Rauschen von SamAzo ================================================================================ Kapitel 1: Regen ---------------- Eigentlich war es viel zu kühl, um so ruhig auf der Schaukel zu sitzen. Die Wolken wurden immer dunkler und erste Regentropfen hatten ihn auch bereits getroffen. Dennoch bewegte sich der achtjährige nicht von der Schaukel, auf der er saß. Sein Blick war auf den hinteren Teil des Spielplatzes gerichtet, wo eben noch eine Katze einen Vogel gefangen und verspeist hatten. Jetzt war sie weg und nur noch die Überreste des Vogels lagen da. Das war jedoch nicht der Grund, weswegen er so gebannt war, von der Szene. Seit der samtpfotige Jäger verschwunden war, hatte sich etwas anderes an die letzten blutigen Reste gewagt, die noch dort waren. Es war etwa so groß wie eine Ratte, hatte jedoch kein Fell und zusätzlich zu den vier Beinen auch noch zwei Arme und einen kurzen, flauschigen Schwanz, mit dem es nun wedelte, als sei das Wesen überglücklich etwas zu essen gefunden zu haben. So etwas hatte er noch nie gesehen und er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Zum einen war er neugierig und wollte wissen, was genau er da sah. Andererseits allerdings, fraß dieses Tier gerade die Knochen eines anderen Tieres, was ihm schon ein wenig ekel und angst einjagte. Würde es ihn beißen, wenn es ihn bemerkte? Oder würde es weglaufen? Er wollte weg, aber er traute sich nicht, sich zu bewegen. Darum blieb er auch weiterhin sitzen, obwohl der Regen nun immer stärker einsetzte. Seine Eltern würden ihn wieder belehren, weil er klatschnass nach Hause kam, aber … sie glaubten ihm auch nie, wenn er ihnen von den Kreaturen erzählte, die er sah. Sie waren immer anders. Einige sahen niedlich aus, freundlich. Anderen wollte er lieber nie begegnet sein, so wie diesem Exemplar, von dem er hoffte, es nie wieder zu Gesicht zu bekommen. Aber er wusste bereits, das er davon träumen würde. Albträume... Kapitel 2: Menge ---------------- Die Leute jubelten. Bei jedem seiner Bandmitglieder hatten sie mehr gekreischt, geklatscht, die Namen geschrien und sich näher an die Bühne gedrängt. Jetzt war er an der Reihe und er liebte es! Von der Seite der Bühne betrat er das Sichtfeld der Zuschauer und sofort wurde es wieder lauter. Er grinste unter seiner Kapuze und zog diese noch ein wenig tiefer, auf seinem Weg zu seinem Platz, in der Mitte der Band. Sie spielten bereits, aber das Intro des Liedes konnte beliebig verlängert werden, darum konnte er sich auch Zeit lassen und noch ein wenig mit dem Publikum spielen, auch wenn es den anderen aus der Band wohl ein wenig gegen den Strich ging. Aber das war ihm egal, wie so vieles inzwischen. Seine Hände zitterten, als er schließlich nach dem Mikrofon griff, um es näher zu ziehen. Meistens blieb es unbemerkt, von allen Anwesenden und so auch dieses Mal. Aber wie sollte man es auch, bei dem Licht und den ganzen anderen Reizen. Um auch gar nicht weiter auf sein kleines Problem aufmerksam zu machen, schob er mit der freien Hand die Kapuze nun doch etwas höher, während er anfing ihr erstes Lied zu singen. Schon jetzt war ihm warm und er spürte dieses unangenehme Gefühl, das ihn immer wieder heimsuchte und langsam seinen Rücken hinauf kroch. Aber er würde durchhalten. Das schuldete er den Fans und auch der Band. Immerhin hatte er schon mehr als eines der Konzerte vollkommen versaut, so das sie abbrechen mussten. Sie schoben es auf die Drogen. Er darauf, das er an den Abenden nicht genug intus hatte. Jetzt war es jedoch egal. Jetzt wollte er das alles hier hinter sich bringen und dann, für den Rest der Nacht, in die nächste Bar. Darauf arbeitete er hin, was nichts daran änderte, das er normalerweise auf der Bühne Spaß hatte und sich wohl fühlte. Aber nun blendete ihn so gut wie jeder Scheinwerfer, ihm wurde immer heißer und das lenkte doch immer weiter ab von dem, was er hier tun sollte und auch wollte. „Verdammt“, hörte er von schräg hinter sich. „Reiß dich zusammen, Seth!“ Okay.... er baute mehr Mist, als er es selbst realisierte. Aber er versuchte es. Er strengte sich wirklich an. Dennoch wurde er nach ihrem Auftritt, in ihrer Umkleide, von den anderen wenig freundlich empfangen. „Seth, was sollte das wieder?“, fragte Aaden, der Schlagzeuger und Kopf der Band. Er hatte Seth bereits ein Ultimatum gestellt, das er entweder mit den Drogen aufhörte oder raus fliegen würde. Das war vor den letzten beiden Ausrutschern und an der Art wie Aaden ihn ansah und die anderen um ihn herum standen, wusste Seth bereits, was jetzt kommen würde. „Hört mal... Jungs, ich versuch es doch. Ich bin dabei, nur... brauch ich noch etwas.“ „Wie lange?“, wollte Kristin wissen. Das einzig weibliche Bandmitglied und grandiose Bassistin. Seth zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung und auch keinen wirklichen Antrieb ernsthaft mir den Drogen aufzuhören. Dafür hatte er einen Grund sie zu nehmen... „Pass auf, Seth. Es tut mir leid, aber das kann so nicht weiter gehen. Wir suchen uns einen neuen Sänger und du... du bist raus. Ich hatte gehofft du würdest dich noch fangen, zur Vernunft kommen, aber...“ Aaden schüttelte den Kopf und seufzte leise. „Komm meinetwegen wieder, wenn du clean bist und … wieder wie der, den ich früher kannte.“ Seth nickte nur langsam und saß noch immer in der Umkleide, als alle anderen bereits längst weg waren. Kapitel 3: Nachbar ------------------ Sie mochte das Haus nicht, in dem ihre Schwester mit ihrem Sohn und dem neuen Lebenspartner wohnte. Doch etwas besseres, als in dieser abgewrackten Gegend, konnten sie sich nicht leisten. Keiner der beiden Erwachsenen kümmerte sich um eine Arbeit und wenn sie mal Geld hatten, dann wurde es für Alkohol ausgegeben. Der Kleine Jamie war hingegen gerade mal acht Jahre alt und meistens sich selbst überlassen. Da war es kein Wunder, wenn dieser selbst bis in tiefster Nacht noch unterwegs war und Gefahren dieses Stadtteils ausgesetzt war. Wegen ihm war sie hier. Sie wollte ihn zu sich holen und ihm ein besseres Zuhause geben, als seine eigene Mutter es konnte. Beim letzten Mal hatten sie ihr nicht die Tür geöffnet, davor hatte sie der Freund ihrer Schwester beinahe verprügelt. Vielleicht hatte sie darum so eine Angst davor an die Tür zu klopfen, die sie in wenigen Minuten erreichen würde. Nur noch die letzte Treppe und den langen Flur entlang. Vorbei an all den Wohnungen, die jede einen anderen verwahrlosten Menschen beherbergte, der sicher eine ganze traurige Geschichte vorzuweisen hatte. Leslie wollte sie nicht hören. Sie war wegen ihrem Neffen hier und nur deswegen. Sie versuchte so leise wie möglich zu sein, damit keine der anderen Türen aufgehen würde. Aber spätestens das Klopfen würde Lärm machen. Dabei hoffte sie dann doch, das die Nachbarn allesamt nicht da wären oder zu beschäftigt mit sich selbst, um zu schauen, wer hier im Flur stand. Leslies kleiner Wunsch wurde erhört und nur ihre Schwester öffnete. Betrunken, wie so oft, brauchte sie einen Moment, um ihre Schwester zu erkennen. Erfreut war sie jedoch nicht und das sah man ihr an. „Was willst du?“, fragte sie lallend. „Hallo Tanya. Ich wollte Jamie zu mir holen – so wie es schon vor Wochen abgemacht gewesen war“, erklärte Leslie ihrer Schwester und zeigte dabei nicht, wie schrecklich sie es fand, ihre ältere Schwester so zu sehen. „Er ist nicht da!“ „Wie bitte?“ „Er ist nicht da. Hab ihn schon seit Tagen nicht gesehen...“ Leslie konnte ihr Entsetzen nicht verbergen. Wie normal war es denn, für einen Achtjährigen, tagelang nicht zuhause zu sein? Tanya schien es jedoch nicht weiter wichtig zu finden, denn sie zuckte mit den Schultern und murmelte „Wird schon wiederkommen“, bevor sie einfach die Tür schloss und ihre kleine Schwester davor stehen ließ. Die war so perplex, das sie sich eine ganze Weile nicht rührte. Jedoch war das sogar etwas positives, denn so konzentrierte sie sich irgendwann auf die Geräusche im Flur und da fiel es ihr auf... „Oh, du mogelst doch!“ „Hehe, ne... du bist nur total schlecht.“ „Kann gar nicht sein. Immerhin ist das mein Spiel.“ „Das stimmt, aber so viel Staub, wie da drauf lag, hast du das seit Jahren nicht angepackt. Darum bist du auch so schlecht drin.“ „Pfff...“ Sie erkannte Jamies Stimme – oder wollte sie zumindest erkennen. Denn das würde heißen, das es dem Kleinen gut ging. Aber was machte er bei einem Fremden in der Wohnung? Oder irrte sie sich wirklich, weil sie sich Sorgen um ihren Neffen machte? Leslie nahm ihren Mut zusammen und klopfte, um den Fragen auf den Grund zu gehen. Auch wenn sie damit rechnete enttäuscht zu werden. „Ich geh...“, hörte sie den Jungen sagen und kurz darauf wurde auch bereits die Tür geöffnet. „Tante Leslie!“ Sie war so froh, das Junge wirklich als ihr Neffe herausgestellt hatte. Darum drückte sie ihn auch fest an sich, bis Jamie sich losmachte. „Was machst du denn hier?“, fragte er neugierig. Er mochte seine Tante, aber er wusste auch, das sie und seine Mutter sich nicht gut verstanden und eigentlich immer im Streit waren, wenn sie sich länger als eine halbe Stunde im selben Zimmer befanden. „Ich wollte dich zu mir holen. So wie wir das beim letzten Mal besprochen hatten. Leider hat es ein wenig länger gedauert, weil ich erst einmal einen anständigen Anwalt finden musste.“ Jamie nickte, als wüsste er genau, wie schwer es war fähige Leute zu bekommen. Dabei war es etwas, das in seinem Alter wohl noch nie der Fall gewesen war. Darum lächelte sie ihn auch an und wuschelte ihm durch die Haare, bevor sie ihn noch einmal in den Arm nahm. Während dessen erschien hinter Jamie noch jemand anderes. Er öffnete die Tür wieder komplett, da diese beinahe zugefallen wäre, seit Jamie auf dem Flur stand. „Hallo“, begrüßte er ebenfalls den Besuch, während er sich an die Wand lehnte. Das es Jamies Tante war, hatte er ja bereits mitbekommen, darum zeigte er auch nur in die Wohnung, als sie zu ihm sah. Leslie zögerte, doch Jamies Blick wanderte zur Wohnungstür seiner Eltern, was ihn daran erinnerte, das er keine Lust hatte, von denen gesehen zu werden. „Ich muss noch zuende gewinnen!“, erklärte er darum und zog seine Tante mit sich. Als sie an dem Mann vorbei ging, dem offnenbar die Wohnung gehörte, musterte sie ihn kurz, aber da Jamie sie recht schnell zog, sah sie nicht viel mehr, als ein unbeholfenes Lächeln. Sie nutzte die Chance und sagte ihm auch noch schnell „Hallo“, aber sich richtig vorzustellen verging ihr, als sie kurz darauf die Wohnung sah. Kapitel 4: Boggle ----------------- Ganz vorsichtig saß Leslie auf der Kante des Sessels, neben dem eine Reisetasche voll mit Jamies Sachen stand. Gleich daneben war sein Schulrucksack und auf dem Tisch lagen einige seiner Bücher und Hefte. Es schien ganz so, als hätte sich ihr Neffe bereits eine neue Wohnung gesucht. Sie versuchte ihren Blick nicht allzu sehr schweifen zu lassen, denn sie bezweifelte etwas zu sehen, das ihr gefallen würde, aber dennoch konnte sie einfach einige Dinge nicht ungesehen lassen. Zum Beispiel lagen vermutlich alle Kleidungsstücke, die normal in einen Schrank sollten, auf dem breiten Sofa, das sicher auch zum schlafen genutzt wurde. Das nahm sie an, weil auch einige Kissen und eine Bettdecke dort lagen und vor allem, weil es keine weitere abgehende Tür gab, als die eine, die mit einem grünen Sticker beklebt war, der die normalen WC Figürchen in einer dringenden Notlage abgebildet zeigte. Die Küche bestand nur aus dem wichtigsten. Ein schmaler Gasherd, ein Ofen und ein Kühlschrank, alles nur getrennt von diesem Raum, durch ein niedriges Regal, auf dem einige Bilder standen, die jedoch in die andere Richtung zeigten. Sauber war hier nichts, aber dafür hatte sie auch in der kleinen Küchenzeile einen Beweis gefunden, das Jamie offenbar öfter hier war – oder inzwischen dauerhaft. Eigentlich wäre sie am liebsten mit ihrem Neffen zusammen ganz schnell ins Hotel gefahren. Aber Jamie wollte die Runde noch zu ende spielen und sie konnte es ihm schlecht ausreden, wenn er heute vielleicht das letzte Mal hier war. Darum entschied sich sich auch lieber Seth weiter zu mustern. Der hatte sich vorgestellt, gleich nachdem er sich auf das Bettsofa hatte fallen lassen. Er schien ganz nett zu sein, auch wenn er ungepflegt aussah. Von der Pizza, die ebenfalls auf dem Wäscheberg in ihrem Karton lag, hatte er ihr auch was angeboten, aber Leslie hatte dankend abgelehnt. Das Jamie hier so lebte... Wobei es erschreckender war, das er freiwillig hier wohnte, als bei sich zu Hause. Wie hatte es dann die letzten Monate, nach ihrem Treffen, bei ihrer Schwester und ihrem Lebensgefährten ausgesehen? Nun, sie würde es erfragen, wenn sie beide unter sich waren. Dann würde sie sich auch Gewissheit darüber holen, ob sie mit ihrer Vermutung recht hatte, die sie Seth gegenüber hatte. Falls Jamie darüber Bescheid wusste. Aber der Kleine war ein schlauer Junge und sein Vater hatte bereits das gleiche Problem gehabt. War daran zugrunde gegangen. Ein weiterer Grund, das Jamie hier raus kam und bei ihr lebte. „Jetzt hast du aber wirklich gemogelt!“, beschwerte sich Seth und zeigte auf die Buchstaben, die es galt zu Worten zusammenzusetzen. „Hab ich nicht. Da sind alle passenden Buchstaben doch da!“, erklärte der Kleine, grinste aber bereits, da er wusste, das er aufgeflogen war. „Aber du kannst nicht das E mit dem R verbinden, die liegen nicht zusammen! Und ja, ich erkenne dir diesen Punkt ab, weil du sowieso schon führst...“ „Schlechter Verlierer“, nuschelte Jamie und strich das Wort auf seinem Zettel durch. „Von wegen schlecht. Verlieren kann ich am besten.“ Leslie kicherte. Die beiden hatten es geschafft sie in kürzester Zeit aus ihren Gedankengängen zu holen und sich auf das zu konzentrieren, was sie dort spielten. „Braucht ihr einen Schiedsrichter?“, bot sie sich an, aber Seth winkte ab. „Is schon gut. Ich bin es ja mittlerweile gewohnt.“ „Willst du mitspielen?“, fragte Jamie darum auch nur, statt sich weiter um Seth zu kümmern. Der schmollte halt ein paar Sekunden, dann war alles wieder gut. Leslie schaute auf die Uhr und sah dann aus dem einzigen Fenster, das die Wohnung zu bieten hatte. Es würde sicher spät werden, wenn sie jetzt auch noch anfangen würde zu spielen. Dabei wollte sie doch ins Hotel. Aber gut, eine Runde könnte sicher nicht schaden! Kapitel 5: Abend ---------------- Es war bereits dunkel, als sie endlich doch aufhörten zu spielen. Leslie war richtig erschrocken, als sie das bemerkte. Sie hatte diese Gegend schon tagsüber nicht gerne und um diese Uhrzeit noch um ein vielfaches weniger. Darum seufzte sie auch leise und ließ sich nun doch vollkommen in den Sessel fallen. „Also... verlieren kannst du wirklich klasse!“, erklärte sie dabei, um ein wenig davon abzulenken, das sie eigentlich viel lieber im Hotel und dort in ihr Bettchen gekuschelt wäre. Auch Jamie sah müde aus, wie sie fand. Was nichts hieß.Bei seinem letzten Besuch hatte er jede Nacht nur ein paar Stunden geschlafen, weil er dauernd meinte seinen Stiefvater oder seine Mutter zu hören. So weit war es bereits mit dem Kleinen. „Ich weiß“, bestätigte Seth. Der war während ihrer unzähligen Runden immer unkonzentrierter geworden und sie hatte noch immer ihren Verdacht, der bislang unausgesprochen geblieben war. „Jamie, ich hätte gerne langsam was zu Essen. Wie ist es bei dir?“ „Hmm, oh ja! Bestellen wir wieder Pizza?“ Leslie schaute zu Seth, der ein wenig grinste. Dann wusste sie ja bereits, was es die letzten Tage über gegeben hatte. Also war die Schachtel vielleicht nicht einmal von gestrigen Tag. „Ich dachte eigentlich, das wir was essen gehen, bevor wir im Hotel unser Zimmer beziehen“, schlug sie vor und versuchte nicht so sehr auf Seth zu achten. Der machte es sich nämlich mehr und mehr auf seinem Bett gemütlich. „Das klingt gut“, stimmte Jamie ihr zu und fing an das Spiel einzuräumen. „Kommst du mit, Seth?“ Das hatte sie eigentlich nicht beabsichtigt, aber vielleicht hätte sie Glück und er würde absagen. Im ersten Moment sah es auch so aus, aber Jamie hatte offenbar nicht vor, so schnell aufzugeben. Sicher war er es gewohnt, das er Seth überreden musste. „Na..“, murmelte der nur und streckte sich. „Ihr habt euch so lange nicht gesehen und es gibt die ganzen Pläne, da braucht ihr sicher die Zeit für euch.“ Diese Erklärung gefiel Leslie gut. Da hatte sie nicht die schwierige Aufgabe es Jamie auszureden. Doch genau der, ließ das gar nicht gelten. Woran das lag, konnte Leslie nur schwer beurteilen. „Du musst mit!“, sagte Jamie noch einmal und stellte dabei das fertig eingepackte Spiel zurück in das Regal, wo er es auch gefunden hatte. Seth schaute daraufhin zu Leslie, wo sich ihre Blicke trafen. Er konnte ihre Abneigung erkennen. Vielleicht meinte er es nur, aber Gründe gab es dafür genug. Abgesehen davon, würde er gerne die Chance nutzen, die sich ihm hier gerade bot. Jamie war bereits lange bei ihm, auch wenn er erst seit einigen Tagen hier auch übernachtete. Aber er hatte sich vorgenommen keine Drogen vor dem Kind zu nehmen, nur wurde dass, durch dessen dauerhafte Anwesenheit, immer schwerer. Rausschmeißern konnte er ihn aber auch nicht einfach. Das fühlte sich falsch an. „Wie lange seit ihr noch da?“, fragte Seth nun Leslie und setzte sich wieder auf, um sie etwa auf Augenhöhe zu haben. „Die ganze nächste Woche. Ich muss noch zum Anwalt und ein paar Dinge mit dem Jugendamt klären.“ Seth nickte und sah dann wieder Jamie an. „Dann können wir doch ein anderes Mal zusammen was essen, hm? Es ist doch schon spät und du hast morgen Schule.“ Jamie seufzte. Er mochte es nicht, wenn man ihn mit Argumenten kam, gegen die er nichts aufzufahren hatte. „Aber genau das ist es ja“, kam ihm dann doch eine Idee. „Es ist schon dunkel und du weißt, wie es dann hier ist. Das Taxi wird sicher auch erst am nächsten Block auf uns warten.“ Denn mit der U-Bahn zu fahren, war keine gute Idee. Er alleine würde es tun, aber mit seiner Tante – niemals. Dafür war die Gegend hier wirklich zu gefährlich. Das war auch etwas, das Seth überzeugen konnte, das sah er ihm einfach an, als sie sich nun anstarrten. Irgendwann blinzelte Seth und zuckte mit den Schultern. „Wisst ihr, ich komme mit, oder bleibe hier. Ganz wie ihr wollt. Aber ich gehe jetzt erst einmal duschen und ihr klärt das unter euch.“ Auch wenn das mehr eine Ausrede war, um mal kurz alleine zu sein. Das brauchte er jetzt einfach. Sie schwiegen sich kurz an, während Seth aufstand und ins Badezimmer verschwand. Als sie alleine waren, seufzte Leslie leise und setzte sich wieder mehr auf die Kante des Sessels, um näher bei Jamie zu sein. „Möchtest du ihn wirklich unbedingt dabei haben?“, fragte sie ihn gerade heraus. Jamie nickte und nahm die Getränkeflasche, die neben ihm stand, um diese ganz langsam aufzudrehen und sie dann doch nur in der Hand zu halten. „Wenn er mit kommt, dann hat er wenigstens was davon, das ich hier bleiben durfte“, erklärte er leise. „Außerdem …“ Jamie schüttelte den Kopf und trank nun doch etwas der Limonade, um die Flasche dann wieder zu schließen und weg zu stellen. „Was ist 'außerdem'?“ „Seth ist von Duncan verprügelt worden, nachdem der gesehen hatte, das ich … öfter hier war. Er hat ihn angeschrien, das er sich lieber ne Freundin suchen sollte, als sich an kleinen Jungs zu vergreifen.“ „Oh...“ Duncan, Jamies Stiefvater, war meistens eigentlich zu betrunken, um sich überhaupt um Jamie zu kümmern. Darum war Leslie sich nicht sicher, was sie erschütternder fand, das sich Duncan einmal in seinem Leben dazu aufgerafft hatte, um etwas für Jamie zu tun, oder das Seth nach dieser Anschuldigung Jamie erlaubt hatte bei ihm zu bleiben. Vielleicht wusste er, dass von Duncan nur heiße Luft ausging. Vielleicht war es ihm auch einfach egal... Aber die Wahrheit war wohl, das sich Duncan nur jemanden gesucht hatte, um seine alkoholbedingte Wut rauszulassen und Seth hatte eben wunderbar gepasst. Sicher hätte er auch vor Jamie nicht halt gemacht, wenn dieser dazwischen gegangen wäre. „Wann war das?“, wollte Leslie wissen. „Vor einer Woche... etwa. Ich war eben von der Schule zurück, als Duncan klopfte und im nächsten Moment war er auch schon hier drin und ist auf Seth los.“ „War er denn schwer verletzt?“ „Ging. Nur ein paar blaue Flecken, Kratzer und eine kleine Platzwunde. Aber ich hab ihn verarztet.“ Sie nickte und seufzte erneut. Das Jamie das so selbstverständlich erzählte. Das machte es ihr nicht leichter sich zu entscheiden. Aber Tatsache war, das sie es langsam mal tun mussten. Auch wenn Seth noch nicht wieder aus dem Bad gekommen war und sie nicht einmal einschätzen konnte, wann das passieren würde. „Möchtest du darum, das er mitkommt?“ „Er soll vor allem hier mal raus... ohne sich dann... naja... zuzudröhnen.“ Also hatte Leslie recht, mit ihrer Vermutung. Ein Grund mehr Jamie hier heraus zu holen, bevor der – aus welchen Gründen auch immer – auf die dumme Idee kam, es auch mal zu probieren. Sein Vater hatte es ja auch nicht besser gewusst, bis er daran zugrunde gegangen war. „Okay, dann nehmen wir ihn mit. Dann sollten wir es ihm wohl mal sagen und ein Taxi rufen.“ Kapitel 6: Reden ---------------- Das Essen war wirklich lecker, das musste Seth zugeben. So gut hatte er schon lange nicht mehr gegessen, was vor allem seinem Geldbeutel und seiner Unlust zu verdanken war. Er hatte Jamie reden lassen, der von den Dingen erzählte, die in der Schule passiert waren. Auch Leslie erzählte. Davon, das die Kaninchen sich im Garten wohlfühlten und sie eine kleine Katze aufgenommen hatte. Manchmal versuchten sie Seth mit einzubeziehen, aber er winkte meistens nur ab. Sie hatten mehr Dinge zu erzählen. Mehr positives. Nach dem Essen brachte Leslie Jamie auf ihr Zimmer, während Seth zur Bar ging. Dort hatten sie sich verabredet, auch wenn er nicht sagen konnte, warum sie mit ihm reden wollte, denn noch immer meinte er erkennen zu können, was sie von ihm hielt. Trotzdem blieb er und stellte sich dem, was auch immer auf ihn wartete. Sehr schlimm könnte es doch sicher nicht werden. Sie war nett. Sie war hier, um Jamie endlich aus dem Mist zu holen, der sich sicher sonst mehr und mehr um den Kleinen sammeln würde. „Hi“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und zuckte sogar ein wenig zusammen. Das ihn jemand so schnell ansprechen würde, hatte er nicht vermutet. Schon gar nicht, das es Leslie sein würde. Die war doch eben erst losgegangen... Oder wie lange saß er hier bereits? Sie setzte sich ihm gegenüber und bestellte sich einen alkoholfreien Cocktail. Seth trank Cola, da er ihre Rechnung nicht noch weiter in die Höhe treiben wollte. „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“, wollte sie wissen, als sie ein wenig mit dem Strohhalm ihres Getränkes gespielt hatte. Da Seth nichts von sich aus erzählte, musste sie ja nachfragen. „Eh...“ Seth musste überlegen. Wie genau war das gewesen? „Ich kam eines Nachts von einer Party zurück. Jamie saß draußen, auf der Treppe vor dem Haus, und weinte sich die Augen aus. Ich weiß nicht mehr weswegen, aber … ich konnte ihn ja schlecht da sitzen lassen.“ Leslie nickte und trank einige winzige Schlücke, während sie Seth weiter ansah. Sie wartete darauf, ob noch mehr gesagt werden würden und dachte beinahe schon, da würde nichts mehr kommen, als Seth doch noch etwas einfiel. „Genau, es war, weil seine Mutter ihn rausgeworfen hatte. Ich meine, Jamie hatte Hausaufgaben gemacht und dabei irgendwo seine Bücher liegen gelassen... War jedenfalls irgendetwas dummes.“ Aber genau so kannte Leslie ihre Schwester – zumindest dann, wenn sie betrunken war. Den eigenen Sohn raus werfen. Da spürte sie schon wieder, wie sie Tanya am liebsten die Meinung sagen würde. Dabei wusste sie, wie es enden würde: Genauso wie jedes Mal davor auch! Aber Leslie zwang sich dazu jetzt nicht wegen ihrer Schwester schlechte Laune zu bekommen. Das würde sie die nächsten Tage sicher noch oft genug haben. Um dem jetzt noch entgegen zu wirken, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Seth, der sie ansah, als wartete er auf eine ganze bestimmte Frage. Er wusste also, dass es kommen würde, aber noch blieb er davon verschont. „Und dann hast du ihn einfach bei dir wohnen lassen? „Zuerst nicht. Er kam nur nach der Schule vorbei. Hat seine Hausaufgaben gemacht, gelernt... vielleicht auch einfach nur die Ruhe genossen, keine Ahnung. Irgendwann haben wir dann Karten gespielt oder Yatzy oder... was er halt so an Spielen dabei hatte. Jedes Mal, wenn er bei mir war, blieb er ein wenig länger und vor ein paar Tagen, nach einem ziemlich lauten Streit mit seinen Eltern, kam er mit einer Tasche, mitten in der Nacht, zu mir.“ Die Reisetasche, die inzwischen oben im Zimmer stand. Das war ganz praktisch gewesen. So mussten weder sie noch Jamie sich dem Stress des Packens unter dem geblubber von Betrunkenen antun. Das war sicher das einzig positive daran, das sie sich vorstellen konnte. Bei der Wahl seiner Bleibe war Jamie jedoch recht naiv gewesen, wie Leslie fand. Aber das dachte sie vielleicht nur, weil sie Angst um ihn hatte. „Ich denke, ich muss dir danken, das du dich um ihn gekümmert hast. Das ist nicht selbstverständlich.“ Seth nickte und zuckte dann mit den Schultern. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Bei ihm bedankt hatte sich schon so lange niemand mehr. Aber auch wenn es ehrlich klang, hing der Satz unangenehm zwischen ihnen. Als würde da noch ein Stück fehlen und der Teil würde ihm sicher nicht gefallen. Er wartete ja noch immer auf die eine Frage. Die nach seiner Vergangenheit, nach seiner Sucht. Die kamen alle - irgendwann. Das Leslie diese noch nicht gestellt hatte verwunderte ihn fast schon, immerhin sah man ihr an, das sie es wissen wollte. Darum war er auch nicht verwundert, als sie dann tatsächlich endlich ihrer Neugierde freien lauf ließ. „Seit wann?“, fragte sie ein wenig zaghaft. „Seit wann, was?“, stellte er sich ein wenig dümmer, als er war. „Seit wann nimmst du … was auch immer – Jamie hat mir davon erzählt.“ „Lange... sehr lange... schon viel zu lange...“, antwortete er leise. „Zu lange? Warum hast du dann nicht aufgehört? Wenn du selbst sagst, das es schon zu lange so ist?“ Da lachte Seth leise, jedoch weder ehrlich noch fröhlich. „Das ist nicht so einfach“, gestand er ein. „Es gibt die Tage, an denen will ich es gar nicht und dann die, an denen weiß ich, das ich es nicht kann.“ Danach zuckte er wieder mit den Schultern und schaute auf sein halb leere Glas. Leslie überlegte eine Weile, bis sie zu einem Schluss gekommen war. „Seth, du scheinst ein netter Kerl zu sein und, wie schon gesagt, bin ich dir dankbar dafür, das du dich um Jamie gekümmert hast, aber ...“, sie seufzte leise, „Wenn Jamie dann bei mir ist werd ich alles dafür tun, damit er keinen Kontakt mehr mit dir haben wird. Sein Vater war schon abhängig und ich möchte wirklich nicht, dass er ihn oder dich als Vorbild nimmt und eines Tages auch damit anfängt!“ Seth nickte nur langsam. Ja, so hatte er sich ihre Reaktion schon fast vorgestellt und eigentlich hatte er auch gar nichts dagegen einzuwenden. Immerhin war er dann endlich wieder alleine und konnte tun und lassen was er wollte. „Das ist vermutlich besser“, gestand er ein und spürte doch, wie es ihm zu schaffen machte. Er hatte sich so an Jamie gewöhnt und sogar beinahe so etwas wie einen geregelten Tagesablauf gehabt. Er würde den Kleinen wirklich vermissen. Kapitel 7: Abschied ------------------- Zur Schule, zum Hotel, auf Leslie warten oder mit ihr zu Terminen, so hatten seine letzten Tage ausgesehen. Sie unternahmen zwar auch so ein paar Dinge, aber es fühlte sich dennoch alles sehr anstrengend an. Lag vielleicht daran, weil er ansonsten nicht so viel unterwegs gewesen und darum das ganze gehen, fahren, noch mehr gehen, warten und schauen einfach nicht gewohnt war. Aber er vermisste es auch, den Nachmittag über gegen Seth in allen Spielen zu gewinnen, die der so in seinen Regalen stehen hatte. In den Kartenspielen, die sie an den letzten zwei Abenden gespielt hatten, war Leslie verdammt gut und darum verlor Jamie sogar das ein oder andere mal. Das war irgendwie nicht das selbe. Darum wartete er auch nun auf Leslie, um ihr zu sagen, das er gerne noch einmal zu Seth wollte. Um noch eine Runde zu spielen und viel mehr eigentlich, um sich zu verabschieden. Denn in wenigen Tagen würden sie fahren und alles war so vollgestopft, das er keine Zeit hatte, alleine zu ihm zu fahren. Schule schwänzen wollte er auch nicht. Wo er nicht mehr lange dorthin gehen würde. Vor der Neuen graute es ihm bereits, wo er doch jetzt bereits kaum so etwas wie Freunde aufweisen konnte. Aber wenigstens würde ihn so niemand vermissen. Als er die Tür hörte, klappte Jamie sein Buch zu und schaltete den Fernseher auf Stumm, während er sich aus seiner liegenden Position heraus auf das Bett setzte. „Hi“, begrüßte sie ihn und wuschelte ihm dabei durch die Haare. „Was ist los? Du siehst so bedrückt aus.“ Jamie zuckte mit den Schultern. Eine Angewohnheit, die er sich sicherlich von Seth abgeguckt hatte. Genau das machte ihr Sorgen. Er hatte auch die letzten Tage immer wieder von dem Kerl geredet. „Machen wir einen Spieleabend?“, fragte er. Leslie setzte sich neben ihren Neffen und legte einen Arm um ihn. „Was sollen wir denn spielen?“ „Hmm... eines der Spiele von Seth?“ Sie war dagegen. Seth hatte zugestimmt, das Jamie besser nichts mit ihm zu tun hatte, aber Jamie schien da anderer Meinung zu sein. „Seth hat bestimmt viel zu tun.“ „Nein... hat er nie.“ Sie seufzte leise und überlegte dann. „Du kannst ihn ja mal anrufen und fragen, ob wir vorbeikommen können“, schlug sie vor und hoffte sehr darauf, das Seth dann ablehnen würde. Aber erst einmal sprang Jamie auf und suchte die Nummer raus, unter der er Seth erreichen könnte. Nur leider ging niemand ran. Selbst als sie es eine Stunde später noch einmal versuchten ging niemand an das Telefon. „Vielleicht hat er doch mal was zu erledigen?“, versuchte sie dieses Verhalten zu erklären. Doch Jamie schüttelte immer wieder nur den Kopf. „Können wir zu ihm fahren?“ „Jamie...“ „Nur um sicher zu gehen... bitte.“ Also machte sich der Kleine glatt Sorgen um Seth. Sicher war das gar nicht gut, aber ändern konnte sie daran auch nichts. Ein wenig fragte sie sich ja auch, warum er nicht ans Telefon ging. „Okay...“ Dann könnte Jamie sich wenigstens doch noch richtig von Seth verabschieden. Der Flur kam ihr kürzer vor, als beim letzten Besuch. Eventuell lag es daran, das Jamie so schnell vorging, das sie sich beeilen musste, um an ihm dran zu bleiben, oder daran, das sie nicht vorhatte, bei ihrer Schwester zu klopfen. So genau wollte sie da lieber nicht drüber nachdenken. Als sie auch endlich die Wohnung von Seth erreichte, stand Jamie noch immer vor der Tür und klopfte noch einmal. Es war jedoch kein so langer Weg, das Seth so lange bräuchte, um ihnen aufzumachen. Also war er wohl gar nicht zuhause. Erneut wählte Jamie die Nummer von Seth' Mobiltelefon und wartete darauf, das er dran ging. Man hörte es hinter der Tür klingeln. „Vielleicht hat er sein Handy hier vergessen und ist unterwegs“, mutmaßte Leslie und wollte zusammen mit Jamie wieder gehen, doch der schaute sich kurz um und schob dann die lose Abdeckung der Klingel zur Seite, um dahinter einen Schlüssel freizulegen und aufzuschließen. Wie selbstverständlich er daraufhin auch noch die Wohnung betrat, machte Leslie gleich noch einmal mehr sorgen. Doch Seth war wirklich nicht da und darum könnten sie schnell wieder gehen. Auch wenn Jamie nicht sehr glücklich darüber war. Es klopfte an der Tür, während Jamie gerade noch einmal im Bad nachschaute und Leslie zögerte einen Moment, bevor sie die Tür öffnete. Als sie einen Polizisten vor sich stehen hatte, wurde ihr ganz anders. „Guten Tag“, begrüßte er sie. „Sind sie die Frau oder eine Verwandte von... ehm,“ Er schaute auf seinen Notizblock, „Seth Brady?“ Leslie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, darum blieb sie einfach bei der Wahrheit. „Ich bin eine Bekannte von ihm und suche ihn schon seit einer Weile. Worum geht es denn?“ „Er ist im Krankenhaus...“ Zu mehr kam er nicht, da kam bereits Jamie aus dem Badezimmer und beeilte sich, um zur Tür zu kommen. „Was ist passiert?“, wollte er wissen. Jedoch erzeugte Jamies auftauchen bei dem Polizisten nur ein fragendes Gesicht. „Wie heißt du, Junge?“, fragte er und schaute noch einmal auf seinen Block. „Jamie“, antwortete der Kleine ein wenig ungeduldig. „Jamie Inman?“, hakte der Polizist jedoch weiter nach. Jamie nickte und sofort fiel der Blick des Gesetzeshüter zurück auf Leslie. „Was macht der Junge hier?“, fragte er. „Jamie ist mein Neffe.“ Das war wohl nicht das, was der Polizist hatte hören wollen. Kapitel 8: Anschuldigung ------------------------ Leslie hoffte, das es Jamie gut ging. Nachdem der Polizist verlangt hatte, das sie und Jamie mit ihm kamen, waren sie getrennt worden und zumindest sie hatte man ausgiebig nach Seth befragt. Sie hatte eine ganze Weile keine Ahnung gehabt, worum es ging, doch dann war die Polizistin, die ihre Befragung leitete, so nett gewesen, ihr zu erklären, was gerade passierte. Daher wusste sie nun, das jemand Seth beschuldigte Jamie entführt zu haben. Ob nun, um Geld zu bekommen, oder da er eine pädophile Veranlagung hatte, darüber gab es noch keine Einigung. Da war Leslie sehr froh, das sie hier einen Anwalt hatte, der ihr nun schnell aus der Situation heraushelfen konnte. Er wusste wie man mit der Polizei umging und vor allem, war er in die laufenden Verfahren wegen Jamies Aufenthaltsrecht eingeweiht. Dennoch hatte sie Jamie noch nicht wieder gesehen und warum Seth im Krankenhaus war oder wie es ihm ging, hatte ihr auch noch niemand gesagt. Jamie hingegen wartete in einem Aufenthaltsraum. Er war ebenfalls befragt worden, mehrmals. Nun saß er jedoch auf dem Sofa und hatte seinen MP3 Player in der Hand. Er tat so als würde er Musik hören, aber in Wirklichkeit lauschte er den Unterhaltungen, die über ihn geführt wurden. Ob sie ihm glaubten, konnte er nicht sagen. Aber er wusste, was es für Seth heißen würde, wenn sie es nicht taten. Wenn sie ihn tatsächlich einsperren würden, so wie die Meisten hier es für richtig hielten. Jamie hatte Angst davor. Aber er wollte es ihnen nicht zeigen. Genauso, wie er es seiner Mutter oder seinem Stiefvater nicht zeigen wollte, wenn sie sich stritten. Um ihn oder mit ihm. Das war egal. Sobald sie getrunken hatten, waren sie nicht mehr berechenbar. Daher kam auch die Anzeige. Das hatte einer der Polizisten schon ganz richtig erkannt, nachdem Jamie und auch Leslie, unabhängig voneinander, das gleiche ausgesagt hatten. Dennoch wurde nun Seth' Leben auseinander genommen, um ihn vielleicht doch für irgendetwas festhalten zu können und das alles in Jamies Nähe. Als würde er nicht zuhören können, wenn er es wollte – und wie er es auch tat. Manches verstand er. Anderes nicht. Aber den Unterton von allem, was gesagt wurde bekam er besser mit, als jeder in diesem Raum es wohl für möglich hielt. Kapitel 9: Besuchszeit ---------------------- Es hatte viel zu lange gedauert, bis sie aus dem Polizeirevier wieder herausgekommen waren. Es schien, zumindest für Leslie und Jamie, noch gut abgelaufen zu sein. Es würde noch ein wenig dauern, bis alles bewiesen war, aber ihr Anwalt hatte zum Glück alles dokumentiert und Leslie hatte ihrer Schwester eine Mitteilung in den Briefkasten geworfen, das sie Jamie gefunden hatte und er nun bei ihr war. Sie hätten also wissen müssen wo er war. Dennoch hatten sie Seth angezeigt. Was nun mit ihm passieren würde, konnte ihnen niemand sagen. Die Polizei suchte scheinbar noch immer etwas, für das sie ihn in eine Zelle stecken konnten, nachdem sich gezeigt hatte, das Jamie nicht entführt und schlimme Dinge mit ihm angestellt worden waren. Wobei der Kleine noch ein weiteres Mal mit einem Psychiater reden sollte, aber das würde erst später passieren. Erst einmal waren sie wieder an der frischen Luft, während Seth noch im Krankenhaus war und dorthin führte sie nun ihr Weg. Jamie wollte wissen, wie es ihm ging und Leslie fühlte sich nun ein wenig schuldig für das, was passiert war. Jamie hatte bei ihm Schutz gesucht und nun war er in den Familienstreit geraten und würde dafür vielleicht mit seiner Freiheit bezahlen. Als sie auf die Etage kamen, auf der er sein sollte, mussten sie sich kurz durchfragen, wobei niemand sich darum kümmerte, wer sie waren. Sie konnten ungehindert in das Zimmer, in dem Seth war und als Leslie ihn da auf dem Bett liegen sah, wünschte sie sich, sie hätten vorher mal eine Schwester gefragt, was eigentlich mit ihm passiert war. Er sah schrecklich aus. Um sein rechtes Auge war alles blau und geschwollen, an der Augenbraue hatte er eine Platzwunde, genauso wie auf seiner Nase. „Schläft er?“, fragte Jamie und schlich sich an das Bett heran. Was er dachte, konnte Leslie nicht einmal ahnen. Aber am liebsten hätte sie ihn erst einmal wieder aus dem Zimmer geschafft, bis sie wusste, was denn nun genau mit Seth war. „Das weiß ich nicht“, gab sie zu. „Aber es sieht so aus.“ Nachdem Jamie beinahe auf das Bett geklettert wäre, um Seth wach zu machen, entschied sich Leslie dazu, das es besser wäre das Zimmer zu verlassen und zu fragen, was genau nun eigentlich mit ihm passiert war. Darum nahm sie Jamie an die Hand, da es besser war ihn nicht mit Seth alleine zu lassen, und suchte eine Krankenschwester – was sich als recht schwer herausstellte. Die, die sie finden konnten, waren alle so sehr beschäftigt, das sie ihnen nichts sagten, sondern sie nur weiter leiteten und die eine, die Zeit hatte, wollte ihnen nichts sagen. Also endete ihre Suche doch wieder vor der Zimmertür, hinter der Seth war und Leslie traute sich nicht wirklich noch einmal dort hinein zu gehen. Leslie wollte Seth nicht noch einmal so sehen und schon gar nicht Jamie ein weiteres Mal dem Anblick aussetzen. Aber der war schon dabei die Tür zu öffnen, was sie leider zu spät erst bemerkte. Anders als beim ersten Besuch, war nun eine Krankenschwester bei Seth und tat etwas, von dem Leslie reichlich wenig Ahnung hatte. „Oh, hallo“, begrüßte sie die Besucher mit einem kurzen Lächeln und schrieb daraufhin etwas auf ein Klemmbrett. Leslie wollte sich die Chance nicht entgehen lassen und endlich ein paar Informationen haben, doch Jamie lenkte sie ab, als der erneut versuchte auf das Bett zu kommen. „Mach das lieber nicht, Kleiner“, erklärte ihm die Schwester freundlich und hielt ihn mit einer Hand auf. „Nicht das du ihm weh tust.“ „Was hat er denn alles?“, übernahm da Leslies Neffe die Frage, die sie sich bereits stellte, seit sie erfahren hatte, das Seth hier war. Die Krankenschwester sah zu Leslie, als würde sie sicher gehen wollen, das der Kleine es erfahren durfte. Leslie nickte deswegen und stellte sich zu Jamie. „Und vor allem, wie ist es passiert?“, fügte sie noch an. „Nun, soweit ich das weiß, gab es eine Schlägerei. Zuerst soll es nur einer gewesen sein, aber dann kamen noch ein paar dazu. Aber sicher kann ich das nicht sagen, ich hatte zu dem Zeitpunkt keinen Dienst und weiß das daher nur durch meine Kollegen.“ Nun war sie wenigstens ein wenig schlauer, auch wenn es nicht wirklich sicher war, ob es tatsächlich so stattgefunden hatte. Aber es ergab schon einmal ein Bild und irgendwie konnte sie sich bereits vorstellen, wer da derjenige gewesen war, der angefangen hatte Seth zu verprügeln. Jamie hatte ja bereits erzählt, das sein Stiefvater das schon einmal getan hatte. Das ganze Theater nur weil sie plötzlich Interesse an Jamie entwickelten. Warum auch immer das so war. „Jamie, sollen wir Seth dann lieber schlafen lassen und morgen wieder herkommen?“ Der Kleine nickte und schaute noch weiter auf Seth, bevor er zur Krankenschwester aufsah. „Können sie ihm sagen, das wir hier waren, wenn er aufwacht?“ Kapitel 10: Überredet? ---------------------- Leslie saß an dem kleinen Schreibtisch, den das Hotelzimmer gleich neben der Kommode mit dem Fernseher stehen hatte. Sie las die Unterlagen, die ihr Anwalt ihr gegeben hatte und schaffte es doch nicht sich darauf zu konzentrieren. Hinter ihr lag Jamie auf dem Bett, blätterte in einer Zeitschrift umher und hörte dabei Musik. Das war es auch, was Leslie schließlich dazu brachte sich zu ihrem Neffen zu drehen und zu lauschen. Die Musik kannte sie von ihm nicht, genauso wenig wie die Lautstärke. Leslie stand auf und gesellte sich zu Jamie auf das weiche Bett. Obwohl sie nichts tat, außer sich neben ihn zu setzen, nahm er sofort die Kopfhörer ab, was die Musik noch lauter werden ließ. „Was hörst du da?“ Leslie lauschte, aber die Gruppe kam ihr nicht bekannt vor. Jedoch war es auch nicht ihre Musikrichtung, die da spielte. „Das ist die Band, in der Seth war“, erklärte Jamie ihr, nicht ohne einen gewissen Grad an stolz. Auch wenn Leslie nicht wirklich glauben konnte, das Seth einmal etwas dergleichen getan hatte. Aber Jamie war noch nicht fertig, mit seiner Erläuterung und hatte nur kurz inne gehalten, um ein kleines Notizbuch hervorzuzaubern, das seine Tante noch nie bei ihm gesehen hatte. „Und was ist das jetzt?“, fragte sie neugierig. „Das … das gehört Seth. Da sind die Lieder drin, die er geschrieben hat und Tickets und Fotos und … Autogramme von anderen Bands und … Briefe von Fans.“ Wie einen kleinen Schatz hielt er es, bevor er doch seinem eigentlichen vorhaben nachkam und das Buch Leslie gab, damit sie es sich ansehen konnte. „Weiß er, das du es hast?“, wollte sie wissen, während sie es an sich nahm und anfing zu blättern. „Mhmmm“, machte ihr Neffe da nur leise. „Also nein“, übersetzte sie und konnte doch nicht böse sein. Noch waren sie ja da und Jamie könnte das Notizbuch an Seth zurück geben. Aber erst einmal sah sie es sich nun an und sie staunte nicht schlecht, bei dem was sie sah. Vor allem die Fotos der Band hatten es ihr angetan, auch wenn sie eine Weile gebraucht hatte, um Seth zu erkennen. Mit der ganzen Schminke im Gesicht war es zuerst ein wenig schwer, aber nun, da sie es wusste, war er schnell auf den Bildern entdeckt. Sie blätterte langsam durch die abgegriffenen Seiten und spürte dabei, wie ihr Schuldgefühl Seth gegenüber nur mehr und mehr an Größe gewann. Das konnte sie so nicht auf sich beruhen lassen. So in Gedanken wie sie war, starrte sie bald schon nur noch auf eines der Bilder. Allerdings nur solange, bis Jamie an ihrem Ärmel zupfte. „Letzte Seite...“, sagte er nur und war dabei die Batterie seines Players zu wechseln. Leslie kam dem nach und entdeckte das wohl einzige Bild von Seth, in diesem Buch, ohne Schminke. Man sah ihm an, das er jünger war und bei weitem noch nicht soviel Rauschmittel zu sich genommen hatte, wie es jetzt der Fall war. Leslie seufzte leise und sah dann doch lieber dabei zu, wie Jamie sich wieder die Kopfhörer aufsetzte. „Kann er nicht mit uns kommen?“, fragte er dabei beinahe schon nebensächlich. Das war ein Gedanke, den sie auch bereits gehabt hatte. Nur hatte sie Seth bereits gesagt, was sie von Drogen hielt und das sie aus diesem Grund Jamie von ihm fernhalten würde. Aber das war vor dem Ganzen gewesen. Und es blieb noch immer die Möglichkeit eines Entzuges. Sie hätte mal fragen sollen, wie sie das derzeit im Krankenhaus handhabten. Irgendetwas würden sie ihm ja geben müssen, aber Leslie hatte davon keinerlei Ahnung. „Wie wäre es... wenn wir uns mal anschauen, was für Möglichkeiten es für ihn gibt von den Drogen weg zu kommen. Dann können wir noch immer schauen, das er eine Wohnung bei uns in der Nähe bekommt.“ Jamie schien von der Idee angetan zu sein und schon noch einmal die Kopfhörer zur Seite. „Kann er nicht auch bei uns einziehen? Du hast doch das Haus, oder? Da wäre genug Platz...“ Da hatte Jamie recht. Nur war es ihr unangenehm Seth bei sich zu haben. Vielleicht würde sie ihn dafür aber auch nur noch ein wenig besser kennenlernen müssen. „Das... müsste ich mir aber noch einmal überlegen.“ Jamie nickte und nahm das Buch wieder entgegen, als Leslie es ihm zurück gab. „Aber das geben wir Seth wieder zurück. Das ist sicher wichtig für ihn.“ In der Nacht schlief sie schlecht. Andauernd war sie aufgewacht und am Ende schaltete sie das kleine Licht neben ihrer Bettseite an, um nach dem Buch zu suchen, das Jamie ihr gezeigt hatte. Sie wollte das Bild noch einmal sehen. Irgendetwas daran hatte es ihr angetan und sie betrachtete es noch eine ganze Weile, bis sie wieder einschlafen konnte. Als sie am nächsten Tag erneut einen Versuch im Krankenhaus wagten, hatten sie mehr Glück. Wobei Leslie nicht sagen konnte, ob es wirklich als Glück zu bezeichnen war. Aber Seth war wach, wenn er auch noch immer nicht sehr gut aussah und sich auch sicher nicht so fühlte. Dennoch bekam er so etwas wie ein Lächeln zustande und zeigte sicher nur die Hälfte der Schmerzen, die er wirklich hatte, als Jamie ihn begrüßte. „Hi“, begrüßte ihn Leslie und blieb neben dem Bett stehen. „Jamie... wir wollten nach dir sehen.“ „Habt ihr... gestern schon.“ Sie nickte und war froh, das die Krankenschwester es ihm wirklich gesagt hatte. „Leslie hat gesagt, das du zu uns kommen kannst!“, klärte Jamie Seth auf und bemerkte gar nicht, das sein Versuch auf das Bett zu klettern keine gute Idee war. „Jamie...“ War jedoch alles was Leslie sagen musste, um ihn davon abzuhalten, weiter auf das Bett zu wollen. „Wirklich?“, fragte Seth ein wenig skeptisch. Nach ihrer letzten Unterhaltung war es wohl weniger so, das sie ihn unbedingt um sich haben wollte. „Nun eigentlich habe ich gesagt, das du zu uns kommen kannst, wenn du vorher einen Entzug gemacht hast. Jamie fänd es toll...“ Ihre Meinung dazu konnte sie noch gar nicht mitteilen. Irgendwie... hatte sie sich da selbst noch nicht entschieden. Aber sie wusste, das sie ihn nicht dort in dem Haus lassen wollte. Seth nickte nur und schloss die Augen. Ein Entzug... daran hatte er schon lange nicht mehr gedacht. Auch wenn es sicher das Beste wäre, das er tun konnte. „Oh, und das ist deines, richtig? Jamie hatte es sich... geliehen.“ Um zu sehen, über was Leslie da redete öffnete Seth wieder die Augen. Er sah sein Notizbuch und richtete seinen Blick dann zu Jamie. „Hast du auch das andere?“ Der Kleine nickte schuldbewusst. „Zeigst du das auch deiner Tante?“ „Wenn... wenn du das willst.“ „Tu es... dann... soll sie über ihr Angebot noch einmal nachdenken.“ Kapitel 11: Geheimnis --------------------- Seit dem Seth es erwähnt hatte, war Leslie auf das zweite Notizbuch neugierig. Sie hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handeln könnte, was vor allem daran lag, das Seth sagte, das es nichts mit dem gemein hatte, was sie bereits kannte. Das machte ihr schon ein wenig Sorgen. Gerade in Anbetracht der Anschuldigungen, die es derzeit gegen ihn gab. Wobei sie da Jamie glaubte und der sagte, das alles in Ordnung war. Auch bei dem was er bei der Polizei erzählt hatte, glaubte sie, das es der Wahrheit entsprach. Denn lügen tat er eigentlich nicht. Zumindest hatte sie dergleichen noch nie mitbekommen. Durch ihre Neugierde saß sie jedoch die weitere Zeit im Krankenzimmer, ein wenig auf heißen Kohlen. Das Jamie da anfing mit ihnen Karten spielen zu wollen, war nicht gerade hilfreich. Doch jetzt schon wieder zu gehen wäre ihrem Neffen gegenüber nicht fair und darum tat sie sich mit Seth zusammen, da der nicht wirklich die Karten halten konnte und, wie er sagte, auch gerade keine Lust auf verlieren hatte. Das tat er auch nicht. Zumindest für die Hälfte der Runden, die sie spielten. Viele waren es jedoch nicht, da Seth bereits nach der zweiten Runde immer wieder die Augen zufielen und nach zwei weiteren, war er ganz eingeschlafen. Sie blieben noch ein wenig, aber da langsam die Besuchszeit zu Ende ging, mussten sie so oder so bald gehen. Jamie steckte das Notizbuch wieder ein, da Seth hier nicht viel damit anfangen konnte und Jamie nicht wollte, das es wegkam. Leslie glaubte eher, das sich ihr Neffe nicht davon trennen wollte, aber das würde sie ihn später fragen. Im Hotel machte sie sich einen Kaffee, setzte sich anschließend auf das Bett und hatte Jamie neben sich, nachdem er ihr das zweite Notizbuch gegeben hatte. Es war größer und sah auch um einiges älter aus. „Das ist cool!“, erklärte ihr Jamie und lehnte den Kopf an seine Tante. „Findest du?“ Er nickte und schlug für Leslie die erste Seite auf, da sie das Buch zwar in der Hand hielt und auch so aussah, als wollte sie den Inhalt sehen, es aber dennoch nicht aufschlug. Als erstes bekam sie Kinderzeichnungen zu sehen. Mit Buntstiften gemalt und mit krakeliger Schrift benannt. „Igelnatter“, las sie vor. „Isst gerne Regenwürmer.“ Da waren noch mehr Kreaturen, die wohl alle der Fantasie des Jungen entstanden waren, der sie gemalt hatte. Doch dann kam ein Eintrag ohne Bilder, der sich auch eher wie ein Tagebucheintrag lesen ließ, der in der gleichen krakeligen Schrift geschrieben wurde, nur statt mit Buntstift, mit einem Kugelschreiber. Mum glaubt mir noch immer nicht. Sie sagt, ich soll aufhören sie anzulügen und vor allem niemand anderem davon erzählen. Die anderen in der Klasse machen sich bereits lustig über mich und laufen dauernd vor mir weg. Das ist doof. Ich will doch nur, das sie wissen, was noch so auf dem Schulhof rumläuft. Vor allem, wenn es aussieht, als wolle sie eines der Tiere beißen. Es hat noch keines gemacht, aber manchmal sehen sie so aus. Wieso können sie die alle nicht sehen? „Hast du alles gelesen, was hier steht?“ Leslie legte das Buch auf ihre Oberschenkel und nahm die Tasse von dem kleinen Schränkchen neben sich, um davon zu trinken. Jamie nickte und streckte sich auf dem Bett aus. „Seine Mutter hat ihn von der Schule genommen und ihm gedroht ihn nie wieder aus dem Haus zu lassen, wenn er weiter von den Tieren redet, die er sieht. Irgendwann hat er dann angefangen Drogen zu nehmen, in der Hoffnung … normal zu werden.“ „Das ist keine vernünftige Lösung!“ „Das hat er auch erkannt – ziemlich weit hinten.“ Wenigstens hatte Jamie, bei allem, was um ihn herum passierte, gelernt, das Drogen eine dumme Idee waren. Das war wichtig! Nicht das er auf den Gedanken kam, irgendwann damit anzufangen. Das war wohl ihre größte Angst. Darum kümmerte sie sich auch erst einmal nicht weiter um das Buch, sondern um ihren Neffen. Als Jamie schlief, machte sie sich eine weitere Tasse Kaffee und kuschelte sich in die Bettdecke, bevor sie sich daran machte wieder das Notizbuch in die Hand zu nehmen. Sie blätterte bis zu der Seite, wo sie aufgehört hatte und schaute dann noch einmal auf Jamie, bevor sie sich ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Seiten vor ihr richtete. Die Zeichnungen wurden erstaunlich gut und die Beschreibungen auch immer detaillierter. Wobei ganz genau zu sehen war, ab wann Seth angefangen hatte zu – wie es in dem Buch stand – rauchen. Leslie wollte gar nicht wissen, was für ein Kraut das gewesen sein musste. Die Bilder wurden jedenfalls gruseliger und Leslie fragte sich, ob Seth jemals Albträume gehabt hatte. Nach weiteren Seiten, in denen Schwarz die dominante Farbe war, fehlten ein paar Seiten. Sie waren raus gerissen, wie man an den groben Rissspuren sehen konnte. Leslie fuhr langsam mit dem Finger daran entlang und fragte sich, was dort wohl gewesen war, das es herausgerissen werden musste. Aber raus finden würde sie es wohl nicht. Das einzige, was noch einen Hinweis gab, waren die Kratzer in den folgenden Blättern. So sah Papier nur aus, wenn jemand sehr stark und oft über ein und die selbe Stelle geschrieben hatte – oder in diesem Fall wohl etwas durchgestrichen. Die angemackten Seiten waren größtenteils unbenutzt und erst nach drei weiteren Blättern ging es weiter. Ein wunderschönes Bild von einem Mädchen. Wer sie war, stand nicht dabei, aber Seth schien sie öfter gesehen zu haben, denn auch auf der Rückseite gab es jede menge Bilder von ihr. Alle gemalt und Leslie war schon erstaunt, das Seth so gute Bilder zustande brachte. Geschriebene Einträge blieben Mangelware. Es gab noch einen, der erwähnte, wie er von zuhause weggelaufen war, aber das seine Eltern ihn wohl auch nicht vermissen würden, da sie ihn für verrückt hielten und sich schämten ihn zum Sohn zu haben. Leslie fragte sich, warum nicht einfach mal jemand mit ihm bei einem Arzt war, aber inzwischen war Seth alt genug, um das selbst zu entscheiden. Dennoch fragte sie sich schon, warum er diese Wesen für echt hielt – sie überhaupt sah. Das musste doch einen Grund geben. Noch einmal erschien ihr Seth in einem anderen, neueren Licht, was ihn noch immer nicht so sympathisch machte, das sie ihn einfach bei sich einziehen lassen würde. Nur dazu musste er ja so oder so erst einmal einen Entzug machen. Wie lange dauerte so etwas? Umso länger hätte sie noch Zeit es sich zu überlegen. Kapitel 12: Sichergehen ----------------------- Jamie war in der Schule und Seth noch immer im Krankenhaus, als Leslie im Wartezimmer eines Arztes saß und auf ihren Termin wartete. Sie hatte das große Notizbuch dabei, damit sich der Arzt es ansehen konnte. Sie musste einfach wissen, was es sein könnte, das Seth diese Tiere sah. Zwar hatte sie bereits selbst versucht dazu Informationen zu bekommen, aber es war im Grunde so vieles möglich, das sie den Überblick verloren hatte. Sicher war es nicht richtig hinter dem Rücken von Seth zu versuchen etwas dergleichen rauszubekommen, aber sie wollte einfach nur sicher gehen das, falls er wirklich zu Jamie und ihr kommen sollte, sie sich keine Sorgen wegen ihm machen musste. Auch wenn er sich die letzten Wochen um Jamie gekümmert hatte und das nicht einmal so schlecht, wie es schien. Sie blätterte ein weiteres Mal durch das Buch und blieb erneut an der Seite hängen, die ihr schon an dem Abend vor ein paar Tagen aufgefallen war. Bei all den schwarzen, zum Teil schon Monstern, war dieses Blatt eine richtig wunderschöne Ausnahme. Da waren mehrere Bilder von einer jungen Frau. Wer sie war, wusste Leslie nicht, da Seth keinen Namen dazu geschrieben hatte. Auch schien er sie in der U-Bahn gesehen zu haben, wenn sie die wenigen Hintergründe richtig erkannte. Vermutlich hatte er sie dort nur gesehen und, wie es den Anschein machte, hatte sie ihm gefallen. Warum sonst hätte er so viele Bilder von ihr gemalt? Auf keinem sah sie ihn an, war jedoch mit jemandem beschäftigt oder schaute auf ihr Mobiltelefon. „Mrs Denton?“, wurde Leslie aufgerufen und sie schlug das Buch zu, um in das Sprechzimmer des Arztes zu gehen. Dann würde sie vielleicht ein paar Antworten bekommen. Wirklich weiter war sie nicht, als sie wieder bei Seth am Krankenbett saß. Zwar hatte sie nun ein paar speziellere Ansätze, aber für genaueres wollte der Doktor Seth persönlich befragen. Leider konnte sie nicht sagen, ob Seth auch dazu bereit wäre. Er hätte schon vor Jahren zu einem Arzt gehen können, aber er hatte es nie getan. Das war auch etwas, über das sie nun mit ihm reden wollte. Sobald er auf sie reagierte, was noch nicht passiert war. Zwar hatte er bereits ein wenig gemurrt, aber seine Augen waren noch immer geschlossen. „Seth“, sagte sie leise und nahm seine Hand. Selbst an der waren einige Schürfwunden, die jedoch bereits beim Kartenspielen nicht mehr sehr schmerzhaft gewesen waren. Hatte er zumindest behauptet. „Kann ich dich was fragen?“ Er nickte und blinzelte kurz mit einem Auge. „Klar“, sagte er dann noch und etwas sagte ihr, das es ihm gar nicht mehr so schlimm ging, sondern er einfach keine Lust hatte, wacher zu sein. „Was hat dass mit den Bildern auf sich?“ Einen Moment lang presste er die Lippen aufeinander, bis er sich dazu entschied, Leslie anzusehen. Für diese Art des Gespräches, war Augenkontakt wohl das Beste. „Ich male, was ich sehe“, antwortete er ihr. „Genauso, wie es in dem Buch steht.“ „Aber hast du dich denn nie gefragt, wieso das so ist?“ Er schüttelte den Kopf und wirkte so, als würde er eher an Leslie vorbei schauen. Raus, aus dem Fenster und sie fragte sich bereits, ob er da etwas sah, oder nur nachdachte. Das war schwer einzuschätzen. „Ist doch egal... Inzwischen ist es mir jedenfalls nicht mehr wichtig.“ „Mir ist es nicht so egal. Was, wenn du etwas gesehen hättest, was dich erschreckt? Oder ... wenn du Jamie deswegen verletzt hättest?“ „Das würde nicht passieren!“, versicherte er. „Sie sind immer da, aber sie tun nichts. Da ist kein Grund sich zu erschrecken.“ Das stimmte so nicht. Manche taten sehr wohl etwas, aber das wollte er ihr lieber nicht erzählen. Sie machte sich so schon viel zu viele Gedanken. Außerdem würde Leslie es sicher nicht verstehen und das musste sie auch gar nicht. Vielleicht ahnte sie das auch, als sie sich zurück lehnte und das Notizbuch aus ihrer Umhängetasche holte. Wieder blätterte sie, doch dieses Mal mit einem festen Ziel. Sie hatte beschlossen erst einmal ein leichteres Thema anzuschneiden. „Wer ist das hier?“, fragte sie darum neugierig und hielt ihm die Bilder der jungen Frau hin. Seth sah sie sich an und seufzte leise. „Ihr Name ist Molly. Ich habe sie regelmäßig gesehen. Wir haben uns unterhalten, bis ich eines Tages Luft für sie war.“ „Wart ihr zusammen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Wir hatten den gleichen Weg und sind wochenlang mittags mit demselben Bus gefahren.“ Das hatte sich dann aber erledigt, als er aus der Band geflogen war und nicht mehr zum Proberaum fuhr, um mit den anderen neue Lieder einzustudieren oder den Wagen vollzuladen, um zu einem Auftritt zu fahren. Seit dem hatte er Molly nicht mehr gesehen, was ihm auch nicht weiter etwas ausmachte. Sie lebte eh in einer anderen Welt und hatte ja von sich aus vorher bereits nicht mehr mit ihm reden wollen. Bis eben hatte er nicht einmal mehr an sie gedacht. Warum wollte Leslie das nur wissen? „Du hast sie sehr schön gemalt.“ Seth murrte leise und schloss die Augen wieder. Ihm tat der Rücken weh. Die ganze Zeit so zu liegen war nichts für ihn und eine gemütlichere Position fand er einfach nicht. Auch alles andere war auch eher unangenehm. Aber an sich fühlte er sich nicht wohl im Krankenhaus und wollte am liebsten in sein eigenes Bett. Nur dahin konnte er nicht zurück. Die Leute in dem Haus... Nein, da wollte er nicht wieder zurück. Das machte es dafür ein klein wenig einfacher sich zu entscheiden, ob er wirklich einen Entzug machen sollte. Vielleicht... für Jamie. Wohl am meisten für ihn selbst, aber... „Soll ich gehen?“, fragte Leslie, nachdem er eine ganze Weile nichts mehr gesagt hatte. „Nein... nein, warte noch. Ich denk nur nach.“ Seth hörte, wie sie an ihrer Tasche war. Er ging davon aus, das sie sein Buch wieder einsteckte. Danach spürte er wieder ihre Finger an seinen, auch wenn sie dieses Mal nur über seine Hand streichelte. Da blinzelte er doch noch einmal zu ihr. „Kann ich wirklich zu euch, wenn ich einen Entzug mache?“ „Ja!“ Seth nickte verstehend. Dann sollte er das wohl machen. Er hatte es ja auch so recht gut ausgehalten und das nur für den Jungen. „Würdest du auch zu einem Arzt gehen, um das mit den... Tieren abklären zu lassen?“ Seth seufzte. Darauf hatte er tatsächlich am wenigsten Lust, aber gut. Wenn es Leslie so wichtig war. „Wenn es dich beruhigt. Sonst platzt du noch, weil du dir zu viele Sorgen machst.“ Kapitel 13: Entzug ------------------ Seth saß auf einem Heuballen, noch immer sah man ihm seine Verletzungen an und sein linker Arm tat weh, wenn er ihn bewegen wollte. Angeblich war es nur eine Prellung, aber er konnte sich gar nicht daran erinnern bei so etwas jemals so lange keine Verbesserung zu spüren. Aber vielleicht rächten sich da die ganzen Jahre, in denen er seinem Körper nichts gutes getan hatte. Unwahrscheinlich war es nicht. Darum war es gut, das er etwas daran ändern wollte, auch wenn es nicht ganz allein für ihn war. Aber er wollt weg aus dem Haus, in dem er derzeit lebte und er musste zugeben, das er sehen wollte, was aus Jamie wurde. Für all das musste er etwas tun und das hier war ein Schritt dahin. Ob es ein richtiger Schritt war, das sollte sich noch zeigen, aber sehr falsch konnte es nicht sein. Angeblich hatte er das Schlimmste hinter sich, auch wenn er es nicht glauben konnte. Nach den zwei Wochen, die er bereits hier war, fühlte er sich zwar klarer im Kopf, aber ansonsten... Die Polizei hatte, vor seiner Ankunft hier, noch einige Male mit ihm geredet. Zum einen, um eine Aussage von ihm zu bekommen und zum anderen auch, um ihn über den neusten Stand aufzuklären. Bei den Ermittlungen hatte es Unstimmigkeiten gegeben und nach dem diese beseitigt werden konnten, war klar gewesen, das viele der Aussagen von Jamies Eltern nicht stimmten. So gab es einen Zeitraum, in dem Jamie angeblich von Seth festgehalten worden war, wo der Schüler nachweislich mit der Schule unterwegs gewesen war. Dazu gab es die Aussagen der Lehrer und Mitschüler, das Jamie die ganze Zeit über am Unterricht teilgenommen hatte, auch wenn einige gesehen hatten, wie Seth ihn vor der Schule verabschiedete. Eine Information hatte Seth jedoch mit einem Schlucken aufgenommen. Denn ein paar der Kinder hätten ausgesagt, das Jamie ihn als seinen neuen Dad bezeichnet hatte. Ausgerechnet ihn... Ein Geräusch lenkte Seth' Aufmerksamkeit auf die nahen Bäume, an denen er bereits, als er sich hingesetzt hatte, ein Paar seiner ständigen Begleiter getummelt hatten. Sie sahen aus wie Füchse, hatten jedoch Federn und konnte offenbar recht gut klettern, da sie immer wieder halb an einem der Stämme hoch kletterten, um dann den anderen so zu erwischen, das dieser zu Boden ging. Seth hatte aufgehört auf sie zu achten, aber jetzt, als eines von ihnen quietschte, wollte er doch wissen, was passierte. Etwas kleines war aufgetaucht. Gerade mal halb so groß, wie die anderen zwei, die jetzt eher davor zurück schreckten. Warum genau das so war, konnte Seth nicht sehen, aber wahrscheinlich war, das die kleinen Spitzen, die er sah, Stachel waren. Näher ran gehen, um mehr zu sehen, würde er allerdings nicht. Die Zeit war vorbei. Er beobachtete sie lediglich weiter und bemerkte den Besucher, den er bekam, nicht gleich. „Hi“, begrüßte ihn Jamie und schaute in das erstaunte Gesicht. Seth mochte, das Jamie so breit grinsen konnte. Das gab ihm irgendwie Hoffnung. Für den Kleinen und für sich selbst. „Was machst du denn hier?“, wollte er dennoch wissen. Auch wenn er nun inzwischen selbst lächelte. Etwas, das Jamie vermisst hatte. „Ich wollte dich besuchen.“ „Aber deine Tante weiß davon?“ Da musste man bei Jamie ja ein wenig nachhaken. Der würde auch alleine losziehen. Das war nichts neues. „Klar, sie hat mich gebracht und wartet am Haus.“ Seth nickte und schaute wieder zu den Tieren, die noch immer umeinander herum liefen und sich ein wenig mit dem kleinen, dritten im Bunde stritten. „Wolltet ihr schauen, wie es läuft...“, mutmaßte Seth und sah wieder zu Jamie. Doch der war nun seinerseits mit seinem Blick woanders. Genau genommen da, wohin auch Seth eben hingesehen hatte. Seth spürte regelrecht, wie eine Vermutung in ihn aufkam. Ihm kam Dinge in den Sinn, bei denen es ihm bereits hätte auffallen müssen, doch wo er zu benebelt gewesen war oder sich einfach nicht darum gekümmert hatte. Noch erwähnte er diese Vermutung allerdings nicht. Das würde er erst, wenn er sicher war. Sicherer als jetzt... Kapitel 14: Ruhe ---------------- Seth beobachtete Jamie noch eine ganze Weile, bis der sich von dem Anblick der ungewöhnlichen Wesen wieder lösen konnte. Erst als sie sich daraufhin ansahen, bemerkte der Junge, das Seth ihn beobachtet hatte. Verlegen und ertappt fühlte er sich, als er auf den Boden vor sich schaute, während er sich an den Heuballen lehnte, auf dem Seth saß. „Wollen wir zum Haus?“, fragte der jedoch nur und Jamie nickte sofort, in der Hoffnung Seth hätte nichts bemerkt. Sie schlenderten zurück. Vorbei an den Bäumen, bei denen noch mehr der Kreaturen anzutreffen waren. Seth hatte sich noch immer nicht damit abgefunden, das es hier so viele gab. Dafür sahen sie nicht so gruselig aus, wie in der Stadt. Ob das nun besser oder schlechter war, darüber war er sich noch nicht einig. Der ehemalige Sänger betrachtete eine Art Libelle auf Stelzen, wie sie in die gleiche Richtung ging wie Jamie und er. Sie war so nah, wie selten eines der Wesen und so kam er auf den Gedanken etwas zu tun, was er seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Er stoppte und ging in die Hocke, um eine Hand nach dem Wesen auszustrecken. Genau einmal hatte er das probiert und war dabei so erschreckt worden, das er es daraufhin nie wieder gewagt hatte. „Was wenn es dich beißt?“, hörte er hinter sich und Seth zog seine Hand zurück bevor er zu Jamie sah. Der erkannte seinen Fehler auch schnell, aber Seth winkte ihn nur zu sich, damit sie sich das Wesen zusammen ansehen könnten. „Dann geben wir ihm einfach keine Chance uns in die Hand zu beißen.“ Er lächelte Jamie an und sah dann wieder zu dem Stelzentier. „Warum hast du mir nicht gesagt, das du sie sehen kannst?“ Jamie antwortete nicht. Er schaute sich das Tier an und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Es gab so viele Gründe und doch nur einen einzigen. „Ich hab es niemandem gesagt...“ „Aber warum? Du kennst das Notizbuch. Dachtest du, ich würde dir nicht glauben?“ Jamie hob nur leicht die Schultern und setzte sich dann neben Seth auf den Rasen, in der Hoffnung, das es weit genug weg war, dass das Tier ihn nicht erwischen würde, falls es auf die Idee kommen sollte doch mal Mensch kosten zu wollen. Seth tat es ihm gleich, auch wenn er weiterhin das Wesen betrachtete, was sich inzwischen wieder in Bewegung gesetzt hatte und von ihnen weg wanderte. „Hat dir jemals eines was getan?“ Jamie schüttelte den Kopf und zupfte langsam einen Grashalm nach dem anderen aus. Seth beobachtete ihn eine Weile dabei, bis er im Augenwinkel noch etwas anderes sah – oder eher jemanden. „Deine Tante“, informierte er Jamie und winkte Leslie bereits zu. Es fühlte sich gut an sie zu sehen, womit er nicht gerechnet hätte. „Sag es ihr nicht“, bat Jamie und schaute entsprechend zu Seth. Der nickte zur Bestätigung und wuschelte dem Kleinen durch die Haare, bevor er aufstand. „Wir reden aber noch einmal drüber, ja?!“ „Okay.“ Seth war sehr froh, das sie ihn erst jetzt besuchen kamen. In den ersten Wochen war er unerträglich gewesen. Er hatte sich selbst nicht ausstehen können und hätte mehr als einmal am liebsten alles hingeschmissen. Inzwischen ging es und das Jamie und Leslie hier waren, konnte nur heißen, das Leslie wirklich ihr Wort halten würde, das machte es gleich noch besser und gab ihm noch einen Grund mehr auch weiterhin durchzuhalten, vor allem auch, das dann auch weiter zu schaffen, wenn er erst einmal bei ihnen war. Nur was er machen wollte, wusste er nicht. Er hatte keine Ausbildung – nicht einmal einen Schulabschluss. Alles was er jemals gemacht hatte, war das Singen, aber ob er darauf überhaupt noch Lust hatte... das wusste er nicht. Nachdem er bei seiner letzten Band rausgeworfen wurde, hatte er eigentlich überhaupt keinen Antrieb mehr noch einmal auf einer Bühne zu stehen. Dabei sollte er sich wohl langsam mal Gedanken dazu machen, damit er etwas zu tun hatte, wenn er bei … seiner neuen Familie war. Interessanter Gedanke. Aber wohl das Treffendste, als was man es bezeichnen konnte. Vor allem, wenn er an das dachte, was Jamie gesagt hatte. Nicht zu ihm, aber zu seinen Mitschülern. Seth blinzelte, da sie Sonne ihm direkt ins Gesicht schien und sah kurz zu seinen Mitspielern, bevor er wieder auf seine Karten schaute. „Ich glaube, ich werde zur Abwechslung mal gewinnen“, erklärte er und lächelte vor sich hin. Das Leslie ihn die ganze Zeit genauer beobachtet hatte, war ihm nicht aufgefallen. „Jamie...“, sagte sie leise. „Ich glaube, du hattest eine gute Idee.“ Kapitel 15: Willkommen Zuhause ------------------------------ Nachdem er die Tür von dem Taxi, das ihn hierher brachte, geschlossen hatte, stand Seth vor einem, für seine Verhältnisse, großem Haus und betrachtete es. Die blass-blau gestrichene Fassade konnte noch nicht alt sein. An sich schien das Haus noch nicht viele Jahre auf dem Buckel zu haben, anders als das Gebäude, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Aber das hier war auch von den Bewohnern her nicht mit seinem Elternhaus zu vergleichen. Das war riesig und steinalt gewesen und er hatte es seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Genauso wenig, wie dessen Bewohner. Hier war sein neues Zuhause. Nur Jamie, Leslie und er. Der letzte Nachbar zur linken war in etwa fünf Kilometer die Straße runter und der zur rechten gerade mal in Sichtweite. Das gefiel ihm sehr. Da fühlte er sich nicht so beobachtet. Seth schulterte seinen Rucksack und ging zur Haustür, um zu klingeln. Die Veranda war toll, wie er feststellte. Da konnte man klasse sitzen und … lesen. Viel anderes fiel ihm im Moment als Ersatz für das, was er normal getan hätte nicht ein. Aber das war Vergangenheit und gehörte hier nicht mehr hin. Er hoffte nur, das er sich daran auch wirklich weiter halten könnte. Vorgenommen hatte er es sich und mangels Führerschein, Auto und Bekannten, die ihn abholen könnten, hatte er auch keine Möglichkeit alleine loszuziehen. Erst einmal jedenfalls nicht. Noch immer hatte er sich nichts überlegt, was er machen wollte. Irgendwie musste er ja Leslie unterstützen, wenn er hier schon leben durfte. „Oh, da bist du ja schon“, begrüßte ihn eben selbige und umarmte ihn sogar zur Begrüßung. Es war ein seltsames Gefühl, aber er erwiderte die Umarmung und folgte ihr dann ins Haus. „Jamie ist noch in der Schule?“ „Ja. Er freut sich schon seit Tagen darauf, das du herkommst. Da hatte er heute sogar ein wenig dran gedacht so zu tun als sei er krank.“ Seth lächelte, als er das hörte. „Gut, das er trotzdem in die Schule gegangen ist.“ Aber er wusste ja, das Jamie so gut wie nichts davon abhalten konnte zur Schule zu gehen. Da war der Junge Vorbildlich und das ganz von sich aus. Leslie nickte nur zustimmend und brachte Seth zu seinem neuen Zimmer. Ursprünglich war es das Gästezimmer und war entsprechend klein, aber da es eigentlich nur zum Schlafen war und in Anbetracht, wie Seth vorher gewohnt hatte, konnte das hier nicht so schlimm sein. „Wir haben ein paar deiner Sachen aus deiner alten Wohnung geholt“, erklärte sie ihm, während er sich umsah und seinen Rucksack abstellte. „Ich hoffe wir haben uns richtig entschieden. Wir wussten ja nicht, was dir wirklich wichtig war, aber... wir konnten auch nicht alles mitnehmen.“ „Schon gut.“ Es war ja nicht so, als hätte er an vielen seiner Dinge gehangen. Das Meiste war eh nur irgendwelcher Plunder und den brauchte man nicht wirklich und das Beste was er vorfand war so oder so das Bild, das ihm Jamie gemalt hatte. Das schaute er sich auch direkt an, während ihn die Hausbesitzerin beobachtete. „Darf ich mich ein wenig umsehen?“, fragte er sie schließlich und legte das Bild neben sein Bett, auf eine kleine Kommode. Leslie nickte und zeigte ihm auch noch die anderen Zimmer auf der oberen Etage. „Das ist mein Schlafzimmer, dort ist Jamies, hier ist das Bad...“ Es war alles schnell gezeigt, denn auch wenn das Haus für Seth recht groß aussah, beherbergte es doch gerade die wichtigsten Räume. Der neuste Bewohner sah sich alles an und blieb doch auf dem Treppenabsatz stehen, als Leslie bereits auf dem Weg nach unten war, um ihm auch dort alles zu zeigen. „Wer ist das?“ Leslie hielt an und drehte sich zu Seth, um zu sehen wen er meinte. Der schaute auf ein Bild, an der Wand, das ihm beim Weg hinauf gar nicht aufgefallen war. „Das ist mein Mann.“ Das erklärte auch das große Bett, wie Seth auffiel, während er so drüber nachdachte. „Du bist verheiratet?“ Damit hätte er nicht gerechnet. Er hatte in der ganzen Zeit keinen Ring an ihrem Ringfinger gesehen und auch Jamie hatte nie von einem Onkel erzählt. „Sein Name war Robert.“ War... Seth schaute die Stufen hinab auf Leslie, die nicht mehr zu ihm hinauf gekommen war, um zu sehen, wen er eigentlich meinte. Sie kannte das Bild. In und auswendig. Wahrscheinlich sah sie es sich jeden Morgen an, bevor sie in die Küche ging, um Frühstück zu machen. Zumindest sagte ihr Blick, das sie ihn vermisste und Seth fühlte sich sofort ein wenig Schuldig, das er es angesprochen hatte. „Tut mir leid...“, murmelte er darum. „Kein Problem. Wir wussten von dem Risiko und …“ Sie drehte sich erneut und weiter die Treppe runter. Leslie brauchte einen Kaffee und Seth würde da sicher auch nicht nein zu sagen. Der blieb noch einen Moment auf dem Absatz stehen und betrachtete den großen Mann, der wirklich gut zusammen mit seiner Frau auf diesem Bild aussah. Sie sahen so glücklich aus. Aber so wie Leslie reagiert hatte, würde er sie erst einmal nicht weiter nach ihm befragen. Er hatte seine Neugierde kundgetan und vielleicht würde er mal einen passenden Moment erwischen, in dem er mehr erfahren könnte. Aber wenn nicht... dann nicht. „Seth!“ Jamie ließ seine Tasche unachtsam auf dem Boden fallen und umarmte Seth, der gerade in Richtung Küche verschwand. Da war er ja genau richtig zurück gekommen! Vergessen waren die Hausaufgaben, die erst noch eine ganze Weile im Schulrucksack warten müssten, bis sie das Licht des Tages wieder erblickten. Die waren egal. Ganz egal. Es fühlte sich gerade zu toll an, eine Familie zu haben. Kapitel 16: Entdeckungstour --------------------------- Während Jamie seine Hausaufgaben machte, räumte Seth seine wenigen Sachen in den Schrank und schaute, was Leslie alles von seinen alten Dingen her geschafft hatte. Auf Anhieb fand er nichts, was er vermissen würde, auch wenn ihm das vielleicht erst später einfallen würde. Allerdings hatte er auch nicht viele wirklich wichtige Dinge besessen und die waren alle tragbar und darum sicher hier irgendwo in einer der Kisten, die Leslie in dem großen Wandschrank geräumt hatte. Sie hatte ihm gesagt, das er sich nach Herzenslust einrichten könnte, aber er hatte gar keine Lust darauf seine Sachen hier im Raum zu verteilen. Noch würde er sich dann wohl wie ein Eindringlich vorkommen, auch wenn er mit viel Liebe aufgenommen wurde – Selbst von Leslie. In den vielen Wochen, die sie sich nun kannten, er im Krankenhaus und beim Entzug gewesen war, hatte sie sich wohl an ihn gewöhnt und wenn er Jamies letztem Brief glauben konnte, war es sogar mehr als nur das. Wobei das vielleicht bei dem Kleinen auch nur so klang oder er da mehr hinein interpretierte, als wirklich vorhanden war. Seth schloss die Tür zu seinem Zimmer nicht ganz, als er auf den Flur zurück trat, um sich noch einmal alleine alles hier anzusehen. Zuerst Jamies Zimmer, das, anders als bei seinen Eltern, hier wirklich wie ein Kinderzimmer aussah. Spielsachen, Bücher... und nicht ganz aufgeräumt, wie man es erwarten würde. Jedoch sah es nicht so schlimm aus, wie bei seinen Eltern oder in Seth' alter Wohnung. Also war ihm selbst da Jamie um einiges voraus. Das war schon fast gruselig. Er schloss die Tür, so weit, wie er sie vorgefunden hatte und ging weiter zu Leslies Zimmer. Da war sein Zögern schon ein wenig größer, aber er ging dennoch hinein und sah sich um. Nur kurz, sich einen Überblick verschaffen. Auch hier waren Bilder von ihr und ihrem Mann. Das größte, das auf einer Kommode stand, war offensichtlich ein Hochzeitsfoto. Sie sah wunderschön aus, in dem weißen Kleid und sie strahlte glücklich. Ihr Mann trug statt einem Anzug eine Uniform, was Seth einen Hinweis darauf gab was wohl mit Robert passiert war. Auf dem Bild daneben waren Leslie und Robert zusammen mit Jamie. Sehr viel kleiner war der da nicht. Es konnte also nicht sehr lange her sein, das Leslie und Robert geheiratet hatten. Was auch immer danach passiert war. Vermutlich hatten sie dieses Haus gekauft. Seht verließ das Zimmer und schloss auch hier dir Tür so, wie er sie vorgefunden hatte. Er schaute noch einmal über den Flur und musste daran denken, das in der oberen Etage oft die Räume für die Familie lagen, während es unten ein Gästezimmer gab. Falls überhaupt genügend Zimmer dafür vorhanden waren. Aber hier war es so, auch wenn Leslie es sicher nicht so bezeichnen würde. Dennoch brachte es ihn auf den Gedanken, wofür dieses Haus mal eigentlich gedacht gewesen war. Leslies Familie... Wo Jamie zu gehörte, aber sicher nicht er. Seth war... er hatte keine Ahnung, als was er sich selbst bezeichnen sollte. Er hatte einfach Glück gehabt. Ohne Jamie... Ohne Leslie... Da gab es einige Dinge, die in der Zwischenzeit hatten passieren können, an die er nicht denken wollte. Darum ging er auch schnell wieder runter, in die Küche, wo Jamie die letzten Rechenaufgaben machte und sich dann selbst mit einem Kakao belohnte. So hatte er es auch bei ihm schon immer gemacht. Nur deswegen hatte er überhaupt so etwas im Haus gehabt. „Zeigst du mir den Garten?“, fragte er den Jungen, der sofort dafür war und Seth den Weg durch die Hintertür hinaus zeigte, nachdem er den Kakao hektisch ausgetrunken hatte. Dabei hätte Seth auch ein paar Minuten gewartet. Wo das Grundstück aufhörte, war nicht zu erkennen. Es war eine große Wiese, mit einigen Bäumen und irgendwann kam der Waldrand. Zumindest sah es von der Terrasse her so aus. Jamie rannte ein Stück vor und drehte sich dann zu Seth. „Beeil dich, ich will dir was zeigen!“ „Aber wir haben doch Zeit.“ Davon ließ sich Jamie jedoch nicht umstimmen. Er rannte einfach weiter und Seth schlenderte hinter ihm her. Solange er ihn noch sehen könnte – und das würde sicher noch eine ganze weile – wusste er ja, wohin er musste. Jamie rannte bis zum Waldrand, wo er auf Seth wartete und ihn dann an die Hand nahm. Er zog Seth über den schmalen Weg und brachte ihn so zu einem Teich. Ob dieser natürlich war oder angelegt, konnte er nicht sagen, allerdings war es ihm auch nicht wichtig. „Kannst du schwimmen?“, wollte Seth lediglich wissen. Zwar hatte er mitbekommen, das Jamie auch Schwimmunterricht hatte, aber das hieß ja nichts. Jamie nickte und ging nah am Wasser in die Hocke, um hinein zu sehen. „Kennst du die?“ Seth folgte dem Vorbild des Kleinen und schaute in das klare Wasser des Teiches. Da schwammen sie. Wesen, die man nicht als normal bezeichnen würde und die er tatsächlich noch nicht gesehen hatte. Aber das war nicht unwahrscheinlich. Es musste unzählige Arten von ihnen geben, da war es sicher unmöglich alle von ihnen zu kennen. „Sie sind schön.“ „Die tun auch nichts.“ Trotzdem würde Jamie nie auch nur einen Finger in das Wasser halten. „Woher weißt du das?“ Jamie suchte sich einen nahe liegenden Stock und malte damit auf der Wasseroberfläche. „Mein Onkel hat hier Äste abgeschnitten, damit der Teich ein wenig Sonne abbekommt. Um sie aufzusammeln, musste er ins Wasser. Da waren sie alle um ihn herum, aber keines hat ihm etwas getan. Sie waren nur aufgeregt, weil er sie gestört hat.“ Seth betrachtete Jamie, dann wieder das die Wasseroberfläche. „Ist doch gut zu wissen, das sie nett sind.“ Er wartete noch auf den Moment, wenn Leslie nach der Untersuchung fragen würde. Aber seinem Kopf ging es gut, das wusste er. Immerhin bildete er sie sich nicht nur ein. Denn warum sonst sollte Jamie sie auch sehen? Lebhafte Fantasie vielleicht? Wieso sahen sie dann das Gleiche? Seth beobachtete die kleinen, merkwürdig aussehenden Tierchen, die er nicht einmal mit etwas vergleichen konnte. Zu abwegig sahen sie aus und ließen sie ziemlich gruselig wirken. „Sind sie immer hier?“, fragte er darum und stellte sich wieder hin, um sich umzuschauen. Die Äste der Bäume reichten schon wieder weit über das Wasser und sorgten so für eine Atmosphäre, die ihm so gar nicht gefallen wollte. Seth spürte sogar wie sich eine Gänsehaut ausbreitete. Was genau es war, konnte er nicht ausmachen, aber er war froh darüber, das Jamie ihn mit seiner Antwort ablenkte. „Ja, sind sie.“ „Lass uns zurück gehen...“ „Schon?“ „Ja! Ich habe noch ganz viel vom restlichen Garten zu sehen, oder nicht?!“ „Ah... Mr Hemming und Clara kennst du ja auch noch nicht!“, fiel es dem Kleinen plötzlich ein. „Wen?“ „Meine Kaninchen!“ Die waren sicher angenehmer als diese Gegend. Kapitel 17: Unbehaglich ----------------------- Etwas an der Lichtung mit dem Teich ließ ihn jetzt noch eine Gänsehaut bekommen, wenn er daran dachte. Seth war es nicht möglich zu fassen, was es war, aber es gefiel ihm nicht. Darum hoffte er auch, das er nicht dazu übergehen musste dort öfter vorbeizuschauen, weil Jamie es da mochte oder dergleichen. Seth, der eigentlich keine Lust hatte irgendwann noch einmal zu singen fand sich am Küchentisch vor einem Collegeheft wieder, in das er bereits einige Texte geschrieben hatte. Ob diese jemals das musikalische Licht der Welt erblicken würden, wusste er nicht, aber es waren Gedanken die er hatte und sie mussten raus. Schon immer war das auf diese Weise am besten gewesen, auch wenn sie jetzt vielleicht einfach nur für immer auf Papier gebannt bleiben würden. Leslie war arbeiten und Jamie in der Schule. Das Haus wirkte groß und leer, während er hier saß und es fühlte sich auch irgendwie kalt an, was sicher nur an seiner dauerhaften Gänsehaut lag. Er musste diese kleine Lichtung dringend verdrängen. Trotzdem glitt sein Blick aus dem Fenster, von wo aus er den schmalen Pfad in die Richtung erkennen konnte, in der dieser gruselige Ort lag. Bevor er sich dessen bewusst werden konnte, war er auch bereits auf dem Weg dahin und er verschränkte die Arme vor sich, als wollte er sich selbst umarmen, je näher er kam. Was dieses Unbehagen auslöste? Er wusste es nicht, aber er würde es herausfinden. Auch wenn es nicht unbedingt jetzt sein müsste. Jetzt wollte er nur sehen, ob die Gänsehaut weiterhin blieb genauso wie das Gefühl, tief in ihm drin. Bislang war es so und Seth wollte gerne umdrehen und gehen, aber dann würde es sich anfühlen, als habe er versagt und das wollte er nicht mehr. Der Teich lag still. Kein Lüftchen wehte, um kleine Wellen zu erzeugen und doch fröstelte es Seth. „Was eine dumme Idee...“, murmelte er zu sich selbst und im nächsten Moment hörte er Äste knacken. Als würde jemand – oder etwas – durch das Gebüsch stapfen. Seth atmete tief durch, um sich zu beruhigen und schaffte es doch nicht so wirklich. Dennoch blieb er stehen und hoffte darauf, die Geräusche nur in seiner Einbildung zu hören. Doch als sich auch einige der Äste bewegten, spürte er mehr und mehr den Drang wegzulaufen. Trotzdem rührte er sich nicht vom Fleck. Dazu wollte er zu sehr wissen, was es war, auch wenn er andererseits schnell wieder in die Küche zurück wollte, wo ein eben noch zu heißer Tee auf ihn wartete und inzwischen sicher eine angenehme Temperatur hatte. Am anderen Ende des Teiches tauchte ein Reh aus dem Gebüsch auf und trank in aller Ruhe etwas, bevor es Seth bemerkte und ihn ansah. Es blieb einen Moment und lief dann schnell davon, als es sich nicht sicher genug sein konnte, ob der Mensch eine Gefahr darstellte, oder nicht. Seth fühlte sich erleichtert und wollte doch so schnell wie möglich zurück zum Haus. Kapitel 18: Stadtfest I ----------------------- Leslie lebte in keiner großen Stadt und dennoch bezeichneten sie es als solche. Seth hätte es eher als ein Dorf erkannt, aber als er das an der Supermarktkasse sagte, wurde er mit bösen Blicken gestraft. Dennoch hatte er wohl recht, denn groß war etwas anderes und viele der Leute hier kannten sich seit vielen Jahren und waren gemeinsam aufgewachsen. Schon allein das verwirrte Seht ein wenig. So lange an einem Ort, obwohl man seine Nachbarn kannte. Er hatte seine nicht gekannt und war da auch meistens sehr froh drum gewesen. „Du kommst doch mit, oder?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Wohin?“ „Zum Stadtfest heute Abend. Es ist vor dem Rathaus, in dem kleinen Park.“ Er nickte sofort, auch wenn er nach dem Besuch im Supermarkt erwartete noch mehr böse Blicke zu sehen, wenn er erst einmal dort war. Aber auf so ein Stadtfest hatte er schon Lust. Vor allem, weil er sich fragte, ob die noch immer so waren, wie er sich daran erinnerte. Der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln, Karussells... Dinge, die man als Kind halt toll gefunden hatte. Wobei er sicher gegen Zuckerwatte auch jetzt nichts einzuwenden hatte. Die fand er noch immer klasse. „Dann können wir ja Jamie von der Schule abholen und direkt hin. Darüber würde er sich sicher freuen“, schlug er vor und faltete die Zeitung zusammen, in der er eben noch nach einem Job gesucht hatte. Auch wenn er gedanklich immer wieder abschweifte. „Das wäre eine Idee, ja.“ Für die Hausaufgaben hatte er ja auch noch am Wochenende Zeit und das sie gemacht werden würden war sicher. Da mussten sie Jamie nicht einmal lange zu anhalten. Noch jedenfalls. Leslie rechnete damit, das es irgendwann nicht mehr so sein könnte. Es reichte ein weiterer Schulwechsel oder einfach das entsprechende Alter, in dem Jamie dann andere Dinge toller fand. Aber noch genoss sie es, das es keinen Stress bei den Hausaufgaben gab, so wie bei ihr früher. Seth hatte sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Er war immerhin nicht unbedingt das Beispiel, das man sich als Vorbild nehmen sollte und so schlau und fleißig wie Jamie war, würde der auch sicher nicht so enden wollen. Nachdem sie noch schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufen gefahren waren, standen sie vor Jamies Schule und warteten die letzten Minuten bis die Schulglocke zur Freizeit läutete. Seth war bereits einmal in dem Gebäude gewesen, als er sich bei Jamies Klassenlehrerin vorgestellt hatte, damit sie, und auch die anderen Lehrer, wussten, das er vielleicht auch mal kommen könnte, um Jamie abzuholen. Noch hatte er allerdings keine Möglichkeit dazu, weil er noch immer nicht angefangen hatte einen Führerschein zu machen und alles, was er alleine unternahm, mit dem Fahrrad tat, wo er Jamie schlecht mit abholen konnte. Jamie war einer der letzten, sie das Gebäude verließen und hatte noch eines der Bücher im Arm, statt es in seiner Tasche zu transportieren. Als er seine Tante und Seth sah, konnte man die Freude sofort erkennen und er kam direkt zu ihnen, um sie zu begrüßen. „Wir wollten zum Stadtfest. Das fängt zwar erst in einer halben Stunde an, aber wir könnten vorher noch was kleines essen gehen.“ „Oh, ja! Die Pizza heute in der Schule war steinhart...“ „War die neue Köchin wieder am Werk?“ Jamie nickte zur Antwort und warf seinen Rucksack auf die Rückbank, bevor er hinterher kletterte und das Buch, das er Seth gegeben hatte, wieder entgegen nahm, um es wegzustecken. „Wo gehen wir denn essen?“, wollte Jamie wissen und schob den Rucksack unter den Vordersitz. „Maggie's Place?“ „Oh ja!“ „Was ist das?“, fragte Seth, der noch nicht so vieles im Stadtkern unternommen hatte. „Das ist ein süßes, kleines Restaurant, das wirklich leckere Nachspeisen hat!“ Das klang gut. Da würde er auf keinen Fall nein sagen. Die Fahrt zu dem Gebäude, was von außen eher aussah, wie ein ehemaliger Supermarkt, der inzwischen seit Jahren geschlossen hatte, war nur kurz. Als sie durch die Flügeltür hinein gingen, wurde Seth jedoch von einem Restaurant begrüßt, das sehr gemütlich und heimelig wirkte. Ein paar Leute saßen an den dunklen Tischen und aßen Kuchen. Wieder andere tranken nur einen Kaffee und waren dabei in ihren Lesestoff vertieft. Die kleine Patchwork-Familie wurde von einer Kellnerin an einen freien Tisch geführt, wo sie ihnen ihre Menükarten aushändigte. Jamie wusste sofort, was er haben wollte und ließ die Karte links liegen. Dafür bestellten sie alle bereits ihre Getränke, was wohl die schnellste Wahl war. Was er dann jedoch essen sollte, wusste Seth nicht so recht. Es klang einiges wirklich gut und am liebsten hätte er gleich drei Dinge probiert, aber so hatten sie auf jeden Fall noch einen Grund ein weiteres Mal herzukommen. „Habt ihr gewählt?“, kam mit den Getränken die Frage, auf die Seth gerne noch ein wenig verzichtet hätte. Doch seine beiden Begleiter waren schon so weit, also entschied sich Seth spontan. Nach dem Essen, das bis auf ein paar Fragen zu Jamies Schultag recht Ereignislos stattfand, gingen sie zu Fuß zum Stadtpark, der direkt vor dem Rathaus lag. Es war nicht wirklich als ein großer Park zu beschreiben, doch er war gemütlich und im Moment voller Leute, die an Buden standen, an denen man Schießen konnte oder Darts werfen. Es gab Stände mit Süßigkeiten und Spielzeug und andere, mit selbst gebackenen Kuchen oder selbst angefertigten Kunstwerken und Alltagsgegenständen. Seth sah sich alles an und blieb vor allem vor der kleinen Bühne stehen, auf der eine örtliche Band spielte. Sie waren nicht besonders gut. Aber sie waren noch jung und hatten genügend Zeit, um besser zu werden. Was auch garantiert passieren würde, wenn sie weiterhin spielten. Aber es zeigte ihm wieder, das er nicht so einfach von der Musik wegkommen würde. Zwar hatte er vor nicht mehr selbst zu singen, aber er konnte mehr als das! Auch wenn er nicht oft und auch nicht sehr lange ein Instrument in der Hand gehalten hatte. Noten lesen konnte er jedenfalls nicht, aber das war wohl gar nicht so wichtig. „Kaufst du mir Zuckerwatte?“, fragte Jamie ihn irgendwann, als sie an einem weiteren Stand mit dem süßen Klebezeugs vorbei kamen und Jamie musste gar nicht länger fragen, da Seth wie auch Leslie sofort dafür waren. Letztere war nämlich auch sehr interessiert daran und so blieb nur Seth ohne. Der hatte nämlich etwas anderes gesehen, was er sich genehmigen wollte. Schokofrüchte. Allen voran die Schokoladen Bananen, dicht gefolgt von Schokoerdbeeren. Dieses Mal fiel die Entscheidung jedoch leichter, als bei der Wahl des Essens. Als es langsam dunkler wurde erstrahlten unzählige Lichterketten, die ihnen genügend Licht gaben, um den Weg bis zu dem – wie Seth es nannte – Miniatur Riesenrad zu finden. Es war tatsächlich nicht sehr groß und wurde, gleich neben einem alten Karussell als Museumsstück angepriesen. Wäre Leslie nicht bereits einige Male in den Jahren zuvor auf den Fahrgeräten gewesen, würde sie ihnen wohl nicht trauen, doch da sie aus Erfahrung wusste, das, so alt und klapprig sie aussahen, die metallenen Gerüste halten würden, hätte sie Jamie wohl nicht erlaubt darauf zu gehen. Doch so ließ sie ihn zusammen mit Seth gehen, der nicht wirklich glücklich darüber aussah auf ein Riesenrad zu gehen. „Warum fährt sie nicht mit?“, fragte Seth darum auch. Bis jetzt hatten sie alles gemeinsam unternommen und seit gut einer halben Stunde, hatte Leslie andauernd auf die Uhr geschaut. Sie schien irgendetwas vorgehabt zu haben, das sie für sich behielt, denn kaum das sich das Fahrgeschäft in Bewegung gesetzt hatte, war sie nicht mehr zu sehen. „Ehm... sie hatte eine Verabredung.“ „Mit wem? Warum hat sie davon nichts gesagt?“ Doch Jamie zuckte nur mit den Schultern und tat ratlos. Dabei wusste er, wohin Leslie gegangen war und auch, wie er Seth dorthin locken könnte. Kapitel 19: Stadtfest II ------------------------ Während sich das Riesenrad drehte, klaute Seth Jamie immer mal wieder etwas Zuckerwatte, die er sich dann genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. Wie lange war es her, das er auf so einem Fest gewesen war? Vermutlich war er da so alt gewesen, wie Jamie jetzt. Maximal ein Jahr älter. Danach war alles irgendwie den Bach runter gegangen. Vermutlich war vieles seine eigene Schuld, aber gänzlich unschuldig waren seine Eltern an dem, was passiert war, nicht. Auch wenn sie es sehr lange behaupteten. Egal... Er sollte sich kein Beispiel an seinen eigenen Erziehungsberechtigten nehmen. Die hatten eindeutig versagt. Seth hingegen wollte besser sein. Etwas in seinem Leben richtig machen. Noch musste er ein wenig in die Rolle hineinwachsen, aber bislang hatte er sich dafür schon recht gut gehalten, wie ihm Leslie bereits gesagt hatte. Leslie war ein weiterer Grund wieder positiv zu denken und es machte ihn schon neugierig, weswegen sie nicht mehr zu sehen war. Er hatte versucht sie unter den Menschen zu erkennen, die durch den Park gingen, doch sie war nicht mehr zu sehen. Als die Fahrt zu ende war, stiegen sie gemeinsam aus und Jamie nahm Seth' Hand, um ihn durch den Park zu führen. Er hatte etwas gesehen, was er am liebsten haben würde, doch das musste durch schießen erst einmal gewonnen werden. Seth stand also kurze Zeit später an einer Schießbude und versuchte ein Aquarium zu gewinnen, in dem ein kleiner Fisch schwamm. Jamie feuerte ihn an. Doch es war nicht einfach, sich zu konzentrieren. Zum einen Jamies anfeuern, dann die Musik der verschiedenen Buden und der Bühne, die zu ihrem Rücken stand. Da machten sich auch wieder die Jahre bemerkbar, die er seinen Kopf dergleichen nicht gegönnt hatte. Darum traf er auch bei den ersten Versuchen nichts. Aber er wollte nicht so schnell aufgeben und versuchte es darum erneut und er wurde tatsächlich besser. Allerdings nur solange, bis er Leslies Stimme hörte. Jedoch kam sie nicht aus der gleichen Richtung wie Jamies, sondern aus den Lautsprechern, die neben neben der Bühne waren. Seth realisierte das nicht sofort, aber er fragte sich schon, wo Leslie stand, das er sie so laut hören konnte, wo er doch alleine da stand. Nur Jamie war neben ihm, der jetzt jedoch nicht mehr mit anfeuern beschäftigt war, sondern damit, zur Bühne zu schauen. Als Seth das mitbekam hörte er auf und drehte sich ebenfalls, um zu sehen, wohin der Kleine schaute. Leslie stand auf der Bühne, zusammen mit einer Gruppe, die schon einmal auf der Bühne gestanden hatte, als sie daran vorbei gegangen waren. Sie winkte ihm oder Jamie, so genau wusste er das nicht, aber sie beide winkten ihr zurück. „Was... macht sie da?“, wollte Seth wissen. „Sie wird singen. Sie ist im Kirchenchor und das ist die Band, die ab und an die musikalische Begleitung macht.“ Darum spielten sie auch hier auf dem Stadtfest. Die Lieder, die er mitbekommen hatte, waren gar nicht so schlecht gewesen. Nicht sein Fall, weil sie einfach, für seinen Geschmack, viel zu ruhig waren, aber ansonsten ganz gut. Jetzt, wo er Leslie dort oben stehen sah, war er bereits fasziniert von – was auch immer sie singen würde. Er rechnete ja schon mit einem schmalzigen Liebeslied oder halt etwas mit einem kirchlichen Touch, aber als die Band spielte und Leslie anfing ihre angenehme Gesangsstimme durch das Mikro erklingen zu lassen, kam Seth das Lied bekannt vor. Er wusste zuerst nicht woher, bis eine Textzeile ihm eine Antwort gab. Es war sein Lied! Eines der vielen, die er in das Notizbuch geschrieben hatte, das beinahe immer auf dem Küchentisch lag. Leslie hatte... Sie... Seth wusste nicht, was er davon halten sollte, aber Leslie machte es gut, auch wenn er sich das Lied komplett anders vorgestellt hatte. Vermutlich hatte er darum so lange gebraucht, um zu begreifen, das es seines war. „Wie gefällt es dir?“,, fragte Jamie, als er Seth wieder ansah. „Ich... weiß nicht.“ In Jamies Blick war bereits Zweifel zu erkennen, ob es eine so gute Idee gewesen war, aber Seth war noch immer zu fasziniert, um das zu sehen, da sein Blick auf Leslie gerichtet war. Sie legte viel mehr Gefühl in die Zeilen, als er es jemals getan hätte und das fühlte sich richtig an. Selbst auf die Weise, wie sie es wiedergaben. Seth drehte sich zu dem Schießstand- Mitarbeiter und gab ihm das Gewehr, mit dem Zusatz, das er gleich wiederkommen würde, um diesen Versuch zu beenden. Dann legte er seine Hand an Jamies Rücken und schob ihn vor sich her, um näher an die Bühne heran zu gehen. Sie drängelten sich durch die Leute, bis sie ganz vorne standen und sahen Leslie zu, wie sie auch noch die letzten Zeilen sang, bevor das Lied zu ende war. Leslie kam sofort zu ihnen, als sie sich von der Band verabschiedet hatte. Sie spielten weiter, während sie nun noch etwas zu tun hatte. Sie war immerhin neugierig genug, um zu erfahren, wie es Seth gefallen hatte. Nur leider sah er nicht sehr gut aus. Entsprechend langsam ging sie auf ihn zu und schaute zu Jamie, der nur mit den Schultern zuckte, während Seth noch der Band zuhörte und in Gedanken versank. „Hey...“, grüßte sie ihn leise und hoffte auf keine abfällige Reaktion. „Hey“, sagte er ebenfalls und konnte sich doch erst nach einigen, weiteren Tönen der Band von der Musik trennen, um zu Leslie zu sehen. Wie sie da stand... Vollkommen ratlos, ob sie das richtige getan hatte, oder nicht. Es kam wohl nicht oft vor, das sie etwas tat, deren Ergebnis sie nicht vorher sehen konnte. Aber noch immer war sich Seth nicht über seine sicher. Es war sein Lied, das sie einfach genommen hatte. Auch noch, ohne ihn zu fragen. Aber sie hatte es zum Leben erweckt. Ohne sie wäre es auf dem Papier geblieben und als Tinte auf Zellstoff vergessen worden. Sie hatte Gefühle in die Worte gelegt, sie mit einem Zauber belegt, der ihnen nie wieder genommen werden konnte – egal ob es so war, wie er es gemacht hätte, oder nicht. Sie hatte es gut gemacht! Auch wenn er noch ein wenig mit seinen Gefühlen dazu haderte. Genau das sah sie ihm auch an, weswegen sie alles erwartete. Für einen Wutausbruch hatte er jedoch bereits zu lange gezögert, das würde also sicher nicht mehr passieren. Dennoch könnte noch alles mögliche passieren und entsprechend zuckte sie zusammen, als er sich recht plötzlich auf sie zu bewegte. Hätte sie in dem Moment auf sein Gesicht geachtet, wäre ihr das sicher nicht passiert, aber sie war genau in dem Augenblick von Jamie abgelenkt gewesen. Der hatte eigentlich etwas sagen wollen, kam jedoch nicht dazu, als Seth seine Tante umarmte. Es war nicht besonders lange, aber es reichte, um beiden verhaltend lächelnd zurück zu lassen. „Dann... bist du mir nicht böse?“ Sie musste einfach noch einmal sicher gehen, auch wenn diese Reaktion ganz sicher keine war, die sie bekommen hätte, wenn er es ihr übel genommen hätte. „Es war toll! Du singst unglaublich schön.“ „Danke“ Das ihr ein Kompliment von ihm so nahe gehen würde, hätte sie auch nicht mit gerechnet. Sie fand sich nicht gut und sang daher meistens im Chor, wo eine einzelne Stimme schneller verloren gehen konnte. So alleine auf einer Bühne, mit Musikern im Rücken, war es was ganz neues gewesen und sie hatte furchtbare Angst gehabt es zu versauen. Daher taten seine Worte auch so gut. „Ich zittere noch vor Aufregung“, hauchte sie und schaute dabei auf ihre Finger, bis sie Seth' Hand wieder an ihrem Rücken spürte. Als sie zu ihm aufsah, war er jedoch schon wieder mit den Musikern beschäftigt, die einen Klassiker spielten. Sie konnte ihm ansehen, das er gerne dort oben stehen würde und doch war er ganz ruhig. „Wenn du magst, kann ich sie mal zu uns einladen. Es sind Freunde von mir. Mit den Meisten bin ich zur Schule gegangen.“ Seth nickte langsam, bevor er sie wieder ansah. „Zum Musik machen?“ „Zum Musik machen, zum Unterhalten... ganz wie du willst.“ Erneut nickte er und dieses Mal galt es wirklich der reinen Zustimmung. „Hey, Seth!“, mischte sich auch Jamie wieder ein, „Du musst noch meinen Fisch schießen!“ Kapitel 20: Sturm ----------------- Das Gewitter kam so plötzlich, dass der erste Blitz Seth zusammenzucken ließ, während er in Gedanken über seinem Notizbuch gebeugt saß und schrieb. Er schaute aus dem Küchenfenster und konnte noch miterleben, wie sich ein unsichtbarer Eimer über die Gegend ergoss. Es regnete so stark, er konnte nicht einmal mehr die nahen Bäume vor dem Haus erkennen. „Hast du Jamie gesehen?“, fragte Leslie aus dem Wohnzimmer, während sie den Fernseher aus, das Licht jedoch an schaltete. „Nein“, antwortete Seth und schloss sein Buch. „Wollte er nicht nach seinen Kaninchen sehen?“ Das hieß, er wäre dort draußen und würde sicher bald reinkommen. Doch Jamie kam nicht und Seth trieb es nach oben, um nachzusehen, ob der Junge vielleicht bereits wieder im Haus war. Dessen Zimmer war allerdings leer. Noch immer schüttete es, als Seth versuchte im Garten etwas zu erkennen. Aber auch aus dieser Etage konnte er nicht mehr sehen, als jede Menge Regen, die den nahen Boden bereits einige Zentimeter tief unter Wasser gesetzt hatte. Wo steckte bloß der Kurze? Er machte sich wirklich Sorgen und Leslie ging es ähnlich. Sie kam ihm bereits entgegen, als Seth die Treppe wieder herunter ging und wirkte genauso besorgt, wie der ehemalige Musiker. „Ob er noch bei den Kaninchen ist?“ „Ich geh nachsehen.“ Das wäre eh sein nächster Weg gewesen. Seth zog sich seine Jacke und Schuhe an, bevor er aus der Hintertür nach draußen verschwand, um zu den Ställen zu gelangen. Tatsächlich hatte Jamie wohl noch nach dem Anfang des Gewitters hier seine Zeit verbracht, denn die beiden Kaninchen saßen in ihrem Häuschen, das weit genug über dem Rasen aufgebaut war, dass die Tiere nicht nass werden würden. Zusätzlich hatte Jamie ihnen seine Jacke gegeben, damit es auch am Eingang nicht hinein regnen könnte. Von ihm selbst fehlte jedoch jede Spur. „Jamie?“, rief Seth in den Regen und ein Donnergrollen begleitete ihn, als er durch den Garten ging, um weiter nach dem Kleinen zu suchen. Ein ungutes Gefühl bildete sich, das wie ein viel zu großer Kloß erst in seinem Hals saß und schließlich tiefer rutschte. „Jamie!?“, versuchte er es erneut und bekam wieder keine Antwort. Seine Schritte führten Seth an den Ort, an dem er am wenigsten sein wollte, egal bei welchem Wetter. Hinein in das kleine Wäldchen, zu dem Teich, den Jamie so toll fand. Tatsächlich fand Seth den Kleinen dort, zusammen mit einer Art Leuchtkäfer, ähnlich einem Glühwürmchen, nur größer und in einer Masse, die Seth bereits als zu viel empfand. „Willst du nicht lieber reinkommen?“ Jamie schüttelte den Kopf und schaute sich die Käfer weiter an. „Warum sind sie jetzt draußen? Es regnet doch. Ist es nicht gefährlich für sie?“ Seth hoffte, das es sogar tödlich für sie wäre, jedoch sagte er das Jamie nicht. „Offenbar nicht. Aber komm jetzt. Es wird immer kälter.“ Und Jamie war bereits vollkommen durchnässt. Außerdem zitterte er und seine Lippen wurden langsam blau. Darum ließ er sich auch ohne weitere Fragen von Seth zurück zum Haus dirigieren. Während sie dem Teich den Rücken kehrten, spürte Seth erneut, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und er meinte auch zu hören, wie wieder etwas hinter ihnen im Gebüsch herum kroch, doch das könnte auch nur Einbildung sein. Seth hoffte zumindest, das es nur der Regen war, den er da hörte. Kapitel 21: Musik ----------------- Die Band, die Seth bereits auf dem Jahrmarkt hatte spielen hören, saß im Wohnzimmer verteilt. Die Musiker und Leslie unterhielten sich, während Seth am Durchgang zur Küche stand und nicht wusste, was er sagen oder tun sollte. Sie hatten ihre Instrumente dabei, ob das nun Zufall war, oder Leslies Werk wusste Seth nicht, aber es erzeugte eine Aufregung, die er nicht so einfach los wurde. Er konnte nicht einmal sagen, ob das Gefühl in seinem Bauch gerade gut oder eher schlecht war. „Seth...“, hörte er hinter sich Jamie und er nutzte das, um sich von seiner Aufregung abzulenken und dem Jungen zu zuwenden. Als er Jamie ansah, blickte er in das blasseste Gesicht, das er seit langem gesehen hatte. „Oh nein“, hauchte er leise und kniete sich vor den Kleinen. „Mir ist nicht gut“ „So siehst du auch aus“, bemerkte Seth und fühlte Jamies Stirn. „Du fühlst dich ganz heiß an. Ich hol eben Leslie, okay?“ Er hatte keine Ahnung, was man tun sollte, darum war er ganz froh, das er sich da Hilfe holen konnte und Leslie war auch sofort bei ihnen, als er sie gerufen hatte. Sie verschwand auch direkt mit Jamie nach oben, wo sie sich um ihn kümmerte, während Seth nun erneut an der Reihe war, zu den Musikern im Wohnzimmer zu gehen. Es war nicht einfach für ihn und er hatte nicht einmal eine Erklärung dafür. Aber gerade die Aufregung machte es ihm schwer und doch fand er sofort ein Gesprächsthema, als der Erste ihn angesprochen hatte. Erst redeten sie darüber, weswegen Jamie hier war. Darüber war die Gruppe erstaunlich gut informiert. Lediglich warum Seth nun auch hier wohnte, war ihnen noch nicht erzählt worden, auch wenn sie von Leslie bereits von ihm erfahren hatten. Sie wussten also, das es sein Lied war, das Leslie auf dem Jahrmarkt gesungen hatte Viel mehr war jedoch nicht gesagt worden. Das sollte Seth schön selber tun und auch wenn er sich zurück hielt, unterhielten sie sich ganz gut und landeten bald schon bei der Musik, die sie wohl alle am besten verband. Leslie streichelte durch Jamies Haar, während der im Bett lag und versuchte zu schlafen. Die Messung des Fieberthermometers müsste jeden Moment fertig sein und obwohl sie in der Zeit Jamie Tee machen wollte, war sie noch hier oben. Es war erstaunlich wie gut von hier oben die Gespräche im Wohnzimmer zu hören waren und sie konnte einfach nicht anders, als zu lauschen. Darum breitete sich auch ein Lächeln auf ihren Lippen aus, als sie die ersten Töne einer Gitarre hörte. Es war ein Anfang. Als sie endlich in der Küche war, um Jamie Hustensaft und Tee zu holen, warf sie einen kurzen Blick in ihr Wohnzimmer, das so wunderbar gefüllt war mit Leben und Musik. Das es ausgerechnet Seth war, der die Gitarre in der Hand hatte, erstaunte sie dann jedoch wirklich. Bislang hatte er immer erzählt das er gesungen hatte und nie erwähnt, das er Gitarre spielen konnte. Auch wenn selbst sie heraushören konnte, das einige Töne nicht so saßen. Aber Leslie wusste ja auch nicht, wie lange er nicht mehr gespielt hatte und wie ungeübt er inzwischen war – oder wie gut er überhaupt mal gespielt hatte. Nun war sie es, die am Durchgang zum Wohnzimmer stand, allerdings nur, um zu sehen, wie Seth da saß und spielte. Er sah gut aus. Zufriedener... Aber nun musste sie sich erst einmal weiter um Jamie kümmern. Kapitel 22: Krankenpflege ------------------------- Nachdem er sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war es ganz einfach sich um den kranken Jamie zu kümmern. Dennoch war er froh, das dergleichen noch nicht eher passiert war. Es wäre sicher um einiges schwerer gewesen, in seiner kleinen Wohnung und ihm nur halb bei Sinnen. So war es besser. Auch, weil er sich darauf verlassen konnte, das Leslie ihm Ratschläge geben würde, falls er mal nicht weiter wusste. Aber das war bislang nur am ersten Tag nötig gewesen. Jamie schlief gerade, was Seth dazu nutzte, um für ein wenig Ordnung in der Küche zu sorgen. Für das kleine Chaos war er selbst zuständig gewesen. Er hatte Jamie und sich was zu essen und Tee gemacht. Von ersterem hatte Jamie gerade mal zwei Bissen genommen, dafür war der Tee inzwischen gelehrt. Leslie hatte gesagt, das es nur eine Erkältung sei. Maximal ein grippaler Infekt, aber dennoch machte sich Seth Sorgen um Jamie. Auch dafür hatte Leslie eine Antwort, sogar eine recht logische. Er hatte halt wirklich Vatergefühle für den Kleinen. Auch wenn Seth dem nicht ganz zustimmen konnte. Er wollte halt einfach, das es Jamie gut ging, er glücklich war und ein Kind sein konnte. Krank ging das eben nicht... Als er nach einiger Zeit wieder zu Jamie ins Zimmer ging, saß der Junge am Fenster und schaute hinaus. „Warum bist du nicht im Bett?“, fragte er und stellte den neuerlichen Tee auf das Nachtschränkchen, neben dem Bett. „Da war was, an meinem Fenster.“ Jamie starrte in den Garten und versuchte zu erkennen, was genau es gewesen war. Es hatte Flügel besessen und doch wie ein Eichhörnchen ausgesehen. Jetzt konnte er es nicht mehr finden, dabei war es eben noch einen Baum hinauf geklettert. „Geh ins Bett!“ Es dauerte noch, bis Jamie dem nach kam und auch nur, nachdem Seth ihm versprochen hatte nachzusehen, ob es ein richtiges Tier war, oder eines von denen, die sie beide inzwischen des öfteren Abends noch beobachtet hatten. Seth würde es tun, auch wenn er sicher war, das es eines dieser besonderen Tiere war, die er eigentlich gar nicht näher sehen wollte. „Wollen wir Karten spielen?“, fragte Jamie, kaum das er wieder unter der Bettdecke lag. „Dir geht es wohl besser, hm?“ Jamie grinste. Das gefiel Seth. Immerhin arbeitete er genau daran seit mehreren Tagen. „Dann hol ich schnell die Karten und wenn es nicht mehr regnet schau ich nach dem Tier.“ Kapitel 23: Versprechen ----------------------- Es dauerte, zu Seth's Glück, noch einige Tage, bis es trocken genug war, um wirklich nach dem Tier zu schauen, das Jamie gesehen hatte. Erst ging er jedoch nach den Kaninchen schauen, die noch immer, gut geschützt, in ihrem Freigehege waren. Sie waren ein wenig nass geworden, doch das machte ihnen ganz eindeutig nichts aus. Anders als es bei Jamie ausgesehen hatte. Seth fütterte die kleinen Fellknäule, so wie er es die letzten Tage auch bereits getan hatte und machte sich dann auf den Weg, um zu schauen, ob er ein Tier fand, das auf Jamies Beschreibung passte. Erst spazierte er dafür durch den Garten, dann musste er – wohl oder übel – den Wald betreten. Gefallen tat ihm das nicht, doch er hatte versprochen gründlich zu sein. Das er von Jamies Fenster aus beobachtet wurde, konnte er nur ahnen. Der Junge hatte ihm erzählt, wie gerne er mit wollte, doch Seth war dagegen gewesen und Jamie hatte sogar nachgegeben. Jetzt saß er jedoch am Fenster und schaute genau zu, wie Seth durch den Garten wanderte. Er erkannte sogar das Unbehagen, in dessen Bewegungen, als er Richtung Wald aufbrach. Doch er hatte keine Ahnung, weswegen Seth es so schwer fiel in den Wald zu gehen. Seth konnte es auch nicht benennen. Es war einfach ein Gefühl, das ihn dazu brachte sich so dermaßen anzuspannen, in allem eine Gefahr zu sehen und somit keine Ruhe in sich zu bekommen. Auch jetzt wurde es wieder mehr, je näher er dem Teich kam. Irgendetwas dort war der Auslöser! Er wusste nicht was, aber um das herauszufinden, müsste er wohl tatsächlich dort genauer nachsehen. Vielleicht auch mal abwarten, was jedoch so ganz gegen seine Instinkte ging. Die sagten ihm, kaum das er am halb überschwemmten Ufer stand, das er schnell wieder verschwinden sollte und doch blieb er stehen und schaute auf die andere Seite, wo er schon einmal ein Reh gesehen hatte. Da war nichts. Nur Gras, einige Äste, etwas großes mit Fell und noch mehr Wasser. Seth schluckte, als er das dunkle im Schatten der Äste tatsächlich als ein Wesen ausmachen konnte und eine Gänsehaut zog über seinen Rücken, wo sie sich festsetzte. Es knurrte... Es sah ihn an... Was er tun sollte, wusste er nicht wirklich. Am liebsten wollte er weg, aber das würde seine Fragen nicht beantworten. Warum war dieses Tier so anders? Rein von dem Blick des Wesens her, wollte es ihn anfallen, was bisher noch keines jemals getan hatte. Erleben wollte er das jedoch nicht. Jamie schaute noch immer aus seinem Fenster, auch wenn es ihm nicht mehr möglich war Seth zu sehen. Ganz gespannt wartete er darauf, das der Musiker wieder aus dem Wald kam, um ihm Neuigkeiten zu dem Wesen zu geben, das er gesehen hatte. Doch als er Seth endlich wieder erkennen konnte, kam dieser ganz langsam zwischen den Ästen hervor und ging vorsichtig rückwärts, als wollte er etwas nicht aus dem Blick lassen. Jamie versuchte es zu erkennen, aber noch war Seth nicht weit genug gegangen. Sein Ziel war das Haus! Ins trockene, in die sicheren vier Wände... Sicherheit – das war sein Hauptziel und wenn er sich das Tier so ansah, dann konnte er nicht einmal sagen, wieso es so ein Gefühl auslöste. Es war wie ein großer Biber, aber einem mit recht dummen Blick. Vielleicht war es die Art der Krallen, die es besaß. Vor allem jedoch knurrte es noch immer und folgte Seth in den Garten, der sich nicht traute sich einfach herum zu drehen und den Rest des Weges zu rennen. Jamie hatte inzwischen die Hände an die Scheibe gelehnt und versuchte mehr zu erkennen. Am liebsten wäre er zu Seth gerannt, kaum das er das Wesen gesehen hatte, doch zum einen wollte er auch nicht zu nah heran und er hatte auch Angst etwas zu verpassen, wenn er nun das Fenster hier verlassen würde. „Seth...“, hauchte er darum nur leise. Irgendwas müsste er doch tun können! Nur was? Was könnte er machen? Schneller, als er hatte denken können, war er in seine Sachen geschlüpft und war doch die Treppe herunter gerannt. Er lief aus der Hintertür und über den nassen Rasen, bis hin zu Seth, der ihn wenig begeistert zur Kenntnis nahm. „Was machst du denn hier?“, fragte er darum auch entsprechend entsetzt und schob Jamie direkt wieder hinter sich. „Was ist das?“, stellte Jamie jedoch die Gegenfrage und drängte sich wieder neben Seth. „Jamie...“ Doch zu seinem erstaunen hielt das Wesen inne. Da blieb das Knurren auch nicht mehr sehr lange. Es tapste nur schnüffelnd noch etwas näher und starrte dann Jamie eine Weile an, bevor es sich herum drehte. Seth verstand gar nichts mehr. Und doch wollte er nur noch Jamie ins Haus bringen. Später könnten sie noch immer darüber nachdenken. Kapitel 24: Entschluss ---------------------- Wie er es geschafft hatte, das Jamie eingeschlafen war, wusste Seth selbst nicht so genau. Vielleicht hatte es damit zu tun, das der Kleine noch immer krank war und die Aufregung mitsamt der dazugehörigen Bewegung draußen ihn doch noch sehr Erschöpfte. Seth' Puls raste hingegen noch immer, dabei war das Erlebnis im Garten bereits über eine Stunde her. Dennoch kam er nicht zur Ruhe und wanderte unruhig ihm Wohnzimmer auf und ab. Seit Jamie schlief, hatte er Zeit zum nachdenken gehabt und er war zu dem Schluss gekommen, das er Leslie endlich sagen musste, das auch Jamie diese Wesen sah und das etwas an diesem Teich war. Etwas, das auf ihn reagiert hatte... Etwas, das erst ruhiger geworden war, als Jamie zu ihm gekommen war... Aber wie sollte er es ihr sagen? Auch wenn sich in den letzten Wochen ihre Sorgen wegen ihm oder vielleicht auch um ihn ein wenig geschwächt zu haben schienen und er mehr und mehr ihr Vertrauen genoss, wäre das doch etwas, das so verrückt klang, das ihre Beziehung sicher wieder einige Schritte zurück gehen würde. Oder würde sie ihm glauben? Er selbst würde das niemandem abnehmen. Zumindest, wenn er nicht sehen könnte, was er sah. Wie sollte er es ihr erzählen? Sein Blick fiel auf den schlafenden Jamie, der in die Wolldecke auf dem Sofa gekuschelt war. Leslie etwas hinter dem Rücken des Kleinen zu erzählen wäre sicher nicht richtig und würde unter Umständen dem Verhältnis zu dem Jungen Risse zufügen. Davon abgesehen, fühlte es sich schon bei dem Gedanken wie Verrat an. Das würden sie also zusammen machen müssen! Seth ging sich einen Kaffee machen und malte sich schon einmal die Reaktionen aus, die er sich so vorstellen konnte. Er hoffte auf eine der positiven, aber sicher war er sich dabei leider so gar nicht. Hauptsache Leslie würde nicht so reagieren wie seine Eltern damals, aber da sie ihn deswegen nicht weiter verurteilte – auch wenn er noch immer nicht bei einem Arzt war, so wie sie es eigentlich verlangt hatte – hoffte er einfach, das sie es nicht so negativ auffassen würde. Aber nachdem, was da eben passiert war, musste sie davon erfahren. Es ging nicht mehr anders. Kapitel 25: Leslie ------------------ Jamie und Seth hatten sich gemeinsam dazu entschieden das sie Leslie alles erzählen mussten. Das der Junge die Tiere sehen konnte und das etwas am Teich lebte, das unfreundlicher reagierte als die anderen. Sie beide hatten lange darüber nachgedacht, wie sie es schonend erzählen könnten, aber es Jamies Idee gewesen Leslie mit einem Frühstück am Bett zu überraschen und sie so positiv zu stimmen, bevor sie es ihr dann später am Tag sagten. Also standen sie nun da. Seth mit dem Tablett, auf dem sie Frühstückswaffeln, Kaffee, ein Ei, Salz und Marmelade transportierten und Jamie mit einer großen Servierte, die er in einem der Schränke gefunden hatte. Während Seth die noch schlafende Leslie betrachtete, verschwand jeder Optimismus, den er bis dahin gehegt hatte. Dafür fiel ihm auf, das er noch nie in ihrem Schlafzimmer gewesen war, als sie sich darin befand und während sie noch schlief. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber er musste auch zugeben, das sie schön aussah, wenn sie schlief – was jedoch das merkwürdige Gefühl nur bestärkte. Jamie schlich sich an das Bett und stupste Leslie an, die auch nach wenigen Momenten darauf reagierte, in dem sie aufwachte. „Mhmm... Jamie?“, fragte sie leise und rieb sich die Augen. „Was ist denn los?“ „Wir haben eine Überraschung für dich.“ Jamie strahlte und schien kein Problem damit zu haben seiner Tante gleich zu sagen, das er genauso verkorkst war wie Seth. Leslie brauchte einen Moment, um die gesamte Bedeutung der Worte zu verarbeiten. 'Wir' – Jamie war also nicht alleine. Als ihr das klar wurde, setzte sich Leslie fast schon erschrocken auf und zog die Bettdecke höher. Dabei bestand keine Gefahr, das Seth irgendetwas sehen könnte, trug sie doch ein T-Shirt zum schlafen. „Was macht ihr denn hier?“, fragte sie und schaute erst zu Jamie dann zu Seth, der noch immer an der Tür stand und das Tablett trug. „Hab ich doch gesagt! Wir haben eine Überraschung für dich“, wiederholte sich Jamie und setzte sich zu ihr auf das Bett. „Frühstück“, erklärte nun auch Seth. Wobei er nicht so laut und selbstbewusst klang, wie er es gerne gehabt hätte. Es schmeichelte ihr sehr, das die Beiden ihr Frühstück ans Bett brachten und doch hatte es einen merkwürdigen Beigeschmack – was nicht daran lag, das die Waffeln zu salzig und ein wenig zu dunkel geworden waren, denn die hatte sie noch gar nicht probiert. Die ganze Aktion sagte ihr, das etwas in der Luft lag und mit einem Blick zu Seth war ihr klar, das sie damit nicht so verkehrt lag. „Habt ihr was verbrochen?“, fragte sie darum. Sie ahnte bereits das es nichts gutes sein konnte was da auf sie zukommen würde. „Nein!“ War Jamies prompte Antwort und er breitete die Serviette über ihrem Schoß aus, damit Seth auch endlich das Tablett abstellen könnte. Doch der stand noch immer an der Tür und zögerte. „Naja... es gibt etwas, das wir dir sagen müssen, aber angestellt hat hier niemand etwas.“ Am liebsten hätte er auch noch versichert, das es sich um nichts schlimmes handeln würde, aber ob sie das genauso sehen würde, war fraglich. Da Seth dann doch noch ein fröhliches, wenn auch tatsächlich schüchternes, Lächeln zustande brachte, glaubte sie ihm und ließ sich milde stimmen. „Okay – dann mal her mit meinem Frühstück!“ Kapitel 26: Geständnis ---------------------- Seth wusste nicht was er sagen sollte. Wie er das Ganze hier anfangen sollte, ohne das ihm die Worte im Hals stecken blieben. Vielleicht saß er darum am Fußende und beobachtete wie Leslie die letzten Krümel der Waffeln aufsammelte und aß. Jamie hingegen erzählte fröhlich, wie sie das Frühstück zubereitet hatten und das Leslie gleich vielleicht lieber einen Bogen um die Küche machen sollte, bis die Beiden sich auch darum gekümmert hatten. Das wie Waffeln alles andere als lecker gewesen waren, behielt Leslie für sich. Auch wenn sie nach dem ersten Bissen ein wenig hatte kichern müssen, was ihre beiden Jungs verwirrt hatte. Das nächste Mal machte sie das lieber wieder selbst. „Also... was habt ihr mir zu sagen?“, fragte sie nach einem weiteren Schluck von dem erstaunlich guten Kaffee. Lange hatte Seth darüber nachgedacht, ob sie es ihr langsam und vielleicht auf diese Weise ein wenig schonender beibringen sollten, oder eher mit dem Holzhammer. Einfach die Fakten auf den Tisch und schauen was sie daraus machte. Egal wie, er wusste nicht wie sie reagieren würde und das bereitete ihm Bauchschmerzen. Auch jetzt – oder gerade jetzt – wo sie so kurz davor waren es ihr endlich zu sagen. „Du weißt, von den Wesen, die ich sehe“, erklärte er und Leslie nickte langsam. Natürlich wusste sie das, sie hatten lange und breit darüber geredet. „Es ist so das...“ „Ich seh sie auch!“ Seth rutschte beinahe das Herz in die Hose, bei Jamies Worten. Leslie schaute noch immer zu Seth, da dieser eigentlich mit ihr geredet hatte, aber einem leicht verwirrt und starren Ausdruck im Gesicht wendete sie sich ihrem Neffen zu. „Du...was?“ Jamie hatte das Gefühl, das seine Tante die Farbe aus dem Gesicht gewichen war und entsprechend unsicher wirkte er nun auch, was ihn nicht davon abhielt weiter zu reden. „Ich... ehm... ich seh sie auch“, wiederholte er, wenn auch leiser. „Die Wesen... Es gibt ziemlich viele davon. Aber die hier sind niedlicher, als die in der Stadt. Hier kriechen sie nicht aus den Mülltonnen und erschrecken einen.“ Leslie hatte das Gefühl, als drehe sich ihr Magen um, doch sie behielt das Frühstück in sich und griff nach der Kaffeetasse, als könnte sie sich an ihr festhalten. „Ihr wollt euch... irgendwie lustig machen, ja? Ich kann euch sagen, das ist nicht so lustig, wie ihr...“ Abwechselnd sah sie zwischen Jamie und Seth hin und her, bis ihr klar wurde, das die beiden keinen Spaß machten und das sie nicht gleich aufspringen würden, um sie auszulachen, weil sie darauf reingefallen war. „Was heißt das jetzt?“, wollte sie wissen und sah nun nur noch Seth an, der ihren Blick erwiderte. Er hatte wirklich keine Worte. Keine, die ihr das zarte Rosa zurück auf die Wangen zaubern könnte. „Das müssen wir raus finden. Ich werde endlich zu einem Arzt gehen, mich komplett durchchecken lassen und … vielleicht wissen wir dann mehr.“ Hatten sie eine andere Möglichkeit? Wenn ja, dann war sie ihm noch nicht eingefallen, aber er war für alles offen. Leslies Ausdruck war nicht deutbar. Am liebsten hätte Seth ihre Gedanken gelesen, um herauszufinden, wie sie damit klar kam, aber das würde ihn dann wohl zu einem vollkommenen Freak machen. „Es ist doch eigentlich nichts schlimmes!“, mischte sich Jamie wieder ein. „Ich sehe halt nur mehr... das ist doch okay... oder?“ „Wenn es nichts schlimmes ist – Warum hast du mir dann nie etwas davon erzählt?“ Das hatte gesessen, auch wenn es nicht so beabsichtigt gewesen war, aber sie hatte harscher geklungen, als gewollt. „Weil sich alle lustig gemacht haben... auch Mum und ...“, murmelte Jamie leise vor sich hin. Er war es nicht gewohnt so von seiner Tante angesprochen zu werden. Was sie auch erkannte, kaum das sie ihre Worte gesagt hatte. „Es tut mir leid, Jamie. Es ist nur...“ „Ich mache alles kaputt! Hat meine Mutter schon immer gesagt.“ Beide sahen nun zu Seth, der schweigend aufstand und das Tablett an sich nahm. Erst als er an der Schlafzimmertür war, drehte er sich noch einmal zu den beiden und lächelte matt. „Ich sorge mal für Ordnung in der Küche und ihr sprecht euch aus.“ Kapitel 27: Gedankengänge ------------------------- Leslie stand unter der Dusche und ließ sich das heiße Wasser über den Kopf laufen. Normal hatte sie nur schnell unters Wasser springen wollen, um dann Seth in der Küche zu helfen, aber dann hatte das Gespräch mit Jamie doch recht abrupt geendet und inzwischen fühlte sie sich nach einer langen, sehr heißen dusche – woran sie seit dem auch arbeitete. Was sollte sie nur machen? Das ihre Reaktion Jamie wie auch Seth härter getroffen hatte, als sie wollte, war vor allem daran zu spüren gewesen, das beide recht schnell aus dem Zimmer gegangen waren und sich seit dem offenbar alleine beschäftigten. Vielleicht dachten sie einfach nur nach. Vielleicht nahmen sie es ihr auch übel. So oder so würde sie noch einmal mit ihnen reden müssen. Vor allem mit Jamie. Das sie ihn nicht hatte anfahren wollen, war das Erste gewesen, das Leslie mehr als einmal erklärt hatte und auch wenn er sie angelächelt hatte und versicherte, das alles okay war, sah sie in seinen Augen etwas, das schon lange nicht mehr dort gewesen war. Enttäuschung. Worüber konnte sie nicht sagen, aber sie nahm an, das es ihre Schuld war. Sie hatte nicht so reagiert, wie Jamie angenommen … vielleicht gehofft hatte. Aber was hatte er sich vorgestellt? Das sie Freudensprünge machen würde? Leslie seufzte und wusch sich zum dritten Mal die Haare, bevor sie doch endlich das Wasser abdrehte und nach ihrem Handtuch griff. Sie musste die richtigen Worte für ihn finden und mit ein wenig Glück war eine Lösung mit dabei. Das wäre das aller Beste, doch Leslie bezweifelte, das es so einfach werden würde. # Jamie saß in seinem Zimmer und malte. Er hatte sich vorgenommen die Tiere, die er sah, zu dokumentieren – ähnlich wie Seth es in seinen Notizbüchern getan hatte. Er malte jedes auf eine Seite und schrieb alles, was er über sie in Erfahrung bringen konnte auf eine weitere. Was sie aßen, was sie vertrieb, bei welchen anderen Kreaturen sie ruhig blieben oder sich nur versteckten. Jamie gab ihnen auch allen Namen, um sie besser auseinanderhalten zu können. Er wollte seiner Tante zeigen, das es nicht schlimm war, auch wenn er es für sich behalten hatte. Leslie musste ihm einfach glauben! Sie sollte nicht meinen, das er verrückt war. Vielleicht würde sie ihn sonst wieder zu seinen Eltern schicken. Aber sobald er darüber nachdachte, glaubte er nicht, das sie das tun würde. Seth war auch hier und von ihm wusste sie bereits länger, das er die Tiere sehen konnte. Was auch immer sie waren. Er würde das herausfinden und alles würde gut werden! # Die Küche wieder sauber zu bekommen war keine so leichte Arbeit. Wobei es ihm leichter von der Hand ging, als er angenommen hatte. Vermutlich meinte er das aber auch nur, weil er so schön den Kopf ausschalten konnte, während er spülte, wischte und am Ende alles wieder so dastand, wie er es vorgefunden hatte. Da war er stolz auf sich! Zumindest für den Moment... Seth schenkte sich etwas Cola in ein Glas und nahm es mit hinaus auf die hintere Veranda, wo er sich an das Geländer lehnte. Im schlimmsten Fall hatte er das Verhältnis zwischen Jamie und seiner Tante zerstört. Auch wenn es sicher besser war, wenn sie darüber Bescheid wusste. Nichts verheimlichen zu müssen war immer besser. Alles andere führte früher oder später zu Problemen. Blieb das er keine Ahnung hatte, was es bedeutete, das Jamie und er diese Tiere sahen. Gab es noch mehr wie sie? Vorstellen konnte er sich das irgendwie nicht. Sein Blick wanderte zu dem schmalen Waldweg, der zum Teich führte, und wieder fragte er sich, weswegen dieses eine Tier so wütend auf ihn reagiert hatte. Ob es einen Grund gab? So sehr sich auch alles in ihm dagegen sträubte, ließ er sein Glas auf der Veranda zurück und ging Richtung Teich. So unangenehm es sich anfühlte – er würde herausfinden was da vor sich ging! Kapitel 28: Dunkles Wasser -------------------------- Jeder Schritt kostete mehr Überwindung. Alles an dem schmalen Weg wirkte mehr und mehr beängstigend und es war totenstill. So schrecklich still, das es ihm schon fast in den Ohren weh tat. Im Moment hielt er seine Idee für so vollkommen bescheuert, das er am liebsten wieder herumdrehen würde, um gemütlich auf der Veranda sitzend ein paar neue Texte zu schreiben oder Gitarre zu spielen oder... fast alles war besser, als das hier! Aber trotzdem ging er weiter. Denn auch wenn er das hier so ungern tat, wie den Besuch beim Zahnarzt hoch Zehn, wollte er weder Jamie noch Leslie mit hier reinziehen. Die hatten noch genug mit sich zu tun. Mit den Neuigkeiten, die in Leslie sicher noch immer Kopfschmerzen bereiteten. Sie also dazu aufzufordern ihm nun hierbei zu unterstützen fühlte sich genauso unangenehm an, wie den Weg allein zu gehen. Es musste so gehen! Das Wasser im Teich war dunkel.Vielleicht lag das an dem grauen Himmel, der sich zwischen den Baumwipfeln erstreckte. Vielleicht wirkte es auch nur so, weil Seth es gar nicht anders zuließ. Sein Herz raste bereits und es legte noch eine Spur zu, als er das Knacken im Geäst hörte. Es war leise. Noch... Doch es kam ganz klar näher. Erschrocken zuckte Seth zusammen, als er aus einer anderen Richtung auch das Rascheln der Äste wahrnahm. Da war mehr als ein Wesen! Zwei... drei... dort hinten noch eines... Panik stieg in ihm auf und je mehr dieser Tiere auf ihn zu kamen, umso dringender wollte er die Beine in die Hand nehmen und wegrennen. Aber es ging nicht. Er traute sich nicht auch nur einen Schritt zu machen, aus Angst, sie könnten dann hinter ihm her sein und … vielleicht waren sie schneller. Konnten diese Dinger tollwütig sein? Das war etwas, das er bislang nicht bedacht hatte. Aber warum sollte er es auch? Es war bislang nie von Bedeutung gewesen. Das Knurren hinter ihm ließ ihn dann jedoch endgültig in ein unkontrollierbares Zittern verfallen. Krampfhaft hielt er sich selbst im Arm und hatte das Gefühl in einem schrecklichen Albtraum gefangen zu sein. Er alleine hier und keinen Ort zu dem er fliehen könnte. ~ Leslie bestand darauf, das Jamie frühstückte. Dabei hätte dieser lieber gleich den Weg hinaus zu seinen Kaninchen angetreten. Denn die wollten auch noch ihre kleinen Leckerbissen haben, an denen er jedes Mal gearbeitet hatte, während er Seth, beim Frühstück für Leslie, nicht helfen konnte. Aber noch ein wenig mit seiner Tante am Tisch sitzen war besser, als er gedacht hatte. Nachdem sie sich noch einmal ausgesprochen hatten und er jetzt wusste, weswegen Leslie gehandelt hatte, wie sie es eben getan hatte, fühlte es sich gleich viel besser an. „Ich weiß gar nicht, ob Seth schon was gegessen hatte“, erklärte er nach einem weiteren Löffel seiner Cerealien. „Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß auch nicht, wo er steckt.“ Sie stand auf, um im Wohnzimmer nachzusehen. Es war immerhin möglich, das Seth auf dem Sofa eingeschlafen war. Doch da war er nicht und auf dem Weg zurück zu Jamie entdeckte sie das Glas auf dem Verandageländer. „Er ist draußen!“ „Kann ich dann auch raus?“ „Du isst erst einmal und dann gehen wir zu deinen Kaninchen, okay?“ „Okay.“ ~ Wieso seine Sachen nass waren bemerkte er erst, als ihm auch klar wurde, das er nicht stand sondern lag. Zu allem Überfluss halb in dem Teich, dessen Wasser bei dem Wetter richtig kalt war. Der Himmel war noch immer voller dunkler Wolken und genauso fühlte sich sein Kopf an. Aber das drang in den Hintergrund, bei dem Geräusch, das er hörte. Das Knurren war ganz nah. Viel zu nah, als das er nicht sofort wieder in Panik verfiel und sich mit einer schnellen Bewegung aufsetzte, was sich auch sofort als Fehler herausstellte. Kaum das er aufrecht saß, wurde er angesprungen und das gleiche unheimliche Tier, wie von seinem letzten Besuch drückte ihn zu Boden. „Tut mir leid... Das macht der Kleine gerne.“ Geschockt über die plötzlichen Worte, die aus dem nichts zu kommen schienen, zusammen mit dem noch immer lauten Knurren des Tieres, das Seth zu allem Überfluss auch noch zähnefletschend ansah, stieß Seth einen Schrei aus. Dabei schubste er das Dingen von sich und hoffte dabei nur, das es ihm nichts antun würde. Doch es landete im Wasser und wurde dort von schlanken, blassen Armen umschlungen, so das es nicht wieder auf Seth losgehen konnte. Der junge Mann krabbelte aus dem Wasser, bis er vollkommen auf dem Rasen vor dem Teich angekommen war. Erst dort drehte er sich wieder herum. Vor allem, weil er sehen wollte, ob noch Gefahr drohte, aber auch, weil er nicht glauben konnte, was er da gesehen hatte. Eine dünne, viel zu blasse Gestalt, mit schwarzen Haaren und genauso dunklen Kleidern. Aber das war nicht einmal das ungewöhnlichste. Das was Seth zusätzlich den Atem verschlag, war die Tatsache, das der Kerl auf dem Wasser stand. „Was... ist das? Und und und... Was will das Ding von mir?“ „Er hat dich ganz schön erschreckt, was?“ Ganz zärtlich kraulte er das Tier der unbestimmten Art und Seth starrte den Unbekannten genau deswegen weiter an. „Sein Name ist Pjol. Er gehört meiner Schwester. Ich denke, sie hat ihn ein wenig schlecht erzogen. Oder aber, sie hat es mit Absicht gemacht. So genau kann ich das nicht sagen.“ Gedankenverloren schaute er das Tier an und ließ es dann achtlos in den Teich fallen, worin es auch einfach verschwand. Mit einem Lächeln wendete er sich anschließend wieder Seth zu. „Was Pjol von dir will, kann ich dir leider auch nicht sagen. Das ist etwas, das wohl nur meine Schwester beantworten kann.“ Seth hatte keine Worte. Er war sich nicht einmal sicher, ob das, was er hier sah wirklich war oder er tatsächlich noch immer bewusstlos im Wasser lag. Das würde zumindest die Kälte erklären. „Wer bist du?“, fand Seth seine Stimme wieder, nachdem er noch immer dem Tier nachgesehen hatte, das spurlos im Wasser verschwunden war. „Mein Name ist Dour.“ Seth nickte hektisch und legte die Arme wieder um sich, ohne jedoch aufzustehen, wie er es eigentlich geplant hatte. „Und... was bist du?“ Jemanden auf Wasser stehen zu sehen, passierte nun auch nicht alle Tage und dann das ganze Benehmen und... dieser Albtraum. „Schwer zu sagen...“ gestand der Angesprochene. „In deiner Sprache passt wohl am besten das Wort: Halluzination.“ Kapitel 29: Nachwirkung ----------------------- Jamie kümmerte sich ungewöhnlich kurz um seine Kaninchen. Da es ihnen gut ging und sie mit fressen beschäftigt waren, sah er keinen Sinn darin sich länger hier aufzuhalten, wo er doch wissen wollte, wo Seth war. Zuerst hatte er ja gehofft, das sein Vaterersatz bei Mr Hemming und Clara sein würde, um sich um sie zu kümmern, entsprechend war seine Enttäuschung, als er feststellten musste, dass Seth nicht hier war. Es gab nur noch einen anderen Ort, an dem er sein könnte, aber dort hatte der Musiker sicher nicht hin gewollt und darum suchte Jamie erst einmal den restlichen Garten ab. Doch Seth war nicht da. Es konnte also tatsächlich nur noch der Teich sein. Auch Leslie fragte sich langsam, wo ihr Mitbewohner abgeblieben war, deswegen gingen sie gemeinsam zum Teich, auch weil Jamie sagte, das er sie gerne dabei haben wollte. Schon von weitem konnten sie sehen, das etwas nicht in Ordnung war. Als Jamie jedoch los rennen wollte, hielt Leslie ihn auf und ging stattdessen selbst schneller auf den Liegenden zu. „Seth...“, versuchte sie seine Aufmerksamkeit bereits zu bekommen, bevor sie bei ihm war. Doch erst als sie neben ihm kniete, konnte sie sehen, das er ohnmächtig war. Einen Grund fand sie nicht auf Anhieb, doch sie bemerkte, das er vollkommen nass war. Dabei lag er sogar recht weit vom Teich weg. Als Seth sein Bewusstsein wieder erlangte, lag er auf dem Sofa. Er hatte nur seine Shorts an, was er bereits spüren konnte, ohne die Decke von sich zu schieben. Die Augen öffnen konnte er nicht. Sein Kopf dröhnte. Als habe er den schlimmsten Kater seines Lebens, nur das er nichts getrunken hatte. Das Gefühl lösten eher die Worte aus, die ihm dieser schräge Typ gesagt hatte. Dour... Es war das erste Mal, das er etwas sah, das menschlich wirkte und mit ihm geredet hatte. Vielleicht kam daher die Kälte in seinem Inneren. Das, oder tatsächlich die Worte, die einfach keinen Sinn machen wollten. Warum sollte er sich entscheiden? Für was? Er verstand es nicht. „Seth?“, hörte er leise Jamies Stimme neben sich. Die Hand die er daraufhin fühlte kam jedoch von der anderen Seite und war auch größer. Leslie schien auf der anderen Seite des Sofas zu stehen. Seth schluckte mehrmals, als ihm merkwürdig warm wurde, während er versuchte sie anzusehen. „Was ist passiert?“, fragte nun auch Leslie. „Ich...“ Reden war keine gute Idee, darum versuchte er es auch gar nicht weiter. „Wann ist denn der Krankenwagen endlich da...“, hauchte Leslie leise und Seth hörte, wie sie weg ging. Mit jedem Schritt, den sie sich von ihm fortbewegte, wurde ihm kälter und er hatte keine Erklärung dafür. „Jamie...“, bekam er leise raus. Es war ihm wichtig, das sich der Kleine keine Gedanken machte, aber das zu sagen, das war schwer. Seth konnte spüren, wie die Wärme, die immer ankündigte, wenn man sich übergeben müsste, stärker wurde. Aber das war etwas, das er nun wirklich nicht tun wollte. „Mach dir keine Sorgen.“ „War es das Tier?“, wollte der Kleine wissen. „Hat es dich angegriffen?“ Seth überlegte, ob er Jamie die Wahrheit sagen sollte, aber viel reden war gerade nicht in seinem Sinn. Darum nickte er schwach. Immerhin hatte es so angefangen. Den Rest behielt er jedoch erst einmal für sich. Er hoffte nur, das Jamie in nächster Zeit nicht zum Teich gehen würde. Kapitel 30: Verdacht -------------------- Die Untersuchungen im Krankenhaus bekam Seth zum größten Teil überhaupt nicht mit. Erst als er auf einem Zimmer untergebracht war spielte sein Kopf auch langsam wieder mit. Er hörte, er fühlte, aber er traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Zwar waren die dröhnenden Kopfschmerzen nicht zu spüren, aber das könnte sich schlagartig ändern, sobald er sich umsehen wollte. „Und was sagen die Untersuchungen?“ „Bis auf einen extrem hohen Blutdruck haben wir nichts finden können. Wir haben ihm etwas dagegen gegeben und behalten ihn nun noch zur Beobachtung hier, um sicher zu gehen, das es sich wieder normalisiert.“ „Was könnte das ausgelöst haben? Drogen?“ „Das kann ich leider nicht sagen. Aber aufgrund der Vorgeschichte, haben wir Tests gemacht und die waren alle negativ. Es sind keine Drogen im Spiel.“ „Hmm... das ist gut. Das ist sehr gut.“ „Leslie, kann ich jetzt rein?“ Einen kurzen Moment herrschte Stille, aber als Seth die schnellen Schritte hörte, wusste er, das Leslie genickt haben musste. Da er dieses Mal keine Verletzungen hatte, sagte niemand etwas, als Jamie auf das Bett kletterte und sich so neben Seth setzte. Ganz vorsichtig stupste er ihn daraufhin an und bekam mit, das sich Seths Lippen zu einem Lächeln verzogen. „Geht es dir besser?“ Seth nickte, traute sich jedoch noch immer nicht die Augen zu öffnen. „Wie lange muss er hier bleiben?“, hörte er wieder Leslie fragen. „Erst einmal bis morgen früh. Wenn es ihm dann gut geht, kann er gehen.“ „Danke.“ Die Tür war zu hören und weitere Schritte, die sich dem Bett näherten. Da jedoch ansonsten weder jemand etwas sagte oder tat, versuchte Seth nun doch die Augen aufzubekommen. Es klappte und mit nur einem leichten Pochen in den Schläfen sah er Leslie kurz darauf an. „Tut mir leid.“ Leslie wirkte im ersten Moment verwirrt, fing sich dann jedoch wieder und lächelte kopfschüttelnd, was ihre Sorgen jedoch nicht verbarg und das war es, für was sich Seth entschuldigen wollte. „Ich meine es ernst. Du solltest dir wegen mir keine Sorgen machen müssen.“ „Aber ich tue es“, gab sie zu und warf einen kurzen Blick zu Jamie, der erstaunlich ruhig war. „Und ich bin nicht alleine“, fügte sie noch an. Seth seufzte und schloss für einen kurzen Moment erneut die Augen. Noch einmal ein wenig Ruhe, durchatmen... „Was ist denn eigentlich passiert?“ Seth wollte diese Frage nicht beantworten müssen. Die Wahrheit verstand er selber nicht und sich etwas auszudenken, fühlte er sich nicht in der Lage zu. „Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht genau“, antwortete er darum und es fühlte sich sogar richtig an. Es war keine Lüge, weil er tatsächlich nicht verstand, was da eigentlich vorgefallen war. Dieser Unbekannte, dessen Worte... „Jamie, lässt du uns kurz alleine?“ Der Junge nickte und schaute seine Tante an. „Bekomme ich etwas Geld, damit ich mir Chips aus dem Automaten holen kann?“ Nachdem Jamie gegangen war, schauten beide noch eine Weile zur Tür statt ihre Blicke dem jeweils anderen zuzuwenden. Doch Seth war es, der als erstes wieder zu Leslie sah. „Ich habe keine Drogen genommen.“ Auch wenn der Arzt es ihr bereits bestätigt hatte, wollte er es auch noch einmal von sich aus gesagt haben. Leslie lächelte wieder und nickte. „Ich weiß. Die Ärzte haben dich getestet, um dir das Medikament geben zu können.“ Wenigstens war sie ehrlich mit ihm. „Aber das war es, worüber du dir Sorgen gemacht hast, oder?“ Leslie nickte und setzte sich nun ihrerseits auf die Bettkante, neben Seth. Am liebsten wollte er ihr versichern, das er vorhatte ihr keine Sorgen mehr zu bereiten. Immerhin gab es noch genügend, worüber sie sich Gedanken machen musste und das tat sie leider auch ausgiebig. Irgendwann würde sie vor Sorgen zergehen, befürchtete er. „Es tut mir wirklich leid.“ „Aber du kannst doch nichts dafür.“ „Trotzdem...“ Seth nahm Leslies Hand und zog sie sanft näher zu sich, während er sich leicht aufsetzte. Mit dem darauf folgenden, wenn auch kurzen Kuss hatte sie nicht gerechnet, entsprechend war ihre Reaktion, auch wenn sie mehr verwirrt als abgeneigt war. „Danke“, sagte Seth leise, während Jamie durch einen schmalen Spalt an der Zimmertür lugte und grinste. Kapitel 31: Sonnenschein ------------------------ Bereits seit mehreren Tagen war Seth wieder Zuhause und verbrachte gerade seine Zeit damit mit geschlossenen Augen auf den Stufen zur hinteren Veranda zu sitzen. Mit den Ellbogen lehnte er auf dem obersten Absatz, während er die Beine ausgestreckt hatte. Weiter ging er nicht in den Garten. Er wollte auch nicht sehen, was da gerade rumkreuchte und fleuchte. Aber er brauchte frische Luft und solange die Sonne so schien wie jetzt, war es sehr angenehm hier draußen. Seth durfte nur nicht daran denken, was am Teich auf ihn wartete. Da bekam er sofort eine Gänsehaut und ihm wurde schlecht. Als er die Schritte in der Küche hörte, setzte er sich auf und warf einen kurzen Blick auf den Garten, bevor er ganz aufstand und ins Haus zurück ging. Drinnen war Leslie und wollte eben anfangen das Frühstück zu machen, als sie Seth bemerkte. „So früh schon wach?“ „Ich konnte nicht mehr schlafen.“ Es war sinnlos zu lügen, also erzählte er ihr lieber gleich die Wahrheit. Es war selten genug vorgekommen, das er vor ihr wach war. „Eigentlich hatte ich überlegt, ob ich Frühstück mache, aber ich denke dann braucht die Küche wieder eine Grundreinigung.“ Leslie lächelte und reichte ihm den Löffel, mit dem sie eben den Pfannkuchenteig rühren wollte. “Du kannst mir helfen. Dann lernst du vielleicht auch, wie du es beim nächsten Mal machen kannst, ohne die Küche in ein Pfannkuchenhaus zu verwandeln.“ Seth nahm den Löffel und stellte sich neben sie, um zu rühren. Leslie selbst bereitete die Pfanne vor und deckte daraufhin den Tisch. „Möchtest du heute Nachmittag mit zum Sprechtag in Jamies Schule?“, wollte sie wissen, als sie nach dem Teig sah. „Noch ein wenig rühren, dann ist er gut“, informierte sie ihn nebenbei und wartete dann auf seine Antwort. Seth sah auf die Rührschüssel. Jamie würde sich sicher freuen und er hatte nichts anderes vor. Darum nickte er auch und reichte Leslie den Behälter. „Ich würde gerne mitkommen! Und ich denke, das mit dem Teig machst besser du. Ich will nicht wieder alles versauen.“ „Was für eine wunderbare Ausrede, hm?“ Sie lächelte ihn an und nahm sich des Teiges an. „Aber schön, das du mitkommst.“ Der Tag verlief ruhig, wie auch schon die Letzten. Das Einzige, was Seth aus seinem Trott herausgeholt hatte, war die Fahrt zu Jamies Schule und das dortige Gespräch mit seinen Lehrern. Was sie dort hörten war alles recht positiv. Jamie lebte sich gut ein, war fleißig. Es gab ein paar Probleme in Mathe, aber mit ein wenig Hilfe würde sich das sicher auch legen. Seth erinnerte sich daran, was für ein schlechter Schüler er gewesen war. In den ersten Jahren hatte er es sogar noch gut gefunden, aber dann hatte sich das ganze doch schnell gelegt. Die Tiere die er sah und den Spott den er deswegen erntete, sobald er über sie erzählte. Da war Jamie wirklich schlauer. Er hatte es für sich behalten und war damit wesentlich besser gefahren, als Seth. Darum hatte er auch dafür gesorgt, das Jamie belohnt wurde! Zwar hatten sie nur ein Eis gegessen, aber es war ein riesiger Becher gewesen, den sie sich da zusammen bestellt hatten. Jetzt würden sie wohl alle tagelang kein Eis mehr sehen können. „Seth...“, hörte er Jamies Stimme, während er auf dem Sofa saß und an einem neuen Text schrieb. „Was ist, Jamie?“ „Das ist das Tier, was dich hatte beißen wollen, oder?“ Jamie sah hinaus und beobachtete das Tier, das auch Seth, kaum das er bei dem Jungen war, als das kleine bissige Monster erkannte, was ihn in den Teich befördert hatte. „Das ist es, ja.“ „Was macht es im Garten?“ Darauf hatte Seth leider auch keine Antwort. Aber er würde es verjagen gehen! Es sollte dem Ding bloß nicht einfallen hier im Garten herumzurennen und vielleicht noch auf die dumme Idee zu kommen, Jamie oder Leslie etwas zu tun. Das es bei Jamie ruhiger geworden und weggegangen war, daran dachte Seth nicht. Es zählte für ihn nur, das es verschwand. Er wollte es nicht sehen und Jamie sollte in Sicherheit sein. „Bleib hier, okay? Ich bringe es weg.“ „Aber...“ Seth wusste, was Jamie sagen wollte. Seit dem Aufenthalt im Krankenhaus war Seth nicht mehr im Garten gewesen. Nicht einmal die Kaninchen hatte er gefüttert, das hatte Leslie wieder übernommen. Aber jetzt musste er es tun. Dieses Tier sollte nicht dort sein und wenn es ihn wieder verfolgte, dann sollte es das halt tun. Dann brachte er es zum Teich, warf es hinein und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Das dürfte doch kein Problem sein! Eigentlich... Wenn er nicht jetzt schon spüren könnte, wie seine Knie weicher wurden und dabei war Seth eben erst die hintere Treppe herunter gegangen. Aber er ließ es sich nicht anmerken und ging weiter auf das Vieh zu, dessen Knurren er bereits hören konnte. „Na, dann komm... Was willst du, hm?“ Es sprang aufgeregt und rannte auf Seth zu, nur um kurz darauf anzuhalten und in die Luft zu schnappen. Sähe das Tier nicht so gruselig aus, wäre es fast schon niedlich. Nur leider sah Seth nur das kleine Monster und spürte die Gänsehaut. Entsprechend wusste er, das Vieh musste aus dem Garten raus, weg von Jamie und vor allem weg von Leslie, die nicht einmal sehen könnte, falls das Vieh sie angreifen wollte. Nur mit diesen Gedanken schaffte er den Weg zu dem Teich, wo er jedoch nicht dazu kam, das Tier ins Wasser zu schmeißen. Kapitel 32: Sidero ------------------ Starr stand er gut einen Meter von Wasser entfernt und starrte auf die Frau, die auf der anderen Seite ein ähnlich monströses Tier streichelte, wie es gerade hinter Seth her lief. Für einen Moment glaubte Seth in der nächsten Sekunde einen Biss zu spüren, doch der blieb aus. Nur das Knurren war noch zu hören, während das Tier neben ihm stehen blieb und böse zu Seth auf sah. „Hallo“, begrüßte ihn die Frau, die gewisse Ähnlichkeiten mit diesem Dour hatte. Als Seth an den dürren Kerl dachte, vielen ihm wieder die Worte ein, die sie gewechselt hatten. „Pjol...“, sagte er daraufhin leise und das Tier neben ihm hörte auf zu knurren. Legte dafür den Kopf schief, wie ein kleiner Hund, der gerade seinen Namen gehört hatte, damit jedoch nichts anfangen konnte. „Oh, du kennst seinen Namen. Interessant.“ Langsam kam die Unbekannte auf Seth zu, wobei sie auch den direkten Weg über das Wasser nahm. „Aber du begrüßt mich nicht – das ist sehr unhöflich!“ „Ich habe nicht vor lange zu bleiben … erst recht keine Lust auf eine lange Unterhaltung.“ Seth war sich nicht sicher warum, aber sie machte einen wesentlich gefährlicheren Eindruck, als Dour. Darum wich er auch zurück. Weiter weg vom Wasser und von ihr, die unbeirrt weiter auf ihn zu schritt. „Aber wohin willst du denn?“ Verwirrt über die Frage legte Seth die Stirn in Falten und zuckte mit den Schultern. „Nach Hause.“ „Oh...“, machte sie leise und kicherte daraufhin. „Was wenn ich dir sage, das du die ganze Zeit zuhause bist, und das alles hier, nicht real?!“ „Blödsinn!“ „Du glaubst mir nicht? Seit wann sieht man etwas wie mich in der realen Welt?“ „Was bist du?“, wollte Seth wissen. „Ich dachte mein Bruder hätte es dir gesagt. Ich bin Sidero und genauso ein Teil deiner Fantasie, wie Dour, dein kleiner Junge oder deine Freundin.“ Seth schüttelte den Kopf. Was erzählte sie ihm da für einen Mist? „Seth...“, sagte Sidero und im gleichen Moment hörte er seinen Namen ein weiteres Mal, hinter sich. Jamie stand da. Zusammen mit Leslie, die die Hand des Jungen hielt und nur verwirrt auf den Teich blickte. Für sie war da nichts. Nur kleine Wellen, die vom Wind erzeugt wurden. „Sie lügt!“, rief Jamie ihm zu, der daraufhin anfing Leslie zu erzählen, was er sah. Was hier passierte. „Tue ich das?“ Sidero lächelte und ging in die Hocke, um Pjol zu streicheln. „Was wenn ich dir sage, das Jamie tatsächlich bei dir war. Es war soweit echt, das Leslie kam, um ihn abzuholen. Aber dann... nun du wolltest feiern richtig? Oder eher trauern? Jedenfalls kann ich dir mit Sicherheit sagen, das du gerade auf deinem Sofa liegst und ganz sicher bald einen Arzt benötigst, sonst wird dieser Traum hier der letzte sein, den du jemals hattest.“ Seth schüttelte den Kopf erneut und sah wieder zu Leslie und Jamie. Flackerten sie? Oder waren das seine Augen? „Glaub ihr nicht, Seth!“ Doch in dem Moment wurde bereits wieder alles Schwarz um ihn herum. Kapitel 33: Albtraum -------------------- Seth fühlte sich schwer und verschwitzt. Vielleicht kam die Feuchtigkeit auch woanders her, aber soweit gingen seine Gedanken nicht. Er versuchte sich daran zu erinnern, was passiert war. Was war real, was nicht? Aber sein Kopf fühlte sich an, als würde er um seinen Körper kreisen und eben jener spielte auch nicht wirklich mit. Schwer wie Blei lag er auf dem weichen Untergrund, der sich erschreckend ähnlich anfühlte, wie sein altes Sofa. Allein die Augen auf zu bekommen war ein Kraftakt, den er nicht weiter vollführen konnte, bis zu einem schmalen Blinzeln und das was er sah, ließ sein Herz schmerzhaft schneller schlagen. Er war zuhause. Und damit war nicht sein neues, schönes, liebevolles Zuhause gemeint. Sidero hatte ganz offenbar recht gehabt. Seth versuchte zu schlucken, was nur ein Husten auslöste, durch den er beinahe vom Sofa fiel, aber sich auch endlich ein wenig bewegen konnte. Es fühlte sich zwar etwa so geschmeidig an, wie die Bewegungen des alte Robocop, aber es war immerhin schon etwas. Nur wohin sollte er? Was wollte er hier noch erreichen? Wenn Sidero damit recht hatte, das das hier real war – dann musste es auch wahr sein, das er bald schon nicht mehr... Vermutlich konnte er sich deswegen kaum bewegen. Sein Körper gab den Drogen nach. Aber warum waren seine Gedanken dann so klar? Das war eigentlich nie so gewesen. Nein... Das hier war nicht real! Kapitel 34: Mutter ------------------ Mit dem beruhigenden Gefühl das alles mit ihm in Ordnung war, öffnete er erneut die Augen. Es war noch immer schwer, aber sein Körper fühlte sich schon besser an und sein Kopf kreiselte nicht mehr um ihn herum, auch wenn ein gewisses Watte-Gefühl blieb. Um ihn herum war es weiß, was an der Bettwäsche lag, unter der er sich befand. Mühsam schälte er sich aus dem Bettzeug, um einen Raum zu erkennen, der ihm vollkommen unbekannt war. Ein simples Bett, eine schmale Kommode und noch ein kleines Schränkchen direkt neben dem Bett. Keine Bilder oder anderes, was den Raum wohnlich machen könnten. Auch waren alle Farben irgendwie blass. Seth rieb sich über die Augen und hoffte auch das sei nur ein Traum, aber er fühlte sich tatsächlich beinahe normal und auch wenn das hier nicht richtig sein konnte, fiel ihm nichts auf, was ihm sicher sagte, das es ein weiterer Albtraum war. Vorsichtig kletterte er aus dem Bett, da er seinen Beinen derzeit nicht wirklich traute. Als er neben dem Bett zum stehen kam, bemerkte er die Höhe des Möbelstücks. War es so groß, oder er so klein? Auch das Fenster schien erstaunlich hoch zu liegen, genauso wie die Türklinke, die ihm nicht dabei half aus dem Zimmer zu kommen. Offenbar war abgeschlossen. Seth kletterte auf die Kommode, um aus dem Fenster zu sehen und erkannte den Garten aus seiner Kindheit. Das war dann doch eher verwirrend. Er war ewig nicht mehr dort gewesen. Seth saß auf der Kommode und betrachtete seine Hände, Arme, seine Füße... Er war tatsächlich klein und seine Tattoos waren verschwunden. Oder nie da gewesen? Unruhig schlug er seine Ferse immer wieder gegen die Schublade, an die er gerade so kam. Er musste nachdenken, aber es war schwer seine Gedanken zu ordnen. Darum sprang er von der Kommode und drehte sich zu den Schubladen, deren unterste er aufzog, um sie zu durchsuchen. Sie war leer. Genauso wie die darüber und auch die darüber. Nur in die Oberste konnte er nicht sehen, da diese mit einem Schlüsselloch versehen war, in dem kein Schlüssel steckte. Jemand hatte abgeschlossen, genauso wie die Zimmertür. Seth ließ die Schubladen offen stehen und ging zu dem Schränkchen, das neben dem Bett stand. Dort waren keine Schlösser und er konnte alles öffnen. Im obersten Fach war nichts, aber im Unteren fand er ein Stofftier. Ein lila Hase, der schlaksige lange Arme und Beine hatte und dessen Ohren länger waren, als das Tier an sich. Seth erinnerte sich an das Plüschtier. „Jelly-Muff“, flüsterte er leise und konnte nicht anders, als es an sich zu drücken. Er hatte viele Dinge zurückgelassen, als er seinem Elternhaus den Rücken gekehrt hatte und vieles davon waren Sachen aus seiner Kindheit gewesen, die er, solange er noch klein gewesen war, eigentlich sehr gerne gehabt hatte. In etwa diese Größe hatte er jetzt auch wieder, fiel ihm auf, als er bemerkte, das die Ohren des Hasen seine Füße berührten. Seth fühlte sich überfordert. Was war das nur? Mit Blick auf das Bett entschied er sich dazu sich hinzulegen, um nachzudenken. War das auch Sideros tun? Er musste eingeschlafen sein, denn das Geräusch des sich drehenden Schlüssels in der Tür überraschte ihn und sorgte dafür, das er sich mit aufgerissenen Augen aufsetzte. Noch immer hielt er Jelly-Muff im Arm, als könnte der Hase ihm beistehen. Beim Anblick der Frau, die hinter der bis dahin verschlossenen Zimmertür auftauchte, brauchte er diesen beistand auch. „Mum?“ Sie sah ihren Sohn an, als hätte er eine ansteckende Krankheit und sagte kein Wort zu ihrem Jungen. Der Teller in ihrer Hand war bedeckt mit ein wenig Kartoffelbrei, Möhren und ein paar Streifen Hähnchenfleisch. Das Essen auf der Kommode abstellend suchte sie einen Schlüssel aus ihrer Strickjacke und schloss das oberste Fach auf, ohne auf die geöffneten Schubladen darunter zu achten. Sie wühlte in den Dosen herum, die sich dort drin befanden, nahm eine heraus und las, ob sie die richtige erwischt hatte. Die Tabletten waren die Richtigen, darum öffnete sie die Dose und packte zwei davon auf den Kartoffelbrei. Den Teller stellte sie anschließend auf das Fußende des Bettes und widmete sich wieder der Schublade. Eine weitere Tablettendose verschwand in ihrer Jacke bevor sie das Fach wieder abschloss und ohne ein Wort das Zimmer verließ. Seth hatte sich keinen Millimeter bewegt. Das Gefühl für seine Mutter war genauso wie an dem Tag, als er gegangen war und bestand vor allem aus Abneigung. Entsprechend sah er auf das Essen und entschied sich es nicht anzurühren. Auch den Tabletten wegen. Hatte sie ihm schon immer irgendetwas ins Essen gemischt? Je länger Seth darüber nachdachte umso wütender wurde er. Er ließ den Hasen im Bett und ging selbst wieder zu der Kommode, wo er die Schubladen ganz herauszog und anfing das oberste Fach zu malträtieren, um gucken zu können, was noch alles darin war. Seth hämmerte gegen das dünne Holz und hatte doch nicht genug Kraft, um es kaputt zu machen. Stattdessen ging die Tür wieder auf, was Seth durch sein eigenes Hämmern nicht hörte. Seine Mutter kam wieder herein und obwohl sie sich im ersten Moment vor ihrem eigenen Kind zu ekeln schien, packte sie ihn schließlich doch am Kragen und zog ihn aus dem Schrank. „Was soll der Lärm?“, fragte sie wütend und warf Seth in die nächste Ecke des Zimmers. Sie wollte ihn nicht länger als nötig anfassen. Seth spürte den harten Aufprall und sah ein paar Sterne vor den Augen umher schwirren. Seit wann war sie so stark? So hatte er das nicht in Erinnerung. Bis auf Jelly-Muff war auch das Zimmer nicht so wie seines. Seth spürte einen Tritt und rollte sich zusammen, vor Schmerz und um sich vor weiteren Schlägen oder Tritten schützen zu können. Es sollte aufhören! Kapitel 35: Schulhof -------------------- Die Tritte blieben. Nur statt der Stille, die in dem schlechten Imitat seines Zimmers geherrscht hatte, flogen ihm hier Flüche, Beleidigungen und Kinderlachen entgegen, so wie weitere Schläge, die alle zum Glück nicht so schlimm waren, wie der erste Tritt. Schön war dennoch etwas anderes und Seth wünschte sich, das sich das hier nicht als wahr herausstellen sollte. Aber es fühlte sich an, wie unzählige Male vorher. Die Jungs, von denen einige sogar Mal seine Freunde gewesen waren. Die Mädchen, die schon immer einen Jungen verhauen wollten. Es passierte viel zu oft und in einer Ecke des Schulhofes, den die Lehrer scheinbar mieden. Irgendeiner hätte es sonst irgendwann sehen müssen. Vielleicht war es ihnen aber auch einfach nur egal. Was wusste er schon? Seth rollte sich so sehr zusammen, wie er es konnte. Schützte seinen Kopf und spürte das heiße brennen in seinen Augen. Sie würden sich lustig machen, wenn sie es sehen sollten, das er weinte. Aber etwas dagegen tun konnte er auch nicht. Es tat weh und das in mehr als nur einer Hinsicht. Die ganzen Situationen in denen er landete... Warum musste sich von allen ausgerechnet das hier am realsten anfühlen? „Was macht ihr denn da?“, hörte er eine Stimme, die ihm erstaunlich bekannt vorkam. „Lasst ihn in Ruhe!“ Seth hörte das Fluchen seiner Peiniger, wie sie flüchteten, damit sie nicht für ihre Taten bestraft werden konnten. Schlau... für Grundschulkinder. „Alles okay?“ Seth blinzelte und schob seinen Arm ein wenig zur Seite, um seinen Retter ansehen zu können. Eine Lehrerin war es. Seth wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und traute seinen Augen nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern eine Lehrerin gehabt zu haben, die aussah wie Leslie. Sie lächelte ihn an und Seth musste einfach dem Gefühl nachgeben sie zu umarmen. Sich an sie zu klammern, als wäre sie die Lösung zu all seinen Problemen. Er spürte ihre Arme, als sie ihn vom Boden aufhob und mit ihm weg ging. Seth schaute wohin, aber er sah nur, das sie sich von der Schule und dem Pausenhof entfernten. „Wohin gehen wir?“, fragte er darum. „Wir gehen nach Hause.“ Kapitel 36: Halluzination ------------------------- Ihm war kalt und sein Kopf schmerzte. Deswegen spürte er die Finger erst später, die an seiner Wange lagen und durch seine Haare fuhren. Seth blinzelte, um zu sehen in was für einem Albtraum er nun gelandet war, doch da war nur Leslie und sie sah ihn an. Sie lächelte, auch wenn ihr anzusehen war, das sie sich Sorgen machte. „Alles okay?“, fragte sie und wieder spürte Seth den Drang sie einfach zu umarmen. Doch anders als in seinem Traum, tat er es jetzt nicht. Stattdessen faste er sich an den Kopf, massierte seine linke Schläfe und nickte. Wobei ihm auffiel, weswegen er noch immer zu ihr aufsehen musste. Sein Kopf lag auf ihrem Oberschenkel. „Was machst du hier?“ „Die Frage ist eher, was machst du hier?“ „Aber ich habe zuerst gefragt.“ Seth setzte sich auf, so ungern er das auch wollte. Aber er musste einfach mit Leslie auf Augenhöhe sein, um ihre Frage so gut er konnte zu beantworten. „Ich wollte nur eines dieser Tiere aus dem Garten bringen. Damit es dir und Jamie nichts tun kann.“ Leslie nickte, eher mangels passender Worte, und schaute zum Teich. „Und wie hast du das gemacht?“ Seth folgte ihrem Blick und sah erst da, das die Helligkeit, die er wahrnahm, gar kein Tageslicht mehr war. Es war schon dunkel, um sie herum. Auch wenn der Himmel erst wie Dämmerung aussah, wirkte es durch die Bäume hier wesentlich dunkler. „Keine Ahnung, was das ist...“, hauchte er leise und wäre am liebsten aufgestanden, doch ihm war zu schwindelig. Entsprechend sah Seth wieder Leslie an, als ihm hinter ihr jemand auffiel. „Jamie?“ Auch Leslie drehte sich zu dem Kleinen herum und sie war noch viel erstaunter darüber, wer bei ihrem Neffen war, als Seth es sein konnte. Die Frau, die neben Jamie im Schneidersitz auf dem Rasen saß, war zum Glück nicht Sidero. Dafür sah sie Dour recht ähnlich, so das Seth darüber nachdachte, ob diese beiden merkwürdigen Kreaturen – ein anderes Wort hatte er für sie nicht – einfach ihr Geschlecht wechseln könnten. „Wer ist das?“, wollte Leslie wissen. Leider hatte Seth auch keine Antwort darauf. Doch die Frau lächelte die beiden an, nachdem sie Jamie auf die Nase gestupst hatte und der Kleine zu Seth ging, um ihn zu umarmen. „Hallo Seth“, begrüßte sie ihn und nickte Leslie zu. „Es tut mir leid, was meine Tochter getan hat. Sie wird damit nicht weiter machen.“ Seth war verwirrt, was vor allem daran lag, das er sich fühlte als würde er alles nur im Schneckentempo verarbeiten. Doch die Unbekannte ließ sich davon nicht beirren, sondern erklärte sich stattdessen. „Sidero und Dour sind meine Kinder, Seth. Und in gewisser Weise bist du es auch.“ Kapitel 37: Ertrinken --------------------- Als sie in die fragenden Gesichter sah konnte sie nicht anders als breit zu lächeln. Es war freundlich, wie Seth fand, was sein ungutes Gefühl weichen ließ, auch wenn er noch immer nah bei Leslie blieb und auch Jamie nicht so schnell wieder zu ihr gehen lassen würde. Er kam einfach nicht darauf, wie dieses... was war sie? Wenn er Dour glaubte, war sie wahrscheinlich genauso eine Halluzination wie ihre Kinder. Doch was hieß es für ihn? „Wie kann das sein?“, fragte er viel leiser als gewollt. „Du hast ein wenig von mir aufgenommen, als ich dein Leben gerettet habe.“ Seth war jetzt noch verwirrter als vorher. Niemand hatte jemals sein Leben gerettet. Außer Jamie vermutlich. Da seine angebliche Zweitmutter seine Zweifel und Verwirrung sehen konnte, überlegte sie, wie sie ihm diese nehmen konnte, doch dafür gab es wohl kein wirkendes Mittel. Außer, wenn sie es ihm zeigte. Doch Sidero hatte bereits so sehr mit seinen Träumen gespielt, das sie ihn nun nicht noch weiter überfordern wollte. „Du warst noch ganz klein, als ich dich das erste Mal sah. Ganz interessiert bist du bis zum Wasser gekrabbelt und hast versucht die Fische dort zu streicheln...“ Daran konnte sich Seth nicht erinnern. Darum konnte er ihr auch nicht so einfach glauben, selbst wenn sie die Wahrheit sagen sollte. Sie erkannte seine Zweifel und streckte ihre Beine aus, während sie überlegte, wie sie es ihm einfacher machen könnte. Ihr helles Kleid war schon jetzt voller Rasen und Dreck, was ihr nichts auszumachen schien. Sie bemerkte es nicht einmal, während sie die Baumwipfel beobachtete. „Meine Mutter hätte mich nie zu dem kleinen Fluss im Garten gelassen.“ Er war am hintersten Rand gewesen und selbst später hatte sie ihn immer zurück gerufen, wenn er denn mal das Haus hatte verlassen dürfen. Wieder sah sie ihn an, doch ihr Lächeln wandelte sich in etwas anderes, das Seth zuerst nicht deuten konnte auch wenn es ihm sehr wie Mitleid erschien. „Sie war nirgendwo zu sehen, als ich dich beobachtet habe. Selbst nachdem ich dich aus dem Wasser gebracht hatte, war sie nicht da.“ So ungern er das auch zugeben wollte, klang dass schon irgendwie nach seiner Mutter. Auch wenn er es nicht schaffte diese Dinge in sein Gedächtnis zu rufen, aber vermutlich war er einfach zu klein gewesen, als das da nun dergleichen zu finden war. „Du hast nicht mehr geatmet und darum hatte ich die Wahl – dich einfach dort lassen oder dir helfen.“ Ihre Entscheidung war offensichtlich. Leslie warf Seth wie auch Jamie einen Blick zu. Sie glaubte nicht, was sie sah. Egal wie lange sie diese... Frau, oder was immer es war, auch weiter anschaute. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte und sie war erstaunt, über die Ruhe, die Jamie an den Tag legte. Als sei es nichts neues für ihn. Aber wenn sie an die Dinge dachte, von denen er ihr erzählt hatte, das er sie sah, war es vermutlich tatsächlich ein alter Hut. „Ein wenig von mir, meinen Fähigkeiten, ging dabei auf dich über, Seth“, erklärte die Frau weiter, die sich noch immer nicht vorgestellt hatte und auch nicht den Anschein machte, als habe sie es vor. „Dann sind die Dinge, die ich sehe...“ „Ein Teil meiner Welt. Etwas, das normalerweise niemand zu sehen bekommt.“ „Was ist das für eine Welt?“, teilte endlich Leslie ihre Neugierde mit. „Und was ist mit mir?“, wollte Jamie wissen. Er war sich sicher, das seine Eltern ihn nie an irgendeinem See, Teich oder sonstigen wasserlastigen Ort alleine gelassen hatten. Vor allem, weil sie nie etwas mit ihm unternommen hatten und er darum meistens nur den Wohnblock zu Gesicht bekommen hatte. „Oh, das war nicht ich. Das war Seth.“ Kapitel 38: Seth ---------------- Konnte er den Worten glauben? Wollte er das überhaupt? Wie hätte er etwas auf Jamie übertragen sollen, von dem er nicht einmal wusste, das er es hatte und könnte? Das verwirrte ihn und damit war er nicht alleine. Auch Jamie und Leslie waren ratlos und verwirrt. „Was hat er getan?“ „Nun, er hat Jamie das Leben gerettet.“ „Wann?“, wollte nun auch Seth wieder wissen. Er wohnte zwar bereits Ewigkeiten in der Wohnung schräg gegenüber der von Jamies Eltern, aber er konnte sich an dieses Ereignis einfach nicht erinnern. „Ich zeige es euch, okay?“ Als die Realität vor ihnen verschwamm klammerte sich Leslie an Seth und Jamie, aus Angst einen oder beide zu verlieren. Dabei hatten sie sich nicht einen Zentimeter bewegt. Sie sahen nur den Flur, der vom Fahrstuhl zu den Wohnungen führte. Mit einem leisen 'Ping' öffnete sich die Tür des Transportmittels und heraus kam Seth, der eine solche Schlagseite hatte, das er mit der Schulter an der Wand entlang rutschte und bei jeder Wohnungstür aufgehalten wurde. Jedes Mal beschwerte er sich darüber lautstark, ohne das der Zusammenhang seiner Worte klar war. „Du warst wirklich ganz weit unten...“, nuschelte Leslie und besah sich das Schauspiel mit Abscheu. Jamie starrte nur. Er hatte das ein paar Mal mitbekommen, als er bereits älter war, aber selbst da schien es nicht so schlimm gewesen zu sein, als an dem Tag, den sie sich gerade ansahen. „Ich habe keine Ahnung, wann das war.“ „Wie alt bin ich da?“ „Du bist winzig. Es können nicht mehr als ein paar Monate sein.“ Sie alle warteten gebannt, bis dem zugedröhnten Seth im Flur auffiel, das Baby Jamie vor deren Wohnungstür stand und sich nicht rührte. Er schaute zu dem Kind. Zu seiner Wohnungstür... Zu dem Kind... „Normal... plärrst du doch“, fiel ihm auf und so bewegte er sich auch noch die letzten Meter zu dem Baby in seinem Sitz. Statt vor dem Kind in die Hocke zu gehen, so wie er es vorhatte, fiel Seth einfach auf die Knie, was dem Baby keinen Mucks entlockte. „Bin ich da... etwa...“ „Ja“, hörten sie alle die Stimme von Seth selbsternannter Zweitmutter. „In diesem Moment bist du bereits nicht mehr am atmen.“ Im Flur beugte sich derweil der Junkie vor und strich sanfter, als man es ihm zutrauen würde, über die Wange des Kleinkindes. „Haben sie... dich schon wieder verbannt, hm? Was hast du dieses Mal angestellt? Bank ausgeraubt? Oder in Mama und Papas Bett gemacht?“ Das sich das Kind erstaunlich kühl anfühlte, fiel ihm auf. Denn seine Finger waren eisig und das Baby ebenfalls. „Solltest du nicht weinen, weil dir kalt ist?“, fragte er darum ganz leise nur, bis ihm die Idee kam, das er das Kind ja einfach wärmen könnte. So vorsichtig wie er konnte nahm er daraufhin den Kleinen Jamie und hielt ihn auf dem Arm. „Komm schon Kleines ... Jede Nacht begrüßt du mich. Ich verlass mich da auf dich. Das darf sich doch nicht ändern...“ Mehr als reden und Jamie auf dem Arm halten tat Seth nicht und doch streckten sich irgendwann die kleinen Ärmchen wieder und das Baby hustete einige Male. „Das ist besser“, erklärte Seth zufrieden und hielt den Kleinen doch noch eine Weile auf dem Arm, bevor er ihn zurück in seinen Sitz packte und mühsam aufstand, um nun endlich zu seiner Wohnung zu gehen. „Ich erwarte dich morgen Abend wieder.“ Kapitel 39: Verbunden --------------------- „Und was heißt das jetzt?“ Die Frage stand zwischen ihnen, als sie alle wieder die Lichtung um sich hatten. Leslie legte ihre Arme fester um Jamie und wollte nicht glauben, was sie eben gesehen hatte. Hatte ihre Schwester tatsächlich den Kleinen einfach auf den Flur gestellt? Verdankte sie wirklich Seths eingreifen, das Jamie noch bei ihr war? Das wollte einfach nicht in ihren Kopf. Es erschien so unwirklich, so falsch.... Seth rieb sich die Schläfen, wischte sich über das Gesicht und machte dann doch bei seinen Schläfen weiter. Das schmerzende Gefühl und das drückende Dröhnen wollten einfach nicht aufhören und er wollte eigentlich nur noch schlafen. Zumindest, bis er verarbeitet hatte, was hier eben alles passiert war. „Das heißt, dass Seth, Jamie und ich verbunden sind. Sie sind ein Teil meiner Welt geworden“, erklärte die Unbekannte, die dabei vor allem Leslie im Auge behielt. Dieser war es unangenehm, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. „Was ist das für eine Welt?“ „Die der Fea. Bei uns ist alles möglich. Vermutlich ist daher auch ein Teil meiner Kräfte auf Seth übergegangen. Dabei sind die in eurer Welt zum Großteil wenig hilfreich.“ Für Jamie war es jedoch eine glückliche Fügung gewesen. „Fea?“, fragte der Kleinste der Runde und versuchte aus der Umarmung seiner Tante zu kommen. „So wie... Feen?“ „Nein. So wie Magie und Fantasie...“ Jamie nickte, auch wenn er nicht verstanden hatte, was gemeint war. Außer noch, das er keine kleine Fee sehen würde. „Kann ich das hier mal eben unterbrechen?“, mischte sich Seth nun ein. „Ich...“ „Wir sollten das auf ein anderes Mal verlegen“, beschloss Seths Ziehmutter ohne das er weiter reden musste. „Überlegt euch, was ihr von mir wissen wollt... Aber verarbeitet erst einmal alles, was heute hier gesagt und getan wurde.“ Da waren sie alle für. Als sie aufstehen wollten, saßen sie bereits auf dem Boden ihres Wohnzimmers und wäre ihre Kleidung nicht nass vom Wasser und vom Rasen, dann hätten sie wohl alle geglaubt, das ihre neuste Bekanntschaft nur eine Art Traum gewesen sein konnte. Aber das Gefühl blieb. Die Kälte in ihnen, die sie am Kragen packte und böse zischelte wie wahr die letzte Stunde gewesen war. Seth war schlecht und dieses eisige Brennen in ihm konnte er nun wirklich nicht gebrauchen, wollte er doch für seine Familie da sein. Leslie in den Arm nehmen... Jamie knuddeln und ihm sagen, wie gut es ist, dass das Ereignis damals nicht so ausgegangen ist, wie es hätte passieren können. Im Moment konnte Seth sich nur nicht wirklich bewegen, weil jeder Muskelzug direkt in seinen Kopf ging. Das hätte die gute Frau ja auch mal ruhig verschwinden lassen können. Kapitel 40: Nacht ----------------- Leslie hatte Jamie in die Badewanne gesteckt und war selbst duschen gegangen. Sie hoffte so wieder Wärme in den Kleinen und auch in sich selbst zu bekommen. Seth hatte nach ihr ins kleine Bad gewollt, doch als sie ihm Bescheid geben wollte, konnte sie ihn nicht finden. Weder im Wohnzimmer noch in der Küche war er. Auch in seinem Zimmer stand nur die Tasse Kaffee, die er sich gemacht hatte, um die Wartezeit zu überbrücken, und die nassen Sachen, denen er sich bereits entledigt hatte. Aber wo war Seth? Leslie wickelte ihren Bademantel fester um sich, als ihr die Möglichkeiten durch den Kopf gingen. Wenn er wieder zu diesem Teich gegangen war... Oder er war allein in die Stadt gefahren – dort gab es ganz sicher irgendwelche zwielichtige Typen, die allerhand Zeugs verkauften, das Seth so einem Erlebnis eventuell nötig erschien. „Jamie, hast du Seth gesehen?“, fragte sie den Jungen, als der aus dem Badezimmer kam und bereits seinen Schlafanzug trug. „Hm, ne... Er wollte sich doch hinlegen.“ Leslies Blick wanderte zurück zu dem Zimmer, in dem sie im Grunde eben erst nach Seth gesehen hatte. Hatte sie ihn übersehen? „Duhu...“, fragte Jamie in seiner quengeligsten Stimmlage. „Kann ich bei dir schlafen?“ Nachdem was sie erlebt hatten, war Leslie nicht im geringsten dagegen. Auch wenn sie als verantwortungsvoller Erwachsener diesen Wunsch natürlich nicht äußern konnte. Entsprechend war sie sogar froh, das Jamie fragte. „Aber natürlich“, sagte sie darum auch und wuschelte dem Kleinen durch die noch nassen Haare. „Vorher noch einen Kakao?“ „Kakao und Seth suchen...“ Leslie nickte. Seth suchen stand bei ihr ganz oben auf der Liste und wie es schien auch auf der von Jamie. „Dann schauen wir jetzt einfach noch mal bei ihm im Zimmer und unten auf dem Sofa. Vielleicht hab ich ihn einfach nur übersehen.“ Jamie nickte eifrig und lief doch zu aller erst in sein Zimmer, um mit seinem Kissen wieder herauszukommen. „Ich bring das eben in dein Bett“, informierte er Leslie und sie beobachtete ihn dabei, wie er in ihr Zimmer huschte, nur um sofort wieder zur Tür zu kommen und seine Tante zu sich zu winken. Auf ihrem Bett lag Seth, tief und fest schlafend, denn auch als Jamie sein Kissen neben das von Leslie legte, wachte der junge Mann nicht auf. Zur Sicherheit, nach Seths Zusammenbruch am Teich, prüfte Leslie, ob es ihm soweit gut ging. Aber er schien tatsächlich nur zu schlafen und als sie nah genug bei ihm war, legte er den Arm um sie und zog sie näher, ohne tatsächlich aufzuwachen. Leslie lächelte und strich dem schlafenden einige Strähnen aus dem Gesicht. „Ich glaube es wird diese Nacht ganz schön eng.“ Kapitel 41: Ruhe ---------------- Als Seth aufwachte fühlte er sich besser. Sein Kopf verbreiteten keine Schmerzen mehr und dank dessen war ihm auch nicht mehr schlecht. Im ersten Moment fragte er sich, wo er war, dann jedoch bewegte sich Leslie ein wenig und ihm fiel wieder ein, das er sich in ihr Bett gelegt hatte, um... um was zu tun? Es hatte einen Grund gehabt, aber kam ihm nicht mehr in den Sinn. Leslie lag angekuschelt neben ihm und auf seinem Arm. Aufstehen war also keine Option. Dabei fühlte er sich nach einer Dusche und einem Kaffee. Danach sollte er dann mal darüber nachdenken, das diese Begegnung am Teich zu bedeuten hatte. Er war nicht allein. Es war keine Einbildung gewesen... Seth drehte sich ein wenig, um Leslie zu umarmen. Wenn er schon nicht aufstehen konnte, dann wollte er ihr wenigstens noch näher sein. Das Jamie auch mit im Bett lag, bemerkte er auch erst in dem Moment, als er den Haarschopf des Kleinen an Leslies Rücken spürte. Nur noch ein halbes Stündchen, dann sollte er aufstehen. * Die Kaffeetasse an den Lippen und die Augen geschlossen dachte Seth über das Geschehene nach. Seine Fragen sollten beantwortet werden, aber da waren so viele, das er gar nicht sagen konnte, was er wirklich wissen wollte. Was bedeutete es ein Fea zu sein? Wenn auch nur zum Teil. Was konnte er sonst noch alles, außer diese Tiere sehen und ganz offenbar auch Leben retten? Was konnte Jamie? Würden sie es erneut weitergeben können? Mussten sie irgendetwas beachten? Das waren die ersten Dinge und die dringendsten, die sich immer wieder einschlichen, selbst wenn er versuchte sich die anderen Fragen durch den Kopf gehen zu lassen. „Geht es dir gut?“, wollte Leslie wissen, die ihm gegenüber saß und eben ein Sandwich mit Erdnussbutter bestrich. Seth nickte und öffnete die Augen. „Ich überlege nur, wann ich wieder zum Teich gehe.“ Kapitel 42: Dour ---------------- Eigentlich hatte Seth allein zum Teich gehen wollen. Egal was passieren sollte, er wollte weder Jamie noch Leslie da weiter mit hinein ziehen. Als der Kleine dann jedoch mit wollte und damit argumentierte, das er immerhin auch die ungewöhnlichen Tiere sehen konnte, war es unmöglich noch nein zu sagen, da er Jamie bereits mit hinein gezogen hatte. Entsprechend waren sie gemeinsam losgegangen und Jamie stand nun ganz dicht bei Seth, als sie beide auf das Wasser des Teiches schauten. Der Musiker wusste genau wie kalt es war, allein seiner Erfahrung vom vorangegangenen Tag her. „Meinst du, sie kommt?“, fragte Jamie und schaute auch weiterhin auf den Teich. Seine Einstellung zu dem Gewässer hatte sich inzwischen auch geändert. Hatte er es vorher noch sehr gerne gemocht, löste es inzwischen eine unangenehme Gänsehaut aus, die in einem Schauer über seinen Rücken zog. „Ich denke schon.“ Sicherlich wusste sie bereits, das ihre 'Kinder' hier waren und warteten. Entsprechend brauchte sie vielleicht noch einen Moment, um Dour oder Sidero irgendetwas zu sagen. Seth musste zugeben, er hatte keine Ahnung. Lange warteten sie tatsächlich nicht. Auch wenn es nicht die war, die sie erwartet hatte, sondern tatsächlich Dour. Ganz ohne ein Geräusch stand er plötzlich neben ihnen auf dem Rasen und wäre sein Erscheinen nicht im Augenwinkel aufgefallen hätten es wohl weder Jamie noch Seth bemerkt. „Mutter lässt ausrichten, das sie gleich da sein wird. Es kam etwas dazwischen und sie entschuldigt sich vielmals“, erklärte er. Sein blasses Gesicht wirkte noch immer wesentlich freundlicher als Sideros. „Wohin verschwindet ihr eigentlich immer?“, fragte Jamie neugierig. Wenn sie schon noch warten mussten, dann könnte auch Dour bereits ein paar Fragen beantworten, befand der Junge. Der Gefragte lächelte und überlegte, wobei er seinen Blick zum Teich wandern ließ. „Das ist schwer zu erklären“, fing er an und sah dann wieder zu beiden. „Aber wenn ihr möchtet, dann frage ich unsere Mutter, ob ich euch nicht zu uns holen soll. Dann könnt ihr es selber sehen.“ Jamie war sofort Feuer und Flamme für die Idee, während Seth keine Lust hatte mehr Wesen wie Sidero zu begegnen. „Jamie...“, hauchte er darum auch, als er dessen Begeisterung bemerkte. „Das geht doch nicht.“ „Wieso nicht?" Seth seufzte bei der unschuldigen Frage. Er hatte eine ganze Liste und Dours Blick – dieses merkwürdige Grinsen – machte es auch nicht einfacher. „Wenn es da gefährlich ist?“ „Ich pass auf euch auf. Mutter sagt, es ist okay und sie würde euch auch nichts zustoßen lassen.“ Seth war verwirrt. „Wann warst du weg?“ „Grade eben... Also – wollt ihr, oder soll Mutter zu euch kommen?“ Jamies strahlenden Augen konnte doch keiner widersprechen... Dieser Ort war wie im Märchen. Ihr Weg war links von dichtem Wald begrenzt auf der rechten Seite war kristallklares Wasser, aus dem an vielen Stellen Steine herausragten, die zum Teil mit Moos bewachsen, als Sitzgelegenheit für die kuriosesten Kreaturen dienten. Da sonnte sich eine Schildkröte mit Flügeln, die denen eines Rabens ähnelten und ein kleiner Schwarm Feen sprang in einem Spiel von Stein zu Stein. Jamie staunte nicht schlecht. Seth achtete jedoch eher auf die Bäume am Waldrand. Etwas bewegte sich dahinter und er konnte nicht erkennen was es war, da die Bäume zu dicht, die Schatten zu dunkel waren. „Dour. Warum hast du uns nicht direkt zu deiner Mutter gebracht?“, wollte er wissen „Ihr seit nicht von hier. Da geht das nicht direkt“, erklärte er und hielt kurz an, um seine Gäste zu betrachten. Seth nickte und schaffte es doch nicht für lange den Blick von den Bäumen zu nehmen. Da war etwas... irgendwas. „Was meintest du damit, das ich mich entscheiden müsste?“, fragte Seth weiter und versuchte zu erkennen, was er zu sehen vermutete. „Ein Teil der Kraft meiner Mutter ist auf dich über gegangen. Nicht genug, um dich zu einer vollständigen Fea zu machen – das ist noch nie passiert – aber genug, um hier zu bleiben, wenn du das möchtest.“ „Moment... hast du darum angeboten das wir herkommen?“ Dour lächelte schief und zuckte mit den Schultern. So unschuldig oder Unwissen, wie es aussehen sollte, tat es nicht. „Können wir zurück?!“ Vielleicht hätten sie das vorher klären sollen, aber da war ihm der Gedanke gar nicht gekommen. „Aber natürlich! Ich bin nicht Sidero, die sich gerne Späße erlaubt, die ihre Spielkameraden dann mit dem Leben bezahlen. Ihr sollt nur sehen, wo ihr auch leben könntet, bevor ihr eure Entscheidung treffen müsst.“ „Wieso müssen wir das?“, fragte Jamie, der die Unterhaltung mitbekommen hatte, auch wenn er weiterhin gebannt den kleinen Feen zugesehen hatte. „Das erklärt euch besser Mutter.“ Kapitel 43: Galyan ------------------ Weder Jamie noch Seth hatten jemals einen so großen Baum gesehen. Dour brachte sie bis hin zu den Wurzeln, die alleine schon so groß waren, wie der Wohnkomplex, in dem Seth und Jamie gelebt hatten, bevor sie bei Leslie ein schöneres Zuhause gefunden hatten. „Ist das euer … Schloss?“ Oder wie sonst sollte man das nennen? Dour pflegte erneut sein schmales Schmunzeln, ohne darauf wirklich zu antworten. Auch wenn Seth meinte ein kurzes und sehr einfach zu übersehendes Nicken gesehen zu haben. „Wie alt ist der Baum?“, wollte Jamie wissen und nahm Seths Hand, da hier mehr und mehr Leute anzutreffen waren und sie alle hatten etwas von Dour und Sidero. Das mussten die Fea sein. Sie alle hatten etwas an sich, was Seth nicht so wirklich einschätzen konnte. Sie wirkten nett und freundlich, mit ihren breiten Lächeln und leichten Verbeugungen, aber es war immer irgendwie falsch. Dour führte sie weiter. Durch das Tor in das innere des Regierungssitzes. Obwohl sie sich in einem Baum befanden, war es nicht dunkel. An den Wänden befanden sich kleine Lampen, die aussahen, wie leuchtende Harztropfen, aber selbst Jamie blieb still und staunte nur, statt zu fragen, ob das tatsächlich vom Baum kam. Dabei hätte er es sehr gerne gewusst. Vor allem, warum es unterschiedliche Farben gab. „Hier entlang“ Dour zeigte eine Treppe hinauf. Als Jamie und Seth jedoch anfingen die Stufen hinauf zu gehen, blieb der junge Fea stehen. „Warum kommst du nicht mit?“ Jamie hatte seine Sprache wiedergefunden und war sogar kurz davor nach Dours Hand zu greifen, um ihn mitzuziehen. „Ich habe noch eine Verabredung.“ Dieses mal schaffte es Dour ein für Seth ehrliches Lächeln zustande zu bringen. Er zwinkerte sogar Jamie zu und zeigte dann den Gang runter, wo bereits jemand zu warten schien. Genau konnte Seth das nicht sehen. Jamie streckte den Hals, um mehr erkennen zu können, gab dann aber auch auf. „Und wir gehen einfach die Treppe weiter rauf und... dann?“ Dour schaute noch einmal zu seiner Verabredung, bevor er die Treppe hoch zeigte. „Wenn ihr oben angekommen seit, dann geht ihr nach links. Dort einfach dem Gang folgen, bis ihr die Äste erreicht. Dann werdet ihr es bereits sehen können.“ Seth war sich nicht sicher, ob ihm die Erklärung reichte, aber gut nickte dennoch und winkte dem Fea. „Dann viel Spaß. Vielleicht sehen wir uns später?!“ „Mal sehen.“ Seth und Jamie gingen die Treppe rauf, so wie es ihnen gesagt wurde und folgten auch weiter der Wegbeschreibung. Am Ende des Flures teilte sich dieser in mehrere kleinere Gänge, die alle aus breiten Ästen bestanden und wenig vertrauenerweckend aussahen. „Und was sollten wir jetzt sehen?“ Seth zuckte mit den Schultern und sie gingen noch etwas weiter, bis er tatsächlich etwas sah, was für Jamie noch ein wenig versteckt war. Der war einfach noch ein Stück zu klein, um das, was sich da aufbaute erkennen zu können. „Wow...“, hauchte Seth leise. „Ich glaube das meinte Dour.“ „Was? Was denn?“ Seth hob Jamie hoch und so sah auch er die glasige Kuppel, die über einem der breiten Äste glitzerte. „Ich glaube da müssen wir hin.“ Kaum das Jamie die Beine wieder auf dem Boden hatte, rannte er los. Seth beeilte sich, um hinter ihm her zu kommen. Zwar war das scheinbar recht auffällig, denn einige der Wachen schienen das als Grund zu sehen, in Bewegung zu kommen. Doch sie verfolgten weder Seth noch Jamie. Es reichte ihnen wohl die Alarmbereitschaft. Als der Ast sich in viele kleinere teilte, wurden Seths Schritte erst einmal wieder langsamer. Auf den Blättern zu laufen ging so einigermaßen, auch wenn es ihm nicht sehr geheuer war. Aber es gab auch einige Stellen, an denen nichts war und doch stand da eine Wache und beäugte Seth ganz offensichtlich. „Muss Magie sein“, versuchte Seth es sich zu erklären und folgte Jamie weiter. Wobei der Gedanke sich schrecklich falsch anfühlte. Aber hier war es wohl die beste Erklärung. Seine Schritte waren dennoch weiterhin vorsichtig. So wirklich traute er dem Ganzen nicht. Vor allem dem Untergrund der einfach viel zu luftig aussah. „Jamie...“, hörte er die angenehme Stimme der Herrscherin, als der sie erreichte und beinahe als Begrüßung umarmte. Jamie hielt sich dann jedoch selbst zurück, was Seth wiederum sehr gut fand. „Schön das ihr hier seid.“ Sie stand auf und entließ mit einem Fingerzeig die Wachen, die an jedem Ast standen, von dem Seth glaubte, das es ein Ein oder Ausgang war. Türen sah er keine. Nur Blätter und Äste und das in einer Höhe, die ihm unbehaglich war. „Wollte euch nicht Dour herbringen?“ „Ja, aber er hatte noch eine Verabredung und ist darum im … Baum verschwunden.“ Sie nickte, als wisse sie sofort um wen es sich bei der Verabredung handelte und als wäre es okay, das ihre Gäste alleine durch den Baum gewandert waren. „Nun ich denke eines Tages muss ich etwas gegen diese angeblich geheimen Treffen unternehmen. Aber ich bringe es nicht übers Herz.“ Dieses Mal waren die Worte eher an sie selbst gerichtet, als sie auf die beiden zuging, jedoch zu einem der Äste sah. Was das bedeuten sollte, wusste Seth nicht und es war ihm auch nicht wirklich wichtig. „Also... habt ihr Fragen?“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Menschen mit Feenkräften. „Wie heißt du?“, fragte Jamie sofort. Seth stimmte dieser Frage auch zu. Sie wussten so wenig... „Oh, das ist eine bescheidene Frage, Jamie. Mein Name ist Galyan. Wobei mich niemand so nennt, außer meinen Kindern.“ „Dürfen wir auch?“ „Aber natürlich. Ich zähle euch zu meinen Kindern, darum dürft ihr mich auch bei meinem Namen nennen.“ Seth wie auch Jamie folgten ihr, als sie den Saal zu einem großen Blatt hin durchschritt und den beiden deutete auf jeweils einer Kugel platz zu nehmen, von der Seth keine Ahnung hatte, was es sein sollte. Sie klebte nur am Blatt, was ihm mit Erleichterung auffiel. Wegrollen und sich zum Idioten machen wollte er gerade hier lieber nicht, während es ihm Zuhause nichts ausgemacht hätte. Irgendwie fühlte er sich allgemein falsch hier. Schlimmer, als es früher in seinem eigenen Elternhaus gewesen war. „Wieso müssen wir uns entscheiden oder eher – wofür überhaupt?“, fragte Seth nun endlich, als sie saßen und aus dem Blatt heraus ein kleiner Tisch wuchs, der wie ein Pilz geformt war und mindestens so fehl am Platz wirkte, wie Seth sich fühlte. „Es gibt für euch zwei Möglichkeiten. Die eine ist, das ihr weiter lebt, wie bisher. Dann solltet ihr jedoch vorher lernen eure Kräfte zu meistern und nicht aus versehen herauskommt, was ihr könnt. Es gibt immer und überall Kreaturen, die euch dafür ausnutzen würde oder schlimmeres.“ Galyan schien kurz abzuwarten, ob weitere Fragen dazu kämen, aber beide Menschen blieben stumm. Jamie betastete den Tisch, als könnte er nicht glauben, das dieser eben erst gewachsen war und Seth wollte die andere Möglichkeit kennen lernen. Auch wenn er ahnte was es war. „Die Andere wäre, das ihr hier bleibt. Dann jedoch würdet ihr euch unseren Gesetzen unterwerfen müssen und ich denke Sidero würde es euch übel nehmen.“ „Wieso das?“ „Ihr zählt zu meinen Kindern und damit habt ihr ein Anrecht auf meinen Thron, wenn ich irgendwann abdanke. Sidero wartet auf diesen Tag, wie auf keinen anderen.“ „Und Dour?!“ „Der interessiert sich eher für andere Dinge...“ „Verabredungen?“, fragte Jamie und grinste. Er hatte kurz davor raus gefunden, das der Tisch wackelte, wenn man ihn leicht an-stupste. „Ja, meistens sind es Verabredungen...und meistens mit eher zweifelhaften Gestalten zu ungeistlichen Uhrzeiten.“ Da konnte Seth ein Lied von singen. Die meisten seiner ehemaligen Bekanntschaften hatten in dieses Bild gepasst und ohne Jamie wären Nächte wohl noch immer seine Haupttageszeit. Andererseits wäre er ohne Jamie vielleicht gar nicht mehr da. Etwas, woran er nicht denken wollte, auch wenn es eigentlich gar nicht so lange her war, als es ihm vollkommen egal war. „Aber ihr beiden seid aus anderen Gründen hier. Also... erst einmal: Möchtet ihr etwas trinken, oder essen?“ Seth gab ein leises Lachen von sich, welches Galyan mit einem verwirrten Blick zu ihm sehen ließ. „Das passt so gar nicht“, erklärte Seth sich. „Nun, wir essen einfach, während wir uns unterhalten. Was passt daran nicht?“ „Schon okay...“ Er beruhigte sich schnell wieder und schaute dann zu Jamie. „Willst du etwas? Ich fände nur ein Wasser ganz nett, nach dem Wandern, was wir hinter uns haben.“ „Ich würd gern was süßes trinken!“ Wobei er dann sicher aufhören müsste den Pilztisch zum wackeln zu bringen. Ob die Gläser auch aus Pilz bestehen würden? Das wäre gewöhnungsbedürftig und vermutlich würde er dann keinen Schluck trinken, denn Pilze waren ekelhaft. Es sei denn, man konnte sie stupsen und sie wackelten dann lustig herum. „Das sollt ihr bekommen.“ Galyan winkte kurz mit der Hand und widmete sich dann doch wieder ihren Gästen. „Und jetzt wieder zu euren Fragen. Was möchtet ihr noch wissen?“ Seth überlegte und sah dabei zu, wie Jamie versuchte unter den Pilz zu schauen, nachdem ein kleiner Käfer von dort auf den Tisch gekrabbelt und weggeflogen war. „Wie können wir raus finden, was wir noch können?“, fragte er schließlich und wendete seinen Blick Galyan zu. „Ich würde euch einen Lehrer stellen. Vielleicht sogar Dour. Er ist gut und eine Weile bei euch könnte ihn vielleicht mal auf die wichtigen Dinge aufmerksam machen.“ „Würde er dann bei uns wohnen? Und könnte Tante Leslie ihn sehen?“ Galyan überlegte und nickte dann. „Er ist mein Sohn, daher kann er sich bemerkbar und auch sichtbar machen. Und wenn er länger bei euch wäre, würde er sich zeigen müssen.“ Eine Raupe ließ sich von einem der oberen Blätter herab und hielt zwei Blumen an ihren Stielen. Die erste reichte sie Seth, für die von Jamie musste er noch ein klein wenig tiefer, aber als sie auch diese Blüte abgegeben hatte, kletterte sie ihren Faden mit leisem Keuchen wieder hinauf. Jamie sah ihr fasziniert hinterher, bevor er an seiner Blüte nippte. „Mhm...“, machte er leise. „Das ist lecker...“ Seth war da ein wenig skeptischer und roch erst einmal an seinem Wasser. Tatsächlich hatte es einen leichten Duft an sich, was aber hier vielleicht vollkommen normal war. Dennoch machte es ihn gleich noch eine Spur skeptischer. Durch seinen Durst trank er dennoch einen Schluck und es schmeckte, wie ein frischer Frühlingsmorgen. Dabei war es nur Wasser... „Wow...“, machte er leise, als das Gefühl einer ganzen Jahreszeit ihn wieder verließ. „Schön, das es euch schmeckt.“ Galyan lächelte und sah der Raupe hinterher. Jamie wie auch Seth nippten noch einige Male an ihren Getränken und fanden jeden noch so kleinen Tropfen köstlich. Doch schließlich schafften sie es sich von ihren Getränken zu lösen und wieder den Fragen zu widmen, wegen denen sie da waren. „Was bedeutet es eigentlich ein Fea zu sein?“ „Hm, es ändert nicht viel, bei euch zumindest. Ihr seid Menschen mit einem Teil der Magie, die in uns wohnt. Entsprechend könnt ihr diese Kräfte auch nicht vollständig nutzen. Würdet ihr hier bleiben, könnte sich das ändern. Mit jedem Tag würdet ihr euch anpassen – dafür sorgt auch die Magie. Es ist nur schwer zu sagen, was genau sie dann aus euch macht. Ihr könntet so bleiben wie jetzt, oder aber zu einem anderen Wesen werden. Darum solltet ihr auch nicht zu lange bleiben.“ „So was wie die Raupe? Oder die kleinen Feen, die wir auf dem Weg hier her gesehen haben?“ Galyan nickte bei Jamies Frage und lehnte sich leicht zurück. Sofort bildete sich eine Lehne, so das sie es sich gemütlich machen konnte. „Soweit könntet ihr euch verändern, ja. Aber dann könntet ihr auf keinen Fall mehr zurück.“ Wenn sie also entschieden, hier zu bleiben, wäre eine Rückkehr nach Hause so gut wie unmöglich. Seth bekam eine Gänsehaut, beim bloßen Gedanken daran. Abgesehen davon, das er endlich einen Ort hatte, zu dem er zurück wollte, hatte er keine große Lust so zu werden wie eines der Tiere oder anderen Wesen, die ihnen bislang begegnet waren. Ob nun zum Teil noch mit menschlichem Aussehen, oder vollkommen anders, wie diese sprechende, Blume, die ihnen ein Lied hatte singen wollen, war dabei nebensächlich. Er wollte er selber bleiben und entsprechend war seine Entscheidung gefallen. Er wollte nach Hause! Zurück zu Leslie. „Und können wir noch etwas anderes, als die Tiere sehen, wenn wir zurück gehen?“ Galyan überlegte und zuckte schließlich mit den Schultern. „Das kann ich nicht genau sagen. Wie gesagt, eure Welt ist resistenter gegen Magie und entsprechend geht vieles verloren. Dour könnte es euch aber sicher zeigen, wenn er euch beibringt, wie ihr es einsetzt.“ Jamie nippte immer weiter an seinem Getränk und schaute fasziniert hinaus. Da flogen so viele interessante Wesen umher und er war hier drin. Es war nicht so, das ihn diese Informationen nicht interessierten, aber das da draußen war einfach um ein vielfaches besser. „Sind Jamies Kräfte anders als meine?“, wollte Seth wissen, der einen besorgten Blick zu dem Kleinen warf. Das der so abgelenkt von allem dort draußen war, bereitete ihm Sorgen. Langsam konnte er verstehen, weswegen Leslie diesen Zustand kaum von sich lassen konnte. „Da er sie von dir hat und nicht von mir, sind sie schwächer. Es könnte sogar sein, das er nur die Tiere sieht... so genau kann ich das nicht beurteilen, wenn es um eure Welt geht.“ Aber vielleicht würde es eine Antwort darauf geben, wenn sie anfingen ihre Kräfte zu erkunden. „Und könnte ich... also... wenn ich irgendwann mal Kinder habe? Oder aus versehen, so wie bei Jamie?“ Auch da überlegte Galyan, nickte dieses mal jedoch. „Ich denke das wäre möglich ja. Zumindest wenn du Kinder haben wirst. Ob es noch einmal so geht, wie bei Jamie – das kann ich nicht sagen. Da bin ich noch immer nicht ganz sicher, wie es überhaupt dazu kommen konnte.“ Die Runde blieb still, während Galyan wie auch Seth Jamie dabei beobachteten, wie dieser hinaus sah und gar nicht entscheiden konnte, was er toller fand. „Es ist so cool hier, Seth“, erwähnte er nur irgendwann und dem Angesprochenen bildete sich ein dicker Kloß im Hals. Er sah bereits, wie Jamie hier bleiben wollte. Das wäre ganz und gar nicht gut! „Müssen wir sonst noch etwas beachten?“, fragte Seth zu guter Letzt. Wieder nickte Galyan und lächelte. „Aber das ist auch etwas, das ihr erst herausfinden könnt, wenn ihr eure Kräfte erkundet. Ich werde Dour fragen, ob er mit euch zurück geht, um euch zu unterrichten.“ „Ehm... können wir erst zurück und mit Leslie fragen, ob es okay für sie ist?“ „Aber natürlich.“ Kapitel 44: Gast ---------------- Jamie redete ohne Unterlass von Wesen und Dingen, die Leslie sich nicht in ihren wildesten Träumen hätte vorstellen können. Es war schwer zu glauben, das sie tatsächlich real sein sollten. Aber da Seth ihr ebenfalls davon erzählt hatte und entsprechend Jamie bestätigte, musste sie es zwangsläufig für möglich halten. Auch wenn sich ihr Kopf dagegen wehren wollte. Aber sie hatte Galyan gesehen. Sie hatte erlebt, das die Dinge, die ihre Jungs sahen real waren. Leslie rührte in ihrem Kaffee herum und überlegte ob sie damit klar kommen könnte, das Seth und Jamie demnächst ihre Kräfte austesten sollten. Wie würde es dann hier aussehen? Sie stellte es sich schrecklich vor. Gerade wegen Jamies Wissbegier und seinem Drang alles ausprobieren zu müssen. Im Garten war Jamie zu hören, wie er laut redete, wie es immer schon seine Art gewesen war. Fröhlich, laut und so gern mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Es war wundervoll ihm zuzuhören, selbst wenn er von merkwürdigen Kreaturen redete. „Und du kannst auf dem Sofa schlafen“, hörte sie von der Veranda. „Es sei denn Seth schläft bei meiner Tante im Bett, so wie die letzten Tage... dann kannst du sicher bestimmt in sein Zimmer...“ Sie horchte auf. Mit wem redete Jamie? „Mir wird das Sofa reichen, denke ich“, hörte Leslie eine fremde Stimme sagen. Eine männliche, fremde Stimme. Sie wollte eben aufstehen, als Jamie die Tür in die Küche öffnete und herein kam. „Hallo!“, begrüßte er seine Tante und nahm sie in den Arm. „Mit wem hast du...“ Die Frage konnte sie nicht mehr zu ende stellen. Da stand ein dürrer, unbekannter Mann in ihrer Küche, der so viel schwarz und dunkel rot an sich hatte, das man meinen könnte, er wollte zu Halloween als Vampir gehen. „Das ist Dour“, flüsterte Jamie ihr zu und grinste. „Er ist unser Lehrer.“ Hinter Dour kam auch Seth in die Küche und schloss die Tür hinter sich. Er schaute ein wenig entschuldigend, da sie ohne Leslie zum Teich gegangen waren. Allerdings hatte sie auch nicht gewusst, das dieser Lehrer bleiben wollte... oder sollte. Vielleicht hätte sie sonst mehr Interesse gezeigt. „Ehm... hallo“, begrüßte sie ihn unsicher und bekam ein freundliches Lächeln. „Hallo“ Dour machte eine leichte Verbeugung und reichte, nach einem seinerseits etwas unsicheren Blick zu Seth daraufhin Leslie die Hand. „Dour Koothkel, Prinz der Fea.“ „Prinz?“ Leslie schaute von Jamie zu Seth und zurück zu Dour. „Ernsthaft ein Prinz?“, fragte sie bereits weniger harsch und Dour nickte. „Aber ich bin nur hier als Lehrer“, versicherte er ihr, als würde sie glauben er wollte ihre Realität zerstören. „Und werde neben dieser Aufgabe so gut wie unsichtbar sein.“ Irgendwie konnte sie das nicht so recht glauben, aber sie müsste es wohl. Ansonsten könnte ihr nächster Grillabend sicher lustig werden. Sie sah schon die Steaks zum Grill fliegen oder komische Leuchtkäfer anstelle der Lichterkette. „Okay... ehm, soll ich denn für dich mitkochen?“ „Nein, aber danke.“ Leslie nickte. Das könnten ein paar interessante Wochen werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)