The Akatsuki Job von 4FIVE ([Itachi x Sakura | modern AU | thriller]) ================================================================================ Kapitel 7: Eleven Days Nightmare -------------------------------- . . Mit erhobenem Lauf vor ihrem angespannten Gesicht, spähte sie um die Ecke des winzigen Flurs in die spartanisch eingerichtete Wohnküche. Die Einrichtung war unversehrt, bloß ein Tisch war zu Kleinholz zersplittert worden. Als sie weiter ins Innere lugte, kamen Glasscherben und eine Blutspur zum Vorschein. Das durfte einfach nicht wahr sein. Sie gab ihre Deckung auf. Naiv und voller Sorge. "Naruto!" . . Es war unprofessionell, was sie tat, doch beim Anblick ihres zugerichteten Freundes verlor sie jede Kontrolle über ihre Beherrschung. Die Waffe von sich schleudernd, stürzte sie auf Naruto zu. Blut klebte an seinen Knöcheln, Armen, Beinen und in seinem Gesicht, das von Blutergüssen, Prellungen und Schrammen übersät war. Sie kniete sich neben den geschundenen Körper ihres Freundes, um seinen Puls zu fühlen. Er war schwach, aber vorhanden. "Ruf' einen Krankenwagen!", schrie sie Sai unnötiger Weise an. Er hatte längst sein Mobiltelefon aus der Tasche gezogen. Sie wandte sich ihrem schwerverletzten Freund zu. "Naruto, halte durch! Ich flehe dich an!" Als wäre jemand solcher Gemeinplätze wegen schon irgendwann einmal aufgewacht. Er war bewusstlos, was ihr Angst machte. Unter derartigen Verletzungen das Bewusstsein zu verlieren, war eine gefährliche Angelegenheit. Zu überleben war die eine Schwierigkeit. Aus einer daher rührenden Bewusstlosigkeit wieder aufzuwachen, eine ganz andere. Sakura spürte, wie ihre Finger mit jeder Sekunde, die sie tatenlos verstreichen lassen musste, mehr zitterten. Sie hielt ihren Freund schützend im Arm, seinen schlaffen Körper dicht umschlungen, während stumme Tränen an ihren Wangen herabrannen. Wie lange hatte er wohl so daliegen müssen? Es war über zwanzig Stunden her, dass ihn jemand gesehen hatte. "Was ist das?" Sai strich über einen Zettel, der an Narutos nacktem Arm klebte. Sie besah ihn sich durch den Tränenschleier genauer. Er klebte nicht. Er war angetuckert. Eine Welle des wütenden Entsetzens rollte über ihre Angst hinweg, nahm sie mit und hinterließ brennende Leere in ihrem Inneren. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Diese Schweine—diese Scheißkerle—sie hatten eine Warnung an den Oberarm ihres Freundes geheftet. Mit handelsüblichen Tuckernadeln. Die Warnung war an Sasuke adressiert. Er sollte sich zurückhalten. Was auch immer damit gemeint war. "Wir sagen Sasuke-kun nichts", entschied sie. "Wenn Akatsuki sich einmischt, sind wir zu nahe an unserem Ziel. Zumindest denken sie, dass wir mehr wissen, als gut für sie ist. Wir werden ihnen keinen 4 geben, zu glauben, wir würden kleinbeigeben. Naruto hätte das nicht gewollt." "Sprich keine Grabrede auf ihn", sagte Sai ruhig. Er strich seinem Kameraden über das zerzauste Haar. "Das beschwört nur böse Geister." . . Im Nachhinein konnte Sakura nicht sagen, wann die schrillende Sirene ihre Hoffnung geschürt hatte. Ebenso wenig wie sie sich daran erinnern konnte, Narutos Hand losgelassen zu haben, als man ihn in behutsamer Hektik in den Krankenwagen verfrachtet hatte. Als Notfallkontakt waren sie und Sasuke angeführt, der schnaubend das Wartezimmer vor dem Operationssaal betrat; dicht gefolgt von Shikamaru, der Inos Hand halten musste, und Hinata, die von Neji und Tenten gestützt vor Zittern kaum gehen konnte. Ein Schüttelfrost hätte ihren Körper nicht so in Bewegung versetzen können. Ihre noble Blässe war zu einem aschfahlen Ton verkommen, der ihre hellen Augen kränklich hervorhob. Als sie in den Warteraum stolperte, stürzte sie weinend auf Sakura zu. Hinter ihr schloss Lee mit Kiba die Kette. "Wo ist er?" Sie strich ihr sanft durchs Haar, ohne etwas zu sagen. Was hätte es auch gebracht? Hinata wusste, dass ihr Freund gerade operiert wurde. Mehr konnte Sakura ihr auch nicht verraten, ohne ihrer aller Tarnung zu sprengen. "Es wird alles gut", verwandte sie stattdessen kostbare Atemluft auf diesen Gemeinplatz, der ebenso wenig half wie jener zwei Stunden zuvor. Shikamaru trat an sie heran und fädelte Inos Arm, der ihn partout nicht loslassen wollte, um Hinata. "Am besten besorgst du dir einen starken Kaffee von der Kantine. Ino, würdest du sie bitte begleiten?", bat er eindringlich. Ino widerstrebte es, die Szene zu verlassen, doch sie verstand. Rührend führte sie die aufgelöste Familienanwältin den Flur entlang. Er schloss die Tür hinter ihnen und lehnte sich dagegen, um ihre Runde vor fremden Ohren zu schützen. Sie waren noch in ihren traditionellen Kimonos. Kein schönes Ende für diesen Tag, der von Freude und Normalität hätte geprägt sein sollen. "Akatsuki?", fragte er in den Raum. Sakura machte einen Schritt in die Mitte. "Vermutlich." "Was sollen wir tun?" Neji lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. "Die Frage lautet: was können wir tun? Es wird zu viel für unsere Gruppe. Kakashi-san, Gai-sensei und Asuma-san sind selbst auf jemanden angesetzt, also haben wir nach Narutos Ausfall und meiner körperlichen Konstitution bloß sechs einsatzfähige Leute. Ich will nicht fatalistisch sein, doch zwei Dreimannteams gegen Akatsuki und Oto zusammen ist utopisch." "Geringfügig", stieß Sakura sarkastisch aus. "Wir müssen uns entscheiden, auf was wir uns konzentrieren. Tenten, Lee, Kiba, habt ihr den Tracker geschnappt?" Kiba reckte den Daumen in die Luft. "So gut wie." "Ja", stimmte Tenten zu. "Wir werden Tsunade-sama bitten, uns diesem Fall zuzuteilen. Alleine könnt ihr es nicht schaffen. Hidden Leaf wird dieses eine Mal mit seiner vereinten Schlagkraft zur Tat schreiten, nicht wahr?" Ihre Frage in den Raum stieß nur bedingt auf Widerhall. Sie alle waren in Gedanken; wie würde es weitergehen? Und, könnte ein Versagen das Ende für Hidden Leaf bedeuten? Ein Ruck gegen die Tür und nachfolgendes Klopfen unterbrach die Besprechung. Inos Fluch—welcher Idiot hat die Tür verriegelt?—traf gegen das Holz und in Shikamarus Rücken, der zur Seite trat. Die beiden Frauen hatten Kaffee für jedermann mitgebracht, den Hinata mit zittrigen Fingern verteilte. Als die Becher schweigend ausgetrunken worden waren, betrat ein Arzt die Versammlung. In seiner Hand hielt er ein Klemmbrett. "Die Angehörigen von Uzumaki Naruto-san?" "Hier", meldeten Hinata, Sakura und Sasuke sich gleichzeitig. Der Arzt besah sich die eigentümlich zusammengewürfelte Gruppe junger Leute, entschied sich jedoch angesichts der Tragweite seiner Nachricht gegen eine Bemerkung. Sakura fuhr fort: "Wir sind alle enge Freunde. Wie geht es ihm?" "Nun …" Der Arzt sah auf sein Klemmbrett und schob seine Brille zurecht. "Physisch gesehen wird er schon bald wieder vollkommen genesen sein. Die Prellungen sind zahlreich, aber nicht schwerwiegend. Glücklicherweise gab es keine schweren Knochenbrüche oder innere Blutungen. Die Nadel, die in seinem Arm steckte, verursachte lediglich eine leichte Blutvergiftung, die wir mit Medikamenten erfolgreich behandeln konnten. Uzumaki-sans Gesicht sieht zwar dramatisch aus, doch bis auf eine gebrochene Nase und unbedenkliche Hämatome gibt es nichts, das ihn beeinträchtigen würden." Das Aber hing einige Momente in der Luft. "Allerdings können wir nicht mit Sicherheit sagen, wann er wieder aufwachen wird." "Was soll das heißen, Sensei?" Hinatas Griff um ihren leeren Becher verkrampfte sich. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. "Uzumaki-san befindet sich in einem komatösen Zustand. Seine Vitalfunktionen sind einwandfrei, allerdings können wir nicht prognostizieren, wann er sein Bewusstsein wiedererlangen wird. Werte vergleichbarer Fälle sind sehr wie gestreut. Wir hatten Patienten, die nach wenigen Stunden aufwachten, aber auch jene, die Monate brauchten. Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, doch seien Sie versichert: für den jetzigen Zeitpunkt ist es sehr wahrscheinlich, dass er wieder aufwacht." Sie atmete erleichtert aus, die Anspannung blieb jedoch bestehen. Sakura nahm sie in den Arm, um ihre Freude über diese Nachricht zu teilen. Wenigstens würde er wieder gesund werden. Früher oder später. . . Sakura ließ sich auf ihrem Bett nieder, wo sie kurz zuvor Sasukes Ordner deponiert hatte. Es war zweiundsiebzig Stunden her, seit sie das Krankenhaus verlassen hatte und dieser Tag war so gut wie jeder andere, um sich eingehend mit der Uchiha-Affäre zu beschäftigen. Die Suche nach Uchiha Itachi musste eingestellt werden; ohne Naruto machte es keinen Sinn, sich dieser Übermacht zu stellen. Uchiha machte nicht den Eindruck, als läge ihm etwas daran, sich weiterhin mit Team Sieben zu befassen. Er hatte wohl eigene Geschäfte, denen er nachzugehen pflegte, denn entgegen Sakuras Befürchtungen, etwas von ihm zu hören, blieb es still um sie beide herum. War er des Spiels schon überdrüssig geworden, weil er sie nicht als würdige Gegnerin erachtete? Ihr sollte es recht sein—sollte. Tatsächlich grämte es sie, auf ein unbefahrenes Abstellgleich verfrachtet zu werden, wenn er sich schon die unzweifelbare Mühe gemacht hatte, sie an den Table einzuladen. "Was machst du dir vor, Sakura?", fragte sie sich selbst, einen tadelnden Blick in den Spiegel werfend, der nicht minder tadelnd zurückkam. "Sei lieber froh, in Ruhe gelassen zu werden." Andächtig strich sie über den Umschlag des Ordners. Sie hatte ihn unabsichtlich fallen lassen, sodass eine Kante abgeschlagen war. Nicht, dass es aufgefallen wäre. Er war an allen Ecken ramponiert. Sasuke musste viel Zeit mit ihm verbracht haben. Alle Gedanken beiseite schiebend, öffnete sie das Deckblatt, löste sämtliche Zettel, Ausschnitte und Dokumente und breitete sie auf ihrem King Size Bett aus, auf dem der Inhalt nur überlappend Platz fand. Sie begann damit, die Ordnung zu verändern. Sasuke hatte alles chronologisch gereiht, was sie als nicht sinnvoll erachtete. Von einem Datum zum anderen zu gehen, verschaffte zwar einen annähernden Überblick, im Endeffekt hatte man jedoch wirre Fetzen verschiedenster Geschichten und Blickwinkel. Sie als Neuling in diesem Thema befand es für zweckdienlicher, jeden Blickwinkel nach dem anderen vollständig zu erfassen, um am Ende alle zu einer gesamten objektiven Meinung zu dividieren. Ein unwilliger Seufzer entfuhr ihr. Etwas störte sie daran, dass Uchiha sich nicht meldete. Sie hatte das Gefühl, als gehöre es zu seinem Plan. Sie war noch nicht disqualifiziert worden. Uchiha Itachi tat nichts ohne Grund, wieso also sollte er ihr ein Blatt austeilen, um es ihr wieder wegnehmen zu können, bevor sie ihren zweiten Zug gemacht hatte? Das war es nicht. Er ließ ihr bewusst Zeit, hinter seine Andeutungen zu kommen. Diese waren mehr als nur eindeutig. Nun, sie hatte Sasuke versprochen, diese Sache objektiv zu behandelnd. Sie würde nicht den Standpunkt des einen Uchihas einnehmen, wenn sie den des anderen ignorierte. Eher umgekehrt. Nichtsdestoweniger würde sie diese Halbwahrheiten berücksichtigen. Für bar zu nehmen, was auf diesen Zetteln stand, war kein guter Weg, sich eine Meinung zu bilden—zumindest, wenn diese annähernd objektiv sein sollte. Papier war geduldig. Also begann sie, sich durch die Akten zu arbeiten. Zuerst nahm sie sich vor, was am leichtesten schien: Zeitungsausschnitte, gesammelt über drei Jahre. Der erste zwanzig Monate vor der Explosion des Uchiha-Anwesens datiert, der letzte vierzehn Monate danach. Die Artikel waren aus diversen Zeitschriften geschnitten; Tagesblätter, Magazine, sogar Illustrierte, die den Fall aus einer dramatisch-menschlichen Perspektive beleuchteten. Nicht unbedingt informativ, aber immerhin machte es den Rummel nachvollziehbar, der darum geherrscht hatte. Sie war damals noch zu einer amerikanischen High School gegangen, wo man nichts davon gehört hatte. Andere Ausschnitte verrieten mehr, vor allem die der Wirtschaftsjournals. "Ha", machte sie überrascht. Heutzutage sprach man nicht über die Uchihas. Schlecht über Tote zu sprechen, schickte sich nicht und der Vorfall hatte sich Jahre vor ihrer Ankunft in Japan ereignet. Fest stand jedenfalls, dass die Uchihas keineswegs so heldenhaft gewesen waren, wie sie sich die Sippe immer vorgestellt hatte. Ihre Westen waren rein weiß, die Liste fallen gelassener oder gewonnener Anschuldigungen jedoch lang. Von Steuerhinterziehung über Kartellbildung, Preisdumping und Weitergabe von Insiderinformationen, hatte man den Uchihas so ziemlich alles vorgeworfen, was das Spektrum an wirtschaftlicher Kriminalität hergab. Verurteilung gab es keine einzige. Sakura war nicht naiv. Jeder Magnat hatte Dreck am Stecken und das Uchiha-Konsortium bildete keineswegs eine Ausnahme. Sie waren ein interdependenter, aber geschlossen autarker Zusammenschluss erfolgreicher Geschäftsmänner, dessen Mitglieder sich in allen relevanten Bereichen helfen und decken konnten. Entweder, sie hatten hartnäckige Feinde gehabt, die sie am Boden hatten sehen wollen—was sehr wahrscheinlich war—oder sie hatten ein System gefunden, das sie einander fälschlicherweise entlasten ließ—was ebenfalls sehr wahrscheinlich war—oder beides zusammen—was die einfachste Erklärung war, wenn es nach ihr ging. Ob Uchiha darauf angespielt hatte? Dass seine Familie es verdient hatte? Wirtschaftskriminalität war nach wie vor Kriminalität, aber wegen persönlicher Bereicherung auf Kosten ebenso reicher Menschen brachte man doch keinen Clan um. Andererseits war Uchiha unberechenbar und verrückt. Tief in ihrem Inneren schrie ihr gesunder Menschenverstand, dass er nicht so wahnsinnig war. Das Risiko, das er damit einging, hätte ihn davon abgehalten, so zu handeln. Ein paar krumme Geschäfte waren es nicht wert, ein Leben als gesuchter Verbrecher zu führen. Dies war die Ansicht eines normalen Menschen. . . Sakura schob das Zettelwerk beiseite. Sie hatte den gesamten Nachmittag darauf verwendet, einen Überblick zu bekommen. In angenehmen Bewegungen ließ sie die verspannten Schultern kreisen. Es war Abend, als sie sich mit einem erschöpften Raunen nach hinten warf. Die Verspannung hatte sich verfestigt, aber immerhin wusste sie eines: Uchiha Itachi war ein Massenmörder. Die Beweise, die in den Polizeiberichten aufgeführt waren, sprachen eine klare Sprache: schuldig im Sinne der Anklage. Es gab eine Abschrift des Gerichtsprotokolls. Die Anklagepunkte füllten eine ganze Seite. Man hatte Uchiha für alles verurteilen wollen, was seine Familie jemals ungeschoren verbrochen hatte. Es schien, als habe er seine Finger überall im Spiel gehabt. Die Verhandlung war niemals beendet worden, da der Angeklagte nicht auffindbar gewesen war. Dies war der jetzige Stand der Dinge. Die Beweise galten nach wie vor. Es waren keine Indizienbeweise, die man drehen konnte, sondern handfeste forensische Belege: Fingerabdrücke an dem Fernzünder der Bombe, Drohbriefe, Kopien diverser elektronischer Konversationen, die ihm eindeutig zugeordnet werden konnten; Sakura verstand, wieso er es vorgezogen hatte, unterzutauchen. Bei einer solchen Beweislage hätte nicht einmal der überteuerte Anwalt der Familie die Todesstrafe verhindern können. Es war eine perfekte Anklage. "Zu perfekt", murmelte sie im Halbschlaf. Die Sonne war bereits untergegangen und sie starrte an die Decke, wo das Licht ihrer Lampe sich an ihren Spiegelornamenten zu einem silbernen Funkeln brach. Diese Beweise waren zu perfekt. Ein Genius wie Uchiha Itachi hätte niemals solch fatale Fehler gemacht. Etwas in ihr kämpfte dagegen an, das Offensichtliche zu akzeptieren. Sie durfte sich nicht länger etwas vormachen. Sie hatte—moralisch verwerfliche, triebgesteuerte und völlig inkompetente, sowie widersinnige und haltlose—persönliche Präferenzen gefasst, die sie in ihrer Entscheidung berücksichtigen musste. Nur, weil sie nicht fühlte, dass er es getan hatte, traute sie es ihm doch zu. Das säuberlich formulierte Geständnis, das auf einem besonders zerknitterten und vergilbten Papier zu finden war, ließ keine Zweifel offen. Ich, Uchiha Itachi, habe das Haus meiner Eltern in die Luft gesprengt. Ein Satz. Eine Wahrheit, die so viele Leben verändert hatte. Sakura wehrte sich dagegen, es anzunehmen. Es war unprofessionell und das wusste sie. Dieser Mann war ein Mörder, ein Entführer, ein Erpresser. Er war schlecht, böse, dunkel. Er hatte Sasuke seine Familie genommen, ihn mit gefesselten Armen in einen Pool aus Selbsthass und Verzweiflung gestoßen, in dem er seit neun Jahren wie ein Berserker um sein Überleben strampelte. Er hatte Naruto verletzt und Sakura in ein Netz der Verzerrung gelockt. Naruto. Uchiha würde dafür bezahlen, was er ihm angetan hatte. Und Ino. Dieser Mann hatte zwei ihrer engsten Freunde verletzt. Dafür würde er büßen. Sakura sah auf das Display ihres Telefons, das nach Aufmerksamkeit lechzend aufblinkte. Eine Textnachricht. Sie verengte die Augenbrauen. Hatte dieser Mann ein ausgeprägtes Gespür für Zeitpunkte, an denen sie über ihn nachdachte, oder bloß einen eigenartigen Sinn für Humor? Wie konnte sie sich Sorgen gemacht haben, er hätte sie aus dem Spiel geworfen. Sie war noch mittendrin. Und mit der Adresse, die er ihr geschickt hatte, hatte er soeben Runde zwei eingeläutet. . . "Ich bin schon wieder unpassend angezogen." Sakura hatte sich gerne einreden wollen, unschlüssig gewesen zu sein, was ihre Entscheidung betraf. Hingehen oder ignorieren? Ohne zu überlegen, hatte sie ihre Tasche gepackt, die Glock in ihr versenkt, ihre braune Lederjacke über den schwarze Rollkragenpullover aus Baumwolle geworfen und dem erstbesten Taxifahrer die Adresse genannt. Diesmal hatte er sie nicht gemustert, was ihr Mut machte. Vielleicht war es aber auch die Glock in ihrer Umhängetasche. Uchiha vor einem Pulk neugieriger Blicke zu erschießen, war freilich keine übergeordnete Intention ihrer riskanten Folgsamkeit, doch wenn er sich schon die Mühe machte, etwas von sich hören zu lassen, wollte sie gerne den vollen Text. Ihr Eifer sollte belohnt werden. Das Taxi hatte gehalten und sie war ausgestiegen. Der Anblick, der sich ihr bot, hatte sie schlussendlich zu dieser Aussage gebracht. Sie war unpassend angezogen. Die genervt geraunten Worte verklangen in der angenehm kühlen Abendluft. Es war Mitte März und der Himmel war um diese Uhrzeit noch nicht stockfinster; und selbst wenn: die glänzenden Lichter der Fassade des Restaurants, in das er sie bestellt hatte, hätten sogar postapokalyptische Schwärze erhellt. Sie hatte von diesem Lokal gehört. Nicht Lokal, das war eine Beleidigung. Tempel für geschmacksorgasmische Erfahrungen, die in manchen Fällen schon zu transzendenten Erlebnissen geführt haben sollten. Ein Heiligtum unter Gourmets im dreizehnten Stock eines modernen Hochhauses. Die ultimative Kulinarik. Sakura hatte Kritiken gelesen, die dreizehn Sterne auf einer Skala von eins bis zehn gaben. Dementsprechend teuer war der Schuppen. Ino sparte seit vier Monaten nach jedem Gehaltsscheck etliche hundert Yen beiseite, um sich irgendwann ein Fünf-Gänge-Menü leisten zu können. Bislang könnte sie die ersten beiden genießen. Ohne Getränke, versteht sich. Wenn sie ehrlich mit sich war, hätte sie gerne bezweifelt, dass die Adresse stimmte. Wenn sie noch ehrlicher war, musste sie sich eingestehen, dass sie es mit einem Uchiha zu tun hatte. Laut den Zeitungsausschnitten das Maß von Dekadenz und Dünkel. Ihr Glück konnte sie immerhin versuchen. Die Empfangsdame musterte sie auffallend lange, was nicht verwunderlich war. Wer maß sich schon die Präpotenz an, ein gefeiertes Luxusrestaurant in Jeans und Pullover zu betreten? "Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?" Die gerümpfte Nase ignorierte Sakura gekonnt. Im gehobenen Gastronomiegewerbe musste man wohl eine natürliche Affektiertheit besitzen. "Ich bin verabredet mit …" Mit wem überhaupt? Uchiha würde wohl kaum seinen richtigen Namen angeben, wenn er in einem stadtbekannten Restaurant einen Tisch reservierte. "… einem Mann. Etwa so groß, schwarzes, langes Haar, schwarze Augen, Hautvertiefungen neben der Nase, sieht echt schräg aus—können Sie gar nicht übersehen—strahlt eine unangenehm selbstherrliche Hoffart aus." Die Empfangsdame blinzelte und deutete nach hinten. "Tisch zweiundzwanzig. Hinten links am Fenster." Sakura dankte mit einer knappen Verbeugung und trat durch den samtenen grünen Vorhang, der den Eingangsbereich vom Gastraum abtrennte. Gastraum war eine Untertreibung, denn es war ein wunderschöner Saal mit Marmorfliesen und hohen Wänden. Nicht minder war 'Fenster' eine grenzwertige Minimalisierung; es war viel eher eine zwölf Meter lange Fensterfront, aber, trotz dieser kognitiven Interpretationsschwierigkeiten, saß ihr Gastgeber tatsächlich an dem Tisch hinten links am … 'Fenster'. Er, durchaus adrett in Sakko gekleidet, stand auf, als sie Platz nahm. "Nicht sehr passend gewählte Kleidung." "Du hättest eher Bescheid sagen müssen." Sofort war ein Kellner da, der ihr eine Getränkekarte reichte und geduldig wartete, bis sie gewählt hatte. Sakura runzelte entscheidungsfreudig die Stirn. "Du zahlst?", fragte sie feststellend fest, ohne aufzusehen. "Gewiss." Sie lachte in sich hinein. "Highland Park. Intervallmäßige Auffüllung inkludiert. Aber nicht den einundzwanzigjährigen laschen Fusel. Bringen Sie den fünfzig Jahre alten." Das würde teuer werden. Der Ober verkniff sich ein tadelndes Schnalzen mit der Zunge ob ihrer legeren Ausdrucksweise, mit der sie einen unverschämt teuren, langzeitgereiften schottischen Single Malt der edelsten Sorte bestellte. Er sollte nicht denken, sie kenne sich nicht aus, bloß weil sie aussah, als habe man sie eben nach einem Mittagsschläfchen aus dem Bett gezerrt. Ungeschminkt, unfrisiert. Itachi schien sich nicht daran zu stören— Itachi? "Zählst du schon die Scheine, Uchiha?" "Mein Kontostand gibt wohl das ein oder andere Saufgelage mit durchweg kostenintensiveren Exemplaren maßlos überteuerten Whiskeys aus. Lust?" Die Lichter der Straße unter ihr hatten etwas Anziehendes, dem sie nur schwer widerstehen konnte. Uchihas Blick war sehr viel anstrengender zu halten, als sie sich erinnern konnte. "Wohl kaum", sagte sie trocken. "Wieso bin ich heute hier? Ich sehe keine leichtbekleideten Damen im Raum tanzen. Wo bleibt da der Reiz?" "Eine Tragik für die Männerwelt, wenn du das Ufer gewechselt hättest", quittierte er ihre Spitze. Er schwenkte das Rotweinglas und roch daran, ehe er eine geziemt genießerischen Schluck nahm. "Schmeckt nach gegorenen Weintrauben. Der Sommelier nannte ihn blumig. Eine recht inadäquate Beschreibung, möchte ich meinen." Abwesend mit einer Fingerspitze über den gestickten Saum der Baumwollserviette streichend, wandte sie sich ihm zu. Wenigstens war er keiner dieser melodramatischen Weinkenner, die beim Geruch eines teuren Weins in maßlose Verzückung gerieten. Ab einer gewissen Preisklasse schmeckte man den Qualitätsunterschied nicht mehr; das war Sakuras Meinung und sie war froh, dass Uchihas Ansichten damit konform zu gehen schienen. Ein Grund weniger, auf der Stelle seinen Kopf gegen die Tischplatte zu schmettern und ihn mit dem dickwandigen Kristallglas zu erschlagen, das der Ober ihr hinstellte. Oh, süße Versuchung. Sie spülte sie mit dem ersten Schluck hinunter. "Wir sind also hier, weil du Sehnsucht nach mir hattest?", fragte sie süffisant. Sein Ärger, den sie sich mit Genugtuung vorgestellt hatte, blieb anstelle eines bevormundenden Lächelns aus. "Diese Wahrheit kann ich nicht absprechen", sagte er und sah ihr tief in die Augen—tiefer, als sie es ertragen konnte. Automatisch schlug sie ihren Blick zurück auf die Straßenlaternen. Uchiha fuhr weniger schmeichlerisch fort: "Ich hatte einen Termin mit einem Geschäftspartner, der ihn leider kurzfristig canceln musste. Der Tisch war bestellt und das Essen hier ist hervorragend, also dachte ich bei mir: wieso diese Gelegenheit verschwenden, anstatt sie mit einer Frau zu nutzen, die dieses Ambiente zu würdigen wüsste?" Unter der Tischdecke traten Sakuras Knöchel weiß hervor. Dieser Psychopath hatte die Dreistigkeit, sie auszuführen, obwohl er oder einer seiner Psychopathenfreunde vor wenigen Tagen einen ihrer engsten Freunde ins Koma geprügelt hatten? Sie war hier, um ihm heimzuzahlen, was er ihnen allen angetan hatte. Um nichts auf der Welt würde sie sich zum Essen einladen lassen! . . Die Garnelen auf Blattsalat und Vinaigrette schmeckten zauberhaft. Hinter einer Maske tiefster Gelassenheit, lieferten sich zwei Stimmen einen Kampf gegeneinander. Sie ließ sich von dem Mann aushalten, dem sie nichts schuldig sein durfte; genoss sogar die leichte Konversation über das wechselhafte Frühlingswetter, die neuesten Entwicklungen in der Politik und die Ergebnisse einer neuen sozialanalytischen Studie, laut der achtundsechzig Prozent aller Männer fremdgingen—ein Umstand, den Uchiha als unglaubwürdig bestritt. Sie hasste sich dafür. Das hieß, sie hasste sich dafür, dass sie sich nicht dafür hasste. Ah, dieses diffuse Konfusion! Andererseits, was waren ihre Wahlmöglichkeiten? Uchihas Blut über das weiße Gedeck eines vollbesetzten Restaurants zu vergießen, hatte durchaus einen verlockenden Reiz, war nichtsdestoweniger aber, wie sie zuvor bereits festgestellt hatte, keine individualökonomisch sinnvolle Aktion. Ihn aus der Reserve zu locken, war ebenso unmöglich. Er war sehr stet in seinen Themen und Antworten, sodass sie sich plötzlich neben ihm auf dem breiten Gehsteig der Geschäftsstraße befand, die direkt durch Kita führte. Sie wusste nicht, wohin sein Weg sie führte. Solange sie auf den Hauptverkehrswegen blieben, war es ihr auch egal. Irgendwann blieb er stehen und suchte ihren Blick. Sie standen vor einem Hotel der gehobenen Mittelklasse, dessen Namen sie nicht kannte. Die Fassade war frisch renoviert worden; der Wind trug den Geruch von Mörtel an ihre Nase. Es war unfair, dass Itachi wie die Made im Speck lebte und sein Bruder in einem Rattenloch hauste. Er hatte sogar eine kleine Allee vor dem überdachten Eingang. "Möchtest du auf ein Glas Wein mit hoch kommen?" Sie stockte. Mit allem hatte sie gerechnet, bloß damit nicht. Ein Glas Wein, bei ihm? Sie stieß abfällig Luft aus. "Ich bin kein Genie, aber ich bin nicht dumm. Außerdem …" Schnell entwirrte sie den Knoten, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Jetzt oder nie. Er würde ihr Rede und Antwort stehen. "Wir haben eine Rechnung offen", eröffnete sie ihm matt. Kontrolliert, weil sie sonst vor Erbitterung zu heulen begonnen hätte. "Möchtest du die Kosten des Whiskeys durchdividieren, den du auf meine Rechnung getrunken hast? Um diese Summe zu bezahlen, müsstest du einiges tun." Sie verzog ihren Mund zu einer wütenden Linie. "Oder dich erschießen. Dann würde ich samt dem schönen Kopfgeld auch noch Schulderlass bekommen. Diese Option behalte ich mir für nächstes Mal vor." "Den Spruch kenne ich." Die Rinde des Baumes, gegen den sie schlug, barst in der stillen Nacht. Der Geduldsast, an dem Uchiha Itachi seit Wochen sägte, knackte bedrohlich in ihrer Vorstellung. "Jetzt hör zu, Uchiha: was du mit Sasuke gemacht hast, ist eine Sache. Ich war nicht dabei, noch kannte ich ihn damals überhaupt. Dementsprechend handelte ich für seinen Seelenfrieden. Doch was du Naruto angetan hast, vor meinen Augen—und dann auch noch die Dreistigkeit besitzt, mir mit einer höhnischen Geste einen Hinweis zu geben—" Sie schnappte nach Luft, die in ihren Lungen knapp geworden war. Vor Aufregung hatte sie vergessen zu atmen. Die Sätze, die sie fein säuberlich in ihrem Geist formuliert hatte, um sie ihm entgegen zu spucken, waren wie weggeblasen. "Er ist mein Freund und man verletzt meine Freunde nicht ungestraft", presste sie schließlich hervor. All die Verzweiflung der letzten Tage, in denen sie untätig hatte herumsitzen oder Hinatas Tränen hatte trocknen müssen, brach an die Oberfläche. Sie rang mit den Tränen, die heiß in ihren Augen brannten, jede Sekunde bereit, aus ihr zu bersten wie ein schwelender Fluss tiefster Frustration. Plötzlich waren seine Hände an ihren Wangen, ihr Gesicht einrahmend. Er schüttelte andächtig den Kopf, als sie ihn mit blankem Entsetzen ansah. "Akatsuki hat nichts damit zu tun. Und ich auch nicht. Glaube mir oder nicht, es liegt in deinem Ermessen. Wenn du auf die Fuchsfigur anspielst, war es die, die du selbst dir ausgesucht hattest, vergiss das nicht. Was meine Warnung angeht …" Indem er sich von ihr löste, brach er ab. Die zwei Schritte, die er rückwärtsging, räumten eine Distanz ein, die ein tiefer, willkürlicher Teil in ihr nicht akzeptieren wollte. "Vielleicht hätte ich sie anders aussprechen sollen. Für mich ist Uzumaki unwichtig. Aber es gibt Menschen … Geschäftsmänner, die ihn als Köder benutzen könnten." "Wer?" Uchiha zuckte die Schultern. "Orochimaru, wenn ich einen Tipp abgeben müsste." Es war eine metaphorische Faust, die ihr Gesicht traf und ein dumpfes Gefühl der Blindheit hinterließ. Wie hatte sie diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen können? Natürlich; keine Schlangenhaut, kein zerstörtes Mobiliar. Nichts hatte auf Oto hingedeutet. Sie waren eine Hitman-Gruppe, Hidden Leaf sehr ähnlich. Sie nahmen jeden Auftrag an und mischten in illegalen Geschäften gut mit, vornehmlich Drogenhandel. Sie waren die Bösen der Gesetzlosen. Und, was noch wichtiger war, die Warnung, die an Naruto geheftet hatte, war an Sasuke adressiert worden. Es war keine Warnung, es war eine Falle. Orochimaru hatte schon immer ein Auge auf Sasuke geworfen gehabt, soweit sie wusste. Wie dumm sie gewesen war! "Ich habe alles über die Uchiha-Affäre gelesen, das ich finden konnte", sagte sie schließlich. Der Themenwechsel war nicht geplant gewesen, doch weiter über Naruto zu reden, hätte sie bloß noch wütender gemacht. Er hob eine Augenbraue. "Und?" "Schuldig." "Quod era demonstrandum." Es waren bittere Worte verscharrter Enttäuschung. "Im Sinne der Anklage", schränkte sie ein. Sakura sah auf und traf seinen Blick, der diesmal nicht ganz so stechend war. "Eine Frage beschäftigt mich, Uchiha. Wieso machst du dir die Mühe, dieses Spiel mit mir zu spielen? Ich bin ein Niemand in deiner Welt. Wir sind weder verwandt, noch befreundet, dein Bruder ist längst nicht mehr in meinem Team und wir haben nichts gemein. Wieso ich?" "Sind wir wirklich so verschieden?" Uchiha schloss gedankenversunken die Augen. "Wir sind beide gewillt, alles zu opfern für die Menschen, die wir lieben. Du würdest für Sasuke durch ein Feuermeer gehen, ebenso wie ich." "Das würde ich für all meine Freunde tun", korrigierte sie, eine Hand zur Faust geballt. "Wir sind beide Mörder", präzisierte er ungerührt. "Das ist etwas, das uns verbindet, Sakura. Wir löschen Menschenleben aus, um zu überleben. Jeder von uns lebt sein Leben jeden Tag aufs Neue auf seine eigene, ungeschickte Weise, bis einmal der Tag kommt, an dem wir uns entscheiden müssen, wie es weitergehen soll. Ich erlebte diesen Tag und ich entschied mich, den Lauf der Dinge zu ändern. Du bist diejenige, die mir dabei helfen kann." "Und wenn ich nicht möchte?" "Um zu verstehen, muss man alle Wahrheiten kennen. Du kennst einen Teil der Geschichte. Lass mich dir einen zweiten erzählen." Sakura biss sich auf die Lippe, die zweite Hand ebenfalls zur Faust geballt. Dies war eine Chance. Eine Chance, die sie mit dem Leben bezahlen könnte, wenn sie den Hinterhalt nicht erkannte. Es sah nicht aus wie einer; es fühlte sich nicht an wie einer. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als ihr Mobiltelefon in ihrer Jackentasche vibrierte. "Sasuke", sagte sie tonlos. "Sakura", sprach er am anderen Ende der Verbindung, "es geht um Naruto." "Was ist los?" Sasuke holte tief Luft. "Er ist aufgewacht. Und er hat uns etwas Wichtiges mitzuteilen." Er machte eine bedeutungsschwere Pause. "Es geht um Itachi." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)