Lucky Strike von Katzensushi ================================================================================ Prolog: -------- Es gibt Menschen, denen fällt alles zu. Lernen fällt leicht, die Eltern scheinen die liebevollsten von Allen zu sein, das Geld ist niemals Mangelware und auch später im Job erfahren sie Anerkennung und werden schnell – ob ihrer guten Referenzen – in eine leitende Position erhoben. Kämen sie aus Amerika wären sie sicher Quarterback im Footballteam gewesen und hätten ein Stipendium nach dem anderen ergattert. Genau solche Menschen waren Jun und Sakito... nicht. Sie lebten alleine mit ihrer Mutter, stammten von unterschiedlichen Vätern, die sich einer wie der andere nach der Geburt des Kindes verpisst hatte und ihre Mutter schleppte alle Nase lang einen neuen, schmierigen Typen an, der sie dann doch wieder verließ sobald er erfuhr, dass Kinder im Haus waren. Wenn einer von ihnen doch mal länger blieb, scheiterte er am Ende doch an dem Verhalten von Jun, dem jüngeren der Brüder und verschwand dann auch auf nimmer Wiedersehen und ließ dabei eine abermals am Boden zerstörte Frau zurück, die erneut versuchte ihre Sorgen in Alkohol zu ertränken. Wie oft vergaß man doch, dass man mit Alkohol zwar ertränkte, aber auch den Leichnam des Problems darin konservierte. Wie oft sie sich dabei bei ihrem älteren Sohn ausgeheult hatte wusste bereits niemand mehr. Sakito war das Beispiel eines absoluten Herzchens. Jedes Mal aufs Neue tröstete er seine betrunkene Mutter, übernahm den Großteil des Haushaltes und erledigte nach bestem Wissen den Papierkram, der so anfiel ebenso wie die Einkäufe. Leider war Jun das genaue Gegenteil von seinem Bruder. Schon in der dritten Klasse rauchte er mehr als seine Mutter, der er regelmäßig Zigaretten klaute und wenn er nicht dort stahl nutze er den Schutz der Großstadt um sich an Zigaretten und Geld für Alkohol durch zu schnorren. Wer bremste ihn schon aus? Der Einzige, der den Hilfeschrei des Kindes verstand war Sakito, der Jun so weit er es konnte Liebe und Halt gab. In diesem Zuge war er auch der Einzige, der dem Anderen ab und zu Anweisungen geben durfte, denen dieser auch gelegentlich nach kam. Nach einer Weile war jedoch das Amt auf die Verhältnisse aufmerksam geworden, nachdem der kleine Jun zum 8. mal mit Alkohol erwischt und nach Hause gefahren worden war und seine Mutter ebenfalls sturzbetrunken die Tür geöffnet hatte. Von da an war den Jungen auch die letzte Konstante genommen worden. Immer wieder wechselte Jun die Pflegefamilien, weil niemand es schaffte diesen Wirbelwind zu bändigen. Oft verschwand der Junge sogar für Tage, bis er Sakito wieder ausfindig gemacht hatte und versuchte sich dort ein zu nisten. Während Sakito der Aufenthalt in der Pflegefamilie wirklich gut tat – Immerhin durfte er endlich ein Jugendlicher in seinem Alter sein – kam Jun immer weiter vom Weg ab. Der ältere Bruder entdeckte seine Liebe zu Videospielen, während der Jüngere von ihnen eine Liebe zu Diskotheken, Alkohol und Marihuana entwickelte. Die beiden Jungs waren damals 14 und 16 Jahre alt. Kapitel 1: Spilled Milk ----------------------- So Leute~ Nach dem kurzen Prolog hier nun das erste vollwertige Kapitel. Ich hoffe ihr werdet auch an diesem viel Spaß haben und nun langsam verstehen, auf was die kleine Vorgeschichte aus dem Prolog hinaus läuft aber glaubt mir... Ich habe noch viele Überraschungen, zu lösende Geheimnisse und verquere Zusammenhänge für euch auf Lager. Wie weit ich diese Geschichte ziehen werde ist mir noch nicht ganz klar. Was ihr hier lest ist genau genommen das Prequel zu einem RPG, dass ich im moment mit einer Freundin schreibe. Je nachdem wie viel Spaß ihr und ich an dem hier habt werde ich aber nicht mit Sakitos und Juns Geschichte Enden aber das sind alles noch Themen die weit in der Zukunft liegen. Gerade schreibe ich fleißig am 2. Kapitel also freut euch drauf! =^o^= nya~~~~ Euer Katzensushi~! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Tock... Tock.... Tock... Sakito verdrehte die Augen und setzte sein Headset nun ganz auf. Tock... tock... tock... Ein wenig die Nase rümpfend stellte er den Ton lauter und tatsächlich konnte er so vorerst die Außenwelt aussperren. „Sorry Leute, mein Bruder meint gerade wieder nerven zu kommen.“ klärte er auf und belebte einen Mitspieler wieder, der beim Ton hoch drehen nicht mehr rechtzeitig geheilt werden konnte. „Schmeiß ihn raus!“, maulte es aus seinem Kopfhöhrern. Ebenso wie: „Hat der kein Zuhause?“ „Immer der gleiche Scheiß, Blooming“ und „Immer im ungünstigsten Moment.“. „Kommt mal runter! Ihr kennt ihn doch gar nicht!“ moserte der Gamer zurück, während sie den Kampf gegen den Boss begannen. PRASSEL! Sakitos Augen verengten sich etwas. Nun wurde der Andere penetrant. „Leute, ich hau mal eben den Circle Heal raus und mach grad mal auf.“, murrte Sakito resignierend. Die Widersprüche aus seinem Headset ignorierend setzte er es ab und drückte die entsprechende Taste. Schnell war die Distanz von wenigen Schritten überbrückt und das Fenster auf gerissen. „JUN, DU...“, weiter kam er nicht da musste er schon zur Seite springen um einer Hand voller Kiesel aus zu weichen. „HAST DU SIE NOCH ALLE?“, keifte er anschließend als er den Kopf wieder aus dem Fenster streckte. „Ups!“, gluckste es von Unten herauf. „Nix, 'ups'! Entschuldigung, heißt das!“, knurrte Sakito mies gelaunt seinen Bruder an. „Tschuldige! Aber wenn du so plötzlich auftauchst kann ich doch nichts für!“ „Du könntest dir nicht so die Birne zu knallen! Dann schnallst du auch, dass diese Schatten im Raum heißen, dass man sich darin bewegt. Möglicherweise sogar zum Fenster!“, zickte der Ältere seinen übrigen Teil der Familie an. „Du bist viel zu spießig, Blümchen!“, lachte es, ob der Wutausbrüche, von unten herauf „Hast du Milch da?“. „Hast du wieder gekifft?“, kam die strenge Gegenfrage wie aus der Pistole geschossen. Von Unten folgte eine ausgedehnte Lachattacke: „Eine Frage beantwortet man doch nicht mit einer Gegenfrage! Du bist doch keine Frau, Blümchen...“ „Ach halt den Mund! Du weißt genau, dass ich dich nicht rein lassen darf, wenn du betrunken oder high bist.“, schob der Ältere die angedeutete Beleidigung ab. Immerhin kannte er den kleinen Giftzwerg und wusste, dass dieser es nicht so meinte und einfach nur zuerst den Mund aufriss, bevor er nachdachte – falls er dazu in diesem Zustand überhaupt noch in der Lage war... „Ach komm scho~n! Ich benehme mich auch. Nur ein Gla~s!“, trillerte es von kurzem Prusten unterbrochen zu ihm hoch. „Du hast gekifft! Außerdem ist meine Familie nicht Zuhause.“, wies er abermals ab, doch leider hatte er sich damit die Blöße gegeben. „Woher willst du das wissen? Außerdem bin ich doch deine Familie, Sa~ki~!“ „Weil du immer nur um Milch bettelst wenn du vollkommen high bist... Ich DARF dich nicht rein lassen, Jun.“ „Erwischt...“ gab sich der Kleine dann doch geschlagen bevor er sein letztes Argument aus packte: „Das erfährt doch eh keiner, wenn du doch alleine bist!“ Keine 5 Minuten später saßen die beiden Jungs in der Küche. Der Zwerg hatte ein Literpaket Milch mit einem Glas vor sich stehen und Sakito hatte sich ausgeloggt. War doch gut, dass niemand aus der Gilde den lvl 89 Priester missen wollte, auch wenn dieser oft mal mitten in einem Raid verschwand wenn sein Bruder vor dem Fenster randalierte.. „Wie geht es Ruka?“ erkundigte sich Sakito beiläufig. Eigentlich war es nur die Gewohnheit zu fragen und tief in sich erhoffte er sich nur diese eine Antwort, von der er wusste, dass er sie wohl nie bekommen würde… „Wie sollte es ihm gehen? Ist ja nicht so, dass jemand wie er krank werden würde oder so.“ erwiderte der weit kleinere nur amüsiert und setzte wieder sein Milchglas an. Eine kurze Stille trat zwischen ihnen ein, während sich in Sakitos Hals ein beinahe fußballgroßer Kloß bildete. „Willst du nicht… über eine Therapie nachdenken?“ purzelte schließlich die Frage aus seinem Mund, die er nun schon so oft gedreht und gewendet hatte. „Was soll das? Glaubst du mir nun auch nicht mehr, Blümchen?“ die Enttäuschung in der Stimme des jüngeren Bruders war nicht zu überhören. Wer blieb ihm denn noch? Doch nur sein Bruder… und Ruka. „Hör zu Jun… Du solltest langsam aus dem Alter raus sein indem du deinen Unsichtbaren Freund für echt hältst. Ich kann verstehen, dass du…“ „Verschon mich mit deinem Gelaber!“ fiel Jun seinem Bruder keifend ins Wort. Verdammt. Dahin war die Entspannung, die ihm der Joint vorhin gegeben hatte. „‘Ich kann verstehen…‘“ äffte der Blondschopf nach und schob die Milch von sich „Nichts! Rein gar nichts verstehst du, Bruder! Du wirst schon wie sie! In deiner kleinen, heilen Welt merkst du gar nicht was sie dir mittlerweile für eine Gehirnwäsche verpassen!“ wütend landete die Faust des Zwerges auf der Tischplatte und brachte alles darauf einmal zum Springen. Leider landete das Glas etwas ungünstig und ein großer Schluck der weißen Flüssigkeit verteilte sich über den Tisch. „Ich werde sicher nicht zu irgendeiner Therapie gehen. Ich lasse mich nicht von ihnen einsperren! Ich lasse mich nicht von ihnen einlullen! Nur weil du dich ja so toll dabei fühlst dich nett eingerichtet zu haben heißt es nicht, dass mir dabei nicht die Galle hoch kommt! Ich könnte kotzen, wenn ich dich so sehe und ich werde mich sicher nicht von ein paar Neunmalklugen voll dröhnen lassen, damit sie mir ihre rosa Wolken auch noch glauben machen können!“ „Du dröhnst dich lieber eigenhändig zu… ich weiß!“ zischte es dann doch von dem 2 Jahre älteren zurück. Dieser hatte mit eben so einer Reaktion gerechnet, wenn er dieses Thema einmal ansprach und es deswegen lange runter geschluckt und mit jedem Mal war ihm eines Bewusster geworden: Jun würde sich eigenhändig auf den Abgrund zu lenken und der Einzige, der noch ein bisschen Einfluss auf dieses Geschehen hatte war Sakito selbst. Der Einzige, auf den dieser Starrkopf noch hörte… je gehört hatte. „Ich meine es zu deinem Besten! Ich will dir doch ni….“ „Ich kann den ganzen Scheiß nicht mehr hören! ‚Es ist nur zu deinem Besten‘, ‚Wir wollen euch doch nichts Böses‘.“ Kam der nächste Wutausbruch und schon flog das Glas durch die Küche und verteilte dabei dessen Inhalt beinahe überall bevor es auf dem Boden zersprang. „Vielleicht sieht man sich, wenn du wieder der bist, der du mal warst“ knurrte er dem Größeren noch entgegen bevor Jun sich erhob, ohne zu zögern die Wohnung verließ und seinen Bruder aufgewühlt am Tisch zurück ließ. Kaum war die Tür ins Schloss geknallt, bemächtigte sich ein leichtes Zucken Sakitos Schultern. Scheiße! So hatte das nicht ablaufen sollen. Er spürte wie seine Augen nass wurden und drückte sich hoch um die Sauerei zu beheben, bevor seine neue Familie nach Hause kam. Er schluckte schwer. Seine ‚neue Familie‘… war seine alte Familie nun also nichts mehr wert? Hatte sie ausgedient? War sie ersetzt worden? Nein… sie war nur auf 2 Personen geschrumpft. Jun und er… mehr Mitglieder dieser Familie gab es nicht. Aber hatte ihm dann nicht gerade auch noch der letzte Teil seiner Familie den Rücken gekehrt? Panik stieg in dem jungen Mann auf. Würde er seinen Bruder nun nie wieder sehen? Er kannte Jun doch! Wieso hatte er sich nicht zurück gehalten? Ja, verdammt! Jun hatte offensichtlich mehr psychische Probleme, als man zählen konnte, aber wenn er jemanden hatte, der ihm Halt gab, hatte er es doch immer wieder irgendwie geschafft, zumindest ab und an, wenn es ihm gerade gut ging, sein Leben etwas zu ordnen und auch mal eine gute Note mit nach Hause zu bringen. Hatte er damit nicht bewiesen, was ihm eigentlich helfen würde? Eigentlich hatte Sakito doch ein Händchen dafür Menschen nach zu vollziehen… Wieso war es ihm dann gerade so entglitten? Er wollte doch nur helfen. Wieso schaffte er es genau dann nicht, wenn es ihm am wichtigsten war alles richtig zu machen? Ihm war doch klar gewesen, dass Jun so reagieren würde. Natürlich war es das! Immerhin hatte er seinem Bruder mal eben vor die Füße geworfen, dass er den Begleiter, den dieser angeblich bei sich hatte, seit der Jüngere gerade mal 5 Jahre alt war, für eine Wahnvorstellung hielt. Was sollte es auch anderes sein? Mit was schützte sich ein Kind in diesem Alter vor der Einsamkeit, die es immer wieder verfolgte? Natürlich mit einem unsichtbaren Freund, der es überall hin begleitete. Und wie sah dieser Freund aus? Natürlich nicht wie in den Serien - wie ein Turnschuh oder ein blauer Molch! Er hatte sich eine Vaterfigur geschaffen. Von klein auf hatte Jun Ruka als einen groß gewachsenen Mann Mitte/Ende 20 beschrieben, der immer genau wusste was er wollte. Ein Ruhepol und ein Fels in der Brandung. Das, was in 90% der Kindheit von ihnen nicht existiert hatte und Jun bis heute nicht gefunden hatte. Wieso sollte er diese Krücke, die er sich als Kind geschaffen hatte, also auch ablegen? Er benötigte sie noch immer wie die Luft zum atmen und Sakito hatte sie ihm wegnehmen wollen. Natürlich geriet ein Kind in Panik, dem man seinen Vater nehmen wollte. Ratlos schüttelte Sakito über sich selbst den Kopf. Was war nur in ihn gefahren? Seine Adoptivfamilie fand ihn schließlich aufgelöst in der Küche auf den Boden gekauert wieder, als er sich bereits schon seit gut einer Stunde an ein und der selben Frage fest gefressen hatte und an ihr zu verzweifeln begann: Warum ließ sich Jun von niemandem den Halt geben, nach dem er schon immer geschrien hatte? Es vergingen Wochen in denen niemand etwas über den Verbleib des ständigen Ausreißers wusste. Vermisst gemeldet war er schon so oft gewesen, dass wohl auch niemand nach ihm suchen würde. Wieso auch? Sicher hatte sich der Bengel mal wieder irgendwo eingenistet und tauchte eh bald wieder auf. Kapitel 2: Like a Pill ---------------------- „Du willst dich wirklich nicht melden?“ fragte die gleichgültige Stimme, die ihn nun fast so lange wie er denken konnte begleitete. „Natürlich nicht.“ Brummte Jun zurück und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. „Ich weiß doch, dass du es willst“ lachte es dann doch etwas amüsiert. „Halt die Klappe, Ruka.“ bellte es dem vermeintlichen Trugbild entgegen, welches nur in einen schallenden Lachanfall ausbrach. „Ich wusste ich hatte recht!“ Missmutig starrte Jun auf seine Füße, die dort gut 3 Etagen über dem Boden baumelten, als er da so auf dem Flachdach einer Lagerhalle saß und schmollte. „Wenn der nun auch noch so anfängt kann der mich doch mal kreuzweise!“ schimpfte der für sein Alter doch noch sehr kleine junge Mann vor sich hin. „Sei nicht so streng mit ihm. Er macht sich auch nur Sorgen und da macht man sich eben so seine Gedanken.“ Sprach die unberührte Stimme Rukas auf den Zwerg ein, wobei sich dieser sonderliche Mann neben den jungen auf die Kante des Daches setzte. „Du hast gut reden. Wieso zeigst du dich ihm nicht einfach? Dann weiß er, dass ich nicht spinne! Dann wüssten alle, dass ich nicht spinne - dass ich nicht irgendwie besessen bin oder so!“ Ein wütender Blick traf den groß gewachsenen Mann neben dem heranwachsenden, doch dieser erntete nur ein schiefes Grinsen. „Das dürfte ich gar nicht. Genau genommen dürftest nicht mal du mich sehen. Außerdem hast du es dir mit deinem losen Mundwerk selbst eingebrockt. Wer ist auch so doof und plappert es so offen aus?“ „Wie wäre es mit einem kleinen, dummen Kind, das sich keine Gedanken darüber macht, ob man ihm glauben würde?“ „Und wieso hältst du dann nicht endlich anderen gegenüber deinen Mund? Du regst dich auf wo es hinführt, aber plapperst fröhlich weiter über mich.“ „Ich will ihn nicht anlügen… und wenn er dann nach dir fragt? Was soll ich denn dann sagen?“ Ruka seufzte tief. „Wieso müsst ihr Menschen immer so kompliziert sein?“ fragte er verständnislos. „Du hast gut reden, Shinigami.“ Moserte Jun zurück und ließ den letzten Stummel seiner Zigarette einfach an seinen Füßen vorbei fallen. Wieder nur ein Lachen von Ruka. „Also Shinigami würde ich mich nun nicht nennen.“, gluckste der deutlich Ältere und schüttelte amüsiert den Kopf. „Shinigami begleiten Seelen, um sie zum letzten Gericht zu begleiten. So etwas gibt es nicht“. Diesmal war es der offensichtliche Mensch, der zu kichern begann. „Irgendwie seltsam aus deinem Mund ein ‘so etwas gibt es nicht‘ zu hören.“, gluckste er und äffte dabei eine tiefere Männerstimme nach. „Es gibt viel mehr zwischen Himmel und Erde als ihr euch vorstellen könnt, aber meine Existenz schließt eine Existenz von Shinigami aus.“ Erklärte Ruka in aller Seelenruhe und der Geduld eines referierenden Arztes. „Naja ich denke die Tatsache, dass du die Seele nach dem Tod holst reicht doch schon um dich Shinigami zu nennen.“ Tat der Kleine es grinsend ab. „Wenn du meinst…“ seufzte Ruka und zuckte die Schultern. „In der Hinsicht seid ihr Seelenfresser zu kompliziert.“ Stichelte er noch etwas hinterher und begann etwas mit den Beinen zu baumeln. Gerade wollte Jun wieder zum sprechen ansetzen, da hörte er eine weitere Stimme, die nach ihm rief. Irritiert beugte er sich etwas nach vorne, stützte seine Handballen dabei zwischen seinen Schenkeln ab und ließ suchend den Blick über den Parkplatz vor der Halle gleiten. Jeder andere wäre sicher zusammengezuckt, wenn ihn eine unsichtbare Hand in einer Situation wie dieser am Rücken berührte, doch der kleingewachsene Junge wusste, dass diese Hand immer eine über ihn schützende gewesen war. Wenn sie auch über jeden anderen, den sie berührte, das endgültige Ende brachte, hatte sie den Ausreißer immer beschützt und so war es auch in diesem Augenblick. Die Finger des seltsamen Mannes verwoben sich im Stoff von Juns Sweatshirtjacke - hielten ihn davon ab, bei Anblick dieses 3 Etagen tiefen Abgrunds, das Gleichgewicht zu verlieren. „Hiiizuuuu~! Hier oben!“ krähte der Zwerg der beiden bei Blickkontakt mit dem Rufenden schließlich und riss dabei einen Arm hoch. „Ja was du nicht sagst!“ kam die Antwort lachend hoch geschallt, „Beweg deinen Arsch hier runter! Es wird bald dunkel und wir wollen ins ‚Blind Side‘!“. Jun rümpfte etwas die Nase und kramte in seiner Kängurutasche nach seiner Schachtel Kippen. „Sorry, meine letzten paar Mücken sind in Tabak geflossen!“ lehnte er also ab, während er die fast volle Packung etwas schwenkte, um seine Aussage zu untermalen. Doch der junge Mann vor dem heruntergekommenen Gebäudes wedelte nur mit flacher Hand vor seinem Gesicht herum, um seinem Freund, dort in luftigen Höhen, einen Schatten zu zeigen. „Alter! Wenn du dich nicht durch schnorren kannst, wer dann? Außerdem weiß ich aus sicherer Quelle, dass Tomo heute da sein wird.“ Tatsächlich begann der Kleinste der Runde kurz angestrengt zu überlegen. Ja? Nein? Wollte er wirklich die Gefahr eingehen, den ganzen Abend auf dem Trockenen zu sitzen? „Und der Eintritt?“ „Den tu ich dir aus! Pennst danach auch bei mir.“ Versprach der deutlich Ältere und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihm der Wind immer wieder quer über seinen Nasenrücken blies. Ein tiefes Seufzen verließ Juns Kehle, als er dieser Aufzählung folgte, ihm dämmerte langsam auf was das hinaus lief. „Was verlangst du…?“ , fragte er also zurück und zog sich, um sich wieder auf ein ruhiges Level zu bringen, eine neue Zigarette aus der Schachtel, die er sich anschließend auch anzündete und den blauen Dunst in die Luft blies. Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden und auch Ruka hielt sich gedeckt bis Hizumi sich doch zu einer Antwort durchrang: „Das weißt du… Das Übliche eben…“. Sie wussten beide was es hieß und wieso sich Hizumi scheute, es 3 Etagen hoch zu schreien. Abermals kehrte Stille zwischen den beiden ein, in denen Jun abermals etwas den Kopf wog, dann aber nickte, seine Beine auf die sichere Seite der Absperrung schwang und sich anschließend auf den Weg runter auf den Parkplatz machte. Eine ganze Weile herrschte Stille zwischen den beiden Gestalten, als sie sich auf den Weg zu Hizumis Wohnung gemacht hatten. Jun steckte sich die nächste Zigarette an und inhalierte den blauen Dunst. Immerhin konnte man so signalisieren, dass man nicht angesprochen werden wollte… Leider hatte er dabei nicht bedacht, dass Hizumi ihn, trotz ihrer etwas seltsamen Beziehung, besser kannte als manch anderer. „Was ist passiert?“, fragte der etwas Größere ohne den Ausreißer dabei an zu sehen. „Nichts.“ „Das glaubt dir doch niemand.“ „Mir glaubt doch eh niemand…“ „Oh… DIESES Thema...“ Ein verachtendes Schnauben seitens des Ausreißers war alles was folgte bevor wieder Stille einkehrte. Es war immerhin das alte Thema… Es war nichts mehr zu sagen – man würde sich ja doch nur wieder im Kreis drehen. „Sieh zu, dass du gleich in bessere Laune kommst, okay?“, bat der deutlich Ältere dann aber doch „Ich meine… du wirst als meine Begleitung da sein. Wenn du scheiß Laune verbreitest fällt es auf mich zurück.“. Jun rümpfte unbegeistert die Nase. „Ja ich weiß… Hast du was zum Vorsaufen Zuhause? Das hebt die Partylaune.“. Kaum ausgesprochen zuckte er heftig zusammen und zog die Schultern dabei so hoch wie es ging. Hizumi hatte ihn fest im Nacken gepackt. „Mein lieber Freund… Jetzt Alkohol zu trinken wäre eine wirklich dumme Idee. Das zieht dich nur weiter runter. Ich hab was Besseres.“ „Meinetwegen… nur lass mich bitte los“ brummte der Kleinere unwillig, wurde dann sogar wirklich los gelassen – schließlich waren sie eh vor Hizumis Haustür angekommen und die Hand wurde zum Aufschließen gebraucht. Kaum hatten die zwei das warme Innere der Wohnung betreten, verdrückte sich der Gastgeber auch schon Richtung Küchenzeile, was er nur rasch mit einem: „Ich mach dir eben 'ne Schnitte fertig. Du hast sicher nichts gegessen.“, kommentierte. Ratlos strich sich Jun durch die Haare und sah sich um. „Ich hab gegessen… Ruka hat mir was ausgegeben…“, erklärte er ruhig und ließ sich gewohnheitsmäßig an dem niedrigen Wohnzimmertisch nieder. Die Wohnung bestand lediglich aus einem Zimmer, an deren einer Wand eine kleine Küchenzeile prangte. Nur ein Fensterchen ließ Licht in die 4 Wände die sonst nur einen Einbauschrank und drei schmale Türen beherbergten. Eine Tür führte zu einem kleinen Raum mit einem Klo, Hinter einer weiteren verbarg sich eine enge Dusche und die letzte Tür war die Wohnungstür selbst. Größentechnisch würden viele diesen Ort sicher als Wohnklo bezeichnen, aber an der Sauberkeit konnte man hier nie meckern. Jun bezeichnete Hizumi gerne als kleinen Putzteufel. „Hier hast du.“, drang es dem Gast zu Ohren und als er vor sich sah, schob sich gerade ein Teller mit ein paar unterschiedlich belegten Toastscheiben vor seine Nase. Seinen Einwand hatte man wohl einfach Kommentarlos übergangen. „Danke…“, gab sich der Streuner also – entgegen der Realität - gut erzogen und griff nach der ersten Scheibe. „Wer hat dich diesmal gereizt?“, erkundigte er sich mit halbvollem Mund. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Putzteufel in dem etwas größer Gewachsenen immer nur dann in einem derartigen Maß erwachte, wenn er wütend geworden war - und bemerkte man die Tatsache, dass sogar der Mülleimer beinahe glänzte und auch die Fernbedienungen des auf dem Boden stehenden Fernsehgerätes irgendwo außer Sichtweite geräumt waren, musste dieser Anfall schon heftig gewesen sein. „Nah… Erzähl ich dir wenn du aufgegessen hast…“ schob der Ältere es ab, ging zu seinem Einbauschrank und begann sowohl Schminkzeug und einen aufstellbaren Schminkspiegel, als auch einen Satz Kleidung raus zu legen. „Auch das Übliche…?“ löcherte Jun dennoch weiter. Letztlich war es eh immer das Selbe. Was gab es da noch groß zu Bereden? Sie trafen sich doch eh immer nur aus denselben Gründen, sie wussten, dass beide ihre Momente hatten an denen sie sich anlogen und sie wussten auch beide immer genau wann diese Momente waren. Sie hatten ihre Geheimnisse vor einander, aber sie hatten keinen Grund dem Anderen näher zu kommen als sie es jetzt schon waren, um den Anderen dazu zu bringen die Teile seiner Seele frei zu legen, die er dem anderen vorenthielt. Warum sollte sich Jun auch eingestehen, dass er nur hier her kommen durfte, wenn Hizumis Nerven blank lagen und dieser jemanden brauchte, den er verhätscheln konnte, sobald seine Wohnung wieder einen beinahe klinischen Sauberkeitsgrad erreicht hatte – oder vielleicht auch einfach jemanden brauchte, der den Raum wieder in eine gewisse Unordnung versetzte, damit der Andere wieder von Vorne mit seiner Stressbewältigungstherapie beginnen konnte? Die Vorstellung ab und an zu einem Freund eingeladen zu sein, der sich um das Wohlergehen des Ausreißers sorgte, war doch viel schöner. Letzten Endes lief es doch eh aufs Gleiche hinaus. Erschöpft ließ sich Hizumi zu dem Kleineren an den Tisch sinken, als er diesem alles Nötige für die Partyvorbereitungen raus gelegt hatte, bevor er beinahe etwas verlegen antwortete:„Ja… irgendwie schon“. Jun konnte ein leichtes Kopfschütteln nicht unterdrücken. „Wieder ein Anderer?“ „Willst du darauf tatsächlich eine Antwort..?“ „Meinst du nicht du machst es mit diesen Aktionen nur noch schlimmer?“ „Bist gerade du neuerdings der Beziehungsprofi?“ „Alter, ich will dir nur helfen. Geht doch so nicht weiter.“ „Halt einfach deine dreckige Klappe!“, zischte der Ältere der beiden gereizt, packte Jun am Ausschnitt seines Sweaters und zog diesen ruppig heran, wobei der Straßenjunge glatt sein Essen fallen ließ. Kaum einen Wimpernschlag später presste sich ein raues Lippenpaar auf das des Jünglings, wobei dieser entschlossen nach hinten auf den Rücken gedrückt wurde. Das stechende Augenpaar auf ihnen bemerkte nur einer der beiden Männer auf dem Boden, doch dieser hatte gelernt es zu ignorieren. Ruka griff in solchen Momenten eh nie ein. Er ließ den Menschen seine Fehler machen - seine Erfahrungen sammeln. Kalt lag sein Blick auf dem Rücken des Mannes, der sich den vermeintlich gestörten Jungen immer wieder ins Haus holte, ihm ein paar Happen Liebe und Geborgenheit zu warf, ihn anschließend ausnutzte und ihn dann in eine Höhle voller hungriger Löwen warf. Doch solange Jun diesen Weg selbst wählte würde das geisterartige Wesen sich nicht rühren. Als bereits nackter Oberkörper auf nacktem Oberkörper lag, brachte Hizumi wieder etwas Abstand zwischen sie und lehnte sich auf einen Arm. Die nun freie Hand wanderte in seine Hosentasche und zog dort ein Tütchen mit Tabletten heraus. „Hab doch gesagt ich hab was für deine Laune.“, flüsterte der Ältere seiner Eroberung des Abends entgegen. Vorsichtig nahm Jun das Tütchen entgegen, inspizierte dessen Inhalt kurz und ließ dann ihre Blicke wieder aufeinander treffen. „Was ist das?“, fragte er mit leicht gehetztem Atem. „Spielt das eine Rolle?“, schnaubte Hizumi nur unwillig. Er war kein Fan davon, wenn man mit ihm Diskutierte und besonders in solchen Momenten war seine Geduld schnell erschöpft. Verunsichert wich Jun dem schneidenden Blick seines Gastgebers aus. „Ich habe Sakito versprochen, dass ich…“, doch weiter kam der junge Mann nicht. Da wurde auch schon sein Kinn gepackt und er zu Blickkontakt mit seinem Wohltäter gezwungen. „Ach vergiss den Typen. Wann hat er das letzte Mal DIR gegenüber ein Versprechen eingehalten? Ich bitte dich. Er ist nun einer von ihnen. Für ihn bist du doch genauso wie für alle von denen, eine lästige Schmeißfliege auf dem Scheißhaufen, den sie so liebevoll Gesellschaft nennen. Vergiss ihn endlich. Dann ginge es dir auch besser. Außerdem hast du mir versprochen deine Laune in den Griff zu bekommen. Ich habe meinen Teil des Versprechens bis jetzt eingehalten, also halt du deinen!“ Die Hand an seinem Kinn hielt Jun wie in einem Schraubstock gefangen und zwang ihn dazu in diese fast schwarzen Augen zu starren, bis sie ihm auf diese seltsame Art den Hals zuschnürten. Den Sakito wie er ihn kannte gab es nicht mehr. ‚Einer von ihnen‘… Sie wussten beide was gemeint war… Einer der Menschen, die sich um nichts mehr sorgen mussten. Denen alle Türen offen standen und die keinen positiven Gedanken an Menschen wie ihn verschwendeten. Die, die nur auf ihn herab sahen, hinter seinem Rücken tuschelten und ihm nur die Hand reichten, um ihn danach in nur noch tiefere Löcher zu stoßen. Solche Menschen wie die Polizisten, die ihn immer wieder auf den Straßen aufgelesen hatten, um ihn ‚freundlicherweise‘ nach Hause zu bringen, wo dann wieder ein Donnerwetter auf ihn hernieder prasselte. Solche Menschen, wie jene vom Jugendamt, die sie Zuhause weg geholt hatten, um ihnen ‚ein besseres Leben zu ermöglichen‘, damit die Brüder getrennt und den ewigen Kreislauf in Gang gesetzt hatten, in dem er von einer Familie zur nächsten gereicht wurde, von denen jede für ihn schlimmer war als die Letzte. Solche Menschen wie Sakitos neue Familie, die versuchte ihm ‚zu seinem eigenen Wohl‘ zu verbieten seinen eigenen Bruder zu treffen und die sein Blümchen auf ihre Seite gezogen hatten, indem sie ihn eingelullt hatten, bis auch dieser sich immer weiter gegen ihn gewendet hatte – und hätte er das noch irgendwie deutlicher tun können, als Jun zu einer Therapie zu raten? Wohl kaum. Jun schluckte trocken auf, doch seine Augen waren deutlich feucht geworden. Er hatte kein Versprechen mehr ein zu halten. Da war kein Sakito mehr, der sich um ihn sorgte. Es gab nur noch Ruka und diesem waren Menschen generell egal. Wem also schuldete er nun noch etwas außer Hizumi? Tief in sich glaubte er das Zerspringen von Glas hören zu können, als seine Augen etwas matter wurden. Just in diesem Moment ließ Hizumi von ihm ab. Der junge Streuner öffnete die Tüte und schob sich kurz darauf eine der Tabletten zwischen die Lippen. Als er mit diesem gewissen Trotz in seinen Augen die Tablette herunter würgte, konnte er Ruka hinter Hizumi heftig zusammenzucken sehen. Die Hände des Schattens pressten sich auf seine Ohren, als hätte in genau diesem Moment eine laute Sirene aufgeschrien. Doch es schien nur ein kurzer Impuls gewesen zu sein, denn kurz darauf trafen sich ihre Blicke wieder und Rukas Hände sanken wieder, bis sie kraftlos nur noch an ihm baumelten. Etwas Undefinierbares lag in seinem Blick– Jun empfand es, als hätte sich Rukas Herz soeben von ihm verabschiedet… Wobei... Ob ein Seelenfresser wohl überhaupt ein Herz besaß? Kapitel 3: Psychedelic ---------------------- Tick… Tack…. Tick…… Tack….. Tick………… Tack…………. Gebannt starrte Sakito auf die Uhr. Tick…………… Tack…………… Die Zeit hatte sich definitiv gegen ihn verschworen. Sie schien mit einem höhnischen Lachen immer langsamer an ihm vorbei zu ziehen, ihn von weitem aus zu verspotten und sich tatsächlich gerade zu überlegen, nicht doch noch einmal um zu drehen. Tick………………… Jede Sekunde schien länger zu sein als die Vorherige… Nein - Als alle davor zusammen! Schon die letzte Nacht hatte nicht vergehen wollen und nun das! Irgendwann gegen 3 Uhr nachts hatte ihn plötzlich eine seltsame, dunkle Vorahnung geweckt und ihm seit dem jeglichen Schlaf verwehrt. Er fühlte sich wie erschlagen während sein Magen sich immer wieder heftig zusammen zog. Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht! Seine neue Mutter hatte versucht ihn zu beruhigen. Aber leider half ihm die Einsicht, dass es sicher nur daran lag, dass Jun nun bereits 3 Wochen verschollen war und er daher sicher einen Alptraum gehabt hatte kein Stück weiter. Irgendwo ganz entfernte drang ein monotones Murmeln zu ihm durch, dessen Sinn sich ihm einfach nicht erschließen wollte, das Ticken der großen Uhr über der Tafel schien alles zu übertönen um sich seiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher zu sein. „…Ito.“ Mit leicht geneigtem Kopf folgte er dem Sekundenzeiger mit den Augen bis dieser irgendwie langsam zu verschwimmen begann. „…Kito!“ Ach ja, man musste ja blinzeln… Seine Augen brannten bereits… Wieso war ihm das nicht vorher aufgefallen? Nun war die Sicht auch wieder klar. Plötzlich eine Berührung an seiner Schulter. Erschrocken fuhr er zusammen, zog die Beine an, stieß sich dabei seine Kniescheibe heftig an und jaulte vor Schmerz auf. Nach vorne gebeugt blieb er dann auf seinem Stuhl sitzen und rieb sich unter leisen Schmerzenslauten das angeschlagene Bein. „Oh Gott! Schatz das tut mir Leid! Das wollte ich nicht!“ Oh! Moment! Die Stimme kannte er. Sein Kopf zuckte hoch und dein Starren traf sofort die dunkelbraunen, lieben Augen seiner Ziehmutter. „Kato-san..?“, purzelte es schneller aus seinem Mund als er es hätte überdenken und für total daneben befinden können diese dümmliche Feststellung überhaupt zu äußern. Leider bestätigte ihm das um ihn herum herrschende Gekicher den Intelligenzgehalt seiner Reaktion nur zu genau und auch seine neue Mutter wischte sich mit einer kurzen Geste über den Nasenrücken. „Pack bitte deine Sachen zusammen. Wir müssen gehen“, forderte ihn die Frau Ende 40 auf, die ihn so behutsam unter ihre Fittiche genommen hatte und untermalte die Dringlichkeit der Lage damit, dass sie ihrem Schützling den falschherum gehaltenen Kugelschreiber aus der Hand nahm, die Miene rein klickte und das Schreibwerkzeug anschließend in dem offenen Mäppchen verstaute. „Was ist denn passiert?“ fragte der Heranwachsende mit aufgerissenen Augen. Es war noch nie vorgekommen, dass man ihm wegen irgendwas aus dem Unterricht geholt hatte. „Erklär ich dir draußen...“ Verwirrt hob Sakito die Augenbrauen und sah sich kurz um. Die Augen aller seiner Klassenkammeraden waren auf ihn gerichtet. Äußerst Unangenehm für den eh schon schüchternen, jungen Mann... Rasch war dann auch sein Buch und sein Block in seiner Tasche verschwunden und die beiden verließen nach einer kurzen Entschuldigung den Klassenraum. „Sie haben Jun-kun gefunden.“, purzelte ihm schließlich die Erklärung vor die Füße, von der er plötzlich nicht mehr sicher war ob er sie wirklich hatte haben wollen. „Was ist ihm passiert? Du schreibst mir doch sonst auch nur eine SMS wenn sie ihn gefunden haben! Ihm ist etwas zugestoßen oder?“, fragte er mit entgleister Stimme doch zu mehr Antwort als ein „Er liegt im Krankenhaus. Sie…“ ließ er es auch gar nicht mehr kommen. Sofort beschleunigte sich das Tempo Sakitos bis dieser beinahe schon in Richtung Schulparkplatz rannte. Erst als die beiden im Auto in Richtung Krankenhaus saßen schaffte es die Dame ihren Ziehsohn genug zu beruhigen als dass sie ihm erklären konnte was genau vor gefallen war. „Dem zufolge, was man mir gesagt hat besteht keine größere Gefahr für ihn. Er ist mit einem Hitzschlag eingeliefert worden.“ Sakito sah seine Adoptivmutter groß an. „Hitzschlag? Kato -san… wir haben Herbst… bist du sicher, dass das so stimmt?“ erkundigte er sich und malträtierte dabei heftig seine Unterlippe mit den Zähnen. „Wir haben Herbst und er ist mitten in der Nacht eingeliefert worden.“ Bestätigte sie mit ernster Miene, sah kurz aus dem Augenwinkel zu ihrem Sohn. Würde es ihm von alleine Dämmern? „Man bat mich, dich zu einem Gespräch rum zu bringen. Die Ärzte brauchen ein paar Antworten von dir.“, doch die erhoffte Erkenntnis des Teenies blieb aus. Stattdessen sah er sie nur ratlos mit leicht geöffnetem Mund an. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ „Jun! Was soll das? Die Ärzte meinten dass ein Hitzschlag auf Drogen hinweist!“ entfuhr es dem Schüler empört als er nach dem erbetenen Gespräch mit den Ärzten zu seinem Bruder ans Bett gelassen worden war. Der Angesprochene aber starrte nur Wortlos aus dem, wenige Schritte von seinem Krankenbett entfernten, Fenster und machte nicht den Anschein als würde er auch nur daran denken eine Antwort zu geben. Ratlos wischte sich Sakito durch sein Gesicht und schluckte einmal hart auf. Er war doch der Ältere! Er musste doch auf seinen kleinen Bruder aufpassen! Wieso gelang es ihm dann nie? Wieso hatte man sie auseinander reißen müssen? Wäre es vielleicht besser gewesen sich nie ein zu mischen? „Du weißt aber schon noch was du mir versprochen hast oder, Brüderchen?“ Erreicht wurde damit allerdings nur ein Schulterzucken. „Was heißt hier..“ Er äffte die Geste empört nach. „Du hast mir versprochen, dass es bei Tabak, Alkohol und Gras bleibt!“. Der sonst so stille junge Mann hatte regelrecht zu keifen begonnen – Jun allerdings schien sich davon jedoch kaum beeindrucken zu lassen und fuhr in einem desinteressierten Ton und ohne seinen Blick vom Fenster zu lösen fort: „Was macht das schon noch für einen Unterschied? Brüder sind wir eh nicht mehr. Was schert es dich also?“ „Bitte!?“ „Du hast doch deine ach so tolle, neue Familie! Verpiss dich einfach!“ Sakitos Augen wurden tellergroß. Hallo? Ging 's noch? Er hatte sich doch wohl verhört! „Was heißt hier bitte: 'Wir sind keine Brüder mehr'? Hast du jetzt einen kompletten Sockenschuss?“ Die Stimme des Älteren bebte bedrohlich und wollte an ihrer Lautstärke einfach nicht zurück schrauben, was dafür sorgte, dass sich nun auch Juns Lautstärke anpasste. „Das soll heißen dass ich dich und deine ganze 'Heile-Welt-Brigade' nicht mehr sehen will! Nie wieder! Raus! Verpiss dich endlich!“ Ein lautes Stuhlrücken hallte durch das Krankenhauszimmer als Sakito sich in einer ruckartigen Bewegung aufrichtete „Damit du dann völlig alleine vor dich hinvegitieren und in irgend einer dreckigen Straßenecke an deinen scheiß Drogen verrecken kannst!?“ - „Ich bin nicht alleine.“ - „Komm mir jetzt bloß nicht mit deinem beschissenen Hirngespinst Ruka!“ Endlich ruckte der Kopf des jüngeren Bruders herum und ein kaltes, wenn auch mattes Augenpaar traf auf das wütend lodernde Sakitos. „Ruka ist kein Hirngespinst. Ruka ist das einzige Wesen auf diesem gottverdammten Planeten, dass mich niemals alleine lassen wird. Nicht wie du und diese dreckige Sippschaft, die sich Menschen schimpft“ „Dann.... dann...“ Sakito blieben die Worte im Hals stecken. In seinen Augen hatten sich die Wuttränen gesammelt und seine Hände hatten sich zu so verkrampften Fäusten geballt, dass sich seine doch recht kurzen Nägel trotzdem schmerzhaft in seine Handinnenflächen bohrten. „Dann bleib doch wo der Pfeffer wächst!Scheiß egal, dass ich zuhause fast verrückt werde vor Sorge um meinen kleinen Bruder! Wen kümmert es schon, dass diese Sorge völlig berechtigt ist? Ist ja nichts dabei, dass du jetzt im Krankenhaus liegst weil du in der Disco so zugedröhnt warst, dass du nicht mehr gemerkt hast, dass du schon stundenlang ohne Pause und ohne zu trinken auf der Tanzfläche warst!“ Jun aber fiel bei diesen Vorwürfen zurück in seine müde und kalte Starre. „Wen kümmert es schon? Ruka würde sich freuen endlich meine Seele zu bekommen.“ - „Was!?“ - „Ruka ist ein Wesen, das die Seelen nach dem Tod verschlingt. Wer weiß? Vielleicht kann ich ihn ja nur sehen, weil ich eigentlich eh schon lange so gut wie tot bin.“ - „Es reicht! Ich rufe den Arzt!“ Sakito griff nach dem Notrufknopf. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Seit dem waren 2 weitere Tage vergangen. Nach den ausführlichen Berichten Sakitos über Jun und Ruka hatte man den Jüngeren wegen Suizidgefahr auf die Geschlossene verlegt. Zwar hielt man den Älteren auf dem neusten Stand der Dinge aber Jun blockte jeden Versuch ihn zu besuchen ab. Das Bild, welches der Brünette vom unsichtbaren Freund seines Bruders – oder besser: Dessen Krankheit - gehabt hatte war wie ein Kartenhaus in sich zusammen gefallen. Dahin war das Bild eines kindlichen Vaterersatzes – eines Beschützers. Was blieb war ein menschlich aussehendes Monster, welches ungesehen im Schatten nur auf die Seele des ihm wertvollsten Menschens, den Sakito besaß, geiferte und ihm leise den Weg in den Selbstmord ins Ohr wisperte seit dieser 5 Jahre als war. Ein Wettlauf gegen die Zeit hatte begonnen und Ruka hatte bald 10 Jahre Vorsprung... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)