Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 60: "Herrn Schneider schien das so leicht zu fallen, wie ein Kind mit der Fingerspitze eine Seifenblase zum Platzen bringen würde" ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ "Soll das Mädchen drin bleiben?", erkundigte sich Herr Monreau, als Herr Schneider sich vom Spiegel abwandte. Sein Blick huschte zu dem benannten Mädchen hinüber, das er bis zu diesem Moment ignoriert hatte. Sie hatte diesen dumpfen Blick, der einen Screamer kennzeichnete. Er war bisher nicht vielen von ihnen über den Weg gelaufen und konnte nicht behaupten, dass er unglücklich darüber war. Sie schienen keinerlei Potenzial zu besitzen. Als wären sie tot. Nur dass sie immer noch dastanden oder saßen. Und atmeten. "Mm, sie wird mich kaum bei meiner Arbeit stören. Und auch wenn Parks besser keine Dummheiten probieren sollte in meiner Anwesenheit, weiß man bei ihm nicht, ob er so viel Vernunft aufbringt." Ein ironisches Lächeln zog an den Mundwinkeln des Deutschen, als dieser den Ex musterte. "Und wir wollen doch unsere Mitarbeiter hier nicht unnötig in Gefahr bringen, nicht wahr?" Der Ex entschied sich für eine neutrale Miene in Reaktion darauf, doch etwas in dessen Feld verriet ihm, dass Herr Monreau mit dieser Entscheidung ganz zufrieden war. "Wie Sie wünschen, Herr Schneider", folgte eine knappe Verbeugung, bevor Herr Monreau den Raum verließ. "Er macht sich Sorgen, dass Sie ohne den Screamer Probleme bekommen könnten?", fragte er, nachdem sie unter sich waren. Herr Schneider wirkte sichtlich belustigt. "Das hat sich irgendwie zu einer schlechten Angewohnheit entwickelt. Selbst Crawford, der meine Fähigkeiten mit am besten kennt, kommt nicht so ganz dagegen an." Ihm entkam ein leises Schnauben, bevor er darüber nachdenken konnte, wem gegenüber er sich solche Freiheiten herausnahm. "Crawfords Fall liegt etwas anders, meinen Sie nicht auch?", fügte er dann hinzu. Schlimmer machen konnte er es dadurch schließlich nicht mehr. Herrn Schneiders Amüsement vertiefte sich nur. "Damit könntest du Recht haben", wurde ihm zugestimmt, bevor der Ernst in die Miene des Älteren zurückkehrte und der ältere Mann scheinbar ein völlig anderes Thema anschnitt. "Ich denke, du benötigst doch etwas Ruhe. Wenn die Sache mit Parks länger dauert, wirst du nicht die ganze Zeit hier abwarten, sondern ins Hotel zurückkehren." Für einen Moment wunderte er sich, woher dieser plötzliche Wechsel kam, dann aber verstand er, biss kurz die Zähne zusammen. Natürlich, wenn er ganz bei sich wäre, hätte er eben nicht so auf Herrn Schneiders Bemerkung reagiert. Und auch wenn der Deutsche ihn noch nicht häufig getroffen hatte, schien dieser ihn besser einschätzen zu können als ihm lieb war. Als nächstes hob er das Kinn und suchte bewusst nach dem Blick der eisblauen Augen. "Ich vertraue ganz einfach auf Ihr Können." Kein Widerspruch – und zugleich keine Zustimmung. Herr Schneider lachte auf, schüttelte dann leicht den Kopf, ohne allerdings etwas zu sagen. Und verließ dann ebenfalls den Raum, um gleich darauf den anderen zu betreten. Dass Herr Schneider in diesem Moment immer noch lächelte, schien sowohl Herrn Monreau als auch Frau Reiß mit Vorsicht zu erfüllen, während Parks vollkommen unbeeindruckt war. Er runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass der Mann keine Ahnung hatte, wer Herr Schneider war? Er hatte doch für eine Weile einen Maulwurf in das Büro einschleusen können… Aber dann wiederum – hatte Herr Schneider die Frau damals gleich entdeckt, wahrscheinlich, bevor sie eine Chance hatte, den damaligen Direktor zu identifizieren. Ein unfreundliches Lächeln kurvte seine Lippen. Und als Parks nachträglich versuchte herauszubekommen, was geschehen war, war er einem Irrtum aufgesessen. Denn obwohl Crawford der Schütze gewesen war, war das auch schon alles. Geführt hatte die Waffe Herr Schneider. Das stand natürlich nicht in der Akte, aber Crawford hatte ihn aufgrund ihres Auftrags hier umfassend informiert. Er verspürte den irrationalen Wunsch, dem Mann hinter der Scheibe eine lange Nase zu drehen, befand den Impuls aber als zu kindisch, um ihn umzusetzen. Und begnügte sich mit der Tatsache, dass Parks seine Überheblichkeit schon noch bereuen würde. Er zog sich einen der Stühle heran und ließ sich hinein sinken. Aus irgendeinem Grund schien ihm plötzlich alle Energie abhanden gekommen zu sein, doch er hatte nicht vor, Herrn Schneiders Rat zu befolgen. Schlafen konnte er später immer noch genug. Herr Schneider spiegelte seine Geste völlig unbeabsichtigt, als dieser ebenfalls nach einem Stuhl griff, gleich darauf gegenüber von Parks Platz nahm. Nur dass der Deutsche seine Bewegungen viel besser unter Kontrolle hatte und auch nicht in sich zusammensackte, als er erst mal saß. "Sind Sie der nächste Telepath, der es probieren soll?", wurde Herr Schneider herablassend begrüßt. Und auch wenn sowohl Frau Reiß als auch Herr Monreau empört wirkten, schien sich der Deutsche rein gar nichts daraus zu machen. Er hob lediglich eine Hand, um die beiden davon abzuhalten, dem anderen Mann bessere Manieren beizubringen. Dem folgte eine knappe Geste, die nicht weiter schwer zu verstehen war, auch wenn sie zunächst nicht verstehen wollten. Doch keiner brachte wirklich den Mut auf, sich Herrn Schneider zu widersetzen, so dass dieser gleich darauf allein war mit Parks. Abgesehen von dem Screamer natürlich. Anschließend nahm sich der Deutsche endlich Zeit für eine Antwort. "Hm, der nächste? Das ist wohl richtig. Aber ich werde mich nicht lange mit probieren aufhalten." Ein schmales Lächeln. "Vielleicht wollen Sie doch mit uns kooperieren. Sie gewinnen schließlich nichts mit Ihrem Schweigen." "Das können Sie doch gar nicht beurteilen, nicht wahr?" Immer noch von sich selbst eingenommen, als befände er sich auf seinem eigenen Terrain. Der Mann hatte wirklich allen Realitätssinn verloren. Herr Schneider schien immer noch völlig unberührt, umso mehr überraschte der plötzliche Schlag, den er seinem Gegenüber versetzte. Nur um anschließend wieder völlig ruhig dazusitzen, als hätte er sich nicht gerührt. "Sie scheinen nicht zu verstehen, wer wir sind. Und dass Sie alles in allem ziemlich belanglos für uns sind. Wir wollen nur ein paar Antworten haben." "Bevor Sie mich gehen lassen? Das soll ich Ihnen glauben?" Parks antwortete in einer Mischung aus Schock und Empörung, tastete über die aufgeplatzte Lippe hinweg, als könnte er genauso wenig glauben, was gerade geschehen war. "Das habe ich nicht behauptet. Ich nehme an, ein paar unserer Leute werden an ihrem Talent interessiert sein. Von daher werden wir Sie nicht gleich entsorgen. Sie können sich Ihren Aufenthalt mit etwas Kooperation lediglich angenehmer gestalten." Nun verrutschte dem anderen Mann zum ersten Mal wirklich die Miene. Herr Schneider zog nur eine Augenbraue hoch. "Was haben Sie erwartet? Ihnen sind doch nicht mal Ihre Mitarbeiter wichtig, wenn ich daran denke, wie sie mit Frau Kato umgegangen sind. Ohne Ihren Einfluss hätte sie sich bestimmt nicht selbst umgebracht. Und das Kanonenfutter, das sich unserem Team heute entgegengestellt hat, kann Ihnen auch nicht besonders wichtig gewesen sein." Der andere Mann verzog dazu das Gesicht. "Sie wollen mich doch nicht ernsthaft mit diesen Leuten auf eine Stufe stellen?" "Hm, vielleicht verstehen Sie jetzt, was wir davon halten, dass Sie sich als uns ebenbürtig einordnen. Wenn nicht sogar als überlegen." Er musste sich ein Grinsen verkneifen, als Parks nach einem Moment begriff, was Herr Schneider gesagt hatte. Dessen Miene drückte auch ohne Worte aus, dass er sich wieder beleidigt fühlte. Eine Feststellung, mit der er nicht allein dastand, wie ihm das feine Lächeln des Deutschen verriet. Doch in der nächsten Sekunde war es verschwunden und Herr Schneider lehnte sich auf einmal vor. "Sie sollten sich besser entspannen", wurde leise angemerkt, dann ruhte die rechte Hand des Telepathen auch schon an der Schläfe des anderen Mannes. Parks wäre gerne zurückgewichen, da er aber auf dem Stuhl fixiert war, war ihm das nicht möglich. Und dann erstarrte er. Er hatte nicht gemerkt, dass er aufgestanden war, erst als seine Hände wieder das kühle Glas berührten, wurde es ihm bewusst. Doch nur mit einem zu vernachlässigenden Teil seines Verstandes. Denn der Rest davon war damit beschäftigt, mit seinem Talent nach draußen zu greifen. Es war ihm egal, dass ein Screamer bereitstand und genauso, dass Herr Schneider auf sich selbst aufpassen konnte. Sollte er spüren, dass Parks versuchte den Deutschen zu beeinflussen, würde er ihn kurz und schmerzlos ganz einfach ausschalten. Oder vielleicht nicht unbedingt schmerzlos… Ein düsterer Funken glomm in den dunklen, blauen Augen auf, als er wieder an Crawford denken musste. Und so war es kein Wunder, dass er Befriedigung empfand, als sich Parks Gesicht nun vor Schmerz verzerrte, Schweiß auf dessen Stirn trat. Anscheinend reichten die Schilde des Mannes nicht aus, um Herrn Schneider abzuhalten. Er zwinkerte, plötzlich sicher, dass der Telepath bereits von dessen Erfolg überzeugt gewesen war, bevor dieser überhaupt den Versuch gestartet hatte. Und er verstand auch, weswegen Herr Schneider bis zu diesem Moment ein beinahe ziviles Gespräch geführt hatte. Es war ihm ganz einfach darum gegangen, in aller Ruhe die Barrieren seines Gegenübers zu testen. Und Parks war viel zu arrogant gewesen, um es zu bemerken. Dieser Dummkopf hatte keine Ahnung, mit wem er sich angelegt hatte. Die Zeit verging nur langsam, ohne dass sie ihm lang wurde. Er nahm einfach nur jede Regung des anderen Mannes auf, erfasste sie mit seinem Blick und mit dem Feld, das er um ihn gelegt hatte. Und so sah er, was anderen Beobachtern verborgen blieb. Wie etwas in Parks unter dem mentalen Druck zerbrach. Herrn Schneider schien das so leicht zu fallen, wie ein Kind mit der Fingerspitze eine Seifenblase zum Platzen bringen würde. Ein prekäres Gleichgewicht, das durcheinander gebracht wurde. Unwillkürlich hatte er den Atem angehalten, der ihm jetzt langsam entwich. Und während er sich einfach nur ein wenig entspannte, sackte wie in einem verzerrten Spiegelbild Parks Gestalt in sich zusammen. Für ein paar weitere Sekunden verharrten sie alle, ohne dass etwas geschah, selbst Herr Schneider schien nicht mehr zu arbeiten, dann lehnte sich der Deutsche mit einem zufriedenen Lächeln zurück. "Er hat es geschafft", klang es hinter ihm genauso zufrieden auf. Natürlich zuckte er nicht zusammen. Ihm hatte gar nicht entgehen können, dass Frau Reiß und Herr Monreau eingetreten waren, nachdem der Telepath sie weggeschickt hatte. Bis zu diesem Moment hatte er sie ganz einfach nur ignoriert. Jetzt allerdings wandte er sich langsam um. "Sie haben doch nicht ernsthaft daran gezweifelt?" Der Ex zuckte mit den Schultern und grinste flüchtig. "Nein, nicht ernsthaft. Mich hatte nur die Tatsache etwas unsicher gemacht, dass er so lange von uns unentdeckt blieb." "Was darauf hoffen lässt, dass er alles für sich behalten hat." Eine beinahe nebensächliche Feststellung, bevor er sich auf den Weg zur Tür machte. Vielleicht hatte Herr Schneider ja mehr über diesen geheimnisvollen Hacker erfahren. Er war unverändert ausgesprochen interessiert daran, ihn zu finden. Und es schadete nichts zu fragen. Egal, wie die anderen auf den Deutschen reagierten, ihm hatte Herr Schneider keinen Grund gegeben, ihm mit übertriebener Vorsicht gegenüberzutreten. Er hatte den Raum kaum verlassen, als er sein Ziel schon erreichte. Anscheinend hatte Herr Schneider es nicht für nötig befunden, sich länger mit Parks abzugeben. Der ältere Mann zog bei seinem Anblick eine Augenbraue hoch, musterte ihn kurz aber intensiv, bevor ein knappes Nicken folgte. "Dein spezieller Freund hat überlebt. Und Parks weiß, wo er sich normalerweise aufhält. Was natürlich keine Garantie dafür ist, dass wir ihn dort noch finden werden. Aber falls er nicht mehr dort ist, werden wir zweifellos eine Spur finden, die uns letztendlich zu ihm führt." Etwas Seltsames flackerte in den eisblauen Augen auf, bevor Herr Schneider weitersprach. "Und du kannst unsere Leute hier natürlich gerne unterstützen." Er wollte sich schon bedanken, als Herr Schneider eine Hand hob und ihn stoppte, bevor er ein Wort über die Lippen bringen konnte. "Vorher heißt es aber ab ins Bett mit dir." Beinahe wäre ihm die Kinnlade heruntergeklappt, denn er hätte ganz sicher nicht erwartet, so etwas von Herrn Schneider zu hören. Als nächstes regte sich Protest in ihm, doch es war sein eigener Körper, der ihn an dieser Stelle verriet. Als wären nur diese Worte erforderlich gewesen, senkte sich plötzlich tiefe Erschöpfung über ihn und bevor er dagegen ankämpfen konnte, begannen seine Knie nachzugeben. "Vorsichtig", hörte er den älteren Mann murmeln und im nächsten Moment fand er sich in dessen Armen wieder. Er konnte sich nicht dagegen wehren, vielmehr sackte er weiter in sich zusammen und sein Kopf fiel gegen Herrn Schneiders Schulter. Was war nur los mit ihm? "Das ist nicht besonders überraschend." Eine bekannte Stimme. Herr Monreau. "Immerhin hat er die letzte Nacht durchgearbeitet. Dann der Einsatz gegen Parks. Und dann hat er Ihre Arbeit verfolgt, ohne sich zu rühren." "Ganz davon abgesehen, dass er Sie mit seinem Talent beschützt hat." Das kam von Frau Reiß. "Er hat diese Konzentration über eine Stunde aufrechterhalten?" Herr Schneider klang… beinahe überrascht. Und er selbst war es auch, wenn auch aus einem anderen Grund. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass so viel Zeit vergangen war. Kein Wunder, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Zu dem gleichen Ergebnis kam auch der Deutsche, dachte noch einen Schritt weiter. "In dem Fall kommt noch ein herzhaftes Essen vor dem Schlafen dran. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass er es Crawford gleichtun will." Von Herrn Monreau kam eine sehr ernst klingende Antwort. "Das Ergebnis mag das Gleiche sein. Aber ich bin froh, dass er nicht auch im Krankenhaus gelandet ist…" Er glaubte noch ein zustimmendes Brummen von Herrn Schneider zu hören, dann nickte er weg. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. 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