Raven Southmore von Krissii-Chan (Zersplittert) ================================================================================ Kapitel 6: Sechs ---------------- Sechs Stur blickte ich den Jungen an. Ich möchte den Partner tauschen!, schrie meine Kopfstimme. Jetzt konnte ich Cecily verstehen. Sie war auch mit ihrem Partner unzufrieden. Könnte ich nicht sie als Partner bekommen und dieser Alexey den hier? „Guck nicht so blöd, Rabenmädchen.“, brummte der Junge und fuhr sich mit der Hand durch das längere braune Haar. „Ich bin auch nicht gerade erfreut darüber, aber kann es akzeptieren, ohne so eine Fratze zu ziehen. Also tu das gefälligst auch.“ „Ich kann eine Fratze ziehen wann ich will.“, entgegnete ich bissig. Meine Aussage brachte ihn zum Grinsen. Es war ein freches Grinsen. „Ich heiße Zeo. Zeo West.“, meinte er und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Komm mir aber bloß nicht in die Quere. Kapiert, Rabenmädchen?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn verärgert an. „Nenn mich nicht Rabenmädchen! Ich heiße Raven Southmore. Nicht Rabenmädchen oder Rabe. Merk dir das!“ „Mal schauen.“, entgegnete er. „Was ist Zeo überhaupt für ein Name? Wollten deine Eltern eigentlich eine Tochter namens Zoey?“, erwiderte ich schnippisch und blickte Zeo gehässig an. Seine Miene verfinsterte sich. „Nenn mich nicht Zoey.“, erklang seine Stimme zornig. Ein Schwachpunkt!, jubelte ich in Gedanken. „Und wenn doch, Z-o-e-y?“ Mit Absicht zog ich den Namen extra lang. Zeo griff unsanft nach meiner Hand und zog mich an sich heran. So nah, dass das, was er sagte, nur für mich hörbar war. „Wirst du mich erst richtig kennen lernen!“ „Soll ich jetzt Angst haben?“, grunzte ich und drückte ihn von mir weg. Als ich ihn wieder ins Gesicht sah, war dort keine Finsternis mehr sondern nur das freche Grinsen. „Wer weiß?“ Ich ballte meine Fäuste und streckte sie nach unten. Wie mich dieser Zeo aufregte! Er hatte die Arme immer noch hinter seinem Kopf verschränkt und entfernte sich langsam von mir. Als er sich dann umdrehte, hatte sich sein Gesichtsausdruck geändert. Er sah nachdenklich aus. „Wir können an der Situation so wie sie ist nichts ändern. Lass uns also das Beste draus machen.“ Verblüfft blinzelte ich ihn an. Meinte er das jetzt ernst? Cecily trottete beleidigt zu mir herüber. Hinter ihr lief Alexey her, bog aber ab zu Zeo. „Wieso ein Feuernutzer? Ich hasse Feuernutzer!“, brummte sie und blickte mich traurig an. „Kannst du nicht mein Partner sein?“ Wie aus dem Nichts tauchte Mr. Hayles hinter ihr auf und zog ihr eins mit einem Papier-Holzfächer über den blauen Haarschopf. „Keinen Partnertausch, Nixe.“, meinte er und schlug drohend seinen Fächer in die Handfläche. „Ich hab doch auch nichts vom Tausch gesagt!“, maulte Cecily und hielt sich den schmerzenden Kopf. „Hab doch nur gefragt warum sie nicht meine Partnerin sein kann.“ Sie deutete auf mich. Mr. Hayles folgte ihrer Geste und schenkte mir einen abschätzenden Blick. „Mit Miss Southmore würden Sie Ihre Fähigkeiten nicht verbessern können, Nixe.“, belehrte er sie und ich blickte ihn gereizt an. „Wie ich könnte ihr nicht helfen?!“, brummte ich verärgert. Der Lehrer blickte mich an. „Miss Southmore, welches Element können Sie kontrollieren?“ Verdutzt blinzelte ich kurz. „K-keins.“ „Und haben Sie bisher überhaupt Kontakt zur Magie gefunden?“ Die anderen Schüler aus meinem Jahrgang unterbrachen ihre Gespräche und lauschten gebannt den Worten von Mr. Hayles. Ich senkte den Blick. „Nein, habe ich nicht.“ „Und wie können Sie dann Miss Fox helfen ihr magisches Talent weiter auszubauen?“ „I-ich… ich weiß es nicht.“, gab ich zu und zog den Kopf zwischen die Schultern. Mr. Hayles räusperte sich und fuhr fort: „Darum hat Miss Fox auch Mr. McDaire zugewiesen bekommen. Und Sie, Miss Southmore, haben den begabtesten Magienutzer des Jahrgangs zugewiesen bekommen.“ Er suchte mit seinem Blick Zeo. „Mr. West ist nämlich der Einzige unter Ihnen, der alle vier Elemente kontrollieren kann – und das auch schon seit seiner Kindheit.“ Seine Augen fixierten wieder mich. „Also stellen Sie bitte nicht meine Fähigkeiten in Frage. Der Unterricht ist für heute beendet. Viel Spaß noch beim Kennenlernen.“ Sein letzter Satz triefte nur voll Sarkasmus und Mr. Hayles ließ uns alleine im Innenhof stehen. Unruhiges Murmeln ging durch den Jahrgang. Alle blickten mich an. Ich kam mir vor wie ein geprügelter Hund. Verletzt. Unverstanden. Erniedrigt. „Kein Kontakt zur Magie?“ „Kann sie nicht mal Grundmagie?“ „Überhaupt nichts?“ Das Murmeln schwang an, bis ich ein helles Lachen hörte. Das Mädchen mit den langen roten Wellenhaaren, Allison Gardener, zwängte sich durch die Reihen und blickte mich lachend an. „Du kannst keine Magie anwenden. Nicht mal die Grundlagen! Was macht jemand wie du überhaupt hier?“ Ich wollte etwas erwidern. Wollte ihr an den Kopf werfen bitte ihre Klappe zu halten. Dreck zu fressen. Doch aus meinem Mund kam nichts. Meine Stimme versagte. Frust stieg mir den Hals hoch und ließ mir Tränen in die Augen schießen. Allison blickte mich triumphierend an. „Jemand wie du hat hier nichts verloren!“ Ich erkannte die Wahrheit in ihren Worten. Was hatte ich hier zu suchen? „Allison! Halt deine verdammte Drecksklappe!“, fauchte Cecily das Mädchen an und schien kurz davor, ihr eine zu scheuern. Doch um Allison züngelten sich Flammen empor und sie blickte das blauhaarige Mädchen herausfordernd an. „Versuchs nur, Mischling. Du bist hier genauso unnötig wie diese Nullnummer dort!“ Sie deutete bei Nullnummer auf mich und viele aus dem Jahrgang fingen an zu kichern. Ich schluckte hart. Meine Knie zitterten und ich wollte einfach nur noch weg von hier. Darum machte ich auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Tränen liefen mir über die Wangen und ich hörte Shane meinen Namen rufen. Doch das war mir egal. Ich lief. So lange, wie ich konnte. Ich lief von den Anderen weg. Rannte zum Feuerturm und diesen empor. Doch irgendwie fand ich mein Zimmer nicht. Schluchzend blieb ich stehen und blickte mich verwirrt um. Wo war ich? Der Flur war in demselben Weiß gehalten wie auch die anderen, aber es gab kaum Türen. Hicksend ging ich den Flur entlang, bis ich vor einer großen Flügeltür stehen blieb. Sie war aus Holz und hatte Ranken- und Fruchtverzierungen. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über mein tränennasses Gesicht und umschloss den Türgriff mit meiner anderen Hand. Vorsichtig drückte ich sie herunter und zog an der Tür. Ohne Widerstand ging sie auf und ich blickte in einen riesigen runden Raum, voll von Bücherregalen mit unzähligen Büchern. „So viele Bücher…“, murmelte ich und ging in den Raum hinein. „Was machst du hier?“ Erschrocken wirbelte ich herum und blickte in die türkisfarbigen Augen eines Mädchens mit rosa Haaren. „I-ich hab mich verlaufen.“, stammelte ich verlegen. Das Mädchen sah mich abschätzend an und suchte mit den Augen einen Punkt hinter mir. Ich zuckte zusammen, als ein kleiner hellblauer gefederter Blitz an meinem Ohr vorbeischoss und sich auf die Schulter des Mädchens fallen ließ. Helles Fauchen erklang vom Federknäul. „Ruhig, Cessila.“, murmelte das Mädchen und strich mit der Hand über den Federball. Dann reichte sie mir ein Taschentuch, das ich dankend annahm. „Was ist das?“, wisperte ich erschrocken, nachdem ich meine Tränen getrocknet hatte. So etwas wie das da hatte  ich noch nie gesehen. Als sich die Federn wieder geglättet hatten, reckte das Knäul den langen fedrigen Hals und blickte mich durch tiefblaue Augen an. Seine Krallen lagen leicht auf der Schulter des Mädchens und das Knäul legte seine federnen Flügel an. Aufgeregt schlug es mit seinem langen Schwanz, der ganz und gar eine Feder war, herum. „Hast du noch nie einen Feath gesehen?“, fragte mich das Mädchen spöttisch und zog eine ihrer schön geschwungenen Augenbrauen hoch. Stumm schüttelte ich den Kopf. „Ich kenne fast gar nichts hier.“ Die Rosahaarige verschränkte die Arme vor der Brust und begutachtete mich. „Du bist aus der normalen Welt, nicht wahr?“ „Woher weißt du das?“ „Du riechst nur schwach nach Magie.“, antwortete sie wie selbstverständlich und schritt an mir vorbei. „Wie, du riechst das?“, fragte ich sie und folgte ihr tiefer in den Raum hinein. Sie blieb vor einem Bücherregal stehen und griff, nach langem Überlegen, ein dickes Buch heraus. „Ich nicht – aber Cessila.“, antwortete sie und deutete auf den gefiederten Feath auf ihrer Schulter. Sie betrachtete den Einband des Buches und ging zu einem weiteren Regal. Daraus nahm sie wieder ein Buch und drehte sich zu mir um. „Hier.“ Ich blickte auf die Bücher, die sie mir in die Hand gedrückt hatte. „Zauberei für Anfänger“ und „Magische Wesen“ lauteten die Titel. „Was soll ich damit?“, fragte ich das Mädchen. „Ich würde es mal mit lesen probieren.“, gab sie zurück und zog eine grinsende Grimasse. „Was soll mir das denn schon groß bringen?“, erwiderte ich mit schüttelndem Kopf und hielt ihr die Bücher entgegen. „Ich hab kein magisches Talent – also wozu sollte ich die brauchen?“ Das Mädchen blickte mich an und lächelte dezent. „Ich hab sie auch gelesen als ich nach Neria gekommen war. Damals hatte ich keine Ahnung von Magie und dem ganzen Drumherum. Zugegeben: ich bin bis heute noch eine Null bei der elementaren Magie. Darum wurde ich ganz lange gehänselt.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber irgendwann hab ich ein Ei gefunden und Cessila schlüpfte daraus. Und erst da habe ich mein wirkliches magisches Talent – die Kraft, einen Drachen zu kontrollieren - entdeckt. Und bisher hat es keiner mehr gewagt, mich auch nur schief anzusehen.“ Sie fuhr mit dem Zeigerfinger unter dem Kinn des Feaths entlang. Dieser begann schnurrende Geräusche von sich zu geben. „Wie heißt du eigentlich?“ „Raven. Und du?“ „Miharu.“ Ich lächelte sie an. Miharu wirkte jünger als ich, aber das lag vielleicht auch nur an den zwei Zöpfen, zu denen sie ihre kurzen rosanen Haare gebunden hatte. Möglicherweise auch an der süßen schwarzen Schleife über ihrem geraden Pony. Oder auch an ihrem kindlichen Aussehen. „Nur zur Info, ich bin im dritten Jahrgang.“, gab sie keck zurück und begann den Feath Cessila zu streicheln. „Dritter Jahrgang?“, wiederholte ich fragend. „Du bist im Grundjahr, richtig? Das heißt, du bist im ersten Jahrgang. Oftmals gibt es mehr als einen ersten Jahrgang – aber das kommt immer auf die Anzahl der Zugänge an. Im Laufe der Zeit springen aber viele Neuzugänge ab und irgendwann wird es nur noch einen Jahrgang geben. Ich bin im dritten Jahrgang und so schätzungsweise zwei Jahre älter als du.“, erklärte sie mir. „Du siehst gar nicht so alt aus…“, meinte ich und brachte sie so zum Lachen. „Ja, das höre ich oft.“ Ich lächelte. „Also, das da auf deiner Schulter ist ein Feath, richtig? Was ist das genau?“ Miharu klopfte mit ihrer Fingerspitze auf das Buch „Magische Wesen“ in meiner Hand. „Dort unter 'F' nachzulesen.“ Neugierig blickte ich auf das Buch. Tiere fand ich schon immer aufregend und spannend. Und magische Wesen… vielleicht Einhörner und Phönixe – die interessierten mich schon immer. Eine Eigenschaft, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. „Danke, Miharu.“, meinte ich, doch das Mädchen und der Feath waren schon verschwunden. Verwirrt blickte ich um mich herum, aber konnte Beide nicht entdecken. Schulterzuckend verließ ich den Raum voller Bücher wieder und ging durch den weißen Gang. Da ich immer noch völlig orientierungslos war, schritt ich die Stufen irgendeines Turms herunter und trat wieder auf den Innenhof des Neria-Internats. Mein Blick fuhr zu dem großen goldenen Ziffernblatt. Die Zeiger zeigten 11:15 Uhr an, das heißt, die dritte Stunde hatte begonnen. Stur drückte ich die Bücher an mich und zog die Nase kraus. Wenn ich jetzt eh die zweite Stunde verpasst hatte und den Anfang der dritten, dann konnte ich die auch ganz sein lassen. Entschlossen, mich von keinem Lehrer beim Schwänzen erwischen zu lassen, schritt ich über den Innenhof und verließ das Neria-Internat durch den Haupteingang. Diesmal zog es mich jedoch nicht zum Verbindungstor sondern in die andere Richtung – zum Wald. Schon als ich klein war fand ich in Wäldern meine Ruhe. Oft bin ich, wenn ich mich mit meinem Vater gezofft hatte, in den nächstgelegenen Wald gelaufen. Meistens aber immer in den Fine Apple Wald. Dort, an einem kleinen Fluss, stand ein alter Baum, in dessen Baumkrone ich mich immer versteckt hatte. Meine Füße trugen mich geschwind über die Wiese zwischen die ersten Bäume. Sofort sog ich den vertrauten Geruch von frischen Blättern, Wildblumen und Tieren ein. Augenblicklich besserte sich meine Laune und ich begann leise ein Lied vor mich her zu pfeifen. Es gab einen kleinen Weg im Wald, doch ich beschloss diesen zu verlassen und durchs Unterholz zu streifen. Hier gab es nur wenig Unkraut und dornige Büsche und so kam ich gut vorwärts. Ich sah, wie sich eine Art Eichhörnchen einen Baum herunterschwang und komische Nüsse einsammelte. Neugierig hockte ich mich vorsichtig nieder und beobachtete das kleine Geschöpf. Es sah fast wie ein normales rotes Eichhörnchen aus, jedoch hatte dieses hier kleine orangene Flammen, die an den Ohrspitzen freudig loderten. Auch war sein Schwanz viel buschiger, als der eines normalen Eichhörnchens. Sonst war es aber ein Eichhörnchen eben. Das kleine Tier grabschte sich mit den winzigen Vorderpfoten eine dreieckige Nuss und begann dran zu nagen. Ein zweites sprang vom Baum herunter und die beiden Hörnchen begannen sich um die Nuss zu streiten. Ein Lächeln überzog meine Lippen und ich setzte meinen Weg fort. Meine Füße trugen mich weiter während ich mir das Blätterdach über mir ansah. Alles um mich herum wirkte so frisch und voller Leben. Als ich stehen blieb, blickte ich auf den massigen Stamm eines Apfelbaums vor mir. Sein Blätterdach war von hellrosanen Blütenblättern durchzogen, die sich auch zu seinen Wurzeln am Boden wiederfanden. Ich ging auf den Baum zu und legte meine Hand an seine Rinde. Sie war glatt, obwohl der Baum riesig schien. Vorsichtig lehnte ich mich an den Baum und ließ mich zu Boden gleiten. Die Beine winkelte ich seitlich an und bettete die Bücher in meinen Schoß. Mein Blick fuhr zum grünweißrosanen Blätterdach über mir. Ein leichter Wind kam auf und ließ die Blätter tanzen. Hier und da erhaschte ich ein paar Sonnenstrahlen, die die Schatten der Blätter auf dem Boden und mir tänzeln ließen. Augenblicklich verliebte ich mich in diesen Baum. Er stand in einer ruhigen Atmosphäre und unter ihm schien alles möglich zu sein. Man konnte jegliche negativen Gedanken vergessen und sich vollkommen entspannen. Ich nahm mir das Grundlagenbuch und schlug es auf. Dann begann ich zu lesen. „Raven!“ Ich schreckte hoch, als ich meinen Namen hörte. Beim Lesen schien ich wohl eingeschlafen zu sein. Der Himmel war schon tiefblau und Sterne funkelten am Firnament. Auch taten mein Rücken und mein Hintern weh. Noch leicht verschlafen blinzelte ich verwirrt und blickte die Person vor mir an. Sie hatte braunblonde Haare und wunderschöne blaue Augen. „Hallo? Wieder wach, Rabenprinzessin?“, lachte die Person und fuhr mir mit der Hand über mein Haar. „Nenn mich nicht so.“, maulte ich und schlug die Hand weg. Zeo lachte auf. „Aber, aber.“ Ich schenkte dem Jungen einen abwertenden Gesichtsausdruck. „Was willst du?“ Er verschränkte seine Beine ineinander und setzte eine Unschuldsmiene auf. „Was meinst du?“ Irgendwie sah er, so wie er da saß und mich anblickte, unglaublich süß aus. „Was willst du von mir, mein ich!“ „Es ist fast Nachtruhe.“, meinte er nüchtern. „Du hast Mittag- und Abendessen verpasst.“ „Mittag- und Abendessen?!“, erwiderte ich erschrocken und sofort begann mein Magen zu grummeln – und das nicht gerade leise. „Na komm. Lass uns zurückgehen.“, grinste Zeo und erhob sich vom Boden. Dann hielt er mir seine Hand entgegen. „Okay?“ Ich blickte auf seine ausgestreckte Hand. Sollte ich? Nach kurzem Überlegen schlug ich seine Geste ab und stand von allein auf. Die Bücher an die Brust gedrückt, marschierte ich einfach drauflos. „Hey, da geht’s nicht lang, Rabenmädchen.“, rief Zeo mir hinterher. Ich blickte ihn über die Schulter hinweg an. „Ich weiß, wo ich hergekommen bin.“ Im nächsten Moment verschwand der Boden unter mir und ich fühlte, wie ich nach unten gerissen wurde. Laut schrie ich auf und versuchte nach irgendeinem Halt zu suchen. Alles geschah so schnell. Vor meinen Augen verschwamm die Welt um mich herum und mein Magen wurde krampfhaft zusammengezogen. Dann fiel ich. Ich hatte Angst meine Augen zu öffnen. Wie tief ich gefallen war wusste ich nicht. Aber ich wollte es auch nicht wissen – geschweige denn die Schäden des Falles sehen. „Raven…“, hörte ich Zeos Stimme von über mir. „Halt dich fest!“ Nun öffnete ich doch zaghaft meine Augen und blickte nach oben. Zeo lag bäuchlings über dem Abhang und hatte nach meinem Handgelenk gegriffen. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. „Wie viel wiegst du eigentlich?“ Meine Wangen färbten sich rötlich. „Klappe, Zoey!“ „Soll ich dich fallen lassen?“, erwiderte er kalt und ich schüttelte sofort den Kopf. Mit einem kräftigen Ruck und immensem Kraftaufwand zog mich Zeo neben sich. Nach Luft schnappend blieb ich liegen und starrte die hell funkelnden Sterne über mir an. Eine Sternschnuppe zog sich ihren Weg durch den schwarzen Himmel. „Du bist echt anstrengend.“, grunzte Zeo und streckte sich. „Dann geh doch.“, gab ich gereizt zurück und drehte mich von ihm weg. „Hey, sei doch nicht gleich so eingeschnappt.“, meinte er und blickte mich an. Ich ignorierte dies und drückte die Bücher an mich. Irgendwie hatte ich sie die ganze Zeit fest umklammert gehalten gehabt. Zeo seufzte und stand vom Boden auf. „Komm, wir gehen zurück.“ Diesmal reichte er mir nicht seine Hand. Er ging einfach los, wartete nicht einmal auf mich. Ich setzte mich auf meinen Hosenboden und winkelte die Beine seitlich an. Mittlerweile war es so dunkel, dass nur die Sterne am Himmel hell glitzerten. Mit einem Ruck erhob ich mich und eilte Zeo nach, der von der Dunkelheit verschluckt wurde. „Warte!“ Der Junge blieb stehen und drehte sich lässig zu mir herum. „Trödel nicht so, Rabenmädchen.“ „Du kennst meinen Namen!“, maulte ich ihn an, als ich zu ihm aufgeschlossen hatte. Doch ich bekam nur sein freches Grinsen als Antwort. Der Weg durch den Wald kam mir länger vor als bei Tage. Immer wieder musste ich stehen bleiben, um meinen Rock von einem Dornengestrüpp zu lösen. Zeo wartete jedes Mal geduldig auf mich, sagte jedoch nichts mehr. Er schwieg den kompletten Weg zurück. Als endlich die Türme und die Mauer Nerias zu sehen war, war ich müde und noch hungriger als vorher schon. Bei jedem Schritt drohte ich über meine eigenen Füße zu stolpern. Doch ich schaffte es den Feuerturm hinauf ohne einmal hinzufallen – okay, stolpern ausgenommen. Aber ich hatte mich immer wieder gefangen! Zeo begleitete mich zu meinem Zimmer und verabschiedete sich dort auch von mir. Ich bedankte mich bei ihm, erntete jedoch nur einen Wink seiner Hand, als er schon den Gang zurückschritt. Ein wenig verärgert öffnete ich die Tür zu meinem Zimmer und trat hinein, jedoch nicht ohne Zeo hinterher zu gucken. „Raven!“, quietschte Cecily und fiel mir um den Hals. Fast hatte ich meinen Halt verloren durch ihre stürmische Umarmung. „Wo warst du bloß? Ich hab mir Sorgen gemacht!“ „Luft! Luft!“, japste ich und keuchte erleichtert, als Cecily von mir abließ. Sie blickte mich neugierig an und wartete auf eine Erklärung meinerseits. Also erzählte ich ihr von Miharu und dem runden Bücherraum. Ich berichtete auch, dass ich im Wald gelesen hatte und dabei eingeschlafen war, aber ich erwähnte den großen Apfelbaum nicht. Wenn ich wegen meines Schwänzens heute nicht von der Schule fliegen würde und noch weiter blöde Kommentare der anderen Schüler ernten würde, dann hätte ich wenigstens einen Rückzugsort, den niemand kannte – Zeo ausgenommen. Als ich meinen Report beendet hatte, begann mein Magen wieder laut zu knurren. Sofort sprang Cecily auf und ging zu dem kleinen Schreibtisch in unserem Zimmer. Dort hatte die ganze Zeit etwas unter einem Deckel gestanden, doch ich hatte ihm keine Beachtung geschenkt. Jetzt hob Cecily den Deckel an und enthüllte einen Teller mit Reis, Salat und Putensticks mit Soße. „Hau rein.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Gierig aß ich den Teller leer und lauschte Cecilys Erklärung vom Resttag. Als ich weggerannt war, war Cecily Allison fast an die Gurgel gesprungen, doch Shane konnte sie zurückhalten. Natürlich hatte sich das Mädchen über die Beiden lustig gemacht. Über Cecilys und meine Herkunft gelästert. Und alle anderen hatten gelacht. Doch dann zerplatzte eine riesige Woge aus Wasser über dem gesamten Jahrgang. Nur Alexey, Cecily und Shane wurden verschont. Und Zeo, denn der hatte die gigantische Menge an Wasser aus der Luft gezogen und es auf den Jahrgang niederprasseln lassen. „Er hat alle finster angeblickt und gesagt: „Wehe einer legt sich noch mal mit meiner Partnerin an.““, erklärte sie mir. „Danach ist er dich suchen gegangen. Shane und ich übrigens auch.“ Das brachte mich zum Nachdenken. Vielleicht war Zeo ja doch ein netter Typ… Immerhin hatte er nach mir gesucht. Ich legte meine Gabel auf den leergegessenen Teller und streckte mich. „Was ist noch so passiert?“ „Na ja, Zeo, Alexey, Shamy und ich haben dann den Unterricht geschwänzt und sind dich suchen gegangen.“, erklärte Cecily und trat dabei unruhig von einem auf den anderen Fuß. „Ihr habt geschwänzt?“ „Shamy und ich nur eine Stunde! Alexey hatte zwei geschwänzt. Und Zeo den ganzen Tag.“, gab Cecily nach kurzem Überlegen zu. „Sorry.“, erwiderte ich. „Habt ihr viel Ärger wegen mir bekommen?“ „Ach Quatsch.“, lachte Cecily und winkte mir mit ihrer Hand zu. „Eine Stunde mal Schwänzen ist kein Problem. Außerdem musste der Rest des Jahrgangs sich eh umziehen gehen. Immerhin konnten sie ja nicht pitschnass zum Unterricht gehen.“ „Das freut mich. Also, dass ihr keinen Ärger bekommen habt.“, antwortete ich erleichtert. „Ich muss Zeo fragen, ob er mir den Trick mit dem Wasser aus der Luft ziehen beibringt. Dann lass ich es über Allison wieder regnen wenn sie mir auf den Geist geht.“ „Kannst du denn so etwas nicht?“, fragte ich neugierig. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin zwar zur Hälfte eine Wassernymphe, aber ich kann meine magische Kraft nur in der unmittelbaren Nähe von Wasser einsetzen. Einfach welches aus der Luft oder den Blättern von Bäumen ziehen, das kann ich nicht.“ „Achso…“ „Du brauchst dir übrigens keine Sorgen zu machen. Also wegen deinem Blaumachen heute. Die einzige Grundstunde war heute beim Giftmischer.“ „Oh, okay.“, meinte ich und legte meinen Blazer über eine Stuhllehne. Irgendwie freute es mich, dass ich doch nicht geschwänzt hatte. Daumen hoch für meinen löchrigen Stundenplan. Müde ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen und genoss die Weiche der Matratze. Als würde man auf Wolken schlafen. Cecily ließ sich auf ihr Bett plumpsen und seufzte dramatisch auf. „Du hast echt Glück. Kaum Unterricht und viel Frei.“ „Nur, weil ich keine Magie anwenden kann.“, gab ich zurück und begann in „Zauberei für Anfänger“ zu blättern. Im Vorwort hieß es, dass jeder, der an Magie glaubte, sie anwenden konnte. „Ach ja, der D-Rex hat angeordnet, dass auf jedem Zimmer ein Stundenplan des jeweiligen Jahrgangs hängt. Unserer hängt hier.“, sagte Cecily und deutete an die Wand zwischen unseren Betten. „Da wir im selben Jahrgang sind, hängt hier nur einer.“ Neugierig blickte ich auf den weißen Zettel an der Wand. Mein Blick ging durch die einzelnen Spalten des Plans. Am Montag begann der Unterricht erst um neun Uhr. So wie an jedem anderen Tag auch. Nur am Mittwoch stand in der Zeit von sechs Uhr bis acht Uhr Überlebenstraining. „So früh schon Unterricht?“, fragte ich entsetzt. „Wie du siehst.“, gab Cecily als Antwort und ließ über ihrem ausgestreckten Zeigefinger einen Wasserball schweben. „Guck mal freitags, da haben wir abends auch noch Training.“ Nach einem Blick auf den Freitagabend stöhnte ich unwillig auf. „Och nö.“ „Tja, das Leben hier ist anstrengend.“, lachte sie leise und ließ den Wasserball rotieren. Fragend blickte ich das Mädchen an. „Du, sag mal… gibt’s hier auch normale Fächer?“ Der kleine Wasserball zerplatzte und rieselte auf ihre rosa Pyjamahose mit den Eulen. „Normale Fächer?“, echote sie und sog mit ihrer Hand das Wasser aus ihrer Hose. „Ja solche wie Englisch, Sport, Politik und so. Wird hier so etwas nicht unterrichtet?“ „Im ersten Jahr nicht. Soweit ich weiß, werden solche Sachen erst ab dem zweiten Jahr unterrichtet.“, antwortete mir das blauhaarige Mädchen und ließ den erneuten Wasserball verschiedene geometrische Formen annehmen. „Wie machst du das eigentlich?“ „Wie mache ich was?“ Leicht genervt rollte ich mit den Augen. „Na das mit dem Wasser. Wie bekommst du das in diese Formen?“ „Das ist kinderleicht. Ich stell mir einfach vor, was das Wasser machen soll und es tut es.“, antwortete Cecily und ließ den Wasserball erst ein Quadrat, dann einen Stern und danach sogar eine DNS-Spirale bilden. „Ganz easy, siehst du?“ Sie blickte mich an und räusperte sich, als sie mein verstimmtes Gesicht sah. „Für mich ist es kinderleicht.“ „Schon gut.“, brummte ich und legte mein Buch auf den kleinen Nachttisch neben meinem Bett. Dann schlüpfte ich aus meiner Schuluniform und zog mein dunkelgraues T-Shirt über. Das Haargummi löste ich aus meinem Haar und ließ es auf den Nachttisch fallen. Gähnend kroch ich unter meine Bettdecke und rollte mich auf der Seite zusammen. Kaum hatte ich eine gemütliche Schlafposition gefunden, war ich auch schon eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)