Gipfelstürmer von Puppenprinzessin ================================================================================ Kapitel 6: Wahrheiten. ---------------------- Schwer kam sein Atem über seine Lippen, brandete vermutlich nicht unweit von ihnen gegen ein ähnliches Paar, welches jedoch seiner Meinung nach um einiges einladender geschwungen war. Sasori hatte Schwierigkeiten, seine Gedanken zu ordnen; In Deidaras Nähe war das nie ein sonderlich leichtes Unterfangen, aber unter Alkoholeinfluss und zusätzlich auch noch gedanklicher Beschäftigung mit dem Fakt, dass er ihm eigentlich romantisch recht zugetan war… Das alles machte es noch um ein Vielfaches schlimmer. Was sollte er ihm denn sagen? Dem Älteren der beiden war klar, dass es kaum möglich wäre, einfach so mit der Antwort – der wahren Antwort – heraus zu rücken, ohne etwas zwischen ihnen grundlegend zu verändern. Er wollte nicht, dass ihre Freundschaft in die Brüche ging, denn sie war es doch, die einen enormen Trost im Gegensatz zu ihrer Folter darstellte. Er hatte sich damit abgefunden, Deidara nicht auf diese eine besondere Weise nahe sein zu können, nicht auf einem Wege, der nur einseitige Bedeutung finden würde, aber immerhin war er überhaupt um ihn herum und wurde sogar von ihm geschätzt, auch wenn es nicht die Art von Wertschätzung war, die er sich selbst noch vor einigen Jahren erhofft hatte. Nein, Sasori hatte die grundlegende Hoffnung, dass der Blonde überhaupt romantisch an Personen des gleichen Geschlechtes interessiert sein könnte, schon lange aufgegeben – zu einer Zeit, in der besagter Blonde jedes Wochenende weiblichen Besuch mit in ihre Wohngemeinschaft geschleppt hatte. Oft genug waren es gleich zwei gewesen, scheinbar ein Angebot für ihn… das jedes Mal wieder abgelehnt wurde. Sasori war der festen Überzeugung, dass Deidara für ihn etwas übrig hatte, das erwähnte er ja oft genug – nur eben nicht auf die Art und Weise, die ihm ermöglicht hätte, ihm wirklich nahe zu sein. „Danna… So schlimm kann es doch nicht sein, hm.“ Die Worte drangen an seine Ohren, nachdem er scheinbar eine halbe Ewigkeit geschwiegen hatte. Dass sein Kopf sich etwas weiter gedreht hatte, nun nur noch wenige Zentimeter zwischen ihren Lippen lagen, hatte er überhaupt nicht mitbekommen. Verdammt, er musste sich schnellstens etwas überlegen, um diesem Kreuzverhör zu entgehen! Sehr behäbig rang er sich dazu durch, seine rechte Hand zu heben, bis sie schließlich mit warmer Haut in Kontakt kam. Er sah nicht ganz genau wo sie lag, allerdings konnte er sich den Kieferknochen unter seiner Handfläche noch weitestgehend zusammenreimen, sodass er seine Fingerspitzen nur etwas verschieben musste, um auch ein Ohr zu ertasten. Seine Hand lag nicht da, wo er sie hatte haben wollen, aber sie würde ihrem Zweck erfüllen – Deidara davon abhalten ihm noch näher zu kommen, sollte er es endlich schaffen, etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Denn seine Wange zu berühren… war definitiv auch nicht die beste Idee. Wieder dauerte es scheinbar eine Ewigkeit, bis das Seufzen das folgte nicht mehr ganz so zittrig war, wie seine Atemzüge zuvor. Es diente dem alleinigen Zweck, sich weit genug zusammen zu reißen, um sich langsam aber sicher zurück zu ziehen, mehr und mehr Distanz zwischen sie zu bringen, bis er sich schließlich sogar traute, die Augen wieder zu öffnen. Ebenfalls nicht die beste Idee. Das Bild, das sich ihm nun offenbarte – blaue Augen, die ihn neugierig ansahen, ja eine gewisse Erwartungshaltung innehatten, seine eigene Hand an der Wange desjenigen, den er… begehrte – ein Bild, das sein eigenes Augenmerk augenblicklich hinunter zu den so wohl bekannten und doch nie berührten Lippen gleiten ließ… Das, plus dem Fakt, dass Deidaras Hand noch immer in seinem Nacken lag, war schuld daran, dass braune Augen sich wieder schlossen und er hörbar schluckte. Zeitgleich tastete er mit der Linken nach der fremden Hand und zog sie vorsichtig von dort weg bevor er seine Lider wieder hob. Das nächste Ausatmen war halbwegs ruhig und er konnte seine Augen dazu bewegen, nicht nur stur auf den Lippen des Jüngeren zu verharren; Sein Blick glitt über sein komplettes Gesicht, hielt auch bei seinen eigenen Fingern, die sich tatsächlich gestatteten, für einen Moment fast schon liebevoll über die warme Haut zu streichen… ehe er wieder bei jenen azurenen Untiefen landete, die ihn scheinbar auch verfolgten, wenn er schlief. „Deidara.“ Seine Stimme klang abweisend, hörte man ihr jedoch auch deutlich ihren Wunsch nach Verständnis an. Wieder beugte er sich nur ein klein wenig vor, als seine Aufmerksamkeit erneut von jenen Lippen in Anspruch genommen wurde… und er sie erbarmungslos einmal mehr von ihnen wegriss. Er hatte hier etwas zu erledigen, da konnte sein alkoholisierter Körper doch nicht derart vehement gegen ihn arbeiten! „Ich… habe definitiv zu viel Wein getrunken, um über dieses Thema zu reden.“ Mit einem letzten, etwas wehleidigen Blick wandte er sich von ihm ab. Sasori hatte sich geschworen, es ihm nicht zu sagen. Daran würde er sich halten. Ende der Geschichte. Unweit der Künstler war schon vor einiger Zeit eine Tür geschlossen worden und das wie es schien in mehr als nur dem augenscheinlichen materiellen Sinne. Es war eine Tür, die an jenem Tage bereits einiges an Beanspruchung gefunden hatte, nur wurde sie dieses Mal ebenso leise geschlossen, wie zuvor die Tür der Haupthütte. Ebenso augenscheinlich war auch ihr Bewohner ruhig… Das, was unter der Oberfläche brodelte, wurde in keinster Weise auf der Oberfläche gespiegelt; nein, Hidan war vollkommen, beinahe beängstigend ruhig. Aber wie sollte man auch reagieren, wenn vor nur wenigen Minuten die eigene Welt einmal mehr aus den Fugen gehoben und auch das letzte, ungeahnt existierende Stückchen Hoffnung zerstört worden war? Er hatte sich in dem Sessel niedergelassen, in dem er schon vor Itachis Auftauchen halbwegs Ruhe gefunden hatte, nur dass er diesmal keinesfalls eine Flasche Hochprozentiges als Gesellschaft hatte. Es war einer jener seltenen Momente, in denen er einen beinahe entspannten Eindruck machte und intensiv nachdachte, ohne direkt in aggressive Äußerungen unterschiedlicher Art zu verfallen; es geschah nicht oft, aber gerade durch jene Seltenheit wurde dieser Momente Besonderheit nur noch auffälliger hervorgehoben. Mehrere Gefühle waren es, die ihn okkupiert hielten. Wut war unter ihnen, Ärger, Zorn… aber auch Verwirrung und Irritation, die Frage, wie es kam, dass er selbst nicht einmal gemerkt hatte, wie er empfand, bis Kakuzu mit einigen wenigen Worten scheinbar jene Gasblase verdrängter Emotionen zum Explodieren gebracht hatte. Wie hatte er sich all die Jahre recht erfolgreich einreden können, dass all das ihn nicht kümmerte, wenn es das doch tat? Damit wäre dann jener Erfolg in Frage gestellt und die These scheinbar verworfen. War es das? Oder war es vielleicht die bloße Anwesenheit seines ehemaligen Partners, die jede einzelne unangenehme Erinnerung heraufbeschwor und wieder zum Leben erweckte? Hidan wusste es nicht und es raubte ihm den letzten Nerv. Während eines leichten aber gleichmäßigen Kopfschüttelns fuhr er sich durch die Haare, von denen mittlerweile mehrere Strähnen nach vorn in sein Gesicht hingen. Zu gern hätte er die Möglichkeit ausgeschlossen, dass er tatsächlich nicht mehr für den Dunkelhaarigen empfand, als Unmut oder generell ein oder vielleicht zwei negative Gefühle; zu gern hätte er bestätigt, dass er nicht mehr an ihm hin. Wenn er zuließ, dass Kakuzu ihm etwas bedeutete, dann machte ihn das nur angreifbar für jede Situation in der er einmal mehr erwähnte, dass er ihn aus rationalen Gründen verlassen hatte und damit den Eindruck verstärkte, dass er es nicht wert gewesen war, vielleicht ein zweites Mal über jenes verflixte Angebot nachzudenken und eventuell doch bei ihm zu bleiben. Nein, ihre Beziehung wurde wegrationalisiert und die Erkenntnis, dass der Gedanke daran einfach immer noch fürchterlich schmerzte, war ungemein unwillkommen. Er wollte schlicht nicht mehr von dem beeinflussbar sein, was gewesen war. Er hatte sich nach all dem ein Kakuzu-freies Leben verdient, nicht wahr? Ungläubig sah er ihm hinterher, als er sich abwandte. Glaubte er wirklich, er ließe sich so einfach abspeisen? So einfach? Verdammt, er kannte ihn doch viel zu lang, um sich nicht eines besseren bewusst zu sein! Unbarmherzig tat der Blonde ein paar Schritte hinter Sasori her, versuchte erneut seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sein erster Versuch hatte nicht den gewünschten Effekt gezeigt, war in der Tat nur etwas verwirrend gewesen. Deidara hatte seinen besten Freund schon einige Male unter Alkoholeinfluss erlebt, nur hatte er sich noch nie auf diese Art und Weise benommen. Ihm kam sein Verhalten bekannt vor, ja, aber eher von den Personen, mit denen er Nächte verbracht hatte, Nächte, die in harmlosen Geplänkel ihren Ursprung gefunden hatten, welches sich durch jene fast schon scheuen Blicke und federleichten Berührungen gezeigt hatte. Aber bei Sasori… nein, er hatte ihn schon immer körperlich auf Abstand gehalten, daher war es sein Ziel gewesen, ihm zumindest dieses eine Mal ins Gedächtnis zu rufen, dass er ihm vertrauen konnte, dass ihm keine Liebelei peinlich sein musste, egal wer es auch gewesen war, der das Interesse des Rotschopfes auf sich gezogen hatte. Schon in ihren Teenagerzeiten hatte sich der Jüngere gewundert, dass sein Freund kaum Interesse an anderen Menschen im Generellen zu haben schien. Scheinbar war es nur der Fakt, dass sie zusammen aufgewachsen waren, der sie zusammenhielt – das, und seine eigene Penetranz, um welche er sehr wohl wusste und welche er auch das ein oder andere Mal nach eigener Überzeugung gewinnbringend einzusetzen wusste. Nie war Sasori romantisch an jemandem interessiert gewesen, zumindest hatte er nie von einer solchen Begebenheit gesprochen. Später hatte er nie jemanden mit nach Haus gebracht, als sie zusammen gezogen waren. Das allein hätte ihn ja nicht unbedingt neugierig gemacht, aber auch die Tatsache, dass er so ziemlich jede Nacht allein bei sich – und nicht etwa auch einmal außerhalb – verbrachte, machte ihn etwas stutzig. Hinzu kam die Ausrede des Rotschopfes, dass er sich eben auf universitäre Belange konzentrierte und er ohnehin nicht genug Zeit für derlei ’Spielerei’ habe, welche ihn bei wiederholtem Hören nur die Augen verdrehen ließ. Er hatte einfach keine wirkliche Erklärung für das Ausbleiben romantischen Interesses seitens Sasoris und mit bloßer Unlust wollte er sich nicht zufrieden geben… Zwischenzeitlich war er dann dazu übergegangen, sich die haarsträubendsten Theorien zu überlegen, nach deren Filterung er schließlich bei der Vermutung von Asexualität gelandet war… was ihm reinen Gewissens erlaubt hatte, sich ihm auch das ein oder andere Mal einfach ohne Hintergedanken und um des reinen Komfort Willens zu nähern. Nun, scheinbar hatte er falsch gedacht. Und genau diese Tatsache war es, die ihn seine Theorien verwerfen ließ und seine Neugierde erneut entfachte. „Sasori, du kannst nicht einfach so eine Andeutung machen und dann nicht mehr darüber reden, hm. Das ist unfair!“ Vielleicht half ja Quengeln. Manchmal ging er ihm lang genug damit auf die Nerven, damit er mit der Sprache rausrückte. Der Rotschopf war auf seine Worte hin stehen geblieben, er konnte die Spannung in seinen Schultern sehen. War ihm das Thema wirklich so unangenehm? Zugegeben, es verletzte ihn etwas, dass er mit ihm nicht darüber geredet hatte, und das ausgerechnet bei etwas, das ihm augenscheinlich zusetzte. Deidara konnte sich schlicht kein Szenario vorstellen, das ihn davon hätte abhalten können sollen. Er war simpel dem Glauben, dass sich beste Freunde solche Dinge erzählten, auch wenn es durchaus naiv war, so zu denken – allerdings war ihm das herzlich egal. Denn neben dem Gefühl des Verletztseins hatte er auch den Eindruck, dass er vielleicht einfach nicht viel als bester Freund taugte. Da ihm kein Grund einfiel, wieso Sasori nicht mit ihm geredet hatte… münzte er den Grund eben auf sich. Lag es denn an ihm, dass er geschwiegen hatte? Hatte er etwas falsch gemacht? War er vielleicht einfach in den Augen des Rothaarigen nicht vertrauenswürdig genug? Noch immer kam keine Antwort. „Rede doch mit mir…“, bat er ihn, diesmal mit einem eindeutigen Ton in der Stimme. Der Verdacht, dass er der Grund für das Ausbleiben eines Gespräches war, setzte ihm zu. Erst nach einer ganzen Weile stand er auf und verfiel erneut in ein langsames auf und ab, sodass jeder einzelne Schritt dunkle Töne auf den Holzdielen verursachte. Für gewöhnlich half ihm Bewegung, seine Gedanken zu ordnen, allerdings geschah es nur recht selten, dass er sich derartig tief in einem Wust aus Emotionen wieder fand, um das Dickicht nicht mit einfacheren Mitteln beseitigen zu können. Nachdenken war wirklich nicht seine Stärke, besonders nicht, wenn es um derart persönliche Belange ging. Es war schmerzhaft, schmerzhafter als er bereit war, sich einzugestehen, und allein diese Tatsache war etwas, womit er nicht gut umgehen konnte. Hidan hielt sich selbst für jemanden, der nach außen hin stark wirkte, unbeugsam. Es war ihm einfach nicht ähnlich, sich von irgendwelchen Dingen mitnehmen zu lassen, sei es nun das Wetter, eine Naturkatastrophe, oder ’persönlicher Bullshit’, wie er es gern betitelte. Dass er sich nun in die wohl intensivste Situation hineinmaneuvriert hatte, die überhaupt möglich war, frustrierte ihn nur zusätzlich. Negativ intensiv. Sobald er merkte, dass bloße Bewegung nicht reichte, machte er sich daran, die Hütte auf ihre Bestandteile zu checken. Eine der beiden Türen führte in ein kleines Badezimmer, Dusche, Waschbecken, Toilette, nichts Großartiges. Gut, dass sie keine wirklichen Frauen dabei hatten, murmelte er in Gedanken vor sich hin, die wären in einer solchen Abstellkammer noch verrückt geworden. Konan betrachtete er insgeheim tatsächlich eher als Kerl – das machte es amüsant über sie und Yahiko zu denken und außerdem hielt es ihm davon ab, sie offen heraus anzugraben. Nunja, meistens. Die zweite Tür führte in einen Raum mit zwei Einzelbetten, an die jeweils gegenüberliegenden Wände gerückt. Zusätzlich fanden sich zwei Nachttische und zwei Kommoden in ihm wieder, welche scheinbar standardmäßig zu klein für einen mehrtägigen Aufenthalt war. Wenn man eine Frau war, merkte er wieder gedanklich an. Mit einem zweiten prüfenden Blick auf die Betten beschloss er, dass es sinnfrei wäre, sie so stehen zu lassen. Immerhin war er allein und er war Betten dieses winzigen Ausmaßes nicht gewohnt… Grund genug, um sich daran zu machen, kurzerhand das Zimmer ausreichend umzuräumen, um aus den zwei Einzelbetten ein halbwegs brauchbares Doppelbett – oder ein für ihn geeignetes Einzelbett – zu machen. Er würde nicht abstreiten, es noch brauchen zu können, zumindest nicht, wenn er in den Folgetagen noch mal ins Dorf hinunter kam. Die körperliche Ertüchtigung hatte geholfen. Etwas zumindest, sodass er seinem Werk nun zufrieden den Rücken kehrte und wieder in den Hauptraum der Hütte trat. Kleine Atemwölkchen zeigten an, dass die Temperatur innen sich wohl nicht fürchterlich von der Außentemperatur unterschied, sodass der nächste Blick etwas zweifelnd zu dem kleinen Ofen wanderte. Er war nie wirklich gut in derlei Dingen gewesen, allerdings würde er es versuchen müssen, wenn er es nicht darauf anlegte, zu erfrieren. Da half wohl auch die dickste Decke nichts. „So schwer kann das doch nicht sein“, grummelte er vor sich hin und ließ sich schließlich vor besagtem Heizobjekt nieder, mehrere kritische Blicke auf die zugehörigen Utensilien verteilend. Etwas in seinem Hirn klingelte, aber die Erinnerung, die dabei war, sich Bahn zu brechen, wollte er um alles in der Welt unterdrücken. Verflucht, er konnte doch nicht schon wieder an ihn denken, wenn er sich gerade endlich halbwegs effektiv abgelenkt hatte! „Es gibt nichts zu reden“, kam die nun doch recht prompte Antwort. Wieso konnte dieser Bengel denn nicht einfach nachgeben und verstehen, wann der richtige Moment war, um die Klappe zu halten? Wieso musste er es ihm so schwer machen, die Fassung zu bewahren und nicht noch viel offensichtlicher zu zeigen, was in ihm vorging? Sasori war sich sicher, dass ein aufmerksamer Beobachter seine kleine Einlage durchaus richtig würde deuten können, aber Deidara, dieses Blondchen, war schlicht zu blind, um die Zeichen richtig zu lesen. Es war frustrierend, einerseits weil er eine Zeit lang gewollte hatte, dass er es merkte… und er nun nicht mehr wollte, dass er etwas vom Grund seiner inneren Aufgewühltheit wusste. „Natürlich gibt es das, hm.“ Die Stimme in seinem Rücken hörte sich etwas niedergeschlagen an; er war über diese Beobachtung ernstlich verwirrt, welchen Grund sollte der Jüngere haben, einen derartigen Launenabfall zu erleiden? Nur, weil er nicht mit ihm über das seiner Meinung nach recht offensichtliche reden wollte? Recht offensichtlich… auch wenn er sich mit dieser Formulierung ins eigene Fleisch schnitt und implizierte, seine Gefühle nicht effektiv genug verdeckt zu haben. „Wieso kannst du es mir nicht sagen, hm? Liegt es an mir?“ ’Ja’, wollte er sagen, ’ja, es liegt an dir!’ – aber die Worte fanden keineswegs ihren Weg über seine Lippen. Diese… fast schon enttäuschte Note in Deidaras Stimme ließ ihn sich auf der Stelle mies fühlen, und das, obwohl er kein Recht hatte, auf diese perfide Weise den Spieß umzudrehen! „Es gibt eben auch Dinge, über die ich einfach nicht reden will“, stellte er klar. Tatsächlich gab es von ebendiesen einige, nur dass sein Mitbewohner diesem schlichten Grundsatz selten genug Beachtung schenkte. Nur dieses eine Mal gab er sich wirklich Mühe, ihn nicht durch pure Penetranz gewinnen zu lassen. Langsam drehte Sasori sich um, wollte in das Gesicht des Blonden sehen, um festzustellen, ob er wirklich ebenso enttäuscht war, wie er sich anhörte. Was er sah, verunsicherte ihn – das Schmunzeln war aus Deidaras Mundwinkel gewichen und augenscheinlich war er ernst bei der Sache. Nur machte es ihm das nicht unbedingt leichter. „Du hast meine Frage nicht beantwortet, hm.“ Wieder kein neckender oder gar fröhlicher Unterton. Wieder gab ihm diese Stimme das Gefühl, sich für die leicht geknickte Haltung ihres Besitzers verantworten zu müssen. „Wieso kannst du es mir nicht sagen?“ Der Blick der blauen Augen bat um eine Erklärung. Scheinbar machte sich hier jemand wirklich Gedanken um ihn. Deidara konnte doch nicht wirklich glauben, dass es an seinen Freundschaftsqualitäten lag, dass er sich ihm dieses Themas bezüglich nicht geöffnet hatte? Die Zeit trug ihn beinahe sechs Jahre zurück. Wieder war es Winter und wieder bestand die Notwendigkeit, einen Ofen – nun gut, einen Kamin – zum Spenden von Wärme zu befeuern. Wieder war es Hidan, der etwas ratlos vor der Konstruktion aus Stein und Stahl saß und jeden einzelnen seiner Versuche scheitern sah, die Holzscheite in ihrem Inneren anzuzünden. Eine Reihe diverser Flüche kam aus seinem Mund, ehe er das lange Feuerzeug frustriert von sich warf und versucht war, wie ein störrisches Kind mit Fäusten und Füßen auf den Boden zu trommeln. Nur war diesmal jemand da, der die Geduld hatte, ihm beizubringen, wie man es richtig machte. Jene Art von Geduld war selten bei jedem, der mit dem Silberhaarigen zu tun hatte, und noch viel seltener bei dem Einen, der sich entschieden hatte, das Risiko einzugehen, mit ihm zusammen zu sein. Im Stillen bereute Kakuzu nicht eine Sekunde, auch wenn er sich der Tatsache bewusst war, dass seine Nerven meist sehr nah vor einem weiteren Riss standen – nun, glücklicherweise hatte er ein gewisses Talent dazu, jenen Geduldsfaden zu flicken und ihn um ein Neues zu belasten. Es war keinesfalls immer einfach mit Hidan – aber für ihn war es all das wert. Er war tatsächlich der Auffassung, dass der kleine Motzkopf etwas Besonderes war; nur lag seine Besonderheit in seinen Augen eher bei der Möglichkeit, sich selbst etwas des Windes aus den Segeln zu nehmen, der ihn ein ums andere Mal antrieb, die ihm so vertraute Fassade der Unnahbarkeit zu tragen, die er so ziemlich jedem vorsetzte, der ihm begegnete, als irgendwo anders. Es war ein unglaublich seltenes Talent. Mit Hidan war es nämlich anders. Er schien zu spüren, wenn er einen Gang herunter schaltete und reagierte tatsächlich ähnlich auf diese Phänomene. Ebenso jetzt, als der Ältere sich neben ihm niederließ und ihm für einen kurzen Moment die Hand auf die Schulter legte. „Du weißt, dass dich Flüche nicht weiterbringen. Benutz mal dein Hirn“, riet er ihm und tippte ihm anschließend gegen die Schläfe. Hidan gab daraufhin nur ein Grummeln von sich, starrte weiterhin unzufrieden auf die Holzscheite in der Mitte der Brennplatte des Kamins. „Es funktioniert einfach nicht“, gab er halb-schnippisch zurück und entlockte seinem Freund damit ein Seufzen. Keine Kraftausdrücke diesmal. Mit einem zweifelnden Blick auf seinen Nebenmann lehnte er sich ein Stück vor, um über ihn hinweg nach einer kleinen Box zu tasten, welche zwischen Stein und Holzscheiten stand. Er reichte sie weiter und wartete auf eine Reaktion. Als die Box zwar geöffnet war, aber nur ein verwirrter Blick folgte, erklärte er. „Das sind gepresste Späne. Sie brennen um einiges leichter als gleich ein ganzer Scheit.“ Vorsichtig nahm Kakuzu die leicht angekokelten Scheite zur Seite und bröselte einige der kleinen Span-Zylinder in der Mitte der Brennplatte auf. Auf die hintere Seite wurden nun vorsichtig zwei der Hölzer platziert, ehe er nach einer kleinen Schachtel im Innern der Box griff. „Anzünder. Davon ein oder zwei in die Mitte und sie reichen vollkommen aus, um die Späne in Brand zu setzen. Diese wiederum brennen intensiv genug, um die Scheite in Mitleidenschaft zu ziehen.“ Zu Demonstrationszwecken tat er, wie er erklärt hatte und fischte dann nach dem Feuerzeug, um es Hidan in die Hand zu drücken. „Versuch es noch mal.“ Der Jüngere der beiden sah etwas grummelig aus; er mochte es nicht, wenn er etwas nicht wusste und es ihm dann so kleinschrittig erklärt wurde, als würde man mit einem Kind reden – allerdings tat besagte Erklärung ihren Dienst und er stieg hinter das Prinzip des Kaminanzündens. Folglich nahm er auch kommentarlos das Feuerzeug, knipste es an und hielt die Flamme an die Anzünder, welche augenblicklich Feuer fingen. Zufrieden legte Kakuzu nun noch zwei weitere Scheite von der Vorderseite nach und schloss dann die Kamintür, stellte aber die Belüftung auf die höchste Stufe. „Siehst du, halb so –“ Er wollte eigentlich den Satz beenden und vielleicht noch einiges über die Luftzufuhr in Öfen und Kaminen von sich geben… allerdings lag schnell genug ein anderes Paar Lippen auf seinen, um ihn sehr erfolgreich zum Schweigen zu bringen. Ihm war klar, dass Hidan Worte wie ’Danke’ ausgesprochen selten in den Mund nahm, daher war ihm eine andersgeartete Dankbarkeitsbekundung nur zu Recht. Und da sie nun nicht mehr Gefahr liefen, zu erfrieren, konnte er auch ruhigen Gewissens einen Arm um ihn, seinen Partner, legen und sich mit einer anderen Art der Wärmeentwicklung befassen… „GOTTVERDAMMTER MIST!“ Harsches Fluchen hallte durch die Hütte, als der Silberhaarige schlicht ein ganzes Holzscheit von sich warf und ungehalten aufsprang. Er konnte sich gerade so davon abhalten, die Ofentür mit aller Wucht zuzuknallen. Diese kleine Episode hatte jeden Ablenkungsversuch zunichte gemacht. „Verschwinde endlich aus meinen Gedanken, du Scheißkerl!“ Die Verzweiflung war aus seiner Stimme herauszuhören. Und zum Verzweifeln war es auch. Er hatte die böse Vermutung, dass er, wenn er nicht aufpasste, langsam von einer Erinnerung zur nächsten driften würde. Etwas anderes als Fluchen… fiel ihm dazu im Augenblick wirklich nicht ein. „Ich will nur einfach nicht darüber reden“, wiederholte er sich und versuchte seine Mimik dazu zu bewegen, für seine Verhältnisse ausreichend genervt auszusehen. Ihm war nur zu klar, dass er überhaupt niemals davon hätte anfangen dürfen, hätte nicht vielleicht ein kleiner Teil von ihm immer noch das Bedürfnis, sich Deidara mitzuteilen – was absurd war. Immerhin war er sich recht sicher, was ihre Fronten betraf. „Aber diese Andeutung war es wert um mir eins reinzuwürgen, hm? Wieso hast du dann überhaupt damit angefangen?“ Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der Blonde zu jener Annahme kommen würde – jedoch hatte Sasori nicht gedacht, dass er das ganze Vorkommnis als persönlichen Angriff wahrnehmen würde. Nur war er noch nicht fertig, es ging nämlich weiter: „Wieso dieser ganze Aufstand, hm? Nur um mir unter die Nase zu reiben, dass ich vielleicht nicht aufmerksam genug war? Verdammt, Danna, es tut mir Leid… aber bitte rede mit mir, hm.“ Ihr kleines Szenario hatte sich schneller als vorhergesehen zu einer Art persönlichem Kleinkrieg entwickelt, den wohl nur der Rotschopf als solchen wahrnahm. Nun fühlte er sich endgültig schlecht, aufgrund der simplen Tatsache, dass der Blonde alles in den falschen Hals bekam, was hier vor sich ging. Es war keine Möglichkeit, ihn einfach abzuwimmeln, ihm zu sagen, dass er richtig lag, nicht für ihn da gewesen zu sein… Eine Art der Unfairness, die er nicht einmal sich selbst abverlangen konnte, eine, die keinesfalls vertretbar gewesen wäre. Schon ein kurzer Blick in Deidaras Augen sagte ihm, dass etwas dabei war, zu zerbrechen – etwas, das er mit seinem Schweigen zu verhindern versucht hatte. „Du bist sonst auch nicht so selbstmitleidig, Deidara. Krieg dich wieder ein, es ist halb so wild – und es liegt nicht daran, dass du nichts bemerkt hast. Es gab nämlich nichts zu bemerken.“ Hoffte er zumindest. Er brauchte schleunigst einen Weg, sich aus dieser ganzen Misere herauszureden. Für den Moment applaudierte er sich selbst, die Vergangenheitsform genutzt zu haben; nun auch noch einen Hinweis auf aktuelle Ereignisse zu geben, wäre wohl wirklich sein Untergang. Der Jüngere sah derweil aus, als würde er ihm kein Wort glauben, sein Kopf war etwas geneigt und sein Mund einen Spalt breit offen. „Ich bin nicht selbstmitleidig, hm, ich mache mir nur meine Gedanken!“ Der Unglaube wich einer stummen Bitte, er verstand wirklich nicht, was Sasori davon abhalten könnte, ihn einzuweihen. Wieder brachte dieser Distanz zwischen sie, taumelte mehr als dass er ging zur nächsten Wand und stützte sich an ihr ab, lehnte sich schließlich mit dem Rücken gegen sie. Es gab so viele Dinge, so viele zynische Kommentare, die er sich verkneifen musste, um sich nicht in noch eine schlechtere Lage zu bringen. Er merkte, dass er Deidaras Worten, ja seiner bloßen Anwesenheit nicht mehr lange etwas entgegensetzen könnte. Einige Momente war es ruhig, vielleicht überlegte der Blonde ja endlich, ob es besser war ihn in Ruhe zu lassen? Genau in dem Moment in dem er aufsah kamen die nächsten Worte, die nun eine unendlich bittere Note enthielten. „Wir sind doch Freunde, Sasori, du bist der beste Freund den ich –“ „Hör endlich auf, das zu sagen!“ Auf seine lauter gewordene Stimme folgte nur erschrockene Stille. Wieso hatte er auch die dämliche Vodkaflasche zerdeppert? Er hatte doch nur eine dabei gehabt und nun war sie hinüber und er seinen scheinbar alles zersetzenden Gedanken ausgeliefert. Es gab einfach keinen Fluch, keinen Kraftausdruck, der noch helfen würde, sich auch nur ansatzweise Luft zu machen – dass er sich selber fast schon aus Versehen an den erinnert hatte, an den er eigentlich überhaupt nicht mehr denken wollte, war schlichtweg zum Kopf gegen die Wand schlagen. Tatsächlich liebäugelte Hidan auch mit genau dieser Idee, nur war ihm bewusst, dass Selbstverletzung nicht helfen würde. Nein, er bräuchte etwas, um sich zu betäuben, nur fiel Alkohol bekanntermaßen weg. Was taugte noch dazu, nicht mehr fühlen zu müssen? Kälte. Und genau hier kam es ihm sehr gelegen, dass er keinen Nerv hatte, sich um den dämlichen Ofen zu kümmern. Wieder lief er auf und ab, brachte den Holzboden zum Knarzen und versuchte, all die ungebetenen Gedanken auszusperren. Der Nachmittag an jenem Wochenende im Dezember, an dem Kakuzu ihm nur gesagt hatte, er solle warme Kleidung für ein paar Tage einpacken und ihn dann fast schon entführt hatte. Angeblich gehörte das kleine Landhaus einem seiner Verwandten, über die Hidan jedoch nie etwas wirklich Handfestes erfuhr. Fakt war, dass er seinen Freund nie für romantisch gehalten hatte, sich der Gedanke aber quasi aufdrängte, als jener ihm die Tür aufhielt und sich dafür einen zynischen Kommentar einfing. Er erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen. „Schön, du hast mich hergeschleppt, und was soll das Ganze nun?“ Skeptisch sah er über seine Schulter zu dem Größeren. Es war nicht ungewöhnlich, dass er ihn über Dinge im Dunkeln ließ, aber das hier schien doch… andere Ausmaße zu haben. „Ich dachte, wir lassen die anderen Silvester ohne uns feiern –“ „Hää? Aber wir haben doch…“ Er stocke, als sich Augenkontakt zwischen ihnen entwickelte. „Ich dachte, wir lassen die anderen Silvester ohne uns feiern und vertreiben uns die Zeit stattdessen zu zweit.“ Verflucht, nein, er musste unbedingt etwas tun, um diese Erinnerungsfetzen auszusperren, oder er war sich sicher, er würde wahnsinnig werden. Die Erkenntnis, dass Bewegung nicht half, kam recht schnell und er sah nur recht widerwillig ein, dass sich dieser Fakt auch nicht innerhalb der nächsten Stunden ändern würde. Mit einem Strang aus Flüchen auf den Lippen stapfte er ins Schlafzimmer und warf sich auf das provisorische Doppelbett; quer, die Füße heraushängend. Wieder kam ein Bild in ihm hoch, diesmal allerdings von gewissen Tätigkeiten, die nach dem Anzünden des Kamins stattgefunden hatten, einige Stunden nachdem ihm aufgegangen war, dass Kakuzu tatsächlich einfach nur mit ihm allein sein wollte. Er war machtlos gegen das erneute Aufbrodeln von Gefühlen tief in ihm. Es war beinah zu kitschig und bei weitem zu klischeehaft. Vor dem Kamin lag ein gemütlicher Langfloorteppich, sehr flokatiähnlich, und einige Kissen… ebenso wie eine dünne Decke unter der nun zwei nackte Leiber zu finden waren. Dunkle Locken waren auf dem hellen Stoff verteilt, grüne Augen lagen auf temporär erschöpften Zügen. Hidan war auf dem Bauch neben dem Größeren zusammengesackt, brachte nun seine Atmung wieder unter Kontrolle, während er sich Mühe gab, unter Kakuzus Blick nicht zu erröten. Etwas war anders, und sobald er aufsah, wusste er auch, was: In den Augen seines Partners lag eine gewisse Hitze, die er zuvor noch nicht gesehen hatte. Etwas, das ihm bis dato fremd war und ihn sich nun fragen ließ, ob es das bedeutete, was er vermutete – denn zu einer Vermutung war er schnell gekommen. Er konnte seinem Blick nicht lang standhalten, versuchte nach einer Weile, sich hinter silbrigen Strähnen zu verstecken, welche ihm ins Gesicht fielen. Zurückhaltung war etwas, das er nur äußerst selten zeigte, von dem er aber nun sicher war, überhaupt keine andere Wahl zu haben. Er wollte sich nicht über eine Vermutung freuen, nicht solang sie nicht mehr als das war. Viel Zeit verstrich nicht, bis er Bewegung neben sich wahrnahm und beinah reflexartig den Kopf drehte. Kakuzu war ihm einmal mehr so nahe, dass nicht viel fehlte, ihn zu küssen – nur war er für den Moment noch damit beschäftigt, seine Unterlippe zwischen seine Zähne zu ziehen und etwas nachdenklich auf ihr herumzukauen. Allgemein machte er eher einen sehr ungewohnt unsicheren Eindruck, der den Älteren jedoch nicht davon abhielt, sich vorzulehnen und die wohl dezenteste aller Formen der Selbstverletzung mit seinen eigenen Lippen zu unterbrechen. Ihm war klar, wie wenig förderlich es war, sich diesen Gedanken, diesen Erinnerungen hinzugeben, allerdings war ihm mittlerweile bewusst, dass er sich wohl kaum gegen sie wehren konnte. Er hatte es versucht – sogar jahrelang – aber die Tatsache, dass er ihn nun wiedergesehen hatte, sich nun nur wenige Meter von ihm befand… machte all seine Mühe zunichte. Wieder fanden seine Zähne den Weg in seine Unterlippe, bohrten sich unbarmherzig ins Fleisch. Dieses Mal würde er sich nicht unterbrechen lassen… Deidaras Mimik gefror zu einer schockierten, verletzten Maske. Er verstand nicht, wieso Sasori derartige Dinge sagte, wollte nicht so weit gehen und Schlüsse aus ihnen ziehen. Was er wahrnahm war das hektische Heben und Senken des Brustkorbes seines Gegenübers, beinahe als ob es ihm unendlich schwer viel diese Worte zu sagen – aber es war nicht minder schwer, sie zu hören. Lag ihm denn nichts an ihm? Das glaubte der Blonde nicht, nein, dafür hatten sie zu viel zusammen erlebt, waren sich wirklich einfach zu wichtig. Eine Weile lang sagte er gar nichts, bis Sasori schließlich seinen Kopf gegen die Wand lehnte und die Augen schloss. Erst als ihm bewusst wurde, dass all seine Worte vielleicht aus dem Affekt heraus ihre Aussprache fanden, wagte er sich wieder, etwas zu sagen. „Ich wollte dich nicht unter Druck setzen, hm.“ „Doch“, kam die prompte Antwort. „Genau das ist es, was du seit ungefähr zehn Minuten versuchst.“ Wieder blieb es still zwischen ihnen, wieder wuchs Unglaube seitens Deidara, dass sein Rotschopf zu derartig verletzenden Worten fähig war. Das alles hier… verletzte ihn. Und genau das war es auch, was in seiner Mimik ersichtlich war, sobald braune Augen sich wieder öffneten. „An der Bezeichnung ist nicht zu rütteln, allerdings sehe ich mich weniger gern mit ihr konfrontiert.“ Dass er überhaupt noch zu einer solch gestochenen Ausdrucksweise fähig war nach drei Gläsern Wein, verwunderte ihn – genug, dass er etwas brauchte, um zu verstehen, was Sasori versuchte, ihm mitzuteilen. Erst als der Groschen gefallen war, legte er verwirrt den Kopf schief. Ging es hier darum, dass sein Gegenüber einfach generell nicht gern Gefühle zugab? Ging es darum, dass ihn ihre Freundschaft verletzlich machte? Er blickte nicht durch. „Und wieso ist das so, hm?“ Der Kuss war lang und zart, beinah als ob sein Gegenüber davon ausging, dass er zerbrechen könnte. Das war zwar nicht der Fall, wie ihnen beiden klar war, das hatten ihre vorhergegangenen Aktivitäten durchaus gezeigt… aber die Geste an sich, die keinerlei Hektik, nur ruhige Gemächlichkeit enthielt, ließ ihn schaudern. Er erlebte Kakuzu nicht oft auf diese Weise und schon gar nicht über einen etwas längeren Zeitraum hinweg. Für gewöhnlich zeigte er Zuneigung nur in blitzschnell verstreichenden Augenblicken – nur diesmal nicht. Diesmal schien er sich Zeit mit ihm nehmen zu wollen. Und erstaunlicherweise… ließ ihn das jeden unangebrachten Kommentar schlucken, ließ ihn feststellen, dass der Moment es wert war, nicht von einem neunmalklugen Spruch unterbrochen zu werden. Vorsichtig flochten sich seine Finger in die Haare des Älteren als er die Berührung ebenso zaghaft erwiderte; es fiel ihm schwer zu glauben, was der Kontakt ihrer Lippen in ihm auslöste – unter anderem die Bestärkung seiner Theorie. Stumm starrte er an die Zimmerdecke, lila Augen verdächtig weit, der Atem etwas schneller als normal gewesen wäre. Er konnte die Erinnerung weder mit der Dunkelheit seiner Lider aussperren, noch mit der Dunkelheit, die das Zimmer einnahm. Hidan hatte kein Licht angezündet, wieso auch. Wenn man sich verkriechen wollte, war Licht nur hinderlich… Er sah ihn lange an. In den Momenten in denen er sich um eine Antwort drückte, war ihm, als würden alle anderen Optionen schwinden, als wäre da nur noch eine einzige Handlungsalternative übrig, Sasori wollte ihm nicht offen ins Gesicht lügen und vermutlich wäre jene Lüge nur zu schnell ertappt gewesen, konnte er doch momentan seine Mimik kaum unter Kontrolle halten. Deidara würde sehen, dass er nicht ehrlich war und vermutlich würde ihn eine solche Beobachtung nur noch mehr verletzen. Das wollte er nicht – allerdings war auch die Alternative nicht einfacher, nicht, solang er nicht hundertprozentig einschätzen konnte, wie der Blonde reagieren würde. Dummerweise gäbe es nur eine Möglichkeit, genau das herauszufinden. Er wollte ihm nicht sagen, dass die ständige Erinnerung an ihre Freundschaft ihm nur immer wieder vor Augen führte, was sie eben nicht waren. Sasori war dankbar für sie… aber sie erinnerte ihn jedes einzelne Mal daran, dass sie schon seit Jahren auf dieser einen Ebene standen. Nie woanders. Nie… mehr. Sein Mund öffnete sich… schloss sich und öffnete sich wieder. Er war außerordentlich trocken, was die Worte rauer über seine Lippen kommen ließ, als gedacht. „Wie sollte man schon jemanden beibringen, dass man sich in ihn verliebt hat – wenn man von genau dieser Person konstant darauf hingewiesen wird, dass gewisse Hoffnungen und Ambitionen gleich im Keim erstickt gehören?“ Seine Stimme klang bitter; der Rotschopf wollte Deidaras Reaktion nicht sehen, wollte nicht den Widerwillen erkennen, der die Verwirrung verscheuchte. Trotzdem hielt er seinen Blick starr auf ihn gerichtet – zumindest solang er noch die Chance hatte. Wenige Minuten später lagen sie noch immer so da, nah aneinander geschmiegt, die Wärme genießend. Kakuzus Hand wanderte dann und wann über den Rücken des Kleineren, zog mit ihren Fingerspitzen abstrakte Muster auf seiner Haut. Die Berührungen kitzelten etwas und sicherlich wäre er erschaudert, wäre ihm nicht von der Hitze des Kamins warm genug um die Regung zu unterdrücken. Erst als der Größere sich bewegte, ließ er ein leises Murren hören. „Was tust du?“ „Ich besorge nur etwas zu trinken“, kam Kakuzus Antwort als er aufstand und sich nonchalant ohne irgendeine Form der Bekleidung aus dem Raum begab. Noch bevor er die Tür erreichte, hatte Hidan sich auf einen Ellenbogen aufgestützt und sah ihm nach. „Kuzu?“ „Hm?“ „Wieso… Wieso das alles? Wieso nicht Silvester mit den anderen feiern?“ Für einen Moment hielt er inne, ehe er noch einen Blick zurück warf. „Ich hielt es für angebracht, den Jahreswechsel mit einer geliebten Person zu feiern.“ Damit war er aus dem Raum. Lider wurden zusammengepresst. Er durfte nicht daran denken, er durfte nicht… Deidaras Kopf war leer gefegt. Komplett. Nicht ein einziges Lüftchen wehte, kein einsamer Steppenläufer fegte durch die ausgestorbenen Gänge, die einst noch Gedanken enthalten hatten. Gern hätte er gesagt, lange für das Verstehen des kompletten Ausmaßes der Bedeutung dieser wenigen Worte zu brauchen, aber es wäre eine ebenso große Lüge gewesen, wie die, die Sasori nur kurz zuvor verworfen hätte. Er konnte nur einfach nicht glauben, was ihm hier gerade offenbart worden war. Eine dementsprechend lang andauernde Stille breitete sich auch zwischen ihnen aus. All seine Fragen waren beantwortet; wieso Sasori nichts gesagt hatte, wieso er es ihm nicht hatte sagen wollen… selbst die Frage nach seiner Ernsthaftigkeit. Würde er scherzen, hätte er kaum einen solchen Wirbel veranstaltet. Die Situation war auf eine merkwürdige Art und Weise unangenehm – er wusste schlicht nicht, was er sagen sollte und beschränkte sich dann auf eine Hoffnung, die den Moment vielleicht weniger irritierend machen würde. „Aber… das war damals, oder? Ich meine… du hast von damals geredet, hm.“ Er hatte die Augen aufgerissen, als Kakuzu den Raum verlassen hatte, war tatsächlich in eine Art Schockstarre verfallen. Allerdings war es keine Schockstarre der negativen Art, nein, er schwelte geradezu vor Freude. Hidan blieb auf dem Flokati sitzen, hatte aber ein sehr deutliches Grinsen über das halbe Gesicht gepflastert. Er sah seine Vermutung bestätigt, konnte gar nicht anders, und zog seinen Freund schließlich wieder zu sich herunter, sobald er wiederkam. Jener ließ sich nichts anmerkten, zeigte nur leichte Verwirrung. „Meintest du das ernst? Das, was du gerade gesagt hast?“ Gut, er musste sich vergewissern, auch wenn er sich nicht mehr stoppen können würde. Der Ältere sah ihn nur kurz mit schief gelegtem Kopf an, ehe er nickte. Fest pressten sich nun seine Handballen noch zusätzlich auf die geschlossenen Lider. Wieso zur Hölle konnte er sich nicht davon abhalten, weiter zu denken? Wieso musste er all das noch einmal Revue passieren lassen? Es war ihm kristallklar, wo all das enden würde… Eigentlich war der Ausdruck auf Deidaras Gesicht genug um seine Vermutung bestätigt zu sehen. Der Rotschopf hatte sich in etwas verrannt, schon vor einigen Jahren, und nun kam er nicht mehr einfach so wieder aus der ganzen Geschichte heraus. Er machte sich hier zum Deppen, legte offen, was ihn seit geraumer Zeit bewegte… und es kam keine Antwort. Er war sich nicht sicher, ob er eine erwartet hatte, oder ob nicht Schweigen einfach das gängigste Mittel war, seinem Unglauben Ausdruck zu verleihen. Sicherlich war es das. Soeben wollte Sasori vorschlagen, dass er sich einfach etwas hinlegen sollte, da ihm der Alkohol doch wirklich zusetzte – augenscheinlich – als doch noch Worte über die Lippen des Blonden kamen und nun seine Miene einfrieren ließen. Für einen einzigen Moment, ehe er seine Fassade bröckeln spürte und sich sein Ausdruck verzog, den Schmerz zeigte, den er fühlte. Wieder waren Ein- und Ausatmen zittrig. „Wie blind bist du eigentlich, Deidara?“ Es war eine rhetorische Frage, eine rhetorische Frage, die so unendlich schmerzte. Nicht nur seine Fassade bröckelte – sondern auch augenscheinlich alles, was zwischen ihnen war. „Ja, ich meine es ernst.“ Dem Silberhaarigen war klar gewesen, dass dies Kakuzus Weg war, ihm zu zeigen, dass er ihm etwas bedeutete. Sein eigener war… weniger verbal, was sich daran zeigte, dass seine Arme sich augenblicklich um den Hals des Älteren schlagen und ihn zu ihm zogen, bis er in der Lage war, ihm seine Lippen aufzudrücken. Wieder war es ein Kuss, der wohl sanfter nicht hätte sein können, wenn diesmal jedoch eher seine Gefühle in ihm mitschwangen. Schon in seinem recht jungen Alter hatte er aufgegeben, jemanden zu finden, er ihn mit all seinen Eskapaden nicht nur aushielt, sondern auch schätzen konnte… und er wurde vom Gegenteil überzeugt. „Scheiße“, wurde es nun zwischen den schmalen Lippen hervorgequetscht. „Scheißescheißescheiße.“ Ein leiser Singsang entstand, der jedoch ebenso wenig etwas gegen die immer weiter hoch kochende Masse an Emotionen in seinem Inneren tun konnte. Es würde nicht lang brauchen, bis sie die Oberfläche erreichten… Fest biss er seine Zähne zusammen. Dem Blonden war nach Weinen und Schreien gleichzeitig zumute, irgendetwas, das helfen würde, mit der Erkenntnis klar zu kommen, die ihm hier gerade vorgesetzt wurde. Der Schmerz auf Sasoris Zügen war so offensichtlich lesbar, dass er in sich selbst etwas zerbrechen spürte. Er hatte ihm niemals wehtun wollen, nur war er wirklich… blind gewesen. Blind für all das, was der Rotschopf ihm nicht hatte sagen können. Blind für das, was unter der wohl kontrollierten Oberfläche lag. „Es tut mir leid.“ Gab es irgendetwas, was sonst noch Bedeutung hatte? Er war nicht einmal dazu fähig, seine Situation ordentlich zu durchdenken. Stunden später, Hidan hatte sich zwischenzeitlich intensiv mit dem eher beiläufigen Geständnis seines Freundes beschäftigt, saßen sie an einem der großen Fenster des Hauses und sahen in die Nacht hinaus, auf das Verstreichen der letzten Minute des Jahres hinfiebernd. Just in dem Moment, in dem in der Ferne die ersten Raketen hochgingen, kamen ihm die Worte wie das Einfachste der Welt über die Lippen. „Du hast Recht. Es ist eine gute Idee, den Jahreswechsel mit einer geliebten Person zu verbringen.“ Das Lächeln auf Kakuzus Zügen war das Beste, was er sich für das neue Jahr hätte wünschen können. „Ja“, murmelte er leise. „Mir tut es auch leid.“ Alles. All das. Bevor er noch einen weiteren Moment nachdenken konnte, wandte er sich einmal mehr ab, hielt auf ihre Schlafzimmertür zu und verschwand im Raum dahinter. Sein Rücken wurde beinah augenblicklich gegen das Holz gedrückt, bevor er langsam an der Tür hinabrutschte. Was hatten sie nur getan? Wieder fluchte er, allerdings waren die Worte leise und von Verzweiflung durchzogen. Verzweiflung die sich nun auch in einer schmalen, feuchten Spur zur Seite seines Augenwinkels abzeichnete, gezogen von einer einzelnen Träne, die er nie hatte vergießen wollen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)