Bullum Solare von Shub_Niggurath ================================================================================ Kapitel 9: Ein Tag im Leben des Mamoru Chiba -------------------------------------------- „Gestern Abend kam es zu einem Brand im Hotel Scala Plaza während einer Feier zur 300. Folge von Lieben und Leiden Lassen zu einem Brand. Das Feuer selbst forderte keine Verletzten, jedoch führte der Feueralarm zu einer plötzlichen Massenpanik. Einige Personen wurden noch während der Flucht zu Boden geworfen und konnten erst nach dem Eingreifen der Feuerwehr aus dem Hotel geborgen werden. Die Betroffen waren zwar weitgehend unverletzt, standen jedoch kurzfristig unter Schock. ...“ Es war Usagis Idee gewesen, die Klatschnachrichten einzuschalten, da sie unbedingt sehen wollte, wie das Kamerateam sie, Mamoru und die anderen Mädchen erfasst hatte. Missmutig schaute Mamoru auf eine Nahaufnahme seines Gesichts, während er zusammen mit Makoto die noch immer unter Alkoholeinfluss stehende Minako stützte. „Unter den Personen befand sich auch der neue Star der Serie, Minako Aino, deren Zustand sehr schlecht schien. Nach einem heutigen Telefongespräch mit ihrem Agenten soll sie jedoch wieder gewohnt guter Lauen auf den Beinen sein.“ Mamoru drehte den Fernseher ab. „Hey, ich will das noch sehen!“, schmollte Usagi. „Ich war ja noch gar nicht Bild!“ Mamoru schaltete den Fernseher wieder an. Zu Usagis Enttäuschung war der Bericht zu Ende. Über zwei Wochen wohnte er nun schon bei Familie Tsukino und würde noch länger bleiben, da er sich die Renovierung seiner durch das Ungeheuer zerstörten Wohnung nicht leisten konnte und sie unbewohnbar blieb ohne Tür, mit verwüstetem Vorzimmer und kaputter Elektrizität. Er schob Überstunden um die Reparatur langsam abzahlen zu können, arbeitete in einem Restaurant und in einer Bar. Da der Versicherung keinen guten Grund nennen konnte, warum es zu den Zerstörungen gekommen war, bekam er auch kein Geld. Sein Vermieter verlangte trotzdem eine Schadensausbesserung. Das machte es auch sinnlos, eine neue Wohnung zu suchen, die er auf die Schnelle sowieso nicht finden würde. Er bekam so zumindest einen Vorgeschmack, wie es einmal werden würde, nachdem Usagi und er zusammengezogen waren... Familie Tsukino hatte ihn freundlich willkommen geheißen. Für Ikuko war er von Anfang an wegen seiner Zielstrebigkeit und Reife der Traumschwiegersohn gewesen. Heimlich hatte sie ja immer gefürchtet, Usagi würde einen nichtsnutzigen Versager heim schleppen. Sie wollte, dass Mamoru sich vollends auf seine Abschlussarbeit konzentrierte und erlaubte ihm nicht, auch nur einen Finger im Haushalt zu rühren. Stets war sie freundlich zu ihm. Kenji hingegen war – für einen Vater typisch – Mamoru leicht suspekt, behandelte ihn jedoch nicht respektlos. Freunde würden die beiden wohl keine werden, aber immerhin hatten sie sich schon zum Pokern zusammengesetzt. Shingo, Usagis fünfzehnjährigen Bruder, blieb relativ unbeeindruckt, doch ließ sich von Mamoru gerne bei den Hausaufgaben helfen. Trotz aller Rücksicht der Familie blieb Mamoru mit seiner Abschlussarbeit auf der Stelle stehen. Ein Teilzeitjob war nämlich keine ausreichende Beschäftigung für seine Verlobte, sie folgte ihn auf Schritt und Tritt, lenkte ihn ab, auch wenn er ihr erklärte, dass er wichtiges zu tun hatte. Außerdem wollte Usagi stets sehr früh schlafen gehen, sodass er auch nachts, wenn er nicht seinem Kellnerjob nachging, nicht arbeiten konnte, da er qausi in ihrem Zimmer festsaß. Einmal hatte er sich ins Wohnzimmer gesetzt und bis drei Uhr in der Früh geschrieben. Da er Usagi jedoch nicht hatte wecken wollen, schlief er auf der Couch. Die Rückenschmerzen brachten ihn am nächsten Tag fast um. Außerdem war es zu einem Streit zwischen Mutter und Tochter gekommen, warum sie diesen tollen Mann so schlecht behandelte. Heute hatte er allerdings frei und konnte seiner Abschlussarbeit nachgehen. Er verabschiedete sich mit einem Kuss bei Usagi und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Mit Hass starrte er auf den einzigen Satz, welchen er in den zwei Stunden geschrieben hatte. Grund war das Wort „Hypothese“. Sein Professor hatte ihm schon mehrfach erklärt, dass seine Arbeit nichts wert sein würde, wenn diese sich nur um eine Hypothese drehe – er brauchte Fakten und Beweise. Es standen ihm jedoch nicht die nötigen Mittel dafür zu Verfügung. Die Studentenlabore der medizinischen Fakultät waren zu schlecht ausgestattet und die Kontaktperson, die ihm sein Professor vermittelt hatte, wollte sein Labor nicht für „Laienexperimente“ hergeben. Frustriert klappte er den Laptop zu und beschloss für heute aufzugeben, da er sowieso noch verabredet war. Immerhin hatte er keinen tatsächlichen Zeitdruck, wann er mit der Arbeit fertig wurde, war dem Professor gleich, es konnte auch während dessen Pension noch das Studium bei ihm abschließen. Jedoch hatte Mamoru sich schon immer hohe Ansprüche an sich selbst gestellt – bis zum Sommer wollte die Arbeit abschließen. Er hatte erst die Hälfte und es war schon Anfang März. Wenn es so weiter ging, konnte er die sich selbst gestellte Frist nicht einhalten, was ihn nun schon deprimierte. Die Temperaturen waren noch relativ kühl, doch mit Jacke und Schal war es erträglich im Freien zu sitzen. Mamoru saß im Park und schmökerte während der Wartezeit – er war zu früh angekommen – in einem medizinischen Fachbuch und erhoffte sich vergebens ein wenig Inspiration. Setsuna Meio erschien pünktlich auf die Minute und setzte sich neben ihn. Auf die übliche Gesprächsstarfrage, wie es einem so gehe, fing Mamoru an seine Abschlussarbeit zu verfluchen. „Diese Phase hatte ich auch. Momente in denen ich einfach nur aufgeben wollte. Aber keine Angst, das geht vorbei.“ Setsuna hatte vor drei Jahren ihren Magister in Physik erhalten, was Mamoru jedoch erst vor ein paar Monaten erfahren hatte. Dies, und dass sie vor zwei Jahren für einen Professor für experimentelle Physik gearbeitet hatte und sich inzwischen auf die Astrophysiker spezialisiert hatte, konnte man sich kaum vorstellen. „Setsuna Meio“ schien nämlich immer eine Scheinidentität für Sailor Pluto zu sein, während die anderen Kriegerinnen ein Alter Ego der Mädchen darstellten. Dass Setsuna auch ihrer zivilen Identität einen Sinn geben wollte, schien befremdlich für einen Außenstehenden. Obwohl sie schon länger wieder Kontakt miteinander hatten, konnte sich Mamoru noch immer nicht daran gewöhnen. „Schaff ich es?“, fragte Mamoru. Sailor Pluto und ihre Aufgabe als Wächterin des Tors zu Raum und Zeit verführten ständig zu Fragen über die Zukunft. Doch die Antwort war immer dieselbe: „Selbst wenn ich es könnte, dürfte ich es dir nicht sagen. Doch wie ich dich kenne, bin ich mir sicher. Mein Vertrauen hast du.“ Sie lächelte. „Aber das ist doch nicht der Grund, warum wir uns treffen.“ Er schüttelte den Kopf. „Hikari.“ Setsuna blickte betrübt: „Hat sie sich wieder bei dir gemeldet?“ Mamoru nickte. „Ich zweifle inzwischen meine Entscheidung an, nie wieder etwas mit dieser Familie zu tun haben zu wollen. Einerseits habe ich das Gefühl, dass meine psychische Gesundheit davon abhängt, von diesen Leuten fern zu bleiben. Doch ich kann Hikari andererseits nicht im Stich lassen, wenn ich weiß, wie schlecht es ihr geht.“ Er sah Setsuna an. „Was soll ich machen?“ Setsuna atmete tief durch. „Ich habe deine Entscheidung schon damals kritisiert, auch wenn ich sie verstehen kann. Ich halte sie nur für eine Schockreaktion, nicht für eine rationale Entscheidung. Deswegen: Hilf Hikari.“ „Dennoch... allein dadurch von ihr und Ryo zu erfahren, hat mich verändert und scheint irgendwie einen wesentlichen Teil von mir genommen zu haben. Ich habe Angst, dass ich immer mehr von mir verlieren werde, wenn ich den Kontakt aufrechterhalte. Gute Dinge.“ Er fuhr sich mit der Hand durch Haar, Setsuna legte ihn tröstend die Hand auf die Schultern. „Das wirst du nicht. Ich kenne dein zukünftiges Ich. Ein sanftmütiger und gerechter Mann, der dasselbe durchstand, wie du nun durchstehen musst.“ „Was ist, wenn mein zukünftiges Ich nur so toll ist, weil es gegen den Kontakt mit Ryo und Hikari entschieden hat?“ Ihr Blick verfinsterte sich – gerne hätte sie ihm eine konkrete Antwort über seine Zukunft gegeben. Sie redete daher das übliche weiter: „Und um logisch zu argumentieren, du hast immer schon Ryos Gene in dir getragen. Wieso sollten sich plötzlich seine schlechte Eigenschaften zeigen, nur weil du seit kurzem weißt, wer dein Vater ist.“ Mamoru musste unfreiwillig lächeln: „Etwas Ähnliches würde Usagi sagen.“ „Hast du schon mit ihr darüber gesprochen?“ „Nein. Weil sie mich nicht verstehen würde.“ Im Gegensatz zu Setsuna, die ihn zwar offen kritisierte, aber ihm nicht ihren Willen aufzwang. Setsuna seufzte: „Ich denke mir einmal aus, was sie sagen würde und schließe mich ihrer Meinung an – hilf Hikari. Ich kenne sie. Ein fleißiges, braves Mädchen, das eine bessere Welt verdient hat. Strafe sie nicht, nur wegen deiner irrationalen Ängste.“ Mamoru lächelte. „Heimlich tendiere ich sowieso zu dieser Alternative. Nur du musst mir dann beibringen, wie man fünfzehnjährigen Mädchen umgeht.“ Setsuna knurrte: „Berichte über Hotarus letzte Aktionen würden dich abschrecken, mit einer Pubertierenden Kontakt zu haben.“ Setsuna erzählte es trotzdem, schließlich hatte sich schon Mamoru bei ihr ausgeweint. Nun war sie am Zug. Die Geschichte drehte sich darum, dass Hotaru gestern Nacht einen hysterischen Anfall bekommen hatte, da sie meinte, eine unheimliche Präsenz gespürt zu haben. Setsuna glaubte ihr nicht. Hotaru hat daraufhin angefangen sie zu vulgär beschimpfen und ließ aus Protest bis vier Uhr in der Früh die Musik laut laufen. Mamoru riss die Augen auf: „Das war keine Einbildung.“ Setsuna blinzelte ihn an. „Das ist wirklich passiert. Hast du von dem Brand im Hotel Plaza Scala gehört?“ Und er begann von den gestrigen und weiter zurückliegenden Ereignissen zu erzählen. Von den Angriff auf Usagi und andere junge Frauen. Von Sailor Sun und Akane Tayo. Von Besessenheit. Von dem Energieschub, den er und die Mädchen gestern bekommen hatten. Setsuna hörte aufmerksam zu. Sie rieb sich die Schläfen. „Dann habe ich Hotaru unrecht getan.“ Sie seufzte. „Ich bin wohl zu eingerostet, um so etwas noch zu spüren.“ Mamoru konnte sich kaum vorstellen, dass Sailor Pluto von ihrer zivilen Identität übermannt wurde, doch da ihre Schuldgefühle echt waren, glaubte er ihr. „Wieso hast du mir nicht eher etwas erzählt?“ Er zuckte mit den Schultern: „Ich wollte den neuen Gegner wohl selbst nicht ganz wahr haben.“ Pause. „Einmal habe ich sogar Usagi im Stich gelassen.“ Er biss sich auf die Lippen. Setsuna streichelte ihm über den Rücken und unterdrückte Fragen, die sie nicht stellen wollte. Usagi machte sich sicher Sorgen, wenn er noch länger wegblieb. Er hatte gesagt, er war nur vier Stunden unterwegs. Das Telefongespräch würde sicher eine Stunde dauern. Hikari redete viel. Es dauerte lange, bis jemand abhob. Währenddessen irrten ihm zahlreiche Gedanken durch den Kopf. Man gab mir den Namen Kato Fujigawa. Als ich sechs Jahre alt war, fuhren ich und meine Eltern, Ryo und Mei Fujigawa, zu einem Meeresurlaub. Während der Fahrt begegnete einem Auto vor uns ein Geisterfahrer, was auf der befahrenen Straße zu einem Massenunfall führte. Unser Auto war dabei. Das nächste woran, ich mich erinnerte, war, im Krankenhaus aufzuwachen, schwer verwundert, jedoch am Leben. Im Gegensatz zu meinen Eltern, wie man mir sagte. Meine einzige Erinnerung bestand aus dem Autounfall, der Rest waren Momentaufnahmen, Schnappschüsse. Meinen Namen wusste ich nicht mehr – die Ärzte nannten mich Mamoru Chiba. Bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr wuchs ich in Waisenhäusern auf. Schlechtes Umfeld, doch ich schaffte meinen Schulabschluss und studierte erfolgreich. Ich hatte nur wenige Freunde – meine Erfahrungen verbaten mir ein allzu schnelles Vertrauen in andere Menschen. Bis ich Usagi kennenlernte, ein Mädchen, das mich in eine bessere Welt führte und glauben ließ, dass alles gut war. Von ihr lernte ich auch, dass meine wahre und scheinbar wichtigere Vergangenheit Prinz Endymion hieß und im Prinzip egal war, wer Mamoru Chiba vor dem Autounfall und dem Gedächtnisverlust gewesen ist. Und der wichtige Prinz Endymion manifestiert sich in dem maskierten Retter Tuxedo Mask. Wie sich herausstellte, ist meine Kindheit vor dem Autounfall mir nicht egal. Hotaru Tomoe ist ein besonderes Mädchen, das viele Dinge über Menschen nur über dessen Aura erfahren kann. Vor wenigen Monaten lernte sie ihrer Schule ein Mädchen namens Hikari Fujigawa kennen, die sie als meine Halbschwester identifizierte. Ihre Ziehmutter Setsuna Meio kontaktierte mich, ich nahm ein Kontakt zu der Familie auf und ein DNA-Test bewies die Verwandtschaft. Ich war mit einem anderen Knaben, der am Autounfall zusammen mit seiner Familie verstorben war, verwechselt worden. Mein Vater Ryo hatte die Katastrophe überlebt. Welche Macht ein Name hat, ist unglaublich, denn dass ich nicht auf Mamoru Chiba getauft wurde, sondern einen vollkommen anderen Namen trage, war ein Schock. Das schlimme war, dass mir der Name vertraut vorkam. Ryo nennt mich „Kato“ und ich reagiere, als ob ich nie Mamoru war. Doch als Mamoru Chiba lernte ich meinen vergangen und zukünftigen Namen „Endymion“ kennen – könnte Kato Tuxedo Mask sein, war Kato Prinz Endymion, kann Kato König Endymion sein? Verbunden in diesem Namen ist nämlich auch der Charakter meines Vaters Ryo – ein arbeitsloser Alkoholiker, der seine junge Tochter arbeiten schickt und gerne mal zuschlägt, wenn sie auch nur eine Kleinigkeit tut, die gegen seinen Strich geht. Ich sehe Ryo extrem ähnlich. Wenn ich die optischen Aspekte von ihm geerbt habe, dann auch die charakterlichen? Würde ich dann nicht nur auf „Kato“ reagieren, sondern zu „Kato“ werden? Ich habe Angst, dass Ryo solch negative Eigenschaften in mir erweckt, seine bloße Präsenz macht mich aggressiv, der Gedanke an ihn übellaunig. Ryo ist alles, was ich nicht sein möchte. Doch er hat etwas an mich weitergegeben, das „Kato“ heißt. Ich will nicht Kato werden. „Hallo!“, meldete sich eine helle Stimme. „Hikari, hallo, ich bin’s!“ „MAMORU!“ Sie nannte ihn bei dem Namen, den er jahrelang benutzt hatte. Ein weiterer Grund, warum „Kato“ böse war – nur der charakterlose Ryo nannte ihn so. Die unschuldige Hikari aber nannte ihn „Mamoru.“ „Ich bin so froh, dass du dich meldest. Ich dachte schon, ich müsste meinen großen Bruder aufgeben.“ Er lächelte. „Keine Angst. Ich plage mich gerade sehr mit meiner Abschlussarbeit, ich hab leider ein wenig auf dich vergessen. Doch nun habe ich Zeit. Magst du etwas unternehmen?“ „Gerne!“, frohlockte sie. „Heute?“ Mamoru vertröstete sie auf morgen, was Hikari nicht weiter zu stören schien. Er fragte sie nach ihrem Schultag. Hikari fing an zu reden und hörte, wie erwartet, auch nach einer Stunde nicht auf. Als er aufgelegt hatte, meldete ihm eine SMS 11 entgangene Anrufe, die eingegangen waren, als mit seiner Halbschwester telefoniert hatte. Alle Anrufe stammten von Usagi. Er seufzte. Ständig muss sie um mich herum sein, als wäre ich der einzige Mensch, der sie beschäftigen könnte. Dabei fällt es der Guten alles andere als schwer, Freundschaften zu schließen... mit diesem Talent müsste sie doch darüber hinwegsehen, dass ich in dieser schwierigen Zeit mich nicht immer mit ihr beschäftigen kann. Zwar weiß sie nichts von Kato, Hikari und Ryo, doch ich sollte fertig werden mit der Abschlussarbeit nicht Argument genug sein, meine Ruhe haben zu können? Sie spricht die Vorwürfe zwar nicht aus, doch immer lese ich Enttäuschung in ihrem Gesicht. Die Aussage ist klar: Glaubst du, ich habe es leicht? Und damit verweist sie nicht einmal auf das Nichtbestehen der Aufnahmeprüfung auf die Universität. Sie verweist damit auch nicht auf Sailor Moon und die neuen Feinde. Denn ich zeigte ihr ihre Zukunft und wecke damit Ängste, den Ansprüchen der Zukunft gerecht zu werden. Und dann sagt sie ihr einziger Anhaltspunkt auf Gelingen ist die Ehe mit mir, sie verlässt sich auf mich, dass ich sie auf den richtigen Weg führen und sie tatkräftig unterstützen werde. Langsam frage ich mich, ob sie sich nicht in eine Illusion verrennt, die sie nur aufgrund eines kurzen Einblicks in unsere Zukunft geschaffen hat. Schließlich beunruhige ich sie mit meinem Trost mehr, als dass ich helfe. Daher blocke ich das Thema ab, meist schnippischer als ich möchte. Und dann wirft sie mit den Augen vor, sie in Anbetracht einer anspruchsvollen Zukunft alleine zu lassen. Doch sind die Ansprüche an mich nicht genau so groß? Sie sollte sich endlich eine sinnvolle Beschäftigung außerhalb von Sailor Moon und dem Mondkönigreich suchen. Für vieles ist sie doch zu sehr ein naives Mädchen. So kann ich mit ihr über gewisse Dinge nicht reden. Ich kann ihr die Komplexität eines Verhältnisses mit Ryo und Hikari nicht klar machen und mich zu Kontakt zu ihnen zwingen. Sie versteht nicht, wie schwierig es ist, eine komplexe Abschlussarbeit zu schreiben, um später einmal ernst genommen zu werden. Manchmal frage ich mich, ob das ganze nur Sinn macht. Manchmal frage ich mich, ob wir nur noch liiert sind, weil sie von mir abhängig wurde. Manchmal frage ich mich, ob ich nur noch mit ihr liiert hat, weil wir historisch miteinander verbunden sind? Verdammt, weg mit diesen Gedanken! Er rief Usagi zurück und erklärte ihr, so vertieft in die Arbeit gewesen zu sein, dass er nicht auf die Uhr gesehen habe, und er habe noch länger vor zu schreiben, weil er endlich Inspiration gefunden habe. Eine Lüge. Er spazierte stattdessen gedankenlos im Park herum. War es die historische Verbundenheit, seine Gefühle für Usagi oder einfach Bestandteil seiner Kraft, dass er jedes Mal einen Stich im Herzen fühlte, wenn Usagi in Gefahr war. Sein Verhalten war blasphemisch gewesen... zweimal hatte er das Alarmsignal schon ignoriert. Das erste Mal, als Usagi ersten Kontakt mit den neuen Feinden hatte, da er derartiges nicht erwartet hatte und es für eine Stressreaktion hielt. Das zweite Mal, weil er mitten in einem Gespräch mit Hikari steckte, die er nicht unhöflicher abwimmeln wollte, als er es eh schon tat. Beim Nichtstun konnte er das Signal aber nicht ignorieren. Mamoru rannte los, die Richtung gaben seine Füße vor. Er wusste nicht, wo Usagi war. Im Prinzip spielte das keine Rolle, da stets seine Intuition ihn in die richtigen Bahn führte, aufgrund ihrer Vergangenheit, ihrer Zukunft, ihrer innigen Liebe, weiß der Teufel, warum genau. Ihren ungefähren Aufenthalt kannte er dennoch stets. Heute nicht. War sie arbeiten? Zu hause? Besuchte sie Rei? Seiner Intuition war die komplette Unwissenheit jedoch egal, seine Füße führten ihn zu Izumis Laden. Vor geschlossener Tür spürte Mamoru die Präsenz einer dämonischen Kraft. Wie zur Bestätigung ertönte ein Schrei und identifizierte Usagis Stimme. Da stand sie nun in ihrer neuen Uniform, strahlend, wie man es Engeln zuschrieb, unbeugsam und stolz, so wie er sie noch nie gesehen hatte; eine Hand war zur Faust geballt, in der anderen hielt sie ihren neuen Stab. Sie sah aus, als ob sie gleich angreifen würde. Offensichtlich hatte diese neue Macht mehr bewogen als einen bloßen Energieschub. Doch er fragte sich, warum er überhaupt herbeigeeilt war, wenn es keine merklichen Anzeichen für Bedrängnis gab. Sailor Moon hatte alle Gliedmaße frei, war nicht verletzt, war nicht entwaffnet. Doch die Bedrängnis zeigte sich nicht in einer direkten Bedrohung für Sailor Moon, sondern für die Opfer. Izumi, offensichtlich auf gebrochenen Beinen stehend, hielt sich selbst eine Pistole an die Schläfe, während Yuzuki von einem Monster, eine Art Gorilla, in Schach gehalten wurde, indem es sie würgte. Das Szenario sprach für sich: Während Sailor Moon eine würde retten können, würde die andere sterben. Und Mamoru wusste nicht, ob ein sponates Eingreifen nicht zu dem Tod beider führen würde. Es war sicher besser, keine Rose zu werfen. Er entschied sich, langsam zu nähern. „Ergib dich. Entscheide dich“, sagte Izumi mit einem Finger den Abzug der Pistole liebkosend. „Ach, neuer dazukommender auch!“ Offensichtlich hatte Izumi Tuxedo Mask vor Usagi bemerkt. Er legte Sailor Moon die Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und blickte ihn erleichtert an. „Ist sie besessen?“, fragte er. Sailor Moon nickte. „Und wenn ich eine von ihnen retten möchte, wird die andere sterben.“ Er nickte. Schließlich hatte er das Szenario schon lange durchschaut. „Auf drei widme ich mich Izumi, du dich dem Monster.“ Bei diesem Satz fühlte sich Tuxedo Mask seltsam. Er hatte noch nie Taktikvorschläge gegeben. Sie starrte Mamoru entsetzt an. „Aber, wenn etwas schief geht, dann...“ „Es ist unsere einzige Chance. Wie gesagt auf drei. Eins...“ Usagi presste die Augen zusammen und konzrentierte sich auf seine Stimme. „Drei!“ Sie sprang unverzüglich los, was er nicht erwartet hatte. Vertrauen? Und allen Geräuschen nach zu urteilen, gelang Sailor Moon es auch, ihre Cousine zu befreien. Doch er war zu sehr mit Izumi beschäftigt, um alles genau zu verfolgen. Er pakte die Hand der Frau und zog die Pistole weg von ihrer Schläfe. Ein Schuss fiel, doch dieser traf bloß die Wand. Er wand die andere Hand um ihren Hals, damit sie sich nicht bewegen konnte, doch mit mehr Kraft, als er der vierzigjährigen je zugetraut hatte, versuchte sie ihm zu entkommen und die Pistole zurück zu ihrem Kopf zu bewegen. Tuxedo Mask würde sie nicht mehr lange halten können. „Sailor Moon! Jetzt!“, rief er. Sie hatte die Lage unter Kontrolle. Doch sie zögerte, ehe sie dem Monster den letzten Stoß gewähren wollte. Inzwischen versuchte Izumi nicht mehr die Waffe zu ihrem, sondern zu seinem Kopf zu bewegen. „JETZT!“, schrie er wieder. Dass Sailor Moon erkannt hatte, was die besessene Izumi vorhatte, führte wohl zu folgenden Handlungen. Sie hielt den Stab in die Höhe und rief: „Mondlicht der Liebe, Sieg!“ Für einen kurzen Moment wusste Tusedo Mask nicht, was geschah. Doch als er wieder zu Besinnung kam, lagen er und Izumi am Boden. Sein Anzug wies überall Brandlöcher auf und ein kurzes Streicheln über die Stirn bewies, dass auch seine Gesichtshaut einige Verletzungen abbekommen hatte. Keine davon hatte die besessene Frau verursacht. Er richtete sich auf. Izumis Beine waren in Richtungen verdreht, die nicht natürlich waren. Sie blutete aus dem Mund und aus der Nase. Nur der Beinbruch war durch die Besessenheit oder der Konfrontation mit dem Monster verursacht worden. Yuzuki lag ebenfalls auf den Boden. Ihre Kleidung war fast vollständig verglüht und ihre Haut war mit Verletzungen übersäht. Er vermutete Brandwunden zweiten Grades in tödlichen Ausmaß. Keine davon hatte das Monster verursacht. Sailor Moon hielt mit beiden Händen den Stab umklammert. Sie keuchte, in ihren Augen spiegelte bloßes Entsetzen. Tuxedo Mask maß den Puls der blutenden Izumi und der mit Brandwunen übersähten Yuzuki. Bei beiden ging er nur schwach. Usagi fiel auf die Knie. Dicke Tränen strömten ihr über die Wangen. Tuxedo Mask wusste, dass die beiden dringend ins Krankenhaus mussten, doch er hatte das dringendere Bedrüfnis erst einmal den psychischen Zustand seiner Verlobten zu überprüfen. Zumal er einige Minuten Angst vor ihr verpürt hatte. Zum ersten Mal strömte ihre Macht nicht die bekannte Wärme aus. Doch wahrscheinlich war ihr Entsetzen über das Ergebnis größer als seines und es musste Einfühlsamkeit und Gleichgültigkeit weichen. Usagi hatte nun der Mittelpunkt zu sein. Er bückte sich zu ihr herunter und streichelte ihr über den Rücken. Usagi fiel schluchzend in seine Arme. „WAS HABE ICH GETAN!“ Mamoru fiel nichts Besseres ein als: „Dein bestes.“ „Es war zu viel!“, heulte sie und grub ihr Gesicht tief in seinen Hals. „Ich hab sie umgebracht!“ „Nein, sie leben. Und sie werden wieder gesund, wenn wir sie ins Krankenhaus bringen.“ „Sie hätten aber sterben können. Und es ist noch immer möglich. Was hab ich getan?“, schluchzte sie. „Du wusstest es nicht besser. Wenn wir sie rechtzeitig in ein Krankenhaus bringen, wird alles wieder gut.“ „DU VERSTEHST DAS NICHT!“, schrie sie und stieß ihn von sich weg. „Ich wollte immer die Menschen vor Gefahren bewahren. Mein ganzes Leben schien sinnlos ohne diese Aufgabe! Und jetzt bringe ich sie selbst in Gefahr, wenn ich ihnen helfen möchte!“ Daraufhin fiel sie wieder in seine Arme. Mamoru Chiba verstand in diesem Moment, dass es keinen Sinn hatte, Usagi mit seinen Problemen der realen Welt zu konfrontieren. Ihre Existenz definierte sich durch Sailor Moon und das Mondkönigreich. Und offensichtlich stand sie nun vor Probleme in dieser Sphäre, mit welchen sie nie gerechnet hätte. Probleme, bei welchen sie ihn brauchte und mit denen er ihr nicht helfen konnte, wie sie es nötig hätte. Genau so, wie er unerwartete Probleme in der „wirklichen Welt“ hatte, bei denen sie ihm nicht so helfen konnte, wie er es brauchte. Mamuro Chiba verstand, dass Usagi nun erwachsen werden würde. Und dies würde zeigen, wie sich die Beziehung und die Zukunft entwickeln würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)