Misfits: Kreuzdame von Hushpuppy ({ boy x boy }) ================================================================================ Kapitel 30: Lukas - Gemeinsam gegen den Rest der Welt Pt. 2 ----------------------------------------------------------- An diesem Nachmittag wurde Gaara entlassen, obgleich er immer noch Schmerzen aufgrund der gebrochenen Rippen hatte. Damit es erträglicher für ihn war, bekam er zum Abschied ein leichtes Schmerzmittel verabreicht, bewegte sich trotzdem mit äußerster Vorsicht. Bisher hatte ich mir noch nie eine Rippe gebrochen, doch scheinbar war das eine sehr schmerzhafte und unangenehme Angelegenheit. Ihm wurde Ruhe und so wenig Bewegung wie möglich verschrieben. Abgesehen von seinen Rippen, machte ihm auch noch das gebrochene Handgelenk Probleme, alle anderen Verletzungen schmerzten nicht mehr und waren dabei gut zu verheilen. In der Straßenbahn bekam er einige schiefe Blicke zugeworfen, da sein Gesicht immer noch aussah, als hätte jemand es als Boxsack benutzt – was im Grunde auch der Fall war. Wir waren nur zu Zweit, ich trug die Tasche mit seinen Sachen über meiner Schulter, stand im Gang, während Gaara auf einem Sitz gleich neben mir saß und quälende Geräusche von sich gab. „Ich will nicht nach Hause“, jammerte er. „Da ist meine Mutter... ich will nicht mit ihr über meine Sexualität diskutieren.“ „Vielleicht hat sie sich eingekriegt“, sagte ich hoffnungsvoll. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen wie eine Mutter wütend sein kann, wenn ihr Sohn bisexuell ist.“ „Noahs Mutter redet auch kein Wort mehr mit ihm, weil er schwul ist“, entgegnete Gaara und verzog das Gesicht noch ein wenig gequälter. „Als hätte ich nicht schon genug Familienstress gehabt.“ Doch er kam um diese Diskussion nicht drum herum. Ihm zu Liebe kam ich mit, denn er versicherte mir mit todernster Miene, dass er es alleine niemals überleben würde. Als wir bei ihm Zuhause ankamen, fanden wir seine Mutter in der Küche sitzend vor. Auf dem Tisch vor sich hatte sie ein I-Pad aufgestellt und war scheinbar an etwas am Arbeiten. Kaum, da die Eingangstür hinter uns ins Schloss fiel, blickte sie auf. Ihre Miene war missbilligend, hatte beinahe Strenge an sich, doch davon schien sich Gaara nicht beeindrucken zu lassen. „Ich bin mit Lukas auf meinem Zimmer“, sagte er und wir wollten schon in Richtung seines Raumes gehen, das erklang die Stimme seiner Mutter: „Ich habe mit deinem Vater gesprochen.“ Gaara verharrte in der Bewegung, drehte sich widerwillig zu ihr um. Ich ging lieber ein paar Schritte zurück und fühlte mich etwas unwohl in meiner Haut. Sollte ich dieses Gespräch mit hören oder einfach schon einmal vorgehen? Ich war mir nicht sicher, denn Gaara hatte mir nun einmal gesagt, dass er es alleine nicht schaffen würde, andererseits war das gerade eine sehr private Angelegenheit, die die Beiden vielleicht unter sich ausmachen wollten. Doch weder Gaara noch seine Mutter störten sich an meiner Anwesenheit oder sagten auch nur ein Wort dazu, sie waren ganz aufeinander fixiert. „Na klasse und, was hat er gesagt?“, fragte Gaara. „Er hat gesagt, dass es okay ist“, antwortete seine Mutter. Überrascht hob mein Freund die Augenbrauen. Und ich war ebenfalls überrascht, aber wegen etwas anderem. Offensichtlich war mit 'es' die Sexualität von Gaara gemeint, weshalb ich mich fragte, ob der Vater überhaupt über die Schlägerei Bescheid wusste. Sollte das nicht wichtiger sein? „Wenn du in der deiner Jugend ein wenig herum probieren möchtest, kann er dir dafür nicht wütend sein“, fuhr seine Mutter fort. „Das ist in Ordnung für ihn. Aber später erwartet er von dir eine normale Ehe einzugehen und normale Kinder zu bekommen.“ „Und, wenn ich aber einen Mann liebe und keine Frau?“, fragte Gaara grummelnd, das Überraschen wich von seiner Miene. Vermutlich konnte man mir mein Entsetzen ansehen. Meinten seine Eltern das gerade tatsächlich Ernst? „Und, was heißt hier überhaupt normale Kinder?“, sagte Gaara, etwas aufgebrachter, ehe seine Mutter auf die erste Frage antworten konnte. „Und normale Ehe? Homosexuelle können auch eine normale Ehe führen, vielleicht nicht vom Gesetz her, aber vom Gefühl her!“ „Das ist doch nicht dasselbe“, erwiderte seine Mutter. „Es ist... das ist nicht das, was in einem guten Haushalt passieren sollte. Mit einem anderen Mann kannst du keine Kinder bekommen und normal groß ziehen könnt ihr sie auch nicht. Was soll denn aus diesen Kindern werden, wenn sie von einem homosexuellen Paar groß gezogen werden?“ „Ganz normale Kinder“, entfuhr es Gaara noch aufgebrachter. „Abgesehen davon brauchst du dir darüber keine Sorgen zu machen. In Deutschland ist es Homosexuellen verboten Kinder zu adoptieren!“ „Zurecht!“ „Nicht zurecht, das Gesetz ist veraltet und bescheuert“, hielt Gaara dagegen. „Wenn es erlaubt wäre, würden so viel mehr Kinder eine richtige Familie haben, anstatt in Waisenheimen oder Pflegefamilien groß zu werden -“ „Ich will mit dir nicht darüber diskutieren“, ging seine Mutter ebenfalls mit erhobener Stimme dazwischen. Das entwickelte sich hier langsam zu einem wirklich heftigen Streit. Ich stand mit dem Rücken zur Wand, noch immer mit Gaaras Tasche über meiner Schulter und versuchte mich unsichtbar zu machen. „Mir ist es egal, was andere Jungen machen. Dein Lukas da kann von mir aus gerne schwul sein, du kannst auch mit ihm befreundet sein, das ist mir vollkommen egal!“ Sie war aufgestanden und sie sprach nicht mehr in einem normalen Ton, sie schrie auch nicht, sie war einfach nur laut, um ihre Dominanz zu untermalen. Doch so leicht ließ sich Gaara nicht unterkriegen, das sah man ihm im wütenden Gesichtsausdruck an. Er war dazu bereits sich mit seiner Mutter richtig zu fetzen. „Aber du, Gaara, stammst aus einem ordentlichen Haushalt und wirst auch eine ordentliche Familie gründen. Ich lasse es nicht zu, dass du eine ernsthafte Beziehung zu einem anderem Mann führst! Was sollen denn die Leute denken?“ „Du willst mich ja wohl verarschen!“, rief Gaara wütend. „Aus einem ordentlichen Haushalt? Nennst du das einen ordentlichen Haushalt? Ich kenne dich und Dad nicht einmal richtig, weil ihr nie da seid. Ihr lasst mich hier alleine seit ich ein kleines Kind bin! Du hast ständig die Kindermädchen gewechselt, dass ich nicht einmal eine Beziehung zu irgendeiner Autoritätsperson aufbauen konnte -“ „Wir hatten einfach nie ein gutes Kindermädchen gefunden“, unterbrach seine Mutter ihn. „Wir haben ständig Nachrichten davon erhalten, was für einen Ärger du in der Schule machst. Dich konnte nie jemand unter Kontrolle bringen -“ „Ich habe Ärger gemacht, weil ihr mir dann Aufmerksamkeit geschenkt habt“, fuhr Gaara sie an. Ihm war anzusehen und anzuhören, dass er gerade die Belastung einer einsamen Kindheit von seiner Seele redete, Worte sagte, die ihm seit Jahren auf der Zunge lagen, Steine von sich abwarf, die ihn seit jeher hinunter drückten. Und es war ihm anzuhören, dass es ihn verletzte, er bot seiner Mutter so viel Fläche zum Angreifen. Es war genau das, was Gaara immer zu verhindern wusste, wenn es um seine Gefühle ging, doch gerade schien alles hoch zu kochen und er konnte nicht aufhalten, das alles los zu werden. Ich erinnerte mich daran, was Genesis mir gesagt hatte. Dass ich diesmal für ihn da sein müsste. Und das würde ich auch. „Dann habt ihr mir mehr als fünf Minuten eurer Aufmerksamkeit geschenkt, wenn ich irgendwelche Scheiße angerichtet habe, die ihr wieder gerade biegen musstest. Auch, wenn ich dann immer von euch geschimpft bekommen habe, wenigstens wart ihr mal da, wenigstens habt ihr mich mal angeschaut und mir zugehört! Machst du dir eigentlich auch nur eine Vorstellung davon, wie einsam ich als Kind gewesen war? Und trotzdem, obwohl ihr mir das Gefühl gegeben habt, dass ihr euch nicht weiter für mich interessiert, wollt ihr mir noch vorschreiben, wie ich mein Leben zu leben habe. Ich werde nicht die Firma von Dad übernehmen und ich werde auch nicht deine bescheuerte Modefirma übernehmen, dafür interessiere ich mich überhaupt nicht. Und ich werde auch nicht eine Frau heiraten und Kinder bekommen, damit ich ihnen genau dasselbe antun kann, was ihr mir angetan habt! Ich lebe mein Leben so wie ich es will und ihr seid die Letzten, die mir dazwischen funken können!“ Gaaras Redeschwall wurde unterbrochen. Während er alles von sich gesprochen hatte, war seine Mutter um den Tisch herum gekommen, ein Ausdruck des Entsetzen und Überraschen auf ihren Augen, doch da war auch immer noch Wut zu erkennen. Und als sie nur einen Meter vor ihm stand, hob sie ihre Hand und verpasste Gaara eine klatschende Backpfeife. Erschrocken zuckte ich zusammen. Sofort war Gaara still. Der Schlag an sich schien ihm keine Schmerzen bereitet zu haben, zumal er davon ohnehin schon genug hatte, es zählte die Geste, die ihn in diesem Moment so sehr verletzte. Einige Sekunden der Stille traten ein, dann sagte seine Mutter mit leiser aber bebender Stimme: „Ich will, dass du deine Sachen packst und das Haus verlässt.“ Eine Sekunde länger schaute er sie an, dann wandte er sich ab und ging zu seinem Zimmer. Sofort folgte ich ihm, hatte einen Blick auf sein Gesicht werfen können und erkannte, dass er Tränen in den Augen hatte. Da wir in seinem Zimmer waren, schlug er die Tür hinter sich geräuschvoll zu, riss seinen Kleiderschrank auf und nahm sich die Tasche von meiner Schulter. In dieser war nicht allzu viel drin gewesen, schließlich hatte er die meiste Zeit in denselben bequemen Klamotten verbracht. Er warf die gebrauchten Klamotten achtlos in eine Ecke und begann sich Neue in die Tasche zu packen. Nervös stand ich daneben. Ja, ich hatte gesagt, dass ich für ihn da sein würde, doch was sollte ich jetzt machen? Er war schon halb mit packen fertig, bis ich realisierte, was gerade eigentlich geschehen war. Seine Mutter hatte ihn rausgeworfen, er hatte kein Dach mehr über dem Kopf. „Du kannst zu mir“, sagte ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Mum würde ihn niemals vor der Tür stehen lassen und, wenn er ein vollkommen Fremder wäre, würde sie noch genug Mitleid und Besorgnis haben, um ihn vorübergehend bei sich wohnen zu lassen. „Bis deine Mutter sich wieder eingekriegt hat... oder bis sie wieder ins Ausland fährt.“ „Eher bis sie wieder ins Ausland fährt“, ertönte es von Gaara verbittert. Mit dem Handrücken wischte er sich Tränen aus den Augen. Vorsichtig machte ich einen Schritt auf ihn zu, hob die Arme mit einem mitfühlenden „Gaara“ und wollte ihn trösten umarmend, doch er schob mich sanft weg. „Nein, sonst muss ich echt noch heulen!“ Er versuchte es mit einem Lächeln, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Meine Augenbrauen waren mitleidig zusammen gezogen und er wich meinem Blick aus, der ihm vermutlich das Gefühl gab wie ein verletztes Kind zu sein. Eigentlich war er dies auch gerade. Man konnte ihm die Enttäuschung, die er gegenüber seiner Eltern empfand, deutlich anmerken. „Na gut, dann lass uns einfach abhauen...“ Das ließ sich Gaara nicht zwei Mal sagen. Schnell war seine Tasche gepackt, er nahm auch das letzte bisschen Marihuana mit, welches er in seinem Zimmer versteckte. Um hinaus zu gelangen, mussten wir erneut durch die Küche gehen, wo seine Mutter – ebenfalls mit Tränen in den Augen – am Küchentisch saß und mit ihrem I-Pad weiter arbeitete. „Tschüss“, verabschiedete sich Gaara von ihr flüchtig, schenkte ihr nicht einmal mehr einen Blick. Erneut musste ich die Tasche tragen, damit Gaara seine Rippen nicht belastete. Wir verließen das Haus und gingen zurück zur Straßenbahn. Wie zu erwarten war, war meine Mutter von Gaaras Geschichte aufgelöst. Sogar so sehr, dass sie ihn in eine kurze Umarmung schloss, welche er äußerst verwirrt über sich ergehen ließ. „Das ist einfach furchtbar, wie können Eltern nur so zu etwas fähig sein“, sagte sie mit Entsetzen in den Augen. „Natürlich darfst du erst einmal hier bleiben. Du kannst solange hier wohnen bis du weiter weiß. Sein eigenes Kind auf die Straße setzen... und dann aus so einem Grund! Ich glaube es einfach nicht...“ Davon würde sie sich vermutlich den ganzen Tag lang nicht mehr erholen. Ich führte Gaara in mein Zimmer, in welchem er, wenn ich es mir recht überlegte, bisher nur zwei oder drei Mal gewesen war. Dort angelangt schloss ich die Tür, warf seine Tasche neben mein Bett, auf dessen Kante er sich bereits nieder gelassen hatte. Kaum, da er saß, kramte er aus seiner Hosentasche das Tütchen mit dem Marihuana aus, wollte es schon öffnen, verharrte dann jedoch in der Bewegung und blickte mich fragend an. „Ist das überhaupt okay, wenn ich mir in deinem Zimmer einen Joint baue?“ „Ich weiß nicht“, sagte ich zögerlich. „An sich habe ich nichts dagegen, aber... meine Mum weiß nicht, dass ich auch mal kiffe oder überhaupt rauche und bisher hast du bei ihr einen guten Eindruck hinterlassen. Wenn sie das mitbekommt, ist der wieder weg.“ „Auf mich macht sie nen echt lockeren Eindruck“, entgegnete Gaara, verstaute das Tütchen jedoch wieder in seiner Hosentasche. „Wir können ja ein wenig weiter weg gehen... oder warten bis Mum zur Arbeit geht, sie hat heute Nachtdienst.“ „Dann warten wir lieber. Meine Rippen töten mich, wenn ich mich noch weiter bewege.“ Dabei streckte er seinen Rücken ein wenig durch und zog scharf die Luft ein. „Gott, es könnte momentan nicht mieser laufen.“ „Doch!“, widersprach ich. „Wenn wir immer noch zerstritten wären.“ „Stimmt.“ Ein Lächeln zog sich auf seine Lippen. „Dann wäre wirklich alles scheiße... wenigstens habe ich noch dich.“ Er fasste mich an meinem Oberteil, zog mich neben sich aufs Bett und gab mir einen Kuss. „Willst du nicht lieber darüber reden?“, fragte ich, als wir uns voneinander lösten. Zur Antwort schüttelte er den Kopf. „Da gibt es nichts zu bereden, sie haben genauso reagiert wie ich es von ihnen erwartet habe.“ „Aber die Sachen, die du gesagt hast...“, sagte ich zögerlich. „All das mit der einsamen Kindheit, das kann sie nicht so einfach ignorieren. Sie hat überreagiert. Spätestens morgen wird sie anrufen und sich entschuldigen.“ Gaara schmunzelte und sein Blick war der, dem man einem Kind schenkte, das etwas simples nicht verstand. „Nein.“ Er klang traurig als er dieses Wort aussprach. „Sie wird sich nicht entschuldigen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)