„Worauf wartest du?“ von Suzette_Godault (-- ein fiktives Beziehungsdrama --) ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Warum also sein Zögern? Sein Herz beschleunigte seinen Schlag und er holte tief Luft. Wie jungenhaft er sich aufführte! Wie unreif, pubertär! Aber es hatte seinen Reiz, mit den eigenen Phantasien zu spielen. Sie auszuträumen, um doch niemals an deren Grenzen zu gelangen. Sich gehen zu lassen. Sich ihnen zu ergeben. Das Band, das ihn hielt, zu durchtrennen, um sich in sie fallen zu lassen. Und im Fall zu fliegen. Mit ihr. Wie ein junger Mann von 20 Jahren. Ein Junge – er presste die Lippen fest aufeinander – in ihrem Alter. Nein, nicht die Hand auf ihren Rücken legen. Es wäre zu besitzergreifend, diese zarte Haut zu berühren. Ihre Haut, die sich in Gänsehaut erging! Er sah’s genau und meinte, die sich aufrichtenden Härchen mit der Fingerkuppe ertasten zu können. Gänsehaut. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen, obwohl‘s doch warm im Zuschauerraum war. Woher kam sie? Er befeuchtete sich die Lippen, reckte sich und spürte in sich das irrige Verlangen, diese Haut jetzt, in diesem Augenblick zu schmecken. Nur einen Lidschlag lang von ihr zu kosten. Ihre Schulter zu küssen. Er schloss kurz die Augen. Keiner würde es bemerken, da alles in Dunkel gehüllt und sie allein in der Loge saßen. Vielleicht noch nicht einmal sie, deren Welt sich momentan in diesem Stück zu erschöpfen schien. Aber er, er trüge dann einen kleinen Teil von ihr in sich. Eine Erinnerung. Er lächelte. Welch Phantasie. Nein! Das Schauspiel. Allein seinetwegen war er mit ihr hierher gekommen. Denn er liebte dieses Stück ebenso wie sie. Und ihre Hingabe an das Schauspiel besaß etwas Rührendes. Beinahe Mädchenhaftes, da sie den Schauspielern auf der Bühne mit ihren Blicken folgte, sich duckte, wenn’s spannend wurde, oder sich noch weiter über die Brüstung lehnte. Den Atem anhielt. Und auf ihrem leicht geöffneten Mund – dies Lächeln, das er so sehr liebte. Schon früher meinte er, die Sonne gehe auf, wenn er’s auf ihrem Gesicht erblickte. Ihr Glucksen, das sich in den leichten Zuckungen ihrer Schultern, ihres Leibes fortsetzte, wie eine sachte Welle. Und es war auch lustig – das Stück, gleichwohl so endgültig. In der Endgültigkeit aber lag Humor, ohne dass dieser sarkastisch wirkte. Es gab Hoffnung, obwohl doch jeder wusste, dass es hoffnungslos war: dieses Warten auf Godot. Komm, wir gehen! - Wir können nicht. Warum nicht? - Wir warten auf Godot. Ach ja. Plötzlich sah sie auf – kein Lächeln mehr im Gesicht. Und auch er wurde augenblicklich ernst. Ihr Blick hielt den seinen fest und er entnahm ihren Augen die unausgesprochene Frage: Gibt es Hoffnung? Sag schon, gibt es sie? Am liebsten hätte er sich zu ihr hinüber geneigt und sie einfach geküsst, doch gerade in dem Augenblick, als er sich einen Ruck gab, wandte sie sich wieder dem Stück zu. Und auch er zwang sich dazu. Vollkommen absurd war all’ das. Absurd und tatsächlich nicht ohne Komik. Und wie zur Bestätigung seiner Gedanken gluckste es neben ihm wieder und es schien mit einem Rascheln zu verschmelzen. Es war ganz leise. Aber es betörte sein Ohr, wie eine Melodie, die nur für ihn bestimmt, nur ihm verständlich war. Der Stoff ihres Kleides, als sie sich bewegte. Vielleicht nur Atem schöpfte? Er betrachtete sie aus dem Augenwinkel. Das Kleid – ihr erstes dieser Art. Auch das hatte er ihr zum Geburtstag geschenkt. Sie aber hatte bis heute Morgen nichts davon gewusst. Die Theaterkarte hingegen? Nun ja. Ihr Blick hatte sie verraten, auch wenn sie’s nicht wahrhaben wollte. Es war nur ein winziges Flackern in ihren Augen gewesen, als er die Sprache auf ihren Geburtstag gebracht hatte. Nicht mehr als ein Test. Er liebte es, die kleinen Regungen ihres Gesichtes, ihres Körpers zu studieren. Er kannte sie. Jedes Zucken wusste er zu deuten. Und er liebte es, ihr in dieser Weise nah zu sein. Kein anderer kannte sie so gut wie er. Das Lächeln hatte er sich verkneifen müssen. Wie sie sich bemüht hatte, ganz die Unbeteiligte zu spielen. So mädchenhaft dieses Vorhaben. Dennoch hatte sie sich verraten. Die leichte Verkrampfung ihrer Schultern, das zarte Rosa um ihre Nase – vollkommen normal hätten andere gesagt. Er hatte von seiner Kaffeetasse aufgesehen und ihr wissend zugezwinkert. Und sie war vollends errötet. Zwei Karten für dieses Stück waren eines seiner Geburtstagsgeschenke an sie. Sie wusste es und er amüsierte sich über ihre Versuche, sich zu verstellen und ganz die Ahnungslose zu spielen. Aber im Grunde gehörte nicht sehr viel dazu, um dieses Geschenke zu wissen, denn sie hatten oft über dieses Unternehmen gesprochen. Gleichwohl sie es nur angedacht hatten. Er hatte sich vortasten wollen. Und wie oft waren sie schon zusammen im Theater gewesen. Sie allzu schwärmerisch. Mädchenhaft, da sie die Stücke nach ihren Vorlieben für gewisse Schauspieler auszusuchen pflegte. Er frustriert, wenn Castorf seinen Protagonisten bereits nach fünf Minuten nackt über die Bühne marschieren oder tanzen ließ. Er mochte Henry Hübchen nicht. Ein Nichtskönner in seinen Augen. Aber sie? Er wollte nicht an diese Schwärmerei denken ... Und wenn sie den Inhalt eines Stücks nicht verstanden hatte, dann erklärte er ihr diesen im Nachhinein. Daheim am Küchentisch, bis tief in die Nacht hinein und die Zeit vergessend. Was war Ironie und was Zynismus? Was Anarchie? Was Diktatur? Und das Dazwischen? Eine Grauzone? Warum all die nackten Menschen auf der Bühne? Warum die Zurschaustellung körperlicher Liebe, obwohl’s Camus um die Nächstenliebe ging? Was unterschied eine gelungene Inszenierung von einer schlechten? Wurde Camus mit der Interpretation seines Stücks „die Gerechten“ in den Kammerspielen lächerlich gemacht? War’s nur Gedankenlosigkeit des Regisseurs? Oder hatte er’s dem Stück entnommen, dass die beiden Hauptfiguren in einander verliebt waren und also auch Sex hatten? Oder wollte der Intendant einfach nur das Haus voll bekommen? Sie sollte das Sehen und kritische Fragen lernen, um sich einen eigenen Standpunkt erarbeiten zu können. Und nicht orientierungslos von Stück zu Stück hechten, nur weil ihr der eine oder andere Schauspieler gut gefiel. Sie sprachen miteinander. Zuerst er, und sie hörte ihm zu, dann, und das verursachte ihm ein Glücksgefühl, tat sie den Mund auf – immer häufiger sogar. Sie redete mit ihm und, das ihn begeisterte, gegen ihn. Wenn auch am Anfang sehr verhalten, so spürte er doch ihr Verlangen, mit ihm zu diskutieren. Seine Bemühungen hatten Wurzeln geschlagen und ein zorniger Blick aus ihren funkelnden blauen Augen war ihm so lieb und teuer wie ihr sonniges Lächeln. Der nächste Morgen, da beide wieder ihren Beschäftigungen nachzugehen hatten – sie war noch Schülerin, er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DAI und mit der Aufarbeitung seiner Grabung in Syrien befasst – all’ das spielte keine Rolle, lag in weiter Ferne. Das Hier und Jetzt – der Augenblick des Beisammenseins zählte. In lauen Sommernächsten oft auf dem gemeinsamen Balkon. Stunde um Stunde bis tief in die Nacht hinein diskutierten sie miteinander. Ehe sie sich dann doch trennten, um sich schlafen zu legen. Der Abend ihres 20. Geburtstages aber sollte etwas ganz besonderes für sie werden. Und er hatte alles bis ins kleinste Detail geplant und darauf geachtet, dass sie nichts bemerkte. Das Kleid hatte er vor ihr verborgen. Er hatte es heimlich gekauft an einem Morgen, da sie in der Schule gewesen war. Er hatte sich frei genommen – einen Tag Urlaub. Später, als er das Kleid immer und immer wieder betrachtete, war er davon überzeugt gewesen, übereilt gehandelt zu haben. Was, wenn er sich getäuscht hätte und sie noch nicht hineinpasste? Sie eine Jugendliche, nicht mehr Kind und doch noch nicht ganz Frau? Im Niemandsland gefangen? Das Kleid aber hatte es ihm angetan. Reizte ihn. Regte seinen Träume und Phantasien an. Er sah sie darin, wenn er die Augen schloss. Würde es aber auch ihr gefallen? Sein Geschmack entsprach meist nicht dem ihren. Harmlose Fragen, aber sie hatten ihn doch gequält. Was, wenn er erkennen musste, dass sie dieses Kleid nur der Höflichkeit wegen anziehen würde? Wie oft hatte er das erlebt, dass ihr die Anziehsachen, die er ihr geschenkt hatte, nicht gefielen? Er hatte darüber gelacht. Sie war ein Kind gewesen. Ob sie nun Donald Duck oder Asterix auf ihrem T-Shirt hatte, wen interessierte das? Doch jetzt war die Situation eine andere. Hier war jeder Schritt von entscheidender Bedeutung. Sie war nicht mehr dieses kleine pausbäckige Mädchen. Als sie ihm heute Morgen entgegen getreten war, hatte sein Herz einige Schläge lang ausgesetzt. Sie hatte ihn nur angelächelt, so wie sie’s stets getan hatte, wenn ihr etwas besonders gut gefiel. Die Sonne, so meinte er, ginge auf und er hatte gespürt, dass sie sich selbst in diesem Kleid wahrzunehmen begann, unsicher, tastend. Wie sie Luft geholt hatte und sich dabei mit beiden Händen über den Leib, die Hüften gestrichen hatte. Es war so unmittelbar, spontan gekommen. So voller Freude und Spannung, dieses Neue an sich – vielleicht auch in sich – entdecken und erfahren zu dürfen. Wie sie sich vor ihm gedreht hatte, als er sie aufgefordert hatte: „Komm, zeig dich mir.“ Und er hatte gewusst, die richtige Wahl zur richtigen Zeit getroffen zu haben. Gerad so, wie jetzt im Theater, da er nach Luft schnappte und nicht nur seinem Zeigefinger, sondern seiner Hand gestattete, sich zwischen ihre Schulterblätter zu legen. Und es war ein wundervoller Moment zu spüren, wie sie sich etwas aufrichtete und seiner Berührung entgegen zu atmen begann. Seine Lippen bebten, denn er war – das wusste er – mit ihr verbunden. Und er glitt mit der anderen Hand in die Hosentasche und ertastete sein letztes Geschenk an sie. Würde es ihr in ihrer Entscheidung helfen? Und wenn nicht? Was dann? Wenn sie es missverstünde? Er schluckte hart und wäre am liebsten aufgesprungen und in die Nacht hinaus gerannt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)