dich beeilst …“ Zu nah. Er war ihr zu nahe, als dass sie es einfach ignorieren oder sich abwenden konnte – ihre Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Nacken und zogen ihn zu einem leidenschaftlichen Kuss auf sie. Bei niemand anderen konnte sich Ohtah Ryutaiyo derart fallen lassen … für den Moment alles vergessen und es galt nur zu genießen. Aber heute schafften es nicht einmal die Lippen von Shikon No Yosei, ihn vollkommen die Fassung verlieren zu lassen und er entzog sich ihrem süßes Spiel. „Bei den Göttern …“, gab er etwas atemlos von sich, „Ich warte draußen auf dich.“ Der geschickte Assassine verschwand im Schatten. Selbst in seinem jetzigen Leben war er manchmal für die harte Ausbildung und seine dadurch erlangte, eiserne Selbstbeherrschung unglaublich dankbar. Knapp eine halbe Stunde später kam Shikon No Yosei in voller Montur zu ihm hinaus – sie trug eine dicke Strumpfhose, gefütterte Stiefel, ein Kleid aus Wolle und darüber noch einen Mantel; Schal, Mütze und Handschuhe hatte sie in eine kleine Umhängetasche gestopft. Nun bemerkte die junge Shing Jea, dass ihr Liebster ähnlich angezogen war und zu seinen Füßen stand ein voll gepackter Rucksack. „Sagst du mir jetzt endlich, was eigentlich los ist?“, fragte Shikon No Yosei ungeduldig. Ohtah Ryutaiyo griff in seine Jackentasche und holte einen silbernen Gegenstand heraus, der sich noch nicht allzu langem in ihrer beider Besitz befand – es war ein von Vekk geschaffenes, mobiles Portal, das einen überallhin bringen konnte, sofern man nur den Namen des Ortes aussprechen konnte. Der Asura hatte es der Rothaarigen als Zeichen der Ehrerbietung und Freundschaft vor deren Abreise geschenkt. Aufgeregt ergriff sie Ohtah Ryutaiyo´s Arm und hörte, wie er leise sagte: „D´Alessio-Küste.“ Die Küste lag nahe Löwenstein im Herzen Kryta´s. Der große Fluss, der unterirdisch ins Meer von Orr floss, war komplett zugefroren. Shikon No Yosei staunte und bewunderte diesen einzigartig funkelnden Anblick. Beinahe zärtlich fing sie die kleinen Schneeflocken auf, die vom Himmel fielen und in ihrer warmen Hand sofort schmolzen. Zögerlich trat der geschickte Assassine an ihre Seite und meinte: „Ich will dir alle deine Wünsche erfüllen … und für immer mit dir zusammen sein.“ „Damit erfüllst du mir meinen größten Wunsch!“, entgegnete sie lachend, während sie sich an seine Brust kuschelte. Er drückte sie fest an sich. Es war ein Wunder, dass sie ihm die Geschichte mit Livia wirklich verziehen hatte, ihn auch weiterhin an seiner Seite haben wollte. Um die aufsteigende Melancholie zu verscheuchen, löste er sich von Shikon No Yosei und packte die eigentliche Überraschung aus seinem Rucksack aus – zwei Paar Schlittschuhe. „Nein, wirklich? Du … Echt jetzt?“, bekam sie vor Freude kaum ein vernünftiges Wort heraus. Seit langem schon wollte sie Schlittschuh laufen zu lernen – das Problem dabei war, dass es durch die milden Winter in Cantha im Grunde niemand konnte. Ohtah Ryutaiyo hielt eine solche Kleinigkeit natürlich nicht auf – kurzerhand war er per Portalnetz nach Löwenstein gedüst, hatte das mit Kufen versehene Schuhwerk gekauft und damit geübt. Stolz hielt er ihr das Schuhwerk mit den glänzenden Kufen hin und erklärte ihr, wie sie diese binden und zuschnallen musste. Wenige Minuten später stand Shikon No Yosei, noch etwas wacklig auf den Beinen und gestürzt von Ohtah Ryutaiyo, auf dem Eis. Zaghaft machte sie die ersten Schritte mit einem wohliges Glücksgefühl. „Halte dich gerade, die Fußspitzen müssen leicht nach außen zeigen und immer abwechselnd abstoßen.“, meinte der geschickte Assassine lächelnd, „Stell´ dir vor, du würdest einfach dahinschweben …“ Selbst wenn sie es nicht in ihrem Namen tragen würde, für ihn war sie stets eine starke, anmutige und wunderschöne Fee, die ihn verzaubert hatte. Glanzvoller als jeder Engel … Er ließ ihre Hände los und entfernte sich ein Stück von ihr. Zuerst etwas panisch begann die junge Elementarmagierin zu schwanken, bis sie eine tiefe Ruhe empfing. Sie wusste, Ohtah Ryutaiyo würde sie niemals fallen lassen … es konnte ihr nichts geschehen. Er war ihr Beschützer, der sie über alle Maßen liebte und jede Herausforderung annahm – deshalb wollte sie ihn auf gar keinen Fall enttäuschen! Shikon No Yosei nahm Haltung an und plötzlich war es ganz einfach. Sie flog förmlich über das Eis. Ohtah Ryutaiyo staunte nicht schlecht – er hatte Stunden und Tage gebraucht, um mit den Schlittschuhen klarzukommen. Lachend fuhr er seiner Geliebten hinterher und gemeinsam drehten sie viele Runden auf der gefrorenen Oberfläche, bis ihr Magen schließlich lauthals protestierte – immerhin hatten sie noch kein Frühstück gehabt. Doch auch daran hatte der gewitzte Assassine natürlich gedacht und belegte Brote, Obst sowie Getränke eingepackt. „Das ist ja ein kleiner Zauberrucksack! Und das hast du alles allein gemacht?“, staunte Shikon No Yosei über die Auswahl. Etwas schuldbewusst schüttelte er den Kopf: „Seiketsu hat mir geholfen, bevor sie zum Kloster aufgebrochen ist.“ Seit der braunhaarige Mönchin nach Meister Togo´s Willen das Amt der Leiterin des Klosters von Shing Jea übertragen worden war, verbrachte sie dort fast vierundzwanzig Stunden. „Wusstest du, dass die Zeit des Wintertages in Elona und Tyria ganz groß gefeiert wird?“, fragte Ohtah Ryutaiyo und zog ein Päckchen heraus, „Man beschenkt zum Beispiel auch seine Liebe …“ Shikon No Yosei schaute ihn überrascht an. Für gewöhnlich hängte er sich nicht an materielles – Ausflüge wie dieser Tag oder wenn dann Liebesbotschaften und Blumen. Zaghaft nahm sie dem Gegenstand entgegen und befreite ihn aus dem Papier. Es war ein Buch, auf dessen Einband eine violett schimmernde Kugel abgebildet war. „Die Legende des Shikon No Tama …“, las sie ehrfürchtig den Titel. Ihr Blick wanderte zu Ohtah Ryutaiyo, als dieser erklärte: „Es ist ein altes, canthanisches Märchen über ein Juwel, das durch den Kampf von Menschen und Dämonen entstanden ist. Deshalb kann es sowohl gute, als auch böse Energie ausstrahlen – je nach Eigenschaften seines Besitzers … Wird derjenige von Gier, Neid, Ignoranz und Hass getrieben, wird das Shikon No Tama unrein. Herrschen dagegen Mut, Freundschaft, Weisheit und Liebe im Herzen desjenigen, bleibt es rein.“ „Woher hast du das?“, hauchte Shikon No Yosei gerührt. Ohtah Ryutaiyo atmete tief ein, bevor er antwortete: „Von Seiketsu. Sie hat es in der geheimen Bibliothek des Klosters gefunden … Es gehörte Meister Togo. Vielleicht ein weiterer Hinweis, dass deine Theorie der Wahrheit entspricht. Ich … ich hatte mich schon länger gefragt, was die vier Seelen sind.“ Shikon No Yosei nickte. Das hatte sie ebenfalls getan – doch niemand konnte ihr darauf antworten, nicht einmal ihre Tante Bishu. Und bei ihrem Meister war es ihr nie in den Sinn gekommen … Vor allem da Shiro ihn bereits getötet hatte, als er von ihren Blutsbanden gesprochen hatte. „Ich danke dir, Ohtah … das bedeutet mir wirklich unglaublich viel!“, antwortete sie, nachdem sie Minuten lang geschwiegen hatte. Den Abend verbrachten Shikon No Yosei und Ohtah Ryutaiyo mit leicht schmerzenden Beinen in Löwenstein – natürlich waren sie nach der Pause noch einmal auf das Eis zurückgekehrt. Überall sah man wunderbare Dekorationen zu Ehren des Wintertages – Zuckerstangen, Geschenke, Tannenbäume. Als der Wind auffrischte begann der Assassine zu niesen und sie fragte ihn besorgt: „Hast du dich etwa erkältet?“ „Mir ist nur ein bisschen kalt. Erinnert mich an die Zeit in den Zittergipfeln.“, gab er mit beruhigender Stimme zurück. Ohne darüber nachzudenken streckte Shikon No Yosei die Arme zu beiden Seiten ihres Körpers aus und schloss für einige Sekunden die Augen. Langsam erwärmte sich die Luft um sie herum. „Shi-Shiko, du … du kannst wieder zaubern?“, stammelte der Braunhaarige geschockt. Nicht minder überrascht realisierte die Shing Jea, was sie so eben getan hatte und starrte ihre Hände an. Ein kleiner Feuerball tanzte um ihre Finger, gefolgt von einem Wassertropfen und einem Kieselstein, die von einer Windböe davongeweht wurden. Tränen liefen über Shikon No Yosei´s Gesicht und sie sank auf die Knie. Die Magie der vier Elemente strömte durch ihre Adern! „Shiko?“, sprach Ohtah Ryutaiyo sie vorsichtig an. Ergriffen blickte sie zu ihm auf und fiel ihm vor Freude mit solcher Wucht um den Hals, dass beide im Schnee lachend landeten. Ihre Strafe hat endlich ein Ende gefunden! Und auch wenn es eine furchtbare Qual gewesen ist, so würde Shikon No Yosei dennoch jedes Mal erneut dieselbe Entscheidung treffen … Obwohl ihr ein Leben vollkommen abgeschnitten von ihren magischen Kräften so sinnlos erschient. Was ist schon eine Elementarmagierin, die nicht zaubern kann? Allein wäre sie sicher verrückt geworden … doch Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari werden ihr stets beistehen – es gibt schließlich nicht nur eine Art von Magie … Mut, Freundschaft, Weisheit und Liebe gehören ebenfalls dazu. Besonders wenn man nach dem Juwel der vier Seelen benannt wurde … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)