Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Kapitel 14: Idiot ----------------- Hart schlug seine Faust auf. Rechts, links, rechts, rechts. Immer wieder erfüllte der Ton des Aufpralls den Raum, vermischte sich mit der rauen Atmung Kakashis zu einer wütenden Melodie. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber sein Körper fing langsam an ihm zu signalisieren, dass es genug war. Unaufhörlich rann ihm der Schweiß über den Rücken und seine Lunge brannte, ganz zu schweigen von dem schmerzhaften Ziehen in seinen Händen. Ja, langsam aber sicher war es genug. Trotzdem hörte er nicht auf, im Gegenteil. Verbissen erhöhte der Grauhaarige seinen Krafteinsatz und gewann an Schnelligkeit. Linke Faust, rechtes Knie, Deckung. Kakashi sollte aufhören, wirklich aufhören, aber er konnte nicht. Es fühlte sich einfach viel zu gut an auf etwas einzuschlagen – wild, roh und rücksichtslos. Er war wütend, so unsagbar wütend. Fest biss er die Zähne zusammen, als er zum nächsten Schlag ausholte. Mit aller Kraft zielte er auf den alten Boxsack. Ein letzter tiefer, rasselnder Atemzug, ein letzter harter Aufprall und dann ließ Kakashi sich fallen. Die dünnen Bodenmatten gaben einen erstickten Laut von sich, als sie seinen Fall abfingen. Regungslos verweilte er auf den Rücken, die Glieder leicht abgespreizt und mit hechelndem Atem. Er horchte auf, als das Geräusch von leichtfüßigen Schritten zu ihm durchdrang. Der Grauhaarige musste nicht aufsehen, viel zu vertraut war ihm das Getippel. „Geht´s dir jetzt besser?“ Noch einmal gaben die Matten einen dumpfen Ton von sich, als sich die junge Frau neben ihn nieder ließ. Verneinend schüttelte der Hatake mit dem Kopf. Es ging ihm keinen Deut besser. „Naja, zumindest gönnst du dir endlich eine Pause. Deine Fingerknöchel sind schon ganz aufgeschlagen.“ Verwundert hob er die Arme ein Stück, um die Aussage zu überprüfen. Sie hatte recht, zumindest was seine linke Hand betraf. „Du musst vorsichtiger sein, dass hat Papa dir damals schon immer gesagt, Brüderchen“ Kurz zog sich seine Brust zusammen, als die Erinnerung in ihm aufkeimte. Erinnerungen an damals. An dieses Dojo, an seine erste Pflegefamilie. Ruckartig setzte Kakashi sich auf und griff nach dem weichen Handtuch, das die Brünette ihn mit einem sanften Lächeln reichte. „Ich bin nicht dein Bruder, Rin.“ Ihr Grinsen wurde ein kleines Stück wärmer. „Doch, genau hier.“ Demonstrativ tippte sie sich gegen die Brust. Kakashi konnte nicht anders, resigniert schüttelte er mit dem Kopf. Jedes Mal brachte sie dieses Argument. Es war der Brünetten egal, dass er damals nur wenige Monate hier gelebt hatte. Seit damals war und ist der Hatake ihr Bruder geblieben – und auch wenn er es ihr viel zu selten mitteilte, fühlte er genauso für sie. „Also, dann erzähl der weltbesten Schwester doch mal was dich bedrückt.“ „Wann wollte sie denn hier sein?“ Spielerisch wich er dem darauf folgenden Schlag aus. „Du bist so ein Idiot, Kakashi. Aber ernsthaft, was ist los?“ Kurz wischte sich der Polizist mit dem Handtuch über das Gesicht, ehe er es gekonnt um seinen Nacken schwang und seinen Kopf etwas nach hinten neigte. „Ich weiß es nicht.“ „Also wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass du wütend bist.“ Mit einen undeutlichen Grummeln schloss er die Augen. „Hast du eine unüberwindbare Lebenskrise?“, riet die Andere drauf los. „Nein.“ „Wegen einer Frau?“ „Ich habe keine Krise.“ Mit einem tiefen Atemzug versuchte er sich wieder zu beruhigen. Langsam aber sicher ging ihm das Kreuzverhör auf die Nerven. „Wenn du es sagst.“ Der Tonfall klang wenig überzeugt. „Die Arbeit?“ Kakashi beschloss einfach still zu bleiben. Nichts sagen, sich nicht weiter aufregen. Einfach bis zehn zählen. Ja, es ging ihm definitiv auf die Nerven. „Es ist so was von die Arbeit.“ „Rin...“ Unheilvoll sprach er den Namen aus. „Schon klar, du darfst nicht darüber reden, aber ernsthaft, irgendwas stimmt nicht mit dir. Und es muss was Großes sein und mit der Arbeit zu tun haben, wenn du lieber zu mir kommst, als zu Itachi. Du kannst mir vertrauen, ich werd' schon nicht bei deinem Chef petzen.“ Tief holte der Grauhaarige Luft. Die Unruhe kam zurück, klammerte sich an ihm fest. Rin hatte recht. Kakashi war nicht hier her gekommen um auf etwas einzuschlagen – zumindest nicht ausschließlich. Vielmehr hatte der Polizist gehofft Abstand zu gewinnen und so dieses nagende Gefühl in seinem Körper loszuwerden. „Hypothetisch gesehen könnte es sein, dass mich etwas beschäftigt“, gestand er. „Etwas, dass dich nicht beschäftigen sollte? Also hypothetisch.“ „Ja.“ Eine kurze Unruhe entstand, als die Brünette ihr Gewicht verlagerte und etwas näher zu ihm rückte. „Und das wäre?“ Lange war es Still. Keiner sagte ein Wort und Kakashi war der Frau dankbar, dass sie ihm die Zeit gab, um über seinen eigenen Schatten zu springen. „Ich“, fing er an, machte eine kleine Pause, „Naja, also, es ist so, dass...keine Ahnung.“ Kakashi wollte lachen. Nicht weil es amüsant war, denn das war es nicht. Ganz und gar nicht. Er, ein gestandener Mann, brachte es nicht fertig sein Anliegen klar zu formulieren. Es war kindisch und ein Kakashi Hatake war nicht kindisch. „Es ist mir nicht mehr egal.“ „Was genau?“ „Alles irgendwie. Ich war gut in meinem Beruf, ich war emotional nie zu sehr involviert und konnte immer rationale Entscheidungen treffen und jetzt“, resigniert fuhr der Hatake sich durchs Haar, „Fühle ich mich wie ein kompletter Idiot.“ Nachdenklich brummte die Frau vor sich hin. „Vielleicht bist du ein Idiot?“ „Danke, wirklich. Das hilft mir gerade unheimlich.“ Genervt verzog der Grauhaarige das Gesicht. „So meinte ich das jetzt nicht. Jeder fühlt sich von Zeit zu Zeit mal so und um ehrlich zu sein... ich bin gerade etwas beruhigt.“ Rin lachte auf, als Kakashi ihr einem mehr als unfreundlichen Blick zuwarf. „Du warst immer ein schwieriger Kerl, Kakashi. Ich mag dich, ganz ehrlich, aber du warst so... na ja, unterkühlt, berechnend? Manche würden sagen ein schwerer Kerl. Für deinen Job ist das bestimmt ideal, aber für alle anderen Lebensbereiche nicht. Deshalb...“ Unvollendet ließ sie den Satz im Raum, erntete nur einen unverständlichen Blick des Grauhaarigen. „Lass es mich anders formulieren“, setzte sie an, „Du bist menschlicher. Auch wenn dich das aus den Konzept bringt, das ist gut. Es macht dich nicht schlechter, weder als Person, noch als Polizist. Im Gegenteil, es macht dich besser. Und wenn du nicht einmal versuchst dich darauf einzulassen, dann und nur dann, bist du wirklich ein Idiot.“ Es war seltsam sich so von der jungen Frau belehren zu lassen. Zugegeben, er hatte sie angerufen. Trotzdem war es seltsam. Noch zu deutlich konnte er sich an das kleine, weinerliche Mädchen erinnern, dass sie gewesen war, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Im Kreis ihrer Familie, seiner ersten Pflegefamilie. „Erstaunlich wie erwachsen du geworden bist“, sprach er seinen Gedanken aus und erhielt prompt eine freche Antwort. „Erstaunlich wie emotional verkrüppelt du geblieben bist.“ Sie lachten beide kurz. Rin meinte es nicht böse, dass wusste er. Auch wenn es nicht geklappt hatte, als sie acht waren und er zurück ins Heim gemusst hatte, sie waren beide nie voneinander los gekommen. Auf verdrehte Art und Weise waren sie Geschwister. Nicht offiziell, aber für sich. Und das war seiner Meinung mindestens genau so viel wert. „Du magst sie wirklich, was?“, hakte Rin nach. Mit einem Ruck setzte der Hatake sich auf und strich sich resigniert über das Gesicht. „Ich hab doch gesagt, dass da keine Frau ist.“ „Oh, dann ist Sasuke ein Mann. Hübscher Name, nebenbei bemerkt.“ Erschrocken sah er ihr ins Gesicht, entlockte ihr so nur ein weiteres Auflachen. „Du hast vor dich hin gemurmelt und ich stand schon etwas länger an der Tür“, abwehrend hob sie die Hände, „Komm schon, sieh mich nicht so an. Ich freue mich für dich.“ Fassungslos Atmete der Polizist aus. „Da gibt es nichts, über das man sich freuen könnte.“ „Bist du wegen Sasuke so wütend?“ „Lass es.“ Provozierend hob sie ihre feine Augenbraue. „Sasuke?“ „Rin“, fest schlangen sich seine Hände um das weiche Handtuch, „Hör auf.“ Nachdenklich zog die Brünette ihre Stirn in Falten. „Sasuke hat mit der Arbeit zu tun“, es klang kein Stück wie eine Frage, auch wenn ihr Gesichtsausdruck etwas anderes beschrieb. Kakashi wünschte sich wirklich aus tiefsten Herzen, dass Rin nur ein einziges Mal auf ihn hören würde, nur einmal ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten steckte. Es war beinahe so, als könnte er ihren Gedankengang hören, ein kurzer Prozess der darin mündete, dass sich ein resignierter Zug auf ihr Gesicht legte. „Natürlich, deshalb ist es nicht Itachi.“ Sein Kiefer begann zu schmerzen, als er mit aller Kraft die Zähne aufeinander biss. „Kakashi?“ Ruckartig wendete er sich ab. Der Hatake würde sich das ganz bestimmt nicht anhören. Diese lächerliche Theorie, die Rin sich augenscheinlich zurecht gelegt hatte. Es war nicht einmal nötig, dass sie es aussprach. Der Polizist hatte es ihr angesehen. Mit schnellen Schritten verließ er den Trainingsraum. Auf gar keinen Fall würde er sich das anhören. Das Gras kritzelte leicht an seinen Füßen, als er das kleine Stück Garten durchquerte, um vom Anbau zum Haupthaus zu gelangen. „Kakashi, warte!“ Noch einmal beschleunigte er, öffnete mehr als nur unsanft die Hintertür und trat ins Wohnzimmer. „Ich habe gesagt, du sollst warten!“ Die Stimme war nah, um ehrlich zu sein viel zu nah und noch eher der Polizist wirklich realisierte was gerade passierte, wurde er von den Füßen gerissen. Die alte Couch fing seinen Fall nur geringfügig ab und das zusätzliche Gewicht von Rin auf ihm machte es nicht besser. Genauso wenig wie ihr triumphierendes Grinsen. Sie hatte sich tatsächlich auf ihn geworfen. „Rin.“ Ihr Name klang aus seinem Mund wie ein wütendes Knurren „Geh runter von mir.“ - „Nein. Du hast mich angerufen, mich, weil du genau wusstest, dass ich dich nicht in Ruhe lassen würde. Du kennst mich und trotzdem bist du hier hin gekommen. Du kannst mir vertrauen, ich würde dich nie verurteilen.“ „Das ist nicht witzig. Geh runter von mir.“ Sie kam seiner Forderung nicht nach. Ihr Griff verfestigte sich. „Nicht bevor du mir endlich erzählt hast, was wirklich los ist.“ Resigniert atmete er aus. Rin hatte recht, er wusste wie sie war und trotzdem war er zu ihr gekommen. Verdammt, er war wirklich ein Idiot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)