Der Weg aus dem Kampf von Shirokko (Wenn Träume Berge versetzen) ================================================================================ Kapitel 39: Ist es Liebe? ------------------------- Kapitel 39 Ist es Liebe? Viele klopften Mimoun auf die Schultern, als er an ihnen vorüber kam, bis Dhaôma endlich vor ihm stand. Der Braunhaarige lächelte breit und hielt eine Erdbeere auf Mundhöhe hoch. „Unglaublich, dass sie dich sogar aus deinem Spiel holen können. Dabei hätten sie noch länger auf dich gewartet.“ Sanft, aber unnachgiebig schlossen sich starke Finger um das Handgelenk des Magiers, um dieses daran zu hindern, mit der Frucht zwischen den Fingern wieder zu verschwinden. Ebenso vorsichtig packte der Geflügelte mit den Zähnen die Erdbeere und ließ sie mit einem kurzen Zurücklegen des Kopfes in seinem Mund verschwinden, bevor er sich daran machte, mit vorwitziger Zunge die Finger des Magiers von den Spuren des Geschmacks der kleinen roten Früchte zu befreien. Mit forderndem Blick leckte er sich zum Abschluss selbst noch einmal die Lippen. Es war, als kehre in Dhaôma endlich wieder Frieden ein. Die sanften Lippen kribbelten leicht an seinen Fingern und Mimouns Gesicht machte ihn froh. Glücklich hob er die zweite Hand, um zu zeigen, dass er noch mehr hatte. Einen Meter weiter stöhnte Amar bei dem Anblick auf. Ja, er hatte sich daran gewöhnt, wie die beiden miteinander flirteten, aber es nervte ihn. Weil er da nicht dazwischenfunken konnte. Nämlich weil er sich nicht traute. Da war etwas, dass es ihm unmöglich machte. Auch andere begannen zu tuscheln und zu kichern. Längst war es kein Geheimnis mehr, wie die zwei seltsamen Jungen einander zugetan waren, und wie naiv sie waren, weil es ihnen nicht auffiel. Misstrauisch beäugte Mimoun die wenigen Früchte, die ihm dargeboten wurden. „Waren das nicht bedeutend mehr, bevor wir zur Jagd aufgebrochen sind?“ Er näherte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter dem des Magiers. „Hast du etwa schon wieder genascht?“ „Nein, würde ich nie wagen.“, lachte Dhaôma. „Die anderen sind noch im Haus, wenn sie dort keiner gegessen hat.“ „Nah.“ Der junge Geflügelte lehnte sich abschätzig und mit verschränkten Armen zurück. „Ob ich dir das glauben kann?“ Nach einigen Momenten schnellte seine Hand vor, griff sich eine weitere Erdbeere und ließ sie verschwinden. Sein Gesicht zeigte dabei noch immer diesen abschätzig-misstrauischen Ausdruck. „Du kannst nicht mehr kosten, oder? Du schmeckst schon nach Erdbeere, da wirst du das kaum differenzieren können.“, gab der Braunhaarige zu bedenken. „Also wirst du meinem Wort Glauben schenken müssen.“ „Würdest du es wirklich allen Ernstes wagen, mich anzulügen?“ Erneut löste sich eine Hand von dem Armknäuel auf seiner Brust. Aber nicht die Erdbeeren waren ihr Ziel. Der Zeigefinger, eher nur die Spitze seines Fingernagels, fuhr hauchzart über den Hals seines Freundes, wanderte höher und verharrte schließlich am Kinn, drückte leicht nach oben. Jetzt war Dhaôma verunsichert. Er verstand nicht, was Mimoun ihm zu sagen versuchte. „Ich hätte keinen Grund dafür.“, zuckte er arglos mit den Schultern. Um sie herum war Stille eingekehrt. Das, was man dort jetzt sah, passte nicht zu dem sonstigen Geplänkel, das die beiden an den Tag legten. Mimouns Haltung war beinahe bedrohlich. Warum konnte Dhaôma das nicht sehen? Oder vertraute er ihm soweit, dass er keine Angst zu haben brauchte? Fühlte er etwa nicht die erotische Spannung? Kurz wartete Mimoun ab, dann wandte er sich ab. „Bah. Mit dir kann man wirklich keine Späße treiben.“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, löste sie jedoch schnell wieder. Eine der Früchte schob er sich selbst in den Mund. Eine weitere hielt er an Dhaômas Lippen. Dieser nahm sie ohne zu zögern. „Wenn du wirklich dieser Meinung wärst, würdest du es nicht immer wieder versuchen, oder?“, gab er zurück, als er geschluckt hatte. „Du gehst aber nicht entsprechend darauf ein.“, maulte er gespielt beleidigt. „Oder hast du etwa Angst zu verlieren?“ Erneut lehnte er sich vor, diesmal ein spitzbübisches Grinsen auf den Lippen. Nachdenklich betrachtete der Braunhaarige seinen Freund. Er sollte darauf eingehen. Würde er machen. „Was willst du, das ich tue? Möchtest du, dass ich dich belüge?“ „Tse. Was hätte ich denn davon? Ein wenig flunkern, ein wenig reizen reicht doch schon. Außerdem kommt der Spaß abhanden, wenn ich dir vorher sagen muss, wie du reagieren sollst.“ Ausgelassen hüpfte er ein wenig herum. „Einfach mal schauen, wohin es sich entwickelt, Grenzen austesten.“ Dhaôma betrachtete ihn lächelnd, aber innerlich wusste er, dass er das nicht erfüllen konnte. Er wusste einfach nicht, wie man mit anderen Grenzen austestete, ohne dabei in die Vollen zu gehen. Das hatten ihm auch die Kinder schon vorgeworfen, dass er zu ernst wäre. Seufzend schüttelte er den Kopf. „Ich will mich nicht mit dir streiten. Auch nicht aus Spaß.“ Ohne Vorwarnung, ohne ihm eine Chance zur Reaktion zu lassen, schlang Mimoun seine Arme um Dhaôma und drückte ihn fest an sich. „Du bist viel zu lieb für diese Welt.“, flüsterte er ihm ins Ohr. Der Geflügelte lockerte seinen Griff ein wenig, um dem Magier keine Schmerzen zuzufügen, doch er schien nicht gewillt zu sein, ihn loszulassen. Gerade noch erschrocken, begann Dhaôma nun zu kichern. „Du musst grad reden.“, gab er zurück und wuschelte durch die schwarzen Strubbeln. „Du…“ „Jetzt reicht’s mir aber!“, fauchte da Amar. „Ihr seid so irritierend! Wie kann man nur so vernarrt ineinander sein, ohne je zu begreifen, dass man einander liebt?!“ Das brachte Dhaôma erst recht zum Lachen. „Aber ich liebe ihn doch.“ Amar starrte ihn an. Sein Mund öffnete sich. Schloss sich. „Du…“ Und wieder hatte er den Faden verloren. „Haben wir je behauptet, dass es anders wäre?“, mischte sich Mimoun verdutzt ein, der sich halb von seinem Freund gelöst hatte. Er sah nicht, wie Asam sich verzweifelt-amüsiert grinsend den Nacken rieb und Leoni sich kichernd abwandte. Auch entging ihm, dass einige in der Menge sich auf den Finger bissen, um nicht loszuprusten. Dieses Kind hatte mehr verstanden als die beiden jungen Erwachsenen, die es nicht einmal jetzt richtig zu begreifen schienen, obwohl man es ihnen ins Gesicht sagte. Der Kleine starrte Mimoun an, dann wechselte sein Blick zu Dhaôma. „Ihr…“ Er holte tief Luft. „Ihr verhaltet euch genauso peinlich wie Asam und Leoni!“, rief er laut. Seine Wangen brannten, ob vor Wut oder Scham konnte er selbst nicht sagen. Hinter ihm entgleisten Asams Gesichtszüge und während er sich bei seiner Frau davon überzeugte, dass er sich eben nicht peinlich verhielt, setzte Amar noch einen drauf: „Als hättet ihr den Lebensbund eingegangen!“ Die zu Fäusten geballten Hände zitterten. Das wischte Dhaômas Lächeln beiseite. Vorsichtig machte er sich los. „Was ist so schlimm daran? Ich zeige den Menschen, die ich gern habe, gerne, wie ich für sie empfinde. Und wenn er es wäre, hätte ich auch keine Probleme, einen solchen Bund einzugehen.“ Völlig überfordert mit der Situation ließ Mimoun seinen Freund gewähren. Kamen sie wirklich so herüber, wirkten sie so auf andere? Der Gedanke war ihm peinlich und er konnte nicht verhindern, dass sein Gesicht anfing zu glühen. Sein Blick glitt nun bewusst durch die Menge. An den aufmerksamen Blicken und gespannten Gesichtern war deutlich abzulesen, dass auch ihnen diese Beziehung nicht entgangen war. Nur war dieses Kind der einzige gewesen, der sich getraut hatte, die zwei Freunde darauf hinzuweisen. Mimoun wandte seine Aufmerksamkeit wieder Dhaôma und Amar zu. Ihm entging der letzte Satz seines Freundes nicht. Diesem schien dieser Gedanke nichts auszumachen. Doch was war mit dem Geflügelten selbst? Was war der Magier für ihn? Er war ihm sehr wichtig, das stand schon lange fest. Aber wie weit reichte dieses Gefühl? Amar starrte Dhaôma noch einige Zeit an, dann seufzte er tief, schlang seine Arme um den Hals seines Freundes und murmelte eine Entschuldigung. Es tat ihm Leid, aus der Haut gefahren zu sein. „Macht nichts.“ Vergebend wuschelte Dhaôma durch das helle Haar. Und dann flüsterte er ihm ins Ohr: „Denkst du nicht, es ist eine Begabung, dass man sein kann, wie man will, ohne davon beeinflusst zu werden, was andere über dich denken mögen? Du solltest stolz auf Asam sein.“ Leicht klopfte er ihm auf die Schulter, während er sich erhob. „Also dann. Was nun?“ Ratlos zuckte Mimoun mit den Schultern. Er versuchte sich sein Gedankenchaos nicht anmerken zu lassen. Eine Bewegung an seiner Seite sorgte dafür, dass sein Blick nicht mehr auf den Magier fixiert war. „Hier.“, meinte Addar. Er hielt dem jungen Mann einen kleinen Zettel hin. „Das hat mir Kaley für dich mitgegeben. Ich hab es in der ganzen Aufregung verpasst.“ Zögerlich nahm Mimoun den Zettel entgegen und faltete ihn auseinander. Was er las, ließ ihn kurz auflachen. „Es kommt immer alles auf einen Schlag.“, stellte er fest und knüllte den Zettel energisch zusammen. Dhaôma ließ sich breitschlagen, mit den Kindern spielen zu gehen. Sie waren einfach sehr überzeugend, denn der Kampf zwischen Mimoun und Asam hatte ihre Fantasie beflügelt. Der Magier war da eine willkommene Beute. Auch sonst zerstreute sich die Menge, um die Arbeiten des Tages zu beenden, damit der nächste Tag ohne Rückschuld beginnen konnte. Mimouns Blick schweifte über die Insel, aber nichts von dem, was es zu tun gab, reizte ihn dazu, sich zu beteiligen. Und so zog sich Mimoun auf eine Häuserecke zurück, von der aus er Dhaôma und die Kinder gut im Blick hatte. Es war einfach herzerwärmend zu sehen, wie der Magier aufblühte in Gegenwart der kleinen Blagen. „Herrje. Das war heute aber ein chaotischer Tag.“ Aus seinen Betrachtungen gerissen, sah Mimoun sich um. Leoni stand zu seinen Füßen und hielt zwei Bündel in der Hand. Bevor er zu ihr hinab konnte, flatterte sie ihm schon entgegen. Hilfsbereit streckte der junge Geflügelte die Arme aus und nahm ihr den dickeren Deckenstapel ab. Besorgt sah er auf das helle Gesichtchen, das ihm daraus aufmerksam entgegenlugte, bevor es versuchte, etwas von der Umgebung zu sehen. „Ist es nicht riskant, sie nach draußen in die Kälte zu bringen?“ Vorsichtig ließ sich Leoni neben ihm nieder und balancierte sich seitlich aus. „Deswegen ist die Kleine ja dick eingepackt. Es ist ja nicht für lange. Und schließlich brauchen die zwei Süßen auch ab und zu frische Luft.“ Mit einem Nicken, das anzeigen sollte, dass er verstanden hatte, wandte sich Mimoun wieder Fiamma zu. Da sie deutlich anzeigte, dass sie mit ihrer momentanen Position nicht einverstanden war, setzte er sie sich auf den Schoß, so dass auch sie das Dorf überblicken konnte. Das schien ihr schon eher zuzusagen. Obwohl er den Winzling zur Aufsicht hatte, dauerte es nicht lange und seine Aufmerksamkeit war wieder woanders. Dennoch streichelte er geistesabwesend über die Decken, die die Kleine warm halten sollten. Leonis Kichern holte ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück. „Denkst du über das nach, was Amar vorhin gesagt hat?“ Sie brauchte keine Bestätigung. Seine Gesichtsfärbung war ihr Antwort genug. „Ist dir vorher wirklich noch nie bewusst geworden, dass du ihn liebst?“ Mimoun sah nachdenklich zu dem Magier hinüber. „Ich weiß nicht, was Liebe ist.“, entgegnete er leise. Kurz vergrub er seine Nase in den Decken, bevor er sich aufmerksam seiner Gesprächspartnerin zuwandte. „Wie erkennt man, dass man verliebt ist?“ Ein wenig verdutzt, schwieg die junge Mutter einige Momente. Dass der Junge vor ihr solch eine Frage stellen würde, kam ein wenig überraschend für sie. „Was denkst du denn? Was empfindest du, wenn du ihn siehst?“, wich sie einer direkten Antwort aus. Wieder vergingen einige Minuten in Stille, bis schließlich eine zögerliche Antwort kam. „Ich bin glücklich, wenn er in meiner Nähe ist. Ist er nicht da, beherrscht er fast immer meine Gedanken. Meistens frag ich mich, was er gerade tut oder wie es ihm geht. Und ich will ihn beschützen. Mit allem was ich habe.“ „Ist das nicht die Antwort, die du gesucht hast?“ „Möglich.“ Kichernd lehnte sie sich vor und strich ihm einige Fransen hinter das Ohr, was er still über sich ergehen ließ. „Aber es scheint dich nicht zufrieden zu stellen.“, stellte sie fest. Sein Blick war wieder stumm auf den Magier gerichtet. „Du solltest mit ihm darüber reden, sonst machst du dich auf Dauer selbst kaputt.“ Hektisch schüttelte der junge Geflügelte den Kopf. „Niemals!“ Verwundert runzelte sie die Stirn und setzte bereits zu einer Erwiderung an, als Mimoun weiter sprach. „Wenn er es wäre…“, zitierte er Dhaômas Antwort für Amar, das letzte Wort deutlich betonend. Erneut ein Kopfschütteln. „Ich bin es nicht. Und würde ich ihm etwas in der Richtung sagen, würde er sich darauf einlassen, nur damit ich nicht verletzt werde. Er nimmt doch nie Rücksicht auf sich. Das will ich nicht.“ Leoni lächelte verständnisvoll. Was Mimoun sagte, klang nachvollziehbar, auch wenn sie die Betonung ein wenig anders verstanden hatte. „Aber du solltest dennoch mit ihm darüber reden. Er würde es wissen wollen.“ „Ich bin zufrieden.“, erwiderte der Schwarzhaarige ebenfalls lächelnd. „Es genügt mir, wenn ich weiterhin an seiner Seite sein kann.“ „Auch auf Dauer?“, fragte sie skeptisch nach. „Das wird die Zeit zeigen.“, wich er auch dieses Mal einer direkten Antwort aus. Fiamma begann sich zu regen. Sie hatte eines ihrer Ärmchen aus dem Wust befreit und fuchtelte damit in Dhaômas Richtung. Mimoun lachte. „Entschuldige. Aber es scheint so, als wollte sie woanders hin.“ Leoni schenkte ihm einen nachdenklichen Blick, der zeigte, dass für sie dieses Thema nicht beendet wäre, dennoch entließ sie ihn schließlich mit einem Nicken. „Lasst sie wirklich nicht lange draußen.“, kam sie auf ihr Anfangsthema zurück. Mimoun ließ sich auf den Boden schweben und streunte auf Dhaôma zu. „Mama wird gebraucht.“, rief er laut, um den Lärm der Kinder zu übertönen. Er spielte auf Amars Bemerkung an, als die Kleine auf der Insel ankam. Die Kinder übernahmen diese Bezeichnung sofort. „Mama! Mama!“ rufend kamen sie alle zusammen zu einem aus diesem Grunde hochroten Dhaôma, der Mimoun verzweifelt-vorwurfsvoll ansah. Das Gelächter der Kinder hallte über die ganze Insel. „Mimoun. Warum?“, jammerte er. Und dennoch war alle Scham vergessen, als Fiamma quietschte und ihre Ärmchen nach ihm ausstreckte. „Winzling!“, lächelte er und kam zu seinem Freund, der sie hielt. Liebevoll beugte er sich über sie und sie griff augenblicklich nach seinen Haaren. „Na, gehst du mit Mimoun spazieren?“ „Warum?“, hakte Mimoun der Frage noch mal nach, hatte aber auch gleich eine Antwort parat. „Na, weil’s Spaß macht.“ „Dir vielleicht. Und ihnen. Und ich werde als Mädchen bezeichnet. Schlimmer noch, als Mutter!“ „Ja.“ Amar stand neben ihnen und blickte scheel zu ihm hinauf. „Du benimmst dich aber auch genauso.“, antwortete er trocken. „Als wärst du wirklich ihre Mutter.“ Sprachlos starrte Dhaôma ihn an. Was war das gewesen? War er wirklich wie eine Mutter? Etwa wie Leoni? Oder wie seine eigene? Mit einem Ruck holte Fiamma ihn zurück in die Wirklichkeit, als sie versuchte, seine Haare in ihren Mund zu befördern. „Na.“ Mimoun zog an dem Objekt ihrer Begierde. „Er wird nicht angesabbert. Nachher kommt er wieder auf die dumme Idee, bei den Temperaturen schwimmen zu gehen.“ Ihm war der Blick Dhaômas nicht entgangen, er wusste ihn nur nicht recht zu deuten. „Das muss ich sowieso langsam mal wieder tun.“ Der Braunhaarige seufzte tief. Er hatte es so lange hinausgezögert wie er konnte, aber irgendwann musste er es wieder tun. Aber eigentlich hatte er gehofft, er könnte das später machen, wenn sie wieder unten waren, wenn die Sonne genug Kraft hatte, den von der Erde erwärmten Wind dabei zu unterstützen, ihn zu trocknen. Wieder seufzte er. „Wenn du nur schon deine Kräfte nutzen könntest.“, murmelte er und griff ihr gerecktes Händchen. Offenbar war sie auch damit zufrieden, denn ihr jammervolles Gesicht begann wieder zu strahlen. „Dann müsstest du auch nicht ständig so dick eingepackt sein und könntest einfach so hier draußen sein.“ „Geduld.“, mahnte Mimoun. Er griff um, weil sie mit den ganzen Decken unhandlich war. „Sie wird es schon noch früh genug lernen. Ach herrje.“ Dhaômas Anziehungskraft wirkte wohl auch schon bei so kleinen Winzlingen, wenn allein seine bloße Berührung dafür sorgte, dass sie wieder glücklich war. „Wir werden nie weg kommen, wenn Winzling weint, sobald du weg bist.“ Entsetzt zuckte Dhaômas Kopf hoch. „Was sagst du da? Sie weint, wenn ich weg bin?“ Mimoun konnte nicht anders. Er lachte lauthals los. Sein Magier war aber auch zu niedlich manchmal. „Komm schon. Wenn es so wäre, könntest du dich doch keine zwei Meter von ihr entfernen, ohne dass sie anfängt mit plärren. Aber ihr wird wahrscheinlich ihr Lieblingsspielzeug fehlen.“ Nun griff er nach den Haaren des Magiers und ließ sie zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. „Ai.“ Verstehend nickte der junge Mann und schüttelte dann lächelnd den Kopf. „Ich habe mit Amar und Mimoun ausgemacht, dass ich sie behalte, also wirst du darauf verzichten müssen. Außerdem ist es nicht gesund, das zu essen.“ Ein scharfer Wind kam auf und lüftete Kleider und Haare und zerrte an den Flügeln der Hanebito. Die Kinder fanden das lustig und ließen sich vom Wind in die Luft tragen, indem sie den Winkel ihrer Flügel änderten. Gerade die ungeübten Kinder hüpften immer wieder ein wenig hoch, um einige Schritte weit getragen zu werden. Mimoun, Dhaôma und die kleine Magierin waren augenblicklich uninteressant. Kichernd suchte jener Schutz bei seinem Hanebito und kuschelte sich an die beiden. „Was meinst du, vielleicht sollte ich das ausbauen, was mir die Wettermagie mitgegeben hat. Lernen, den Wind zu beherrschen. Das wäre sicherlich praktisch, wenn du mich immer schleppen musst.“ „Das wäre nicht nur praktisch, sondern ausgesprochen fantastisch. Dann brauch ich nicht unser Gepäck zusätzlich schleppen.“ Sein Blick war den spielenden und jauchzenden Kindern gefolgt. Zu gerne hätte auch er diesen Wind genutzt. Leider konnte er seine beiden Magier nicht einfach den Naturgewalten überlassen. Kaum hatte sich Dhaôma an ihn gekuschelt, spannte er seine Flügel, um ihn vor dem Wind zu schützen, versperrte ihm so zumindest die Sicht auf die tobende Brut. Auch schlang der junge Geflügelte einen Arm um seinen Freund, stemmte ihn für einige Augenblicke und nur wenige Zentimeter in die Höhe. „Du hast nämlich nicht gerade wenig auf den Rippen.“ Wie zur Bestätigung bohrte er seinen Finger auf Höhe der untersten Rippe in den Poncho. „Ich werde trotzdem nicht alleine fliegen können. Genauso wenig wie das Gepäck.“, schmunzelte Dhaôma und versuchte den bohrenden Fingern auszuweichen. Letztendlich entschloss er sich, die Hände einzufangen. „Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch nicht, wie ich das machen sollte. Du könntest mich mal hinauftragen und fallen lassen oder so.“ Blankes Entsetzen ergriff den jungen Geflügelten allein bei dem Gedanken an diese Tat. „Das ist jetzt nicht dein Ernst?“, hakte er schärfer als nötig nach. „Das ist nicht wirklich das, worum du mich bitten würdest?“ „Nein, nein.“, beruhigte Dhaôma seinen Freund und streichelte sanft seinen Nacken. „Ich weiß ja nicht, ob es was bringt oder ob ich es überhaupt schaffen könnte, mich selbst mit Wind abzufangen. Außerdem müssten wir doch damit rechnen, dass die Magie wild wird und das wäre nun gar nicht im Sinne der Übung, wenn die Magie dich davon abhält, mich wieder aufzufangen.“ Plötzlich schmusig schlang er beide Arme um seinen Freund und kuschelte sich an ihn. „Nein, das muss ich irgendwie anders schaffen. Ich überleg mir was.“ „Das hoffe ich für dich.“, murrte Mimoun, noch immer nicht wieder ganz beruhigt. Nur wenig später war er wieder dabei, Dhaômas Haare zu retten. „Gefährliches kleines Ding.“, lächelte er liebevoll. „Dich kann man echt keine Sekunde aus den Augen lassen.“ Es vergingen einige Augenblicke in Stille, als er schließlich fragte: „Kannst du nicht irgendwas Unwichtiges und Leichtes runterschmeißen und versuchen es wieder hoch zu holen?“ Was Unwichtiges und Leichtes hinunterwerfen… „Natürlich kann ich das versuchen.“, lächelte der Braunhaarige verschmitzt. „Und wenn ich nicht aufpasse, holen es die Kleinen wieder zurück.“ Dann seufzte er traurig. „Mir wäre es lieber, wir könnten wieder auf Reisen gehen, aber ich habe das Gefühl, als würden sie erwarten, dass wir wegen Fiamma bleiben. Und ich will sie auch nicht alleine lassen, will doch sehen, wie sie groß wird…“ Wieder fegte eine Windböe über sie hinweg und brachte den Geschmack von feuchter Luft mit sich. Bald würde es regnen. „Den Wind zu beherrschen kann ich doch auch während unserer Wanderung lernen, oder?“ Auch wenn kein Platz am Boden so nahe am Wind war wie die Inseln. „Ich würde sie auch gern aufwachsen sehen. Sie ist doch mein Winzling.“, erwiderte der junge Geflügelte und seufzte schwer. Er zog den zerknüllten Zettel hervor. „Von Kaley.“, erklärte er und zeigte ihn seinem Freund. ‚Beweg deinen Arsch’, stand dort mit großen Buchstaben. Mimouns Lächeln missglückte völlig. „Ich würde sagen, er will nicht, dass wir länger hier bleiben. Er sagte ja, er würde nicht ewig warten.“ „Das kommt uns fast zu gute.“, kicherte Dhaôma. „Wirklich Mimoun, wenn er so ist, wäre ein anderer Lehrmeister vielleicht gar nicht so schlecht. Aber er hat Recht. Wir verschwenden hier Zeit. Addar hat auch schon mal gesagt, dass ich mein Ziel zu schnell aus den Augen verliere und meine Prioritäten falsch verteile.“ Er blickte zu den spielenden Kindern und dem See. „Vielleicht sollten wir morgen weiterziehen, damit wir möglichst bald wieder zurück sein können.“ „Zumindest scheint es ihm wichtig zu sein. Sonst würde er nicht so darauf drängen.“, gab Mimoun zurück. „Und andere haben nicht das Recht uns vorzuschreiben, wo unsere Prioritäten zu liegen haben.“ Erneut entschlüpfte ihm ein tiefer Seufzer und er hob Fiamma höher, um sein Gesicht in ihren Decken zu vergraben. „Aber sie haben Recht. Es geht nicht mehr nur um uns und die Suche nach Drachen. Das, was wir geplant haben, betrifft nun alle.“ Der junge Geflügelte wandte sich um und strebte der Hütte zu. Er befand, dass sein Winzling genug frische Luft gehabt hatte. „Wir gehen morgen.“, bestimmte er. „Je länger wir warten würden, desto schwerer würden wir uns von ihr trennen können. Und sie ist ja nun in Sicherheit in einer liebevollen Familie.“ Dhaôma nickte und folgte ihm schnell, so dass sie nebeneinander laufen konnten. Asam, Addar und Leoni reagierten auf die Nachricht gelassen. Und als Janna später kam, lächelte sie und packte den beiden einen Proviantbeutel, da ihre Sachen ja schon länger nicht mehr bei ihnen waren. „Es ist schade, dass ihr gehen wollt, aber andererseits auch gut zu wissen, dass ihr eurem Ziel ein wenig näher kommt.“ Amar und seine beiden Cousinen waren da nicht ganz so glücklich und leicht zu beruhigen. Sie jammerten und flehten, sie sollen noch einen Tag länger bleiben, aber keiner der beiden ließ sich erweichen. Mitten in der Nacht stahl sich Dhaôma dann hinaus, nachdem er Fiamma in die Arme seines Freundes verfrachtet hatte. Es war seine letzte Chance, den Wind hier oben zu spüren und er wollte doch Mimoun helfen, wenn sie irgendwann fliegen mussten. Und nachts waren da weniger Störfaktoren. Mit geschlossenen Augen stellte er sich ganz an den Rand der Insel und stellte sich auf den Wind ein, spürte dem Gefühl nach, wie der böige Wind an seinen Kleidern zerrte und wie er seine Haare zauste. Jeder Veränderung versuchte er nachzuempfinden, was ihm zu Anfang überhaupt nicht gelingen wollte. Nach ein paar Stunden jedoch konnte er langsam aber sicher verstehen, warum die Hanebito den Wind so gerne mochten. Im Gegensatz zu seinen Vermutungen war Wind nicht unvorhersehbar. Er kam immer in den gleichen Bahnen und je nach Geschwindigkeit und Winkel verhielt er sich ein bisschen anders, so dass man ihn sogar bis zu einem gewissen Grade voraussehen konnte – vorausgesetzt, man hatte mehr Übung. Aber trotz dieser Erkenntnis konnte er keine Magie initiieren. Frustriert begab er sich schließlich wieder ins Bett, kuschelte sich an Mimoun, um sich aufzuwärmen, und hoffte, dass er ihn damit nicht weckte. Nur am Rande seines Bewusstseins bekam der junge Geflügelte mit, dass Dhaôma hinausging. Er schrieb dem keine große Bedeutung zu und dämmerte schnell wieder ein, Fiamma dicht an sich gezogen. Ein winziger Teil von ihm blieb jedoch wach und wartete auf die Rückkehr des Magiers, die ausblieb. Zwar protestierte das kleine Stimmchen, aber es war zu schwach, um Mimoun aus seinem wohligen Dämmerzustand zu reißen. Erst als sein Freund wieder zu ihm unter die Decken schlüpfte, beruhigte sich auch dieser Teil wieder. Nur wurde der Rest von ihm schlagartig wach, als er die Kälte spürte, die Dhaôma mit herein brachte. „Alles okay?“, hakte er leise nach und schob das friedlich schlummernde Baby ein wenig zur Seite, um seinem Freund vollen Körperkontakt und damit maximale Wärmezufuhr zu ermöglichen. „Ja, alles okay.“ Schmusig kuschelte er sich an die Wärmequelle, mit der auch gleich noch die Müdigkeit zunahm. „Ich hatte vergessen, dass ich die Drachen eigentlich gesucht habe, um frei fliegen zu können, aber ich denke, das wird wieder mein vorrangiges Ziel. Es muss einfach ein wundervolles Gefühl sein, auf dem Wind zu reiten, frei von jeglicher Einengung.“, murmelte er. Beinahe befand er sich schon im Traumland. Sofort saß Mimoun senkrecht in den Fellen und sah misstrauisch auf seinen Freund hinab. „Sag mir jetzt nicht, du bist gerade dort draußen von der Insel gesprungen. Du sollst solchen Blödsinn doch nicht machen, wenn ich nicht da bin, um dich zu beschützen. Eigentlich sollst du solchen Blödsinn gar nicht machen.“ „Ich bin nirgendwo herunter gesprungen.“ Der Ruck des Aufsetzens hatte Dhaôma wieder ein wenig aufgeweckt. „Ich wollte nur wissen, wie der Wind sich anfühlt, wenn man nichts sehen kann.“ Sanft zog er an Mimouns Schulter, um ihn wieder zum Liegen zu bewegen. „Dummkopf.“, murmelte MImoun, als er dem Zug widerstrebend folgte. „Und dafür musst du mitten in der Nacht nach draußen? Konntest du dir keine bessere Zeit dafür suchen?“ Sanft schlang er seinen Arm um Dhaôma und deckte ihn zusätzlich mit einem Flügel zu. „Nein.“, gähnte der Braunhaarige. „Denn dann sind Kinder da, die spielen wollen und die Konzentration beeinträchtigen.“ Mit einem weichen Seufzen entspannte er sich endgültig und schlief ein. Ein leises Kichern entfuhr ihm. Wenn er die halbe Nacht wach war und draußen rumstromerte, war es kein Wunder, dass der Magier so schnell wieder eingeschlafen war. Leise zog er Fiamma wieder in ihre Mitte, überzeugte sich noch einmal davon, dass seine Magier schliefen und gut zugedeckt waren, und dämmerte schlussendlich ebenfalls weg. An diesem Morgen war er noch zeitiger wach als sein Winzling. Er wusste, dass Dhaôma zu wenig geschlafen hatte und wollte ihm noch so viel Ruhe wie möglich geben. Vorsichtig befreite er sie aus Dhaômas Umarmung, legte noch einige Felle über ihn, um den Wärmequellenverlust auszugleichen und schlich sich nach draußen. Im Vorraum beobachtete er das Baby beim Schlafen, später beim Aufwachen. Es war richtig niedlich, wie sie in die Welt blinzelte, noch nicht richtig wach, und noch zu überlegen schien, ob Weinen nun angebracht wäre. Als hätte sie ein Gespür für so etwas entwickelt, erschien Leoni nur wenige Augenblicke später mit Seren im Vorraum. Verwundert schaute sie zu ihm hinüber. „Schon wach?“ Sie sah auf das Baby. „So früh schon quengelig?“ Lächelnd schüttelte Mimoun den Kopf. „Ich wollte nur verhindern, dass Dhaôma erwacht, wenn sie richtig loslegt. Er hat kaum geschlafen.“ Leonis Blick zeigte, dass sie gewillt war, das Gespräch vom Nachmittag fortzusetzen. Hierzu bestand aber bei Mimoun kein Bedarf. Schnell drückte er ihr auch noch Fiamma mit in den Arm und machte sich daran, das Frühstück vorzubereiten. Obwohl er damit noch immer im selben Raum war, hatte er wenigstens nicht mehr direktem Kontakt zu ihr. „Denkst du wirklich, es ist okay, die Situation so zu belassen, wie sie gerade ist?“ Abrupt wandte er sich der jungen Mutter zu. „Bitte, Leoni. Ich sagte doch schon, es ist okay so. Es macht es nicht besser, wenn du darin herumwühlst. Ehrlich gesagt, wünsche ich mir, Amar hätte den Mund gehalten und ich müsste nun nicht versuchen, mir über meine Gefühle klar zu werden.“ Wieder wandte er sich seiner momentanen Aufgabe zu. „Und ich möchte nicht darüber reden. Akzeptiere das bitte.“ Ihr mildes Lächeln entging ihm dabei völlig. „Na gut. Dann reden wir eben darüber, wenn ihr das nächste Mal hier her kommt.“ Erneut sah MImoun zu ihr hinüber, doch nun hatte sie sich abgewandt und versorgte die Babys. Der Junge seufzte schwer. Besser, er schwieg dazu. Mit der Zeit trudelte die komplette Familie ein. Amar wollte zu Dhaôma in den Raum hineinschießen, ihn wecken, wurde aber von einem warnenden Knurren Mimouns zurückgehalten. Sobald es auch nur ansatzweise lauter wurde, bat er um ein wenig mehr Ruhe. Erst als alle anderen anwesend waren, erhob er sich und schlich in den kleinen Raum, Amar dicht hinter sich. „Hey. Wach auf. Alle warten.“, flüsterte Mimoun leise und strich seinem Freund vorsichtig einige Haare aus dem Gesicht. „Worauf denn?“, murrte Dhaôma und drehte sich zu seinem Freund um. Seine Augen waren so schwer, dass er sie kaum aufbekam. „Und warum so früh?“ „Weil es Frühstück gibt und alle nur noch auf dich warten.“, kicherte der junge Geflügelte. „Und wenn du nicht sofort aufstehst, erteile ich Amar die Freigabe zum Wecken.“ „Ich bin schon wach.“, kam es kaum lauter von dem Braunhaarigen, als er sich aufsetzte. Die Decken rutschten von seinen Schultern und entblößten Arme und Schultern, während er sich die Augen rieb. Amar betrachtete neugierig die Zeichen auf seinem Rücken, war noch immer ruhig und wartete auf Mimouns Zeichen. Schließlich erhob sich der Braunhaarige und streckte sich. Danach war er wach. „Ich erinnere mich. Wir wollten heute ja vorwärts und gerade an so einem wichtigen Tag verschlafe ich!“ Lachend schüttelte er den Kopf und warf sich sein Oberteil über. „Wie konnte so was nur passieren!“ „Tja, wie wohl?“, fragte auch Mimoun, aber man hörte an dem Tonfall, dass er sehr genau die Ursache kannte. Er ließ seine Finger durch Amars Haare strubbeln. „Tut mir Leid. Jetzt ist er doch von alleine wach geworden.“ Er hielt für das Kind und seinen Freund die Lederplane auf und als Dhaôma an ihm vorbei ging, beugte er sich zu seinem Ohr. „Du kannst ja weiterschlafen, wenn ich dich trage.“, zwinkerte er. Lachend nickte Dhaôma, bevor er seine Gastfamilie begrüßte und sich entschuldigte, dass er verschlafen hatte. Sie zogen ihn damit auf, weil das vorher noch nie passiert war, aber als es dann hieß, Abschied zu nehmen, drückten sie ihn dann doch allesamt herzlich. Vor allem Leoni schien es schwer zu fallen, die beiden Jungen gehen zu lassen, und sie gab Mimoun noch den Rat mit auf den Weg, nicht alles alleine zu bewältigen. Danach musste auch das Dorf verabschiedet werden und es dauerte noch einmal eine Stunde, bevor sie endlich in der Luft waren, auf Kurs zu der Insel, auf der ihre Sachen lagen. Von den anderen Geflügelten hatten sie Kunde erhalten, dass der Rückweg länger dauern würde, da sich die Inseln in der Zeit ein wenig voneinander entfernt hatten. Dieses ‚ein wenig’ wurde zu vier Tagen, die Mimoun teilweise mit Hilfe von anderen Geflügelten länger fliegen und Dhaôma tragen musste. Und als sie nach knapp dreizehn Tagen endlich landeten, war es schon dunkel. Was waren sie am nächsten Morgen erstaunt, als sie das Große Wasser in der Ferne glitzern sehen konnten. Es war noch immer etliche Tage entfernt, aber von der Insel aus war es schon zu sehen. Allerdings musste Mimoun noch einen halben Tag weiterfliegen, da sie von der Route des Flusses abgekommen waren. Als Dank für die Geschichten, die sie am Vortag erzählt hatten, halfen ihre Gastgeber Mimoun, Dhaôma zu tragen. Inzwischen war der Frühling nicht mehr aufzuhalten. Alles blühte und duftete nach Honig und Pollen und frischem, jungem Grün. Nach all der bewegungslosen Zeit war es für Dhaôma unmöglich auch nur eine Sekunde still zu stehen, sobald er den Boden mit seinen Füßen berührte. Wie ein Derrwisch rannte er von Blümchen zu Baum, um die Farben und das Leben in sich aufzusaugen. Die Wärme, die unten in den Ebenen bereits herrschte, tat ihm doppelt gut. In der Zeit, die Dhaôma durch die Gegend tobte, ließ sich Mimoun auf den Bauch nieder, stützte seinen Kopf auf seine Hände und beobachtete lachend seinen Freund. Allein für diesen Anblick lohnte es sich, das ganze Jahr wieder auf den Frühling zu warten. Als er sich genug ausgeruht hatte, was nicht so lange dauerte wie angenommen, schulterte er ihr Gepäck und streunte bereits den Fluss weiter entlang. Immer hielt er ein Auge auf Dhaôma und eines auf die Umgebung. Die Gegend hier kannte er nicht. Er wusste nicht, welche Gefahren hier lauerten und so war er doppelt vorsichtig. Sehr weit kamen sie durch Dhaômas Laufstil an diesem Tage nicht, so suchte der junge Geflügelte schon früh am Abend ein geeignetes Nachtlager. Sie konnten von dem wenigen Proviant zehren, der ihnen noch geblieben war. Zur Abwechslung zum Trockenfleisch holte Mimoun zwei große Fische aus dem Fluss und Dhaôma sorgte für die pflanzliche Kost. Nach dem Essen streckte sich Mimoun im jungen Gras aus und betrachtete die vorbeiziehenden Wolken, lauschte auf das Rauschen des Flusses. Ihm war noch nicht nach schlafen. Langsam brannte das Feuer herunter, die Sonne versank farbenfroh, bis die Dunkelheit nur noch von der Glut des Feuers schwach erhellt wurde. Dhaôma sah sich ein wenig verloren um. Es war ruhig. Unglaublich ruhig. Kein jammerndes Baby, kein aufgedrehter Amar, keine streitende Yaji oder Juri, nicht einmal das leise Lied von Leoni war zu hören. Kein Gelächter von Gastfamilien, keine endlose Fragenflut. Stattdessen die Geräusche von fließendem Wasser, leisem Blätterrascheln und knackendem Geäst unter winzigen Pfoten. Der Braunhaarige schloss die Augen, lauschte auf die Geräusche der Nacht, sog die feuchte Luft ein. Es gefiel ihm. Und trotzdem war er unruhig, fühlte sich seltsam. Irgendwann stand er auf und kuschelte sich an seinen geflügelten Beschützer, drückte seine Nase gegen dessen Brust. „Ich hab dich lieb.“, murmelte er, seine Hand strich weich über Mimouns trainierten Bauch. Eine Hand schob sich zwischen die braunen Haare und begann mit ihnen zu spielen, während die andere Hand die unruhige auf seinem Bauch einfing. Sanft zwang er sie, dort zu verharren, wo sie sich befand. Mimoun beugte sich ein wenig vor, um dem auf seiner Brust ruhenden Kopf einen Kuss auf den Haarschopf zu drücken. Anders war er gerade nicht fähig auszudrücken, was er fühlte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)