Leuchtende Schatten von ReWeJuIs ================================================================================ Kapitel 11: Die Ausfahrt ------------------------ Sebastian Es ist Sonntagmittag, genau fünf Minuten vor zwölf und ich klopfe schwungvoll gegen die hölzerne Eingangstür des ‚Bloody Diamond‘. Es dauert eine ganze Zeit, bis sich die Türe öffnet und eine junge Frau mit warmen braunen Augen und einer hoffnungslos verwuschelten, blonden Mähne ihren Kopf nach draußen steckt. „Ja bitte? Was wünschen Sie?“, fragt sie mit einem freundlichen Lächeln und auch wenn sie auf mich einen sehr netten Eindruck macht bezweifle ich stark, dass sie eine von den Huren ist, die man hier im Bordell buchen kann. „Ich möchte gerne zu Ciel. Ich habe eine… Verabredung mit ihm“, erkläre ich mit einem ebenso freundlichen Lächeln und warte, dass sie mich eintreten lässt. Allerdings blockiert sie weiter die Tür und verzieht dann ihr rundes Gesicht zu einem entschuldigenden Lächeln. „Tut mir leid mein Herr, aber das Haus hat für Besucher erst ab fünfzehn Uhr geöff-“ „Nein, nein Miss Rutherford, das ist schon in Ordnung. Mr. Michaelis darf eintreten“, mischt sich eine Stimme aus dem Hintergrund ein, die ich mühelos als die von Madame Red erkenne. „Oh, verzeihen Sie, das wusste ich nicht!“, entschuldigt sich die junge Frau, öffnet die Tür und zieht sich dann zurück, als die Madame mit wehenden Röcken auf mich zu schwebt. „Mr. Michaelis, es ist mir eine wahre Freude Euch wiederzusehen!“, erklärt sie und hält mir ihre Hand hin. Mit einem spöttischen Lächeln verbeuge ich mich vor ihr und hauche einen Kuss auf ihren Handrücken, worauf hin sie verzückt aufseufzt. „Die Freude ist ganz meinerseits. Ist Ciel bereit? Ich möchte sofort aufbrechen, unsere Zeit ist begrenzt“, entgegne ich und sehe belustigt, wie sich ihr Lächeln verfinstert. Es passt ihr wirklich gar nicht, dass ich mich für den Kleinen mehr interessiere als für sie. „Es ist nämlich so Madame, ich möchte gerne pünktlich wieder vor Ort sein, damit ich mich anschließend bei Euch für Eure Großzügigkeit mir gegenüber gebührend bedanken kann“, schnurre ich ihr ins Ohr und sofort strahlt sie über das ganze Gesicht. „Ich werde ihn sofort holen gehen Mylord, einen Augenblick!“ Und schon ist sie die Treppe hinauf verschwunden. Frauen sind so leicht zu durchschauen, und je eifersüchtiger sie ist, und je mehr sie es an Ciel auslässt, desto schneller wird er sich in meine Arme flüchten. Des Weiteren erscheint mir auch die Seele der Madame immer schmackhafter. Sie leidet unter der Zuneigung, die ich Ciel offen entgegenbringe. Sie hat in ihrem Leben noch nicht viel, oder auch gar keine Liebe erfahren. Nicht, dass sie die von mir bekommen würde, aber ich weiß, dass ich auf Frauen diese ganz spezielle Wirkung habe. Sie spüren die Dunkelheit in mir. Sie fühlen sich davon angezogen wie die Motte vom Licht, wissen im Prinzip, dass sie sich an mir nur verbrennen werden, aber das hält sie nicht davon ab sich mir scharenweise zu Füßen zu legen. Ciel wird der Hauptgang und wer weiß, vielleicht gibt Madame Red ja ein ganz annehmbares Dessert ab? Meine Gedanken werden von den Schritten, die sich mir über die Treppe nähern, unterbrochen. Da ist er, mein kleiner Ciel. Ich nehme an, er musste sich noch umziehen, da ich mir nicht vorstellen kann, dass er tatsächlich in einer knielangen, graubraun karierten Hose, einem dunkelbraunem kurzen Hemd und schwarzen Kniestrümpfen, sowie schwarzen Schnallenschuhen auf mich in seinem Zimmer gewartet hat. Er sieht erstaunlicherweise gar nicht mehr aus, wie ein Freudenmädchen, eher wie ein junger Halbwüchsiger, der gerade auf dem Weg zu seinem ersten Jahr auf der Universität ist. Das gefällt mir. „Schönen guten Tag, Mr. Michaelis“, begrüßt er mich mit einem verhaltenen, aber doch dezent koketten Lächeln und sinkt in einen tiefen Knicks. Doch noch eine Bordsteinschwalbe. Ein amüsiertes Grinsen drängt sich in meine Mundwinkel, als ich meine Hand nach ihm ausstrecke. „Genug der Förmlichkeiten Ciel, lass uns gehen! Ich habe viel vor mit dir!“ Zögernd lässt er seine Hand in meine gleiten. Das scheint ihm nichts auszumachen, das hat er schon einmal getan, also bin ich der Meinung, dass wir darauf aufbauen sollten. Unschuldige kleine Gesten, die keinen sexuellen Charakter haben und bei denen er sich langsam an mich gewöhnt. „Viel Vergnügen Ihnen beiden und dass Ihr ihn mir ja um Punkt sechs wieder hier abliefert, sonst muss ich Ihnen das extra berechnen!“, ruft uns Madame hinterher als ich Ciel zu dem schon wartenden schwarzen Zweispänner führe und zwinkert mir dann neckisch zu. Offensichtlich denkt sie diesmal an eine andere Bezahlung als an Bargeld. Ohne noch etwas zu erwidern hebe ich den Jungen hinauf in die Kutsche und springe dann mit einem Satz hinterher. Amüsiert beobachte ich ihn dabei, wie er mit andächtigen Bewegungen über das weiche Leder der Sitze streicht. „Ihr seid sehr reich Herr, oder?“, fragt er dann und wird rot. „Das könnte man so sagen Ciel. Spielt das denn eine Rolle für dich?“ „Nein, aber für Madame. Sie wird immer mehr von Euch verlangen wenn Ihr weiter meine Nähe sucht.“ Sein Blick ist ausweichend. Etwas bedrückt ihn. Gestern wollte er noch, dass ich ihm helfe seine Ängste zu besiegen, heute macht er auf mich den Eindruck als… ich kann es nicht genau bestimmen… „Aber das ist es doch was du willst, oder? Anders werde ich dir nicht helfen können Ciel, das verstehst du doch?“ „Natürlich.“ Er setzt sich und blickt auf den Boden der Kutsche. Seine Hände liegen ineinander verschlungen auf seinen Oberschenkeln. Allerdings macht er auf mich nicht den Eindruck als würde er seine Sorgen mit mir teilen wollen und da ich bereits vermute, dass sie in direktem Zusammenhang mit der Eifersucht der Madame stehen, werde ich ihn auch nicht drängen darüber zu sprechen. Verzweiflung würzt die Seele… „Wir werden einen Ausflug in den Hyde Park machen. Ich habe eine Kleinigkeit zu Essen vorbereitet und ich habe mir ein paar kleinere Übungen überlegt, wie wir deine Angst vor Nähe und Berührungen abschwächen können.“ „Warum in einen Park? Werdet Ihr Euch nicht furchtbar schämen, wenn ich inmitten anderer Menschen einen hysterischen Anfall bekomme? Man wird Euch für einen perversen Lüstling halten“, gibt er mit einem schelmischen Lächeln zu bedenken und ich weiß nicht ob ich mich freuen soll, dass er sich augenscheinlich wieder beruhigt hat, oder ob es mich traurig stimmen soll, dass das Leuchten seiner gequälten Seele für den Moment nur ein leises Schimmern ist. „Ich denke, du wirst dich im Schutz der Masse, unter den Augen der anderen Menschen, besser entspannen und dich freier bewegen, als in deinen eigenen vier Wänden, wo alles nach Sex schreit und du permanent an deine Arbeit denken musst. Ich will mich dir heute nicht als dein Kunde, sondern als dein Freund nähern. Ich werde dich über den Tag immer wieder an verschiedenen Stellen deines Körpers berühren. Mal absichtlich, mal unabsichtlich, aber keine meiner Berührungen wird darauf abzielen mir sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Ich werde-“ „Verzeiht, dass ich Euch unterbreche Herr, aber Ihr habt für diesen Nachmittag 5000 Pfund bezahlt! Es leuchtet mir nicht ein warum Ihr das tun solltet, wenn für Euch nichts dabei herausspringt? Was versprecht Ihr Euch davon? Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Ihr mir helfen wollt, aber Ihr müsst nicht so weit gehen und Euer eigenes Vergnügen so weit hinten anstellen“, unterbricht er mich, und verleitet mich zu einem leisen Lachen. Was für ein merkwürdiges Kind… Will sich nicht anfassen lassen, erbittet Hilfe von mir und dann ist es ihm nicht Recht, wenn ich seinen Wünschen entspreche? Versteh einer die Menschen! „Nun Ciel, ich erhoffe mir einiges von diesem Vorgehen. Ich möchte dein Vertrauen gewinnen. Und das werde ich kaum bekommen, wenn ich bei jeder Gelegenheit wie ein Tier über dich herfalle, obwohl ich gestehen muss, dass ich diesen Gedanken als durchaus anregend empfinde“, gebe ich offen zu und lache laut, als er bei meinem letzten Eingeständnis seine Augen aufreißt und mich geschockt anstarrt. „Aber für den Moment bist du vor mir und meiner Gier nach dir sicher Ciel, das verspreche ich dir.“ Langsam entspannen sich seine Schultern, aber der Blick mit dem er mich mustert bleibt weiter misstrauisch. Ein wirklich kluger Junge. Holpernd fährt die Kutsche durch London und ich habe den Eindruck, dass Ciel nicht oft aus dem Bordell hinauskommt. Er sitzt mit weit aufgerissenen Augen in der Kutsche und saugt alles, was wir auf unserem Weg in den Park erblicken, in sich auf. Familien, die sich scherzend und lachend durch die Menge bewegen, die Marktschreier, die mit lauter Stimme ihre Waren anpreisen, die reich verzierten Kutschen die unseren Weg kreuzen und so vieles mehr. London ist keine schöne, und schon gar keine saubere Stadt, aber sie besitzt einen gewissen Charme, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Wenig später sind wir an unserem Ziel angelangt und ich helfe dem Jungen aus der hohen Kutsche. „Ich war noch nie in diesem Park. Glaube ich. Und wenn, dann ist es so lange her, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann“, erzählt Ciel und läuft mit großen Schritten voraus. Er mag schon sechzehn sein, ein Alter, in dem viele junge Männer schon an ihre Zukunft denken, sich in die Geschäfte der Väter einweisen lassen, oder sich ganz auf ihr Studium konzentrieren, aber er bewegt sich mit einer Unbedarftheit, wie sie eigentlich nur Kindern zu eigen ist. Als wäre die Zeit für ihn einfach stehen geblieben. Eigentlich wundert es mich nicht, denn wenn man nichts anderes kennt als jeden Tag an einem Fenster zu sitzen, in einem der schlimmsten und verruchtesten Vierteln der Stadt, wie soll man sich da normal entwickeln? Und doch hat er es fertig gebracht seine Seele so rein zu halten, ist nicht an den Schrecken seiner Vergangenheit zerbrochen und tänzelt nun anmutig vor mir über die Wiese wie ein kleines Rehkitz, das vor lauter Überschwang gar nicht weiß wohin mit seiner Freude. Strahlend dreht er sich zu mir um, breitet seine Arme aus und dreht sich im Kreis. „Gefällt es dir hier?“, frage ich und laufe ihm langsam, mit dem Korb mit unserem Picknick am Arm, hinterher. „Es ist herrlich, vielen Dank Herr!“ „Nichts zu danken. Komm, hier ist ein guter Platz.“ Lächelnd nehme ich eine rotgrün karierte Decke aus dem Korb und breite sie auf dem Rasen unter einem Baum aus. Ich weiß um die Wirkung die diese Szenerie auf Menschen hat. Sie verbinden damit Romantik und Entspannung und nichts anderes ist es, worauf ich abziele. Er soll sich wohl fühlen. Schmunzelnd klopfe ich auf den Platz neben mir und warte geduldig, bis er sich an meiner Seite auf die Knie niederlässt. „Hast du Hunger?“ TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)