Second Thoughts von Kiru (Jared~~~) ================================================================================ Seine Augen sind fast lächerlich hell, denkst du, als er dir die Tür öffnet und du ihn ebenso verwirrt musterst wie er dich ansieht. Du hast dich nie an helle Augen gewöhnen können, sie faszinieren dich, sind aber ein Symbol für Fremdheit, ebenso wie blonde Haare und ein gebräunter Teint (wobei blonde Haare in Japan inzwischen bereits so weit verbreitet sind, dass sie dir bereits normal erscheinen – du hast selbst hellblonde Haare, gefärbt in einem Versuch, dich von den anderen abzugrenzen). Der Mann vor dir weist all diese Merkmale auf und hätte dir deshalb noch mehr wie ein Fremdkörper erscheinen müssen als allein durch die Tatsache, dass du ihn nicht kennst. Dennoch ist es genau umgekehrt, je näher du ihn betrachtest, desto mehr beschleicht dich das Gefühl, dass du ihn schon einmal gesehen hast. Etwa zwei Sekunden – was sehr lang ist, man unterschätzt oft die Wichtigkeit einzelner Sekunden in einem so gewohnten Vorgang wie an jemandes Haustür anschellen und dann zu verstehen geben, was man möchte, normalerweise klappt ein solcher Austausch ohne allzu viele Pausen –, so lange starrst du seine unglaublich hellen blaugrauen Augen an und nimmst seine kurzen, an den Spitzen blond gefärbten Haare sowie seine Bartstoppeln wahr. Du hast keine Stoppeln. Du könntest dir nicht einmal dann einen Bart wachsen lassen, wenn du über Nacht dreißig Jahre altern würdest. Er ist dir fremd und gleichzeitig vertraut. Es ist eine seltsame Situation, dadurch, dass er die Tür geöffnet hast, liegt es nun an dir, dem vorgefertigten Protokoll einer solchen Zusammenkunft zu folgen und den nächsten Punkt zu erfüllen: Du musst rechtfertigen, weshalb du angeklingelt hast, obwohl ihr euch nicht kennt. Kurz fehlen dir die Worte und du merkst, wie er bereits den Mund aufmacht, um eine Frage zu stellen, die dich nur noch peinlich berührter zurücklassen würde, dann fängst du dich und sagst: „Guten Tag, mir wurde gesagt, dass ich hierher kommen soll.“ Das ist nicht sonderlich aussagekräftig, was dir bewusst ist, doch hältst du dich zunächst mit weiteren Details zurück. Du weißt ja nicht mal, ob du tatsächlich die richtige Adresse erwischt hast. Der Europäer (oder Amerikaner, auf jeden Fall ein Typ aus dem Westen) verengt seine Augen ein wenig und kurz befürchtest du, dass er dir die Tür vor der Nase zuknallt, doch er scheint nachzudenken. Du erwägst zwei Möglichkeiten: Du kannst stotternd erklären, wer dich hergeschickt hat, oder umdrehen und gehen. Versteht er dich überhaupt? „Bist du nicht Annas Verlobter?“, fragt er dann in perfektem Japanisch. Da fällt der Groschen. Natürlich, diese hellen Augen HAST du schon einmal gesehen, auf einer der unzähligen Familienfeiern, auf denen du herumgezeigt wurdest wie ein seltenes Schmuckstück, während du kein Wort verstanden hast, deine Augen noch geschwollen von den Strapazen des Fluges am vorigen Tag, dein Verstand ruiniert durch den Jetlag, deine Nerven zum Zerreißen gespannt. Anna liebt ihre Familie und ihre Familie liebt sie, deshalb fliegt sie ständig hin und her, und manchmal hält sie es für eine gute Idee, dich mitzunehmen. Weshalb, weiß sonst niemand, du selbst eingeschlossen. Sie muss ständig übersetzen und gibt irgendwann frustriert auf, lässt dich zurück in der schwafelnden Menge deiner zukünftigen Verwandten. Und ganz offensichtlich ist der Amerikaner vor dir ein Verwandter Annas, obwohl es dich verwundert, dass er hier lebt und Japanisch spricht. Noch viel mehr verwundert es dich, dass Yuuki weiß, dass er hier lebt – du hältst ihn schließlich so weit wie möglich von Anna fern. Du wirst sie heiraten und ein glückliches Leben mit ihr führen, was allerdings nicht heißt, dass sie alles über dich wissen muss. Mittlerweile hat sich das Gesicht deines Gegenübers aufgehellt und er zieht dich ohne Vorwarnung kurz an sich, ehe er dir mit starker Hand auf die Schulter klopft. Du bist es nicht gewöhnt, von Fremden umarmt zu werden, aber da du kurz gegen seine muskulöse, warme Brust gepresst wird, bleibt dir kaum Atem, um dich zu beschweren – weder verbal noch geistig. „Schön, dass sie dich vorbeigeschickt hat, komm rein!“ Er tritt beiseite und dir bleibt nichts anderes übrig, als sein Haus zu betreten. Du fühlst dich, als hättest du irgendetwas verpasst, denn es war nicht Anna, wegen der du hier bist. „Wie war noch mal dein Name?“ „Byou“, antwortest du mechanisch und vergisst über deine Verwirrung darüber, dass du nun in einem sehr gepflegten und geschmackvoll dekorierten Flur stehst, ihn nach seinem zu fragen. „Ich bin Jared, schön, dich wiederzusehen.“ Er schüttelt deine Hand und es kommt dir seltsam vor, dass Westler sich nicht zur Begrüßung verbeugen, sondern die Hand schütteln. Es kommt dir seltsam vor, dass er einfach einen praktisch Fremden in sein Haus lässt, und es kommt dir seltsam vor, dass du überhaupt hier bist. Doch der Name weckt Erinnerungen, Anna hat von einem Jared gesprochen, er war... der Bruder ihres Vaters, falls du dich richtig erinnerst. „Du bist ihr Onkel, nicht wahr?“ Er nickt und lächelt und dein Blick bleibt einen Moment an seinen schmalen Lippen hängen. „Kann ich dir etwas anbieten? Etwas zu trinken?“ Du kämpfst den Impuls nieder, nach Alkohol zu fragen – du wirst morgen ohnehin genug trinken –, und begnügst dich mit einem Tee. Während du Jared, der dir nun seltsamerweise noch fremder vorkommt als vor ein paar Minuten, in die Küche folgst, musterst du seinen Körper. Er hat breite Schultern und einen für Japaner ungewöhnlichen muskulösen Körperbau. Seine Jeans liegen eng an, sein weißes Hemd ebenso. Obwohl hauptsächlich von seinen Haaren bedeckt, macht sein Nacken dich nervös. Du kämpfst das aufsteigende Kribbeln nieder, denn es ist das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst. Während er das Wasser aufsetzt, wirft er einen Blick auf die Uhr an der Wand, der beinahe unruhig wirkt – erwartet er noch jemand anderen? „Ihr heiratet doch auch demnächst, wenn ich mich richtig erinnere. Nächste Woche?“ „Übermorgen“, korrigierst du ihn ebenso mechanisch, wie du ihm deinen Namen gesagt hast. Du bist dir immer noch nicht sicher, was du hier sollst. „Und dann feiern wir zunächst mit meinen Verwandten. Bevor wir dann in die Flitterwochen fahren, machen wir noch einen Abstecher in die USA und feiern ein zweites Mal mit ihrer Familie. Da bist du auch eingeladen, soweit ich weiß.“ Er lächelt wieder und seine hellen Augen blitzen dich an. „Ja, bin ich. Anna wollte mich auch erst zur eurer ersten Feier einladen, da ich ohnehin schon hier bin, aber ich habe den Rest meiner Familie schon länger nicht gesehen. Und eine Hochzeit ist eine gute Ausrede, um sie zu besuchen.“ Annas Augen sind braun und viel, viel dunkler als Jareds. Auch ihre Haut ist heller, ihr Körperbau so schlank, wie es in Japan das Ideal ist, und ihre Augen sind nicht vollkommen europäisch. Trotzdem geht sie nicht als Japanerin durch. Du fragst dich, ob Jared im täglichen Leben seltsam angesehen oder bewundert wird, weil er unverkennbar aus dem Westen kommt und dennoch fast makelloses Japanisch spricht. „Ich wusste vorher gar nicht, dass du auch in Japan lebst, ich hab dich vorher nur in Amerika gesehen.“ Dir widerstrebt es zu lügen, daher beschränkst du dich auf etwas, das tatsächlich wahr ist – bevor du hier aufgekreuzt bist, wusstest du nichts von ihm. „Hat Anna dir nichts erzählt? Andererseits ist es keine sonderlich interessante Geschichte, denke ich.“ Er hantiert ein wenig herum und du begutachtest die Küche. Ebenso wie der Flur ist sie makellos sauber, aufgeräumt, hell und stilvoll. Du erinnerst dich vage daran, dass Anna dir erzählt hat, Jareds Leben sei ziemlich durcheinander. Dafür sieht sein Haus jedenfalls geordnet aus. „Ich bin der Bruder von Annas Vater. Als Annas Eltern sich kennen gelernt haben, waren die beiden so glücklich, dass ich mir in den Kopf gesetzt habe, auch eine japanische Frau zu heiraten. Ich habe die Sprache gelernt und bin meinem Bruder nach Japan gefolgt, wo ich auch tatsächlich geheiratet habe. Aber im Gegensatz zu meinem Bruder hat meine Ehe nicht funktioniert, danach bin ich für eine Weile zurück in die Staaten. Und seit einigen Monaten bin ich wieder hier.“ Du fragst dich, weshalb seine Ehe in die Brüche gegangen ist – hat er getrunken, sie betrogen, hat sie ihn verlassen, weil sie einen anderen gefunden hat? Du findest trotzdem, dass Annas knappe Beschreibung seinem Leben nicht gerecht wird. Zumindest hat er es geschafft, die japanische Sprache zu meistern, was du schon als beeindruckende Leistung ansiehst. „Hätte Anna mir gesagt, dass du schon länger hier bist, wäre ich dich früher besuchen gekommen.“ Du meinst es ernst, er wirkt nett und mit ihm hättest du eine zweite Person, die bei den großen Familientreffen übersetzen könnte. Er reicht dir eine Tasse und lotst dich ins Wohnzimmer, das mit sehr bequemen Sofas glänzt. Da du dir am Eingang in gewohnter japanischer Manier die Schuhe ausgezogen hast, machst du es dir gleich bequem und beobachtest, wie sich Jareds Oberschenkelmuskeln beim Hinsetzen anspannen. „Ach, mach dir keine Sorgen, ich bekomme ohnehin selten Besuch von meiner Familie.“ Jared lächelt dieses beunruhigend hübsche Lächeln und du bist dir sicher, dass er nicht meint ‚ich wohne schließlich in Japan und sie in Amerika’, sondern bereits von der Zeit davor redet. Er schaut auf seine Armbanduhr, ehe er fortfährt: „Wo geht’s denn hin für die Flitterwochen?“ „Nach Italien, Anna wollte unbedingt an die Sonne.“ Du musst grinsen, als du dich daran erinnerst, wie Anna Zettel mit den infrage kommenden Ländern beschriftet und anschließend einen Dartpfeil geworfen hat, um den Ort festzulegen, wo ihr zwei Wochen in trauter Zweisamkeit verbringen werdet. Sie hatte schon immer vor Kreativität gestrotzt. „In die Toskana, wir haben uns ein kleines Apartment gemietet. Es wird wahrscheinlich sehr warm werden, aber dafür sind die kleinen Städtchen wunderschön.“ „Wir waren damals in der Karibik“, entgegnet er nachdenklich und trinkt selbst einen Schluck Tee. Sein Adamsapfel zieht kurz deine Aufmerksamkeit auf sich. „Sonne, Strand und dieses türkisblaue Meer... da hatten wir auch unseren ersten Streit.“ Er lacht leise und schüttelt den Kopf. „Wieso habt ihr euch getrennt?“, hörst du dich fragen. Und er lächelt nur wieder und gibt dir die Antwort, die jeder gibt, wenn es einen viel zu persönlichen und tiefgehenden Grund gibt: „Wir haben uns auseinander gelebt. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam.“ Plötzlich siehst du dich selbst in ein paar Jahren, dein Leben fühlt sich an wie eine Sackgasse, Anna weint heimlich, ihr sagt nichts, ihr müsst nichts sagen, stattdessen verletzt ihr euch auch ohne Worte, durch das Fehlen von Nähe, durch das Fehlen von Liebe, durch etwas, was zwischen euch im Raum steht, was du versucht hast, wegzuschließen, was sich jedoch all die Jahre Millimeter für Millimeter wieder an die Oberfläche gegraben hat. Du musterst Jared genauer, sein sorgfältig gestyltes Haar, die Kette um seinen Hals, die Armbänder, die er trägt. Seinen trainierten Körper. Du möchtest ihn fragen, aber was, wenn du meilenweit daneben liegst? Kurz ringst du nach Worten, während dir bewusst wird, dass dies der Bruder von Annas Vater ist, der hier vor dir sitzt. Anna selbst ist fünfundzwanzig, ihr Vater mindestens zwanzig Jahre älter... „Wie alt bist du eigentlich?“ „Ich werde dieses Jahr vierzig.“ Er lacht wieder, als er dein geschocktes Gesicht sieht, und fährt sich durchs kurze Haar, das sofort wieder in seine perfekte Ausgangsposition zurückschnellt. „Sag nichts, ich weiß.“ „Und ich dachte, nur wir Japaner würden bis fünfzig nicht altern“, bemerkst du und fragst dich, für wen er sich so in Schuss hält. „Trotzdem lebst du alleine? Mit dem Aussehen kannst du doch bestimmt jeden haben, den du willst.“ „Das sagt jemand wie du.“ Kein Kommentar, aber du kannst dir ein Lächeln nicht verkneifen. „Kein Wunder, dass du mit jemandem wie Anna zusammen bist, sie scheint alle gutaussehenden Gene unserer Familie abgekriegt zu haben – und ich nehme an, dass die Familie ihrer Mutter ebenso wunderschön ist.“ Das lässt dich kurz stutzen. „Du kennst die Familie von Annas Mutter nicht?“ „Nein, zumindest nicht gut.“ Eine harmlose Lüge, aber dir fällt sie auf. Es muss einen Grund dafür geben, dass er so unbeliebt in seiner eigenen Familie ist. Du fragst nicht. Du kennst ihn ja auch gar nicht. „Verstehe ich nicht, wenn ich dich als Schwager hätte, würde ich dich nicht versteckt halten, ganz im Gegenteil“, versuchst du, die Stimmung ein wenig aufzulockern und dich selbst abzulenken. Jared grinst dich sichtlich geschmeichelt an und du denkst: Ich muss hier raus. Plötzlich sind es drei Stunden später. Du stehst in Jareds Küche und kochst und als dir diese Tatsache zusammen mit der Erinnerung daran, dass du eigentlich längst hattest verschwinden wollen, fühlst du dich wie in einem schlechten Film. Es ist so klischeehaft. Ihr habt einen entfernt ähnlichen Musikgeschmack, lest beide sehr gerne (welche Bücher, Autoren und Genres genau, ist in diesem Fall egal – allein die Tatsache, dass, ist entscheidend), könnt euch über Lieblingsfilme austauschen, ohne einen Streit anzufangen. Und während Jared neben seiner erstklassigen Hi-Fi-Anlage stand und dir gestikulierend erklärte, weshalb dieses besondere Lied von Pink Floyd einen seelenstreichelnden Effekt auf ihn hat und wieso es ohnehin eines der besten Albums ist, die je existierten, und während du dabei aufmerksam nicktest und die richtigen Fragen an den richtigen Stellen stelltest, hättest du dir am liebsten vor die Stirn geschlagen. Es ist so lächerlich, wenn du darüber nachdenkst, deshalb tust du es nicht. Jared hat inzwischen aufgehört, ständig auf die Uhr zu sehen – was auch immer er für einen Besucher erwartet hatte, es ist wohl so spät, dass er mit Sicherheit nicht mehr auftauchen wird – und erklärt dir das Geheimnis hinter der perfekten Tomate-Mozzarella Vorspeise. Er kocht. Du hast es dir beinahe gedacht, selbst wenn du seine ausgezeichnet eingerichtete Küche nicht zuvor gesehen hättest. Du hörst dich selbst über Anekdoten aus deiner Jugend sprechen, als du ausgezogen bist und zum ersten Mal in deinem Leben für dich selbst sorgen musstest (nur bist du nicht ausgezogen, du wurdest hinausgeworfen). Jared lacht lauthals über die Geschichte, als du Nudeln an die Decke geworfen hast, um zu sehen, ob sie tatsächlich kleben bleiben, falls sie gar sind, und anschließend hast du sie vergessen und sie sind deinem Mitbewohner in den Nacken geklatscht (nur war es nicht dein Mitbewohner). Er klärt dich darüber auf, dass Tomaten eigentlich kein Gemüse sind (was du wusstest, aber du reagierst beeindruckt und verachtest dich ein bisschen dafür), Erdbeeren eigentlich eher Nüsse als Beeren (was du nicht wusstest) und dass Dynamit aus Erdnüssen gemacht wird. Du nennst ihn mameshiba, er versteht den Witz nicht und du zeigst ihm die mameshiba-Videos auf deinem Smartphone, während er nebenbei die Soße abschmeckt. Multitasking stellt keinerlei Problem für ihn dar. Irgendwie kommt ihr auf das Thema Haustiere (ihr präferiert Hunde) und von da auf das Thema Tod, und du fühlst dich, als seist du nicht du selbst, während du ihm vom Tod deiner Großmutter erzählst, und er erwähnt eine Schwester, die gestorben ist, als sie erst neun war, und dann geht es wieder um Familie. Du willst nicht, aber du fragst. Ob er seine Familie vermisst. Er lächelt und senkt den Blick und antwortet manchmal. Ob er sich mit ihr zerworfen hat. Es sei eine lange Geschichte, und er möchte nicht ins Detail gehen – ob du wohl noch einen Nachschlag möchtest? Du möchtest, denn es schmeckt verdammt gut. Du lässt ihn nicht davonkommen. Ob es möglich wäre, dass er sich mit seinen Verwandten versöhnt. Die erste Spur von Bitterkeit in seiner Stimme. Ich denke nicht. Ich würde gerne, aber ich fürchte, es ist unmöglich. Vielleicht nicht so sehr mit Annas Generation, vielleicht – hoffentlich – nicht so sehr mit Anna (denn er liebt sie, sie ist seine Lieblingsnichte, er selbst hat keine Kinder), aber mit dem Rest... Da hörst du auf. Dein Hals schnürt sich ein wenig zu und du möchtest nach Hause. Wieso bist du überhaupt noch hier? Ihr räumt die Küche auf und du schlägst einen Schnaps aus, schließlich musst du noch fahren. Ohnehin solltest du gehen, Jared nickt und lächelt und seine hellblauen Augen erscheinen dir unwirklich, als er dir mitteilt, dass er sich sehr gefreut hat, dich zu sehen, dass er hofft, dich wiederzusehen (du hast ja jetzt seine Handynummer und sein Facebook, aber wenn es nach dir ginge, würdest du ihn am liebsten nie wieder sehen, du bist immerhin nicht masochistisch veranlagt), dass er dir eine wundervolle Hochzeit wünscht und alles Gute und schöne Grüße and Anna und das Ganze. Du lächelst zurück und gibst die passenden Antworten und willst dich gerade nach deinen Schuhen bücken, da fängt dein Handy an zu vibrieren. Es ist Anna. Ihr ebenmäßiges, hübsches Gesicht strahlt dich von deinem Display aus an und du starrst einen Moment nur darauf. Jared entschuldigt sich mit der Ausrede, das Buch holen zu wollen, was du unbedingt lesen musst (du hoffst, er wird es nicht vermissen – schließlich wirst du dich in Zukunft tunlichst von ihm fern halten), und geht ins Wohnzimmer. Du nimmst den Anruf an und wendest dich ab, damit er dich auch ja nicht hört. „Guten Abend, Schatz!“ Deine Stimme dröhnt gekünstelt und affektiert in deinem Schädel. „Byou, wo bist du? Ich komme gerade von der Arbeit und du bist immer noch nicht zuhause? Was für eine Überraschung hatte Yuuki denn für dich?“ Sie mag Yuuki nicht, aber sie toleriert ihn. Sie ist eine klasse Frau. Du erwägst zu lügen, bist dir aber sicher, dass dir auf Anhieb keine Notlüge einfallen wird, die plausibel genug ist. Du würdest die Situation nur noch verschlimmern. Überhaupt, es ist doch nur ein Besuch bei einem deiner zukünftigen Verwandten. „Ich bin bei Jared“, sagst du daher und kneifst kurz die Augen zusammen. Du beherrschst dich und schaffst es, beiläufig zu klingen. „Wieso hast du mir nie gesagt, dass dein Onkel in Japan und sogar in derselben Stadt wie wir wohnt? Wir hätten ihn doch früher besuchen können.“ „...was, bei Jared?“ In ihrem überraschten Tonfall liegt noch etwas anderes, was endgültig sämtliche deiner Hoffnungen zerstört. „Byou, was machst du bei Jared? Wie hast du überhaupt herausgefunden, dass er... war DAS Yuukis Überraschung?“ „Ja, ich weiß auch nicht, wie er es herausgefunden hat.“ Es ist die Wahrheit, du hast nicht die leiseste Ahnung, genauso wenig wie du weißt, was er damit bezweckt hat. „Er ist aber unheimlich nett und er mag dich auch sehr, wieso-“ „Byou.“ Sie unterbricht dich und du weißt es besser, als nicht darauf einzugehen. Du verstummst. „Byou, du verstehst überhaupt nichts. Ausgerechnet bei Jared? Weißt du, es gibt einen Grund dafür, dass er gemieden wird, deshalb habe ich dir auch nicht erzählt, dass er hier ist.“ „Aber er ist-“ „Er ist schwul, Byou. Ist dir das bewusst? Wir können doch nicht so tun als wäre nichts, du kennst die ganze Geschichte nicht-“ Dein Herz klopft dir inzwischen bis zum Hals, deine Kehle ist trocken und es fällt dir schwer zu atmen. Unbewusst blendest du Annas nächste Worte aus und drehst dich um, als hättest du etwas gespürt. Jared steht einige Schritte hinter dir im Flur und mustert dich ausdruckslos. Anna redet weiter und endlich fällt der Groschen bei dir: Sie klingt besorgt. Abgesehen davon klingt sie hässlich. Noch nie seit dem Tag, an dem ihr euch über den Weg gelaufen seid, hast du ihre Stimme so verabscheut wie jetzt. Und dann begreifst du endlich, was dir schon viel früher hätte klar werden sollen. Du hörst Yuuki in deinem Kopf: Weißt du, ich hab doch diesen Bekannten, der als Callboy arbeitet, und der hat mir letztens von einem Typen erzählt, du glaubst es nicht – gut gebaut, Europäer und unglaublich nett, es ist ein Wunder, dass er- Und dann deine eigene: Halt die Klappe, Yuuki, das interessiert mich nicht. – Was, nur wegen deiner hübschen Anna lässt du Schwänze ganz sein? – Nein, Männer interessieren mich einfach nicht mehr, das ist alles. Kurz blitzt Yuukis blutiges Gesicht in deiner Erinnerung auf, als du ihn das erste Mal nach einer Schlägerei gesehen hast. Er hat geflucht wie ein Seemann und gleichzeitig geweint und gelacht: Die kriegen mich nicht unter. Ich bin stolz auf das, was ich bin. Und du hast nichts gesagt und ihn nur zum Krankenhaus geschleppt. Du legst auf und schaltest dein Smartphone aus. Es ist das wahrscheinlich erste Mal, dass du es freiwillig ausschaltest. Als das Display von bunt und erleuchtet zu einem dumpfen Schwarz gewechselt hat, steckst du es in deine Hosentasche und wagst es dann, den Blick zu heben und Jareds zu erwidern. Er hat sich keinen Millimeter gerührt. „Anna hat dich nicht geschickt.“ Es ist eine Feststellung. „Nein.“ Deine Stimme ist ein Krächzen, dein Herz rast nicht mehr, dafür schlägt es so heftig, dass du um deine Rippen Angst bekommst. Du bist aufgeflogen, und zu allem Überfluss weißt du jetzt endlich, weshalb du hier bist. „Als du ständig auf die Uhr gesehen hast, war das wegen des Callboys, den du bestellt hast.“ Er muss nicht nicken. Seine Halsmuskeln spannen sich an. Du kannst dich nicht entscheiden, ob er wütend oder trotzig wirkt. Oder einfach nur einsam. „Es sollte ein... ich weiß nicht, ein Scherz sein, vermute ich. Einer meiner Freunde kennt den Callboy und... Ich wusste auch nicht, was mich erwartete...“ Du brabbelst unzusammenhängendes Zeug, was dir auch auffällt, daher beschließt du, den Mund zu halten. Vor etwa zwei Stunden hast du eine ominöse SMS von Yuuki bekommen: having fun? :333 Du bist dir nicht sicher, warum er dachte, dass dies eine gute Idee sein könnte. „Ich gehe dann.“ Du greifst nach deinen Schuhen. „Wieso haben sie dich geschickt?“ Du weißt, was er meint. Du könntest es mit einem Lachen abtun und etwas sagen wie: Ach, ich weiß auch nicht, wahrscheinlich haben sie erwartet, dass sich ein Typ an mich ranmacht und ich entgeistert fliehe. Nein, dann würde die kleine Organisation, bei der Yuukis Bekannter arbeitet, Miese machen und Beschwerden bekommen. Ganz im Gegenteil, Yuuki hat fest damit gerechnet, dass der Job trotz allem erledigt wird. Seine Form von Junggesellenabschied, schätzt du. Beim Hinunterbeugen wird dir schwindlig, sodass du dich aufrichten musst, dabei bleibst du an diesen irrsinnig hübschen Augen hängen. Ihr seht euch an, und würdest du deine Schuhe tragen, wäre dies der Moment, in dem du fliehst. Du kannst so etwas nicht gebrauchen und ganz bestimmt nicht zwei Tage vor deiner Hochzeit. Du hast nicht einmal mitbekommen, dass Jared auf dich zu gegangen ist, ehe seine linke Hand in deine Haare fährt und deinen Kopf festhält. Sein Gesicht ist direkt vor deinem und er schließt die Augen, ehe er seinen Mund auf deinen presst. Du schmilzt. Er ist sanft, aber bestimmt, und er steckt deinen Körper in Brand, während du seine Küsse mit offenem Mund erwiderst. Er ist zu schön, als dass du ihn lange von Nahem ansehen kannst, daher fallen deine Augen wie von selbst zu und du lässt deine Zunge über seine gleiten. Ihr küsst euch ruhig und beherrscht, was genau genommen noch schlimmer ist, denn so ist es voller Absicht. Fast ist es, als würdest du fallen. Es ist einfach, sich hinzugeben, und schwer, sich loszureißen. Für einige Momente ist dir alles egal, daher ist es, als würdest du in kaltes Wasser geworfen, als Jared sich von dir löst und sogar seine Hand entfernt. Der Kuss, die Hand in deinen Haaren und der Handschlag zur Begrüßung waren jeglicher körperliche Kontakt, den ihr hattet. Du kannst umdrehen und gehen (du solltest aufhören, dich selbst zu belügen). Er tritt einen Schritt zurück. Ihr atmet gleich schwer. Kurz fürchtest du, dass er sich über dich lustig machen, dich als Komplizen behandeln oder dir all die schmerzhaften Details seiner Lebensgeschichte ausbreiten wird. Er tut nichts dergleichen. Genau genommen tut er nichts. Der Kuss hat dich geschwächt und du traust dich nicht, dich ein drittes Mal zu deinen Schuhen herunterzubeugen, daher verlegst du dich auf eine zugegebenermaßen gemeine Verteidigung: Du tust ihm weh. „Fass mich nicht an. Lass deine Finger von mir, ich lasse mir von dir nicht meine Hochzeit ruinieren.“ Du weichst instinktiv zurück, als er sich wieder vorbeugt. „Lass mich in Ruhe! Jared!“ Du wirst mit dem Rücken an die Haustür gepresst und dieses Mal kannst du seinen Körper spüren, während er dir Stück für Stück deinen Verstand wegküsst. Verloren bist du ab dem Moment, da du denkst: Wenn ich nur seinen Schwanz in den Mund nehmen kann, werde ich glücklich sterben. Was dann folgt, ist so typisch pubertär, dass es dir wie die gleichsam verlockende wie verbotene Frucht vorkommt: Ihr macht rum wie zwei Teenager, bis dein Mund sich geschwollen und viel zu feucht anfühlt und deine Lippen wehtun von Jareds Bartstoppeln. Gleichzeitig grapscht ihr nach allem, was ihr in die Finger kriegen könnt, presst euch aneinander, als hingen eure Leben davon ab, und keucht wie Marathonläufer kurz vor dem Finish. Es ist so ungekünstelt und schwindelerregend, dass es dir richtig vorkommt. Kurz entschlossen drückst du gegen Jareds muskulöse Brust und schiebst ihn von dir weg, ehe du dich anschickst, sein Hemd zu öffnen. Du fühlst, wie sein eisblauer Blick dich verfolgt, während du gleichzeitig mit einer Hand gegen seinen Schritt presst. Multitasking stellt kein Problem für dich dar: Du massierst und entkleidest ihn gleichzeitig (was ihn dazu bringt, Geräusche von sich zu geben, die verboten sein sollten). Du schiebst seine Jeans über seine schmalen Hüften und saugst gleichzeitig an einer perfekten Brustwarze, woraufhin er eine Hand auf deinen Kopf legt. Und nicht nur seine Brustwarzen sind perfekt, sein ganzer Körper ist es – für einen Moment übermannt dich dein eigenes Verlangen und du schwindelst, fängst dich jedoch gleich wieder. Er ist vollständig hart und so groß, dass du einen Schauder unterdrücken musst bei der Vorstellung, diese Erektion in dir zu haben. Sie liegt gut in der Hand und so ersetzt du sie nicht sofort durch deinen Mund, sondern vergräbst dein Gesicht kurz in dem dunklen Schamhaar, das sie umgibt, nachdem du dich auf die Knie hast sinken lassen. Jared riecht gut. Du schluckst ihn ganz, was ihm ein kehliges Stöhnen entlockt, und bläst ihn so gut du kannst. Du willst ihn, er macht dich wahnsinnig an und du möchtest ihm gerne zeigen, wie sehr. Deine Hände auf seinen Hinterbacken, saugst und leckst du an ihm und genießt jedes verzweifelte Stöhnen, das tief aus seiner Brust kommt. Er beginnt, obszön auf englisch zu fluchen und du verstehst etwa die Hälfte von dem Geschwafel, aber es ist dir vollkommen egal, weil Jareds Stimme in rauchig tatsächlich noch reizvoller klingt. Du schließt die Augen und er stützt sich an der Wand neben ihm ab, zusammen geht ihr immer mehr im Moment auf, bis er sich stöhnend in deinen Mund ergießt. Er ist vollständig in deinem Mund und hält deinen Kopf fest, sodass dir keine andere Möglichkeit bleibt als zu schlucken. Du tust es, ohne mit der Wimper zu zucken und beobachtest ihn, wie sein Orgasmus wie Wellen durch seine Muskeln fährt. Er reitet ihn mit seinen Hüften aus und entspannt sich anschließend, entfernt seine Hand aus deinen Haaren. Mit zittrigen Knien (du bist das Knien nicht mehr gewöhnt, daran liegt es) stehst du auf und nimmst bewusst all die kleinen Details in dich auf, die Jared so (fast) unwiderstehlich machen. Dazu gehört die Art, wie seine Oberlippe sich kräuselt, seine leicht hervortretenden Schlüsselbeine, die sanfte Wölbung seiner Bauchmuskeln. Er legt seine hellen Augen wieder auf dich und du widerstehst dem Drang, dich an ihm festzuhalten. Nicht ein Tropfen Schweiß ist auf seinem Körper zu sehen, und wären seine Hose und sein Hemd nicht geöffnet und seine Unterhose heruntergeschoben, hätte er genauso ausgesehen wie noch vor fünf Minuten. „Ich gehe dann“, sagst du und denkst, dass du jetzt glücklich sterben kannst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)