Die Vorboten von Seregil ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Es war eine kalte, klare Vollmondnacht, als Latui lautlos die Straßen zum stygischen Hafen in Khemi schritt. Der Sand war feucht vom nächtlichen Tau und fühlte sich härter an als sonst. Doch sie nahm es kaum wahr, rückte stattdessen ihre Maske unter der dunkelblauen Kapuze zurecht und atmete tief durch. „Da vorne ist er.“ Eine der Krähen-Wachen, die Latui bis hierher begleitet hatte, zeigte unter dem Torbogen hindurch, direkt zu einer kleinen Menschenansammlung am Hafen. Es war mitten in der Nacht, doch das stumme Treiben war rege. Lauter dunkle Schatten beluden und entluden einen großen Frachter. Das Schiff wirkte geisterhaft, wie es auf dem schwarzen Meer in Nebel gehüllt, mit den Wellen auf und ab wippte. Schemen bewegten sich mit solch lautloser Perfektion, dass nur das dumpfe Knarzen der Schiffsplanken die unheimliche Stille durchbrach. Die Diebin konnte in der Dunkelheit nur Umrisse erahnen, doch Ihn erkannte sie sofort. Ihr wurde kalt. Eine Aura blanker Boshaftigkeit, die der Schatten ausstrahlte, traf Latuis Herz unerwartet. Ihre Seele füllte sich mit tiefer, unendlicher Leere. Nichts schien mehr wichtig. Alles war finster. Von dem Mann ging eine Warnung aus, nicht näher zu kommen. Tod und Verderben griffen mit unsichtbaren Fingern nach der Diebin. Zogen sie hinab, in eine Hölle aus Qual und Einsamkeit. Es war wie ein ständiger, stummer Schrei, der aus dem endlosen Nichts in diese Welt drang. Sie sollte nicht hingehen. Doch Latui fühlte, dass sie musste. „Ich finde den Weg jetzt allein“, bestimmte sie knapp. Ohne auf die Einwände der Wache einzugehen setzte sie ihre Schritte geräuschlos nach vorne, wie immer. Und wenn da vorne der Teufel selbst stand, das was hinter ihr her war, war schlimmer. Was konnte schon passieren? Mit langsamen, raubkatzenartigen Schritten stahl sie sich vorwärts, an den Schiffspackern vorbei, von Schatten zu Schatten. Zwischen einigen Kisten hielt sie kurz inne, bis sie mit dem Dunkel verschmolzen war. Was würde er sagen? Würde er überhaupt etwas sagen? Ihr Plan war riskant, doch Latui würde einen guten Auftritt brauchen. Und jetzt bot sich der Augenblick den sie lange vor dem inneren Auge durchgespielt hatte. Immer und immer wieder. Der Moment war gut. Die Diebin löste sich aus der Dunkelheit, leise und geschickt wie eine Katze. Sie stand plötzlich so dicht hinter dem Schattenmeister, dass ihr Atem seinen Rücken berühren könnte, hätte sie nicht die Maske getragen. Latui schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre eigene Präsenz. War sie eben noch kaum als Lebewesen wahrnehmbar gewesen, erblühte ihre Aura förmlich um sie herum. Eine schwere, aber effektive Diebeskunst. Mit einem Mal spürte sie, wie der Schattenmeister erstarrte. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ein eigenartiger Moment. Eine Bewegung. Ihre Blicke trafen sich. Stille. Der Blick aus den eisblauen, kalten Augen des Schatten drang durch die gelben Katzenaugen der Diebin und bohrte sich in ihr Innerstes, tief in die dunkelsten Abgründe und Ecken ihres Selbst. Der Katze war, als versuchte er ihre Seele zu durchdringen. Latui fühlte sich dennoch nicht unwohl. Der Mann vor ihr war kalt und leer. So musste der Tod sein. „Ich bin hier, weil ich Euch ein Angebot machen möchte.“ Ihre Stimme war fest, aber leise. Ein Hauchen, das an sein Ohr drang. Latui fühlte die Kälte, die von diesem seltsamen Mann vor ihr ausging. Ihre Körper standen so nah, dass man im Schatten nicht sagen konnte, ob sie sich berührten. Schweigen auf beiden Seiten, kein Blinzeln. Die Luft schien zu gefrieren. Die Anspannung war unerträglich. Nur ein Flüstern drang rau zu ihr herüber. „So so…“ Kapitel 2: ----------- Irgendjemand musste die Zeit angehalten haben. Gelangweilt lehnte Latui an einer schattigen Hausmauer im besseren Viertel von Khemi. Die Sonne brannte zur Mittagszeit sogar im Schatten so heiß, dass niemand außer ihr gerade draußen zu sein schien. Zumindest konnte sie von hier oben niemanden erkennen. Elegant sackte die Katze auf ihrem Beobachterposten in den Schneidersitz und schloss die Augen. Ihr Gesicht lag unter der Kapuze und der Stoffmaske, die ihr bis unter die Augen reichten, vollkommen im Dunkeln. Die Arme verschränkte sie trotzig. Die Diebin trieb sich schon seit Stunden auf dem schlecht einsehbaren Dach eines kleineren Hauses herum nur um in einen Innenhof zu starren. Eigentlich war es kein beliebiger, unbedeutender Innenhof. Der Schattenmeister, Huron, hatte ihr diese Situation eingebrockt. Hätte sie sich bloß nicht auf seine Bedingungen eingelassen. Hätte sich einfach irgendwo im Westen, weit weg von hier, in den Elendsvierteln von Tarantia versteckt. Die Hauptstadt Aquiloniens barg sowieso allerlei komische und berüchtigte Gestalten, ein sicheres Eck hätte die Diebin gewiss gefunden. Außerdem hätte sie das Meer zwischen sich und ihre Verfolger gebracht. Doch Latui war sich nicht sicher, ob das ausgereicht hätte, um Ihnen zu entkommen. Was sie getan hatte, wusste sie selbst mit keiner Strafe dieser Welt aufzuwiegen, außer dem Tod. Oder einem besonders elendigen Tod. Das Überleben als Schurke forderte manchmal eben Mittel, die etwas schwerwiegender waren. Schwerwiegend und dreckig. Die Diebin hatte schon genug ihrer sieben Katzenleben verschwendet, davon war sie fest überzeugt. Man musste das Glück ja nicht gleich herausfordern, nur weil es einige Male gnädig war. Latui fügte sich in ihr Schicksal, öffnete die stechend gelben Katzenaugen und studierte, wie die endlosen Stunden zuvor, den staubigen Innenhof. Die sengende Hitze spürte sie gar nicht mehr. Das schicke Häuschen gehörte niemand geringerem als Taniz, der Wesirin. Sie hatte als Vorsitzende der Ratsmitglieder das Sagen in der Hafenstadt. Von allem was Latui bisher über die Wesirin gehörte hatte, war sie keineswegs eine dumme Frau. Sie schaffte es immer wieder in wichtigen Angelegenheiten ihren Kopf durchzusetzten und war verantwortlich für einen aufblühenden und wirtschaftlich starken Umschwung. Erst seit ihrer Regentschaft genoss Khemi in den südlichen Ländern das Ansehen, welches einer stygischen Hauptstadt zustand. Aber ausgerechnet die rechtschaffene Taniz sollte in irgendwelche mysteriösen Expeditionen in der südlichsten Wüste, weit nach den Rotlotusmarschen, verwickelt sein? Wo auch immer die Wahrheit lag, in diesem Haus mussten sich Aufzeichnungen über diese Grabungen befinden. Huron hatte ein dringendes Interesse an Plänen geäußert und Latui war sich sicher: wenn der Schattenmeister dringend sagte, meinte er es auch so. Eigentlich hätte die Katze sich einen Dreck darum geschert, was irgendein Anführer der Krähen wollte. Aber er war der einzige Mensch der ihr helfen konnte. Wenn er überhaupt ein Mensch war. In Gedanken schwelgend ertappte Latui sich dabei, wie sie ihren Hals rieb, als hätte man schon eine Schlinge darum gewickelt, bereit sie zu hängen. Und wenn Taniz nicht bald ihr Haus verließ, war das keine realitätsfremde Vorstellung mehr. Dann würden entweder ihre Verfolger sie finden, oder Huron. Die Katze wusste nicht, was schlimmer war. Die Sonne stand schon tief, als sich endlich die Tür zum Innenhof öffnete. Latui rieb sich mit der Hand über die Augen, sie taten ihr weh von dem grellen Licht und dem vielen Starren. Dann richtete die Katze sich leise auf, um besseren Überblick über den Hof zu bekommen. Taniz war gerade energisch herausgetreten. „Ich habe es jetzt schon hundert Mal gesagt Pevius: bewacht das Anwesen und nicht mich!“ Nach Taniz verließ ein hochgewachsener Mann in stygischer Lederrüstung das Haus. Doch er war nicht aus Stygien. Er trug den Helm mit dem dunkelblauen Pferdeschwanz der auqilonischen Soldaten. Zahlreiche Fragen gingen der Diebin durch den Kopf und verwirrten sie. Keine stygische Leibgarde, keine Söldner? Ein Soldat aus Aquilonien? Seltsam. Doch ehe sie fertig gedachte hatte hörte sie eine angenehme, verzweifelte Männerstimme. „Taniz… Ich meine Wesirin, ich bitte euch. Die Straßen sind gefährlich, wo doch bald die Wahlen anstehen. Es werden unzählige Assassinen auf euch angesetzt werden. Seid doch vernünftig!“ „Wollt ihr mich belehren Pevius?“ Abrupt hatte Taniz sich umgedreht, um den Soldaten wütend anzufunkeln. Dieser nahm eine sofort eine stramme Haltung ein, sah aber dennoch etwas resigniert aus, fand die Diebin von hier oben. „Natürlich nicht Wesirin, verzeiht mir meine Worte.“ Er senkte den Blick zu Boden. So verharrten sie einen Moment, bis Taniz so laut seufzte, dass sogar Latui es gut hören konnte. „Und jetzt geh ins Haus und stell deine Männer auf. Ich brauche keine Wachen auf dem Weg zur Ratssitzung, wie sieht das denn aus! Eine ängstliche Wesirin? Nein. Die Leute lieben mich und ich bin ihnen ein sicheres Auftreten schuldig. Wenn ich in Panik verfallen würde, würden meine Bürger es auch tun. Das lasse ich nicht zu. Niemals werde ich diesem Fehed einen Moment des Triumphs gönnen!“ Die Situation löste sich auf. Die Wesirin stampfte förmlich mit geballten Fäusten aus Latuis Sichtfeld hinaus und der Soldat, Taniz eine Weile nachblickend, schüttelte den Kopf und trottete ins Haus zurück. Dann war es wieder still. Nur leise trug der seichte Wind das auflebende Treiben im Hafen an die Katze heran. Da die Stadt allmählich abkühlte, fanden sich wieder alle möglichen Seeleute zusammen, um ihre Schiffe zu beladen, Handel zu treiben oder sie wachten gerade wieder aus ihrem Mittagsschlaf auf, zwischen leeren Weinfässern. Eigentlich ein optimaler Zeitpunkt mit den Plänen unterzutauchen. Aber erst einmal, musste sie an die Dinger überhaupt herankommen. Taniz Aussagen nach, befanden sich mehr Wachen im Haus, als nur dieser exotisch bunte Soldat von Übersee. Latui wollte erst herausfinden, wie viele Wachen es ungefähr waren, bevor sie sich Hals über Kopf in das teure Häuschen stürzte um dort wahllos nach Plänen zu suchen, von denen die Diebin nicht einmal wusste, wie sie aussahen. Noch in Gedanken begann Latui mit dem Kletterakt auf das nächste Haus. Ihre Eleganz, die nichts mit der einer Edeldame zu tun hatte, und die Lautlosigkeit, mit der die Diebin sich bewegte, ließen sie mit der Umgebung verschmelzen. Eine Raubkatze auf Beutezug. Von Hausdach zu Hausdach konnte sie in andere Flure der Residenz einsehen und ihre eigentlich gleichgültige Miene wurde immer finsterer. Wieder am Ausgangspunkt angekommen ging sie mit Blick auf Taniz Haus gerichtet in die Hocke und rieb sich professorisch das maskierte Kinn. In ihrem Kopf ratterte es. In diesem Häuschen tummelten sich etwa zwölf Soldaten, wenn sie richtig gezählt hatte. In jedem Gang den sie einsehen konnte, stand mindestens einer. Latui war gut, das wusste sie. Aber wie um alles in der Welt sollte sie unbemerkt da hereinkommen? Kapitel 3: ----------- Zeiren!“ Die Stimme des Schattenmeisters hallte durch die Kellergewölbe der Krähenfestung. Einen Augenaufschlag später stand ein durchschnittlich gewachsener Stygier mit rotbraunem Irokesenschnitt im Raum, und verbeugte sich leicht. „Meister.“ Huron nickte kaum merklich, ohne Zeiren anzusehen. Der Schatten spielte mit einer Schreibfeder herum, ließ die Spitze auf den Tisch treffen, dann die Feder. Immer und immer wieder. Gedankenversunken starrte er dabei auf den massiven Holztisch, an dem er saß. Es herrschte eine merkwürdige Stille, bis Huron zu seinem ersten Herold aufsah. „Wie laufen die Vorbereitungen?“ „Wie ihr befohlen habt Meister. Die Männer haben sämtliche Dörfer ausgebeutet und Vorräte sowie Pferde und Waffen mitgenommen.“ Huron stand auf, ohne dabei die Feder loszulassen, die er nun kunstvoll zwischen den Fingern der rechten Hand hindurchgleiten ließ. Er begann hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu laufen. „Und was ist mit dem Schwachkopf Medarin?“ „Wir haben Dorfbewohner gezwungen, einen Brief an Priester Medarin zu verfassen, in dem sie ausdrücklich um Hilfe gegen die Wilden gebeten haben. Wir haben behauptet, Urkhan der Schlächter hätte Truppen gesammelt um seine Gebiete zurück zu erobern. Ich war vorhin im Ratssaal um Medarins Antwort an die Dorfbewohner entgegen zu nehmen und persönlich zu ihnen nach Kopshef zu bringen.“ Zeiren grinste leicht, als er Huron den versiegelten Brief reichte. Der Schattenmeister streckte die behandschuhte Hand nach dem Pergament aus. Ein wie immer kaltes und gleichgültiges Schmunzeln zierte dabei seine Lippen. „Du bist der beste Kurier in Hyborien, Zeiren.“ „Danke Meister.“ Der Schatten öffnete das Siegel mit einem seiner Dolche so geschickt, das es in seiner Gänze unversehrt blieb. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er die geschwungene Handschrift des Priesters überflog. Das Zucken weitete sich zu einem seichten Schmunzeln. Dann faltete er den Brief sorgfältig wieder zusammen. „Das wars fürs Erste. Erneuere das Siegel, sodass es wieder echt und unberührt aussieht. Die Bauern in den Dörfern werden nicht mal unterscheiden können, ob es nun das Siegel des Idioten Medarin oder das eines Freudenhauses ist.“ Um seine Aussage zu bestärken winkte er ab. „Dann überbringst du dieses lächerliche Pergament nach Kopshef, wie man dir befohlen hat. Aber auf dem Rückweg reitest du in den Marschen vorbei und schaust nach dem Rechten. Ich will nicht, dass irgendetwas unsere Vorbereitungen stört.“ Zeiren legte die Hand auf die linke Brustseite und verneigte sich leicht. „Möge der Namenlose mit euch sein, Meister.“ „„Möge der Namenlose mit euch sein, Herold.“ Zeiren verschwand so schnell wie er gekommen war. In dem Kellergewölbe herrschte wieder Totenstille. Der Schatten war äußerst zufrieden. Alles verlief nach Plan. Nach seinem Plan. Mit voller Wucht rammte Huron die Schreibfeder in den sperrigen Schreibtisch. Sie knickte ab, blieb aber darin stecken. Dieser Medarin wusste nicht, mit wem er sich angelegt hatte. Aber bald war es so weit. Nicht mehr lange und der Schatten hatte genug Mittel und Wege gesammelt, den Priester aus seinem Amt zu stürzen. Und dann würde es Medarin nicht anders ergehen, als dem Federkiel. Huron warf dem Schreibwerkzeug noch einen eisigen Blick zu und ließ sich wieder auf den breiten Eichenstuhl zurückfallen. Wenn alles gut verlaufen war, hatte die Diebin bereits die restlichen Dokumente gesammelt. Die Papiere der Wesirin waren essentiell für den Erfolg des Unterfangens. Der Schatten stützte beide Ellbogen auf dem Tisch ab, überkreuzte Finger für Finger und lehnte nachdenklich seinen Kopf dagegen. Wenn die Mietze versagen sollte, würde er ihr schon zeigen, wie schnell ein Katzenleben vorbei sein konnte. Kapitel 4: ----------- Nachdem Latui die Wachen an der westlichen Hausseite mit einem Stein, welchen sie ins daneben liegende Fenster schmiss, abgelenkt hatte, war sie mit einem langen Satz auf das flache Dach des Häuschens gesprungen. Die Diebin kannte diese Häuser wie ihre Hosentasche, daher musste sie unter dem angewehten Wüstensand nicht lange nach einem Einstieg suchen. Die Falltür war mit einer kleineren Version jener fortschrittlichen Schlösser ausgestattet, die man für besonders wichtige Kammern oder Räume benutzte. Latui kniete sich neben das Konstrukt und begutachtete es von allen Seiten. Sechs in der Mitte geteilte Stifte, sehr kleine Öffnung, geringer Spannansatz. Ein grandioses Teil. Völlig begeistert kramte sie aufgeregt wie ein kleines Mädchen in ihrem Beutel herum und zog mehrere, L-förmig gepresste, hauchdünne Metallstäbchen heraus. Wenn man das kleine Köpfchen am oberen Schlossende einhakte, konnte man den ganzen Schließmechanismus unter Spannung setzten, was dazu führte, dass die Stifte im Inneren festgeklemmt wurden. Sie konnten dann weder nach oben, noch nach unten rutschen. Latui musste an diesem Punkt nur noch herausfinden, ob sie bei ihrer gewählten Spannrichtung vom ersten oder letzten Stift aus anfangen musste, die Stifte zu ‚setzten‘. Ein Schlüssel bewirkte nichts anderes. Seine zackige Form diente dazu, jeden Stift individuell in eine Höhe zu drücken, sodass die in der Mitte geteilten Stifte an ihrer Schnittstelle eine Linie ergaben und das Schloss sich mit dem oberen Teil der Stifte drehen konnte. Ganz einfach. In Gedanken schmunzelnd probierte die Diebin geduldig jeden Spanner in dem oberen, schmalen Schlitz des Schlosses aus, vorsichtig drehte sie etwas nach links und rechts um zu testen in welche Richtung sie es am besten unter Spannung bringen konnte. Die Katze entschied sich, es rechts herum zu versuchen, mit der mittleren Version ihrer Spannersammlung. Behutsam steckte sie die übrigen Werkzeuge in den Beutel zurück, um aus einem anderen Beutel einen der Dietriche zu fischen. Latui wählte den 'Schneemann'. Sie hatte ihn aus Cimmerien liefern lassen und man hatte ihr erzählt, der Kopf sehe nun einmal wie ein Schneemann aus. Die Diebin war sich nicht sicher je etwas von dicken runden Männern im Schnee gehört zu haben, bis der cimmerische Händler ihr freundlicherweise erklärt hatte, dass Kinder mit Schnee einen Kugelmann bauten. Und der sah eben aus wie ihr bestellter Dietrich. Ein „Aha“ war das einzige gewesen was ihr dazu eingefallen war. Vielleicht sollte sie wirklich mal nach Cimmerien in den hohen Norden reisen. So in Erinnerungen hatte sie den Schneemann bereits in das Schloss gleiten lassen. Die Stifte waren oben flach, was den ganzen Vorgang ziemlich erleichtern würde. Nun hieß es Konzentration. Gefühlvoll drückte Latui den Spanner nach rechts und spürte gleichzeitig durch den Dietrich, wie das Schloss unter Spannung geriet. Sanft drückte die Katze den ersten Stift nach unten, bis er keinen Widerstand mehr leistete. Mit einem zärtlichen, kaum fühlbaren Klicken teilte er mit, dass er nun eingerastet war. Genauso ging es mit dem zweiten und dritten weiter. Unter ihren Finger am Spanner spürte Latui, dass die Mechanik gleich nachgeben würde. Dieses wahnsinnige, vollendete Gefühl der Vorfreude packte sie und die Diebin drückte etwas weiter nach rechts. Dann führte sie den Dietrich zum letzten Stift. Klack. Mit einem ruckartigen Schlag gab das Schloss nach. Es war vollbracht. Zufrieden wischte die Diebin sich über die schweißgebadete Stirn, doch dieses Gefühl war immer wieder großartig. Egal wie viele Schlösser sie schon geknackt hatte, jedes Mal war die Freude überwältigend. Der Triumph des Menschen über die Technik, ihr vorläufiger Triumph über Blauschweif. Leichtfüßig schwang sie sich durch die Falltür ins Innere und fand sich auf einem verwahrlosten Dachboden wieder. Wie erwartet, war dieser unbewacht. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit, doch erst als sie alles sorgfältig gemustert hatte, setzte sie ihre Schritte langsam vorwärts. Überall standen Holzkisten herum, gefüllt mit Büchern, alten Gewändern und Steinfigürchen. Zwischen den Kisten erkannte sie sogar ein altes Schachbrett, daneben einen ausgestopften dicken Otter, der wohl mal eine Schrankwand geziert hat. Kein Wunder das man ihn auf den Dachboden verbannt hatte, dachte sie sich leicht grinsend. Ihre Schuhe hinterließen Abdrücke auf dem staubigen Steinboden, denen sie mit ihren Blicken bedächtig bis zur Dachluke folgte. Ob sie sie verwischen sollte? Kurz überlegte die Diebin, dann entschied sie, dass es sowieso nichts bringen würde. Falls überhaupt irgendwer noch einmal hier hoch kam, wäre es bedeutungslos, ob nun Spuren da waren oder nicht. Jeder hätte einbrechen können. In einer Ecke entdeckte Latui eine Kiste, voll mit Pergamentblättern, die wild herausragten, wie Wasserpflanzen aus einem See. Ein skuriles Bild. Noch während sie auf den vermeitlichen Schatz zuschlenderte, tobten Gedanken in ihrem Kopf. Ob Taniz die Papiere wohl hier versteckte? Sie als unwichtig tarnte? Niemand würde hier suchen. Vielleicht war es ganz einfach und sie war gleich am Ziel angekommen. Behutsam kniete die Katze sich vor die Kiste und zog wahllos ein Pergament heraus. Es war zu dunkel um die schwarze Tinte lesen zu können. Doch gerade als sie aufgeben wollte gegen die Dunkelheit zu kämpfen, erinnerte sie sich, vorhin eine alte Gaslampe entdeckt zu haben, irgendwo zwischen dem fetten Otter und einem Beistelltisch. Und tatsächlich, nach ein wenig Sucherei fand sie eine alte, intakte Gaslampe. Als die Katze sie anmachte, war das Leuchten zwar schwach, aber hell genug, dass sie etwas erkennen könnte. Erneut bahnte sie sich ihren Weg zur Kiste und sackte davor in den Schneidersitz, die Lampe stellte sie auf dem Boden vor sich ab. Dann ergriff sie erneut ein Pergament. „Herzlichste Glückwünsche an die Wesirin“, las sie im Flüsterton. Hoffentlich war nicht alles voller sinnloser Grußkarten. Latui steckte ihre behandschuhte Hand in das Meer aus Papieren und zog eines von weiter unten hervor, um es vor die Lampe zu halten. „Liebe Taniz. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“ Die Diebin kniff die Augen zusammen. Es war eine sehr ungeübte Schrift und daher schwer zu lesen. Sie versuchte es noch einmal und langsam hatte sie den Dreh raus. Liebe Taniz, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Lange diene ich dir nun und du bist mir eine treue Freundin geworden, neben einer guten Herrin. Anfangs ließ ich dich gewähren, was auch immer du wolltest, du konntest es tun. Doch dann wurdest du Wesirin einer Stadt, die wundervoll ist. Ebenso wundervoll wie du. Latui hielt inne, denn die Tinte war an dieser Stelle zu sehr verblasst. Erst am Ende der Seite konnte sie weiterlesen. Diese Leidenschaft, dieses Feuer. Ich kann nicht widerstehen, dir meine tiefste Zuneigung zu gestehen. Keine Frau ist wie du. Ich weiß wir werden niemals beisammen sein können. Aber ich möchte nicht irgendwann im Grabe liegen, ohne dass du es weißt. In Liebe, P. P wie Pevius? Latui kombinierte die Fakten zu einem großen Ganzen. Zu einem Plan. Das war zu schön um wahr zu sein, dass sie diesen Brief gefunden hatte. Wenn Blauschweif die Wesirin dermaßen verehrte, würde es ein Leichtes sein ihn zu erpressen. Die Diebin hatte zwar nur leere Drohungen dabei, aber wenn er sich um Taniz sorgte, würde er die Pläne bestimmt herausrücken, ganz sicher. Gerade als Latui aufstehen wollte, ertönte ein lautes Poltern genau unter ihr. Es klang als hätte jemand einen Schrank umgeworfen, oder etwas vergleichbar Großes, das auf dem Boden zerschellte. Stimmen wurden laut. „Ey!“, schrie jemand energisch. Dann eine andere Stimme. „Alarm..ahlhagh!“ Was war da unten bloß los? Sie konnten die Diebin unmöglich entdeckt haben, etwas anderes musste dort vor sich gehen. Flink löschte sie die Gaslampe und wagte sich zur Dachbodenluke, die durch eine ausfahrbare Leiter in den zweiten Stock führte. Vorsichtig zog sie die Falltür einen Spalt breit nach oben und riskierte einen Blick auf den Fußboden unter ihr. Latui sah direkt in weit aufgerissene tote Soldatenaugen. Von einem unheimlichen Schaudern begleitet fiel ihr sofort auf, dass der Tote unnatürlich steif auf dem Holzboden lag. Seit dem lauten Aufschrei waren nur wenige Augenblicke vergangen und es war unmöglich, dass er sich jetzt schon in diesem Stadium der Totenstarre befand. Die Katze erinnerte sich schleierhaft an ein Buch über Dämonologen und Nekromanten, das sie vor kurzem gelesen hatte. Noch bevor die Bilder in ihrem Kopf ankamen, drängte sie diese gewaltsam ins Reich der Mythen und Mysterien zurück. Hysterie oder Panik war das Letzte was sie gebrauchen konnte. Lautlos schloss sie die Falltür wieder und fasste sich mit einer Hand konzentriert an die Stirn. Die Diebin ging die Fakten kurz durch: Ein Mörder tötete offenbar ohne Schwierigkeiten Taniz Leibgarde und war im Nu wie vom Erdboden verschluckt. Auch jetzt hörte sie rein gar nichts, außer ihren eigenen leisen Atem. Der Eindringling hatte Latui keinesfalls entdeckt, sonst wäre er längst hier oben aufgetaucht um ihrem Zeugendasein ein Ende zu bereiten. Und was sollte sie jetzt tun? Hin und her gerissen zwischen ihrer Pflicht die Pläne zu besorgen und der Vermutung, dass der Unbekannte sie bereits hatte, wippte sie auf Knien hin und her. Dann sah sie wieder den starren, leblosen Soldaten vor sich, mit den panisch verzogenen Augen, als hätte ihm jemand qualvoll seine Seele aus dem Körper gezogen. Falls so etwas möglich war. In diesem Moment wünschte die Katze sich in den hohen Norden, wo sie mit kleinen cimmerischen Kindern einen Schneemann bauen konnte, was auch immer so ein Kugelmann nun war. Keine Zeit jetzt melodramatisch zu werden, hörte sie sich in Gedanken selbst spotten. Ihre innere, ketzerische Stimme hatte Recht. Außerdem hatte sie ja noch mindestens fünf Katzenleben übrig, um dem Tod von der Schippe zu springen. Diese unsinnige Vorstellung hatte sie schon immer belustigt und ihr ein breites, verschmitztes Grinsen ins Gesicht gemalt. Jetzt aber wirkte dieser Eindruck sich in aufkeimender Entschlossenheit aus. Latui würde diese gottverdammten Pläne besorgen, egal wie. Doch bevor sie sich eine geeignete Taktik ausmalen konnte, traf ein stechender Geruch ihre Sinne. Überrascht stülpte sie ihre Maske unter die Nase. Es roch intensiv nach sehr teurem Holz, das musste Ebonesche sein. Aber auch etwas verkohlt. War das etwa Rauch? Das Stück Stoff glitt langsam in seine ursprüngliche Position bis unter die Augen zurück, während die Katze erneut die Tür im Boden aufschob. Ein Schwall von heißer Luft, gemischt mit Asche und einer dichten Rauchwolke, schlug Latui förmlich ins Gesicht. Sofort ließ sie die Tür los und fiel nach hinten gegen die Pergamentkiste. Ihre maßgeschneiderte enge Kleidung aus dunkelblauer fester Seide war plötzlich schwarz vor Ruß. Es dauerte einen Augenblick bis sie realisierte, was das bedeutete. Taniz Haus brannte. Dann ging alles ganz schnell. Elegant schwang sich die Katze mit einem Satz auf die Beine und sprintete zu der Luke, durch die sie eingestiegen war. Der Holzboden unter ihren Füßen begann Feuer zu fangen. Wie ein Panther sprang sie die alten, gestapelten Kisten hinauf um an die Dachkannte heranzukommen. Mit einem Ruck rettete sie sich ins Freie. Doch Zeit zum Verschnaufen blieb der Diebin nicht: Um sie herum bildete sich bereits eine dichte Wand aus Asche, unablässig strömte Rauch aus den kleinen Fenstern und stieg empor, sodass ihr Atmen auf dem Dach schwer viel. In gebückter Haltung und hustend hastete sie zum Rand des Hauses, um sich auf eines der naheliegenden Dächer zu retten. Die Katze konnte den Abstand zwischen den Häusern nur erahnen, denn sehen konnte sie nichts. Nichts außer dichtem Nebel. Der Sprung missglückte. Latuis Körper schlug stattdessen unsanft gegen eine der Mauern und schlitterte an dieser hinunter, bis die Diebin mit einem dumpfen Aufprall auf dem harten Sand gebremst wurde. Ihr teurer Umhang hatte sich im Fall um sie gewickelt und sie vor den meisten Schürfwunden bewahrt, doch die Schwerkraft, mit der sie am Boden in den Sand gedrückt wurde, quetschte der Diebin allen Sauerstoff aus den Lungen. Sich krümmend japste sie nach raucherfüllter Luft. Mit aller Willenskraft drehte Latui sich auf den Bauch und kroch auf dem sandigen Innenhof vorwärts. Bloß weg von hier. Nach einer Ewigkeit, so kam es ihr vor, erreichte sie eine kleine schattige Gasse zwischen zwei Häusern, in welcher ihr Hustenanfall schließlich ein Ende fand. Dankbar für ihr Leben und etwas Sauerstoff lehnte sie sich mit dem Rücken an die Hauswand. Latui fühlte sich wie ausgekotzt. Die salzige Meeresluft, die von den Akhet-Docks zu ihr herüber wehte, rüttelte an den Sinnen der Diebin und machte sie wieder empfänglich für Ihre Umwelt. Schwer atmend sah sie sich um. Direkt vor ihr war der Eingang zum „Besoffenen Seemann“, der ihr seit der letzten Schlägerei vor einigen Wochen stets im Gedächtnis geblieben war. Im Gegensatz zum „Schlangenkopf“ ein schummriger Schuppen, voll mit Pennern und wie der Name schon sagte, betrunkenen Matrosen sowie Piraten. Wenn sie ihre Wertsachen behalten wollte, sollte sie besser verschwinden. Latui schleppte sich mit Mühe durch die staubigen Sträßchen des Hafenviertels, bis sie an einem kleinen, steinernen Brunnen angekommen war. Aus unzähligen Schlangenköpfen, dem Symbol des stygischen Gottes Set, flossen feine Rinnsale sauberen Wassers. Die Katze zog die Maske herunter und spritzte sich das kühle Nass ins verschwitzte Gesicht. Diese Brunnen waren gottseidank in der ganzen Stadt anzutreffen, doch wofür sie genau da waren, wollte Latui gar nicht wissen. Denn irgendwann hatte sie mal Blutflecken daran entdeckt, gemischt mit bitterem, giftgrünen Schlangengift und einer fremdartigen Flüssigkeit. Nach diesem Fund hatte sie ihre Nachforschungen eingestellt. Doch wieder war der Diebin keine lange Pause vergönnt. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie gerade noch eine verhüllte Gestalt, gebückt in Richtung der Marktstraße in den Schatten verschwinden. Das musste der Mörder sein. Vielleicht war es blöd einer solchen, aus der Luft gegriffenen Vermutung nachzugehen, aber die Katze vertraute ihrer Intuition. Sie wusste einfach, dass sie Recht hatte. Gebeutelt zog sie sich an dem Brunnen hoch. Ihr ganzer Brustkorb schmerzte höllisch als sie halbherzig in einen Laufschritt verfiel. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, als diesen Kerl zu finden. Um nicht den Anschein zu erwecken, sie habe das Haus angezündet, rannte sie durch leere Seitengassen, von wo sie immer wieder die große Handelsstraße sehen konnte. Eine riesige Menschenmasse drängt in Richtung der Rauchwolke die Taniz Haus umgab, hier und da ertönten schrille Schreie. Der bloße Wille schleppte Latui vorwärts, ihre Beine hatten längst aufgegeben. Doch die Diebin wurde belohnt: Auf der Kreuzung zum Schlangenkopf, der Schenke für die bessere Bevölkerungsschicht, bog die Gestalt unauffällig in Richtung einer kleinen Strandzunge ein. Latui verharrte hinter einer Sandsteinmauer und versuchte krampfhaft ihre Atmung zu beruhigen. Vorsichtig spähte sie aus ihrem Versteck hervor. Der vermeintliche Mörder traf sich mit einem vernarbten, alten Mann in Seemanskluft, der für sein Alter ziemlich grazil aus einem Anlegeboot hüpfte. Weit draußen auf dem Meer erkannte die Diebin ein Segelschiff. Es musste rießig sein, wenn es von hier aus noch zu sehen war. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie davon halten sollte. „Ahh Meister Lekhtor. Endlich. Ich warte schon den ganzen Tag hier, ziemlich langweilig. Gab es etwa Probleme?“ Der Alte ging auf den vermummten Mann zu und streckte seine zerfurchte Hand aus. Wortlos legte die dunkle Gestalt ein Pergament hinein. Der Alte lachte zufrieden. „Sehr gut, dann können wir nach kleiner Verspätung mit der Suche beginnen! Ich dachte schon der Wesir lässt mir meinen Kopf von den Schultern schlagen!“ Als der Seemann lachte, hörte Latui eindeutig Erleichterung heraus. Was aber viel wichtiger war: Es gab gar keinen Wesir, nur Taniz. Von wem sprachen die beiden also?Wie auf Kommando wurde ihre stumme Frage von dem vermeintlichen Mörder beantwortet. „Noch ist er kein Wesir. Aber je schneller ihr mit der Suche beginnt, Kapitän, desto schneller wird er es sein. Und Ihr dürft euren Kopf behalten.“ Seine Stimme klang rau und irgendwie dreckig. Der Seemann verstummte. „Gut, ich sehe schon, Ihr habt keinen Sinn für Alte-Männer-Humor. Morgen werden wir in den Marschen eintreffen und mit der Suche beginnen.“ Während Lekhtor sich wortlos abwandte und somit das Gespräch beendete, schob der Alte das Beiboot kräftig von der Sandzunge zurück ins Wasser, so weit, dass er selbst bis zur Hüfte eintauchte. Dann schwang er sich samt Pergament hinein und begann langsam in Richtung des großen Schiffes am Horizont zu rudern. Latui konnte es nicht glauben. In den Händen des Seemanns war ihr Grabungsplan, genau der, welchen sie aus Taniz Haus hatte stehlen wollen. Und dieser alte Mistkerl war drauf und dran damit abzuhauen. Die Katze sackte in sich zusammen, völlig fertig. In ihrem Zustand konnte sie nicht einmal den Stock eines krüppeligen Bettlers am Straßenrand stehlen, geschweige denn, die Karte zurückholen. Mit einem Mal fühlte sie sich völlig hilflos. Sie hatte versagt. Es war schon spät, die Sonne ging langsam unter und tauchte Himmel und Meer in wunderschöne warme Farben. Das kleine Bötchen glitt seelenruhig übers Wasser, bis es bald nicht mehr zu sehen war. Das tiefglühende Abendrot der Sonne versank langsam im Meer und mit ihr alle Hoffnungen einer verzweifelten Diebin. Kapitel 5: ----------- „Hohepriester Medarin, Meister Huron ist eingetroffen.“ Noch während der Tempelwächter sprach, wurde die massive Eichentür rücksichtslos aufgestemmt und die schönen Goldornamente, den Gott Mitra zeigend, schlugen erbarmungslos gegen die Wand. Zeiren ließ die Türflügel los und machte einen Schritt zur Seite, grimmig die Arme verschränkend. Huron trat langsam ein, während seine kalte Aura und der Anblick seiner tiefschwarzen Lederpanzerung die Priester und Diener im Raum sofort verstummen ließen. Die Halle war riesig, doch mit einem Mal schien sie sich unter seiner Präsenz zusammenzuziehen. Die Anwesenden rückten näher beisammen, die Lichter im Tempel verloren ihren schimmernden Glanz und der ganze Prunk aus Gold und Platinum hörte auf zu glänzen. Medarin fröstelte es kurz, bis er allmählich seine Stimme wiederfand. Er stand von seinem ledergepolsterten Stuhl auf und ging um den Tisch herum. „Meister Huron, wie schön, dass Ihr wohlbehalten angekommen seid.“ Ein Hauch von Bedauern oder Sarkasmus schwang in seinen Worten mit, als er sich zusätzlich zu einem ausdruckslosen Lächeln zwang. „Nur keine falsche Freundlichkeit, Priester.“ Der Schatten ließ Medarin mit seiner Begrüßung alleine stehen und hatte sich, mit den Händen auf dem Rücken verschränkt, gemächlich einen Weg zu dem marmornen Schreibtisch gebahnt, auf dem allerlei Dokumente verstreut lagen. Eines davon nahm er in die Hand um es zu mustern. „Wie ich hörte, Medarin, wurden in den vergangenen Tagen einige Dörfer unter Eurem Schutz überbefallen?“ Die Anschuldigung stand im Raum wie eine schwere Rauchwolke. Der Priester kniff die Augen zusammen und setzte eine äußerst missmutige Miene auf. Der Schattenmeister drehte sich nicht einmal um. „Hab ich einen Dolch im Rücken, Priester, oder wieso starrt Ihr mich so an.“ Huron konnte hören, wie Medarin der Atem stockte und labte sich genüsslich an dem Erstaunen und der Angst, die mittlerweile den Raum ausfüllte. So war es gut. Sie alle würden bald vor ihm erzittern, wenn er diesen lästigen Hohepriester erst einmal aus dem Amt geräumt hatte. Huron schmunzelte als hinter ihm Medarins Stimme ertönte: „Raus, ihr alle!“ Eilig strömten die Diener aus der Tempelhalle hinaus, nur Zeiren zeigte sich davon wenig beeindruckt und wartete auf Hurons Befehle. Der Schatten nickte seinem Herold zu, den Raum zu verlassen. Einen Moment später fiel die schwerfällige, stabile Holztür mit einem lauten Krachen zu und eine eisige Ruhe kehrte ein. Huron legte das Pergament beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust während er sich auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch niederließ. Dann sah er den Priester mit einem kalten Schmunzeln an. „Huron!“, schrie Medarin völlig außer sich, „was glaubt Ihr was Ihr seid? Hier so aufgeblasen einzudringen und sich so in einem Tempel zu verhalten, der dazu auch noch Mitra geweiht ist!“ Wütend stürmte er zum Schreibtisch und beugte sich zu dem Schatten, seine Hände schlugen auf den Tisch, dass die Blätter nur so davonflogen. „Ihr seid ein Niemand und ich werde dafür sorgen, dass Ihr auch ein Niemand bleibt! Glaubt ja nicht Ihr könnt mich täuschen oder einschüchtern, wie alle anderen hier. Ich werde diese Spielchen nicht dulden!“ Huron hatte nicht einmal geblinzelt, lediglich, seine Mundwinkel zuckten und ließen sein seichtes Grinsen kurzzeitig wie eine dämonische Grimasse wirken. Langsam stand der Schatten auf, stemmte seine Hände ebenfalls auf den Tisch und fixierte Medarins Augen mit seinem eiskalten Blick. Hurons Stimme war der kalte Hauch einer unausgesprochenen Drohung. „Wo sind Eure Manieren geblieben, Medarin?“ Eine funkengeladene Stille schob sich dazwischen, doch Medarin gab nicht nach. Seine Augen glänzten vor Wut. „Wenigstens ist mir noch eine Seele und ein Herz für mein Volk geblieben!“ „Wollt Ihr damit sagen, ich hätte keines von beidem mehr?“ Ein kühles, wissendes Schmunzeln stahl sich auf die Lippen des Schattenmeisters. „Ihr seid ein intrigantes Monstrum Huron und wenn sich die Gelegenheit bietet werde ich Euch ausradieren!“ Wieder stemmten sie ihre Blicke gegeneinander. Doch diesmal war es Huron, der mit einer unausgesprochen großen Beherrschung in der Stimme das Wort ergriff: „Wenn Ihr die Überfälle in Kopshef nicht in den Griff bekommt, sehe ich mich gezwungen, mein Misstrauen Euch gegenüber im Rat zu äußern.“ „Deswegen seid Ihr hergekommen? Um mir das zu sagen?“ „Ich bin bestimmt nicht hier, weil Ich euch so sehr bewundere. Und Zeit für Euer Geschrei habe ich auch nicht, Priester.“ Medarin schwieg darauf, kochend vor Zorn. Ohne den Priester eines Blickes zu würdigen, wandte Huron sich ab. Bedächtig setzte er seine Schritte durch den Raum, als Zeiren wie auf Kommando die Tür für ihn öffnete. Zufrieden vernahm der Schatten, wie Medarin auf den Tisch schlug. „Ihr seid wie ein widerliches, wucherndes Geschwür, Huron.“ Huron passierte bereits die Tür, als er kurz stehen blieb und belustigt die Augen schloss. „Hütet eure Zunge Medarin Isakroth, sonst könntet ihr mit einem solchen Geschwür am Hals aufwachen.“ Mit einem lauten, endgültigen Knall fiel die Tür zu. Die gesamte Dienerschaft vor der Tür huschte erschrocken und wild durcheinander zur Seite, als die beiden ungeliebten Gäste die Tempelhalle verließen. Einzelne von ihnen verbeugten sich demütig, andere waren scheinbar froh, sich in eine dunkle Ecke gedrängt zu haben. Ein kleines Chaos verzweifelter Angst. Der Schatten lief grimmig neben Zeiren her, während seine finstere Miene noch dunkler wurde. Dieser Medarin hatte sich eindeutig übernommen, noch einmal würde er sich das nicht gefallen lassen. Aber es würde nicht mehr lange dauern, bald war seine Zeit gekommen. „Die Angriffe auf Kopshef verstärken?“, fragte der Herold ohne die Augen von den prunkvollen Palastgängen zu nehmen. Dieser Tempel war eine beeindruckende Mischung aus Sandstein und Marmor, gespickt mit Statuen und Gemälden, die Mitra zeigten. Wie er die Menschen segnet, wie er Kranke heilt. Alle paar Schritte konnte man neue Wundertaten des Gottes bestaunen. Huron nickte nur schlecht gelaunt. „Wie spät ist es?“ „Die Sonne ist vor einer halben Stunde untergegangen.“ Der Schattenmeister warf nun selbst seinen Blick aus einem der Fenster, während sie fast am Ausgang angekommen waren. „Gut, dann gehen wir ein Kätzchen einfangen.“ Schweigend traten die beiden in die wohlige Dunkelheit Khemis und ließen den Tempel samt Priester hinter sich. Kapitel 6: ----------- Latui lehnte nervös an einem brüchigen Treppengeländer. Die Mauern einer alten, baufälligen Sandsteinruine im ältesten Viertel Khemis schirmten sie vor neugierigen Blicken ab. Niemand außer ein paar Bettlern würde sich hier aufhalten, vor allem nicht um diese Uhrzeit. Ein gut gewählter Treffpunkt, musste sie zugeben. Die Diebin drehte sich auf der beengenden Treppe, welche an der äußeren Hauswand angebracht war, um und blickte auf die ruhige Bucht. Das Wasser sah bei Nacht aus wie flüssiger Onyx, vor allem weil es von keiner noch so kleinen Welle erschüttert wurde. Nur die schwachen Lichter von Fackeln am Ufern zauberten flackernde Sterne hinein. Sie hatte keine Zeit gehabt ihre Kleidung zu wechseln oder zu waschen. Zu lange war sie immer wieder auf der Hafenstraße umhergestrichen. Einmal fest entschlossen wegzulaufen, zu verschwinden und alles zu vergessen. Aber jedes Mal wenn sie vor dem Fährboot stand, drehte sie sich auf dem Absatz weg, um sich doch mit Huron zu treffen. Ein heftiger, innerer Kampf, den die Dummheit gewonnen haben musste. Ansonsten konnte Latui sich nicht erklären, warum sie jetzt hier war. Ein leises Knirschen, mehr ein Gefühl ließ sie herumfahren. Tatsächlich, einen Augenblick später hielt sie die Luft an: Huron und Zeiren tauchten auf dem spärlich beleuchteten, kleinen Weg auf. Dieser Moment, den sie so fürchtete, wurde noch viel schlimmer als die Diebin ihre grimmigen Gesichter im Halbdunkel erkennen konnte. Hatten sie es etwa schon herausbekommen? Unmöglich. Mit aller noch verfügbaren Willenskraft sammelte Latui sich innerlich. Ihre Atmung beruhigte sich, der Blick wurde ausdruckslos und recht lässig lehnte sie sich zurück an das Geländer. Wenn man dem Schattenmeister mit Angst begegnete, hatte man schon verloren. Huron bedeutet seinem Herold zu warten, dann kam er alleine durch die dunkle, enge Gasse auf die Diebin zu. Latui schaffte es ruhig zu bleiben, als der Schatten sich zu ihr auf die Treppe stellte. Er stand so nah, dass sie seinen Atem hören konnte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie hoffte nur, er würde sie nicht in der Bucht unter ihr ertränken. Es waren vielleicht zwei Schritte bis zum knietiefen Wasser, aber das würde ausreichen um sie elendig verrecken zu lassen. Mit einem missmutigen Kopfschütteln verdrängte sie diese Tatsachen aus ihren Gedanken. Die Fronten mussten geklärt werden, egal wie. „Ich hoffe du hast was ich begehre, Katze“, schnitt er ihre Fantasien mit kalter Stimme ab. Latui versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten, oder den seiner Augen. Aber sie fand nichts als Gleichgültigkeit und absolute Leere. Es war zwecklos darin nach Gefühlen zu suchen. „Ich habe die Papiere nicht…“, kam es der Diebin langsam und bedächtig über die Lippen. Gespannt wartete sie eine Reaktion ab. Doch nichts rührte sich, außer dass seine Mundwinkel leicht zuckten. Wobei sie hätte schwören können, dass sie das immer taten. „Also ich habe sie nicht, aber…“ Mit einem Mal umfasste Huron Latuis Hals so schnell und fest, dass sie aufkeuchte. Reflexartig legte die Diebin beide Hände um seine behandschuhte rechte Hand, welche ihre Kehle gnadenlos strangulierte. Sie war vor Schock wie gelähmt. Wie hatte er sich so schnell vor sie gedrängt? Sie fühlte, wie sie langsam in Rückenlage geriet und warf verstohlen einen Seitenblick nach unten: Huron drückte sie so fest gegen das morsche Geländer, dass es beinahe aus dem alten Standstein herausbrach. Jeden Moment würde sie mit dem alten Stück Holz zusammen ins Wasser fallen. Doch sein Griff war eisern und hielt sie in dieser misslichen Lage fest. Latui wand sich und zog mit beiden Händen an seinen Fingern, bewirkte aber nichts, außer dass ein lebloses Schmunzeln auf seinen Lippen erschien. Langsam begann sich die Welt zu drehen, ihre Lungen ächzten nach Luft. Huron packte Latuis Kinn bestimmend und drehte ihren Kopf so, wie er ihn gerade haben wollte. „Sieh an, das Kätzchen hatte einige Probleme.“ Missbilligend nahm sie seine Musterung hin, was sollte sie auch tun? Ihn wegdrücken? Es schien ihr alles plötzlich so surreal, dass sie verwegen grinste. Der Körper dieses Mannes war eiskalt, und sie spürte seinen Herzschlag nicht. Das konnte alles nur ein schlechter Traum sein. Wahrscheinlich war sie längst ohnmächtig oder tot. Der Schattenmeister schien ihr Grinsen selbst unter dem Stoff der Maske bemerkt zu haben, denn er drückte ihre Kieferknochen schmerzhaft zusammen und holte sie mit einem Mal in das Hier und Jetzt zurück. „Au!“ „Belustigt dich meine Anwesenheit etwa?“ Er riss sie brutal von dem morschen Geländer weg und presste sie mit der vollen Wucht seines harten Körpers gegen die Außenwand der Ruine. Latuis Hinterkopf brannte höllisch vor Schmerzen, ihr Brustkorb erzitterte. Sein kalter Blick, aus den abgrundtiefen, eisblauen Augen durchbohrte die Diebin. Seine Nasenspitze berührte fast ihre Maske und sie hatte große Mühe, sich zu beruhigen. Bloß keine Angst zeigen, das konnte und musste der einzige Weg hier raus sein. Wenn sie jetzt unter ihm nachgeben würde, war alles umsonst. Entweder versuchte sie sich seinen Respekt zu ergattern, oder sie würde sterben. Latuis Intuition hatte sie noch nie im Stich gelassen und sofort gehorchte ihr Herzschlag. Die Diebin hatte nicht jahrelang trainiert um in solch einer Situation zu versagen. Sie schluckte alle Bedenken und Schmerzen mit einem Mal hinunter. Und dann strahlten ihre gelben Augen wieder voller Selbstbewusstsein: der gerissene Blick einer Raubkatze. „Du bringst mich um!“, keuchte Latui dem Schattenmeister entgegen, während ihre Finger sich in seinen Handschuh bohrten. „Nenn mir einen Grund warum ich dich nicht töten sollte, nachdem du versagt hast!“ Der Griff um ihren Hals verstärkte sich wieder und der Schatten drückte ihren Kopf nach hinten, sodass sie gezwungen war, ihn anzuschauen. „Jeder Anfänger hätte die Pläne besorgt. Und du hast versagt. Wir hatten eine Abmachung.“ Dass Huron sichtlich gereizt war, entging ihr nicht. Aber vielleicht konnte eine andere Information ihn milder stimmen. Mit allen Kräften legte sie ihre Arme auf seinen ab, mit dem Versuch sich hochzudrücken, um nicht zu ersticken. Ihre gelben Katzenaugen erwiderten seinen Blick starr, als sie einige Worte aus ihrem geschundenen Körper presste: „Taniz Haus wurde angezündet. Ein anderer hat die Pläne mitgenommen. Es gibt noch jemanden, der sie haben will.“ Hurons Gesicht ließ keine Schlüsse auf Emotionen zu und langsam fragte Latui sich, ob er überhaupt welche hatte. Dieser in jeder Hinsicht unterkühlte Mann vor ihr war einfach nicht zu durchschauen. Der Schatten nahm den Blick nicht von der Diebin und so starrten sie sich an, beide triefend vor Arroganz. Der Moment zog sich ins Unendliche, bis er ihren Kopf ruckartig weiter nach hinten drückte. Dann fuhr er mit seinem Daumen langsam, fast zärtlich, über eine Schürfwunde an Latuis Wange, sein kalter Blick ließ sie nicht los. „Wer ist es, Kätzchen?“ „Es ist Fehed.“ Sie spürte wie sein gesamter Körper sich bei dem Namen verspannte. Mit stummer Wut ballte er seine Hand zur Faust und die Naht an seinem Lederhandschuh bohrte sich dabei in die wunde Stelle in ihrem Gesicht. Latui biss sich mit einem leisen, schmerzverzerrten Stöhnen auf die Unterlippe. Huron sah sie eindringlich an. „Bist du dir sicher?“ „Verdammt ja! Ich habe die Pläne nur nicht bekommen weil seine Leute vor mir da waren und in Taniz Haus ein Feuer gelegt haben! Ich bin einem von Ihnen gefolgt und habe ihn belauscht.“ Erst nach einer erdrückenden, halben Ewigkeit trat Huron unerwartet einen Schritt zurück, ließ sie los und Latui sackte schwer atmend in sich zusammen. Dankbar gruben sich ihre Finger in den sandigen Boden. Der Schattenmeister musterte die Katze von oben bis unten, schien sich jedes Detail und jede Schramme einzuprägen, bis er ihren Blick wieder einfing. „Steh auf.“ „Was?“ Verwirrt schaute Latui ihn aus großen Katzenaugen an. „Sieh dich an, ein Haufen Elend auf vier Pfoten. So kann ich dich nicht gebrauchen.“ Unsanft packte er Latui am Arm und zerrte sie hoch. Ihre Brust fühlte sich von dem Einbruch, dem Würgen und Herumschleudern grauenvoll an. „Ich hasse dich“ sagte sie leise knurrend, mehr gab ihre Stimme nicht mehr her. „Ich weiß.“ Er wischte den kleinen Bluttropfen von ihrer Wange und packte sie fester am Arm, sodass sie gegen seine Brust torkelte. „Wenn du versucht wegzulaufen oder Unsinn machst, wirst du den darauffolgenden Tag nicht erleben“, hauchte er ihr entgegen. Der Schatten versicherte sich, dass seine Drohung bei ihr angekommen war, dann ließ er sie unsanft auf die Treppe sinken. „Morgen findest du Fehed. Ich denke du weißt was zu tun ist.“ „Ich brauche keine Pause, danke der Nachfrage“, knurrte sie mit bösem Blick, als er sich abwandte. Huron nahm die Stufen der Treppen mit zwei Schritten und als er bei Zeiren stand, drehte er sich noch einmal um. „Mach nichts Dummes Kätzchen – ich finde dich.“ Einen Augenaufschlag später waren sie in der Nacht verschwunden. Erschöpft lehnte die Diebin sich an die Hauswand. Es war ihr tatsächlich gelungen. Sie war immer noch am Leben und ihre Abmachung war wieder gültig. Schutz, für ihre Fähigkeiten. Augenblicklich meldete sich ihr durch den Misserfolg gekränktes Ego und sie zog sich auf die Beine. Diesmal würde sie nicht versagen. Aber zuallererst musste sie diese dreckigen Klamotten loswerden. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Zögerlich ging die Sonne am östlichen Horizont auf und tauchte Khemi in ein Meer aus tiefrotem Licht. Ihre Strahlen schlichen sich durch die noch schlafenden Straßen, ließen Sandsteinhäuser zart schimmernd erstrahlen und verwandelten das Wasser am Hafen in einen glitzernden Diamantenteppich. Ein wunderschöner Morgen zog über der Stadt auf, der zögerlich die Bewohner auf die Gassen lockte. Latui hatte heute Nacht nicht geschlafen. Zumindest zählte sie unruhiges Hin- und Hergewälze nicht dazu. Dementsprechend konnte sie sich gut ausgereifter Augenringe erfreuen, die sie mit dem Hochrücken der Maske zu kaschieren versuchte. Bei manchen schreckhaften Gesichtern der Schiffspacker und Haremsdamen war sie sich aber fast sicher, dass es nicht funktionierte. Es lief eben nicht jeden Morgen eine vollmaskierte, mit Schrammen übersäte, humpelnde Frau seelenruhig die Marktstraße entlang und erwiderte großzügig böse Blicke. Die Katze fühlte sich wie von einem Großraumfrachter überfahren. Dieser arrogante, selbstgefällige Mistkerl von Schattenmeister. Latui hoffte er würde von einer Klippe stürzen und sich dabei alle Knochen brechen. Huron innerlich verdammend, kam sie schließlich vor den Treppen zum Schlangenkopf zum Stehen. Noch nie waren ihr die glatt geschliffenen Steintreppen so grausam vorgekommen: zehn Stufen, dann nochmal zehn um die Ecke, bis zum kleinen Innenhof. So musste es sich angefühlt haben, als irgendein cimmerischer Soldat als erster den Nebelberg bestiegen hatte. Die fein gearbeiteten, eisernen Schlangenköpfe auf dem breiten Treppengeländer aus Sandstein, waren in Griffweite und kamen Latui daher nur gelegen. Von einem Schmuckstück zum nächsten zog sie sich vielmehr die Treppe hinauf, als dass sie lief. Völlig fertig erreichte sie schließlich den kleinen Innenhof, wo schon zwei in bunte Tücher gehüllte Tänzerinnen ihre schlanken, tätowierten Körper zur Schau stellten. Doch sofort nachdem sie die Diebin erblickt hatten, verschwanden sie ängstlich tuschelnd im Inneren der Schänke. Latui fragte sich allmählich, ob sie wirklich so schrecklich gruselig aussah. Zum Glück war alles was im Schlangenkopf zählte Silber oder Gold. Und davon besaß sie einiges. Vielleicht war es nicht die sauberste Arbeit sich an anderen Leuten zu bereichern, aber lukrativ war sie alle mal. Außerdem kannte die Diebin keine Katze, die nicht gerne fremde Näpfe plünderte.Nach einer kurzen Verschnaufpause konzentrierte sie sich darauf, ihre Schmerzen zu ignorieren. Schwäche konnte sie sich bei ihrem neuen Vorhaben nicht erlauben, vor allem nicht Fehed gegenüber. In ihrer Schlaflosigkeit hatte Latui Berichte und Zeitungen der letzten Wochen studiert und mit einer gewissen Interpretationsgabe festgestellt, dass Fehed ein abgebrühter Taktiker sein musste. Alles was er tat, jeder Satz den er sagte, baute auf einem großen Ganzen auf. Doch was das Ziel seines Handelns war, das musste sie wohl oder übel selbst herausfinden. Aber wenn sogar Huron mit dem Schlimmsten rechnete, dann musste es sich ja um etwas sehr Großes handeln. Latui trat durch zwei rote Samtvorhänge in den Schlangenkopf ein. Das Licht war gedämpft und beschränkte sich lediglich auf Kerzen und kleine Fackeln an den Wänden. Die Decken waren zu flachen Kuppeln gewölbt und an den Seiten waren überall Sitznischen eingelassen, vollgestopft mit bunten Seidenkissen. Die runden Tische waren nur kniehoch, von Sitzkissen umgeben. An den dunklen Wänden hingen prächtige Wandteppiche und Gemälde, welche leichtbekleidete Tänzerinnen zeigten. In der kleinen Eingangshalle, in der die Diebin sich noch befand, stand ein massiver Eichentresen. Hier konnte man Getränke, Frauen und Zimmer bestellen: ein stygisches Paradies. Latui schnipste dem schrill gekleideten Schankwirt im Vorbeilaufen geschickt ein Silberstück zu. Dieser steckte es umgehend ein und verbeugte sich leicht. „Willkommen im Schlangenkopf! Einen angenehmen Aufenthalt.“ Das schätzte die Diebin hier am meisten. Keine Fragen, keine Bemerkungen, einfach pure Anonymität. Sie fühlte sich sofort besser in dem Schummerlicht des großen, verwinkelten Raumes, ihr Blick glitt gelassen über die noch fast leeren Sitzecken - und blieb abrupt an einem maskierten Mann hängen. Neben seinem Tisch ruhte ein Zweihandschwert und er nippte genüsslich an einem Weinkelch, während er die Diebin über den Rand hinweg beobachtete. Latui rollte mit den Augen. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Missmutig seufzend ging sie auf seinen Tisch zu und ließ sich vorsichtig in ein weiches Kissen sinken. Balsam für ihren kaputten Körper. Ihm gegenüber sitzend konnte sie nun auch in seine Augen sehen und ihre Vermutung bestätigen: „Zeiren“, hallte es wie ein Schimpfwort in ihrem Kopf. Als hätte sie ihn angesprochen, zog der Herold mit einem geschickten Handgriff seinen Mundschutz komplett aus dem Gesicht und legte ihn liebevoll auf seinem Bihänder ab. „Etwas zu trinken?“, fragte er fast höflich, aber sein verwegener Gesichtsausdruck sprach eine ganz andere Sprache. Ohne auf eine Antwort zu warten, schenkte er einen zweiten Kelch Wein ein und stellte ihn vor Latui auf den Tisch. Die Diebin verfolgte seine Bewegungen misstrauisch, schaute skeptisch in den Becher und hob ihren Blick schließlich wieder in seine dunkelgrünen Augen. „Danke, aber ich trinke nicht bei der Arbeit“, erwiderte sie kühl. Der Herold lachte leise, sichtlich belustigt, dann nahm er einen großzügigen Schluck aus seinem Kelch. Latui linste auf das Etikett: feinster kushitischer Sorgenbrecher. Der hatte seinen Namen eindeutig verdient. Eine ganze Weile schaute die Diebin ihm einfach zu, wie er trank und sich bedächtig einige Haferkekse in den Mund steckte. Wie um alles in der Welt konnte man mit einer solchen Seelenruhe essen und trinken? Wieder so ein unwirklicher Moment, der sie festhielt. Schließlich nahm Zeiren sich gemächlich einen wohlgeformten Apfel aus der Obstschale und sah wieder zu der Diebin auf. Latui kamen augenblicklich die Bilder von gestern Abend in den Sinn. Genau mit diesem ruhigen Blick musste er ihre Torturen mitverfolgt haben. Ob er Hurons brutale Art wohl guthieß? Denn die Diebin wurde das Gefühl nicht los, dass Zeiren von einem ganz anderen Schlag Mensch war. Und trotzdem schien er mehr zu sein, als nur Hurons Leibwächter, vielmehr eine Vertrauensperson. Wenn sie recht überlegte brauchte jeder Anführer, egal wie grimmig und kalt, jemanden, auf den er sich immer verlassen konnte. Zu gern hätte sie gewusst, wie die beiden Schatten zueinander gefunden hatten. „Na Katze, hast du gut geschlafen?“, fragte der Stygier und riss sie aus ihren Gedanken. Auf eine Antwort wartend, warf er den fruchtigen Ball bis knapp unter die niedrige Decke und fing ihn mit Leichtigkeit wieder auf. Zeiren ließ seinen Blick dabei nicht von der Diebin und lehnte sich gemütlich an einen massiven Stützpfeiler aus Holz, ohne seine Spielerei zu unterbrechen. „Vorzüglich“, antwortete die Diebin emotionslos. Wie auf Kommando rutschte die Maske etwas nach unten und ihre Augenringe präsentierten sich von ihrer besten Seite. Ohne weiter auf den Vorfall einzugehen, schob sie das störrische Stück Stoff wieder dicht unter die Augen. Zeirens breites Grinsen verriet ihr eindeutig, dass sie schrecklich aussah. „Du hast eine Menge Sinn für Humor für eine Diebin.“ „Du bist ein ziemlicher Schnüffler für einen Acolyten.“ Zeiren hielt den Apfel mit einem Mal fest und verschränkte die Arme vor der Brust, immer noch mit diesem verschmitzten Grinsen auf den Lippen. „Sehr scharfsinnig Katze, wirklich scharfsinnig! Du hast also erkannt, dass ich ein Magier in Lehre bin.“ Noch bevor er weiter reden konnte fiel die Diebin ihm ins Wort. Sie klang gelangweilt, als hätte sie einem kleinen Jungen das Spielzeug geklaut. „Jeder halbwegs belesene Mensch mit etwas Beobachtungsgabe hätte das gesehen. Du solltest dich mehr konzentrieren.“ Zeiren lachte wieder leise und biss schließlich in sein saftiges, grünes Spielzeug. Erst als er fertiggekaut hatte, nickte er anerkennend mit dem Kopf. „Was hat mich verraten?“ „Die Kerze.“ Unbeeindruckt streckte Latui einen Finger der behandschuhten Hand aus um auf die kleine Flamme zu deuten. „Sie brannte unregelmäßig, die ganze Zeit. Doch irgendwann fand sie den gleichen auf-und-ab-Rhythmus wie der Apfel.“ „Beeindruckend.“ „Erfahrung.“ Trocken nippte sie schließlich an ihrem Kelch voll kushitischem Sorgenbrecher, ohne dass die Maske ihr Gesicht preisgab. Zeiren wollte den Mund öffnen um etwas zu erwidern, dann grinste er nur undurchschaubar, und griff selbst zum Wein. Plötzlich wurde seine Miene ernst. „Du denkst Huron hat mich geschickt. Aber ich bin nicht deswegen hier.“ Latui hob fragend eine Augenbraue und wartete, bis er fortfuhr. „Was erhoffst du dir von diesem Abkommen mit dem Meister wirklich? Hast du jemals daran gedacht was es eigentlich bedeutet?“ Er klang mehr als belehrend und seine Augen funkelten sie ärgerlich an. Latui zögerte kurz. Was wollte er denn jetzt bezwecken? „Ich suche Schutz Zeiren, das hast du doch gehört.“ „Eine glänzende Idee“, er verdrehte theatralisch die Augen. „Ein kleines Kätzchen sucht Schutz in der Höhle des Löwen. Du begreifst das Ausmaß der Dinge nicht. Hast du etwa gedacht du bringst ihm die Papiere und er gibt dir ein hübsches Zimmer in den Gewölben der Krähen? Hast du das wirklich gedacht?“ Die Diebin schwieg und ihre Miene verfinsterte sich. Was sollte das alles werden? Wollte er etwa, dass sie sich aus dem Staub machte? Ihre gelben Katzenaugen funkelten ihn kühl an, bevor sie ihre Gedanken aussprach: „Zeiren, was willst du mir damit sagen?“ Der Herold konnte es anscheinend nicht glauben, dass sie immer noch nicht verstanden hatte, was er andeuten wollte. Er zwang sich zur Ruhe und beugte sich verschwörerisch über den Holztisch. „Du bist eine kluge junge Frau Katze, mit nicht zu verachtendem Geschick und Scharfsinn. Willst du dein Leben einfach so wegwerfen?“ Als Latui nichts erwiderte, sondern ihren Kelch umklammerte, sprach er weiter: „Huron ist gefährlich! Er hätte dich gestern fast umgebracht falls dir das entgangen ist. Und heute trittst du hier an, als ob nichts gewesen wäre und willst dich allen Ernstes in Feheds vertrauten Kreis einschleusen?“ „So war der Plan“, erwiderte sie knapp, ohne sich ihr Erstaunen anmerken zu lassen. „Zwischen den Stühlen der beiden mächtigsten Männer Khemis. Entweder bist du dumm oder verrückt. Oder beides.“ Resigniert ließ er sich wieder gegen den Holzpfeiler fallen und trank grimmig seinen Becher leer. „Willst du etwa, dass ich abhaue?“, fragte sie schließlich halblaut. „Am besten gehst du in den hohen Norden oder tauchst irgendwo in Aquilonien unter.“ „Ich kann nicht glauben was du da gerade von dir gibst. Wieso?“ Beide sahen sich undurchdringlich an. Zeiren schloss seine grünen Augen und seufzte kaum hörbar. „Weil du anders bist. Und weil du eine Wahl hast.“ Latui war nun noch verwirrter, als die letzten Tage. Jetzt verstand sie absolut gar nichts mehr. Hatte er etwa keinen freien Willen? Als hätte er ihre Gedanken gelesen, beantwortete Zeiren ihre stumme Frage. „Ich bin kein Sklave. Auch kein Diener in dem Sinne. Ich bin ein Schatten, der Huron begleitet und das völlig freiwillig.“ „Und du behauptest ich wäre dumm“, schmunzelte die Diebin sarkastisch. Der Herold ging nicht weiter darauf ein, sondern sammelte seine Gedanken zu Worten: „Du weißt nicht was es bedeutet, ein Schatten des Namenlosen zu sein.“ „Wer ist der Namenlose?“ „Das versuchen wir herauszufinden.“ Zeiren betrachtete abwesend das schimmernde Etikett an der Flasche Sorgenbrecher. „Was du fühlst, ist echt.“ Dann schwieg er. Latuis Kopf drohte zu zerspringen. Soviel Informationen und doch alles nur Rätsel. Unwillkürlich hielt sie sich die Stirn, als könnten die Kopfschmerzen dadurch verschwinden. „Warum sagst du mir das alles?“ Der Stygier antwortet nicht, stattdessen blickte er mit zusammengezogenen Brauen an Latui vorbei. „Sieh mal wer da kommt.“ Unwillig ließ Latui die Frage im Raum stehen und linste unauffällig nach rechts. Ein Mann, etwa so groß wie Zeiren, in eine prächtigen lila Seidenrobe gekleidet, kam mit zwei stämmigen Leibwächter die Treppe herunter und nahm an einem der Randtische Platz, wo die Beleuchtung mehr als spärlich ausfiel. Sofort scharrten sich einige reizende Tänzerinnen um ihn, die er gewähren ließ. Ein Bediensteter vom Schlangenkopf brachte sofort ein Tablett mit üppigem Frühstück. Alles in allem schien der Mann davon eher gelangweilt zu sein, aber seine Wirkung war unübersehbar. Er hatte sie alle in der Hand. Das also war Fehed. „Überleg es dir Katze. Es gibt kein Zurück mehr, wenn du einmal angefangen hast.“ Latui wandte ihren stechenden Blick von Fehed zu Zeiren. Trotz ihrer hervorragenden Menschenkenntnis, konnte sie ihn genauso wenig einschätzen wie den Schattenmeister selbst. „Ich habe schon schlimmere Menschen getroffen als Huron.“ „Auch welche, deren Herz nicht mehr schlägt?“ Latui musterte ihn eindringlich. „Du meinst das metaphorisch.“ Wieder starrten die beiden sich wortlos an. Langsam wurde Latui von dem Gefühl beschlichen, dass etwas gewaltig nicht stimmte, mit diesen Schatten. Aber sie hatte schon eine Idee, wo sie heute Abend stöbern konnte, um vielleicht eine Antwort zu finden. Zeiren schwieg noch immer, als plötzlich ein Bediensteter neben dem Tisch der beiden auftauchte. Auf einem makellosen Silbertablett lag eine kleine Karte mit schwungvoller Handschrift. „Die Dame.“ Er verbeugte sich so tief, dass Latui den Zettel herunterfischen konnte. Dann war der Mann auch schon wieder verschwunden. Zeiren schien nicht annährend so verwundert zu sein, wie die Diebin selbst. „Das geht schneller als ich dachte“, seufzte der Herold und hob beide Brauen an. Latui drehte das Kärtchen um: Komm herüber und setz dich zu mir. Das ist keine Bitte. Ihre gelben Katzenaugen schauten nach rechts, direkt in die Roten von Fehed. Die Tänzerinnen vor ihm, beachtete er nicht, sondern sah geradewegs zu ihr herüber. „Du musst das nicht tun Katze“, flüsterte Zeiren und auch er blickte zu Fehed herüber. Latui stand trotzdem auf, ohne sich ihre Schmerzen anmerken zu lassen. „Danke, aber für gewöhnlich halte ich mich an meine Versprechen und Abmachungen. Selbst eine Diebin hat so etwas wie Ehrgefühl.“ Schließlich nickte der Herold steif und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut. Möge der Namenlose mit dir sein, Katze.“ Latui nickte ebenfalls. Was sollte sie darauf auch antworten? Sie wusste ja nicht mal wer oder was der Namenlose sein sollte, geschweige denn warum Zeiren so einen Aufstand machte. Wobei er es geschafft hatte, ihr ein flaues Gefühl in der Magengegend zu hinterlassen. Professionell verdrängte sie mit einem Schlag das gesamte Gespräch und beschloss, sich später darüber Gedanken zu machen. Anmutig setzte Latui schließlich einen Fuß federleicht vor den anderen und streckte den letzten Schritt leicht verzögert, wie Katzen es eben taten, wenn man sie herrief. Fehed musterte die Diebin von oben bis unten und deutete auf ein Kissen neben sich. „Setz dich. Und ihr anderen verschwindet.“ Für seine Anweisung hob er nicht einmal den Blick. Trotzdem packten die Tänzerinnen und Bediensteten schnell ihre Sachen zusammen und verschwanden augenblicklich aus der düsteren Sitzecke des Raumes. Beeindruckt sah Latui ihnen nach. „Die sind alle langweilig“, bemerkte er nebenher, während er mit akribischer Präzision einen Teebeutel aus seiner Tasse zog und ihn auf einem kleinen Teller zusammengerollt ablegte. „Und wieso wolltet Ihr, dass ich herkomme?“ „Sag einfach Fehed, Katze.“ Latui hob fragend eine Braue und setzte noch einmal an, als er einfach nichts mehr sagte und apathisch auf seinen Tee starrte: „Und wieso wolltest du, dass ich herkomme, Fehed?“ Erst jetzt reagierte er wieder auf ihre Frage. Ein ziemlich seltsamer Typ wie sie fand, aber was tat man nicht alles um einen Auftrag zu erfüllen. „Ich sah dich durch die Straßen streunen und wollte dich haben.“ Der Gesichtsausdruck der Diebin wurde eisern. Was hatte der Kerl denn jetzt vor? Langsam fühlte sie sich erschöpft von den vielen Informationen am frühen Morgen und die Schmerzen des vergangenen Tages begannen mit einem Mal wieder an ihr zu zehren. „Keiner kann mich besitzen“, gab sie schließlich gelassen zurück. „Ich kann es. Ich möchte in diese gelben Augen schauen wann ich will.“ Er blickte von der Tasse auf und legte den Kopf schief. Skeptisch beäugte die Diebin den Mann vor ihr. Konnte das wirklich einer der mächtigsten Männer hier in Khemi sein? Konnte man mächtig und verrückt gleichzeitig sein, oder ging das sogar immer Hand in Hand? Wie es auch war, sie musste die Gelegenheit beim Schopf packen, wenn sie sich schon anbot. „Ich werde für dich arbeiten. Du könntest meine Fähigkeiten brauchen“, bot sie ihm mit verschränkten Armen an. „Du kommst wenn ich dich rufe.“ „Sobald ich kann“, versuchte Latui auszuhandeln. Fehed beugte sich gefährlich nah zu der Diebin vor und vergrub seinen leicht glasigen Blick in ihren gelben Katzenaugen. „Du verstehst nicht Katze. Ich mache die Spielregeln. Du kommst wenn ich dich rufe.“ Latui zuckte nicht zurück, sogar ein leises Knurren raunte ihr über die Lippen, als sie alle Optionen durchging. Nebenbei versuchte sie einzuschätzen, wer nun schlimmer war: Huron oder Fehed. Die Diebin entschied sich für ersteren und da hatte sie noch einen Auftrag zu erfüllen. Also nickte sie schließlich schwer seufzend. „Einverstanden.“ „Wundervoll.“ Fehed klatschte zufrieden in die Hände, dann wurde er plötzlich wieder ernst. Latui musste unwillkürlich an Besessenheit oder Schizophrenie denken, als sie ihn so betrachtete. Wieso musste ausgerechnet jetzt mit allen Leuten irgendetwas nicht stimmen? Was war aus den guten alten Opfern geworden? Fehed reichte der Diebin noch einen Zettel und misstrauisch fragte die Diebin sich, ob er die alle bereits im Voraus geschrieben hatte. Auf jeden Fall hatte er das Talent, aus guten Momenten das Beste herauszuholen. „Heute Abend, dort. Jetzt geh Kätzchen, du musst ausgeschlafen sein.“ Wie um seine Aussage zu bestätigen, scheuchte er sie mit einem Handwinken vom Kissen herunter und verfiel dann wieder in das apathische Teetassenstarren. Einfach unglaublich. Mit verständnislosem Kopfschütteln sah die Diebin nach links zu dem Tisch, wo sie mit Zeiren gesessen hatte, doch dieser war bereits abgeräumt. Auch von dem Herold war keine Spur mehr zu sehen. Einen letzten, skeptischen Blick warf sie auf den regungslosen Fehed, dann verließ Latui den Schlangenkopf, mit stechenden Kopfschmerzen, einem verheißungsvollen Zettel und tausenden von ungeklärten Fragen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)