Roots von Lady_Blacklily ================================================================================ 002. Kapitel – Robin -------------------- Als Marion zu den vier Jungen aufgeschlossen hatte, waren diese stehen geblieben und beobachteten den Spieler, der dort seine Schüsse übte. „Wow“, flüsterte Henry. „Seht ihr, was der für eine Kraft hinter den Schüssen hat?“ „Seht ihr, dass er immer dieselbe Stelle trifft?“, gab Mario noch eins drauf, der beeindruckt von diesem Können war. „Merkt ihr, wie ihr den Kerl anhimmelt?“, fragte Marion grinsend und legte eine Hand auf die Schulter ihres Bruders. Sie musterte den Jungen. Er schien etwas älter zu sein als die Freunde. Etwas kleiner und schmaler als Henry, wirkte er doch sportlicher als dieser. Seine Bewegungen waren geschmeidig und fließend. Er trug eindeutig den Trainingsanzug einer Mannschaft, doch keiner von ihnen konnte die Farben zuordnen: es war ein warmes Braun mit einem breiten türkisen Streifen, der von links unten nach rechts oben zur Schulter verlief. Die Hose war ebenfalls braun, geziert von einem ebenso breiten türkisen Streifen an der Seite und einem dünneren am unteren Saum. Das Gummiband schien ausgeleiert zu sein, denn die Hose hing locker um seine Hüfte und ebenso lag sie locker auf den Schuhen auf. „Wisst ihr, woher der kommt?“, fragte Mario in die Runde. „Die Farben habe ich ja noch nie in der Kombination gesehen.“ „Keine Ahnung.“ Henry versuchte, das Gesicht des Jungen zu erkennen, doch dieser hatte ein Cap tief ins Gesicht gezogen und ließ so aus dieser Entfernung nicht viel erkennen. „Auf jeden Fall trainiert er bestimmt sehr viel.“ „Fragen wir ihn doch einfach mal“, beschloss Marion und setzte sich in Bewegung. Irgendetwas an dem Aussehen und den Bewegungen des Jungen irritierte sie, doch konnte sie nicht sagen, was genau es war. „Hi“, begrüßte sie ihn dann, kurz bevor sie ihn erreicht hatte, denn sie wollte ihn nicht erschrecken, so konzentriert wie er schien. Er sah Marion an, lies dabei den Ball über seinen Fuß hoch rollen und lenkte ihn mit dem Knie zu seinen Händen, hielt ihn schließlich fest. Mit schief gelegtem Kopf musterte er die Italienerin. Sie bemerkte sofort seine intensiv dunkelgrünen Augen, die wach und aufmerksam schienen. Und anders, als sie es von Jungs in seinem Alter gewohnt war, blieb der Blick auch auf ihre Augen gerichtet. Unter seinem Cap ragten einige dunkle Haare hervor; ein leichter Rotschimmer verriet ihr, dass er wohl rotbraune Haare haben musste. Er war eindeutig kein Italiener. „Hey“, erwiderte er schließlich den Gruß, nachdem er auch die Jungs hinter ihr kurz gemustert hatte, die nun neben ihr Aufstellung bezogen hatten. „Bist du neu hier? Wir haben dich noch nie im Park gesehen“, begann Mario. „Nope. Bin neu in Ricona. Since a few days.“ Auch ohne den letzten Satz hatten sie schon an seinem Akzent bemerkt, dass Englisch wohl seine Muttersprache war. „Dann ist das sicher auch keine italienische Mannschaft, von der dein Trikot stammt?“, wollte Cesario wissen. Henry wechselte in seine eigene Muttersprache. Wenn der Junge hier zu Gast war, konnte er sie vielleicht gar nicht verstehen, wenn sie italienisch mit ihm redeten. „Do you understand italian?“ „Much better than talkin‘ My cousin told me.” „Where are you from?” „Australia.” „Ein Österreicher?”, wunderte sich Cesario. „Was führt dich hier hin?“ Der Junge lachte lauthals los. „Australia, not Austria.“ Er hielt Marion die Hand hin. „Ich heiße Robin“, stellte er sich vor. Lächelnd nahm sie diese entgegen, spürte den festen Händedruck einer angenehm warmen Hand. „Ich bin Marion. Das sind Mario, Cesario, Henry und Matteo.“ „Wir spielen bei den Veveris hier in Ricona“, erklärte ihr Bruder daraufhin. Henry hob schon zu einer Übersetzung an, doch Robin kam ihm zuvor. „Ich habe gespielt bei den Sydney Rangers.“ „Und was führt dich so weit weg von zu Hause?“ Nun schien Robin überlegen zu müssen. „Habe meinen Cousin begleitet.“ Während sie redeten, spielte Robin mit dem Ball in seinen Händen, drehte ihn hin und her. „Ihr spielt hier?“, fragte er als er die Blicke der anderen auf den Ball bemerkte. „Wir wollten nur nachsehen. Du hast verdammt viel Kraft hinter deinen Schüssen.“ Der Australier zuckte mit den Schultern. „Kann sein.“ „Die Jungs, die ich kenne, können es jedenfalls nicht mit dir aufnehmen“, meinte Mario ernst. Robin ließ den Ball über sein Bein abrollen und stellte den Fuß darauf, verschränkte die Arme. Wieder legte er den Kopf schief und musterte den Kapitän der Veveris eingehend. „What kind of soccer team are you?“, wollte er schließlich von Henry wissen. „School soccer team. Not very successful.“ „Boys?“ „Yes.“ Mit einer schnellen Bewegung des Fußes beförderte er den Ball wieder in seine Hände, wirkte plötzlich abweisend. „Gotta go.“ Schon wandte er sich zum Gehen, hob zum Abschied eine Hand. „See ya.“ Ein wenig irritiert sahen die Italiener dem Jungen nach. „Was hast du ihm gesagt, dass er auf einmal geht?“, fuhr Matteo Henry leise an. „Gar nichts! Er hat nur gefragt, was für eine Mannschaft wir sind“, verteidigte dieser sich. Sie machten sich wieder auf den Weg zu ihrem Platz. Aber so richtig Lust auf Training hatten sie dann doch nicht, also führte ihr Weg sie weiter zum Café, das Matteos Eltern leiteten. Am nächsten Tag fand das Training auf dem Sportplatz der Schule statt. Sie hatten die Erlaubnis erhalten, in den Ferien dort zu trainieren. Sie hatten sogar einen sonst leer stehenden Geräteraum zur Verfügung bekommen, der sonst nur heruntergekommen wäre. Es war eigentlich eine schöne kleine Holzhütte, die ihren Zweck gut erfüllte und mit ein paar gemütlichen Möbeln ausgestattet konnte man sich dort auch aufhalten, wenn man gerade keine Lust auf Fußball hatte. Marion hatte ihren Bruder wieder begleitet und wurde auch bei den anderen Teammitgliedern mit großer Verwirrung begrüßt. Sie hatte ihr Mailänder Trikot angezogen, dass sich stark von den in grün und gelb gehaltenen Trikots der Verde Vento Ricona unterschied. Locker lief sie einige Runden mit den anderen mit, bis sie in der Nähe des Clubraumes, wie sie ihr kleines Häuschen nannten, den Australier vom Vortag entdeckte. Immer noch joggend begab sie sich zu ihm. „Hey Robin. Du hast uns gefunden.“ „Hab euch nicht gesucht. War Zufall.“ Robin musterte sie, ihr Trikot. „Du bist auch noch nicht lange hier, do you?“ Überrascht hob Marion eine Augenbraue. „Wie hast du das herausgefunden.“ Der fragende Blick ihres Gegenübers lies es sie noch einmal auf Englisch sagen. „A twin brother and a trikot from madrid.” „Wow. Gut kombiniert.” „Spielst du hier? Henry sagte, das ist eine Jungenmannschaft.” „Seit heute, ja.“ Marion stemmte die Hände in die Hüften. „Ist das ein Problem für dich?“ Robin grinste, verschränkte wieder die Arme. „Sollte es?“ „Viele Jungs haben Probleme damit.“ Marion beschloss, dieses hin und her zwischen Italienisch und Englisch zu lassen und blieb im Englischen. Robin seufzte und stopfte seine Hände in die Hosentaschen der Trainingshose. „Darf ich ein wenig mitspielen?“ „Klar, komm mit.“ Schon brachte Marion ihn mit zu den anderen und stellte ihn dem Team vor. Bei den Trainingseinheiten, die Mario anordnete, sah Robin erst einmal zu, bevor er mitmachte. Mario beobachtete ihn fast die ganze Zeit über, bemerkte wie aufmerksam Robin sein musste, weil er fast sofort auf seinen ersten Trainingspartner – Matteo – eingehen konnte. Irgendwann stellte sich Henry neben seinen Kumpel und beobachtete ebenfalls die anderen. „Was hältst du von ihm?“, wollte Mario wissen. Der Amerikaner beobachtete Robin einige Zeit lang. „Wow, nicht schlecht. Er ist geschickt. Und schnell.“ Mario nickte. Auf Henrys Urteil konnte er sich verlassen, deswegen holte er sich auch oft dessen Meinung. „Trainingsspiel“, rief er unvermittelt und klatschte in die Hände. „Robin, willst du mitmachen?“ Dieser nickte und stellte klar, dass er im Sturm spielte. Henry spielte nicht mit, sondern beobachtete den Jungen zusammen mit Mario. Robin war wirklich geschickt. Er umspielte seine Gegner, hatte ein gutes taktisches Verständnis und verstand sich noch dazu auf Teamplay. „Oh Mann, den brauchen wir.“ Henry stimmte ihm zu. „Er ist wirklich gut. Schau dir das an. Das ist ne ganz andere Liga als wir!“ Der gelupfte Ball, den er gekonnt mit einem Kopfstoß ins Tor beförderte, bestätigte es, was Mario und Henry über Robin sagten. „Wooooow, klasse“, jubelte Cesario. „Du bist echt Weltklasse!“ Robin winkte ab. „Übertreib nicht.“ Eine Schwäche hatte er dann doch, wie sich herausstellte: Er fluchte, laut und oft. Und das teilweise in einem derart unverständlichen Englisch, dass sogar der Amerikaner unter ihnen Probleme hatte, die Sprache zu identifizieren. „Fucking shit“, rief er gerade als er einen Ball falsch dribbelte und Tino ihm diesen gleich abnahm. Fast hätte Mario erwartet, dass er nun gegen Tino wetterte, aber das geschah nicht. Eigentlich wieder ein Pluspunkt. Fluchen an sich war nicht so schlimm, fand Mario, wenn man nicht anderen gegenüber beleidigend wurde. Oder aber unter die Gürtellinie ging. „Sehr temperamentvoll“, kommentierte Henry. Nach dem Spiel hatte Mario beschlossen, Robin zu fragen ob er vielleicht bei den Veveri mitmachen wollte. Er kam nicht dazu, denn Robin machte sich ziemlich eilig auf den Rückweg, nachdem das Spiel zu Ende war. Die nächsten Tage war er nicht anzutreffen. Fast schon befürchtete der Mannschaftskapitän, ihn nie wieder zu sehen. Bis Marion ihm nach fast zwei Wochen erzählte, dass sie Robin getroffen hatte. Er hatte am Strand trainiert. „Meinst du er wäre was für die Veveri?“, fragte Mario abends seine Schwester, als sie beide im Pyjama auf ihren Betten saßen. „Ich weiß nicht, ob er nicht vielleicht zu gut ist. Er könnte sich ausgebremst vorkommen. Oder aber die anderen verunsichern. Du weißt wie das enden kann.“ Mario nickte. „Eben darum bin ich mir nicht sicher. Er wäre sicher eine Bereicherung. Er könnte den anderen etwas beibringen. Aber ob er das will… und die anderen das wollen… immerhin ist er genauso alt wie wir. Wäre er älter wäre es vielleicht auch nicht so das Problem.“ Mario überlegte laut weiter und redete immer schneller, bis Marion ihm eine Socke ins Gesicht warf. „Nun komm mal runter. Ich könnte ihn einfach fragen, ob er überhaupt Interesse hätte. Falls nicht, ist es sowieso unnötig darüber noch weiter nach zu denken.“ Er nickte langsam. „Du hast ja Recht. Ich seh’ das halt nur als eine sehr gute Chance für uns.“ „Ich auch, Brüderchen. Und ich frag mich auch, was ihn hier her führt. Sydney ist eine große Stadt, und Ricona im Vergleich dazu ein kleines Dorf.“ Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hat er Verwandte. Vielleicht ist er nur zu Besuch hier… Dann kann er sowieso nicht bei uns mitmachen.“ „Ich frag ihn einfach mal. Mehr als nein sagen kann er nicht. Und vielleicht würde er uns sonst trotzdem ein paar Tipps geben.“ „Ich weiß nicht“, war Robins Antwort auf ihre Frage. „Ich hab mir jetzt einige Teams angesehen, aber ich hab mich noch nicht entschieden.“ Marion nickte. „Das verstehe ich, und ich will dich auch nicht drängen. Ich bin sicher nicht die Einzige die dich gefragt hat oder?“ Er grinste zur Antwort. „Na ja, sagen wir, das erste Mädchen. Spielst du jetzt richtig im Team mit?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nur beim Training. Ich glaube, bei den Spielen dürfen die nicht mit einer gemischten Mannschaft antreten.“ Robin kickte ein paar Kiesel vor sich her. „Darf ich fragen, was dich von einer Stadt wie Sydney hier her führt?“ Nun sah er sie an. Er sagte nichts, schien zu überlegen. „Mein Cousin will nächstes Jahr hier in der Nähe studieren. Er macht grad das letzte Schuljahr hier mit, damit es ihm nachher beim Studium leichter fällt. Ich wollte ihm ein wenig Gesellschaft leisten in der Zeit die er hier ist.“ Marion hob eine Augenbraue. „Oh, was will er denn studieren?“ „Archäologie. Er wollte nicht in der Großstadt wohnen, dort ist es zu teuer.“ „Aha. Gehst du denn noch gar nicht zur Schule hier?“ Robin schüttelte den Kopf. „Ich warte noch auf die Bestätigung dass ich als Australier hier zur Schule gehen darf. Visum und so.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Na ja, ich verpasse ja nicht viel. Hab mir die Unterrichtspläne angesehen. Bis auf die italienische Geschichte ist es das Selbe, was wir so durchnehmen, damit komme ich klar.“ „Warst du denn schon mal in Italien?“ „Nein.“ Robin legte wieder den Kopf schief. Scheinbar machte er das öfter. „Du fragst sicher wegen meinem italienisch. It´s god, isn’t it?“ Marion grinste. „Stimmt. Klingt weitaus besser als man es vom normalen Schulunterricht erwarten würde.“ Er nickte. „Ich hab von meinem Cousin gelernt. Er interessiert sich sehr dafür. Und Latein ist Pflicht als Archäologe. Du weißt ja wie ähnlich so Sprachen wie italienisch und spanisch da sind.“ Wieder nickte Marion. Ihr brannte eine Frage auf der Zunge, aber sie fand es noch zu früh und wohl auch zu aufdringlich, sie zu stellen. Stattdessen versuchte sie, wieder auf die Veveri zu sprechen zu kommen. „Wären wir denn überhaupt interessant für dich? Du hast ja gesehen, wie wir spielen. Das ist wohl weit unter deinem Niveau.“ Robin sah wieder auf den Boden und kickte weiter Kiesel durch die Gegend. „Ja, vielleicht. Ich könnte euch etwas beibringen. Das Team gibt’s noch nicht lange oder?“ „Seit immerhin sechs Jahren“, widersprach Marion und merkte, worauf er hinaus wollte. „Also habt ihr seit sechs Jahren keine großen Fortschritte gemacht?“, wollte er wissen. „Ich bin erst seit einigen Wochen hier, ich weiß es nicht“, gestand sie. „Aber ich weiß, dass sie einiges auf dem Kasten haben. Sie hatten nur noch nicht viele Gelegenheiten, es zu zeigen.“ Robin seufzte und ging einen Schritt zurück. „Ich überlege es mir, okay? Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und joggte weiter am Strand entlang. Marion schnaufte. Auch wenn Robin im Grunde Recht hatte, war es nicht schön, so etwas von einem Fremden zu hören. Die Sydney Rangers waren sicher viel besser ausgerüstet und hatten bestimmt auch einen vernünftigen Trainer gehabt. „Ach, scheiß Geld!“, fluchte sie leise und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)