Ein Anfang... von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Ein Anfang... ------------------------ Die Luft war feucht, modrig und stickig vom Zerfall der Mikroorganismen. Moosbedeckte Ziegel, glitschig und schleimig ob der dicken Schicht Rotalgen, die im Halblicht wie Blut an den feuchten Wänden schimmerte. Der Boden war uneben und vollkommen verdreckt, übersät von heraus gebrochenen Steinen, Staub, vereinzelten Mäuseskeletten und messerspitzen Scherben. Ein kleines undefinierbares Rinnsal wandte sich die Wand hinab, speiste eine stinkende Pfütze an ihrem Boden. Der Raum war nicht groß, sechs mal sechs Meter vielleicht und heruntergekommener als die Keller der Ruinen auf dem Trainingsgelände. Und es war kalt. In kleinen Wolken kondensierte die ausgestoßene Luft vor seinem Mund. Wie lange müssen wir hierbleiben? Wie lange wird die Strafe dauern? Man widersetzte sich den Lehrern nicht. Man hielt sich an die Regeln. Oder man wurde bestraft. Wer versagt, wird mit dem Tod bestraft. Doch ist es ein Verbrechen, das Töten anderen zu überlassen? Unsicher sah er in die Runde. Ist es ein Verbrechen, sein Gewissen zu bewahren? MUSS man töten, nur weil man es KANN? „Ich will hier raus, verdammt noch mal!“ Wütend schlug Marko mit geballter Faust gegen die Wand und zuckte fluchend zurück, als ihm das brechende Gestein in die Hand schnitt. Was ihn nur noch wütender machte. Er erhob die blutende Hand. „Wenn du deine Fähigkeiten einsetzen willst, um die Wand zu durchbrechen, kann ich dir auch gleich dein Genick brechen. Denn genau das wird dich erwarten.“ Rasend vor Wut fuhr Marko herum. „Hättest du das mit diesem Versager gemacht, dann wären wir jetzt nicht hier!“ Speichel sprühte in feinen Tropfen durch die Luft, während er ihn aufmerksam taxierte. „Baut einer von uns Scheiße, ist das ganze Team am Arsch! Und nur weil du mal wieder ’nen schwachen Moment hattest sitzen wir in diesem Rattenloch!“ „Jetzt beruhige dich einfach wieder, setzt dich hin und warte ab.“ Maya war erst acht, aber manchmal sprach sie wie eine der Erwachsenen. Sie hatte es sich auf einem größeren Scherbenhaufen gemütlich gemacht, die langen blonden Haare hingen ihr vollkommen zerzaust ins Gesicht. Ihre graue Uniform war fleckig. Er konnte ihre Augen nicht sehen, doch er glaubte die stahlblauen Iriden durch die Strähnen hindurch glühen zu sehen. Es gefiel ihr hier ganz und gar nicht. „Wie lange können sie uns schon hier unten lassen, bevor sie riskieren, dass wir an einer Lungenentzündung sterben? Haha…“ Sie zog die Knie an, umschloss sie mit den Armen und legte ihren Kopf auf sie hinab. Marko starrte sie verdattert an, die Wut verpufft. Er war neun, einen halben Kopf kleiner als der Blondschopf und er wusste, dass man mit ihr nicht streiten konnte. Beinahe bockig plumpste er auf den Boden, stierte seinem Teamleiter dabei direkt in die Augen. „Du hättest ihn töten sollen, Jo.“ „Er war einer von uns.“ „Er war ein Versager. Und nur weil du ihn nicht getötet hast, heißt das nicht, dass er am Leben bleiben darf.“ „Ich weiß.“ Jo seufzte tief und sah zu den Zwillingen hinüber, die Jüngsten seines Teams mit siebeneinhalb, die schon vor Stunden eng aneinandergeschmiegt eingeschlafen waren. Wie, war ihm ein Rätsel. Er selbst würde jedenfalls kein Auge zutun. Immer wieder landete jemand in den Katakomben, aber sicher nicht in diesem Verließ. Nicht in dieser stinkenden vermodernden Zelle, da war er sich absolut sicher. ----- Ein leises Summen ließ ihn aus seinem Dämmerschlaf hochschrecken. Waren die Zwillinge wieder wach? Verwirrt blickte sich Johannes um, sah zu Maya, die sich auf ihrem Scherbenhaufen wie eine Katze eingerollt hatte, den noch immer schlafenden Zwillingen und Marko, der mit dem Rücken an der Wand lehnte und mit dem Kopf im Nacken leise vor sich hinschnorchelte. Das leise melodische Summen kam von rechts. Sein Team schlief, also wer summte da? Beinahe widerwillig drehte er den Kopf noch rechts, wusste selbst nicht, was er zu sehen erwartete. Erleichtert ließ er die angehaltene Luft entweichen, betrachtete nachdenklich den kleinen Jungen, der kaum einen Meter von ihm entfernt mit dem Gesicht zur Wand auf ein paar Ziegelsteinen saß und eine für seine kleinen Händen viel zu große Ratte streichelte. Der Junge war barfuss, die kurze Hose zerschlissen, das übergroße T-Shirt zerrissen und vollkommen verdreckt. Die dünnen, blassen Arme und Beine, Hände und Füße waren vor Schmutz genauso grau und fleckig wie seine unpassende Kleidung. Seine schulterlangen Haare mussten Blond sein, doch unter all dem Dreck war das schwer zu erkennen. Jo sah das feine Lächeln auf den schmutzigen Lippen, während der Junge die Ratte in seinen Händen hin und her wog. „Wie heißt du, Kleiner?“ Der Junge neigte leicht den Kopf, das Lächeln eine Spur breiter. Jo beugte sich ein Stück vor. „Mein Name ist Johannes, aber meine Freunde nennen mich Jo.“ Noch immer machte der Junge keine Anstalten zu antworten. Vorsichtig streckte Jo die Hand aus, wollte den kleinen Wicht an der Schulter berühren, als dieser sich unerwartet ein Stück herumdrehte und ihm die Ratte vor die Nase hielt. Jo versuchte nicht zurückzuzucken, auch wenn die Versuchung groß war. Alles in ihm schrie danach, doch er unterdrückte es, starrte stattdessen in die pechschwarzen Kulleraugen der Ratte, die ihn aufmerksam zu beobachten schien. Der Junge kicherte. „AAAH!“ Erschrocken für Jo herum, sah Maya mit weit aufgerissenen Augen auf dem Scherbenhaufen kauern, die Hände vor den Mund geschlagen. Die Zwillinge waren hoch geschreckt, starrten verwirrt und in Alarmbereitschaft in jeden Winkel des Verlieses, bis ihr Blick beruhigt an Jo haften blieb. Aus dem Augenwinkel sah dieser Marko aufspringen, die Hand erhoben. Im Bruchteil einer Sekunde hatte Marko die Ratte mit seiner Kraft gepackt und ihren winzigen Körper an den Steinwänden zerquetscht. Staub rieselte von der Decke, während der zermalmte Körper mit einem schmatzenden Geräusch die schleimigen Ziegel hinunter glitt, eine neue dunkelrote Spur bis zum Boden zog. „Bist du irre?!“, brüllte Jo, vollkommen aus der Fassung. „Er wollte dich angreifen!“, brüllte Marko zurück, deutet auf den Winzling an Jos Seite. „Mit einer Ratte, oder was?! Hast du den Verstand verloren?! Und dazu hast du deine Kraft benutzt!“ „Ich hab doch nicht versucht auszubrechen, sondern dich zu schützen!“ „Als ob die das interessiert! Es gibt Regeln, verdammt!“ Marko ballte die Hände zu Fäusten. „Wenn DU dich an die Regeln gehalten hättest, wären wir nicht HIER!“ Blanke Wut glühte in den Augen des Jungen und Jo sah das Glühen der nun geöffneten Hände. Die Druckwelle kam, noch bevor er reagieren konnte, schleuderte ihn gegen die Wand in seinem Rücken. Er hörte das Knacken brechender Knochen, doch so sehr er kämpfte, er konnte sich nicht befreien. Sein Körper hielt eine Menge aus, aber seine Knochen waren noch nicht ausgewachsen, zu weich für die Kraft dieses Telekineten. Durch das Rauschen in seinen Ohren klangen die Schreie der anderen Kinder wie aus weiter Ferne. Dann war der Druck weg. Jo versuchte sich aufzurappeln, doch der Schmerz war zu groß. War Marko zur Vernunft gekommen? Unwahrscheinlich. Hatten die anderen ihn gestoppt? Ebenso unwahrscheinlich. Jo hörte ein Wimmern und hob fragend den schmerzenden Kopf. Marko stand mitten im Raum, die Augen weit aufgerissen, die Hände erhoben. Schritt für Schritt wich er zurück, wie vor unsichtbaren Angreifern. Maya hockte in der Ecke direkt neben der Tür, die Zwillingen eng an sich gepresst, hielt ihnen die Ohren zu, die eigenen Augen fest zusammengepresst. Sie zitterte, wog leicht vor und zurück, während Marko immer weiter zurückwich, die Panik in seinen Augen immer weiter anschwoll. „Geht weg, geht weg, geht weg…“ Er wimmerte, während Tränen seine Wangen hinab liefen, helle Linien auf die Wangen malten. Seine Pupillen waren extrem vergrößert und Jo sah den immer größer werdenden Fleck im Schritt der Uniformhose. „Nein nein nein… geht weg, bitte…“ Marko stolperte. Und während er fiel sah Jo merkwürdige Dellen auf den ausgestreckten Armen, auf dem Gesicht und den Beinen, als würden unsichtbare Hände nach dem Jungen greifen, an ihm zerren. Der Mund war wie zum Schrei geöffnet, doch kein Ton kam heraus. Wie ein nasser Sack schlug Marko auf dem Boden auf, das Gesicht vor Angst in einer grotesken Fratze erstarrt, die Augen leer. ----- Grelles Licht und Gebrüll zerrte Jo aus seiner Ohnmacht zurück in die Realität. Im ersten Moment wusste er nicht wo er war, bis er den modrigen Geruch registrierte. Er schreckte hoch. „Was zum Teufel ist hier passiert?!“ Drei Wachleute waren in die Zelle gestürmt, hatten sich um den bewusstlosen Marko gekniet und versperrten Jo die Sicht. In der Tür stand der Lehrer, der sie hier reingesteckt hatte. „Ich habe gefragt, was passiert ist! Ich will eine Antwort Johannes und zwar jetzt!“ Ungelenk zog er sich an der Wand hoch. Keine Schmerzen, das war ein gutes Zeichen. Er richtete sich zu voller Größe auf, versuchte Haltung anzunehmen. „Um ehrlich zu sein, Sir, weiß ich es nicht…“ Seine Stimme war immer leiser geworden und er sah sich fragend nach seinen anderen Teammitgliedern um und nach dem Jungen. Ach ja, der Junge… „Das wird Konsequenzen haben, mein Lieber! Damit hast du dich am heutigen Tage als doppelter Versager herausgestellt! Zwei tote Teammitglieder an einem Tag, das hat schwerwiegende Konsequenzen!“ Jo stockte. „Marko ist tot?“ Ungläubig sah er zu seinem Lehrer auf, der ihm entgegengrinste. „Ja, er ist tot und er wird nicht der letzte sein. Ihr habt alle versagt, angefangen damit, dass ihr seinen Tod nicht verhindert habt. Damit wird es wohl ein Team weniger geben.“ Das Grinsen wurde eine Spur breiter und der Mann drehte sich um. „Wie?“, flüsterte Jo. „Bitte was?“ Sein Lehrer war stehen geblieben, sah ihn über die Schulter hinweg herablassend an. „Wie ist er gestorben?“ „Wie er gestorben ist?! Ha! Er ist-“ „Vor Angst gestorben.“ Leutnant Weber fuhr zusammen und versteifte sich. Er wollte gerade Haltung annehmen als ihn der Mann vom Gang in die Zelle schob. Jo sah den weiten, tiefroten Umhang, den goldenen Saum und die tief hängende Kapuze und ging sofort in die Knie. Ohne nachzudenken war sein verbliebenes Team an seiner Seite, ebenfalls auf die Knie gesunken. „Senator…“, stotterte Weber, wurde jedoch sofort mit einer erhobenen Hand zum Schweigen gebracht. „Sie sind sehr gut darin, anderen Versagen vorzuwerfen, nicht wahr, Leutnant?“ Weber schluckte. „Wo Ihnen Regeln doch so wichtig sind, haben Sie wohl eine übersehen.“ Dem Leutnant brach der Schweiß aus. „Ich… ich verstehe nicht, Sir…“ „Das ist mir nicht entgangen.“ Langsam ging der Senator an Weber vorbei, hinüber zu Markos Leiche und sah einen Moment auf sie hinab, bevor er sich Jo zuwandte. „Das habt ihr sehr gut gemacht.“ Jo sah überrascht auf und begegnete den freundlichen Augen des Senators. „Ihr seit die Ersten, die dieses Verlies lebend verlassen.“ „Herr?“ „Weißt du, an dieser Zellentür dort“, damit wies er hinter sich und warf Weber dabei einen stechenden Blick zu, „prangt mein Siegel, was eigentlich den Zutritt zu diesem Verließ ohne Zustimmung des Senates untersagt.“ Weber rutschte in sich zusammen. „Es wurde hier Siegelbruch begangen, was von uns in keinster Weise toleriert wird.“ Der Senator wandte sich an die Wachen. „Schafft diesen VERSAGER hier weg und eliminiert ihn.“ Willenlos ließ sich der Leutnant von zweien der Wachen aus der Zelle führen, die leeren Augen auf den Boden gerichtet. Der dritte hob den leblosen Körper Markos auf seine Arme und folgte dem Gespann. Erst als alle aus dem Blickfeld verschwunden waren, wandte sich der Senator wieder um. „So ein furchtbares Wort…“ Der Senator seufzte. „So, was haben wir hier: Einen Regenerator, zwei Springer und einen Telepathen.“ Maya zuckte. „Der Tod des Telekineten ist bedauerlich, jedoch ein hinnehmbares Opfer, angesichts der Fortschritte.“ Jo sah wieder auf, doch der Senator hatte sich längst abgewandt, schritt hinüber in eine der dunklen Ecken. „Was haben wir nur wieder für ein Chaos angerichtet?“ Er schlug einen beinahe beiläufigen Tonfall an, doch Jo vernahm sehr wohl die Kälte seiner Stimme. Der Senator ging in die Hocke und streckte seine Hand ins Halbdunkel. „Wer hat sich denn schon wieder schuldig gemacht?“ Jo erkannte den Schemen des kleinen Jungen in der Ecke, der einfach nur dastand, nicht den Senator sonder ihn ansah. Zumindest glaubte er das, denn seine Augen blieben im Dunkeln. Jo stand auf. „Herr? Darf ich eventuell behilflich sein?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er hinüber und streckte dem Jungen seinerseits die Hand entgegen. Doch statt sie zu ergreifen, lief der Junge an ihnen vorbei zu der Wand, an der die Ratte zerschellt war und hob den zertrümmerten kleinen Leib hoch, streckte Jo die tote Ratte entgegen. Ohne nachzudenken wandte sich Jo erneut an den Senator: „Dürfen wir die Ratte begraben, Herr?“ Der Senator kicherte und erhob sich. „Ja, natürlich. Und danach bring ihn ins Badehaus. Es ist an der Zeit voranzuschreiten.“ Noch bevor Jo nachfragen konnte, verließ der Senator die Zelle und verschwand mit wehendem Umhang in den Gängen. Jo sah sich um. Die Zwillinge blickten sich verdattert aber glücklich an. Maya starrte zu dem Jungen, der noch immer die tote Ratte umklammert hielt. „Maya…?“ Sie schüttelte den Kopf und stürzte aus der Zelle, keinen Blick zurückwerfend, die Zwillinge hintendrein. Besorgt sah er ihr nach und ging zu dem Jungen hinüber, streckte nun zum dritten Mal die Hand aus. Diesmal ergriff er sie. ----- Ihm kam es vor, als würden sie schon seit Stunden durch die Gänge laufen. Jo wusste schon lange nicht mehr, wo er sich befand, folgte einfach dem kleinen, schmutzigen Wicht, der ihn unablässig von einem Gang in den nächsten zerrte und den Weg dabei genau zu kennen schien. Auch das Fragen hatte er aufgegeben. Der Junge antwortete sowieso nicht. Abrupt blieb der Kleine vor einer schweren Holztür stehen, hüpfte beinahe vor Freude von einem Bein auf das andere. Fragend sah Jo hinab, zuckte die Schultern und öffnete die Tür. In diesem Teil der Anlage war er tatsächlich noch nie gewesen. Vor ihm erstreckte sich ein heller Schotterpfad, von gepflegten Hecken gesäumt, gabelte sich in der Mitte um eine saftig grüne Wiese und wanderte in sanften Biegungen weiter hinein in den üppigen Garten. Jo sah die Bäume hinauf und fragte sich, warum man sie ob ihrer Größe nicht von den Fenstern der Burg aus sehen konnte. Oder hatte er nur nie darauf geachtet? Es war zu dunkel um die Größer der Gartenanlage einschätzen zu können, doch was er sah, genügte ihm völlig, um für einen Moment zu vergessen, was dies für ein Ort war: ein Gefängnis. Keine Schule, wie man seinen Eltern erzählt hatte. Keine Universität. Ein nicht enden wollender Albtraum aus Vorlesungen und Training und Vorlesungen und Training und Essen und Schlafen und Training und Training und… er seufzte. Ein Fluchtversuch wird dich das Leben kosten. Und es wird ohnehin nur ein Versuch bleiben. Frei sein, mit meinen Geschwistern spielen, mit Papa kochen und mit Mama lachen… Jo atmete schwer aus und sah in den dunklen Himmel, spürte den feinen Nieselregen auf seinen glühenden Wangen. Er war doch erst zehn… und hatte schon mehr Schmerzen erlitten als mancher Mensch in seinem ganzen Leben, mehr Menschen sterben sehen… „Free.“ Fragend sah Jo auf den kleinen Zwerg neben sich, der stur geradeaus auf die Wiese starrte und sich mit einem Ruck von ihm löste, die Ratte im Arm. Auf der Wiese drehte der Junge sich im Kreis, als suche er nach einer Markierung, blieb stehen, kniete sich hin und legte die Ratte vorsichtig ins Gras. Dann begann er zu graben, mit bloßen Händen, während der Regen langsam stärker wurde. Er grub die Finger in die feuchte Erde und Jo beobachtete fasziniert, wie der Regen den Schmutz von den dünnen Armen und dem zerzausten Kopf spülte, weiße beinahe durchscheinende Haut und strahlendes blondes Haar freilegte. Der Junge war vier, vielleicht fünf und wer weiß wie lange in dieser modrigen Zelle eingeschlossen gewesen… Einen Moment betrachtete der Junge sein Werk, bevor er die Ratte vorsichtig aufhob und in das Loch legte. Dann kramte er umständlich in einer Tasche seiner kurzen Hose und förderte eine kleine Nuss zutage, legte sie zu der Ratte und schob die Erde zurück in das Loch. Der Junge stand dort, in strömendem Regen, der ihm den Schmutz von den Händen spülte, drehte sich im Kreis und blickte gen Himmel und Jo begriff, das der Junge keine Ahnung hatte, was da von oben auf ihn hernieder regnete. Das er nicht wusste, dass das unter seinen Füßen Gras war, dass das Tier, das er begraben hatte, eine Ratte gewesen war. Und er begriff, dass er freier war, als er es sich selbst eingeredet hatte. „Free!“, rief der Junge und lachte, drehte sich weiter bis er über seine Beine stolperte und auf das nasse Gras klatschte. Mit der flachen Hand schlug er auf das Gras hinab, beobachtete die Wasserspritzer und lachte weiter. Und Jo fühlte sich zum ersten Mal seit drei Jahren, seit seiner Ankunft in dieser Festung, glücklich und wusste nicht einmal warum. „Hey, du holst dir einen Schnupfen!“, rief er dem Jungen zu und zum ersten Mal sah er ihm in die Augen. Eisblaue Iriden, so wach, so klar und rein wie Eis. Und voller Leben. „Free!“, rief der Junge erneut und stürmte lachend auf Jo zu, riss ihn beinahe von den Füßen. „Free!“, quiekte der Junge weiter und Jo musste lächeln. „Wenn ich mir in drei Jahren einen Codenamen aussuchen muss, dann werde ich mich so nennen, versprochen.“ Er ging auf die Knie und sah zu dem kleinen auf. „Bis dahin bin ich aber Jo, okay?“ Der Junge nickte, hörte aufmerksam zu, das Lächeln noch immer auf den Lippen. „Verrätst du mir jetzt deinen Namen?“ Der Junge neigte fragend den Kopf. Jo kratzte sich am Kopf. „Du verstehst deutsch, oder?“ Wieder ein Nicken. „Also: Wie heißt du? Wie nennt man dich?“ Jetzt leuchteten die Augen noch heller und das Lächeln wurde breiter. Die kleinen Finger umschlossen Jos Gesicht. „Schuldig!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)