Roots von Lady_Blacklily ================================================================================ 001. Kapitel – Die andere Hälfte -------------------------------- Es war ein warmer Herbsttag – selbst für italienische Verhältnisse. Es war die letzte Ferienwoche; und die Clique um Mario wollte noch jeden Tag nutzen, bevor es wieder mit der Schule losging. Wie üblich hatten sich die vier Jungen im Park verabredet, wo sie meistens Fußball spielten. Dieser Sport nahm einen großen Teil in ihrem Leben ein. Fünf Tage die Woche trainierten sie mit der Mannschaft, der sie alle angehörten. In den Ferien war das Training jedoch meistens ausgefallen, da viele einfach zu beschäftigt waren. Und da die Verde Vento Ricona eigentlich eine Schulmannschaft – und dazu noch eine ohne Trainer – war, lief es längst nicht so professionell wie bei anderen Mannschaften ab. Das Team war gar nicht so schlecht. Im Vergleich zu den letzten Jahren hatten sie sich sogar sehr stark verbessert. Die letzten beiden Neuzugänge hatten dies bewirkt, indem sie neuen Wind und neues Potential mitgebracht hatten. Und mittlerweile zählten diese beiden zu Marios besten Freunden. Normalerweise freute er sich jeden Tag auf das Treffen mit seinen Freunden. Umso mehr, da er sie nun schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Der Grund dafür ging neben ihm und lächelte ihn aufmunternd an. Doch derselbe Grund sorgte seit einigen Stunden auch für ein beklemmendes Gefühl im Bauch. „Jetzt zieh nicht so ein Gesicht“, bat seine Schwester ihn. „Sie werden dir schon nicht den Kopf abreißen.“ Der Vierzehnjährige verzog das Gesicht und musterte das Mädchen, das ihm bis aufs kleinste Detail glich. „Das glaube ich aber schon. Matteo kenne ich seit immerhin fünf Jahren. Wenn ich ihm nach all der Zeit erst jetzt erzähle, dass ich eine Zwillingsschwester habe…“, brummte er und wirkte unglücklich. „Dann ist das eben so“, winkte sie ab, fasste dann aber nach seine Hand, als sie merkte, dass ihm diese Erklärung nicht reichte. „Mach dir darüber bitte keine Gedanken, Brüderchen. Sie sind deine Freunde. Und das wären sie nicht, wenn sie dich nicht verstehen würden, oder? Ich war sieben Jahre fort; selbst wenn du es ihnen mal erzählt hättest, hätten sie dir nicht geglaubt, ohne mich je gesehen zu haben. Warte doch erst einmal ab, wie sie überhaupt reagieren. Und wenn sie doch sauer werden sollten, dann werde ich mal ein Wörtchen mit ihnen reden.“ Mario musste grinsen. Es war wohl eine ihrer größten Stärken, dass sie immer wusste, was es zu sagen galt, um jemanden aufzuheitern. Er konnte mit niemandem besser reden als mit ihr. Sie war seine zweite Hälfte, und auch wenn sie jahrelang voneinander getrennt gewesen waren, war der Kontakt doch nie abgebrochen. Sie hatten immer gewusst, wie es dem anderen gegangen war. Und das auch ohne es sich sagen zu müssen. Das war wohl das besondere Band zwischen Zwillingen. „Ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist“, murmelte er leise zu seiner Schwester. Sie lächelte. „Ich auch, Mario.“ Fröhlich hakte sie sich nun bei ihm ein und so gingen sie weiter. Der Treffpunkt war eine kleine Wiese mit einem Tor vor einer Mauer. Die Ballabdrücke an dieser zeugten von den vielen Stunden Training, die sie hier absolviert hatten. Manchmal war es zu anstrengend mit dem Rest der Mannschaft, der eine launische Motivation hatte. So ganz hatten sie den Ruf der Loser-Mannschaft, die sie vor gar nicht allzu langer Zeit gewesen waren, nicht ablegen können. Und so wurden sie auch behandelt. Dass Cesario und dann auch Henry das Gegenteil bewiesen hatten, schloss leider nicht den Rest des Teams ein. Und die Intrigen von einem ehemaligen Mitglied hatten vor einem Jahr dafür gesorgt, dass sie nicht nur als Versager, sondern auch als Betrüger da gestanden hatten. Einige waren gegangen, weil es ihnen zu viel war. Andere trainierten nur noch sporadisch. Es war ein fester Kern von elf Leuten, die sie vorweisen konnten – gerade genug für eine Mannschaft. Mario tat als Kapitän alles was er konnte, um das Team am Laufen zu halten. Er wollte die letzten beiden Jahre nicht umsonst alles gegeben haben, das Niveau der „Veveri“, wie sie sich meist nur nannten, immer weiter zu erhöhen. Nun aber war er an seine Grenzen gestoßen. An dieser Stelle kam Marion ins Spiel. Sie hatte in Madrid ebenfalls Fußball gespielt, unter weit besseren Voraussetzungen. Er hoffte, dass sie es vielleicht schaffen konnte, die Jungs zu motivieren, und wenn sie dazu ihren weiblichen Charme spielen lassen musste. Schon von weitem hörten sie Cesario und Matteo herumalbern. Mario wurde schneller. Plötzlich wollte er sie seinen Freunden unbedingt vorstellen. „Hey“, machte er auf sich aufmerksam. Drei Paar Augen sahen ihn an, es folgten drei aufklappende Münder. Die Verwirrung stand ihnen ins Gesicht geschrieben. „Was ist das denn?“, fragte Cesario in seiner gewohnt naiven Art. „Das ist ein Mädchen“, klärte Henry ihn grinsend auf und musterte sie eingehend. „Hast du sie vor uns versteckt?“ wollte der Amerikaner wissen. „Quatsch“, mischte sich Matteo ein, verschränkte die Arme und wirkte – wie von Mario schon vermutet – gekränkt. „Ich war so oft bei ihm zu Hause, da war nie irgendeine Schwester. Und schon gar keine, die ihm wie ein Ei dem anderen gleicht.“ Marion behielt ihr freundliches Lächeln, ließ es nur eine Spur entwaffnender werden und hielt Matteo schließlich die Hand hin. „Ciao, ich bin Marion.“ Eine Augenbraue wanderte nach oben. „Marion“, echote er. „Du bist Marios Zwillingsschwester und heißt Marion.“ Sein Blick wanderte von ihr zu seinem Freund. „Willst du uns verarschen?“ Nun verschränkte auch Mario die Arme. „Nein! Das ist nicht sehr einfallsreich, ich weiß, aber beschwer dich da nicht bei mir sondern bei meinen Eltern! Marion ist meine Zwillingsschwester und basta!“ „Hey, beruhigt euch mal“, versuchte Henry die Wogen zu glätten. „Mario ist doch nicht verpflichtet, uns seine Familie vorzustellen. Und bei einer so hübschen Schwester kann ich das sogar verstehen.“ „Hübsch, pfft“, murrte Matteo, merkte dann aber, dass das nicht so herüberkam wie er es meinte und biss sich auf die Lippe. „Ich meine…“, startete er einen Versuch sich zu erklären, wurde aber von Marion unterbrochen. „Streitet euch nicht. Mario trägt keine Schuld daran. Ich war lange in Madrid, bei unserer Tante.“ „Wieso denn das?“, hakte Henry nach. „Das ist unsere Sache.“ Die Freunde schienen sich damit zufrieden zu geben, denn sie ließen ihre Fragen sein und setzten sich zusammen mit den Zwillingen schließlich in das weiche Gras. „Marion wird jetzt hier bleiben, auf unsere Schule gehen und sie möchte auch beim Training mitmachen.“ „Na dass sie Fußball spielt, überrascht mich jetzt nicht“, grinste Cesario. „Spielst du auch im Tor?“ „Nein, ich bin Mittelfeldspielerin. Aber ich habe im Gegensatz zu Mario in einem richtigen Verein mit Trainern und vielen Teammitgliedern gespielt. Ich glaube, da fehlt euch ein wenig der Feinschliff.“ Henry nickte. „Ein wenig ist gut. Ich glaube, die meiste Erfahrung hatten bisher Cesario und ich vorzuweisen, und die schloss eigentlich nur vernünftige Trainer ein.“ „Wenn es euch also nicht stört, wenn ein Mädchen mitspielt“, begann Mario, gefasst auf jede mögliche Antwort. „Klar“, erklärte Matteo stellvertretend für alle. „Je mehr je besser. Mir vergeht nach der letzten Aktion mit Tino nämlich echt die Lust…“ Ohne Umschweife erzählte Matteo daraufhin von dem Streich von Tino und Danielo. Sie waren abgesehen von Cesario die Jüngsten im Team, und leider auch die, die das Ganze am wenigsten ernst nahmen. Sie hatten mit Spraydosen die Wände der Santa Madeira besprüht und dumm wie sie waren auch alle wissen lassen, dass die Veveri die Schuld an dem Desaster trugen. Mario fluchte und ließ seine Wut an dem Gras zu seinen Füßen aus. „So nimmt uns erst Recht niemand ernst! Wir haben doch jetzt schon Probleme, überhaupt Mannschaften für Freundschaftsspiele zu finden! Nicht mehr lange und wir sind wieder dort, wo wir vor zwei Jahren waren. Und das, obwohl wir eigentlich besser geworden sind!“ „Was sollen wir auch tun? Für die meisten sind wir doch sowieso nur die Veveri perditori!“, stimmte Matteo mit ein und bohrte mit seinen Stollen ein Loch in den Rasen. „Oder die Veveri delinquente.“ „Ja, Matteo, wir bereuen es alle, dass wir Don aufgenommen haben. Aber das kann keiner rückgängig machen!“, murrte Mario genervt. Dieses Thema hing ihm so langsam zum Hals raus. Don war ein ehemaliger Spieler, erklärte er schließlich seiner Schwester. Er hatte ungefähr ein halbes Jahr lang bei den Veveri mitgespielt. Zwar war er ein guter Teamplayer gewesen, doch fair war er nicht unbedingt. Und was noch schlimmer war: er hatte nicht davor zurück geschreckt, Schiedsrichter und Spieler zu bestechen. „Das war schlimmer als damals bei dir, Henry“, meinte Matteo und sah diesen aus den Augenwinkeln an. „Shut up!“, knurrte der älteste unter ihnen und warf eine Handvoll ausgerupftes Gras nach dem Freund. Marion wusste, worum es dort ging, tat jedoch unwissend, um Mario nicht die Blöße zu geben dass er hinter dem Rücken seiner Freunde über diese geredet hatte. „Was hast du denn angestellt?“, fragte sie also. Henry erzählte ihr, wie er vor knapp zwei Jahren von Amerika nach Ricona gekommen war und zu den Veveri wollte. Er hatte in den zwei Monaten, die er in der Stadt war, niemanden kennen gelernt und deswegen voreingenommen gegen die meisten Gleichaltrigen gewesen. Teamplay war jedenfalls keine seiner Stärken, und so hatte er die Veveri eigentlich nur benutzen wollen, um sich austoben zu können. Es hatte nicht so geklappt wie er es gewollt hatte, und aus Wut darüber - und wohl auch weil Cesario ernsthaft versucht hatte, sich mit ihm anzufreunden und Henry das nicht glauben wollte – hatte er sich den Sciacallo angeschlossen. Diese Mannschaft war für ihre egoistischen Spieler bekannt. Den Namen hatten sie sich nicht einmal selbst gegeben, ihn aber angenommen, weil sie ihn „cool“ fanden. Henry hatte diese Mannschaft erfolgreicher werden lassen, weil er mit Abstand einer der besten Spieler dort gewesen war. Damals hatte er die ganze Mannschaft gegen die Veveri aufgehetzt. Mario und Cesario jedoch hatten schnell gemerkt, was wirklich in dem Jungen vorgegangen war und ihm immer wieder die Hand gereicht. Es hatte gedauert, bis Henry ihnen glauben konnte und aus Schuldgefühlen war er für ein halbes Jahr nicht mehr in der Nähe der Schule oder der Spieler aufgetaucht. „Irgendwann nach einem halben Jahr stand er dann plötzlich wieder auf der Matte und wollte mitspielen, diesmal aber vernünftig“, schloss Cesario die Erklärung und boxte dem Freund auf die Schulter. „Jetzt ist Don der Kapitän der Sciacallo. Er hat allen anderen die Schuld gegeben und wollte die Bestechungen Matteo und mir in die Schuhe schieben. Zum Glück hat Leonardo das Ganze auffliegen lassen können. Don hat sich dann zurückgezogen und stänkert gegen alle anderen Mannschaften. Manchmal haben die sogar mehr Spiele als wir, weil jeder ihnen eins aufs Maul geben will.“ Marion sah ihren Bruder an. „Sonst hattet ihr keine anderen Mitspieler?“ „Doch. Jamie…“ , seufzte Mario. Der Gedanke an Jamie hinterließ bei den Freunden ein flaues Gefühl im Bauch, allerdings aus einem ganz anderen Grund als Don es tat. Der kleine Mailänder mit irgendwelchen britischen Wurzeln hatte nur ein paar Wochen bei den Veveri mitgespielt und schnell gemerkt, dass es einfach kein Sport für ihn war. Er hatte sich sehr angestrengt um besser zu werden und hatte eigentlich gar nicht gehen wollten. Mario und Henry hatten bald gemerkt, dass er nur einen Grund brauchte, nicht nach Hause zu müssen. Normalerweise hätten sie ihn nicht lange mitspielen lassen, da er mit seinen elf Jahren viel jünger als die anderen gewesen war. Aber er wirkte, als hätte er viel durchmachen müssen und sie hatten ihm zumindest so helfen wollen, ein wenig Abstand zu bekommen. Drei Wochen war er nur dabei gewesen, hatte aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Was aus ihm geworden war, wussten sie nicht, vermuteten aber, dass er wieder nach Mailand zurückgekehrt war. Mario hätte ihn sonst noch viel länger mitspielen lassen, egal wie schlecht er auch gewesen sein mochte. Nachdem er fertig mit dem Erzählen war, seufzten die Jungs tief. Marion sah die Sorge im Blick ihres Bruders. „Und nun?“, wollte sie das Thema auf etwas Angenehmeres lenken. „Ich hatte überlegt, Flyer zu verteilen“, erklärte Henry. „Andere Mannschaften machen das auch, oder gehen durch andere Schulen. Wenn das Team schnell genug wächst, finden wir vielleicht auch Sponsoren, damit wir schulübergreifend werden können.“ Der Kapitän und Torwart nickte dazu. „Das ist eine gute Idee. Wenn wir auch nur zwei, drei Spieler dazu bekommen, dann reicht das schon um auf uns aufmerksam zu machen. Wir müssen unser Image endlich loswerden.“ „Brauchen wir dazu nicht einen Trainier?“ Das war natürlich ein guter Einwand von Cesario. Natürlich brauchten sie einen Erwachsenen, der sie unterstützte. Kinder allein durften die meisten Entscheidungen nicht treffen. Sie brauchten jemanden, der die Aufsicht führte, sich um sie kümmerte und alles regelte, was es zu regeln gab. „Jedes vernünftige Team braucht einen Trainer“, warf Matteo ein. „Wenn wir nur einen finden würden. Henry und Piero haben schon so viel herum gefragt, sogar bei der Kommission.“ Wieder seufzte Mario, und mit ihm Henry. Wieder flog ein Büschel Gras durch die Gegend. „Dieser Scheiß Ruf, der uns anhängt. Das nervt so! Wir haben doch eigentlich bewiesen, dass wir besser geworden sind! Andere Teams haben zu uns gehalten und uns unterstützt! Teams wie die Diabolos, die nun wirklich einen guten Ruf innehaben! Was sollen wir denn noch tun?“ Marion lächelte vielsagend. „Das lass mal meine Sorge sein.“ „Hast du eine Idee?“ Selbstbewusst lehnte sie sich zurück und stützte sich auf den Ellenbogen auf. „Ich weiß, wie wir das bei unserem Team in Madrid gemacht haben. Das lässt sich hier sicher genauso durchführen.“ So wie sie es sagte, glaubte Mario ihr sofort. „Manchmal braucht man nur ein paar starke Frauen, um etwas zu erreichen“, grinste sie und zwinkerte den Jungs zu. „Und manchmal findet man Hilfe, wo man sie nie erwarten würde. Uns ist eine unserer besten Spielerinnen in einem Park wie diesem begegnet. Und…“ Marion hielt inne, als sie ein Geräusch hinter der nächsten Ecke der Mauer vernahm. Ein Geräusch, was jedem Fußballer bekannt vorkam: Ein Ball wurde gegen die Mauer geschossen. Mit großen Augen sahen die Jungs sich an und sprangen auf. War das ein Zufall, direkt nach Marions Worten? Sie stand etwas langsamer auf, lächelte breit und dankte dem Zufall dafür, sie in einem Moment wie diesem so zu unterstützen. Die Jungs rannten schon weiter um die Ecke um zu sehen, wer da spielte. 002. Kapitel – Robin -------------------- Als Marion zu den vier Jungen aufgeschlossen hatte, waren diese stehen geblieben und beobachteten den Spieler, der dort seine Schüsse übte. „Wow“, flüsterte Henry. „Seht ihr, was der für eine Kraft hinter den Schüssen hat?“ „Seht ihr, dass er immer dieselbe Stelle trifft?“, gab Mario noch eins drauf, der beeindruckt von diesem Können war. „Merkt ihr, wie ihr den Kerl anhimmelt?“, fragte Marion grinsend und legte eine Hand auf die Schulter ihres Bruders. Sie musterte den Jungen. Er schien etwas älter zu sein als die Freunde. Etwas kleiner und schmaler als Henry, wirkte er doch sportlicher als dieser. Seine Bewegungen waren geschmeidig und fließend. Er trug eindeutig den Trainingsanzug einer Mannschaft, doch keiner von ihnen konnte die Farben zuordnen: es war ein warmes Braun mit einem breiten türkisen Streifen, der von links unten nach rechts oben zur Schulter verlief. Die Hose war ebenfalls braun, geziert von einem ebenso breiten türkisen Streifen an der Seite und einem dünneren am unteren Saum. Das Gummiband schien ausgeleiert zu sein, denn die Hose hing locker um seine Hüfte und ebenso lag sie locker auf den Schuhen auf. „Wisst ihr, woher der kommt?“, fragte Mario in die Runde. „Die Farben habe ich ja noch nie in der Kombination gesehen.“ „Keine Ahnung.“ Henry versuchte, das Gesicht des Jungen zu erkennen, doch dieser hatte ein Cap tief ins Gesicht gezogen und ließ so aus dieser Entfernung nicht viel erkennen. „Auf jeden Fall trainiert er bestimmt sehr viel.“ „Fragen wir ihn doch einfach mal“, beschloss Marion und setzte sich in Bewegung. Irgendetwas an dem Aussehen und den Bewegungen des Jungen irritierte sie, doch konnte sie nicht sagen, was genau es war. „Hi“, begrüßte sie ihn dann, kurz bevor sie ihn erreicht hatte, denn sie wollte ihn nicht erschrecken, so konzentriert wie er schien. Er sah Marion an, lies dabei den Ball über seinen Fuß hoch rollen und lenkte ihn mit dem Knie zu seinen Händen, hielt ihn schließlich fest. Mit schief gelegtem Kopf musterte er die Italienerin. Sie bemerkte sofort seine intensiv dunkelgrünen Augen, die wach und aufmerksam schienen. Und anders, als sie es von Jungs in seinem Alter gewohnt war, blieb der Blick auch auf ihre Augen gerichtet. Unter seinem Cap ragten einige dunkle Haare hervor; ein leichter Rotschimmer verriet ihr, dass er wohl rotbraune Haare haben musste. Er war eindeutig kein Italiener. „Hey“, erwiderte er schließlich den Gruß, nachdem er auch die Jungs hinter ihr kurz gemustert hatte, die nun neben ihr Aufstellung bezogen hatten. „Bist du neu hier? Wir haben dich noch nie im Park gesehen“, begann Mario. „Nope. Bin neu in Ricona. Since a few days.“ Auch ohne den letzten Satz hatten sie schon an seinem Akzent bemerkt, dass Englisch wohl seine Muttersprache war. „Dann ist das sicher auch keine italienische Mannschaft, von der dein Trikot stammt?“, wollte Cesario wissen. Henry wechselte in seine eigene Muttersprache. Wenn der Junge hier zu Gast war, konnte er sie vielleicht gar nicht verstehen, wenn sie italienisch mit ihm redeten. „Do you understand italian?“ „Much better than talkin‘ My cousin told me.” „Where are you from?” „Australia.” „Ein Österreicher?”, wunderte sich Cesario. „Was führt dich hier hin?“ Der Junge lachte lauthals los. „Australia, not Austria.“ Er hielt Marion die Hand hin. „Ich heiße Robin“, stellte er sich vor. Lächelnd nahm sie diese entgegen, spürte den festen Händedruck einer angenehm warmen Hand. „Ich bin Marion. Das sind Mario, Cesario, Henry und Matteo.“ „Wir spielen bei den Veveris hier in Ricona“, erklärte ihr Bruder daraufhin. Henry hob schon zu einer Übersetzung an, doch Robin kam ihm zuvor. „Ich habe gespielt bei den Sydney Rangers.“ „Und was führt dich so weit weg von zu Hause?“ Nun schien Robin überlegen zu müssen. „Habe meinen Cousin begleitet.“ Während sie redeten, spielte Robin mit dem Ball in seinen Händen, drehte ihn hin und her. „Ihr spielt hier?“, fragte er als er die Blicke der anderen auf den Ball bemerkte. „Wir wollten nur nachsehen. Du hast verdammt viel Kraft hinter deinen Schüssen.“ Der Australier zuckte mit den Schultern. „Kann sein.“ „Die Jungs, die ich kenne, können es jedenfalls nicht mit dir aufnehmen“, meinte Mario ernst. Robin ließ den Ball über sein Bein abrollen und stellte den Fuß darauf, verschränkte die Arme. Wieder legte er den Kopf schief und musterte den Kapitän der Veveris eingehend. „What kind of soccer team are you?“, wollte er schließlich von Henry wissen. „School soccer team. Not very successful.“ „Boys?“ „Yes.“ Mit einer schnellen Bewegung des Fußes beförderte er den Ball wieder in seine Hände, wirkte plötzlich abweisend. „Gotta go.“ Schon wandte er sich zum Gehen, hob zum Abschied eine Hand. „See ya.“ Ein wenig irritiert sahen die Italiener dem Jungen nach. „Was hast du ihm gesagt, dass er auf einmal geht?“, fuhr Matteo Henry leise an. „Gar nichts! Er hat nur gefragt, was für eine Mannschaft wir sind“, verteidigte dieser sich. Sie machten sich wieder auf den Weg zu ihrem Platz. Aber so richtig Lust auf Training hatten sie dann doch nicht, also führte ihr Weg sie weiter zum Café, das Matteos Eltern leiteten. Am nächsten Tag fand das Training auf dem Sportplatz der Schule statt. Sie hatten die Erlaubnis erhalten, in den Ferien dort zu trainieren. Sie hatten sogar einen sonst leer stehenden Geräteraum zur Verfügung bekommen, der sonst nur heruntergekommen wäre. Es war eigentlich eine schöne kleine Holzhütte, die ihren Zweck gut erfüllte und mit ein paar gemütlichen Möbeln ausgestattet konnte man sich dort auch aufhalten, wenn man gerade keine Lust auf Fußball hatte. Marion hatte ihren Bruder wieder begleitet und wurde auch bei den anderen Teammitgliedern mit großer Verwirrung begrüßt. Sie hatte ihr Mailänder Trikot angezogen, dass sich stark von den in grün und gelb gehaltenen Trikots der Verde Vento Ricona unterschied. Locker lief sie einige Runden mit den anderen mit, bis sie in der Nähe des Clubraumes, wie sie ihr kleines Häuschen nannten, den Australier vom Vortag entdeckte. Immer noch joggend begab sie sich zu ihm. „Hey Robin. Du hast uns gefunden.“ „Hab euch nicht gesucht. War Zufall.“ Robin musterte sie, ihr Trikot. „Du bist auch noch nicht lange hier, do you?“ Überrascht hob Marion eine Augenbraue. „Wie hast du das herausgefunden.“ Der fragende Blick ihres Gegenübers lies es sie noch einmal auf Englisch sagen. „A twin brother and a trikot from madrid.” „Wow. Gut kombiniert.” „Spielst du hier? Henry sagte, das ist eine Jungenmannschaft.” „Seit heute, ja.“ Marion stemmte die Hände in die Hüften. „Ist das ein Problem für dich?“ Robin grinste, verschränkte wieder die Arme. „Sollte es?“ „Viele Jungs haben Probleme damit.“ Marion beschloss, dieses hin und her zwischen Italienisch und Englisch zu lassen und blieb im Englischen. Robin seufzte und stopfte seine Hände in die Hosentaschen der Trainingshose. „Darf ich ein wenig mitspielen?“ „Klar, komm mit.“ Schon brachte Marion ihn mit zu den anderen und stellte ihn dem Team vor. Bei den Trainingseinheiten, die Mario anordnete, sah Robin erst einmal zu, bevor er mitmachte. Mario beobachtete ihn fast die ganze Zeit über, bemerkte wie aufmerksam Robin sein musste, weil er fast sofort auf seinen ersten Trainingspartner – Matteo – eingehen konnte. Irgendwann stellte sich Henry neben seinen Kumpel und beobachtete ebenfalls die anderen. „Was hältst du von ihm?“, wollte Mario wissen. Der Amerikaner beobachtete Robin einige Zeit lang. „Wow, nicht schlecht. Er ist geschickt. Und schnell.“ Mario nickte. Auf Henrys Urteil konnte er sich verlassen, deswegen holte er sich auch oft dessen Meinung. „Trainingsspiel“, rief er unvermittelt und klatschte in die Hände. „Robin, willst du mitmachen?“ Dieser nickte und stellte klar, dass er im Sturm spielte. Henry spielte nicht mit, sondern beobachtete den Jungen zusammen mit Mario. Robin war wirklich geschickt. Er umspielte seine Gegner, hatte ein gutes taktisches Verständnis und verstand sich noch dazu auf Teamplay. „Oh Mann, den brauchen wir.“ Henry stimmte ihm zu. „Er ist wirklich gut. Schau dir das an. Das ist ne ganz andere Liga als wir!“ Der gelupfte Ball, den er gekonnt mit einem Kopfstoß ins Tor beförderte, bestätigte es, was Mario und Henry über Robin sagten. „Wooooow, klasse“, jubelte Cesario. „Du bist echt Weltklasse!“ Robin winkte ab. „Übertreib nicht.“ Eine Schwäche hatte er dann doch, wie sich herausstellte: Er fluchte, laut und oft. Und das teilweise in einem derart unverständlichen Englisch, dass sogar der Amerikaner unter ihnen Probleme hatte, die Sprache zu identifizieren. „Fucking shit“, rief er gerade als er einen Ball falsch dribbelte und Tino ihm diesen gleich abnahm. Fast hätte Mario erwartet, dass er nun gegen Tino wetterte, aber das geschah nicht. Eigentlich wieder ein Pluspunkt. Fluchen an sich war nicht so schlimm, fand Mario, wenn man nicht anderen gegenüber beleidigend wurde. Oder aber unter die Gürtellinie ging. „Sehr temperamentvoll“, kommentierte Henry. Nach dem Spiel hatte Mario beschlossen, Robin zu fragen ob er vielleicht bei den Veveri mitmachen wollte. Er kam nicht dazu, denn Robin machte sich ziemlich eilig auf den Rückweg, nachdem das Spiel zu Ende war. Die nächsten Tage war er nicht anzutreffen. Fast schon befürchtete der Mannschaftskapitän, ihn nie wieder zu sehen. Bis Marion ihm nach fast zwei Wochen erzählte, dass sie Robin getroffen hatte. Er hatte am Strand trainiert. „Meinst du er wäre was für die Veveri?“, fragte Mario abends seine Schwester, als sie beide im Pyjama auf ihren Betten saßen. „Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht zu gut ist. Er könnte sich ausgebremst vorkommen. Oder aber die anderen verunsichern. Du weißt wie das enden kann.“ Mario nickte. „Eben darum bin ich mir nicht sicher. Er wäre sicher eine Bereicherung. Er könnte den anderen etwas beibringen. Aber ob er das will… und die anderen das wollen… immerhin ist er genauso alt wie wir. Wäre er älter wäre es vielleicht auch nicht so das Problem.“ Mario überlegte laut weiter und redete immer schneller, bis Marion ihm eine Socke ins Gesicht warf. „Nun komm mal runter. Ich könnte ihn einfach fragen, ob er überhaupt Interesse hätte. Falls nicht, ist es sowieso unnötig darüber noch weiter nach zu denken.“ Er nickte langsam. „Du hast ja Recht. Ich seh’ das halt nur als eine sehr gute Chance für uns.“ „Ich auch, Brüderchen. Und ich frag mich auch, was ihn hier her führt. Sydney ist eine große Stadt, und Ricona im Vergleich dazu ein kleines Dorf.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hat er Verwandte. Vielleicht ist er nur zu Besuch hier… Dann kann er sowieso nicht bei uns mitmachen.“ „Ich frag ihn einfach mal. Mehr als nein sagen kann er nicht. Und vielleicht würde er uns sonst trotzdem ein paar Tipps geben.“ „Ich weiß nicht“, war Robins Antwort auf ihre Frage. „Ich hab mir jetzt einige Teams angesehen, aber ich hab mich noch nicht entschieden.“ Marion nickte. „Das verstehe ich, und ich will dich auch nicht drängen. Ich bin sicher nicht die Einzige die dich gefragt hat oder?“ Er grinste zur Antwort. „Na ja, sagen wir, das erste Mädchen. Spielst du jetzt richtig im Team mit?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nur beim Training. Ich glaube, bei den Spielen dürfen die nicht mit einer gemischten Mannschaft antreten.“ Robin kickte ein paar Kiesel vor sich her. „Darf ich fragen, was dich von einer Stadt wie Sydney hier her führt?“ Nun sah er sie an. Er sagte nichts, schien zu überlegen. „Mein Cousin will nächstes Jahr hier in der Nähe studieren. Er macht grad das letzte Schuljahr hier mit, damit es ihm nachher beim Studium leichter fällt. Ich wollte ihm ein wenig Gesellschaft leisten in der Zeit die er hier ist.“ Marion hob eine Augenbraue. „Oh, was will er denn studieren?“ „Archäologie. Er wollte nicht in der Großstadt wohnen, dort ist es zu teuer.“ „Aha. Gehst du denn noch gar nicht zur Schule hier?“ Robin schüttelte den Kopf. „Ich warte noch auf die Bestätigung dass ich als Australier hier zur Schule gehen darf. Visum und so.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Na ja, ich verpasse ja nicht viel. Hab mir die Unterrichtspläne angesehen. Bis auf die italienische Geschichte ist es das Selbe, was wir so durchnehmen, damit komme ich klar.“ „Warst du denn schon mal in Italien?“ „Nein.“ Robin legte wieder den Kopf schief. Scheinbar machte er das öfter. „Du fragst sicher wegen meinem italienisch. It´s god, isn’t it?“ Marion grinste. „Stimmt. Klingt weitaus besser als man es vom normalen Schulunterricht erwarten würde.“ Er nickte. „Ich hab von meinem Cousin gelernt. Er interessiert sich sehr dafür. Und Latein ist Pflicht als Archäologe. Du weißt ja wie ähnlich so Sprachen wie italienisch und spanisch da sind.“ Wieder nickte Marion. Ihr brannte eine Frage auf der Zunge, aber sie fand es noch zu früh und wohl auch zu aufdringlich, sie zu stellen. Stattdessen versuchte sie, wieder auf die Veveri zu sprechen zu kommen. „Wären wir denn überhaupt interessant für dich? Du hast ja gesehen, wie wir spielen. Das ist wohl weit unter deinem Niveau.“ Robin sah wieder auf den Boden und kickte weiter Kiesel durch die Gegend. „Ja, vielleicht. Ich könnte euch etwas beibringen. Das Team gibt’s noch nicht lange oder?“ „Seit immerhin sechs Jahren“, widersprach Marion und merkte, worauf er hinaus wollte. „Also habt ihr seit sechs Jahren keine großen Fortschritte gemacht?“, wollte er wissen. „Ich bin erst seit einigen Wochen hier, ich weiß es nicht“, gestand sie. „Aber ich weiß, dass sie einiges auf dem Kasten haben. Sie hatten nur noch nicht viele Gelegenheiten, es zu zeigen.“ Robin seufzte und ging einen Schritt zurück. „Ich überlege es mir, okay? Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und joggte weiter am Strand entlang. Marion schnaufte. Auch wenn Robin im Grunde Recht hatte, war es nicht schön, so etwas von einem Fremden zu hören. Die Sydney Rangers waren sicher viel besser ausgerüstet und hatten bestimmt auch einen vernünftigen Trainer gehabt. „Ach, scheiß Geld!“, fluchte sie leise und machte sich dann auf den Weg nach Hause. 003. Kapitel – Entführung ist kein Kinderspiel ---------------------------------------------- Eine Woche später hatte Robin sich immer noch nicht entschieden. Außer Marion hatte ihn keiner gesehen. Sie hatte allerdings auch mehr Zeit als die Veveri, da sie nicht jeden Tag am Training teilnahm. Auch heute fehlte sie wieder. Mario fehlte ebenfalls, und beide waren auch nicht zur Schule gekommen. Nach dem Training wollten Henry und Cesario sie besuchen. Henry musste ihnen sowieso die Hausaufgaben bringen, und außerdem wollten sie natürlich wissen, warum die beiden nicht in der Schule gewesen waren. Nun standen die beiden Jungen vor der Tür der Familie Horatione und klingelten. Marios Vater öffnete. „Guten Abend. Wir wollten Mario und Marion besuchen.“ Der Arzt sah sie fragend an. „Wir dachten, sie wären bei euch.“ Henry schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben sie den ganzen Tag nicht gesehen. Sie waren auch nicht in der Schule.“ „Kommt rein.“ Sie folgten dem Mann in die Küche und setzten sich an den Tisch, an dem auch Signora Horatione saß. „Was ist los?“, wollte diese wissen. „Henry erzählte mir gerade, Mario und Marion wären nicht beim Training und nicht einmal in der Schule gewesen.“ Er sah besorgt aus während er das sagte, und auch auf dem Gesicht seiner Frau zeigte sich nun Sorge. „Wann habt ihr sie denn das letzte Mal gesehen?“, fragte Cesario. „Heute Morgen, als sie das Haus verließen um zur Schule zu gehen.“ Nachdenklich fuhr Josepho Horatione sich durch die Haare. So etwas passte nicht zu seinen Kindern. „Mario?“ Langsam schlug er die Augen auf, als er leise seinen Namen hörte. „Mario!“, wiederholte seine Schwester lauter. Er blinzelte, konnte nichts als Dunkelheit sehen. Erschrocken fuhr er hoch. „Marion! Was ist passiert?“ „Ich weiß es nicht. Irgendjemand hat mir heute Morgen einen Sack über den Kopf gestülpt, und dann hab ich das Bewusstsein verloren“, erklärte sie heiser. „Ja… bei mir war’s auch so. Da war bestimmt irgendein Betäubungsmittel drin.“ „Ja, aber warum? Was soll das Ganze?“ Die Antwort darauf konnten sie sich beide eigentlich denken. „Wir haben doch gar nicht so viel Geld“, flüsterte Marion dann ängstlich. „Nein, haben wir nicht. Aber das wissen die vielleicht nicht.“ Mario kroch langsam auf die Stimme seiner Schwester zu, tastete nach ihr und schlang dann seine gefesselten Hände um sie. Er spürte deutlich wie sie zitterte, und auch er selbst zitterte am ganzen Körper. Seine Hände waren taub von dem Plastik, welches ihm schon in die Haut schnitt. Ihm war kalt und er hatte Angst. Die Dunkelheit wollte nicht weichen, egal wie sehr er sich auf einen Punkt konzentrierte. Was würde sie erwarten? „Es wird alles gut“, versuchte er ihr und sich Mut zu machen. Die Eltern der Zwillinge fanden es noch zu früh, die Polizei einzuschalten. Also machten sie sich selbst auf die Suche gemacht. Einige der Mannschaftskameraden halfen ihnen dabei. In Zweierteams hatten sie das Schulgelände, den Weg vom Haus der Horationes zur Schule und die nähere Umgebung untersucht. Doch nirgends fand sich eine Spur - nicht einmal ein kleinster Hinweis, was mit den Beiden geschehen sein könnte. Und langsam machten sie sich ernsthaft Sorgen. „Scheiße! Was, wenn sie entführt worden sind?“, sprach Cesario das aus, was sie alle schon vermuteten. „Warum sollte das jemand tun?“ „Na, Lösegeld. Ihr Vater ist Arzt, er verdient ordentlich Geld. Da ist bestimmt was zu holen“, gab Matteo seinen Senf dazu und kassierte eine Kopfnuss von Henry. „Ja, tut mir leid, ist doch aber so!“ Henry seufzte. „Ja, du hast ja Recht. Ich hoffe nur, dass es nicht so ist.“ Sie suchten die halbe Nacht durch, bis sie von Marios Eltern nach Hause geschickt wurden. Schließlich sollte den anderen Kindern nicht auch noch etwas passieren. Trotzdem konnten die meisten von ihnen kein Auge zutun in dieser Nacht. Zu viele Sorgen machten sie sich um ihre Freunde. Wo waren sie? Was war ihnen passiert? Ging es ihnen gut? Am nächsten Tag in der Schule verloren sie kein Wort darüber, dass die Zwillinge vermisst wurden. Die Eltern der Beiden hatten es ihnen aufgetragen. Sie wollten Panik vermeiden. Und auch, dass jemand die Situation ausnutzte. Die Teenager konnten sich nicht vorstellen auf welche Weise man das ausnutzen konnte, doch sie hielten sich daran. Henry erzählte dem Lehrer, dass sie krank waren, auch wenn alles in ihm darauf brannte, die ganze Schule zum Suchen zu verdonnern. Aber mittlerweile war bestimmt schon die Polizei eingeschaltet worden und leitete eine Suche ein. Die Profis würden ihre Freunde bestimmt eher finden. Nach einem langen und unerholsamen Schlaf wachte Mario auf, als das Sonnenlicht durch einen Spalt im Holz fiel und ihn blendete. Marion schlief noch, den Kopf an seine Schulter gelehnt. Sie sah sehr geschafft aus, ebenso wie er selbst. Ihre geröteten Wangen zeigten ihm, wie viel sie geweint haben musste. Nun konnte er sich endlich hier umsehen. Sie waren in einem kleinen Schuppen der aussah wie jeder zweite Geräteschuppen in dieser Stadt. Sie könnten überall sein. Abgenutzte Möbel standen überall herum und dienten Gartengeräten als Unterlage. Zwar gab es zwei kleine Fenster, doch diese waren mit Brettern zugenagelt worden. Mario und Marion selbst waren mit Kabelbindern die Füße und Hände zusammengebunden worden. Wenn er sich bewegte, merkte er wie taub seine Gliedmaßen mittlerweile geworden waren. Plötzlich hörte er ein Geräusch aus Richtung der Tür. Das Klirren von Ketten, das Öffnen eines Schlosses. Dann wurde die Tür ein wenig geöffnet und zwei Jungen schlichen herein. „Ach, ihr seid wach!“, meinte einer von ihnen als er Marios Blick bemerkte. Sie setzten sich auf eins der verstaubten Sofas und betrachteten die Zwillinge überlegen grinsend. Mario hatte Erwachsene erwartet, Schläger, Ganoven oder Ähnliches, aber keine Teenager. Die konnten nicht viel älter sein als er, vielleicht gerade mal 18. „Was soll der Scheiß?“, brachte er wütend hervor. „Halts Maul!“, zischte einer von ihnen. Er hatte einen schwarzen Lockenkopf und kam Mario bekannt vor, aber einordnen konnte er ihn nicht. Den anderen Jungen hatte er jedoch zuvor noch nie gesehen. Rothaarig und sommersprossig wie er war, kam er sicher nicht aus Italien, sondern eher aus dem Norden. „Was wollt ihr? Geld? Meine Eltern sind nicht reich.“ „Geld? Nein, wir wollen euch nur eine kleine Lektion erteilen!“ Marion neben ihm rührte sich und fuhr hoch als sie die Stimmen hörte. „Oh Madame ist auch aufgewacht“, grinste der andere. Seine Stimme war ziemlich hell und er hatte einen starken Akzent. Vielleicht Deutsch, dachte Mario und sah zu seiner Schwester. Marion würde das besser wissen, sie kannte sich mit anderen Sprachen gut aus. „Keine Angst, morgen Abend seid ihr wieder frei. Wir wollen nur verhindern, dass ihr gegen meinen Bruder und seine Mannschaft antretet.“ „WAS?“, regte sich nun Marion auf. „Ihr entführt uns wegen einem verdammten Spiel?!“ Die beiden Teenager grinsten nur und verließen dann ohne ein weiteres Wort den Schuppen. Die Kette wurde wieder vorgelegt und die Zwillinge waren wieder allein. Marion atmete tief ein und aus. Mario kannte sie gut genug um zu wissen dass sie kurz vor einem Wutausbruch stand. Auch er war wütend. Eine Entführung war doch keine Lappalie. Wie konnten sie ein Spiel so ernst nehmen, dass sie dafür Kinder entführten? Jungs in dem Alter sollten so etwas doch einschätzen können! Henry und Cesario suchten nach der Schule gleich weiter. Sie hatten ihren Eltern Bescheid gegeben und diese hatten es verstanden, dass die Jungs selbst nach ihren Freunden suchen und sich nicht nur auf die Polizei verlassen wollten. Natürlich wurden sie ermahnt, kein Risiko einzugehen, damit sie selbst nicht nachher auch noch in Gefahr gerieten. Gerade suchten sie noch einmal im Park nach irgendwelchen Spuren. Zum Glück war es im Sommer so lange hell, dass sie ohne Probleme bis mindestens 22 Uhr suchen konnten. Im Park sahen sie Robin, der wie beim letzten Mal seinen Ball gegen eine Wand schoss. „Robin!“, rief Henry und lief zu ihm herüber. Robin drehte sich um und hielt den Ball mit dem Fuß auf. „Was ist?“ Er legte den Kopf schief und musterte sie. „You look like bad news. Somethin’ happened?“ „Ja. Kannst du uns helfen?“, fragte Henry. „Liegt daran wobei.“ Robin hob misstrauisch dreinblickend eine Augenbraue. „Mario und Marion sind entführt worden!“, platzte Cesario heraus. Schlagartig veränderte sich Robins Gesichtsausdruck. Sehr ernst sah er nun drein. „Cesario! Das wissen wir noch gar nicht. Sie sind auf jeden Fall verschwunden“, erklärte Henry dann etwas ruhiger. Robin nickte. „Okay, ich helfe. Wo und wann das letzte Mal gesehen?“ „Gestern Morgens, als sie das Haus verließen. Sie waren auf dem Weg zur Schule, sind dort aber nie angekommen.“ Robin schien zu überlegen, wechselte ins Englische. Er wollte bei einer so wichtigen Sache keine Verständnisprobleme haben. Zum Glück war ein Amerikaner dabei. „Gibt es denn irgendwen, der ihnen etwas antun wollen würde?“ Die beiden Spieler der Veveri zuckten mit den Schultern. „Nicht dass ich wüsste. Wir haben nicht wirklich etwas was man als Feinde bezeichnen kann. Nur die konkurrierenden Fußballmannschaften.“ „Hm. Na die entführen aber wegen einem Spiel nicht gleich jemanden. Aber vielleicht sollten wir lieber sichergehen. Es gibt immer irgendwo Idioten, die wer weiß wie weit gehen würden nur um ein Spiel zu gewinnen. Davon kenne ich genug. Steht gerade ein Spiel an?“ Sie nickten. „Morgen früh wäre das Spiel gegen die Leonino gewesen. Das hab ich aber schon abgesagt. Keiner kann von uns verlangen dass wir unter diesen Umständen spielen!“ Robin nickte. „Natürlich nicht. Kommt, lasst uns diesen Leonino mal einen Besuch abstatten.“ Henry und Cesario führten Robin zum Sportplatz der Mannschaft. Diese waren gerade beim Warm-up. Die drei Jungs blieben am Spielfeldrand stehen und beobachteten die Spieler. „Sollen wir sie fragen?“, flüsterte Cesario. „Bestimmt nicht! Wenn sie damit nichts zu tun haben wäre es nicht gerade nett ihnen so etwas zu unterstellen. Und wenn sie doch etwas damit zu tun haben sollten, dann werden sie es uns sicher nicht sagen. Im schlimmsten Fall würden sie ihnen dann vielleicht noch etwas antun weil sie sich bedrängt fühlen oder was weiß ich!“ Henry sah Robin von der Seite an. Die Art, wie er das sagte, klang als wüsste er genau wovon er redete. Und auch der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ es vermuten. Sein Blick war auf das Spielfeld geheftet, er schien alle genau zu beobachten. Dann kniff er die Augen zusammen als hätte er etwas Auffälliges gesehen. „Hast du etwas bemerkt?“, fragte Henry leise. Robin nickte. „Die da, kennt ihr die?“ Er wies auf ein paar ältere Jungen, die am Spielfeldrand herumlungerten, aber offensichtlich nicht zum Team gehörten. „Nein, kenne ich nicht. Wir haben aber auch nicht viel mit der Mannschaft am Hut. Es ist erst das zweite Spiel gegen sie, und so berauschend gut sind sie auch nicht.“ Henry beobachtete die drei Jungen nun auch. Sie waren sicher schon volljährig, schienen sich aufgeregt mit einem der Jungs vom Team zu unterhalten. Wenn Henry sich nicht täuschte, war es der Mannschaftskapitän Ricardo. Einer der Älteren begann wild zu gestikulieren und wurde lauter, aber sie konnten nicht verstehen was er rief. Nach einem kurzen Wortwechsel verließ er aufgebracht den Platz, gefolgt von den anderen beiden Jungen. „Ob das was zu sagen hat?“, fragte Cesario. „Ich weiß es nicht. Das sieht eher nach einem normalen Streit aus. Fragt sich nur worüber die gestritten haben…“ Marion rutschte hin und her, wusste nicht wie sie sitzen sollte damit ihr möglichst wenig weh tat, doch es war alles andere als einfach. Sie seufzte und versuchte wieder einmal, ruhig zu bleiben. Zu wissen, dass sie bald freigelassen werden würden und ihnen nichts passieren würde, hatte ihnen einen Teil der Angst genommen. Es ging nicht um Geld, sondern nur darum, sie für einige Zeit fest zu halten. Trotzdem konnten sie nicht wirklich aufatmen. Wer wusste schon was noch passieren würde. „Unsere Eltern werden sich sicher schon Sorgen machen“, sagte sie leise und ihr Bruder nickte. „Die haben bestimmt schon die Polizei eingeschaltet.“ Und nach einer Weile fügte er hinzu: „Ob es denen wohl klar war, dass das so ernst genommen wird?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Hatte nicht den Eindruck.“ Wieder rückte sie hin und her. Ihre Handgelenke waren schon ganz rot und teilweise war die Haut aufgescheuert worden. Ein Blick auf Marios Hände zeigte ihr, dass es ihm ähnlich ging. Sie lehnte sich an seine Schulter, und Mario legte seinen Kopf an ihren. „Ich hoffe nur die drehen nicht durch, wenn sie merken was sie für Scheiße gebaut haben.“ Einige Zeit lang saßen sie still da und hingen ihren Gedanken nach, bis das Kettenrasseln an der Tür ihnen signalisierte, dass die Jungs wieder kamen. Sie waren diesmal nicht gerade leise, rissen die Tür auf und stürmten rein, machten sich nicht einmal die Mühe, die Tür wieder zu schließen. Resigniert sahen die Zwillinge sich an. Der Rothaarige packte Mario am Kragen und zerrte ihn hoch. Der Jüngere schrie auf als die plötzliche Bewegung einen heftigen Schmerz durch seine Hände und Füße fahren ließ. „Wieso haben eure Eltern die Bullen gerufen?!“,wurde er angeschrien. „Was soll der verdammte Mist?“ „Das sollte ich dich fragen, du Hornochse!“, presste Mario hervor. „Wie könnt ihr annehmen dass die Polizei bei einer Entführung nicht reagiert? Wie alt seid ihr dass ihr nicht wisst, dass eine Entführung kein Kinderspiel ist?“ Der Ältere wurde bleich und ließ ihn einfach fallen. Er blickte drein als hätte er erst jetzt realisiert, dass es eine Entführung war. Mario landete auf der linken Schulter und schrie wieder auf, als ihn ein erneuter Schmerz durchzog. „Das werdet ihr mir büßen. Wegen euch Blagen werde ich nicht in den Knast gehen!“, schrie er daraufhin und trat Mario in den Magen. Dieser schrie auf und krümmte sich zusammen. Er wollte schon ein zweites Mal zutreten, als ihn der andere zurückhielt. „Lass uns abhauen! Wenn die uns hier erwischen, dann ist es eh zu spät!“ „Wenn euch wer erwischt?“ Erschrocken drehten die Jungs sich zur Tür um. Mario hatte zu starke Schmerzen um zu reagieren, doch Marion erkannte die Stimme von Henry sofort. Dieser stand mit einer Harke bewaffnet vor der Tür, neben ihm Cesario mit einem Besen. Hinter den beiden Freunden erkannte sie ein Cap. War das Robin?! Wäre die Situation nicht so ernst, würde sie darüber lachen können wie die drei dort standen. Die Teenager zeigten sich wenig beeindruckt. „Als ob wir uns von euch Blagen aufhalten lassen würden!“, rief der Rothaarige und stürmte auf Henry zu. Vor Wut war sein Gesicht fast genauso rot angelaufen wie seine Haare und brachte die Sommersprossen zum Leuchten. Henry zögerte keinen Moment und rammte ihm den Stiel der Harke in den Magen. Die andere Seite wäre sicher effektiver gewesen, aber Henry wollte es vermeiden ihn zu ernst zu verletzen – auch wenn er es verdammt noch mal verdient hätte. Er sank stöhnend zu Boden und kassierte dann von Cesario einen Schlag mit dem Besen in den Nacken. Henry stellte sich auf ihn, damit er sich nicht mehr rühren konnte. Robin hatte sich derweil den anderen Jungen vorgenommen. Gekonnt wich er dessen Schlägen aus und fasste dann im richtigen Moment nach der ausgestreckten Faust, um sie ihm eine Sekunde später auf den Rücken zu drehen. „Du verdammter kleiner Pisser!“, brachte der Bruder von Ricardo hervor. „Ja? Ich verdammter kleiner Pisser werde dir gleich mindestens einen Knochen brechen, wenn du nicht die Klappe hältst!“, knurrte der Australier. „Als ob du das schaffen würdest!“, lachte der ältere Italiener auf und versuchte sich zu befreien, indem er sich hin und her wand, doch das einzige, was er damit erreichte, waren noch mehr Schmerzen. Marion war zu Mario gekrochen, konnte ihm aber nicht wirklich helfen, da sie die Fesseln und die Schmerzen an fast jeder Bewegung hinderten. „Willst du es noch einmal versuchen?“, fragte Robin amüsiert und ließ ihn los. „Was machst du da?“, schrie Henry ihn an. „Du kannst ihn doch nicht wieder freilassen!“ „Tu ich nicht.“ Robin klang sehr überzeugt bei dem was er sagte, war mit dieser Ansicht aber der einzige. Der Kerl war mindestens vier Jahre älter und um einiges stärker, das war kaum zu übersehen. Er selbst schien das auch zu wissen, denn er zögerte nicht mit seinem Angriff. Robin war wenig beeindruckt. Er wich dem ersten Schlag aus, tauchte unter ihm hindurch und rammte ihm dann den Ellenbogen in den Bauch. Es folgte ein Schlag ans Kinn und schon sackte Ricardos Bruder zusammen. „No way, boy“, knurrte der Australier zufrieden und stellte einen Fuß auf seine Brust damit er ja nicht wieder auf die Idee käme aufzustehen. Während Cesario Marion und Mario befreite und sich dann mit ihnen auf die Suche nach einem Telefon machte, hielten Henry und Robin die Entführer in Schach. „Nicht schlecht, wie du das gemacht hast, Robin“, lobte Henry diesen. „Lernt man im Outback von Australien. Ohne kommst du da nicht zurecht.“ Immer noch sah er ziemlich ernst drein, obwohl die Lage doch nun unter ihrer Kontrolle war. Als die Freunde schließlich wieder kamen, musterte Henry sie besorgt. „Alles in Ordnung mit euch?“ Mario nickte. „Ja, nur die Handgelenke tun ziemlich weh.“ Mario rieb sich seine, während Marion darauf achtete dass ihr bloß nichts an die Handgelenke kam. „Die Polizei wird gleich da sein“, verkündete Cesario. Geschafft setzten sie sich auf eines der Sofas. Robin und Henry blieben auf den Jungs sitzen, die sich vernünftigerweise nicht weiter wehrten, nachdem Robin ihnen haarklein und möglichst detailliert erzählte, was auf sie zukommen würde, wenn sie noch Widerstand leisten würden. Dass er dies auf Englisch tat, machte es noch eine Spur makabrer. „Ich frag mich wer euch ins Hirn geschissen hat dass ihr auf so eine bescheuerte Idee gekommen seid! Dachtet ihr wirklich, es würde niemand nach den Beiden suchen?!“ Der Polizeichef war wirklich aufgebracht, als er den beiden Jungen einen Anschiss verpasste, noch während sie mit Handschellen versehen ins Polizeiauto gesetzt wurden. Mario, Marion und ihre drei Retter standen mit den Eltern der Zwillinge etwas abseits bei einem Krankenwagen. Mario wurde gerade versorgt während Marion sich in ihre Decke wickelte. Sie zitterte. Nicht vor Kälte; es waren ihre Nerven, die dieser Situation nicht gewachsen waren. Wie könnten sie auch? „Wie habt ihr uns gefunden?“, wollte sie wissen. „Robin hatte die Idee, mal bei den Mannschaften zu suchen ob uns da einer schaden will“, erklärte Henry. „Und dann sind wir denen da gefolgt.“ Er deutete mit dem Kinn auf das Auto, in dem die Entführer nun saßen. „Danke dass ihr meine Kinder gerettet habt“, sagte Signora Horatione glücklich und nahm die Freunde ihrer Kinder einmal in den Arm, auch wenn diese sich ein wenig dagegen sträubten. „Keine Ursache, Signora. Das sind immerhin unsere Freunde!“ Marion lächelte und sah zu ihrem Bruder herüber. Auch er lächelte, verzog nur kurz einmal das Gesicht als die Sanitäterin ihm Jod auf die wunden Handgelenke strich. „Danke Leute.“ Robin nickte. „Ich muss jetzt los, mein Cousin wartet auf mich.“ Er hob zwei Finger zum Gruß an sein Cap und verließ dann die Gruppe. „Was ist mit dem Spiel?“, fragte Mario nach einiger Zeit. „Das findet nicht statt. Hättest du wirklich Lust jetzt noch gegen die zu spielen?“, fragte Cesario zweifelnd. Mario überlegte nicht lange. „Nein, ich glaube nicht.“ 004. Kapitel – Auf Mannschaftssuche ----------------------------------- Das Spiel gegen die Leonino war auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Mario hatte darauf bestanden, dass es nicht gleich herumerzählt wurde was vorgefallen war. Erst wollte er mit dem Kapitän der Mannschaft darüber reden. Das taten sie dann auch zwei Tage nach ihrer Befreiung. Mario, Marion, Ricardo und Pierre hatten sich in das Clubhaus der Veveri zurückgezogen und geredet. „Ich wusste davon wirklich nichts, glaubt mir bitte. Ich habe Antonio gesagt, dass ich euch für zu stark halte und dass ich verdammt noch mal gewinnen wollte. Immerhin hängt es mit der Regionalmeisterschaft zusammen. Ich hab auch erwähnt dass es ohne dich, Mario, viel einfacher sein würde. Aber ich habe wirklich nicht gewollt dass es soweit kommt!“ Ricardo nahm das Ganze sehr ernst. Er sah sie gequält an und hatte wirklich ein schlechtes Gewissen wegen der Sache. Die Zwillinge glaubten ihm. Es war nur nicht so einfach da zu distanzieren. „Ich verstehe wenn ihr nicht gegen uns spielen wollt. Ich bin auch bereit euch den Sieg zu überlassen, das wäre nur fair. Ich meine… ich kann nur ahnen wie es euch da gegangen sein muss…“ Er wusste nicht recht was er sagen sollte, wollte sie auch nicht unnötig daran erinnern. Marion sah auf ihre Hände, wo immer noch deutliche Striemen zu sehen waren. „Mein Bruder und seine beiden Freunde haben Sozialstunden aufgebrummt bekommen. Aber sie dürfen sich eurer Gegend, eurer Schule und dem Sportplatz nicht mehr nähern“, erklärte Ricardo. Pierre saß die ganze Zeit stumm daneben. Vielleicht war er nur mitgekommen, damit Ricardo da nicht allein durch musste. Erst am Ende öffnete er den Mund. „Es tut uns wirklich leid. Wenn wir irgendetwas für euch tun können, dann sagt es bitte.“ Mario und Marion sahen sich kurz an. „Wir können euch nicht die Schuld für das Verhalten der Älteren geben, immerhin habt ihr sie nicht dazu angestiftet. Und vielleicht wollte Antonio dir wirklich nur einen Gefallen tun.“ Er hielt inne und seufzte. „Aber es wäre unfair und unsportlich, uns einfach den Sieg zu überlassen. Ich finde, das Spiel sollte trotzdem stattfinden… nur jetzt noch nicht. Dafür geht es mir noch nicht gut genug.“ Er rieb sich die Handgelenke, die wirklich noch zu sehr schmerzten als dass er seine Torwarthandschuhe anziehen könnte. Der Kapitän der Leonino nickte und verließ dann zusammen mit Pierre das Clubhaus. Die restlichen Veveri betraten es etwas später. „Und?“, fragte Piedro. „Wie ist es ausgegangen?“ „Sie wollten uns den Sieg überlassen, als Wiedergutmachung“, erzählte Marion. Mario nickte dazu. „Aber ich habe abgelehnt. Sie können nix für die Dummheit der Älteren.“ Auch wenn einige der Veveri das nicht gut fanden, akzeptierten sie die Entscheidung. Das Spiel würde frühestens in einer Woche stattfinden können, wenn Mario wieder fit genug war. Robin hatte die letzten Tage damit verbracht, sich die Fußballmannschaften und Schulen der Umgebung anzusehen. Das Visum war immer noch nicht gekommen, dabei lief die Schule schon seit über einem Monat wieder. Zu lange durfte diese ganze Prozedur nicht dauern. Auch wenn der Schulstoff nicht das Problem war: fehlte einem zu viel von einem Schuljahr, wurde dies nicht anerkannt. Zum Glück hatte Australien eine andere Aufteilung des Schuljahres. Es begann nicht, wie in Europa üblich, zum Sommer, sondern parallel zum Jahr. Somit war man dort eigentlich sogar ein halbes Jahr voraus. Viele Schulen gab es in Ricona nicht zur Auswahl. Die Fußballmannschaften spielten dabei eigentlich eine unwichtigere Rolle. Doch irgendwo musste man ja mit den Kriterien ansetzen. Robin beobachtete nun eine Mannschaft, die sich den bezeichnenden Namen „Ricona Diabolos“ gegeben hatte. Dem ersten Eindruck nach passte dieser Name durchaus zu dem, was die Jungen an Potential und Können zeigten. Das Training war disziplinierter und alle hörten auf den Kapitän, den sie Vittorio nannten. Er schien auch das Training selbst zu leiten. Das war ein guter Pluspunkt. Man brauchte keinen Trainer wenn man es ernst genug nahm und sich nicht ablenken ließ. Die Sydney Rangers hatten die meiste Zeit auch keinen Trainer gehabt. Und die Diabolos bewiesen, dass es auch anderen Mannschaften so ging. Interessiert beobachtete Robin den Torwart und Kapitän. Nach dem Training ging eben dieser auf ihn zu, musterte ihn kurz. „Hi. Ich bin Vittorio. Du beobachtest uns schon eine ganze Weile lang.“ Robin nickte und stellte sich ebenfalls vor. „Ich suche nur nach Mannschaften“, erklärte er in gebrochenem Italienisch. „Möchtest du bei uns anfangen?“ Robin zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Schaue mich um. Euer Training ist gut. Interessiert mich, wie ihr spielt.“ Vittorio sah kurz zu seinem Team herüber, bevor er seinen Gesprächspartner wieder ansah. „Wir spielen heute Abend hier gegen die Baleno Nero. Dann kannst du zuschauen.“ „Baleno Nero… kenn ich nicht. Wo trainieren sie?“ Vittorio erklärte ihm den Weg dorthin. Bevor Robin sich das Spiel anschauen würde, wollte er noch einen Blick auf das Training der anderen Mannschaft werfen. Der Weg war nicht weit und das Training lief noch. Anders als bei den Diabolos war der Trainingsplatz nicht umzäunt, und so konnte Robin sich das Ganze aus der Nähe ansehen. Auf den ersten Blick war das Training nicht viel anders als das der Diabolos, doch es lief nicht so diszipliniert ab. Robin ging wieder, ohne mit dem Trainer oder dem Kapitän zu reden. Die Tribünen waren so gut wie leer, aber es war ja auch bloß das Qualifikationsspiel zweier kleiner regionaler Jugendmannschaften. Robin hatte freie Auswahl und setzte sich in die Mitte der Tribüne. Mit einer Flasche Cola und einem Cheeseburger machte er es sich dort bequem und beobachtete das Warm-up. Cesario, Matteo und Piedro hatten dieselbe Idee gehabt. Da eine der beiden Mannschaften vielleicht bald ihr Gegner werden würde war es besser, sie vorher ein paar Mal zu beobachten. Unterwegs trafen sie Ronaldo, der mit seinem Rollstuhl in einem Gully stecken geblieben war. Matteo befreite ihn mit einem Ruck und einem „Hi Ronaldo.“ Dieser fasste erschrocken nach seinen Rädern, bevor er erkannte wer ihm da geholfen hatte. „Oh, hallo ihr. Wie geht’s euch?“ „Ach, ganz gut. Wir sind gerade auf dem Weg zum Spiel deiner Mannschaft“, erzählte Cesario. „Da wollte ich eigentlich auch hin.“ „Na, dann schieb ich dich mal“, bot Matteo sich an und sie gingen zusammen weiter. „Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir Ronaldo?“, wollte Piedro wissen. „Es geht. Mal so, mal so. Ich war einmal sogar fast soweit ohne Rollstuhl laufen zu können.“ Er seufzte. Vor anderthalb Jahren hatte er endlich ein neues Herz bekommen, doch leider hatten einige Komplikationen verhindert, dass er sich ganz davon erholen konnte. Er war immer noch meistens auf den Rollstuhl angewiesen. Aber es gab Hoffnung, denn sein Zustand verbesserte sich trotz allem kontinuierlich, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis er endlich frei von diesem Gerät war. Bald schon hatten sie den Platz der Diabolos erreicht. Ronaldo wurde zur Bank seiner Mannschaft geschoben, Cesario wechselte kurz einige Worte mit Simeon, dem Kapitän der Balneo Nero und Ronaldos Bruder, und anschließend mit Vittorio. Dann begaben die drei Jungs sich zur Tribüne, auf der sich nur knapp zehn Zuschauer befanden. Robin entdeckten sie sofort. „Hey, suchst du immer noch die richtige Mannschaft?“, begrüßte Matteo ihn. „Yeah, solang ich noch Zeit dazu hab“, brummte Robin. „Was ist los?“ „Darf nicht zur Schule gehen. Bullshit. Wenn es zu lange dauert, muss ich wiederholen.“ Das Spiel war spannend. Bis zum Ende stand nicht fest wer gewinnen würde. Die Diabolos hatten einen starken Angriff und eine starke Verteidigung. Die Verteidigung der Balneo Nero war etwas besser, der Sturm dafür etwas träger. Es schien so als wollten sie nicht zu viel riskieren. Am Ende gewannen die Diabolos mit 4:3. Robin nickte ein paar Mal in Gedanken. „Gotta go. Bye“, verabschiedete er sich von den Spielern der Veveri. Obwohl beide Teams sehr gut waren, bezweifelte Robin, dass sie das Richtige für ihn waren. Die Teams waren stark genug und auch wenn Robin sich für etwas besser hielt als den Großteil beider Mannschaften, würde er sicher die meiste Zeit auf der Ersatzbank sitzen müssen. Das war nicht das was er wollte. Er streifte die ganze Zeit lang durch die kleine Stadt, kaufte ein wenig ein um abends etwas zu Essen kochen zu können. Sully würde erst spät kommen, also war Robin mit Kochen dran. Der Australier verließ gerade mit seiner Einkaufstüte den Laden, als ein paar Skateboarder um die Ecke rauschten und ihn umrissen. Robin wurde zu Boden geschleudert und die Einkäufe verteilten sich auf dem Boden und der Straße. „Hey you dirty bastards!“, schrie er den Rowdies hinterher. Einer von ihnen hielt an und sah sich nach Robin um. „Halts Maul du Blag“, rief er und spuckte auf den Boden. Dann drehte er sich wieder um und wollte weiter fahren. Robin sah sich auf dem Boden um, nahm dann einen der Äpfel die sich um seine Füße verteilt hatten, holte aus und warf ihn dem Jungen an den Kopf. Dieser schrie laut auf, hielt sich den getroffenen Hinterkopf. Dann rannte er auf Robin zu, packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. „Du willst wohl Schläge, Mistblag!“ Seine Freunde hatten es natürlich mitbekommen, und schon bald war er von vier Hochschülern umringt. „Du bist wohl lebensmüde“, witzelte einer von Ihnen. „Shut up, feiger Schisser.“ Robin fasste nach dem Handgelenk des Typen der ihn immer noch festhielt und drückte den Fingernagel des Daumens in die Handbeuge. Schreiend wurde er fallengelassen, aber gleich von zwei anderen Typen an den Armen gepackt und wieder hochgezogen. „Verdammtes Mistblag! Ich werd dich lehren mich zu verletzen!“ Er hielt sich das Handgelenk. Robin hatte ihn nicht schwer verletzt, aber genau den richtigen Nerv erwischt um doch starke Schmerzen zu verursachen. „Das brauchst du nicht, ich kann das auch schon ganz gut alleine“, grinste Robin. Viel Zeit hatte er nicht sich darüber zu freuen, denn Ricardo, wie er aus den Rufen der anderen heraushören konnte, fackelte nicht lange und rammte ihm eine Faust in den Bauch. Robin unterdrückte einen Aufschrei und krümmte sich zusammen. Er versuchte die Bauchmuskeln anzuspannen und sich auf den nächsten Schlag vorzubereiten. Es war nicht seine erste Schlägerei, er wusste wie er zu starke Schmerzen vermeiden konnte. Der nächste Schlag war etwas höher angesetzt und raubte ihm die Luft. Robin starrte den Angreifer aus den Augenwinkeln heraus an. Selbst wenn er noch einige harte Schläge kassieren würde, er bereute seine Worte kein bisschen. Nach dem Spiel gab es zuerst die übliche Nachbesprechung. Vittorio war mit der Leistung der Mannschaft zufrieden, auch wenn ihn die drei kassierten Tore wurmten. Sie waren jedenfalls weiter und im Endeffekt zählte nur das. Nach der Besprechung verließ er zügig das Clubhaus weil er in der Stadt noch etwas erledigen wollte. Unterwegs traf er Mario, den er schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er wurde begleitet von einem Mädchen, die ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Von Erik hatte er schon erfahren, dass Mario eine Zwillingsschwester hatte. Er hatte nicht glauben können, dass sie sich so ähnlich waren, aber nun sah er es selbst. Auch von der Entführung der beiden hatte er gehört, und deswegen erkundigte er sich zuerst danach, wie es ihnen ging. „Ja, schon wieder ganz gut. Nur wenn ich das Haus verlasse, habe ich immer noch ein ziemlich mulmiges Gefühl im Bauch“, erzähle Mario. Vittorio nickte. „Das ist verständlich.“ Dann sah er zu Marion und musterte sie eingehend. „Das ist also deine Zwillingsschwester, von der schon erzählt wird.“ „Ja, da ist Marion.“ „Wie, von mir wird erzählt? Bin ich schon so bekannt?“ „Na, wer Mario kennt, den interessiert das schon. Es taucht nicht alle Tage einfach so ein Zwilling auf.“ Marion und Mario mussten grinsen. „Ich war grad auf dem Weg in die Stadt. Kommt ihr mit?“ „Wieso nicht. Wir müssen noch einkaufen.“ Zusammen legten sie dann den Rest des Weges zurück. „Wie sieht’s denn bei euch mit Nachwuchs aus?“, fragte Vittorio nach einiger Zeit. „Nicht so gut. Unser schlechter Ruf eilt uns immer noch voraus. Wir haben zwar einen Interessenten, aber ich glaube nicht dass er wirklich zu uns kommen will.“ „Es wäre gut wenn ihr langsam mal mehr werdet. Das Spiel wird sonst zu eintönig. Dass das Training so auch nicht lange gut geht brauch ich dir wohl nicht zu sagen.“ Seufzend nickte Mario. „Ja… ich weiß…“ Ein lautes Fluchen aus einer Seitengasse lenkte die Aufmerksamkeit der drei auf sich. Sie sahen in die Gasse, konnten aber nur eine kleine Gruppe Hochschüler sehen. Sie waren dabei jemanden zu verprügeln. „Diese Idioten“, meinte Mario leise. „Dass die sich immer prügeln müssen. Können die das nicht irgendwo anders regeln…“ Marion tickte ihren Bruder an. Sorge zeigte sich in ihrem Blick. „Du, ich glaube das ist Robins Stimme. Und das Fluchen hört sich auch ziemlich nach ihm an.“ Mario hörte genauer hin und erkannte dann wirklich Robins Stimme und den seltsamen Akzent. „Fucking bastards! Lasst mich los!“, rief dieser gerade. „Oh Mann! Da müssen wir was tun. Wieso muss der sich unbedingt mit Hochschülern anlegen?“ Mario sah sich um in der Hoffnung, vielleicht ein paar Passanten zu finden die helfen würden. Doch wie so oft gab es genügend Leute, die es hörten, aber niemanden, der einschritt. Stattdessen kam ein weiterer Hochschüler zu ihnen herüber gelaufen. Mario wollte ihn schon aufhalten, bis er hörte was der Junge rief: „Robin, you little brat! Hab ich dir nicht oft genug gesagt du sollt keine Schlägereien anzetteln?“ Er rannte zu der Gruppe, schob die anderen Jungs einfach grob beiseite und zerrte Robin am Kragen aus der Menge heraus um ihn dann aus der Gasse zu schleppen. Die Gruppe der anderen blieb erst erstaunt und überrumpelt stehen weil einfach jemand in ihre Schlägerei eingriff, verzog sich dann aber ruhig. Mario vermutete, dass es auch an dem Baseballschläger lag, den der ältere Junge, offensichtlich ebenfalls Australier, locker in der linken Hand hielt. „Geht’s dir noch gut? There’s only shit in your brain!“ Robin senkte den Kopf. „Sorry.” Dann nahm er ihn aber in den Arm und drückte ihn kurz an sich. „Alles okay? Du siehst schrecklich aus.“ Robin nickte, verzog aber das Gesicht bei der kleinsten Bewegung. „Hey Robin, geht’s dir wirklich gut?“, wiederholte Marion. Robin schien sie erst jetzt zu bemerken. „Oh, hi ihr.“ Der ältere Junge drehte nun auch den Kopf zu ihnen. Sie bemerkten die Ähnlichkeit der beiden. Unter seinem Baseballcap sah man seine hellbraunen Haare. Er sah fast aus wie der typische australische Surfer. Nur die Brille auf seiner Nase wirkte dem ein wenig entgegen. „Kennst du die? Deine Freunde?“ „Yeah. Sind ein paar Fußballspieler.“ Der Junge warf noch einen Blick in die Gasse um sicherzugehen, dass die Hochschüler sich verzogen hatten. Er nahm sein Cap ab und nickte den dreien dann zu. „Hi, ich bin Sully, Robins Cousin.“ Im Gegensatz zu dem jüngeren Australier war sein Italienisch nahezu perfekt, auch was die Aussprache anging. Sully begann, die Einkäufe aufzusammeln. Robin stellte die drei vor und hockte sich dann hin um ihm dabei zu helfen. Dabei presste er sich einen Arm auf den Bauch. Er hatte sichtlich Schmerzen. Sully verdrehte die Augen, zog Robin nach oben und sammelte dann weiter, während sein Cousin die Einkaufstüten aufhielt. „Das kommt davon wenn man ständig andere provozieren muss“, meckerte er. Mario und Vittorio sahen sich an. Sie kamen sich gerade überflüssig vor. Marion beobachtete die Beiden und grinste. Als Sully alles eingesammelt hatte, zog er Robin am Arm zu sich. „So und wir gehen jetzt zum Doc. Keine Widerrede, sonst schick ich dich zurück nach Hause.“ Robin widersprach nicht, ließ sich von Sully am Arm nehmen und wegziehen. Die drei sahen ihnen nach. „Der ist ja noch aggressiver als ich gedacht habe“, murmelte Mario. Es war kein Vorwurf, wie es vielleicht klingen mochte. Mario vergaß nicht, wie Robin einen ihrer Entführer fertig gemacht hatte. Sully und Robin waren derweil in ihrem Haus angekommen. Unterwegs hatte Sully kein Wort mehr über die Schlägerei verloren. Stattdessen hatte er überraschend gute Laune und fast die ganze Zeit vor sich hin gesummt. Immernoch pfeifend eilte er erst einmal ins Bad, wo er weiterhin laut zu hören war. Robin freute sich darüber, denn es war sehr lange her, dass er so gut gelaunt gewesen war. Nach Ricona zu ziehen, entpuppte sich immer mehr zu der richtigen Entscheidung. Etwas später kam er – immer noch pfeifend – ins Wohnzimmer, wo seine Cousine mit einem italienischen Wörterbuch auf dem Schoß vor dem Fernseher saß. Learning by doing, wie er ihr eingetrichtert hatte. „Warum hast du so gute Laune?“ „Kim, rate mal, wen ich an der Uni getroffen habe!“ Sie hob eine Augenbraue. „Bei deiner Laune wohl jemand besonderes“, mutmaßte sie. Sully ließ sich neben sie auf die Couch fallen. Er wirkte so verdammt glücklich, dass sie ihn nur ansah und grinste. „Erinnerst du dich an Jakko?“ Stirnrunzelnd dachte die Australierin nach. „Dein bester Freund aus Scoraville, oder nicht?“ „Yeah! Stell dir vor: Er studiert auch auf der Uni! Medizin. Das ist so verdammt geil! Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen und dachte, hier in Ricona wird das erst recht nichts. Und jetzt ist er auch hier!“ Er sprang auf. „Wir treffen uns heute Abend. Weißt du nämlich, was noch geiler an der ganzen Sache ist? Er hat heute Geburtstag und wird 18! Wir hatten uns damals geschworen, dann zusammen einen drauf zu machen und uns zu betrinken, an unseren 18 Geburtstagen. Ich brauche noch ein Geschenk…“ „Nimm doch unseren Whiskey. Der ist zehnmal so alt, und wenn ihr euch betrinken wollt, ist es das ideale Geschenk!“ Sully grübelte weiter. „Ich würd dich ja auch gerne mitnehmen, damit ihr euch wieder seht, aber da darfst du noch nicht hin.“ Sie winkte ab. „Schon gut. Trinken gehen kann ich in vier Jahren immer noch. Ich muss noch ein wenig italienisch lernen. Habe heute gemerkt, wie schwer das ist, wenn einen alle anschauen als müssten sie sich ein Lachen verkneifen oder ein Wörterbuch kaufen.“ Der ältere grinste. „Das wird schon noch besser, Kim. Ich finde, du hast in den paar Monaten eine Menge gelernt.“ Er suchte in seinen Unterlagen herum, während er weiter redete. „Vielleicht sollten wir zu Hause in Zukunft auch italienisch sprechen.“ „Vergiss es. Hier ist australisches Territorium, da wird australisch gedacht, geredet und geflucht.“ Sully hatte gefunden, was er gesucht hatte: ein Foto von ihm und seinem Freund. Freudestrahlend betrachtete er es. Jakko war seit seiner Kindheit sein bester Freund gewesen. Sie hatten viel miteinander unternommen, kannten einander in und auswendig. Es war umso schlimmer für sie beide, als der Kontakt irgendwann nachließ und dann abbrach, als Sully so viel mit seiner Farm um die Ohren hatte und Jakko irgendwann auf einmal die Schule gewechselt hatte, nachdem Sully selbst sie nicht mehr besuchen konnte. Es war wie ein kleines Wunder, ihn nun hier, ausgerechnet in der Stadt die er sich für sein Studium ausgesucht hatte, wieder zu treffen. Gerade an diesem Tag, fast als wollte das Schicksal, dass er sein Versprechen halten konnte. Grinsend sah er zu seiner Cousine. Eigentlich war sie es, die Ricona aus den drei möglichen Orten ausgewählt hatte. Aber das würde er ihr sicher nicht unter die Nase reiben, sonst hätte sie die nächsten Jahre etwas, was sie ihm immer wieder vorhalten könnte. Er behielt es für sich und verschwand mit dem Foto und einigen anderen Dingen in sein Zimmer. 005. Kapitel – Deprimierende Erkenntnisse ----------------------------------------- Es war lange nach Mitternacht, als Robin mit einem Teleskop unter dem Arm die Treppen herunter trottete und im Garten Aufstellung bezog. Die Sterne übten eine starke Faszination auf ihn aus und viele selbstgezeichnete Karten zeugten von dem Wissen über dieses Thema. Diese Nacht sollte wieder viel zu sehen sein können. Bevor Robin sich diesem aber widmen konnte, hörte er ein lautes Rumpeln an der Haustür, eilte dorthin. Es war Sully, der gut gelaunt die Türe aufschloss und Robin dann ertappt ansah, als die Tür vor seiner Nase aufgerissen wurde. „Äh, hi“, murmelte er entschuldigend grinsend. „Wolltest du nicht feiern gehen?“ „War ich doch…“ Er zog seine Schuhe aus und stellte sie ordentlich und betont langsam zu den anderen. Robins linke Augenbraue wanderte in die Höhe. „Das war vor sieben Tagen, mate.“ Nun zog der ältere eine Schnute. „Tut mir leid. Ich war so verdammt glücklich, ihn wieder zu sehen, dass ich erst mal bei ihm gepennt habe. Wir hatten uns so viel zu erzählen“, entschuldigte er sich und bekam immer mehr ein schlechtes Gewissen. Seit er und Robin klein waren, waren sie nie so lange getrennt voneinander gewesen. „Du hättest dich ja mal melden können.“ Brummend ließ Robin ihn stehen und trottete wieder in den Garten zum Teleskop. „Jetzt sei nicht wütend, bitte“, bat er inständig. „Hat es sich gelohnt?“ Sully stockte, wunderte sich über diese Frage. „Es war geil. Wir waren zu viert unterwegs, zwei seiner Kumpel waren noch dabei. Einer davon ist ein Cop. Wir haben uns viel von damals erzählt, vom Klettertraining mit unseren Vätern, den Ausflügen.“ „Welche Väter meinst du?“, hakte Robin nach, sah ihn aber nicht an. „Na, deinen und meinen. Die haben uns doch Klettern beigebracht.“ „Dir und Jakko?“ Nun stockte Sully. „Das weißt du doch?“ „Ich erinnere mich nicht, dass Jakko je dabei gewesen war, wenn wir klettern waren. Und ich erinnere mich nicht daran, dass du so oft ohne mich losgezogen warst.“ Fragend starrte er den rotbraunen Schopf vor sich an. Dann schluckte er. Er wusste, was das bedeutete. „Und unsere gemeinsamen Ausflüge mit ihm?“ Nun sah Robin ihn doch wieder an. „Ich bin Jakko nie begegnet, das weißt du doch. Ihr habt immer ohne mich etwas unternommen. Aber ihr wart nicht klettern, das hätte ich mitbekommen. Denn dann wäre ich auf jeden Fall mitgekommen.“ Betroffen verzog Sully den Mund. Er hatte nicht angenommen, dass der Unfall noch nach so langer Zeit Folgen zeigte. Zumindest der Name war wohl hängen geblieben. „Bist du sauer?“ „Nein. Hatte es mir schon gedacht.“ Da es nicht so wirkte, als würde Robin noch Lust haben, dieses Gespräch weiter zu führen, trottete Sully in die Küche. Im Kühlschrank fand er einige in Folie eingewickelte Teller. Robin hatte jeden Tag für ihn mit gekocht und sein Essen zurück gestellt. Schuldbewusst räumte er auf. Das Spiel dauerte nur noch einige Minuten. Alle waren angespannt: das eine Team wartete nur noch auf den Abpfiff, das Andere versuchte, noch ein letztes Tor zu schießen. Doch Mario und seine Verteidigung ließen kein weiteres Tor zu. Marion stand am Spielfeldrand, zusammen mit Piedro und Cesario, die diesmal nicht mitspielten. Sie feuerten ihr Team an und jubelten dann lautstark, als abgepfiffen wurde. Die Leonino hatten 2:0 verloren. Mario und Ricardo gaben sich die Hand, die anderen folgten ihrem Beispiel. Die Veveri ließen sich von Marion mit Wasserflaschen versorgen. „Ihr habt toll gespielt, Jungs“, lobte sie diese. „Hey da ist Robin“, rief Cesario und winkte ihm dann zu. Robin stand zusammen mit Sully in der Nähe der Tribüne und unterhielt sich mit ihm. Als er Cesario hörte, hob er die Hand und winkte kurz. Etwas später kamen die Beiden herüber zu den Veveri. „Hi Robin. Wie geht’s dir?“, wollte Marion wissen. „Ach, geht so. Tut schon nicht mehr weh.“ „He’s lying“, widersprach Sully und knuffte ihm leicht in die Seite, woraufhin Robin zusammen zuckte und das Gesicht verzog. „For sure, he wants to be a tough boy. “ Sully prustete los, als er Marions Worte hörte, krümmte sich vor Lachen zusammen und schien sich nicht mehr einzukriegen. „Shut up!“, zischte Robin. Der ältere richtete sich wieder auf und versuchte ernst drein zu schauen. „Ja, sorry. Konnt’s mir nicht verkneifen.“ „Hat euch das Spiel gefallen?“ „Yeah, war cool. Ihr habt Talente in eurem Team.“ Ein paar Schritte hinter den Australiern war ein lautes Lachen zu hören. „Talente? Die? Das sind die Veveri perditori. Die können gar nichts.“ Sie drehten sich um. „Hör auf damit Nico, euer Team ist auch nicht besser!“, erwiderte Mario und verschränkte wütend die Arme. „Na, wir haben wenigstens noch nie 30:0 verloren!“ Er und seine drei Freunde lachten lauthals über Nicos Witz und gingen dann weiter. „Das ist der Hauptgrund, warum wir keine neuen Mitglieder bekommen“, brummte der Torwart der Veveri und sah zu seiner Schwester. „Siehst du? Das wissen leider noch zu viele. Wir müssten schon mal 30:0 gewinnen, damit man anders denkt. Ein 1:0-Sieg macht da nicht viel her.“ Robin legte den Kopf schief. „Na, wie wär’s denn, wenn wir dann gegen sein Team 30:0 gewinnen?“, schlug er vor und sah Mario herausfordernd an. „Das dürfte…“, er hielt inne als ihm der genaue Wortlaut klar wurde. „Wir?“ „Vorausgesetzt, ich darf bei euch mitmachen.“ „Willst du dir das wirklich antun? Wir sind nicht die gleiche Liga wie du.“ „Dann, Mario, ist es vielleicht an mir, euch in diese Liga zu bringen.“ Er zwinkerte. Es klang sehr überheblich was er sagte, doch er hatte Recht damit. Er könnte sie trainieren, ihnen all das beibringen, was er schon konnte. „Ich würde mich freuen!“ „Good, Guy“, lobte Sully und klopfte seinem Cousin auf die Schulter. Dieser sackte fast zusammen und unterdrückte einen Schmerzenslaut. „Oh, sorry“, entschuldigte er sich gleich, schmunzelte dabei jedoch. „Gut, aber erst mal solltest du dich aufs Trainieren beschränken und nicht mitspielen.“ „Aye, Boss.“ Robin hielt sich nicht lange daran. Schon zwei Tage später machte er beim Training mit. Man sah ihm an, dass einige Bewegungen noch schmerzten, aber er sagte nichts sondern machte tapfer weiter. Hin und wieder kam auch Sully zum Training und sah ihnen zu. Meistens trug er dann ein Baseballtrikot. Robin nahm sich deutlich zurück wenn sein Cousin dabei war, so als dürfte dieser nicht wissen dass Robin mittrainierte. Marion sprach Robin einmal darauf an. „Hältst du das vor Sully geheim, dass du mitspielst?“, fragte sie direkt. Robin nickte. „Yeah. Sonst würd’ ich mächtig Ärger bekommen. Ich weiß ja dass er sich nur Sorgen macht, aber ich halte Einiges aus. Das Training und die Spiele in Sydney waren teilweise ziemlich ruppig. Außerdem habe ich mich oft genug geprügelt. Ich bin nicht aus Porzellan.“ Marion lächelte. „Hm, ich versteh euch beide wohl. Und solange du dich wirklich nicht übernimmst, werde ich mich da auch nicht einmischen.“ „Soll das eine Drohung sein?“, fragte Robin schmunzelnd. „Nein, eher ein gut gemeinter Rat.“ Sie schlugen ein. „Welche Mannschaft war das denn, die sich neulich über euch lustig gemacht hat? Von diesem Nico?“, wollte er dann wissen. „Das Team nennt sich Sciacallo. Aber frag mal lieber Henry. Soweit ich weiß, war er mal dabei.“ Das tat Robin dann auch. Henry seufzte. „Ja, ich war mal bei den Sciacallo. Genauer gesagt habe ich die Mannschaft gegründet. Weißt du, ich war nicht immer so ein guter Teamplayer. Vor nicht mal zwei Jahren habe ich alles im Alleingang lösen wollen und den ganzen Ruhm für mich beansprucht. Eigentlich haben die Veveri mich verändert. Ich war ein halbes Jahr lang am anderen Ende der Stadt. Und nun spiele ich wieder bei den Veveri und bin froh, dass sie mich wieder aufgenommen haben.“ Robin nickte dazu. „Mich wundert es ehrlich gesagt, dass es die Sciacallo überhaupt noch gibt. Die Spieler waren alle ähnlich drauf wie ich. Viele haben nach unseren ersten Spielen das Team wieder verlassen. Es müssen wohl einige ein neues Team aufgebaut haben als ich fort war. Viel hat man jedenfalls von denen nicht gehört.“ „Dann, denke ich, dürfte das kein Problem sein. Wir werden sie 30:0 schlagen, und dann werden wir uns über sie lustig machen.“ Henry grinste. „Ich finde es mutig von dir dass du zu den Veveri gekommen bist, wo es nicht so viel Aussicht auf Siege gibt wie zum Beispiel bei den Diabolos oder den Balneo Nero. Du könntest es dort weit bringen.“ Robin sah auf den Boden, scharrte mit einem Fuß im Sand. „Ja, Henry. Das stimmt schon. Aber andererseits wäre ich da vielleicht auch in der Menge untergegangen. Ein gut eingespieltes Team hat in der Stamm-Mannschaft vielleicht fünfzehn gute Spieler, und in diesen festen Kreis kommt kein Neuer so leicht rein, sei er auch noch so gut. Bei den Veveri ist noch viel Platz im festen Kreis. Und zweitens… mich reizt die Herausforderung.“ Bei diesem letzten Satz sah er Henry wieder an. Er hatte ein seltsames Funkeln in den Augen, ehrgeizig und zuversichtlich. „Ich habe viel Potential in eurem Team bemerkt. Es muss nur gefördert werden. Ihr könntet richtig gut werden.“ „Meinst du wirklich?“ „Yeah. Ich hab ein Auge dafür, glaub mir.“ Mario gesellte sich zu den Beiden. „Robin, welche Nummer willst du eigentlich auf deinem Trikot haben. Ich werde es dann beflocken lassen.“ „Vierzehn. Die Nummer hatte ich schon immer, und die ist auch nicht so begehrt dass sich alle darum kloppen.“ Mit einem Nicken verschwand er wieder. „Was steht denn als nächstes an, wofür wir trainieren müssen?“ „Wir hatten jetzt die Qualifikation für die Regionalmeisterschaften. Soweit ich weiß, sind von unserer Stadt vier Teams dabei. Wir haben es nur mit Mühe geschafft so weit zu kommen. Außer uns sind noch die Diabolos, die Balneo Nero und eine relativ neue Mannschaft namens Hornets dabei. Von denen habe ich noch nicht viel gehört. Außerdem kommen aus den anderen Städten der Region noch zwölf andere Mannschaften dazu. Wir haben schon einige Infos zu denen gesammelt, die hat Mario. Er wird sie dir sicher geben wenn du fragst.“ „Okay, dann werde ich mich mal ein wenig mit ihnen beschäftigen. Kommst du mit?“ „Klar.“ Am nächsten Tag nach der Schule begaben sich die beiden Jungs zu dem Sportplatz der Hornets. Beide vermuteten einen Engländer oder Amerikaner unter den Gründern. Der Platz wirkte sehr groß und gepflegt, überall standen Spieler im Trikot der Mannschaft herum: eine schwarze Trikothose mit einer stilisierten Wespe an beiden Hosenbeinen. Die Shirts waren weiß mit gelben Ärmeln und derselben Wespe an Ärmeln und auf der Brust. „Wow, die haben viele Spieler“, merkte Henry an. Sie beschränkten sich darauf, erst einmal aus der Ferne zu beobachten. „Das sind mehrere Mannschaften. Ich sehe eine Gruppe Mädchen, eine Gruppe älterer Jungen und die in unserem Alter“, erklärte Robin. „Ja, das stimmt. Die trainieren wohl zusammen.“ Robin sah ihn von der Seite an. „Wundert dich das?“ „Hm, ich weiß nicht. Die älteren spielen anders, härter als die Jüngeren. Und Mädchen spielen doch auch auf einem ganz anderen Niveau als Jungen.“ „Ach, meinst du?!“ Verwundert über den gereizten Tonfall von Robin sah er ihn an. „Hab ich was Falsches gesagt?“ „Ich kenne Mädchen, die viel besser spielen als Jungs. Im Allgemeinen sind Mädels mehr auf Technik aus als auf Kraft. Sie machen viel mehr Pässe und Dribblings als Jungs. Hast du schon mal bei einer Mädchenmannschaft zugesehen?“ Henry schüttelte den Kopf. „Dann sollten wir das nachholen. Marion hat mir erzählt, dass die Veveri schon einmal gegen eine Mädchenmannschaft gespielt haben. Das könnten wir wiederholen. Und ich glaube, Marion hat auch einiges an Technik mehr drauf als ihr.“ Henry sah Robin herausfordernd an. „Dann spiel du doch mal gegen Marion. Ich möchte mal sehen was dabei rauskommt.“ „Meinetwegen.“ Nachdem sie sich ein Bild von der Mannschaft gemacht hatten, begaben sie sich zurück zu ihrer eigenen Mannschaft. Dort erzählten sie von ihren Beobachtungen und von Robins Meinung über Mädchenmannschaften. Danach gab Marion ihre Meinung darüber wieder. „Robin hat im Grunde Recht. Die meisten Mädchen sind nicht so kräftig wie Jungs, egal wie viel sie trainieren. Ihr Muskelaufbau ist einfach ein wenig anders. Klar sind da mehr Technik und Zusammenspiel nötig. Andererseits verlassen sich viele Jungs zu sehr auf ihre Kraft und vernachlässigen dann so etwas wie Doppelpässe oder Lupfer.“ Robin nickte dazu. „Dann zeig mal was du meinst, Robin“, forderte Henry ihn auf. Robin stand auf und ging mit Marion aufs Feld. „Das wird euch bei mir aber nicht viel bringen. Wir haben bei den Rangers sehr viel Wert auf Technik gelegt“, erklärte er noch, bevor sie los legten. Beide bekamen einen Ball und sollten ein paar Tricks zeigen. Marion hatte sehr viel drauf, sie zeigte Tricks die sie im Training noch nie gesehen hatten. Ihre Stärken waren eindeutig das Dribbling und die Schnelligkeit, mit der sie den Ball bewegen konnte. Robin war mehr auf andere Tricks versiert. Er konnte den Ball über nahezu jeden Körperteil rollen lassen ohne dass er verloren ging und konnte ihn auch lange in der Luft halten. Bei dem Sprint, den sie dann machen sollten, war Robin schneller. Beim Weitschießen war er ebenfalls besser. Aber beim Zweikampf dauerte es nicht lange, bis Marion ihm den Ball abgenommen hatte. Marion merkte jedoch, dass er sich zurück hielt. Es hätte seiner Argumentation auch nicht gerade geholfen, wenn Marion dann trotzdem bei allem schlechter abgeschnitten hätte. Mario stand die ganze Zeit mit gerunzelter Stirn dabei und beobachtete die beiden. „Henry, Robin, tauscht mal“, ordnete er an. Gesagt getan. Henry und Marion zogen das gleiche Programm durch, und diesmal waren die Unterschiede noch viel größer. Henry hatte mehr Kraft als Marion und viel weniger Feingefühl. Der Vergleich von Henry und Robin zeigte schließlich, dass Henry diesem eigentlich weit unterlegen war – und das als einer der besten Spieler der Veveri. Die Runzeln auf Marios Stirn waren tiefer und tiefer geworden, und so vor Augen geführt sah er deutlich, wie schlecht sein Team eigentlich war. „Marion, Robin, kommt bitte mit“, bat er die beiden mit ernster Miene, ihm ins Clubhaus zu folgen. Dort folgte ein ernstes Gespräch über Trainingsmethoden. „Ich bin echt entsetzt. Ich hab das noch nie so deutlich vorgeführt bekommen, wie schlecht wir sind. Das ist deprimierend.“ „Ach, komm, das kriegen wir schon hin“, versuchte Marion ihn aufzumuntern. „Du hast das schon länger gemerkt oder?“, fragte er sie. Ein wenig schuldbewusst nickte seine Schwester. „Ich wollte es euch nicht so direkt vor die Nase halten wie Robin das jetzt getan hat.“ „Es bringt aber nichts jemanden zu schonen wenn er sich verbessern will oder muss. Sonst merkt man es doch gar nicht“, warf Robin ein. „Ja“, murrte sie nur. „Könntet ihr mir vielleicht die Trainingsabläufe eurer alten Mannschaften aufschreiben? Vielleicht können wir daraus einen geeigneten Trainingsplan für uns erstellen. Ich wusste nicht, dass wir so viele Defizite haben…“ „Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Bis zum Turnier sollten wir Einiges aufarbeiten können“, erklärte Robin überzeugt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)