Secretary von Anemia ([Crashdiet - FF]) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Hätte man mir erzählt, dass ich mich in naher Zukunft als Protagonist dieser Geschichte wiederfinden würde, hätte ich wahrscheinlich ebenso ungläubig wie fassungslos den Kopf geschüttelt. Doch es hat sich wirklich alles genau so zugetragen. Und das nur, weil ich auf der Suche nach einer neuen Sekretärin war, da ihre Vorgängerin bedingt durch ihre Schwangerschaft eine Pause einlegen musste. Wahrscheinlich war es ein Fehler. Aber wie sollte ich erahnen können, in welche Misere mich das Ganze bugsieren würde? Und was wäre, wenn die Wahrsagerin tatsächlich in ihre Kugel gesehen hätte, um mir mit großmütterlicher, geheimnisvoll säuselnder Stimme von meinem Schicksal zu berichten? Hätte ich dann diese eine Bewerbung tatsächlich sofort geschrottet? Vielleicht. Bestimmt sogar. Aber erst jetzt wusste ich, wie bitter ich es bereut hätte. Denn vor mir lag die wahrscheinlich aufregendste Zeit meines Lebens. Noch nie hatte mich etwas in ein derartiges Gefühlschaos gestürzt. Ich war eingesperrt in einem Käfig aus Lust und Verderben. Und nur er besaß den Schlüssel. Nur er. Nie würde er mich aus ihm befreien. Das war mir klar. ***** "Und wie sieht es mit Ihren EDV-Kenntnissen aus?" "Word ist kein Problem", wurde mir unverzüglich mit einem selbstbewussten Lächeln erklärt. "Und in Excel werde ich mich schnell reinfuchsen, denke ich." Ein letztes Mal kramte ich in den Unterlagen der jungen Dame. Blieb skeptisch. Spürte bereits jetzt, dass sie nicht die Richtige für mich war, wollte es ihr aber noch nicht sofort offenbaren. Wie alle Kandidatinnen vertröstete ich sie zunächst. Machte ihr Hoffnungen. Auch wenn das menschlich ziemlich daneben war. Aber so war das Business nun mal. Ungerecht, hart und absolut nicht sozial eingestellt. Zwar bezeichnete ich mich selbst als guten, fairen Chef, aber man musste die Grenzen seiner Gutmütigkeit kennen, sonst wurde man schneller ausgenutzt, als man gucken konnte. Eine Bewerberin konnte natürlich nicht sonderlich viel gegen mich ausrichten, aber im Grunde gehörte es sich auch nicht, einem jungen Mädchen, das gerade erst ihre Ausbildung beendet hatte, ins Gesicht zu sagen, dass ihre Fähigkeiten nicht ausreichten, um bei mir als Sekretärin einzusteigen. Ich hatte Ansprüche und ich durfte diese haben, denn ich bezahlte die Stelle gut. Manchmal glaubte ich jedoch schon, dass ich mir die perfekte Bewerberin erst backen musste. Eine hochintelligente Dame, die optisch ansprechend war, damit die Geschäftspartner schon ihretwegen ganz unbewusst in Abmachungen einstiegen. Redegewandt, computererfahren und schön. Gab es so eine Person überhaupt? Würde ich die Stelle jemals besetzen können? Fast schon ein Jammer, dass sich Cynthia im Babyurlaub befand. Denn sie war eine wahre Perle, für die man wahrscheinlich keine ebenbürtige Nachfolgerin finden konnte. "Ich melde mich dann bei Ihnen wegen einer Probewoche", vertröstete ich das Mädchen, welches noch immer sehr von sich und seinen Fähigkeiten eingenommen schien und mir mit einem breiten Lächeln im Gesicht ihre Hand hinreichte. "Auf Wiedersehen, Miss Persson." "Auf Wiedersehen." Als sie beschwingten Schrittes den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ ich mich seufzend auf meinem großen Ledersessel nieder. Die Suche ermüdete mich mittlerweile. Mindestens zehn Bewerberinnen hatte ich mir im Laufe des Tages angesehen und jede besaß ein Manko, mit dem ich mich nicht arrangieren konnte und wollte. Und irgendwie glaubte ich schon gar nicht mehr daran, ob die Richtige noch kommen würde. Zwar lag noch ein ganzer Stapel Mappen auf meinem Schreibtisch und die nächste Bewerberin wartete sicher bereits draußen, aber im Moment hätte ich sie am liebsten alle nach Hause geschickt. Genau wie die restlichen, die noch kommen würden. Aber ich gab mir einen Ruck. Vielleicht fand sich ja doch noch die Nadel im Heuhaufen. Die Perle schlechthin. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich schlug die oben liegende Mappe auf, damit ich wusste, wen ich jetzt gleich da draußen antreffen würde. Unter dem Anschreiben fand ich den Lebenslauf mit dem Foto vor. Und es traf mich wie ein Schlag. Es war das des jungen Mannes. Des einzigen männlichen Bewerbers, der wahrscheinlich die Annonce nicht richtig gelesen hatte oder nicht zwischen männlich und weiblich unterscheiden konnte. Ich hatte deutlich genug meine Suche nach einer Sekretärin kundgetan und es stellte wahrlich nicht die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit dar, wenn der Kandidat nicht einmal in der Lage war, einen kleinen Text sorgfältig zu lesen und zu erfassen. Ich fragte mich gerade tatsächlich, was mich dazu bewogen hatte, den Herrn einzuladen; sicher lag es daran, dass er meine Neugierde im negativen Sinne geweckt hatte und ich darauf brannte, diesen Idioten kennenzulernen um herauszufinden, was bei ihm sonst noch schief lief. Als die Uhr halb schlug, erhob ich mich von meinem Stuhl, um den Bewerber hereinzuholen. Voller Erwartungen (allesamt aber nicht von positiver Natur) trat ich in den Gang und als ich niemanden entdecken konnte, dem man das Bild im Lebenslauf auf den ersten Blick zuordnen konnte, rief ich den Herrn auf. "Mister Lundén?" Da löste sich plötzlich eine Person aus dem Pulk der wartenden Menge und kam geradewegs auf mich zugesteuert. Mit lässigem Schritt und einem breiten Lächeln im Gesicht. Um ehrlich zu sein begann alles in jener Sekunde. "Setzen Sie sich bitte." Schweigend nahm Mister Lundén mir gegenüber Platz. Sorgfältig faltete er die Hände auf dem Schreibtisch. Sah mich abwartend an. Ich sah ihn ebenfalls an. Besser gesagt, ich musterte ihn in aller Ausgiebigkeit. Weil er einfach der Typ war, der Blicke gefangen hielt. In der Realität wirkte er komplett anders als auf dem Foto. Die langen, blonden Haare hatte er heute zu einem strengen Zopf gebunden, lediglich die Strähnen vor den Ohren, die zu kurz waren, um sie am Hinterkopf zu fixieren, umschmeichelten sein etwas blasses Gesicht mit den tiefschwarz geschminkten Augen. Nie im Leben hätte ich ihn auf den ersten Blick für männlich gehalten. Selten hatte ich einen Mann mit dermaßen weichen, femininen Zügen gesehen. Trotz des grauen Anzuges wirkte er weiblicher als so manche der vorherigen Bewerberinnen, die bevorzugt große Ausschnitte und kurze Röcke trugen. "So. Bevor wir anfangen: Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?", fragte ich, nachdem ich mental wieder in das Hier und Jetzt zurückgekehrt war. "Ein Kaffee wäre nett", nickte mir Mister Lundén reserviert und höflich zu, aber irgendetwas sagte mir, dass er ein großes Temperament besaß. Vielleicht verrieten ihn seine ausdrucksstarken Augen und die sehr von sich überzeugte Körperhaltung. Vielleicht spielte er das Ganze aber auch nur, um Eindruck zu schinden. Das galt es herauszufinden. Wie gewünscht servierte ich dem Bewerber seinen Kaffee, den er mit einem dankbaren Lächeln annahm. Während ich mich hinter meinen Schreibtisch setzte, trank er einen kräftigen Schluck, aber ließ mich dabei ebenso wenig wie ich ihn aus den Augen. Um nicht wieder in ein unsägliches Starren zu verfallen, blätterte ich nun betont konzentriert in seinen Unterlagen. Glich noch einmal Bild und Wirklichkeit ab. Überflog die Kompetenzen und persönlichen Daten des jungen Herrn. Rechnete hastig das Alter aus. Er musste bereits um die dreißig sein und wirkte trotzdem noch so jugendlich-frisch und besaß dieses kecke, jungenhafte im Zusammenspiel mit seiner femininen Optik. Martin, jetzt reiß dich zusammen, redete ich mir schließlich zu mir selbst. Wenn du so weiter machst, sitzt du morgen früh noch mit ihm zusammen. Und hast ihn bereits mit Blicken gefressen. Ich räusperte mich einmal tief. Besann mich wieder auf das Wesentliche und stellte meine erste Frage. Wollte ihn endlich in das Fettnäpfchen treten sehen, wenn ich ihn mit damit konfrontierte, dass er etwas fehl am Platz war. "Wieso haben Sie sich auf die Stelle beworben? Eigentlich suche ich lediglich weibliche Bewerberinnen, ist Ihnen das bewusst?" Seine Lippen öffneten sich einen Spalt. Doch er wirkte nicht überrascht. Ganz und gar nicht. Viel mehr nickte er wissend und mit einem verklärten und gleichzeitig leicht überheblichen Ausdruck im Gesicht. "Wissen Sie, ich lege keinen Wert auf Geschlechterschubladen", setzte er zu einer Erklärung an. "Männlich...weiblich...das ist doch vollkommen egal, finde ich." Für einen Moment schaute er aus dem Fenster. Dann fixierte er wieder mich. "Ich weiß, viele Menschen fühlen sich sicher mit diesen Schubladen. Und im Grunde helfen sie vielen auch, um im alltäglichen Leben zu bestehen. Aber man sollte es auch akzeptieren, wenn jemand - entschuldigen Sie - einen Scheiß auf diese ganzen Einteilungen gibt. Deswegen empfand ich mich auch als passend für die Stelle. Ich besitze die Qualifikationen, werde Ihren Anforderungen gerecht - und wenn Sie wollen, dann bin ich auch ihre Sekretärin." Ich musste schlucken. Das war deutlich. Sehr deutlich. Und es verwirrte mich hochgradig. Um das zu verdauen benötigte ich einen kleinen Moment. Oder besser gleich einen ganzen Tag. Der Herr besaß auf jeden Fall eine ausgeprägte, eigene Meinung und schreckte auch nicht davor zurück, die kundzugeben. Derartiges schätzte ich ab und an sehr, aber abgesehen von seiner Ansicht zu Geschlechterrollen und Identifizierung glaubte ich, dass Mister Lundén mir fast schon ein wenig zu aufmüpfig war. Wie sollte ich mit jemandem zusammenarbeiten, der alles hinterfragte und eine große Klappe besaß? Meine Sekretärin sollte schon wissen, wann es richtig war, sich zu fügen und auf meine Entscheidungen zu vertrauen. Bei Mister Lundén war ich mir nicht sicher, ob er diese Anforderungen erfüllen konnte. Trotzdem interessierte er mich. Deswegen plauschten wir noch über dies und das; besser gesagt: er erzählte und ich fand mich das ein oder andere Mal gebannt an seinen Lippen hängend wieder. Es war nicht nur das, was er sagte, was mich in seinen Bann zog; es war auch seine angenehme, etwas tiefere Stimme, der ich problemlos den ganzen restlichen Tag hätte lauschen können. Wirklich: Dieser Mann konnte sprechen. Dieser Mann hatte das gewisse Etwas. Dieser Mann war einfach perfekt. Fast schon zu perfekt. Aber ob er für die zu besetzende Stelle taugte? Ich fand es auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht heraus. "Gut, eine letzte Frage noch", kündigte ich an. "Wie sieht es mit ihren Fremdsprachenkenntnissen aus? Wir besitzen Geschäftspartner in Frankreich und es wäre ein großer Pluspunkt, wenn meine Sekretärin..." Ich hüstelte etwas, da ich es noch immer als sehr befremdlich empfand, mit einem Mann über eine Anstellung, die eigentlich nur für weibliche Personen in Frage kam, zu sprechen. "Also, es wäre von Vorteil, wenn sie Französisch könnten. Wie sieht es damit aus?" Unverzüglich grinste Mister Lundén. Sein zuvor eher weiches Lächeln hatte sich gewandelt zu etwas, das ich nicht so wirklich zuordnen und schon gar nicht begründen konnte. Und das herausfordernde Funkeln in seinen Augen sprach ebenfalls eine Sprache, die ich nicht verstand. "Französisch - kein Problem. Absolut kein Problem", antwortete er schließlich mit einer leicht belustigten Melodie in der Stimme. "Wissen Sie, ich lerne Französisch, seitdem ich ein Teenager war. Sie können sich also darauf verlassen, dass ich es beherrsche. Besonders mündlich..." Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich zum Narren hielt und sich gerade köstlich über irgendetwas amüsierte. Doch über was? Dies war ein weiterer Punkt, der gegen eine Zusage sprach. Mein Verstand hatte während des Handschlags zum Abschied bereits mit ihm abgeschlossen. Aber mein Bauch sagte mir etwas anderes. Irgendetwas flüsterte mir, dass er wider jegliche vernünftigen Gründe der Richtige für die Stelle war. Später wurde mir klar, dass es nicht mein Bauch war, der mich zu dieser Entscheidung gedrängt hatte, sondern etwas, das ein paar Stockwerke tiefer lag. Dieser Mister London hatte etwas in mir geweckt, gegen das ich machtlos war. Dem ich mich hilflos ausliefern musste. Dem sich letzten Endes auch mein Kopf fügte. Es war der Sprung von der Klippe direkt in das Verderben, als ich seine Nummer wählte und am anderen Ende der Leitung seine Stimme vernahm. Als ich ihm meine Zusage erteilte, hatte ich mein Schicksal bereits besiegelt, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen. Doch es gab noch ein kleines Problem. Zunächst eher weniger für mich als für Mister Lundén... "Sie erinnern sich ja noch daran, dass diese Stelle eigentlich für eine...weibliche Person angedacht war", sprach ich. "Und ja, es gibt da etwas, das Ihnen vielleicht ein wenig unangenehm werden könnte." "Und was?" "Kommen Sie doch bitte morgen in mein Büro. Dort besprechen wir alles." Noch wirkte er nicht beunruhigt. Doch ich hätte mir eigentlich aufgrund seiner Einstellung bezüglich Geschlechterrollen denken können, dass sich dieser Zustand auch nicht ändern würde... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)