Schatten über Surrington Hall von Dharma_Montgomery (Der Ahnen dunkle Geheimnisse) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Pflanzen warfen länger werdende Schatten in den Garten, während die Sonne langsam am Horizont versank. Trotz dass es bereits Spätsommer war ließ die brütende Hitze auch während des Abends nur wenig nach. Heute hatten wir dennoch beschlossen unser Abendessen auf der Terrasse des Anwesens einzunehmen. Hannah, unser Hausmädchen, deckte gerade den Tisch. "Ist es denn schon Zeit?", fragte ich überrascht. "JA, Miss", sagte Hannah und lief mit dem Tablett ins Haus, nur um kurz darauf mit einem Glas selbst gemachter Limonade für mich wieder zu kommen. "Ah, vielen Dank, genau das kann ich jetzt gebrauchen!" Ich nahm ihr das Glas ab und ließ mich auf den mir am nächsten stehenden Stuhl nieder. Ich nahm meinen Strohhut, den ich mit einem Schal auf meinem Kopf befestigt hatte, ab und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Als meine Eltern in den Garten kamen legte ich den Hut, sowie die Gartenschere mit der ich bis eben noch die Rosenbüsche, die die Terrasse rahmten, gestutzt hatte auf einen kleinen Beistelltisch neben meinem Stuhl ab.Lächelnd setzte sich mein Vater an die gegenüberliegende Seite des Tisches, auf dem nun schon das Geschirr für das Essen bereitstand. "Das ist meine Rachel. Wir haben nicht nur einen der wärmsten Sommer der letzten Jahre, sondern auch einen Gärtner und trotzdem kann sie es nicht lassen selbst Hand anzulegen." Ich erwiderte sein Lächeln und rückte meinen Stuhl etwas näher an den Tisch heran. "Du weißt doch, dass ich Spaß daran habe. Außerdem hilft es mir den Kopf frei zu bekommen." Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen wie meine Mutter, die zu meiner rechten saß, den Mund verzog. "Den Kopf frei bekommen? Du solltest ihn lieber füllen und zwar mit Dingen die dir helfen könnten in deinem fortgeschrittenen Alter noch einen Ehemann zu finden. Ich habe schon fast die Hoffnung aufgegeben." "Aber, aber, meine liebe Elizabeth." Mein Vater goß erst meiner Mutter, danach mir und letzten Endes sich selbst etwas Rotwein ein. Normalerweise wäre dies Hannahs Aufgabe gewesen, aber da mein Vater bereits versuchte seine trockenen Lippen zu befeuchten , konnte ich seine Ungeduld verstehen und schmunzelte etwas in mich hinein. "Du weißt doch, dass du Rachel nicht derart unter Druck setzen sollst. Sie hat noch genug Zeit, mein Liebes." ER lächelte mir aufmunternd zu als er die Weinflasche zurück auf den Tisch stellte. Meine Mutter seufzte. "Ich weiß ja... Aber wir sind nun mal nicht mehr die jüngsten und... naja, ich habe Sorgen, was du ohne uns so ganz allein machst." Sie warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich legte meine Hand auf ihren Unterarm und drückte sanft zu um sie zu beruhigen. "Ich weiß ja. Aber dennoch ist es meine Sache. Das solltest du respektieren." "Das tue ich ja, aber..." In dem Moment betrat Hannah die Terrasse mit einem voll beladenen Tablett und ich war nicht nur deswegen dankbar, weil ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte und nahezu am verhungern war, sondern auch weil meine Mutter so nicht die Gelegenheit bekam dieses leidige Thema zum wiederholten Male aufzugreifen. Ja, gerade in letzter Zeit verging kaum ein Tag an dem sie mich nicht mit mehr oder weniger unterschwelligen Kommentaren bezüglich meiner nicht vorhandenen Heiratsabsichten zu verfolgen. Meistens endete es damit, dass ich sie verstimmte, indem ich ihr zu verstehen gab, dass ich das gut selber entscheiden könnte und sie mit ihrem Drängen auf taube Ohren stieß. Zumindest für die Dauer des Essens wäre ich also noch einmal gerettet. Ich lächelte Hannah dankbar zu, als sie das Essen servierte, doch da sie nicht wusste, was soeben geschehen war oder was ich dachte, zeigte sie nur einen verwirrten Gesichtsausdruck , knickste verlegen und ging dann schnellen Schrittes zurück ins Haus. Schweigend genossen wir unser Abendessen, welches nicht nur dank der guten Zutaten, die sich meine Eltern leisten konnten, gut schmeckte, sondern auch auf Grund der hervorragenden Leistungen unserer Köchin, die meine Eltern schon seit geraumer Zeit beschäftigten. Als wir satt waren legte mein Vater sein Besteck auf den vor ihm stehenden Teller und tupfte sich mit seiner Servierte den Mund ab, wohl darauf bedacht, dass nichts in seinem bauschigen, weißen Schnurrbart übrig blieb. Seufzend strich er sich über den Bauch. "Das war wie immer sehr lecker. Ich kann nur von Glück reden, dass es nicht jeden Tag Rouladen gibt, sonst wäre ich in kürzester Zeit so rund gegessen, dass ihr mich rollen müsstet!" Mein Vater lachte herzlich und auch meine Mutter und ich stimmten in das Lachen ein. Kurze Zeit darauf kam Hannah zu uns hinaus um den Tisch abzuräumen und uns ein Stück Apfelkuchen, mit frisch geernteten Äpfeln aus unserem Garten, zu servieren.Zwar waren wir alle bereits ziemlich satt, der Kuchen jedoch schmeckte so gut, dass auch diese Teller komplett leer zurück in die Küche gingen. Wir blieben noch eine Weile im Garten sitzen, schwelgten in Erinnerungen unter dem sternenklaren Himmel der Nacht und tranken Rotwein, ehe wir einige Stunden später in unsere Schlafzimmer gingen um erschöpft, aber glücklich ins Bett zu fallen. Kapitel 2: ----------- Der nächste Tag begann wolkenverhangen und bereits zum Frühstück begann es heftig zu Gewittern. Zwar waren wir froh, dass nun hoffentlich etwas kühlere Tage auf uns zu kamen, andererseits zeigte sich jedoch auch jeder glücklich damit, bei diesem Wetter in der warmen Stube sitzen zu können. Nachdem ich mir eine Scheibe Brot und etwas Tee hatte schmecken lassen ließ ich mir von Hannah einen Apfel schälen und schneiden. "Vielleicht solltest du auch mal wieder mehr Obst zu dir zu nehmen, Vater. Du siehst heute gar nicht gut aus." Wohlwollend reichte ich ihm auf einem kleinen Teller die Hälfte meines Apfels, doch er lehnte lächelnd ab. "Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber ein schlechter Tag wird mich schon nicht ins Grab bringen." Meine Mutter schien heute besserer Laune zu sein, zeigte sich jedoch ungewohnt schweigsam. Nach dem Frühstück war das Gewitter weiter gezogen und ich zog mich auf mein Zimmer zurück um mich umzuziehen. Ich zog luftige, aber feste Kleidung an und schlüpfte in meiner Gummistiefel. In dieser Montur wollte ich durch die Hintertür in den Garten gehen, um auf unserem 5 Hektar großem Grundstück wie so oft spazieren zu gehen, doch als ich am Wohnzimmer vorbei ging schüttelte meine Mutter den Kopf und meinte: "Du willst spazieren gehen? Und das bei den Verhältnissen draußen?" Doch als sie meinen Blick sah wusste sie das Diskussionen sinnlos waren und bat mich, vorsichtig zu sein. Ich versprach es und machte mich auf den Weg. Nach der langen Dürre Periode war es wundervoll zu sehen wie die Blätter der Pflanzen in der Sonne nass glitzerten. Der Boden war aufgeweicht, wodurch sich die Gummistiefel an einigen Stellen als sehr vorteilhaft herausstellten. Nach Möglichkeit unternahm ich zwei Mal die Woche einen solchen Spaziergang. Die letzten beiden Wochen jedoch waren derart warm und schwül gewesen, dass ich auf diese Spaziergänge verzichten musste und nun umso zufriedener war endlich wieder in Bewegung zu kommen. Ich drehte meine übliche Runde als ich plötzlich Geräusche wahrnahm. Da unser Gärtner, George Crenshaw, bereits über 60 Jahre alt war und meine Eltern keinen weiteren Gärtner einstellen wollten, verwandelte sich unser Garten mit verlassen des typischen, englisch getrimmten Rasen eher in einen Urwald aus dichtem Gestrüpp als in einer Perle der Gartenkunst. Dies war auch der Grund, warum sich nicht einmal mehr der Gärtner in diesen Teil des Gartens aufhielt. Ein Strauch in meiner Nähe begann heftig zu zittern und in der Annahme, dass es sich bei dem Verursacher des Geräusches um ein wildes Tier handeln würde, wich ich vorsichtshalber einige Schritte zurück.Doch schon einen Moment später ertönte ein keuchen, gefolgt von einem schmatzenden Geräusch. Unsicher, ob ich zum Haus zurück gehen oder mir die Ursache aus der Nähe anschauen sollte, verharrte ich vorerst an Ort und Stelle. Plötzlich teilte sich der Strauch und ein Mann mittleren Alters zwängte sich durch den entstandenen Spalt hindurch. Er trug einen beige farbenen Anzug mit Krawatte und einige Zweige und Blätter in seinem Haar. Überrascht über den unerwarteten Besucher beobachtete ich ihn einige Sekunden. Er klopfte seinen Anzug ab, was ihn jedoch nicht viel sauberer machte, ihn scheinbar aber von meiner Anwesenheit ablenkte. Ich räusperte mich und wartete seine Reaktion ab. Verwirrt sah er auf und erschrak etwas, als er mich bemerkte, fasste sich jedoch sogleich und verbeugte sich. "Guten Tag, Madam. Darf ich mich vorstellen? Steve Marshall ist mein Name." Zur Begrüßung hielt er mir seine Hand hin, die ich nahm und schüttelte. "Ich heiße Rachel. Rachel Pambroke." Erstaunt sah er mich an "Habe ich das richtig verstanden, Pambroke?" Ich nickte und ein strahlen erschien auf seinem Gesicht. "Gott sei Dank! Wenn ich recht informiert bin, so wohnt die Familie Pambroke doch in Surrington Hall, nicht wahr?" Lächelnd sah er mich an. Ich nickte. "Ja, schon seit fünf Generationen." Erleichterung zeigte sich in seinen Zügen. "Wenn es nicht zu viel verlangt ist würde ich sie bitten mich zu... Ich denke ihrer Mutter zu führen, Misses Elizabeth Pambroke. Ich irre hier bestimmt schon seit einer Stunde herum und ich weiß nicht einmal mehr, woher ich kam." Er schien sich ein wenig zu schämen, doch ich lächelte ihn aufmunternd an. "Natürlich führe ich sie hin. Aber, verzeihen sie die Frage, sind mittlerweile alle Postboten derart schick eingekleidet?" Verschmitzt deutet ich auf den Umschlag, den er in der linken Hand trug. Überrascht folgte er meinem Fingerzeig mit seinem Blick, lachte jedoch, als er verstand worauf ich hinauswollte. "Ach, wegen dem Brief. Ich würde mal sagen, dass nur Postboten so gekleidet sind, die von ihrer Mutter geschickt wurden. Hätte ich gewusst, wie unwegsam es hier ist, dann hätte ich mich sicherlich passender gekleidet." Ich musterte seine im Schlamm versunkenen Schuhe und seine bespritzte Hose. "Nun, normalerweise nehmen alle den Vordereingang, da kann man auf spezielle Kleidung verzichten." Er lachte mich an und wir gingen nebeneinander in Richtung unseres Anwesens. Unterwegs erzählte er mir, dass seine Mutter ihm zu diesem Weg geraten hätte, da sie ihn oft in ihrer Kindheit benutzt hatte. "Sie meinte es wäre eine Abkürzung. Unser Wagen ist gerade zur Reparatur und so musste ich mich wohl oder übel zu Fuß auf den Weg machen. Das Ergebnis haben sie ja bereits gesehen." Ich lachte. "Allerdings. Ich muss ihnen sagen, dass der Weg den ihre Mutter ihnen beschrieben hat, schon existiert hat, falls sie sich darüber Gedanken machen. Seit Jahren wuchert hier nur leider alles zu. Unser Gärtner ist zu alt, um das alles alleine zu bewältigen, das war selbst gesund und in jüngeren Jahren schon eine Herausforderung. Mittlerweile schafft er es nicht mehr, deshalb hält er wenigstens den Umkreis des Anwesens in Schuss." Er nickte verständnisvoll während ich erzählte. "Ja, es ist wirklich schon lange her, seit meine Mutter hier zu Besuch war. Das bringt das Alter nun einmal so mit sich." Ich wollte darauf eingehen, aber in dem Moment betraten wir schon den Rasen hinter dem Haus. "Da sind wir endlich. Mama? Ich habe hier jemanden, der zu dir will!" Ich winkte ihr zu. Sie saß mit meinem Vater auf der Terrasse. Ich bedeutete Mr. Marshall mir zu folgen und ging zu ihnen. Mr. Marshall ging auf meinen Vater zu, verbeugte sich und schüttelte ihm die Hand, dann wiederholte er diese Gesten bei meiner Mutter. "Gestatten: Mein Name ist Steve Marshall. Ich soll ihnen von meiner Mutter diesen Brief überreichen." Mit diesen Worten gab er meiner Mutter den Brief. "Marshall? Ist ihre Mutter etwa Emily Marshall?" Als er nickte, fuhr sie fort. "Du meine Güte. Das muss ja eine halbe Ewigkeit her sein! Setzen sie sich doch! Der Tee ist gleich fertig. Ich werde Hannah sagen, sie soll ein Gedeck mehr bringen. Sie bleiben doch noch zum Tee, oder? Ich bestehe darauf!" Sie lächelte ihn an und er setzte sich hin.Dann öffnete sie den Brief. "Eine Einladung? Zu Emilys Geburtstag? Sie zog vor so langer Zeit hier aus Yorkshire weg, ich wusste nicht einmal, dass sie einen Sohn hat!" Für einen Moment schien sie mit ihren Gedanken ganz weit entfernt zu sein, beinahe so, als wäre sie gar nicht mehr anwesend, zumindest nicht mehr geistig. Dann jedoch lächelte sie. "Sagen sie ihrer Mutter, dass ich mich sehr über die Einladung freue und sie gerne annehme. Wo wohnt sie denn nun?" Mr. Marshall nickte. "Wir wohnen nur einige Straßen weiter." Hannah betrat die Terrasse und servierte den Tee. Ich war länger unterwegs gewesen, als ich geahnt hätte und war total ausgetrocknet. Ich genoss meinen Tee und die Geschichten aus der alten Zeit, die meine Mutter jetzt von ihr und Emily zum Besten gab. Es war bereits am dämmern, als Mr. Marshall meinte er müsse nun nach Hause, ehe sich seine Mutter Sorgen machen würde. Er bedankte sich für die Gastfreundlichkeit und wollte bereits gehen, als mein Vater ihn zurückhielt. "Vorhin meinten sie doch in einer Atempause meiner Frau das ihr Auto in der Reparatur ist, nicht?" Er zwinkerte meiner Mutter zu, die leicht beschämt lächelte. Mr. Marshall bestätigte dies, woraufhin mein Vater den Gärtner rief, der mittlerweile auch unser Chauffeur war, um Mr. Marshall nach Hause zu fahren zu lassen. Eigentlich wollte Mr. Marshall ablehnen, doch mein Vater bestand darauf. "Nach ihrem, nun, nennen wir es mal 'Spaziergang' heute auf unserem Grundstück, dürfen sie die Fahrt in unserem Aston genießen." Mein Vater begleitete ihn zur Tür, danach ließen wir den Abend noch etwas wirken. Nach dem Abendessen ging ich jedoch zeitig ins Bett, viel erschöpfter als erwartet, und fiel bald darauf in einen ruhigen, traumlosen Schlaf. Kapitel 3: ----------- Bereits am nächsten Tag wurde ich von meiner Mutter in die Innenstadt gezerrt. Die Geburtstagsfeier ihrer Freundin Emily fand zwar erst in zwei Wochen statt, also für mich gefühlt in einer halben Ewigkeit, meiner Mutter jedoch konnte es nicht schnell genug gehen mich passend einzukleiden. "Wer weiß? Vielleicht verirrt sich ja der ein oder andere Junggeselle auf die Party?" Sie zwinkerte mir vielsagend zu, woraufhin ich hinter ihrem Rücken die Augen verdrehte und ihr in den einzigen Laden für Abendgarderobe folgte, den es in unserer Stadt gab. Ich muss zugeben, dass ich, eher untypisch für eine Frau, nicht gerne einkaufen ging, schon gar nicht wenn meine Mutter derartige Hintergedanken hegte. Missmutig lief ich zwischen den mit Kleidern behängten Ständern hindurch ohne mich wirklich umzuschauen. Meine Mutter hatte jedoch zielstrebig die Verkäuferin des Ladens ausfindig gemacht und verwickelte sie unverzüglich in ein Gespräch. Als sie mich heranwinkte bedauerte ich mich dafür, dass ich nicht bereits ein feines Kleid in meinem Schrank hängen hatte und schweren Herzens einsehen musste, dass ich wohl oder übel ein neues brauchte. Als ich bei meiner Mutter und der Verkäuferin ankam hatte diese bereits drei Kleider über ihren Arm gehangen und schob mich nun sanft in Richtung Umkleidekabine. Ich zog das erste Kleid über und trat vor meine Beiden Juroren um ihr Urteil zu erwarten. Die Verkäuferin lächelte zufrieden, zumindest bis sie den Blick meiner Mutter bemerkte, der aussagte, dass dieses Kleid absolut keine Option darstellte. In meinen Gedanken war ich froh über ihre Meinung. In meinen Augen glich der Stoff vom Aussehen, vor allem der Farbe wegen, nicht nur einem Kartoffelsack, sondern ich sah auch so aus, als ob ich einen tragen würde. Mit Löchern für den Kopf und die Arme. Das nächste Kleid war nicht vorteilhafter. Es war schwarz, was zunächst schon einmal eine große Verbesserung zum vorigen Kleid darstellte. Jedoch ließen mich der Schnitt und die übertriebenen Puffärmel mindestens zehn Kilo schwerer aussehen. Auch dieses Kleid schien den Geschmack der Verkäuferin zu treffen. Ich war der Meinung, dass sie mir wahrscheinlich auch einen echten Kartoffelsack als das perfekte Kleid für mich verkauft hätte. "Nicht schlecht, aber noch nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Probieren wir noch das letzte Kleid und entscheiden wir uns dann." Mit diesen Worten entließ meine Mutter mich mit einer Geste zurück in die Umkleidekabine. Ich schlüpfte in das letzte Kleid und hoffte, dass diese Tortur bald ein Ende haben würde. Der Anblick im Spiegel überraschte mich allerdings. Der weiche, dunkelblaue Stoff schmiegte sich an meinen Körper, fiel aber nach unten hin angenehm luftig und warf Falten, die bei jedem Schritt mitschwingen würden. Ich fühlte mich erstaunlich wohl in diesem Kleid, beschloss jedoch mir dies vor meiner Mutter nicht anmerken zu lassen. Ich schob den Vorhang zur Seite und trat in den Raum. Die Verkäuferin trug das gleiche Lächeln wie zuvor und meine Mutter wirkte nicht gerade überzeugt. "Nun ja, dass ist schon etwas besser, aber vielleicht sollten wir noch ein anderes ausprobieren?" Fragend blickte sie zur Verkäuferin, die schon im Begriff war loszustürmen, doch ich hielt sie mit meinen Worten zurück. "Also, Mutter, das reicht jetzt. Entweder wir nehmen jetzt dieses Kleid oder gar keines. Ich habe keine Lust mehr." Trotzig verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Ich muss zugeben, dass dieses Verhalten ziemlich kindisch war und meinem Alter unangemessen, jedoch konnte ich meiner Mutter gegenüber nicht nachgeben. Hätte ich erst einmal eine Schwäche gezeigt, so würde meine Mutter in Windeseile einen Heiratskandidaten nach dem anderen einladen, in der Hoffnung ich hätte meine Meinung letzten Endes doch noch geändert und würde ihre Hoffnungen auf eine baldige Hochzeit unterstützen. Meine Mutter schürzte die Lippen. "Nun, wenn es denn unbedingt sein muss... Ich weiß ja, wie ungeheuer Stur du in derlei Angelegenheiten sein kannst, dass hast du von deinem Vater." Ich zog mich schnell wieder um und wir bezahlten das Kleid. Edel verpackt in einem schön geschmückten Karton nahmen wir es mit und übergaben es unserem Chauffeur. Dann machten wir uns noch auf zum Schuster, da ich mich ohne richtiges Schuhwerk nicht blicken lassen konnte. Er maß meine Füße aus und meine Mutter und ich einigten uns auf ein blaues Lackmaterial, farblich passend zum Kleid. Ich bemerkte noch, dass der Absatz nicht zu hoch ausfallen durfte, da ich es gewohnt war durchweg auf flachen Sohlen zu laufen. Der Schuster notierte sich alles auf einen Notizzettel. "Wie lange wird es dauern, bis wir die Schuhe abholen können?" Fragend sah meine Mutter den Schuster an. Dieser kratzte sich nachdenklich mit dem Ende des Bleistiftes, mit dem er bis eben geschrieben hatte, an der Stirn. "Nun, wenn ich einen Termin zum anprobieren einplane und dann vermutlich noch einmal leichte Verbesserungen hinzurechnen muss... Dann würde ich sagen..." Er schaute auf die Liste mit den Aufträgen, die er noch zu bearbeiten hatte. "So in etwa vier Wochen, würde ich sagen." Für einen winzigen Moment verlor meine Mutter ihre Fassung, doch direkt darauf setzte sie ein süffisantes lächeln auf. "Und wie viel müssen wir drauflegen, wenn wir die Schuhe schon in zwölf Tagen haben möchten?" Ich war zwar darüber im Bilde, wie vermögend meine Familie ist, diese Art der Verhandlungen war mir jedoch neu. Verstohlen blickte sich der Schuster um, obwohl meine Mutter und ich die einzigen Kunden in seinem kleinen, engen Laden waren, schrieb dann eine Summe auf den vor ihm liegenden Zettel auf und schob ihn zu meiner mutter. Diese schaute kurz darauf, dann zum Schuster und nickte kurz. Hätte ich nicht gewusst, worum es sich bei diesem Geschäft handelte, so hätte ich sicherlich geglaubt, ich hätte zwei kriminelle bei der Arbeit beobachtet, auch wenn meine Mutter nicht wirklich in das Schema eines Verbrechers passte. Der Schuster schien zufrieden zu sein, meine Mutter ebenfalls und ich war einfach nur froh, diesen ganzen Pflichteinkauf hinter mir zu haben. Wir verließen gerade den Laden, als ich von einem Mann angerempelt wurde und sicher gestürzt wäre, hätte ich nicht im letzten Moment mein Gleichgewicht wieder gefunden. "Autsch!" Ich wollte gerade losschimpfen, als ich dem Übeltäter ins Gesicht sah und Mr. Marshall erkannte. Auch er zeigte den Ausdruck des Erkennens und zeigte sich peinlich berührt. "Es tut mir unendlich leid, Miss Pambroke!" Fragend blickte er mich an, doch ehe ich verstand weshalb, meldete sich meine Mutter bereits zu Wort. "Miss ist richtig." Sie hatte wieder einmal diesen vielsagenden Blick in den Zügen. "Bitte verzeihen sie. Ich bin schon ganz wirr im Kopf, den ganzen Tag schon erledige ich Einkäufe für meine werte Mutter und ich verliere wirklich so langsam den Überblick." Entschuldigend blickte er auf die Einkaufstaschen, die er in beiden Händen trug. "Ist schon vergessen, aber nur, weil sie es sind und ich weiß, wie anstrengend Mütter sein können." Ich lächelte meine Mutter an, die es erwiderte. "Zwei Wochen noch, aber meine mutter hetzt mich als wäre ihr Geburtstag bereits Morgen." Ich lachte über so viel Gemeinsamkeit. "Ich glaube in der Hinsicht sind alle Mütter gleich." Er stimmte ins Lachen ein. "Ja, dass kann schon sein. Nun, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich muss leider weiter. Übrigens hat sich meine Mutter sehr gefreut, als ich ihr die Zusage übermittelt habe. Sie ist aufgeregt wie ein kleines Schulmädchen." Mr. Marschall war bereits an uns vorbei gegangen, war jedoch noch immer uns zugewandt. "Sollten sie in den nächsten Tagen einmal etwas Zeit haben, so würden wir uns freuen, wenn sie mal wieder bei uns zum Tee vorbeischauen würden, nicht wahr?" Meine Mutter sah mich fragend an und ich nickte schnell. Mr. Marshall blickte von meiner Mutter zu mir, dann wieder zurück. "Aber mit Sicherheit. Zwei so reizenden Damen könnte ich unmöglich einen Wunsch abschlagen." Er Verbeugte sich und ich hoffte, dass er nicht bemerkte, wie ich errötete, dann drehte er sich um und ging. Nach einigen Schritten sah er noch einmal zurück. "Wenn es ihnen nichts ausmacht, dann komme ich übermorgen zum Tee." Nachdem meine Mutter bekundigte, wie sehr wir uns doch über seinen Besuch freuen werden, war Mr. Marshall schnell hinter der nächsten Häuserecke und somit auch aus unserem Blickfeld verschwunden. "Ein netter junger Mann." Wir machten uns auf den Weg zurück zu George, der am Wagen auf uns wartete. Während der Fahrt zurück zum Anwesen ertappte ich mich bei dem Gedanken ob Mr. Marshall wohl Junggeselle war, schüttelte doch sofort den Kopf. Ich würde noch so werden wie meine Mutter, wenn ich nicht aufpasste. Ich kam sehr gut alleine zu Recht und das sollte auch zumindest vorerst so bleiben. Als wir die Auffahrt zum Anwesen erreichten war es bereits Zeit zum Abendessen. Hannah hatte den Tisch bereits gedeckt und servierte das Abendessen, sobald wie uns an den Tisch gesetzt hatten und sie uns jeweils ein Glas Tafelwasser und ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte. Mein Vater erkundigte sich nach unserem Tag und meine Mutter erzählte begeistert von ihrer ausgesprochenen Einladung. Ich hörte nur mit einem Ohr zu und pickte halbherzig in meinem Essen herum. Irgendwie hatte ich keinen Appetit und da ich zusätzlich unter Kopfschmerzen litt, entschuldigte ich mich noch vor Beendigung des Essens um auf mein Zimmer zu gehen. Kurz darauf brachte mir Hannah noch eine Tasse Kräutertee, die ich trank ehe ich zu Bett ging. Mein Bett war warm und bequem und die Kopfschmerzen schon bald von meiner bleiernen Müdigkeit verdrängt. Leider sollte ich nicht so ruhig schlafen wie erhofft. Kapitel 4: ----------- Ich wälzte mich bereits eine geraume Zeit hin und her, wie lange genau konnte ich nicht sagen. Mein Bettzeug war zerwühlt, als ich endlich aufschrak. Mein Blick schwankte, mir war unglaublich schwindelig. Ich sah wie durch Nebel, versuchte aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Frische Luft, ja, das wäre es, was ich jetzt bräuchte. Doch ich kam nicht von der Stelle, es fühlte sich an als befände ich mich in einem Zimmer voller Götterspeise.Ich sackte auf die Knie und stützte mich auf dem Bett ab. Die Luft brannte wie Feuer. Panik kroch in mir hoch. Was war hier nur los? Ich musste dringend aus dem Zimmer, aber wie verzweifelt ich es auch versuchte, ich kam nicht vom Fleck. Meine Augen tränten und ich schloss sie um mich zu beruhigen. Doch als ich die Augen wieder öffnete, war der Raum von Schatten beseelt. In jedem Winkel schienen sie sich zu sammeln. Sie schienen mich anzuschauen, nach mir zu greifen. Plötzlich nahm ich einen Geruch war. Er musste schon die ganze Zeit da gewesen sein, aber er war mir zuvor nicht aufgefallen. Der Duft erinnerte mich entfernt an Weihnachten. Irgendwoher kannte ich diesen Duft. Ich schloss die Augen und sog den Duft tief ein. Es war kein schlimmer Geruch, aber auch kein angenehmer. Geräucherter Fisch kroch in meinen Gedanken herum. Ich riss die Augen auf. Plötzlich erkannte ich den Geruch und mein Herz gefror zu Eis. Es brannte. Das war eindeutig der Geruch von Feuer. Verbranntes Holz, Ruß, nun merkte ich auch die Hitze. Meine Starre ließ von einer Sekunde zur anderen nach, ich lief zur Tür und zog sie auf. Der Flur ertrank nahezu in Rauch, ich konnte wenig, aber immerhin überhaupt etwas sehen. Ich ging einige Schritte in mein Zimmer zurück, zu der kleinen Kommode direkt neben der Tür und holte ein Taschentuch aus einer der Schubladen. Mit dem Taschentuch vor den Mund gepresst lief ich in den Flur hinaus. Auf Grund meiner Panik dauerte es einen Moment, bis ich mich orientiert hatte, dann lief ich den Flur entlang. An der nächsten Biegung befand sich das Zimmer meiner Eltern. Ich kämpfte gegen die Hitze an. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Ich musste zu meinen Eltern! Ich musste sie warnen, sie retten, koste es was es wolle. Doch kurz bevor ich ihr Zimmer erreicht hatte schlug mir eine noch viel extremere Hitze als bisher entgegen. Der gesamte Trakt stand bereits lichterloh in Flammen, ein durchkommen war unmöglich. Meine Gedanken überschlugen sich, bis ich zu dem Entschluss kam, dass sie entweder alleine oder durch Hannah bereits draußen sein mussten. So schnell ich konnte lief ich zur nächsten Treppe ins Erdgeschoss und lief hinunter. Ich wusste ich hatte nur noch wenige Minuten, ich musste so schnell wie möglich raus aus dem Gebäude. Ich stieß mich gerade von der letzten Stufe ab, als die Treppe hinter mir zusammen brach. Funken stoben auseinander, erwischten mein Nachthemd und ich konnte sie gerade noch ersticken, ehe sie es in Brand gesetzt hätten. Ich lief zur Vordertür, doch bereits auf dem halben Weg dorthin versperrten mir brennende Balken, die bereits von oben heruntergefallen sein mussten, den Weg. Ich drehte um, verlor einen Augenblick lang die Orientierung, dann fand ich den Weg in Richtung Garten. Es vergingen nur wenige Sekunden bis ich durch die Hintertür hinaus ins freie stolperte, sie fühlten sich jedoch wie Stunden an. Ich betrat die Terrasse und lief noch ein Stück weiter, um etwas Abstand zum brennenden Herrenhaus zu gewinnen, dann sah ich mich hektisch um. Irgendwo mussten meine Eltern doch sein. Ich wollte bereits das Haus umrunden, um nach ihnen zu suchen, als ich eine Silhouette wahrnahm, die auf dem Boden lag, halb verdeckt von den gepflanzten Rosenbüschen des Gartens. Mein Herz setzte einen Moment aus, doch ich überwand den Schock, kniete mich neben den Körper und drehte ihn herum. Vor mir lag Hannah. Sie rührte sich keinen Millimeter und als ich Atmung und Pulsschlag kontrollieren wollte, konnte ich nichts feststellen. Vielleicht bedeutete dies das Schlimmste, vielleicht war ich aber auch nur zu aufgelöst um so etwas wahrzunehmen. Ich versuchte mich etwas zu beruhigen, was nur mäßig gelang und überprüfte noch einmal die Atmung. Doch wieder konnte ich nichts wahrnehmen. Ich versuchte eine Mund-zu-Mund Beatmung und eine Herzmassage auszuführen, da dies aber in unserer Gegend nicht verbreitet war und ich lediglich vor Jahren einmal eine Vorstellung der Techniken in London besucht hatte, stellte ich mich nicht sonderlich geschickt an. Ich versuchte eine halbe Ewigkeit, wie lange genau kann ich nicht sagen, in Tränen aufgelöst Hannah ins Leben zurück zu holen, aber vergebens. Völlig erschöpft gab ich auf, als mir meine Eltern schlagartig wieder in den Sinn kamen. So schnell ich konnte kam ich auf die Beine, lief um das Gebäude herum und hielt Ausschau nach meinen Eltern, die sich hoffentlich irgendwo hier in Freiheit, in Sicherheit befinden mussten. Als ich zum Dritten Mal das Herrenhaus umrundet hatte und immer noch keine Spur von ihnen gesehen hatte, fiel ich völlig aufgelöst und müde auf die Knie, gab mich all meinen Tränen hin und versank in Trauer und Schmerz, bei denen der kleine Teil der Hoffnung nicht gegen ankam. Das Bild änderte sich. Ich weiß nicht, was in der Zwischenzeit passiert war, ich schob es auf den Schock, doch nun Stand ich mit dem hiesigen Inspektor inmitten der mittlerweile ausgekühlten, durchweg verkohlten Überreste von Surrington Hall. Ich fröstelte, immer noch nur in meinem mit Brandlöchern übersäten Nachthemd und über und über mit Ruß verschmiert. Zwar hatte ich mittlerweile bereits eine Decke bekommen, doch ich schlang trotzdem die Arme eng um meinen Körper. Im Hintergrund nahm ich wahr, wie Hannah gerade mit einem Leichentuch bedeckt in das Auto eines Bestatters getragen wurde. Der Inspektor sah mich ernst an. "Nun, Miss Pambroke. Nach ihren Schilderungen haben wir die Umgebung des Anwesens abgesucht. Da dort jedoch keine Spur ihrer Eltern zu finden war, haben sich meine Kollegen in den Überresten des Hauses umgeschaut. Es tut mir leid ihnen das sagen zu müssen, aber...". Der Inspektor räusperte sich während ich bei jedem Wort an seinen Lippen hang, begierig und bang wartend auf Informationen bezüglich meiner Eltern. Der Inspektor räusperte sich noch einmal. "Die Kollegen haben die verkohlten Überreste zweier Leichen in den Häusertrümmern gefunden. Ich kann ihnen leider nur mein Beileid ausrichten." Ich blickte den Inspektor an und riss vor Schock die Augen weit auf. Schwer atmend setzte ich mich ruckartig in meinem Bett auf. Ich war schweißgebadet und zitterte am ganzen Körper.Mein Blick wanderte durchs Zimmer, alles wirkte auf mich so irreal. Plötzlich ging die Zimmertür auf und meine Eltern stürmten ins Zimmer. "Was ist passiert?" Besorgnis lag in der Stimme meines Vaters, ebenso wie in seinem Blick und dem meiner Mutter. Ich musste wohl laut aufgeschrien haben, bewusst war es mir jedoch nicht. Mit dem Handrücken wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und mein Atem beruhigte sich allmählich etwas. "Ich... es geht mir gut. Ich habe nur einen Alptraum gehabt, mehr nicht." Meine Eltern blieben noch eine Weile bei mir, bis ich ihnen versicherte, dass mir nichts fehlte, dass es mir gut ginge und dass ich sobald ich mich gewaschen und angezogen hatte zu ihnen in den Salon kommen würde. So blieb ich alleine in meinem Zimmer zurück. Wann immer ich die Augen schloss, und wenn ich nur blinzelte, hatte ich die schrecklichen Bilder wieder so real vor mir, als würde das alles jetzt in diesem Moment erst geschehen. Ich versuchte mich zu beruhigen indem ich mir immer wieder sagte, dass es nur ein Traum war und alles in Ordnung war. trotzdem ein mulmiges Gefühl zurückblieb, quälte ich mich aus dem Bett, machte mich fertig und begab mich daraufhin zu meinen Eltern in den Salon. Hosted by Animexx e.V. 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