Misfits: Kreuzdame von Hushpuppy ({ boy x boy }) ================================================================================ Kapitel 17: Gaara - Beste Freunde lässt man nicht im Stich Pt. 4 ---------------------------------------------------------------- Nervös wartete ich hinter Sam, während sie an der Tür zu dem Haus klingelte, in dem Kaito wohnte. Wie immer fühlte ich mich in dieser Gegend unwohl, obwohl ich früher ziemlich häufig hier gewesen war. Alles wirkte so grau und düster, die Menschen kümmerten sich nicht darum, dass es vor ihrem Haus sauber war und schienen sich auch nicht dafür interessieren, dass ihre Häuserwände teilweise mit Graffiti beschmiert waren. An einer Ecke standen ein paar jüngere Jugendliche und feixten jeden mit herausfordernden Blicken, der vorbei kam. Am Schlimmsten war jedoch der Anblick einer jungen Mutter, die ein Baby im Kinderwagen vor sich her schob und dabei telefonierte. Ich wusste nicht, wieso, doch es machte mich traurig sie zu sehen. Zu sehen, wie dieses Baby in einer solchen Gegend aufwuchs, im Wissen, dass es später vermutlich zu den Jugendlichen gehören würde, die sich Drogen kauften. Und genau hier war Kaito aufgewachsen. Einmal hatte er mir gesagt, dass, wenn ich nicht gewesen wäre, er vielleicht viel schlimmer geendet wäre. Nur mit einem Hauptschulabschluss als Kassierer in irgendeinem miesen Laden. Ich hatte ihn dazu getrieben sich in der Schule mehr anzustrengen und zu verstehen, dass es an ihm selbst liegt, sein Leben zu ändern. Doch jetzt schien Kaito das alles vergessen zu haben. Endlich wurde uns die Tür geöffnet. Ein lautes Dröhnen erklang und wir traten ein. Auch im Haus waren die Wände gräulich und von Graffiti beschmiert. Ich wusste, dass ein paar der Sprüche von Kaito selbst stammten, die er dort mit schwarzem Edding hin gekritzelt hatte. Als wir das Stockwerk erreichten, auf dem Kaito mit seiner Mutter wohnte, stand diese im Türrahmen und sah genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Über ihrem schlanken Körper trug sie eng umschlungen einen Bademantel, ihre Haare waren ein wenig zerzaust und eine Zigarette steckte zwischen ihren Lippen. Von ihr ging ein starker Geruch von Tabak aus. Mit einer hoch gezogenen Augenbraue betrachtete sie uns. „Ach Gaara“, erkannte sie mich. „Kaito ist nicht hier.“ Das war vermutlich eine der wenigen Dinge, die positiv an ihr. Zumindest vergleichsweise mit meiner eigenen Mutter. Die hatte keine Ahnung, dass Kaito mein bester Freund war. Beschwerte sich immer über ihn, doch, wenn er direkt vor ihr stand, brauchte sie zwei Mal zu blinzeln, um ihn wieder zu erkennen. Ganz im Gegensatz zu Kaitos Mutter, die schon immer wusste, dass wir unzertrennlich waren. Eigentlich unzertrennlich. Seit er Sky kennen gelernt hatte, war das auch so eine Sache geworden. „Er hängt schon wieder bei diesem Mädchen rum“, erklärte seine Mutter. „Seiner Freundin.“ „Ok, danke. Dann werden wir da vorbei schauen“, sagte ich, fasste Sam am Handgelenk und verschwand mit ihr wieder. Bevor wir losgezogen waren, hatte Sam Larissa angerufen und nach Skys Adresse gefragt. Um zu ihr zu gelangen, mussten wir noch eine Station weiter mit der Straßenbahn. Sie wohnte nicht weit von Larissa entfernt in einer eher ruhigen Wohngegend. Schnell verschwanden wir aus diesem düsteren Viertel, ließen die grauen Fassaden hinter uns und stiegen in die Straßenbahn ein. Mittlerweile wurde es schon langsam dunkel und die Straßenlaternen gingen an, um die Wege in ein trübes Licht zu hüllen. Wenige Minuten später stiegen wir an der richtigen Station aus, mussten uns erst einmal orientieren ehe wir den Weg zu Skys Wohnung fanden. Meine Nervosität stieg. Ich hatte Angst, dass wir Kaito dabei erwischten wie er schon wieder Drogen genommen hatte. Um jeden Preis wollte ich eine logische Erklärung zu seinem Verhalten hören, die nichts damit zu tun hatte, dass er rückfällig wurde, doch egal wie sehr ich nach einer solchen Erklärung suchte, mir wollte keine einfallen. Ich wollte einfach nicht, dass er Drogenprobleme hatte. Kaito hatte es nicht verdient, dass es ihm schlecht ging, er war so ein guter Mensch und ein so guter bester Freund... Erneut dauerte es einige Minuten bis wir am richtigen Haus ankamen und klingelten. Nach einer Weile des Wartens wurde uns dröhnend die Tür geöffnet und wir gingen die Treppen hinauf in den zweiten Stock, wo Sky ihre Wohnung hatte. In kurzer Hose und überlangem Shirt, das allem Anschein nach eigentlich Kaito gehörte, stand sie am Türrahmen und sah auch ohne Make-Up und ihren üblichen Stil wunderschön aus. Ihre weißblonden Haare sahen ein wenig zerzaust aus und ihre Augen waren wie immer leicht geschlossen. Überrascht erkannte sie uns. „Ihr wollt bestimmt zu Kaito“, sagte sie. „Kommt doch rein.“ Tatsächlich wollte ich schon einen Schritt in die Wohnung machen, da hielt mich Sam mit einer Hand zurück und sagte ernst: „Danke, aber es wäre besser, wenn wir mit ihm draußen sprechen.“ „Ach ja.“ Skys Tonfall ließ anmerken, dass ihr das nicht gefiel und für einen Moment warfen sich die beiden Mädchen Todesblicke zu, wegen denen mit Sicherheit irgendwo auf der Welt gerade jemand starb. Trotzdem wandte sie sich in die Wohnung und rief nach ihrem Freund, der nur kurze Zeit später an ihrer Seite auftauchte. Kaito sah eigentlich recht gesund aus und er trug ein lockeres Top, sodass man das Tattoo auf seinem rechten Oberarm erkennen konnte. Als er uns sah, zuckte er etwas nervös mit den Augenbrauen, begann dann jedoch zu lächeln. „Was macht ihr denn hier?“ „Überraschungsbesuch“, antwortete Sam. „Die wollen mit dir alleine reden“, sagte Sky und strich ihrem Freund mit sanften Fingern über die Brust. „Ich darf wohl nicht mit dabei sein...“ „Wir gehen raus“, entschied Sam und deutete die Treppe hinunter. Kaito warf mir einen skeptischen Blick zu, als wäre die ganze Sache auf meinem Mist gewachsen und meine Schuld, dann zog er sich Schuhe und Jacke an und folgte uns nach draußen. Als wir vor der Tür ankamen, begann Kaito sofort zu zittern, dank dem eisigen Wind, der durch Berlin fegte. „Macht schnell, es ist echt kalt“, sagte er bibbernd. „Wo warst du heute?“, fragte Sam eingeschnappt. „Du siehst alles andere als krank aus.“ „Mir geht es wieder besser.“ „Ja, nachdem du dich von deinem Rausch erholt hast?“ Sie zog eine Augenbraue hoch und Kaito blieb für einen Moment der Mund leicht offen stehen, ehe er sagte: „Woher willst du das denn wissen?“ „Schon vergessen, dass du gestern mit Gaara telefoniert hast?“ „Ich habe...“ Kaito sah ehrlich verwirrt aus und blickte Hilfe suchend zu mir. „Ich habe mit dir telefoniert?“ „Ja“, nickte ich knapp. „Echt? Krass, daran kann ich mich gar nicht erinnern.“ Er lachte ein wenig, verstummte jedoch sofort, als Samantha deswegen auf 180 Grad hoch fuhr. „Findest du das etwa witzig, solche Sachen einfach zu vergessen? Weißt du, dass das bedeutet, dass du einen Filmriss hattest? Was hast du gestern bitte genommen, dass dich so umgehauen hat??“ „Jetzt mach mal langsam, du redest ja als wärst du meine Mutter.“ „Deine Mutter interessiert das alles doch einen Scheiß“, blaffte Sam. „Deswegen müssen wir es auch übernehmen dir deswegen eine Standpauke zu halten!“ Während sie ihn zusammen stauchte, fragte ich mich, ob das wirklich der beste Weg war, um Kaito zu helfen. Vielleicht hätten wir erst einmal mit ruhigen Worte anfangen sollen, obwohl ich die schon seit Jahren benutzte, um ihm mit dem Koks zu helfen. Doch genau deswegen hatte sich Kaito auch immer Hilfesuchend zu mir gewandt, wenn das Suchtverhalten zurück kam. Nur jetzt schien er nicht einmal daran zu denken die Wahrheit zu sagen, wenn wir direkt vor ihm standen und ihn darauf ansprachen. Niedergeschlagen stand ich bloß daneben, während die Beiden in einen heftigen Streit verfielen. „Du – IHR habt mir gar nichts zu sagen“, behauptete Kaito wütend. „Ich kann selbst entscheiden, was gut für mich ist und ich habe das alles unter Kontrolle, klar?! Ich habe euch deswegen nichts davon erzählt, weil ich ganz genau weiß, dass ihr mir diese Kontrolle nicht zutraut. Ihr haltet mich einfach nur für schwach und ich hatte kein Bock darauf mir eure Standpauken anzuhören!“ „Du hast es unter Kontrolle?“, wiederholte Sam spöttisch. „Du fehlst deswegen ständig in der Schule.“ „Ich verpasse nicht!“ „Willst du mich eigentlich verarschen?!“, fauchte Sam. „Also Lukas und Noah haben heute ihre Deutsch Klausur geschrieben und, wo warst du? Du hast hier deinen Rausch ausgeschlafen!“ Auf Kaitos Gesichtszügen zeigte sich erst Verwirrung, dann das Entsetzen über die Erkenntnis, dass Sam Recht hatte und er tatsächlich die Deutschklausur verpasst hatte, doch nur einen Moment später war er wieder wütend. „Ey, du gehst mir so auf die Nerven. Lass mich einfach in Ruhe.“ Er wandte sich ab und wollte zurück ins Haus gehen, blieb jedoch stehen, um sich noch mal mir zuzudrehen und hinzufügen: „Das nächste Mal kannst du auch selbst kommen und nicht den Drachen vor schicken. Oder besser, du kommst dich gar nicht beschweren. Du kannst mich genauso in Ruhe lassen, klar?!“ Das saß. Wenn etwas schmerzhafter war, als von Lukas gesagt zu bekommen, dass es zwischen uns keine Hoffnung mehr gab, dann waren es diese Worte aus dem Mund meines besten Freundes. Nadelstiche durchbohrten meine Brust und ich zuckte darunter sogar ein wenig zusammen, während Kaito im Haus verschwand und die Tür hinter sich zufallen ließ. Alles Rufen von Sam half nicht, um ihn zurück zu halten. Auch als sie darum bat noch mal in einem normalen Ton mit ihm zu sprechen, kam keine Reaktion. „Ich war zu hart“, gestand sich Sam sofort ein und blickte an der Häuserfassade auf. „Wenn ich ihn jetzt noch mal raus klingle, geht es aber wieder schief, oder? Am Besten warte ich bis Morgen. Dann haben wir uns Beide wieder beruhigt. Gaara...?“ Noch während sie gesprochen hatte, war ich los gegangen, um zurück zur Straßenbahn zu gelangen. Ich wollte nur noch nach Hause und mich in meinem Bett verkriechen. Noch nie hatte ich mich mit Kaito gestritten und noch nie hatte ich mir eine solche Zurückweisung von ihm anhören müssen, das war schlimmer als alles andere. Sam folgte mir und versuchte mich mit Worten zu trösten, doch ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, denn dieses schmerzhafte Gefühl in meiner Brust forderte meine Konzentration. In der Straßenbahn saßen wir irgendwann stumm nebeneinander, bis wir an meiner Haltestelle anlangten. „Soll ich mitkommen?“, fragte Sam. „Nein, ist schon okay“, antwortete ich, obwohl ich mir gar nicht sicher war, ob ich nicht doch etwas Gesellschaft brauchen könnte. Zuerst wollte ich Heim, das war das Einzige, woran ich denken konnte. Unsicher nickte Sam und blickte mir beinahe mitleidig hinterher, als ich ausstieg und mich auf den Weg nach Hause machte. Dort angelangt schaffte ich es nicht einmal bis zu meinem Zimmer, sondern ließ mich mit dem Rücken gegen die Eingangstür gelehnt auf den Boden fallen. Ich zog die Knie an meinen Körper heran und vergrub das Gesicht in ihnen. In meinem Schädel pochte es schon wieder. Verdammt noch mal, Kaito! Wieso hatte ich auch Sam von der Sache erzählt? Warum musste er sich wie ein Idiot verhalten? Man hatte ihm doch angesehen, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Dass er sogar eine Deutscharbeit einfach vergessen hatte, obwohl Deutsch einer seiner Leistungskurse war. Sonst machte er sich doch immer solche Gedanken um die Schule und nun schien sie ihm egal geworden zu sein! Ich wusste nicht wie lange ich dort saß und innerlich fluchte. Als mein Handy in meiner Hosentasche vibrierte, zuckte ich zusammen und zog es eilig heraus. Vielleicht war es eine Nachricht von Kaito, eine Entschuldigung, eine Bitte um Hilfe oder wenigstens ein einfaches 'Hey', doch die SMS kam von Annalina. 'Na, ich sitze gerade beim Musikunterricht von Herr Kemp und langweile mich. Wenn er mich erwischt, tötet er mich, denke ich, aber ich hatte Lust dir zu Schreiben ;) Na, wie geht’s dir so?' Enttäuschung machte sich in mir breit und trieb mir beinahe die Tränen in die Augen. Wütend und überrascht zugleich wischte ich mir über das Gesicht und atmete tief durch. Es war Ewigkeiten her, dass ich geheult hatte und ich wollte damit nicht wieder anfangen. Als ich noch jünger gewesen war und mich jeden Tag nach meinen Eltern gesehnt hatte, hatte ich häufig nachts alleine in meinem Bett gelegen und mir die Augen aus geheult. Mehr durch Zufall hatte Kaito davon erfahren und danach bestimmt, dass er so häufig wie möglich bei mir einzog. Damit war mir aber auch ihm geholfen, der sich ständig mit seiner Mutter stritt und sich überhaupt schlecht in dieser Wohnung fühlte. Bei der Erinnerung daran fühlte ich mich nur noch schlechter. 'Ehrlich gesagt, ist gerade alles scheiße', antwortete ich Annalina. 'Kaito ist richtig wütend auf mich.' 'Kacke, was ist passiert?', kam die SMS recht schnell zurück. 'Zu lange zum Erklären...' 'Soll ich vorbei kommen?' Für einen Augenblick zögerte ich. Sollte sie vorbei kommen? Lieber wäre mir die Gesellschaft von Lukas, aber wenn ich ihm jetzt eine 'Mir geht’s so scheiße, tröste mich' – SMS schrieb, wäre das mehr als nur unfair. Schließlich war ich es gewesen, der ihn zuvor verletzt hatte. 'Ja', antwortete ich also. 'Wäre echt toll, wenn du vorbei kommen könntest.' Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)