Fragmente der Finsternis von Naenia (Dragon Age / Mass Effect) ================================================================================ Kapitel 1: Solona ----------------- Die Nacht zerbrach in tausend kleine Stücke, verwandelte sich in ein Mosaik aus dunklen Schatten und leuchtendem Giftgrün, in einen Strudel aus entstellten Fratzen und dem Grollen schwarzer Schwingen. Unter ihren Füßen bebte die Erde und etwas wollte sie in die Tiefe reißen, zurück zu dem Ort, an dem das Verderben noch immer lauerte und ihren Namen rief. Das Blut pulsierte in ihren Adern, die Magie brannte unter ihrer Haut und drohte ihren Geist zu verschlingen – dann war der Spuk vorbei und das Zittern ihrer Fingerspitzen verlor sich in den endlos weiten Hallen des Schlosses, verstummte am schweren Stein seiner Mauern. An Schlaf war nicht mehr zu denken, doch der kühle Wind, der sich durch die verschlossenen Fensterläden stahl, schien ihr angenehm einladend. Einladender als das Bett, in dem Alistair vielleicht nicht auf sie warten würde. Teagans Blicke waren ihr nicht entgangen, sein stilles Urteil und das schlechte Gewissen, das ihn gleichzeitig plagte – sie konnte es deutlich in seinen Augen sehen und verstand seine Situation, sein Pflichtbewusstsein und den damit verbundenen Gedanken, das Wohl Fereldens über das einzelner Menschen zu stellen. Aedan war da anders; seine blauen Augen strahlten ihr ehrlich und offen entgegen. Er lächelte tapfer durch die Narben des Krieges hindurch und war ein ebenso deplatziertes Relikt schwärzerer Tage wie sie selbst. „Ich frage mich, was Lady Amell so spät noch durch die dunklen Gänge dieses Schlosses treibt… Vermisst Euch der König nicht?“ Zevrans Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und jede Bewegung ein lautloser Schatten. Solona spürte sein Lächeln in ihrem Rücken, die Wärme, die von seiner Nähe ausging und nahm auch den feinen Geruch von Leder wahr, der ihn immer zu umgeben schien. „Ich sehe Euch oft allein in letzter Zeit.“ Sie drehte sich um und sein Lächeln war verschwunden, wich dem besorgten Blick eines Freundes, der die Wahrheit längst kennt. „Es ist die Nacht, und es sind die Bücher. Nichts weiter“, Nur eine Stimme, die mich ruft, Bilder, die mir den Schlaf rauben und das Herz, das bricht. „Und Ihr zieht die kalten Mauern der Wärme eines Bettes vor?“ Das Lachen kam ihr leicht über die Lippen. Es war angenehm mit Zevran zu sprechen, ohne die tadelnden Augen misstrauischer Adeliger auf sich zu wissen. „Was ist mit Euch? Störe ich vielleicht ein mitternächtliches Treffen?“ „Nein, heute Nacht treibt mich ein anderes Verlangen hierher. Es ist die Sehnsucht nach den Schatten, die mich hierher zieht. Ich gehöre nicht hierher, genauso wenig wie Ihr.“ Seine Stimme war ganz ruhig, doch die letzten Worte wie kleine Nadeln in ihrem Ohr. „Ich weiß“, hauchte sie noch, bevor sie selbst die Antwort wahrhaben wollte und dann, als diese Tür sich endlich geöffnet hatte, gab es kein Zurück mehr, „Zevran, es ist nicht vorbei. Das, was wir getötet haben – es war nicht genug.“ Sie sprach nicht von den Stimmen, die nach ihr riefen. Sie erzählte nur von den Träumen, von den Dingen, die jeder Graue Wächter mit einer starken Verbindung zur anderen Seite verstehen würde. Zevran fragte nicht einmal, warum sie die Einzige war, die all das auch jetzt noch sah und glaubte trotzdem jedes Wort. „Man spricht von Unruhen in Amaranthine. Vigils Wacht fordert einen neuen Kommandanten. Ich bin nicht sicher, ob das etwas mit der Verderbnis zu tun hat, aber es klang danach, als würde man Euch dorthin schicken.“ „Woher-?“ „Die Schatten“, unterbrach er die Frage, noch bevor sie sie ausgesprochen hatte, „Man kann alles hören, wenn man nur auf das Echo wartet.“ „Ich sollte gehen“, da war ein stummer Schmerz hinter ihren Augen, ein flaues Gefühl in ihrem Magen und etwas raubte ihr den Atem, „Zu Alistair und nach Amaranthine.“ Die Entscheidung zu gehen, war nicht neu. Es gab nur keinen Grund, der gut genug gewesen wäre, Alistair zu verlassen, denn Liebe war etwas Seltsames, – das hatte sie bereits gelernt – das versuchte gegen alle Hindernisse zu bestehen. Zevran nickte, sie drehte sich um und ließ ihn im Dunkel zurück.   •   Das zugige Schloss schickte Wellen kalten Windes, um ihren Schritt zu beschleunigen, als wollte es sie drängen, damit ihr keine Zeit blieb, ihre Entscheidung zu überdenken. Der Weg war viel zu kurz. Sie lief fast wie in Trance, näherte sich einem Abgrund, aus dem es kein Entrinnen gab, wenn man erst einmal gefallen war.   •   Solona fand Alistair im Bett liegend, er öffnete die Augen nicht bevor er ihr Gewicht neben sich auf dem Bett spürte. Das Knarren der Tür hatte ihn noch nie geweckt. Ihr rotbraunes Haar umrahmte ihrer beider Gesichter, als sie sich zu ihm hinabbeugte. Seine Lippen waren warm und schmeckten nach süßem Wein. Er blickte müde zu ihr herauf und sie bemerkte eine reuevolle Trauer in seinen Augen, die ihr verriet, dass Zevrans Schatten richtig gelegen hatte. „Es ist in Ordnung, ich muss nach Amaranthine. Kommandant der Grauen Wächter, ein Titel, den man sogar einer Magierin zugesteht“, das Lächeln kam ihr nicht leicht über die Lippen und er war im nächsten Moment vollkommen wach. „Du hast davon gehört?“ Seine Finger strichen ihr Haar zurück, kamen auf ihrem Rücken zur Ruhe und hielten sie fest. Solona nickte: „Es wird anders sein, ohne dich.“   Kapitel 2: Aedan ---------------- Der Marschbefehl kam plötzlich, aber nicht unerwartet. Gestern Abend hatte die Nachricht über den Angriff auf Vigils Wacht den Hof erreicht und Alistair zögerte nicht, den Ablauf der anstehenden Reise durch das Bannorn sofort zu ändern. Amaranthine stand nun als erstes Ziel auf dem Plan, denn es hieß zwar, dass Amell sicher angekommen sei, aber Aedan konnte verstehen, dass Alistair sie sehen musste. Wer weiß, wann sich erneut eine Gelegenheit bieten würde.   •   Ferelden galt als das Land, in dem es immer regnete. Aedan war vollkommen durchnässt, als sie schließlich vor den Toren der Festung standen. Der König hatte trotz des anhaltenden Regens darauf bestanden, die Reise fortzusetzen. Jede unnötige Rast schien unerträglich für ihn zu sein. Aedan beschwerte sich nicht, er stand seinem Freund zur Seite, marschierte tapfer weiter und gab sich alle Mühe, die Moral oben zu halten. Es war immerhin nicht so, als hätte er nicht schon Schlimmeres durchgestanden. Dieser Marsch war ein Spaziergang im Vergleich zu dem, was er in den letzten zwei Jahren erlebt hatte. Nachdem Loghain ihre Truppe verraten und zum Sterben zurückgelassen hatte… Nicht jetzt, nicht daran denken. Lass nicht zu, dass die Erinnerungen dich einholen. Doch sie waren längst da, die Bilder von schwarzem Blut, die Schreie verlorener Seelen und das grauenvolle Gelächter entstellter Kreaturen. Es war Rylocks Stimme, die ihn zurück in die Realität holte. Dieser weibliche Templer, der sich selbst viel zu ernst nahm. Ein Problem, das in Aedans Augen so gut wie alle Templer hatten. „Vorsicht, Eure Majestät, dieser Mann ist ein gefährlicher Krimineller. Ein Abtrünniger des Zirkels der Magie, wir waren dabei in zurückzuholen, als meine Kameraden… Er ist ein Mörder!“ Rylock wollte auf Anders zugehen, doch der Kommandant der Grauen Wächter hob die Hand, stellte sich vor ihn: „Er gehört zu den Wächtern. Euer Recht ist nicht mehr von Bedeutung, Ser Templer.“ Solona Amell war längst in ihre Rolle als Anführer hinein gewachsen und ließ keine Diskussion zu. Sie blickte hilfesuchend zum König und fand dort nichts als die Bestätigung, dass Anders, so hieß der Magier, nicht mehr ihrer Aufsicht unterstand. Rylock verließ die Festung noch im selben Moment und streifte Aedans Schulter bei ihrer übereilten, von Zorn getriebenen Flucht.   •   Seine braunen Locken klebten ihm in der Stirn und Regentropfen rannen über sein Gesicht, glitten am polierten Stahl seiner Rüstung herab. Er spürte wie seine schweren Schuhe stückchenweise tiefer im aufgeweichten Boden versanken und sehnte sich nach einem warmen Feuer und trockener Kleidung. Ein heißes Bad wäre schön, die süße Umarmung eines… Er blickte sich um und suchte nach Jemandem.   •   Seine Hoffnung zu bleiben wurde enttäuscht, denn es schien, als würden die Unruhen im Bannorn keinen weiteren Aufschub gewähren. Solona erblickte ihn, lächelte und wandte sich dann ab. Aedan konnte sehen, wie sie sich gemeinsam mit Alistair ein Stück weit von der Gruppe entfernte. Er selbst lehnte unauffällig an dem schweren Tor und beobachtete das Treiben auf der Festung. Die Bewohner waren noch immer mit dem Wiederaufbau beschäftigt, trotz des Regens fleißig und ließen sich von der Anwesenheit des Königs und seiner Garde nicht stören. Der Zwerg und der Magier – Anders, erinnerte Aedan – standen etwas abseits und beobachteten den Kommandanten unverhohlen. Zevran stand ihm gegenüber, die Arme vor der Brust verschränkt. Er erinnerte sich gut an den Elf und dessen Loyalität gegenüber Solona; an die Treue, die ihn immer noch hier in Ferelden hielt und die mehr für ihn zu zählen schien, als das eigene Leben. Mehr als alles andere… Zevran fing seinen Blick auf, bevor Aedan sich abwenden konnte. Er lächelte kurz dieses laszive kleine Lächeln, das Aedan so oft an ihm gesehen hatte. Jedes Mal, wenn der Elf mit einer hübschen Magd oder mit einem dieser adeligen Schönlinge sprach. Es war wie eine Maske, die über fehlendes tiefergehendes Interesse hinwegtäuschen wollte und Aedan hatte nicht erwartet, jemals selbst Ziel dieser Spielerei zu werden.   •   Es überraschte ihn zu hören, dass sie doch die Nacht über hier lagern würden. Der Dauerregen hatte sich in einen Sturm verwandelt, aber Aedan war fast dankbar dafür, als er den klirrend kalten Stahl ablegte und sich aus der nassen Unterkleidung schälte. Es waren nicht seine eigenen Sachen, die er danach überstreifte, aber sie waren trocken. Sein Bett stand in einem der Schlafsäle, den normalerweise Wächter bewohnten, wenn die Festung voll besetzt wäre. Die gesamte Garde des Königs hatte in diesem einen Raum Platz. Aedan war nie klarer gewesen, was Loghains Verrat den Wächtern angetan hatte.   •   Das Abendessen wurde in der großen Halle eingenommen. Es war nichts Besonderes, nur Suppe, Brot und Käse; der Wein schmeckte zu süß, aber das Feuer brannte heiß im Kamin und die düstere Betrübnis der letzten Tage war ausgelassener, angenehmer Stimmung gewichen. Er mochte den Zwerg, Oghren, der so betrunken war, dass er Geschichten zum Besten gab, die für die Ohren der Damen am Tisch nicht bestimmt sein sollten. Es störte niemanden. Der König saß direkt neben dem Kommandanten am Kopfende des Tisches und Aedan wusste, dass er ihr näher war, als es die Schicklichkeit gebot. Die Unbeschwertheit seiner Gesten, die Leichtigkeit, mit der er Solonas Haar an diesem Abend berührte und sich offenbar nicht darum scherte, wer ihnen zusah… Aedan beneidete die beiden um diese Liebe, die unter den denkbar schlimmsten Umständen gewachsen war. Er nahm einen Schluck von seinem Wein, und verlor sich selbst in Anekdoten und den Augen eines bestimmten Elfen. Sie erinnerten sich an den Tag, an dem sie sich kennengelernt hatten. Verborgen in den Verliesen von Denerim warteten die letzten Soldaten, die das Massaker von Ostagar überlebten, auf Folter und Tod. Aedan dachte nicht gern daran, was ihm dort alles zugestoßen war, aber der Tag der Flucht, das war ein Teil seiner Vergangenheit, den er niemals vergessen würde. Kapitel 3: Zevran ----------------- Jegliches Gefühl von Zeit war zwischen sternenlosen Nächten und wolkenverhangenen Tagen verloren gegangen. Es war niemals hell, nicht richtig jedenfalls. Nur der Schimmer einer Erinnerung an die glühende Sonne Antivas. Zevran fiel es schwer Amaranthine und Vigils Wacht zu ertragen und ihm fehlte das Verständnis für die Notwendigkeit ihres Bleibens. Einige Tage nach Alistairs Besuch waren die orlesischen Wächter angekommen und ihm gefiel nicht, wie dieser Shepard versuchte, Solonas Platz einzunehmen. Ihr hingegen schien es kaum etwas auszumachen. Sie wirkte in letzter Zeit, als wäre sie gar nicht richtig da und Zevran suchte seither nach einem Ausweg für sie. Die Frage war nur, ob Solona das wollen würde. Die Pflicht hatte sie hierher befohlen, ein Geheimnis, das unter der Erde lauerte, aber diese Gefahr schien nicht das zu sein, nach dem sie suchte. Die Mutter und der Architekt – beide fanden keinen Platz in Solonas Gedanken, ihr Blick schwebte immer häufiger in den Wolken, versuchte verzweifelt das zu sehen, was sich hinter der dichten Decke versteckte.   •   Anders war ein angenehmer Begleiter und seine offene Unbekümmertheit ein Rätsel, wann immer Zevran über die Vergangenheit des Magiers nachdachte. Der langsam verrottende Körper zu seiner Linken hingegen bereitete ihm Unbehagen. Dieser Geist, der sich selbst Justice nannte, gehörte einfach nicht in diese Welt. Zevran traute ihm nicht und wusste, dass irgendwann etwas geschehen würde, das niemand hatte vorhersehen können. Sie patrouillierten auf der Straße in der Nähe des Waldes, dort, wo Velanna sie damals angegriffen hatte. Zwei weitere Wächter folgten ihnen durch das Halbdunkel. Zevran erkannte Rolan, den ehemalige Templer, der zu Anders’ Schatten geworden war. An den Namen des anderen erinnerte er sich nicht. Er lauschte einer von Anders Geschichten, stellte sich die farbenfrohen Bilder seiner erstaunlichen Ausbrüche vor und versuchte das, was sich hinter diesen Worten verbarg, auszublenden. Nebel breitete sich langsam aus, verschluckte die Bäume und das letzte Licht, der verschleierten Sonne. Zevran hielt die kleine Gruppe dazu an, wachsam und zusammen zu bleiben, doch es half nichts. Die Dunkle Brut traf sie überraschend. Pfeile surrten durch die Luft, verfehlten zwar ihr Ziel, zerschnitten jedoch die Haut an seinem Hals. Er sackte auf die Knie, als das Blut heiß über seine Schulter lief und sich im Leder seines Wamses verlor. Anders stand hinter ihm, reagierte schnell. Heilzauber, dachte Zevran und war unendlich dankbar, dass Solona mittlerweile darauf bestand, jeder Patrouille einen Heiler oder Medizinkundigen zuzuteilen. Er spürte das Kribbeln, als eine dünne Schicht Haut sich in rasantem Tempo über seiner Wunde bildete und die Blutung stoppte. Er verlor für einen Moment das Gleichgewicht, spürte ein seltsames Summen in seinem Kopf und dann war er wieder auf den Beinen, zog seine Dolche und stürmte auf die Horde entstellter Kreaturen. Der Nebel war sein Freund, half ihm tödlich und verborgen zuzuschlagen. Feuerbälle schossen durch das Zwielicht, Flammen züngelten an Sträuchern herauf und der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft. Justice’ schweres Langschwert zerschnitt die Luft und erschlug den Hurlock, der mit dem Bogen aus nächster Nähe auf Zevran gezielt hatte. Für Dank war keine Zeit, denn die nächste Welle trampelte dem Klang nach auf sie zu. Zevran konnte den kommenden Tod fast schmecken.   •   Sein Kopf dröhnte und jede Faser seines Körpers schrie, als er versuchte, sich zu bewegen. Als er die Augen öffnete, dauerte es einige Sekunden, bevor er wirklich etwas sah. Er lag auf dem Boden, begraben unter Staub und Leichen. Blut und Regen und was auch immer noch hatten seine Kleidung durchnässt. Zevran schaffte es irgendwie, sich von der Last der Toten zu befreien, kroch aus dem Gemetzel hervor und war am Leben. Ein heiseres Lachen entrann seiner trockenen Kehle, die sich anfühlte, als habe er seit Tagen nichts getrunken. Die spröden Lippen brachen bei der Bewegung auf, es schien als hätten sie vergessen, dass sie zum Lachen fähig waren. Er roch Rauch und kalte Asche. Eine Silhouette näherte sich ihm. Er hat Schwierigkeiten zu erkennen, wer oder was es ist, bis Anders direkt vor ihm steht. Ein blaues Leuchten in den Augen und getrocknetes Blut im Haar, die Robe dreckig und halbzerfetzt. „Zevran“, seine Stimme klang hohl und seltsam fremd, „Du lebst.“ Es war nicht mehr als eine Feststellung, aber die Nüchternheit ließ kalte Schauer über Zevrans Rücken laufen. Der Magier wirkte ganz anders als in dem Moment, in dem er ihm das Leben gerettet hatte. Ihn umgab etwas Eisiges, etwas Fremdes, etwas Unbehagliches, das Zevran zuvor in der Nähe des Geistes gespürt hatte. „Justice?“, krächzte er mit einer Stimme, die unmöglich seine eigene sein konnte, „Wo sind- Was ist mit den anderen?“ „Tot. Jeder von ihnen“, das Grinsen, das dem blonden Mann sonst so viel Charme verlieh, verwandelte sein Gesicht in eine abscheuliche Fratze. Die Augen schimmerten wirklich blau… Zevran blickte von unten zu ihm herauf und sah, wie sich das Ende in Form von bläulichen Blitzen nähern wollte. Er schloss die Augen.   •   Diesmal spürte er weiche Laken und eine zarte Hand, die seine hielt, als das Leben in seinen Körper zurückkehrte. Er war zurück in Vigils Wacht und Solona an seiner Seite. Sie bemerkte seinen Blick und schüttelte den Kopf, „Sagt nichts. Ich weiß, was passiert ist. Lasst Euch Zeit.“ Sie reichte ihm ein Glas Wasser, half ihm auf und wich schuldbewusst der in der Luft liegenden Frage aus. Er bemerkte erst jetzt, dass Kommandant Shepard sich ebenfalls im Zimmer aufgehalten hatte. Der hochgewachsene Mann schien gar nicht glücklich über Solonas Worte zu sein und verließ kurze Zeit später den Raum. „Anders“, hauchte sie, nachdem die Tür schwer ins Schloss gefallen war, „Und Justice. Er – sie waren hier. Sonst hätten wir Euch vermutlich erst viel zu spät gefunden.“ Sie drückte seine Hand und er richtete sich mühsam auf. „Wie lange liege ich hier schon?“ „Ein paar Tage, ich bin kein besonders guter Heiler…“ „Wo ist er?“ Sie senkte ihren Blick und seufzte lautlos: „Ich habe ihn gehen lassen.“ Zevran war nicht einmal überrascht. Er kannte die Antwort noch bevor er die Frage gestellt hatte, aber das Warum brannte in seinen Gedanken. „Euer Leben für seines. Ich habe zugestimmt und verhindert, dass sie ihn verfolgen. Sein Tod hätte keine Bedeutung, Anders wollte Euch nicht verletzen.“ „Das, was ich gesehen habe, war nicht Anders.“   •   Es regnete auch in dieser Nacht. Dass Amaranthine nicht längst unter Wasser stand, kam einem Wunder gleich. Zevran saß noch immer in seinem Bett und spürte jeden Knochen in seinem Leib. Unweigerlich fiel ihm wieder Anders ein, sein perfekter Heilzauber, der vermutlich der einzige Grund dafür war, dass er jetzt noch atmete. Draußen zuckten Blitze am Himmel, nicht blau, sondern ganz natürlich. Kommandant Shepard war einige Stunden zuvor zu ihm gekommen, um ihn zu dem Vorfall zu befragen. Er gab an, dass sie von einer Gruppe Hurlocks und Genlocks überrascht worden waren und ließ den Part, in dem Anders ihm das Leben nehmen wollte, aus. Shepard befahl trotzdem einer Truppe, den Eidbrüchigen zu verfolgen. In den Häusern brannte längst kein Licht mehr und er spürte, wie die Müdigkeit durch seinen Körper kroch. Er wollte sich der dumpfen Wärme hingeben und in einen traumlosen Schlaf hinübergleiten, als das Knarren der alten Holzdielen ihn wieder aufschrecken ließ. Solona stand vor ihm und er konnte ihr Gesicht unter dem schwarzen Umhang kaum erkennen. „Ich muss verschwinden, Zevran“, erklärte sie und er starrte sie fragend an. Sie schlug die Kapuze zurück und offenbarte dunkles Haar und gerötete Augen, er glaubte im Schein der Blitze die Spuren von Tränen auf ihrem Gesicht zu sehen: „Begleitet mich nach Antiva. An einen Ort, an dem mich niemand findet.“   •   Sie ließen die Festung noch in dieser Nacht hinter sich, flohen durch den Regen und Wind, auf der Suche oder auf der Flucht, Zevran hatte nicht gefragt, denn am Horizont leuchtete für ihn bereits die Sonne seiner Welt. Kapitel 4: Anders ----------------- Seine Tage verloren sich in verwirrenden Wachträumen, die ihn in eine Welt aus surrealen Empfindungen stürzten. Er verlor seine Richtung, versteckte sich in abgelegenen Wäldern und schlief jede Nacht unter freiem Himmel. Er machte einen Bogen um Städte und Dörfer, vermied es sich Menschen zu nähern. Es fiel ihm immer noch schwer, die Grenze zwischen sich selbst und dem Geist zu ziehen. Immer wieder blitzten die Bilder der Toten durch seine Gedanken und wenn er erwachte, schmeckte er Blut in seinem Mund. Er dachte an Zevran und hoffte, dass Solona ihn vor der Dunklen Brut gefunden hat. Justice versuchte diese Gedanken der Reue zu ersticken, aber Anders ließ das nicht zu, hielt sich mit aller Kraft an seiner Menschlichkeit fest. Er war zu dem geworden, was selbst Magier fürchteten: Eine Abscheulichkeit.   •   Es war ganz leicht, an einem der Häfen auf einem Schiff als Mediziner anzuheuern. Er war mittlerweile in der Lage, sich zu kontrollieren, hatte die Grenzen zwischen sich selbst und dem Geist soweit abgesteckt, dass er es wagen konnte, eine mehrtägige Reise über das Meer zu unternehmen. Die Seeluft tat ihm gut, brachte zusätzlich Ordnung in seinen unruhigen Geist und die Mannschaft mied ihn. Es war, als wüssten sie trotz seines Lächelns instinktiv, was hinter der Freundlichkeit lauerte. Sie wandten sich nur an ihn, wenn es Probleme gab, ansonsten blieb er allein. Auf dem Schiff gab es noch eine Person, die die Einsamkeit dem gesellschaftlichen Treiben vorzog: Sie hieß Jack, so viel hatte er mittlerweile herausgefunden, und er war nicht sicher, ob es überhaupt eine Stelle an ihrem Körper gab, die nicht kunstvoll verziert war. Manchmal saßen sie beim Essen am selben Tisch, jeder von ihnen an einem Ende und noch nie hatten sie ein Wort an den anderen gerichtet. Er war zufrieden damit, sie zu beobachten, studierte ihre weichen Bewegungen, die sehnigen Arme und den muskulösen flachen Bauch, versuchte den Sinn hinter den Symbolen zu sehen und ihre Geschichte zu lesen.   •   In zwei Tagen würden sie Kirkwall erreichen. Die Hauptstadt der Freien Marschen, über die er so gut wie nichts wusste. Aber es erschein ihm eine gute Idee zu sein, dort neu anzufangen, sich zu sortieren und schließlich irgendwann etwas zu verändern. Es gab auch einiges, das er wieder gut machen wollte…   •   Jack sprach ihn erst an, nachdem sie das Schiff verlassen hatten. Das Gefühl von festem Boden unter den Füßen kam ihm fremd und vertraut gleichzeitig vor, ihre Stimme klang nach Sand und Meer, wie ein Sonnenuntergang: „Du bist mehr als nur Heiler.“ Anders blieb stehen, schaute sie entgeistert an. In ihm rührte sich etwas, ein blauer Blitz zuckte durch seine Eingeweide. „Keine Sorge, ich werd’ dich schon nicht verraten. Ich halte mich selbst lieber von Templern fern.“ Sie berührte seinen Arm und Elektrizität, kribbelte unter seiner Haut, brachte Justice zum Schweigen, „Wenn du Arbeit suchst, ein Bekannter von mir arbeitet unten in der Dunkelstadt. Er hat eine Praxis und kann Hilfe sicher gut gebrauchen. Ich bring’ dich hin, wenn du willst.“ Sie sah ihn auffordernd an und Anders stimmte zu, verzaubert von den Linien auf diesem Körper, von ihren Farben unter der Sonne einer neuen Welt.   •   Mordin Solus arbeitete in einer heruntergekommen Klinik und Anders hatte noch nie jemanden wie ihn getroffen. Er sprach so schnell, dass Anders manchmal Mühe hatte, ihm zu folgen und seine Hände bewegten sich im gleichen Takt, wie die Wörter aus seinem Mund geschossen kamen. Das kurze grau-braune Haar ruhte wirr über der hohen Stirn. Seine dunklen Augen lagen tief und wirkten noch größer, wenn Mordin ihn direkt ansah. Jack lachte, offensichtlich amüsiert über seine Verwirrung und ihm fiel zum ersten Mal auf, dass sie wirklich hübsch war, wenn sie lächelte. Hinter all der Tinte und den kryptischen Symbolen versteckte sich eine wunderschöne Frau. Er entschied, zu bleiben und wollte wissen, was das Leben in Kirkwall für ihn bereithielt. Er war zum ersten Mal frei. Alles, was ich will ist ein hübsches Mädchen, eine warme Mahlzeit und das Recht, der zu sein, der ich bin. Zum ersten Mal in seinem Leben erwartete Anders den nächsten Tag mit einer gesunden Vorfreude. Kapitel 5: Alistair ------------------- Solonas Verschwinden traf ihn hart und die Krone wog von Tag zu Tag schwerer, verlangte ihm Dinge ab, die er nicht bereit war, zu geben. Teagan drängte ihn zur Heirat, stellte ihm unentwegt neue Damen vor, deren Bekanntschaft er nicht machen wollte. Er spürte die stillen Urteile der Banns, ihren wachsenden Unmut über einen König, der ihnen keinen Erben schenkte und es wurde von Tag zu schwerer Rechtfertigungen für seine Entscheidungen zu finden. Teagan und Eamon hatten noch vor seiner Krönung gewusst, worauf sie sich einließen, aber niemand hatte es für nötig befunden, ihm davon zu erzählen. Im Nachhinein wäre er lieber bei den Wächtern geblieben. Dann wäre er jetzt bei ihr und nicht in diesem stickigen Schloss, das ihm mehr und mehr wie ein Gefängnis vorkam. Er ertränkte die Düsternis seiner Gedanken im Wein, gab sich alle Mühe dabei zu vergessen, doch es wollte nie so recht klappen. Wynne hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, abends häufig nach ihm zu sehen. Sie war alt geworden in den letzten Monaten. Das reine Weiß ihres Haares und die fahle Haut ließen sie mehr und mehr wie einen Geist wirken. Alistair genoss ihre Gesellschaft, lauschte ihren Geschichten und hatte noch immer das Gefühl, dass er nichts sagen musste, denn für Wynne war er immer ein offenes Buch gewesen. Er fühlte sich wohl mit den Geistern seiner Vergangenheit, es war die Zukunft, die ihm Sorgen bereitete. „Alistair“, ihre Stimme klang warm und weich, wie die der Mutter, die er niemals kennengelernt hatte, „Was hält dich noch hier?“ Die unvermittelte Frage traf ihn unvorbereitet: „Was meint Ihr damit?“ „Du solltest da draußen sein und nach ihr suchen. Du solltest überall sein, nur nicht hier in diesem Schloss.“ Ob das Alter nun Weisheit oder Wahnsinn brachte, Wynnes Worten sprachen ihm aus der Seele, aus dem Teil, der unter der Last der Pflicht zu ersticken drohte und sich zurück zu dem Leben eines Bastards sehnte; ein anderer Teil verfolgte ganz andere Gedankengänge: „… Und was, wenn sie nicht gefunden werden will?“ Wynne lächelte und er konnte fühlen, wie seine Zweifel sich lösten. „Solona hätte dich nie verlassen, wenn sie nicht gemusst hätte.“ „Amaranthine, ich weiß. Aber warum hat sie Vigils Wacht heimlich verlassen? Warum ist sie mit Zevran davon gelaufen?“ Wo bleibe ich in diesem Spiel? „Finde sie. Alistair. Es war nicht Amaranthine, das sie von hier weggezogen hat. Da lauert ein Grauen hinter dem Horizont, ich kann es nicht sehen, aber etwas sagt mit, dass es dort nur darauf wartet, über der Welt hereinzubrechen. Zevran würde sie nie anrühren, ich denke er hat ein Auge auf deinen Freund Aedan geworfen.“ Alistair entschied sich, den letzten Satz für den Moment nicht weiter zu beachten, er verlor an Wichtigkeit neben dem, was Wynne ihm soeben offenbart hatte. „Hat sie mit Euch darüber gesprochen?“ „Kein Wort“, erwiderte Wynne, „Vertrau mir, Alistair. Ich weiß, dass das die Wahrheit ist und ich weiß, dass die Chancen in einem Kampf besser stehen, wenn du da draußen bist. Ich bin zu alt, für diese Reise.“ Er lächelte traurig, die Gedanken rasten. „Geh nicht allein, versprich es mir. Vor einigen Tagen kam eine junge Magierin an den Hof. Liara sollte mir zur Hand gehen. Sie wird dich begleiten, sie ist eine hervorragende Heilerin und sehr wissbegierig. Ich stelle sie dir morgen vor.“ Für Wynne schien die Entscheidung längst getroffen, in seinem eigenen Kopf herrschte das Chaos.   •   Schwermütige Traurigkeit überkam ihn, die Sehnsucht nach der Welt und nach dem Abenteuer, nach all dem was hinter diesen Mauern auf ihn wartete. Nach dem, was sich im Verborgenen hielt und nach Solonas Umarmung.   Er rief noch in dieser Nacht Teagan und Aedan. Danke, Wynne. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)