Die Legende von Shikon No Yosei von Ami_Mercury (Das Schicksal einer Elementarmagierin) ================================================================================ Kapitel 26: Erzählung 12: Das Schicksal einer Luxon und einer Kurzick --------------------------------------------------------------------- Das Blut der Legenden Mehr als fünfhundert Jahre waren seit der größten Katastrophe in der Geschichte von Cantha vergangenen. Einst hatte Shiro Tagachi eine fürchterliche Schockwelle ausgelöst, welche den ganzen Kontinent überzog, überall seine Spuren hinterließ. So wurde das Meer zu Jade und der Wald zu Bernstein. Die Heimat der Luxon und Kurzick war dem Gleichgewicht geraten. Krieg war die Folge – ein Krieg, der Tausende von Opfern forderte … bis zur Rückkehr ihres gemeinsamen Feindes und dem mutigen Einsatz einer Heldin, deren Namen mit Ehrfurcht in den Hallen des Klosters von Shing Jea ausgesprochen wurde. Doch nicht nur die Schatten der Vergangenheit bedrohten in diesen Tagen das Reich des Drachens, sondern auch die Wege der Zukunft … Und Frieden war hier noch nie ein Zustand von Dauer. So geschah zu jener Zeit, als die Auswirkungen des Jadewindes langsam nachließen, dass der rechtmäßige Kaiser von seinem eigenen Vertrauten Usoku vom Thron gestoßen wurde. Sein Machthunger war absolut grenzenlos und er wollte sich sogar den Echowald und das Jademeer untertan machen, welche zwar zum Kaiserreich gehörten, jedoch von ihren eigenen Anführer hatten. Die Bewohner Cantha´s litten unter diesem Depoten – überall wurden Schreie nach neuen Helden laut. Helden, welche den Mut und die Kraft aufbringen konnten, sich gegen Usoku´s gewaltigen Einfluss zu behaupten. Aus allen vier Zonen Cantha´s schloss sich eine Gruppe zusammen, die sich die »Freien von Cantha« nannte. Sie kämpften erbittert gegen die Soldaten des neuen, tyrannischen Herrschers … Doch sie konnten nicht siegen, mussten flüchten. Nur eine Handvoll überlebte die Hetzjagd. Zumindest kurzzeitig – an der Grenze zum Echowald und dem Jademeer, dem Pongmei-Tal schafften es die Häscher des Kaisers die Widerstandskämpfer einzuholen und zu stellen. Eine von ihnen nutzte die Gelegenheit, um zwei Säuglinge zu verstecken … die Zwillingsmädchen Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu, denen sie direkt nach ihrer Geburt jeweils einen halben Herzanhänger aus Silber geschenkt hatte. Nachdem sich die Frau von ihren Töchtern mit einem Kuss auf die Stirn voll Trauer verabschiedet hatte, kehrte sie zu ihrem Mann zurück … und ging mit ihm gemeinsam in den Tod. Die beiden Mädchen lagen schlafend im Unterholz. Die Wächter hatten sie nicht bemerkt und zogen ab – ihr Auftrag war erfüllt, der Kaiser würde zufrieden sein. Aber Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu blieben dennoch nicht gänzlich unentdeckt – Späher, die das Massaker mitangesehen hatten, retteten sie und nahmen sie mit sich in ihre jeweiligen Fraktionen. Einer ging nach Cavalon, der andere kehrte ins Haus zu Heltzer zurück. So kam es, dass Kurotsuki Yumi ein Leben unter Luxon begann und Tsukishiro Miyu als Kurzick aufwuchs … Während die Jahre ins Land zogen, wurde es still um den Widerstand gegen die Tyrannei des Kaisers … Die »Freien von Cantha« waren im Grunde nur noch ein Name … Und dennoch erzählten die Menschen immer wieder von jenen mutigen Freiheitskämpfern. Besonders in schweren Zeiten glomm der Funke der Hoffnung in ihren Augen auf … Während die Bewohner von Kaineng mit harten Strafen wie Ausgangssperren oder Auspeitschungen in Schach gehalten wurden, versuchten die Kurzick ihre aristokratisch Ehre beizubehalten und führten die uralten Gepflogenheiten fort. Soweit es ihnen möglich war zumindest – selbst wenn das Grafenamt offiziell außer Kraft gesetzt worden war, trug ihr Oberhaupt weiterhin den Titel. Das Verblassen des Jadewindes dagegen hatte ihre Religion gespalten – während die eine darin eine göttliche Strafe sahen, deuteten andere es als Zeichen eines neuen Zeitalters. Den Luxon fiel es ebenfalls nicht leicht an ihrer Lebensart festzuhalten – mit dem Friedensvertrag war bereits vor zwanzig Dekaden die Piraterie abgeschafft worden … sie hatten sich stattdessen auf Handel spezialisiert. Nun gab es strengste Grenzkontrollen, die hoch besteuert wurden, wenn man sie als einfacher Bürger überqueren wollte – während die Kurzick ihren Nachbarn helfen wollten, hatten die Luxon die Wahl zwischen dem Zorn des Kaisers und dem Hungertod. Allein vom Fischfang, der durch die stetige Verflüssigung des Meeres wieder möglich wurde, konnte das Volk nicht überleben. Flüchten wäre vielleicht eine Option gewesen – nur wohin? Weder Tyria mit seinen Alt-Drachen noch das vor Untoten wimmelnde Elona würden ihnen eine neue Heimat bieten. Und der Schande, jenes Land ihrer Vorfahren aufzugeben, wollte sich kein einziger Luxon ergeben. Schmugglerverstecke zwischen den beiden Fraktionen hatten bislang die größte Katastrophe abgewendet … doch auf Dauer konnte dies kein Leben sein. Daher sollte es nicht weiter überraschen, dass sich auf beiden Seiten neuer Widerstand in Form zweier, jungen Frauen regte – unabhängig voneinander planen sie den langersehnten Putsch gegen Kaiser Usoku. Aber nicht alle sind davon begeistert, dass die schwarzhaarige Luxon-Nekromantin und die blonde Kurzick-Mesmer für die Freiheit Cantha´s und seiner Bewohner sogar sterben würden … Mikolas, der Kurotsuki Yumi wie seine eigene Tochter aufgezogen hatte, unterdrückte nur mit Mühe seine Tränen, als er ihr zum Abschied eine neu angefertigte Rüstung überreichte. Sogar unter besten Bedingungen erschien es unwahrscheinlich, dass die Widerstandskämpferin noch einmal unbeschadet aus Kaineng zurückkehren würde … Denn Kurotsuki Yumi hatte vor drei Jahren schon einmal das Jademeer verlassen, allerdings erfolglos. Sie dankte ihrem Ziehvater für seine unendliche Liebe und Fürsorge. Nachdem sie sich umgezogen hatte, machte sie sich noch auf die Suche nach dem Sohn ihres Onkels, des Ältesten der Luxon. Einer seiner Freunde schickte die Nekromantin schließlich zum Argo-Hügel im Archipel – seinem Lieblingsplatz, worauf sie eigentlich auch hätte selbst kommen können … hätte sie nicht gehofft, er würde vor ihrem Aufbruch von sich aus zu ihr kommen. Dabei war sie damals ja sogar in einer »Nacht und Nebel«-Aktion spurlos verschwunden … „Du willst dich also nicht von mir verabschieden?“, sprach sie Symeon an und setzte sich zu ihm. Ohne sie anzusehen, antwortete er: „Nur wenn du mir versprichst, am Leben zu bleiben.“ Kurotsuki Yumi seufzte tief. Symeon wusste genauso gut wie sie, dass ein solches Versprechen unmöglich war – sie musste kämpfen und würde sich garantiert nicht zurückhalten. Diesmal würde sie es nicht ertragen, versagt abgezogen zu sein … „Mein Vater wollte dich bei der nächsten Versammlung als neues Mitglied des Rats vorschlagen.“, wechselte der Waldläufer abrupt das Thema. Die Schwarzhaarige nickte erst, entgegnete jedoch: „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt für Politik geschaffen bin …“ Symeon wollte gerade etwas erwidern, da küsste sie ihn. Kurotsuki Yumi konnte nicht sagen, seit wann sie in ihn verliebt war … Ihm gehörte ihr Herz in Wahrheit – selbst wenn sie ein Schatten über ihren Gefühlen für ihn lag. Sie wollte ihn nicht verletzen … Aber der Aufgabe, die sie begonnen hatte, konnte sie sich ebenso wenig entziehen. Bei den Kurzick hatte Tsukishiro Miyu ähnliche Pläne … In ihr aristokratisches Gewand gehüllt, welches auf ihren Status als Grafentochter hinwies, wollte sie sich eigentlich auf den Weg machen, als sie eine schreckliche Nachricht erhielt – ihr Adoptivvater, Graf Terrik zu Heltzer hatte einen Schwächeanfall erlitten und war in sein Gemacht gebracht worden. Alles in ihr zog sich schmerzhaft zusammen. Ausgerechnet er, der die Mesmer stets gelehrt hatte, gütig und rechtschaffend zu sein. Wie konnte sie da mitansehen, wie ein Tyrann über ihre Heimat verfügte und Menschen wie Abschaum behandelte? Der Kaiser musste gestürzt werden! Doch der alte Graf wusste, dass seine Zeit bald gekommen wäre … und so sagte er ihr, als sie das Zimmer betreten hatte: „Hör´ mir gut zu … Ich werde nicht mehr lange leben und du bist mein einziges Kind – von meinem Blut oder nicht, spielt keine Rolle. Du bist ebenso eine Kurzick, wie alle, die in diesem Wald geboren wurden … und du genießt ihr aller Respekt. Ich werde die Zukunft unseres Hauses in deine Hände legen, das ist mein letzter Wunsch.“ Für einen kurzen Moment musste die Blonde ihre Augen schließen, dann antwortete sie: „Verzeih´ mir bitte, Vater – ich kann dir diesen Wunsch nicht erfüllen. Erst muss ich mich meinem Schicksal stellen … Und sollte ich in diesem Kampf mein Leben lassen, wird Selik deinem Namen alle Ehre machen und deinen Platz einnehmen.“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern rannte fluchtartig hinaus. Und prallte prombt mit jemanden zusammen, der ihr Vorhaben sofort durchschaute: „Du gehst also trotzdem wirklich …“ Die Mesmer richtete den Blick auf den Großneffen des Grafen. Er trat neben sie, streichelte ihre Wange. Ihr ganzes Leben lang war Selik zu Heltzer an ihrer Seite gewesen – doch im diesem Fall gestattete sie ihm nicht, sie zu begleiten. Er konnte nicht anders, als sie zu küssen und leise zu flüstern: „Mögen wenigstens meine Gefühle bei dir sein …“ „Und meine bei dir.“, entgegnete sie, „Es tut mir leid. Aber gerade deshalb werde ich nicht länger zulassen, dass die Soldaten dich, Vater oder einen anderen gefangen nehmen oder sogar töten! Und sollte ich wirklich fallen, trete ich alle Privilegien an dich ab.“ Darum hatte sie Selik´s Hilfe strickt abgelehnt … denn auch sie selbst war sich im Klaren darüber, dass es sich hierbei um ein reines Himmelfahrtkommando handelte – und ihr Volk brauchte eine Zukunft. Wie durch Zufall begegneten sich die beiden Freiheitskämpferinnen an genau der Stelle, an welcher der Echowald und das Jademeer aufeinandertrafen … jenem Ort, an dem sie einst getrennt worden waren. Es waren bereits Gerüchte von einer Fraktion zur anderen vorgedrungen – sie hatten dasselbe Ziel. „Ich bin Kurotsuki Yumi.“, begann die Nekromantin bestimmt. Die Augen der Mesmer weiteten sich, dann stellte auch sie sich vor: „Mein Name ist Tsukishiro Miyu.“ Die Mädchen machten einige Schritte aufeinander zu. Bei genauerem Betrachten konnte man eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen erkennen – von den Namen einmal ganz abgesehen. Und sie trugen den gleichen halben Herzanhänger aus Silber. Zögerlich nahmen sie ihn ab und fügten ihn zusammen. Die Kanten passten genau aufeinander. Kurotsuki Yumi konnte es kaum glauben und hauchte: „Das heißt, wir sind wirklich Schwestern …“ „Zwillinge.“, bestätigte Tsukishiro Miyu ebenso überwältigt. Ein Lächeln breitete sich auf ihren beider Gesichtern aus. Ein unglaubliches Glücksgefühl pumpte durch ihre Körper. Keine von ihnen zweifelte auch nur eine Sekunde lang an dieser Wahrheit – sie spürten einfach, dass es stimmte. Und diese Tatsache bedeutete zusätzlich auch doppelten Ärger für den Kaiser. Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu traten im Schutz der Nacht wieder an die Oberfläche. Sie hatten das alte Tunnelsystem benutzt, welches den Freien von Cantha vor Jahren als Versteck gedient hatte. Die Docks von Kaineng lagen vollkommen verlassen dar. Obwohl die Untoten verschwunden waren, gab es nach wie vor keine Nutzung der Seewege … Gerade als die Kurzick und die Luxon weitergehen wollten, wurde alles in ein helles Licht getaucht und die plötzlichen, mechanischen Geräusche klangen unnatürlich laut in der Stille. „Seht Ihr – ich wusste, ich schaffe es!“, prahlte eine piepsige Stimme, „Die Koordinaten hätten zwar wirklich etwas genauer sein können, aber ich bin eben ein Genie! Hoffentlich werden Shiko und Glint auch einmal ein so brillante Köpfe!“ Jemand antwortete ihr missbilligend: „Ruhe, Ganda! Vielleicht stehen hier irgendwo Wachen!“ Irgendjemand flüsterte noch etwas, das nicht zu verstehen war – zumindest für die Mädchen. Die anderen Neuankömmlinge rollten dagegen leicht mit den Augen; schließlich hatte genau er ihnen in Löwenstein stundenlang von seiner neugeborenen – und leider ebenso nicht anerkannten – Tochter Sarah berichtet … Kurotsuki Yumi bedeutete ihrer Schwester derweil leise zu sein, während sie ein Stück weiterschlichen. Und obwohl das Licht inzwischen genauso schnell wieder verschwunden war, konnte die Nekromantin mit ihrer Nachtsicht glänzen. Auf einer freien Fläche standen sechs Gestalten – jeder von ihnen hatte eine andere Größe und Statur. Und einige davon sahen nicht sehr menschlich aus … „Schlechte Nachrichten …“, knurrte eine von ihnen, „Wir sind nicht allein.“ Kurotsuki Yumi schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Was auch immer diese Wesen waren, sie konnten ihren Atem nicht gehört haben! Das war unmöglich … „Es sind Menschen.“, gab selbige katzengleich von sich, „Zwei junge Frauen, um genau zu sein.“ Eine tiefe, männliche Stimme winkte ab: „Und wenn schon, Kätzchen. Wir haben eine Mission zu erfüllen! Selbst wenn der Kaiser weiß, dass wir kommen – wen interessiert das schon? Die Drachen haben wir auch ohne Überraschungseffekt fertig gemacht! Apropos Überraschung – Kadlin erwartet bereits unser fünftes Kind! Wenn die Havroun recht hat, bekommen Svana, Eirin, Cordin und Björn wieder eine Schwester – dann werde ich endlich meine Mutter Henja ehren!“ „Dann müssen Klaue und ich ja schauen, dass wir aufschließen!“, kam es erneut von dem katzengleichen Wesen, „Vallus und Sesric sind ja bereits im Fahrar, demnächst werden Langmar und Rittersporn ihnen folgen, dann haben wir wieder genug Zeit dafür. Und wenn das mit den Zwillingswürfen so weitergeht, überholen wir euch sogar noch!“ „Haltet jetzt endlich die Klappe!“, meinte ein schlankes Wesen in Frauengestalt mit einem Bogen über jeder Schulter. Tsukishiro Miyu traute ihren Ohren kaum. Sie nickte Kurotsuki Yumi zu und beide traten sie aus ihrem Versteck. Die Fremden griffen sofort nach ihren Waffen, doch die Zwillinge hoben beschwichtigend die Hände. „Wartet, bitte!“, sagte die Mesmer, „Wir … wir sind Feinde des Kaisers und wollen heute Nacht einen Putsch-Versuch wagen. Wollt Ihr uns dabei unterstützen, wenn Ihr ebenfalls gegen ihn seid?“ Zu behaupten, die sechs Fremden wären überrascht gewesen, wäre eine völlige Untertreibung gewesen. Der einzige Mensch kam nach einigen Schrecksekunden auf sie zu, musterte die beiden. Als er zu sprechen begann, war sein Ton warm und freundlich: „Ihr seid wahrlich sehr mutig … Wenn ich mich vorstellen darf – Logan Thackeray, Ritter Ihrer Majestät Königin Jennah von Kryta. Und dies sind meine Freunde die Asura Ganda, die Charr Gwen Grimmpfote, der Norn Ric Bärenklaue, die Sylvari Ull Rosenknospe und ihr Farnhund Tear. Wir sind hier, um dem Reich Cantha die Freiheit zurückzugeben.“ Jetzt war es an Tsukishiro Miyu und Kurotsuki Yumi noch perplexer drein zu schauen. Der Wächter erzählte in Kurzform, dass sie aus Tyria gekommen seien, weil dieser Kontinent sehr wichtig für jemanden aus ihrer Gruppe gewesen sei, der aber bereits verstorben war … Nachdem die Luxon und die Kurzick ebenfalls ihren Standpunkt erläutert hatten, schmiedeten sie gemeinsam einen Schlachtplan. Vor dem Zugang zum Palast, hielten sie noch einmal inne und Ull Rosenknospe hauchte: „Denkt daran, wir sind hier, um ein letztes Mal >Team Shiko< zu sein …“ „Shiko?“, kam es synchron von Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu. Die kleine Portalistin lächelte melancholisch, als sie erklärte: „Unsere Anführerin … aber sie ist bereits in den Nebeln. Von ihr hat Logan vorhin gesprochen. Shiko … Shikon Feenseele … oder eher Shikon No Yosei … die Fee der vier Elemente, Verteidigerin von Cantha und Shing Jea.“ Sie dachten an ihr erstes Treffen im Pongmei-Tal, als sie ihre Herzanhänger aneinander gehalten hatten. Damals hatten sie nicht an die Inschrift auf der Rückseite gedacht. Erneut führten sie die beiden Hälften zusammen und lasen das eine Wort, das dort stand – »Shiko«. Ehrfürchtig sahen sie von ihrem Anhänger auf. Dann jedoch schüttelten sie beide den Kopf – erst die Arbeit. Später würden sie Ganda und die anderen bitten, ihnen mehr von ihrer Freundin zu erzählen. Im Palast war es ruhig. Kurotsuki Yumi übernahm beinahe wie selbstverständlich die Führung. Sie wusste genau, wohin sie gehen mussten. Gwen Grimmpfote schickte ihren Schlafzauber über die Wachen, sodass sie sich fast wie bei einem gemütlichen Spaziergang vorkamen. Wären da nicht die übrigen Sicherheitsvorkehrungen gewesen … Tsukishiro Miyu stolperte und betätigte dabei eine der eingebauten Fallen – Pfeile schossen auf sie zu! Ihre Schwester warf sich vor sie und konnte einige abwehren, aber ein Schuss traf sie trotzdem in der Schulter. „YUMI!“, kreischte die blonde Mesmer. Die Nekromantin lächelte schwach und meinte: „Ich habe dich gerade erst gefunden … Da werde ich bestimmt nicht zulassen, dich so schnell wieder zu verlieren.“ Logan riss den blutgetränkten Ärmel ab, begutachtete die Wunde. Im Gedanken sprach er zu Seiketsu No Akari, die als »Seiketsu Lichtsegen« seine Schülerin und im Heilen stets viel besser gewesen war, als er selbst. Er brach den Schaft des Pfeils in der Mitte durch, während Tsukishiro Miyu die Schwarzhaarige festhielt, und zog die Spitze auf der anderen Seite ganz heraus. Sofort legte er seine Hand über die verwundete Stelle, die seinem Willen gehorchte und sich langsam schloss. Erleichtert und unsagbar glücklich umarmte Tsukishiro Miyu ihre Zwillingsschwester. Es war beinahe Mitternacht, als sie endlich den Thronsaal erreichten. Ohtah Ryutaiyo alias Ohtah Shadowdragon hätte sie nun mühelos mit einem einzigen Schattenschritt an ihr Ziel bringen können, denn … der Raisu-Palast war weitaus tückischer als angenommen. Natürlich erwartete sie der Kaiser bereits – doch es war nicht wie erwartetet Usoku, sondern sein Sohn. „Uchi … du hast die Nachfolge deines Vaters angetreten.“, kam es überraschenderweise von Kurotsuki Yumi. Alle Augen richteten sich schlagartig auf die junge Luxon. Der Kaiser lachte hämisch: „Bereust du es jetzt? Tut mir ja leid … ich habe dich belogen.“ „Ich hätte dir niemals vertrauen dürfen!“, knurrte sie wütend, „Diesen Fehler werde ich sicher kein zweites Mal begehen.“ Ihre Freunde und Verbündeten begriffen nicht, was vor sich ging. Da erzählte Kurotsuki Yumi ihnen, dass sie vor knapp drei Jahren schon einmal in den Palast eingedrungen und auf Uchi getroffen sei. Damals habe er ihr versprochen, die Tyrannei seines Vaters beenden – wenn sie zu ihm zurückkam. „Das du mir wirklich geglaubt hast … Welcher Mann würde schon bei einer wie dir schwach werden? Da müsste man ja jede Nacht haben, du könntest einen im Schlaf umbringen, wie eine Schwarze Witwe!“, machte Uchi sich über Kurotsuki Yumi lustig und warf ihr dann ein Schwert zu. Kurotsuki Yumi bückte sich, um es aufzuheben, da erstarrte sie mitten in der Bewegung. Innerhalb eines Sekundenbruchteils – fast einem Schattenschritt gleich – war Uchi von seinem Thron auf sie zu gestürmt und hatte ihr seine Waffe in den Bauch gestoßen. Tsukishiro Miyu versuchte zu schreien, während ihr Kopf einfach nicht begreifen wollte, was geschehen war, aber sie hatte keine Kraft dafür. Gwen Grimmpfote eilte sofort an ihre Seite, kniete neben Kurotsuki Yumi nieder. Sie spürt, dass ihre Seele kurz davor war in die Nebel aufzusteigen, doch etwas hielt sie noch zurück … Logan Thackeray zog blank, Ull Rosenknospe legte an und Ganda lud ihr Gewehr. Ric Bärenklaue dagegen ging mit seinem mächtigen Zweihänder direkt auf Uchi los. Er lachte allerdings nur und der Norn prallte an einem Schutzschild ab. „Eine Aegis!“, rief der tyrianische Wächter. Tear stupste derweil die schluchzende Mesmer an. Sie reagierte nicht. Da fasste die Waldläuferin einen Plan. Während der Wächter, der Krieger und die Ingenieurin den Kaiser ins Visier nahmen, schnappte sich die Sylvari Tsukishiro Miyu und verschwand mit ihr auf eines der Vordächer, ohne dass Uchi etwas davon mitbekam. Ebenso wenig wie die Kurzick selbst … Sie befand sich in einer Art Schockzustand, nur den leblosen Körper ihrer Schwester vor Augen. „Miyu!“, versuchte Ull Rosenknospe sie wachzurütteln, „Reißt Euch zusammen! Es ist noch nicht vorbei – oder soll sich Yumi umsonst geopfert haben?“ Da horchte Tsukishiro Miyu auf. Erleichtert erzählte die Waldläuferin ihr von ihrem Plan. Hastig stimmten sie das Timing ab und beobachteten den Kampf ihrer Verbündeten. Sie kamen einfach nicht durch die Aegis, jeder Schlag wurde zurückgeworfen. Die Mesmer holte tief Luft. Sie war nach Kaineng gekommen, um den Kaiser zu töten! Danach würde sie nie wieder dieselbe sein … Doch gab es wirklich einen Unterschied zwischen dem Befehl zum Morden und selbst zu töten? Sie wollte gar nicht wissen, wie viele Leben bereits wegen Uchi und seinem Vater ausgelöscht worden waren. Im Geiste formte sie den Zauber, der die Verzauberung vom Kaiser nehmen und ihn damit angreifbar machte. Tsukishiro Miyu ließ ihn fliegen – laut klirrend splitterte der Schutzschild und der Pfeil der Sylvari durchbohrte Uchi´s Hals. Noch während sein Leichnam zu Boden fiel, rannte die Blonde bereits wieder zurück zu ihrer Schwester. Logan folgte ihr, legte seine Hand auf die Wunde und begann murmelnd zu Dwayna zu beten. „Unsere Völker sind frei, hörst du?“, sagte Tsukishiro Miyu mit einem unterdrückten Schluchzen, „Wir wollten die anderen doch noch nach Shiko fragen.“ Während der Wächter rezitierte, warfen sich die Mitglieder von Team Shiko einen Blick zu und berichteten, was ihnen am stärksten von der Geschichte ihrer Anführerin in Erinnerung geblieben war. Shikon No Yosei war zusammen mit Seiketsu No Akari aufgewachsen und hatte sich als junge Elementarmagierin aufgemacht, ihre Heimat zu retten. Auf dieser Reise hatte sie ihre große Liebe und treuen Beschützer Ohtah Ryutaiyo kennengelernt. Gemeinsam befreiten sie sogar Tyria und Elona vor dunklen Mächten. Am Ende ihres Lebens beschlossen die »drei lebenden Legenden«, wie sie zu dieser Zeit genannt wurden, als Gesandte weiter ihren Dienst zu tun. Und irgendwann wurden sie als Shikon Feenseele, Ohtah Shadowdragon und Seiketsu Lichtsegen wiedergeboren, um die Welt von den fünf Alt-Drachen zu befreien – zusammen mit ihren Freunden von Team Shiko und der Klinge des Schicksals. Anschließend waren sie in die Nebel zurückgekehrt, um dem ewigen Zyklus aus Wiedergeburt und Tod zu folgen … Ric Bärenklaue räusperte sich zunächst, ehe er noch zu singen begann: „Wer stark bleibt, wenn der Mut vergeht … wer aufsteht, wenn er fällt … wer weitergeht, wo alles steht – der ist ein wahrer Held, der ist ein wahrer Held! Wer von sich gibt und nicht viel nimmt … wer für das Gute steht … wer weiterkämpft, selbst wenn der Wind, so fest von vorne weht, so fest von vorne weht. Hast nicht lange überlegt – wo ein Wille, da ein Weg! Kommt es hart auf hart, schreitest du zur Tat – hast unsre Herzen berührt. Dein Ruf eilt dir voraus – wir trinken darauf … Ehre, wem Ehre gebührt! Das Herz am rechten Fleck und stets vorneweg … wird dein Mut Legende sein! Dieses Lied gehört nur dir, darum singen wir: >Einer für alle und alle für einen!< Und auch noch in hundert Jahr´n wird man von deinem Mut erfahr´n, du gehst in die Geschichte ein und wirst unsterblich sein und wirst unsterblich sein! Kommt es hart auf hart, schreitest du zur Tat – hast unsre Herzen berührt. Dein Ruf eilt dir voraus – wir trinken darauf … Ehre, wem Ehre gebührt! Das ist ein Heldenlied und nur du hast es verdient. Hast nicht lange überlegt – wo ein Wille, da ein Weg! Kommt es hart auf hart, schreitest du zur Tat – hast unsre Herzen berührt. Dein Ruf eilt dir voraus – wir trinken darauf … Ehre, wem Ehre gebührt! Das Herz am rechten Fleck und stets vorneweg … wird dein Mut Legende sein! Dieses Lied gehört nur dir, darum singen wir: >Einer für alle und alle für einen!<.“ Ganda starrte den Norn perplex an. Gwen Grimmpfote grölte im Jubelschrei. Ull Rosenknospe nickte anerkennend und Logan Thackeray grinste breit. Ausgerechnet von dem harten Kerl ein solches Loblied zu hören, erfüllte ihre Herzen mit Freude – und hätte ihrer Anführerin sicher ebenso sehr gefallen. Eine eine schwache Stimme antworteten ihr: „Shikon No Yosei war unsere Vorfahrin.“ Alle fuhren erschrocken zu Kurotsuki Yumi herum. Sie hatte sie Augen geöffnet und ein kleines Lächeln zeichnete sich um ihre Lippen ab. Tsukishiro Miyu weinte vor Freude, als sie ihrer Schwester über die kalte Wange streichelte. „Shiko … unsere Ahnin hat die Kette einst von ihrer Mutter geschenkt bekommen und im Laufe ihres Lebens an ihre Tochter weitergegeben.“, fuhr die Luxon fort, „Seitdem wird der Anhänger immer weiter vererbt … Und irgendwann wurde ihr Name auf die Rückseite eingraviert.“ Die Worte kamen Logan nur schwer über die Lippen: „Hast … hast du Shiko getroffen?“ „Nein, leider nicht. Ich stand an der Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits … Dort bin ich Seira, dem Orakel der Nebel begegnet, die mir sagte >Das Blut der Legenden lebt weiter …<.“, antwortete sie und berührte die Hälfte ihres Anhängers. Bevor jemand etwas erwidern konnte, öffnete sich das Tor zum Thronsaal und vier Männer in langen Gewändern und prächtigen Hüten traten unterwürfig ein. Sofort ging Team Shiko mit gezückten Waffen in Habachtstellung – immerhin hatten sie gerade erst den Kaiser gestürzt und selbst der schlimmste Tyrann hatte irgendwelche Verbündeten, um seine Macht auszuüben … Und Ushi´s Leichnam lag noch immer in ihrer unmittelbaren Nähe. Doch die Canthaner machten keinerlei Anstalten die Helden anzugreifen – stattdessen sahen sie unglaublich drein. Einer der Männer, dessen Kleidung in reinem Weiß leuchtete, trat vor und ergriff als erster das Wort: „Verzeiht … seid Ihr für … die Beseitigung der Thronräuber verantwortlich?“ Die Kämpfer entspannten sich. Kurotsuki Yumi, die sich inzwischen aufgesetzt hatte, und Tsukishiro Miyu, die ihre Schwester stützte, neigten im Zuge der Höflichkeit ihre Häupter. Dann antwortete die Mesmer: „Ja, Usoku wurde von seinem eigenen Sohn und dieser von uns getötet.“ Die vier Männer, die etwas im Hintergrund standen, wirkten nicht sonderlich überrascht und gleichzeitig geschockt. Anscheinend hatte der falsche Kronprinz schon länger den Eindruck erweckt, als wolle er schnellstmöglich selbst den Thron besteigen. „So schulden wir, die fünf Minister des Reichs des Drachens, Euch Dank, Fremde, die Ihr uns von der Herrschaft dieser Thronräuber befreit habt. Mein Name lautet Hiang, mir untersteht das Ministerium des Friedens.“, stellte er zunächst sich selbst und anschließend seine Kollegen vor – den Minister der Erde Tsuchio, den Minister des Feuers Himon, den Minister des Wassers Mizuro und den Minister des Windes Kazenshi. Einst waren die vier elementaren Ministerien aufgelöst worden … Man hatte den Beraterstab des Kaisers neu geformt und die Positionen anders besetzt. Mit der Zeit war man jedoch übereingekommen, dass es ein Oberhaupt der Abteilungen brauchte – so waren Erde, Feuer, Wasser und Wind wiederbelebt und Frieden geboren worden. Unter Usoku waren sie zwar nicht gefeuert worden … allerdings zu einfachen Bediensteten degradiert. „Bitte, nennt mir nun Eure Namen und was Euch zu dieser geschichtsträchtigen Heldentat bewogen hat.“, fügte Hiang noch hinzu. Ein Zucken ging durch die vier anwesenden Mitglieder von Team Shiko – es war Ull Rosenknospe, die leise antwortete: „Es war der Wunsch unserer Anführerin, in ihrer Heimat möge wieder Frieden einziehen …“ „Wir stammen aus Tyria.“, übernahm Logan und wies zunächst auf besagten Teil der Gruppe, ehe er auf die beiden Schwestern zeigte, „Der Dank gebührt vor allem Yumi und Miyu – sie sind wahre Nachfahrinnen der ersten Verteidiger von Cantha.“ Die fünf Canthaner ihm gegenüber wurden auf einen Schlag blass und fielen zu Boden, gemurmelt vernahmen sie: „Eure kaiserlichen Majestäten …“ Weder die Nekromantin noch die Mesmer wussten, was damit gemeint sein könnte … Da erklärte der Minister des Friedens ihnen, dass die legendäre Shikon No Yosei selbst bereits kaiserliches Blut in sich getragen hatte, zudem war ihr Enkel der Sohn des zweiunddreißigsten Kaisers. Als Nachkommen dieser Linie gebührt der Älteren nun der zurückeroberte Thron von Cantha. Tsukishiro Miyu sah auf ihren Anhänger und meinte: „Du bist es, Yumi.“ Nun betrachtete die Luxon ebenfalls das Kleinod um ihren Hals – »Shi« war die erste Silbe, das Geburtsrecht der Erstgeborenen … Ihre Schwester hatte recht. Doch konnte sie so etwas? Eine gute Herrscherin sein, ihre Heimat hinter sich lassen … und ihn. Hatte sie ihm gegenüber nicht gerade erst noch ihre Bedenken bezüglich einer solchen Position geäußert? Dann dachte sie wieder an ihre Begegnung mit Seira. Das Orakel der Nebel hatte sofort gewusst, wer sie war … und wessen Familie sie angehörte, welches Blut in ihren Adern floss. Selbst fast dreihundert Jahre später erzählte man sich noch Geschichten über jene Frau, welche den ewigen Krieg zwischen Luxon und Kurzick beendet hatte … die »lebende Legende«, die mehrfach ganz Tyria gerettet hatte. Dieses Vermächtnis ruhte tief in Kurotsuki Yumi … Shikon No Yosei hatte sich ihrer Aufgabe gestellt, diesem Beispiel würde sie folgen! „Mein Name lautet Kurotsuki Yumi … und ich akzeptiere die Kaiserwürde.“, antwortete die Nekromantin schließlich. Die Minister strahlten vor Freude und entfernten sich, während sie bereits wild durcheinander redeten, wie sie dem Volk von der frohen Kunde berichten sollten. Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu drehten sich daraufhin wieder zu ihren Verbündeten um, da ergriff die kleine Asura das Wort: „Das würde Shiko gefallen – ihr Erbe wurde weitergegeben. Jetzt ist Cantha wieder in den richtigen Händen!“ „Stimmt.“, bestätigte die ruppige Charr, „In euch schlägt das Herz wahrer Anführer.“ Der Norn nickte ebenfalls: „Nun werden Geschichten über euch die Runde machen.“ „Wir selbst werden sie zu unseren Völkern tragen – in Gedenken an Shiko.“, fügte die geheimnisvolle Sylvari hinzu. Zuletzt reichte der Wächter ihnen die Hand und sagte: „Und Tyria und Cantha können wieder in Beziehung zueinander treten. Ich bin sicher, Königin Jennah wird euch bald entsprechend benachrichtigen.“ „Das würde mich freuen.“, antwortete Kurotsuki Yumi in ihrer neuen Position, „Auf den Frieden!“ „Ich bin stolz auf dich.“, meinte Tsukishiro Miyu, nachdem die beiden Schwestern Team Shiko verabschiedet hatten, „Du wirst eine großartige Kaiserin sein.“ Sie lehnte sich gegen ihre Schulter, ehe sie entgegnete: „Du könntest diese Funktion genauso gut erfüllen.“ „Mag sein. Aber … ich muss einem anderen Erbe folgen, nein … ich will es so. Luxon wählen ihr nächstes Oberhaupt, nicht wahr? Ich wurde vom Grafen zu Heltzer adoptiert … und werde seine Nachfolgerin sein.“, erklärte die Blonde lächelnd, „Ich bin nicht tot – also geht meine Stellung auch nicht auf Selik über.“ Auf ihren fragenden Blick hin, erzählte Tsukishiro Miyu ihr von ihrem Geliebten. Kurotsuki Yumi öffnete bereits den Mund, schloss ihn allerdings wieder – für den Augenblick brachte sie es nicht fertig von Symeon zu sprechen. Dennoch freute es sie, dass ihre Zwillingsschwester das Glück in der Liebe gefunden hatte. Und in den nächsten beiden Wochen blieb ihr kaum Zeit im Liebeskummer zu schwelgen – eine Krönung bereitete sich nämlich nicht von allein vor. Der Hofschneider fertigte ein Gewand ganz nach ihren Wünschen an, Tsukishiro Miyu kümmerte sich um die Gästeliste sowie Einladungen und das Bankett. Kurotsuki Yumi lernte das kaiserliche Zeremoniell auswendig und nahm sich Zeit, um die Menschen kennenzulernen, die ebenfalls ihr Leben im Palast verbrachten – von den Kammerzofen, über die Köche, bis hin zu den Stalljungen und Knechten. Die Bediensteten wunderten sich zunächst natürlich über dieses Gebaren – schließlich waren sie die Behandlung von Usoku und Uchi gewohnt. So jedoch eroberte Kurotsuki Yumi ihre Herzen im Sturm, jeder ging in die Stadt hinaus und berichtete den Bürgern mit Freude von der neuen Kaiserin. Endlich konnte Kaineng wieder aufatmen – Zhaitan verpeste nicht länger ihre Gewässer, der Usurpator war gestürzt, die Kurzick und die Luxon konnten ihre Beziehungen zueinander samt selbstverständlich der Hauptstadt wiederaufnehmen. Den Gipfel der Euphorie erreichte es, als die Bewohner von Kaineng um den Ursprung von Kurotsuki Yumi´s Geburtsrecht erfuhren – lauthals versammelten sich Scharen von Menschen, jubelten, klatschten. Nervös griff Kurotsuki Yumi nach ihrem Mantel. Früher oder später musste sie ihnen gegenübertreten – ob vor oder nach der offiziellen Krönung war im Grunde vollkommen egal. Sie tauschte einen Blick mit Tsukishiro Miyu, die ihr aufmunternd zuzwinkerte. Dann trat die Nekromantin auf den Balkon hinaus, woraufhin die Rufe der Leute noch lauter wurden. Hiang trat an ihre Seite, schlug mit einem Stab auf den Bogen, woraufhin sofort Stille einkehrte, und verkündete: „Ich präsentiere dem Volk von Kaineng Ihre kaiserliche Hoheit Kurotsuki Yumi – Nachfahrin von Shikon No Yosei und Tsukuyomi Toya, rechtmäßige Herrscherin über das Reich des Drachens.“ In Cavalon noch hatte sie daran gezweifelt, überhaupt für Politik geschaffen zu sein … nun allerdings, da sie in ihrer neuen Position den Menschen gegenüber stand, für die sie die Verantwortung tragen würde … war da ein Gefühl, das sie erfüllte. Ihre Schwester hatte ihr gesagt, sie wolle tatsächlich das Oberhaupt der Kurzick werden – das konnte sie nachempfinden. Und sie würde ihren Schwur, Cantha und seine Bewohner zu beschützen, mit all ihrer Kraft erfüllen! Erschöpft betrat Kurotsuki Yumi ihr Gemach. Wie vielen Würdenträgern war sie vorgestellt worden? Sie wusste es nicht … Ihren Ziehvater wiederzusehen hatte sie gefreut, ebenso Tsukishiro Miyu´s Verlobten kennenzulernen – ihrem Adoptivvater dagegen ging es noch immer nicht besser, weshalb die Mesmer noch in dieser Stunde abgereist war. Doch eine Person war nicht zu ihrer Krönung erschienen … Die erneute Begegnung mit Ushi hatte den Scham in ihr neu aufleben lassen – schon damals gehörte ihr Herz eigentlich einem anderen und dennoch hatte sie sich von ihm verführen lassen. Ein Fluch lag ihr auf den Lippen; am liebsten hätte sie seine Leiche wiederauferstehen lassen und noch weitere Male selbst getötet! „Ich wünsche eine Audienz bei Eurer kaiserlichen Majestät.“, drang eine Stimme vom Fenster zu ihr. Erst jetzt bemerkte Kurotsuki Yumi, dass es offenstand und sich eine Gestalt gegen die Dunkelheit der Nacht abzeichnete. „Ihr solltet schnellstmöglich die Sicherheitsvorkehrungen im Palast erhöhen lassen.“, fuhr der junge Mann fort, der sich nun zu erkennen gab. Die Nekromantin schlug sich die Hände vor den Mund und rief dann aus: „Symeon!“ Kaum zwei Sekunden später fiel sie ihm um den Hals und der Luxon presste sie fest an sich. Ein Teil von ihm hatte geglaubt, sie niemals mehr in den Armen halten zu können … Schon einmal war sie gegangen und er könnte sich ohrfeigen, dass er ihr nicht einfach gefolgt war. Jahrelang hatte Symeon versucht sich erfolglos einzureden, nur eine kleine Schwester oder ähnliches in ihr zu sehen … Natürlich wäre es ein leichtes zu behaupten, ihr Kuss hätte ihn wachgerüttelt – in Wahrheit hatte er längst begriffen, wie viel sie ihm wirklich bedeutete. Und dennoch war zu feige gewesen, sich ihr zu offenbaren … „Ich liebe dich, Yumi.“, hauchte der Luxon nahe ihrem Ohr. Ihr Körper versteifte sich. Ja, sie hatte ihn vor ihrem Aufbruch geküsst und er sich nicht dagegen gewehrt … trotzdem hatte sie damit nicht gerechnet. Dafür gab es ein neues Hindernis, welches Kurotsuki Yumi zur Sprache brachte: „Ich … bin jetzt Kaiserin. Deshalb kann ich nicht zum Jademeer zurückkehren …“ Symeon lachte auf. Etwas an ihr hatte sich verändert – Pflichtbewusstsein schön und gut, aber diese Position war ein ganz anderes Kaliber, wo sie doch die Nominierung des Rates ausgeschlagen hatte. „Ich lasse dich nicht mehr gehen … Ich bleibe bei dir.“, antwortete Symeon und rückte soweit von Kurotsuki Yumi ab, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Verwunderung spiegelte sich darauf, dann Freude. Und diesmal war er derjenige, der die Initiative ergriff. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis im Palast die nächste Feierlichkeit abgehalten werden würde – und zwar eine Doppelhochzeit! Als Titularkaiser würde Symeon Kurotsuki Yumi als erster Berater zur Seite stehen und Selik erhielte dann im Sinne seines Großonkels sogar einen ganz ähnlichen Titel – nämlich Titulargraf. Bis dahin hatte Tsukishiro Miyu jedoch mit etwas anderem zu kämpfen … Während der gesamten Rückreise hatte sie gewünscht, noch rechtzeitig zu kommen … Die letzten Meilen rannte sie regelrecht – durch das gewaltige Eingangstor, dessen Gruß der Wachen sie im Eifer überging, über den gewaltigen Prunkhof, bis zu den Privatgemächern der Herrscherfamilie. Erst vor der Zimmertür ihres Vaters hielt sie kurz inne, um sich zu sammeln, ehe sie nach einem leisen Klopfen eintrat. „Miyu, mein geliebtes Kind … du bist zurück.“, sagte er schwach. Tsukishiro Miyu setzte sich an seine Seite. Sie fühlte sich schuldig, weil sie gegangen war … und wusste gleichzeitig, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Und Terrik zu Heltzer war derselben Ansicht – denn man hatte ihn bereits über alle Einzelheiten informiert. Trotzdem kamen ihr die Worte nur schwer über die Lippen: „Weißt du, selbst wenn Yumi nicht die Erstgeborene wäre … ich hätte die Kaiserwürde verweigert. Weil es für mich einen anderen Platz gibt.“ „Als meine Frau starb, hatte ich Urgoz angefleht, mich von meinem Leid zu erlösen. Und das hat er getan – er hat mich zu dir geführt. Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt!“, meinte er, während sich ein Lächeln über seine Züge legte, „Ich bin unglaublich stolz, dein Vater sein zu dürfen!“ Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie gab gerührt zurück: „Und ich bin überglücklich, deine Tochter zu sein …“ Der Graf nahm den Siegelring vom Finger, hielt ihn ihr hin und erklärte: „Von jetzt an bist du Gräfin Tsukishiro Miyu zu Heltzer, das offizielle Oberhaupt dieser Fraktion.“ Ihre Tränen bahnten sich nun vollends ihren Weg, als die Mesmer nach der Herrschaftsinsignie griff und ihren Vater umarmte. „Ich werde dich nicht enttäuschen!“, schwor sie ihm, ehe er in ihren Armen starb. Gibt es so etwas wie Schicksal? Kurotsuki Yumi und Tsukishiro Miyu wurden Säuglinge voneinander getrennt und dennoch haben sie sich wiedergefunden … Usoku raubte den Thron von Cantha und doch regiert nun die wahre Erbin als Kaiserin über das Reich des Drachens. Ihre Heimat zu befreien – unausweichliches Schicksal oder freier Wille? So oder so … auch bei Zwillingen muss jeder seinen eigenen Weg gehen – ihre Ahnen jedenfalls wären stolz auf diese beiden neuen Verteidiger! Und so wird das Blut der Legenden weiterleben … bis der Mond vom Himmel fällt … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)