Kyo Kara Maou Novel: Reise zum Beginn - Abenteuer in Dark Makoku von KamuiMegumi ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- KAPITEL 1 „JA!!!“, rief ich laut aus und merkte wie Murata neben mir erschrocken zusammen zuckte. „Hast du dich gefunden?“, seine Frage klang nicht wirklich interessiert. Ich wunderte mich eh, warum Murata seine letzten beiden Unterrichtsstunden schwänzte und nun mit mir zusammen vor der großen Ergebnistafel meiner Schule stand und mit mir meinen Namen suchte. Mir war klar, dass ich nicht ganz oben bei den Besten der Jahrgangsstufe zu finden sein würde. Dafür war ich einfach viel zu selten da. Körperlich zwar schon, geistig eher weniger. Ich war viel zu sehr mit meinen Gedanken bei meinem Job. Denn ich, Yuuri Shibuya, 18 Jahre jung und seit wenigen Augenblicken stolzer Besitzer eines japanischen Oberschulabschlusses, war eigentlich seit fast drei Jahren der 27. Dämonenkönig von Shin Makoku. Zunächst äußerst widerwillig, doch nun war dieser „Job“ mein ganzer Lebensinhalt. Ich hatte mir vorgenommen in beiden Welten mein Zuhause zu haben. Doch mit dem heutigen Tage könnte sich das nun ändern. Ich hatte meinen Schulabschluss in der Tasche. Für eine Universität hatte ich mich nicht beworben weil ich schlichtweg, nun ja, keinen Sinn darin gesehen habe. Mein fünf Jahre älterer Bruder Shori hingegen hatte von jeher nur ein Ziel vor Augen: Studieren und Gouverneur von Tokyo werden. Selbst wenn es für unsere Familie überraschend war, wusste er schon Jahre im Voraus, das er der von Bob erwählte Dämonenkönig der Erde sein würde. Er konnte sich daher sein Leben so um diesen Posten zurecht stricken, aber ich...? Was sollte ich in Shin Makoku mit einem Universitätsabschluss? Sicher, mein königlicher Berater und Lehrer Günter von Kleist würde sich über ein bisschen mehr Bildung meinerseits freuen, aber er dachte da eher an die Geschichte der Dämonen als an Bilanzen und Statistiken der japanischen Wirtschaft. Da ich aber jemand bin, der etwas zu Ende bringt was er anfangen hat, habe ich beschlossen, wenigstens meine Laufbahn in der Oberschule erfolgreich zu beenden, bevor ich mich vollends meinen dämonischen Aufgaben widme. Nun würde ich hauptsächlich nur noch in Shin Makoku leben, so wie es mir vorherbestimmt wurde. In den letzten Jahren war mir mehr und mehr bewusst geworden, dass nicht nur meine Seele sich in dieser Welt wohler fühlte, sondern mein ganzes Ich. Natürlich hatte auch Murata seinen Teil dazu beigetragen. Während ich als Doppelschwarzer zum Dämonenkönig gekrönt wurde, stellte sich bei meinem mittlerweile besten „vermeintlich menschlichen“ Freund heraus, dass er die Seele des Großen Weisen in sich trug und er somit zur doppelschwarzen Eminenz von Shin Makoku auserkoren war. Zuvor hatten Murata und ich eigentlich weniger Kontakt zueinander. Wir waren in der Mittelschule zwei Jahre in der selben Klasse, hatten aber nie viel miteinander zu tun. Er ging anschließend an eine elitäre Jungenoberschule während ich nur eine Staatliche besuchen dürfte. Und er war der Grund warum ich in einer Toilette heruntergespült wurde und in Shin Makoku landete. Mit ihm konnte ich hier auf der Erde über alles reden was mich beschäftigte. Mit Themen aus beiden Welten. Wer sonst würde mir all das glauben was mir seit Beginn der Oberschule widerfahren war? Nach so vielen gemeinsamen Abenteuern und Muratas Übernahme des Managements meiner gegründeten Baseball-AG kann ich mit Stolz sagen, das Murata hier auf der Erde mein bester Freund ist. In Shin Makoku muss er sich diesen Titel jedoch teilen. Zum Einen gibt es dort meinen Namensgeber, Conrad Weller, einem Halbdämon. Uns verbindet eine Freundschaft, die sich schwer definieren lässt. Er ist wie ein großer Bruder. Ich möchte damit nicht sagen, dass Shori ein schlechter Bruder wäre! Nein! Shori ist speziell. Sehr speziell. Manchmal auch anstrengend speziell. Aber es hat Vorteile Shori als Bruder zu haben. Denn mir konnte wirklich nichts zu stoßen. Auf der Erde wachte Shori mit Argusaugen über mich. In Shin Makoku tat dies Conrad. Nur Conrad tat dies, sagen wir, wesentlich dezenter. Conrads eigentliche Aufgabe war mein Schutz. Er war meine Ein-Mann-Leibgarde. Er hatte oft genug bewiesen, dass er sein Leben für mich geben würde, selbst wenn ich das nicht wollte. Dadurch das Conrad damals meine Seele zur Erde gebracht hatte, ist er neben Muraken auch der Einzige, der mit dem Leben auf der Erde vertraut ist. Er liebt Baseball ebenso sehr wie ich und war mir behilflich, es als Volkssport einzuführen. Conrad ist in allen Bereichen für mich da und steht mir stets zur Seite. Ich vertraue ihm voll und ganz. Und das führt mich zu meinem darauf eifersüchtigen besten „dämonischen“ Freund. Wolfram von Bielefeld. Normalerweise müsste ich nun laut seufzen, aber man gewöhnt sich an so einiges mit der Zeit. Er ist launisch, überheblich, anstrengend, unendlich stolz und hat einige arrogante Züge an sich und... ach verdammt. Anders könnte ich mir Wolf auch gar nicht vorstellen! Dazu kommt, dass er unbeschreiblich gut aussieht. Und das sag ich und ich bin ein Kerl! Er schaut aus wie aus einem Shoujo-Manga entsprungen. Absolut bishonen! Wundervoll tiefgründige grüne Augen, lange schwarze Wimpern, porzellanfarbene Haut, ideal geschwungene Lippen, honigblondes Haar... ach ja, vielleicht sollte ich es erwähnen... er ist mein Verlobter! Und das ist der Punkt, der so einiges an dieser Freundschaft erschwert. Denn ich bin es unfreiwillig! Und er? Er findet es mittlerweile anscheinend traumhaft! Denn er ist zudem extrem eifersüchtig und aufbrausend und besitzergreifend! Er traut mir alles zu! Ich, der noch nie wirklich irgendeine intime Beziehung zu irgendeinem Mädchen hatte bin in Wolframs Augen der größte Schwerenöter auf zwei Beinen in beiden Welten! Und wie ich aus dieser Verlobte-Misere herauskomme ist mir bisher auch nicht eingefallen. Denn darüber kann ich irgendwie mit wirklich niemanden reden! Wolfram und meine Mutter planen hinterrücks schon die Hochzeit bis ins kleinste Detail („Mutter, er ist ein M-A-N-N!“ „Yu-chan, du sollst Mama zu mir sagen!“). Conrad ist Wolframs Halbbruder. Ich würde ihn in eine Zwickmühle bringen, da er mich UND seinen kleinen Bruder schützen will. Gwendal, der Älteste der drei ungleichen Brüder, hat ein Faible für alles Niedliche. Was gäbe es Niedlicheres als der Gedanke an Wolfram im Brautkleid? Da würde selbst ich schwärmen! Und mein königlicher Berater? Günter könnte sich vermutlich nicht zwischen Nasenbluten, Weinen oder Ohnmacht entscheiden sobald ich das Wort Hochzeit aussprechen würde. All meine Hoffnungen diesbezüglich steckten in Muraken. Betonung auf steckten. Dieser hatte in den letzten zweieinhalb Jahren nichts besseres zu tun als mich mit der ganzen Wolfram-Geschichte aufzuziehen oder meine verzwickte Lage noch zu verschlimmern indem er Wolfram Tipps und Kniffe verriet wie man „so was“ auf der Erde handhabt! Mir muss ganz bald eine Lösung für dieses Problem einfallen. Ich schiebe das nun schon so lange vor mich her. Nur fehlt mir wirklich eine zündende Idee, da mir Wolfram mit der Zeit sehr wichtig geworden ist und ich ihn weder kränken noch verletzen möchte... und sei es auch nur sein überheblicher Stolz oder sein Ehrgefühl! „Shibuya! Tagträumen kannst du auch ein andermal!“, Muraken riss mich aus meinen Gedanken, „Jennifer wartet mit dem Curry und wir haben heute noch viel vor!“ Ich entfernte das Fahrradschloss und hob mein Rad aus dem Ständer. Murata klemmte seine Tasche zu meiner auf den Gepäckträger und so verließen wir gemeinsam das Schulgelände. „Was nun, Shibuya, was hast du vor?“, Muraken hatte seine Arme hinter seinem Kopf verschränkt und blickte mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen zum Himmel hinauf, während wir langsamen Schrittes durch mein Wohnviertel gingen. Mein Blick folgte seinem. Es war ein wundervoller Tag. Strahlend blauer Himmel und vereinzelte Schäfchenwolken bei angenehmen 20 Grad. Ideales Baseballwetter. „Was genau meinst du?“ Sein Lächeln verstärkte sich: „Die Oberschule ist geschafft! Nur noch Zeugnisse abholen. Und dann? Was hast du vor?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ „Denken kann ich mir viel. Du wirst doch genaue Pläne haben!“ Sein Blick wandte sich mir zu. Ich schwieg und sah zu ihm. Stimmt ja! Ich hatte nie Murata gefragt, was er nun machen wollte. Er war „Seine Eminenz“. War er dadurch verpflichtet, sich nach mir zu richten in seiner Zukunftsplanung? „Ich gebe dich frei!“, ich blieb abrupt stehen und sah ihn bestimmt an. Er war zwei Schritte vor mir zum Stehen gekommen und drehte sich überrascht um: „Was?“ „Na, du musst dich doch bestimmt danach richten wie ich mich entscheide, oder nicht! Und wenn du lieber ein Leben auf der Erde führen möchtest, dann kannst du hier bleiben. Du musst mich nicht begleiten! Ich habe nicht das Recht dich zu zwingen mit mir in eine Welt zu gehen, in die du nicht gehen möchtest oder nur mitgekommen bist, weil deine Seele dich dazu zwingt oder...“ „Stopp!“ Ich war eindeutig ein Kind meiner Mutter. Einmal im Redefluss und es endet im absoluten Unsinn. Murata sah mich zunächst verwundert an und dann lachte er. Er hielt sich den Bauch vor Lachen und ich stand nur da und verstand nichts mehr. „Glaubst du wirklich, ich bin nur wegen dir in Shin Makoku?“, er hatte sich gefangen und sah mich mit schiefem Grinsen an, „Du warst eine meiner Aufgaben und bist es eigentlich immer noch. Du bist der Maou. Und du bist es nicht. Zur Zeit bist du noch nicht ganz eins mit dir und deiner Seele. Und ja. Ich bin Murata. Geboren auf der Erde. Und davor war ich Christine und die unzähligen Leben zuvor stets jemand anderes. Ob hier auf der Erde oder drüben!“, er räusperte sich und rückte seine Brille zurecht. Sein Blick wurde ernster: „Ich bin wie du dadurch in beiden Welten zu Hause. Und in welche Welt ich gehöre entscheide ich selbst als Murata und kein Shinou oder Maou oder sonst wer. Ich möchte wissen, wie du dich entschieden hast wie es in deinem Leben nun weitergehen soll. Dann sehen wir, ob wir noch eine Zeit lang gemeinsam einen Weg beschreiten werden oder nicht.“ Er drehte sich wieder um und machte Anstalten zum weitergehen: „Und aus deinem Gesagten schließe ich nun, dass du deinen Lebensmittelpunkt nach Shin Makoku verlegen möchtest, nicht wahr?“ „Ja!“, lautete nur meine knappe aber wahrheitsgetreue Antwort. „Dann werden wir noch eine ganze Zeit lang der Maou und seine Eminenz sein!“ Ich konnte ein freudiges Aufleuchten in seinen Augen erkennen als ich ihn aufgeholt hatte und mein Fahrrad nun auf gleicher Höhe neben ihm herschob. „Und nun komm schon, Shibuya, mein Curry wird kalt!“ Ein erleichtertes Seufzen schallte durch den Raum in dem er sich alleine befand. Er saß an einem großen Schreibtisch direkt vor den raumhohen Fenstern, welche über die ganze Zimmerseite reichten. Vor diesem Schreibtisch stand ein langer Tisch mit 12 Stühlen, welche eine aufwendige Samtpolsterung aufwiesen. Die Wand zu seiner Rechten zeigte Karten. Zum Einen die bekannte Welt rund um das Königreich und zum Anderen das Königreich an sich mit seinen eingeteilten Fürstentümern. Die Wand zu seiner Linken war durch ein großes Holzregal mit Büchern und Akten zugestellt. Gwendal von Voltaire schob den letzten Stapel Dokumente zur Seite. Er hatte es tatsächlich geschafft. Er hatte alle liegengebliebenen Papiere und Verordnungen seiner Majestät der letzten Wochen gelesen, überprüft und auch abgesegnet soweit es in seinem Ermessen und seines Erachtens im Ermessen seiner Majestät war. Nun konnte er endlich erleichtert ausatmen. Yuuri war ein guter König. Er hatte lange gebraucht um das zu verstehen und zu akzeptieren. Yuuri dachte an sein Volk und er tat alles für die bessere Verständigung zwischen seinem Volk und den Nachbarländern. Noch nie gab es so friedliche Zeiten wie zu diesem Zeitpunkt. An einen Krieg war nicht einmal zu denken. Vor drei Jahren hatte es da noch ganz anders ausgesehen. Und vor drei Jahren hätte Gwendal auch niemals gedacht, dass so ein Junge einer solch verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Aber auch er lernte mit seinen mehr als 130 Jahren noch gerne dazu. Eine grauschwarze Strähne fiel ihm ins Gesicht. Er war sehr früh aufgestanden mit dem Ziel, diese Arbeiten heute zu beenden. Nun war es Zeit, sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Zudem war es auch schon lange nötig, sich in seinem eigenen Schloss um die dort liegengebliebenen Aufgaben zu kümmern. Er entfernte das Haarband, welches seine langen Haare zu einem Zopf zusammengehalten hatten und strich sich die herausgefallene Strähne nach hinten. Ein plötzlicher Knall ließ ihn zusammenzucken und sein Haarband fiel auf die Tischplatte. Die Tür zum Raum war aufgerissen worden, ohne das zuvor angeklopft worden war und ein völlig aufgelöster, augenscheinlich junger Mann mit langen, eisgrauen Haaren und in einer weiten weißen Robe gekleidet starrte ihn mit aufgerissenen, violetten Augen hilfesuchend an. Augenblicklich spürte Gwendal das Pochen seiner Falte zwischen den Brauen. Lange hatte diese so lang herbeigesehnte Ruhe nicht gehalten. Genervt hob er sein Haarband auf und band sich rasch den Zopf neu. Was konnte denn nun schon wieder sein? Seine Majestät Yuuri war doch noch gar nicht wieder von seinem Ausflug zur Erde zurück, oder? „Lord von Kleist, was gibt es?“ Wieso fragte er überhaupt? Günter würde es ihm sowieso bis ins kleinste Detail hinein ausreichend berichten ohne zuvor gefragt worden zu sein. „Lord von Voltaire! Es ist schrecklich! Nicht auszudenken, was seine Majestät dazu sagen würde, wenn er es wüsste! Ich habe alles Erdenkliche getan um ihn davon abzuhalten aber er wollte nicht hören! Und jetzt wo Lord Weller im Grenzdorf beim Ausbau hilft, seit ihr der Einzige, der ihn zur Vernunft bringen könnte!“, Günter schnappte theatralisch nach Luft. Natürlich. Gwendal seufzte. Diesmal nicht vor Erleichterung, sondern aus Sorge. Günter hatte keinen Namen nennen müssen. Wenn Yuuri „außer Haus“ war gab es nur ein Sorgenkind. Dieses Sorgenkind wurde jedoch schlagartig wieder vernünftig, sobald Yuuri wieder da war. Tat er es aus Langeweile? „Was ist mit Lord von Bielefeld?“, lautete daher seine Frage an den aufgelösten königlichen Berater und Lehrer. „Er ist alleine los!“ Gwendal sprang sofort mit deutlich wütendem Gesichtsausdruck auf: „Wie bitte?“ „Er hat sich seine Männer geschnappt und meinte, er wolle dies schnell erledigen bevor seine Majestät, dieser Waschlappen und so weiter worauf ich nun nicht näher eingehen werde weil es absolut unangemessen ist selbst wenn er der Ver-“ „Kommt zum Punkt!“ „Ähm, ja, also... er ist auf und davon. Nach Herkas. Zu den Hexen!“ Gwendal schlug heftig mit der Faust auf den Tisch, so dass Günter verschreckt einen Meter nach hinten und somit schon wieder aus dem Raum heraus sprang. Auch Gwendal selbst war über die Wucht seines Schlags auf den Tisch erschrocken. Dafür schmerzte nun seine Hand. Und das alles wegen Wolfram! „Man sollte diesem verwöhnten Balg einfach mal ordentlich den Hintern versohlen!“, entfuhr es Günter leise, doch sofort erwiderte er lauter, „Oh, verzeiht, ich habe gerade wohl laut gedacht. Diese Äußerung stand mir nicht zu. Ich...“ „Ist schon gut, Günter, du hast ja Recht!“, zischte Gwendal und ging schnellen Schrittes an Günter vorbei, „Ich werde ihm nachreiten!“ „Aber Ulrike ließ verkünden, dass heute seine Majestät wiederkommen wird!“, Günter hastete dem aufgebrachten ältesten Sohn der Ex-Dämonenkönigin Cecilie von Spitzweg hinterher. „Der fehlt jetzt noch!“, schnaubte dieser und verdrehte die Augen. „Wie bitte?“, Günter schien den ironischen Unterton von Gwendals Aussage überhört zu haben und wollte sich gerade darüber entrüsten als Gwendal ihm ins Wort fuhr: „Ihr bleibt hier und lasst euch für den König eine plausible, aber verschönte Erklärung einfallen wo sich sein halber Hofstaat gerade herumtreibt! Und schickt eine Taube zu Conrad. Er soll sofort nach Herkas kommen und mich daran hindern, seinem geliebten kleinen Bruder den Hals um zu drehen!“ Wütend stapfte der Dämon davon und Günter blieb verwirrt und erstaunt zugleich zurück: „Aber er ist doch auch Ihr Bruder!“ „Schmeckt es dir, Ken-chan?“, Miko Shibuya, wunschgemäß von fast allen nur Jennifer genannt, beugte sich über die Tischplatte und schenkte Murata eine weitere Kelle ihres berühmt-berüchtigtem Curry nach. Murata strahlte über das ganze Gesicht: „Wie immer vorzüglich, Mama-chan!“ Ich stöhnte auf: „Mutter, du sollst uns doch nicht so kurz vor der Abreise mästen!“ „Für dich immer noch Mama-chan, mein kleiner Yu-chan!“, flötete sie nur zurück und schon hatte ich auch eine weitere Kelle Nachschlag auf meinem Teller. So würden wir heute nicht mehr nach Shin Makoku kommen! Und als wäre das nicht schon sinnloser Verzögerung genug hörte ich die Haustüre ins Schloss fallen. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und ein Paar bebrillter schwarzer Augen schienen jeden Einzelnen an der Essenstafel abzuscannen. „Sho-chan! Das du es noch rechtzeitig zum Essen schaffst!“, Miko sprang sogleich auf und lief in die Küche, um ein weiteres Gedeck aufzutischen. „Guten Abend, großer Bruder von Shibuya!“, Murata's Grinsen fand doch noch eine Steigerung. „Guten Abend, Freund meines kleinen Bruders!“, kam es relativ monoton zurück. Ach, hier ändert sich wirklich nichts! ,dachte ich und nahm einen großen Schluck Wasser aus meinem Glas. „Geht ihr heute wieder rüber?“, Shori nahm mir gegenüber Platz und nahm sich selbst mit der Kelle aus dem übergroßen Topf eine reichliche Portion. Ich setzte mein Glas kurz ab: „Ja, eigentlich schon!“ „Und ich gehe mit!“, tönte meine Mutter fröhlich während sie sich wieder auf ihren Platz setzte. Wumm! Ich habe mich noch nie im Leben so sehr verschluckt. Ich hustete laut los und bekam keine Luft. Mein Gesicht lief bei der ganzen Husterei und Japserei knallrot an. Murata blieb anteilnahmslos sitzen (Das merke ich mir!), meine Mutter stand wohl unter Schock (ob wegen meiner Husterei oder dem ziemlich offensichtlichen Grund meines Verschluckens und Hustens) und nur mein Bruder sprang entsetzt auf, hastete um den Tisch herum und schlug mir dermaßen heftig auf den Rücken, dass ich dachte, ich würde meine Wirbel zwischen den Rippenbögen wiederfinden. Woher hatte dieser Mädchenspiele-Zocker nur solche Kraft? Durch das bisschen Karate alle paar Wochen mit Bob? Als er dann noch für diesen „Heimlich-Griff“ ansetzte hob ich entwarnend die Hand. Doch er blieb noch schultertätschelnd und mit besorgtem Blick neben mir stehen bis ich mich vollends erholt hatte. Ich muss mir langsam aber wirklich auch mal Gedanken um Shoris übertriebene Besorgnis mir gegenüber machen. Okay. Jetzt gerade war es vielleicht berechtigt und aufgrund der Untätigkeit meiner sonstigen Verwandtschaft und Bekanntschaften an diesem Tisch auch wirklich hilfreich... aber normal war das nicht. Na ja, Shori an sich war mit all seiner übertriebenen Bruderliebe noch nie normal gewesen! Mein Blick wandte sich nun meiner Mutter zu, die ihr stets immer gut gelauntes Gesicht wohl sehr schnell wiedergefunden hatte: „Mutter, das geht nicht!“ Miko Shibuyas Mimik änderte sich schlagartig. Bildete es sich Yuuri nur ein oder konnte er Tränen in den Augen seiner Mutter erkennen. Gerade wollte er seine Aussage begründen als Murata ihm zuvor kam: „Shibuya, warum eigentlich nicht? Warum nehmen wir deine Mama eigentlich nicht mal mit?“ Memo an mich selbst: Murata bei nächster Gelegenheit erwürgen! „Siehst du, Yu-chan, selbst Ken-chan findet das es an der Zeit ist, dass ich sehe, was für ein toller König du geworden bist! Es ist doch nur verständlich das ich als deine dich über alles liebende und besorgte Mama sehen will, wie du so lebst!“ „Wenn das so ist, komme ich natürlich auch wieder mit!“, Shori's Gesichtsausdruck war wie immer. Er erinnerte mich an Gwendal. Strategisch, überlegt, reif und energisch. Verdammt! Drei zu eins! Verdammt, verdammt, verdammt! „Ich muss mir das Gesicht waschen. Danach reden wir weiter!“ Eilig verließ ich das Wohnzimmer, raste die Treppen hoch, den Gang entlang ins große Bad und verschloss die Türe hinter mir. Sind die denn alle verrückt? Shin Makoku war doch kein Urlaubsdomizil! Ich starrte in den Spiegel über dem Waschbecken und ließ Wasser in das Becken. Einige Male wusch ich mir mit dem eiskalten Wasser über das Gesicht und betrachtete dann mein Spiegelbild. Was nun, Shibuya, was nun? Im Spiegel sah ich hinter mir die Badewanne. Es war Wasser eingelassen worden. Vermutlich hatte dies Murata schon in weiser Voraussicht getan. Könnte ich alleine einfach rüber? Die Kraft dazu hatte ich. Murata selbst hatte mir dies oft genug gesagt. Er würde nur als mein Navigator dienen und die Kraft der Dimensionssprünge läge ganz allein bei mir. Nein, das kann ich doch nicht machen! Das wäre Murata gegenüber nicht fair. Obwohl...er hätte mich ersticken lassen, oder nicht? Und dann ist er mir noch in den Rücken gefallen! Es wäre nur gerecht wenn ich jetzt alleine nach Shin Makoku reisen würde! Ob es überhaupt klappt? Ich schloss die Badezimmertür wieder auf, doch statt den Raum zu verlassen verharrte ich noch einen Augenblick an der Tür mit der Hand auf der Klinke. Ich schielte wieder zur Badewanne. Ein Versuch wäre es doch wert es alleine zu probieren. Und wenn es nicht klappte, könnte ich mich immer noch umziehen und mir was einfallen lassen, wie ich Shori und Mutter aus dieser geplanten Reise wieder auslade. Ich holte tief Luft, drehte mich auf dem Absatz um und sprang mit Schuluniform und Hausschuhen in die Wanne. Ein lautes Platsch. Es tat sich nichts. Mist! Warum denn nicht? Ich will nach Shin Makoku! Nein, ich muss sogar nach Shin Makoku! Da saß ich nun. Klitschnass in meiner Uniform in der kalten Badewanne. Gesund war das nicht. Ich fror schon leicht. Und ein Zucken durchfuhr mein Bein. Na toll. Was für ein Tag. Zuerst fast erstickt und nun dabei zu erfrieren! Moment! Seit wann zuckt das Bein beim Erfrieren? Mein Blick wanderte zum rechten, zuckenden Bein. Was war das? Seit wann haben wir ein schwarzes Loch in der Badewanne? Und der kleine Strudel? Ha! Der Strudel wird größer! Und plötzlich spürte ich den mir so bekannten und vertrauten Sog. Nochmal tief Luft holen! Um mich herum verschwamm alles in blau und schwarz. Es fühlte sich immer wieder aufs Neue so an, als würde man von einem riesigen Staubsauger eingesogen! Anfangs sehr befremdlich, doch mittlerweile und erst Recht heute liebte ich dieses Gefühl! Shin Makoku, Wolfram, Conrad, Greta, Günter, Gwendal, all meine lieb gewonnenen Freunde... ich komme! Ich schlug die Augen auf und erkannte zunächst... Nichts. Absolute Dunkelheit. Wo war ich? Stimmt. Murata war der Navigator bei unseren Sprüngen. Ohne ihn konnte ich überall landen. Nur... wo war dieses überall diesmal? Mein Blick ging nach rechts. Alles dunkel. Dann nach links. Ebenfalls totale Schwärze. Nach oben. Sterne. Durch eine kleine, runde Öffnung an der Decke konnte ich den Nachthimmel und Sterne entdecken. Ich streckte meine Hände aus und relativ schnell sah ich meinen ersten Verdacht bestätigt. Na toll. Ich saß in einem Brunnen. Nur... wo war dieser Brunnen? In Shin Makoku oder in der Menschenwelt? Größtenteils hatten wir freundschaftliche Beziehungen zu den einzelnen Staaten der Menschenwelt aufbauen können seit Beginn meiner Amtszeit als Maou. Etwas, wo ich schon zu Recht ein bisschen stolz drauf sein konnte. Nur hatten dennoch viele Menschen aus mehrerer Jahrhunderte stammender Tradition und Aberglaube oder eher stupider Unwissenheit Angst vor Doppelschwarzen. Und ich hatte weder meine Haare gefärbt noch meine Kontaktlinsen dabei. Mist! Warum hatte ich daran nicht gedacht? Und wie komme ich aus diesem Brunnen heraus? Alleine war das nicht zu schaffen! Alles war total schmierig und nichts, wo man Halt finden könnte. Mir blieb nur eine Möglichkeit: „Hallo? Ist da oben jemand? Ich bin in den Brunnen gefallen! Hallo?“ Stille. Kein Wunder. Anscheinend war es mitten in der Nacht. Wenn Günter wüsste, dass seine Majestät in einem Brunnen fest saß würde er vermutlich höchstpersönlich mit einem Seil um die Taille hineinspringen. Manchmal vermisste ich selbst Günter! „Hallo? Ist da irgendjemand?“ Ich glaube, das wird eine lange kalte Nacht! Aber lieber in einem kalten, nassen Brunnen festsitzen, als nun mit meiner Mutter ausdiskutieren, warum ich sie noch nicht mit nehmen möchte. Plötzlich erkannte ich ein Flackern an der oberen Innenseite des Brunnens. Es näherte sich jemand mit einer Fackel! „Hier unten! Ich sitze im Brunnen und komme nicht heraus! Hilfe!“ Das Flackern wurde intensiver. Der Lichtschein auf der schwarzen Steinwand des Brunnens weitete sich aus. Die Fackel näherte sich! Man hatte mich gehört. Anscheinend habe ich doch etwas Glück im Unglück. Tatsächlich! Ich erkannte den schattigen Umriss einer Frauengestalt am Brunnen, welcher sich zu mir hinunterbeugte: „Ist da unten jemand?“ Es war eine recht junge Mädchenstimme. „Ja! Ich bin in den Brunnen gefallen und komme nicht heraus! Hast du ein Seil oder so dabei an dem ich hochklettern kann?“ Ich nahm die Version des in den Brunnen Gefallenen, da ich immer noch nicht wusste, wo genau ich gelandet war. In der Menschenwelt würde vermutlich niemand glauben wie ich hier her gekommen war und zudem wäre es dann auch nicht förderlich mit diesen dummen Vorurteilen Doppelschwarzen gegenüber und deren „bösartiger Magie“ aufzuräumen! „Moment! Ich hole Hilfe! Wir haben Soldaten hier stationiert! Die sind stark! Die können euch herausziehen!“, rief das Mädchen herunter und verschwand sogleich. Sollte mich dies nun beruhigen? Stationierte Soldaten? Das hörte sich nicht gerade nach einer friedlichen Region an. Und Shin Makoku war und ist friedlich. Ich wüsste von stationierten Soldaten in meinem Königreich. Ich wüsste auch über stationierte Soldaten in uns befreundeten oder verbündeten Menschenreichen. Ich war doch nur knapp 2 Monate nach Zeitrechnung der Erde nicht da! Wo also war ich bitte schön gelandet? Vielleicht wäre es besser so lange im Brunnen zu bleiben, bis ich wieder genug Kraft gesammelt hatte, um einen Rücksprung zur Erde wagen zu können. Am Brunneneingang wurde es schlagartig sehr hell. Ich hörte viele Stimmen näher kommen. Eindeutig viele männliche Stimmen. Eindeutig mehr als zehn. Oh je, Shibuya, wo hast du dich da nur wieder reingeritten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)