An die Zurückgebliebenen von Felicity (One-Shot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 10: Erwin -> Levi ------------------------- „Ich versuche dann mal zu Eren durchzukommen und mit ihm zu reden. Bin in etwa einer Stunde wieder zurück.“ Erwin nickte die Aussage ab und Levi ließ sich von seinem Schreibtisch herunterrutschen und lief langsam in Richtung Tür. Den meisten Menschen wäre es vermutlich nicht aufgefallen, aber Erwin bemerkte die kleinen Anzeichen. Dass Levi sich auf seinen Schreibtisch setzte, war keine Besonderheit, aber normalerweise war es eher ein leichter Sprung als ein Heruntergleiten und wenn er genau hinsah, merkte er auch ein winziges Zucken, wann immer Levi mit links auftrat. Es war kein wirkliches Humpeln, aber er schonte die linke Seite und auch wenn er stand lehnte er sich leicht nach rechts. Erwin blieb ruhig sitzen und sah Levi noch einen Moment lang hinterher, als dieser die Tür schon hinter sich geschlossen hatte. Es war wie ein kleines Mahnmal. Levi war glimpflich davon gekommen, es war keine schlimme Verletzung und sie würde schnell und ohne bleibende Schäden heilen und dennoch … Auch sein mit Abstand stärkster Soldat war nur ein Mensch. Er war verwundbar und verletzlich wie alle anderen. Er konnte bluten und er konnte genauso gut das nächste Mal sterben. Stärke sicherte nicht das Überleben, sie machte es nur wahrscheinlicher. Erwin erlaubte sich ein Seufzen, als er sich zurücksinken ließ und kurz die Augen schloss. Nach all den Jahren war er vielleicht ein wenig abgestumpft und zu blind für so etwas geworden. Vielleicht wurde es Zeit, dass er sich wieder in Erinnerung rief, dass sie alle sterblich waren. Auch Levi. Auch er selbst. Er öffnete die Augen wieder und griff in die Schublade und zog einen angefangenen Brief heraus. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er begonnen hatte ihn zu schreiben oder was ihn unterbrochen hatte. Aber vielleicht war das nun der richtige Zeitpunkt, um ihn endlich zu Ende zu bringen. Schließlich wusste er nicht, wann er vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu haben würde. Er griff seinen Federhalter und zögerte kurz, während seine Augen über das huschten, was er schon geschrieben hatte. Er lächelte traurig und öffnete sein Tintenfass.   Levi,   ich komme mir ein wenig wie ein alter Mann vor, der mit dem Leben abgeschlossen hat, während ich diese Worte schreibe, aber ich denke, sie werden es für den Fall der Fälle für uns beide zumindest ein wenig leichter machen. Im Augenblick ist die größte Wahrscheinlichkeit meines Todes wohl eine unserer Expeditionen und ich möchte gerne glauben, dass ich dort an der Seite meiner Leute gestorben bin und nicht durch einen politisch inszenierten Mord. Es ist eine angenehmere Vorstellung. Ich weiß, dass du nicht meinen Posten einnehmen willst. Ich erinnere mich viel zu gut an die unzähligen Gespräche, in denen wir das Thema angeschnitten haben, und auch wenn ich es mir gewünscht hätte, ich respektiere diese Entscheidung. Ich habe in der Akte einen Vermerk hinterlassen, dass ich keinen Kandidaten für eine Nachfolge benennen möchte – denn das hätte ich zu oft ändern lassen müssen – aber dass sie sich an dich wenden sollen, wenn sie Namen brauchen. Ich vertraue darauf, dass du unsere Soldaten kennst und weißt, wer in der Lage ist fortzuführen, was wir seit Jahrzehnten versuchen. Wen immer du vorschlägst und wer immer meinen Platz einnehmen wird, ich wünsche und hoffe, dass du eines Tages in der Lage sein wirst mit ihm oder ihr zusammenzuarbeiten und den gleichen Respekt entgegen zu bringen, wie du es bei mir getan hast. Ich bin mir vollkommen bewusst, dass man so etwas nicht von dir verlangen kann, dass Vertrauen hart erarbeitet ist und ich bin unheimlich stolz darauf, dass wir so weit gekommen sind. Vermutlich sollte ich mich an der Stelle für unser erstes Treffen entschuldigen, aber wenn ich ehrlich bin, trotz allem, was passiert ist, bin ich unheimlich froh, dass es geschehen ist. Versteh mich nicht falsch, der Tod deiner Freunde war niemals meine Absicht oder Teil meiner Planung und ich bedauere ihn und ich hätte ihn auch gerne verhindert, aber für alles andere werde ich mich nicht entschuldigen, denn es würde bedeuten, dass ich mich für unsere Freundschaft und Zusammenarbeit entschuldigen würde. Ich hätte damals nicht damit gerechnet, wie die Dinge laufen würden. Ich wollte dich in die Armee holen, weil ich deine Kampfkraft und dein Können wollte. Heute bin ich unheimlich dankbar dafür, was ich über beides hinaus bekommen habe. Es ist nicht selbstverständlich, dass Zusammenarbeit derart einfach und natürlich vonstatten geht. Dass man sich blind darauf verlassen kann, dass jemand anderes die Soldaten im Auge hat, während man selbst sich mit der Politik herumschlägt. Ich bin mir dessen vollkommen bewusst und habe keinerlei Bedenken dir die weiteren Dinge in die Hände zu legen. Zu diesem Brief werde ich einen Zettel mit Notizen legen, die ich mir gemacht habe. Pläne, Gedanken, Vorhaben. Ich denke, du wirst wissen, was du damit anfangen kannst. Es tut mir leid dir so viel aufzubürden, wenn ich gehe, aber mit dem Wissen, dass du weitermachen kannst, bin ich vollkommen beruhigt, was das angeht.   Ich weiß nicht, ob es nach dem Tod noch etwas gibt und ob wir uns jemals wieder sehen. Wenn es so sein sollte, werde ich dort warten, falls nicht … bin ich einfach dankbar, dass wir ein Stück dieses Lebens zusammen erlebt haben. Bitte, achte auf dich, werde nicht, wie ich es bin.   Danke, Levi.   Erwin   Er ließ den Federhalter langsam sinken und starrte einen Augenblick lang auf die stellenweise noch glänzende, dunkle Tinte. In diesem Augenblick wusste Erwin selbst nicht, ob er sich wünschen sollte, dass es nach dem Tod noch ein Wiedersehen gab oder dass es einfach endete. Hätte er Levi diesen Brief heute gezeigt, hätte der ihm sicher erzählt, was für ein schnulziger, alter Sack er geworden war. Und dennoch … Erwin hatte nur wenige Menschen gekannt, die ihm wirklich nahe standen, ehe sie starben, aber er wusste, dass die Briefe gut taten. Es war ein kleines Stück von ihnen, ein letztes Andenken, ein richtiger Abschied anstelle einer schlichten Todesnachricht. Es war nicht viel und meistens schmerzten sie im ersten Moment noch viel mehr, aber danach waren sie wie Balsam auf einer Wunde und ließen den Schmerz ein wenig abklingen. Er faltete den Brief zusammen und griff nach einem Umschlag. Ja, sie waren traurig, aber auf ihre eigene Art wichtig, auch oder vielleicht gerade für diejenigen, die meinten, sie nicht zu brauchen. Er lächelte traurig, als er Levis Namen schrieb und ein Siegel aufdrückte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)