L2 von Kathey (Messed up kid that I was...) ================================================================================ Prolog: Zero ------------ "But there's a story behind everything. How a picture got on a wall. How a scar got on your face. Sometimes the stories are simple, and sometimes they are hard and heartbreaking.  But behind all your stories is always your mother's story, because hers is where yours begin." ― Mitch Albom "John, übernehmen Sie sich nicht damit." Mama Alenkos besorgte Stimme folgte ihm die Kellertreppe nach unten, und echote von den Wänden wieder, sodass er sie sogar noch hören konnte, während er am anderen Ende des Kellers vor den vielen Kisten stand, die sich seit der Renovierung des Hauses hier stapelten. Sich nicht übernehmen, sagte sie... Als ob ein paar Kartons mit Fotos und anderen Erinnerungsstücken ihm gleich zu viel wären. Und warum versuchte eigentlich die gesamte Familie, ihm zu sagen, dass er sich besser zurückhalten sollte? Sicher, ab und an waren seine Bewegungen noch etwas unpräzise und die Kinetik spielte noch nicht immer in dem Maße mit, in dem sie mitspielen sollte, aber er war schon so gut wie wiederhergestellt, es ging ihm wirklich gut. Was zu großen Teilen Miranda Lawson zu verdanken war. Und Kaidan sowieso. John wischte sich den Schweiß von der Stirn, und schob die Ärmel seines N7-Hoodies wieder hoch über die Ellbogen. Das war mindestens die zwölfte Kiste, die er nun nach oben trug, vielleicht sollte er wirklich eine Pause in Erwägung ziehen. Eine kurze, ehe er dann weitermachen würde! Er nahm die nächste Kiste und stieg die Stufen wieder nach oben. Mama Alenko stand bereits neben der Tür und betrachtete ihn besorgt. Es war beeindruckend, dass er diesem Bitte-hör-doch-auf-mich-Blick genauso wenig standhalten konnte wie dem ihres Sohnes. Manche Dinge blieben wohl einfach in der Familie. Dasselbe schwarze Haar (nur mit noch mehr grauen Strähnen als das von Kaidan) und derselbe besorgte Blick. Nur dieses Mal baten ihn dunkelgrüne Augen hinter den Brillengläsern anstatt der üblichen braunen. "Setzen Sie sich einen Moment." Sie ließ ihm kaum eine andere Wahl, nachdem er den Karton abgestellt hatte, schob sie ihn sanft aber bestimmt in Richtung der dunkelbraunen Eckcouch und ließ ihn darauf Platz nehmen, ehe sie ihm ein Glas Wasser in die Hand drückte. Es war wirklich lieb, dass sie sich Sorgen um ihn machte, aber es ging ihm gut, wirklich! Es war nun wirklich kein Problem, dabei zu helfen, alle Sachen aus dem Keller in das frisch renovierte Haus zu bringen. Gott sei Dank hatten die Reaper den Großteil dieser Gegend in Ruhe gelassen und so waren es wenige Schäden gewesen, die das Haus der Familie Alenko davongetragen hatte. Die emotionalen... nun, die waren wieder etwas anderes. "Sie müssen sich nicht so um mich Sorgen, Ma'am", meinte John und sah sich im Wohnzimmer um. Ein paar Bilder hingen schon wieder an den Wänden, zeigten Kaidans Eltern und Kaidan selbst. Hier bei seiner Einschulung, dort beim Schulabschluss... "Und dann meinem Sohn sagen müssen 'Tut mir leid, Kaidan, leider wollte dein Freund nicht hören und ist deswegen zusammengebrochen'?" Sie hob eine Augenbraue in seine Richtung, ehe sie in der Kiste wühlte. "Zur Not muss ich Sie wohl anbinden..." John verkniff sich ein Lächeln, stur war also auch die gesamte Familie. Brav trank er von seinem Wasser, als er Kaidans Mutter erstaunt "Da ist es!" rufen hörte. Schweigend ging er zu ihr hinüber, blickte über ihre Schulter und sah ein kleines, blaues Fotoalbum. Das Lächeln der stolzen Mutter sprach Bände. "Kaidan wird mir böse sein, wenn ich Ihnen das zeige", meinte sie mit einem Seitenblick auf John, der nur die Schultern zuckte. "Was er nicht weiß...", merkte er unterdrückt grinsend an. Mama Alenko ging hinüber zur Couch, setzte sich und klopfte mit der freien Hand auf das Polster, eine stumme Aufforderung für John, sich ebenfalls zu setzen. Er konnte wohl wirklich von Glück reden, dass sie ihn mehr als freundlich aufgenommen hatte. Eigentlich hatte er geglaubt, dass lange und peinliche Gespräche folgen würden, aber kaum ein paar Tage, nachdem er im Krankenhaus wieder einigermaßen auf den Beinen war, war sie zu Besuch gekommen, ihren Sohn mit ziemlich rotem Kopf im Schlepptau und hatte ihn herzlich umarmt. John hatte nur fragend über ihre Schulter zu Kaidan gesehen und ihr dabei unbeholfen den Rücken getätschelt. Er hatte wirklich einen Moment nicht gewusst, was er davon halten sollte, aber kurz darauf war er aufgeklärt worden. Nun, zumindest schien ihn Mama Alenko zu mögen. Und es schien ihr auch gleich zu sein, wen genau ihr Sohn da mit nach Hause brachte, "Hauptsache, er ist endlich glücklich". Und nun saßen sie hier, auf der Couch im Haus der Alenkos, und sie zeigte ihm ein Album mit... ja, womit eigentlich? Er sah zu, wie das Album aufgeschlagen wurde, und schon das erste Bild ließ ihn grinsen. Ein Neugeborenes, das Gesicht etwas verzogen, als wolle es darum bitten, nicht fotografiert zu werden, und neben dem Bild standen Name und Geburtsdatum des Kleinen. Kaidan Alenko. Nun, das war nicht überraschend. Kaidans Mutter erklärte ihm, dass sie die Technik zwar schätzte, aber diese Fotos hier, die seien etwas, was ihr nie verloren geben würde. Und lieber sah sie sie sich in einem Album an, als irgendwo auf einem Bildschirm. "Wissen Sie, John." Die sanfte Stimme brachte ihn dazu, sich vom Bild loszureißen und zu ihr zu sehen. Die Frau sah mit einem fast schon traurigen Lächeln auf das Bild, die Finger strichen sanft über die Buchstaben auf dem Papier. "Mein Junge bedeutet mir alles." "Verständlich." "Man hat mir mehr als einmal nahe gelegt, die Schwangerschaft abzubrechen. Die Risiken seien zu groß, die Auswirkungen des E-Zero auf das Ungeborene nicht bekannt. Acht von zehn Babys würden bereits mit Krebs geboren werden."   Mama Alenko seufzte leise und schüttelte den Kopf. John hatte den drängenden Impuls, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Im Moment wirkte sie so zerbrechlich, so traurig, dass er ihr gerne irgendeinen Halt hätte geben wollen. Aber gerade in dem Moment, als seine Hand zu ihrer Schulter wanderte, da hob sie den Kopf und sah zu ihm. Und sie lächelte. "Aber nicht mein Kaidan."   Sie sahen das Fotoalbum weiter durch. Kaidan bei seinen ersten Gehversuchen, bei seiner Einschulung. Fotos vom Familienurlaub, von Kaidan mit seinem Vater, von ihm zu der Zeit, als er die L2-Implante bekommen haben musste. Zumindest war die Narbe am Hinterkopf unverkennbar, über die gerade wieder Haare zu wachsen begannen. John kam nicht umhin, Kaidan für seine Familie zu beneiden. Er hatte selbst nie erfahren, wie es war,  von den Eltern geliebt zu werden, aber es musste sich verdammt gut anfühlen. Zumindest, wenn er sah, wie stark dieses Band zwischen Kaidan und seiner Mutter war. Aber wahrscheinlich war das bei diesen Umständen nicht ungewöhnlich. Und wahrscheinlich hatten sie noch mehr kämpfen müssen, als ihm jetzt im Moment bewusst war. Es war ein Bild, das aus dem Album fiel, das ihn aufmerken ließ. Geräuschlos glitt es zu Boden, blieb mit der bedruckten Seite nach unten liegen. Schweigend hob John es auf und drehte es um. "Oh." Auf dem Foto musste Kaidan in etwa 17 sein. Oder genau 17. Die Haare waren etwas unordentlicher, als John sie von ihm kannte, und die Jacke schien fast schon eine Nummer zu groß für ihn zu sein. Als hätte er einmal in sie gepasst und wäre dann irgendwie etwas in sich zusammengefallen. Der Junge auf dem Bild lächelte zwar, aber... "Hat er Ihnen davon erzählt?" John sah nicht von dem Bild auf, während er nickte. "Ich wusste nicht, wie schlimm es war." Er hatte es sich vorgestellt, aber die Wirklichkeit übertraf alles, was er hätte erahnen können. Kaidans Gesicht war übersät mit blauen und roten Flecken, ein Auge schien er kaum richtig öffnen zu können. Die Lippen sahen aus, als wären sie fast schon fein säuberlich aufgeschnitten worden. Der längste Schnitt verlief vertikal über Ober- und Unterlippe. John kannte diese Narbe. Er hatte geglaubt, zu wissen, woher Kaidan sie hatte, aber dass es so ausgesehen haben musste... weitere, kleinere Schnitte verliefen über der Oberlippe und knapp unter Kaidans Mund. Sie schienen zu heilen, aber es war dennoch kein schöner Anblick. Die Hand, die Kaidan zum Gruß erhoben hatte, war bandagiert. Scheinbar waren auch zwei Finger gebrochen gewesen. Wahrscheinlich hatte es unter der Kleidung noch mehr Verletzungen gegeben. Und dennoch lächelte der Junge den Betrachter an, als wollte er sagen "Schau, gar nicht so schlimm!" "Verdammter Bastard", entkam es John leise, ehe er etwas dagegen tun konnte. Und Kaidans Mutter wusste genau, dass er nicht ihren Sohn meinen konnte. "Kaidan hat zwar etwas von einem Messer gesagt, aber ich wusste nicht, dass es so... nun, so schlimm war." "Wie könnten Sie auch?" Frau Alenko legte eine Hand auf seinen Rücken, eine ziemlich tröstende Geste, wenn John ehrlich war, und sie brachte ihn dazu, endlich wieder aufzusehen. "Das ist mein Junge. Er sagt 'Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht' und es ist so schlimm, wie es aussieht. Meist noch schlimmer. Seine Kopfschmerzen seien heute nicht so stark? Er hat immer gewartet, bis ich aus dem Raum war, ehe er auch nur gewagt hat, das Gesicht zu verziehen. Er hat sich nie auch nur ein einziges Mal beklagt. Als müsste er stark für mich sein, weil ich es für ihn war." Das klang für John ziemlich nach Kaidan. Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Ich habe Ihre Zeit genug in Anspruch genommen, Commander. Ich fühle mich gut genug, um mit auf Mission zu kommen, Shepard. Nicht ein einziges Mal hatte er sich beklagt. Und sich stattdessen immer um die anderen gesorgt. Geht es dir gut, John? "Er muss einiges mitgemacht haben dort auf Jump Zero", sagte John schließlich leise. "Ich kann Ihnen erzählen, was ich davon weiß. Und wahrscheinlich ist es dennoch 100 Mal schlimmer, als er es uns beiden weismachen wollte." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)