Drop Dead, Beauty! von irish_shamrock ================================================================================ Prolog: prologue ---------------- DROP DEAD, Beauty! P r o l o g u e [ Wie kann Schönheit denn vergänglich sein, wenn man mit dieser nie gesegnet worden war? Schönheit lag, so sagte man, stets im Auge des Betrachters. Doch was geschah, wenn der Betrachter blind war? Was sah er, wenn ihn doch nur Schwärze umfing? Tiefe, schwarze Nacht und unendliche Finsternis. ] »Ach, verdammt!«, hallte es durch den Raum, der den Anschein eines Arbeitszimmers hatte. Der junge Mann fuhr sich durch die mausbraune, verstrubbelte Mähne und scherte sich nicht um den kümmerlichen Zustand seiner wirren Frisur. Verächtlich blickte er auf den hellen Monitor und verzog sein Gesicht zu einer verdrießlichen Miene. Seit geschlagenen drei Monaten fiel ihm nichts Brauchbares mehr ein. Seine Muse war fort. Hatte wohl das kleine, schmale Fenster geöffnet und ward der stickigen, dunklen Kammer entflohen. Bücher, Hefte und Notizen türmten sich auf seinem Schreibtisch. Lose Blätter umschwirrten ihn wie nervige Eulen. Knurrend erhob er sich, rieb sich die müden Augen und besah sich das Chaos um ihn herum. Kaum zu glauben, dass sich sein erstes Werk so gut verkauft hatte und man dieses sogar als Film adaptierte. Nie hatte er zu träumen gewagt, dass ihm das Musische mehr lag, als das raubeinige Tun seiner einstigen Kameraden. Und auch der Folgeroman, der unweigerlich seiner Feder entstammte, war gerade im Gespräch ebenso auf die Leinwand gebracht zu werden. Doch nun starrte er auf den flirrenden Bildschirm seines Laptops und schüttelte den Kopf. Seine neueste Schreibe sollte gleichermaßen von Erfolg gekrönt sein, doch das, was soeben den Weg über die Tastatur gefunden hatte, entsprach nicht seiner Zufriedenheit. Angelehnt an ein altes Märchen aus Muggel-Kinderbüchern, handelte es sich bei seinem Stück um ein junges Mädchen, das sein hässliches Inneres stets nach außen tragen musste. Ihre Bosheit, Arglist und Unfreundlichkeit spiegelten sich in ihren Augen, auf Gesicht, Arme und Rücken. Furchen, so tief, als gingen sie ihr bis auf die Knochen, verunstalteten den Körper der jungen Frau, die Misstrauen als ihren stetigen Begleiter sah. Soweit der Beginn der Geschichte und auch das Ende hatte er bereits niedergeschrieben. Die Idee kam ihm eines Nachts, als er gelangweilt in den Flimmerkasten starrte und nur flüchtig den schnell vorbeihuschenden Bildern folgte. Den schweren Kopf auf den schlaffen Armen abgelegt, kommentierte er die Werbung mit einem Seufzen, doch plötzlich erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Nun, dieses Etwas war kein Ding, eher handelte es sich um einen Mann, der mit strahlend weißen Zähnen in die Kamera lächelte, allem Anschein nach auf jemanden wartend, einen großen Strauß dunkelroter Rosen hinter seinem Kreuz verbarg, um dann, mit einem Male, die Arme auszubreiten und das hastig herbeigeeilte Mädchen zu empfangen. Dieses, mitsamt dem Strauß, im Kreise herumwirbelte um dann breit grinsend zu erklären, dass es für einen Menschen nichts Schöneres gab, als das Gefühl tiefer Verbundenheit zu verspüren und der angebeteten Person mehrmals am Tage zu beichten, wie sehr man sie schätzte. Alles in allem handelte es sich um den Beitrag seines Juweliers, der seinen Profit in die Höhe zu schrauben gedachte. Dass dieser Kerl im Spot dem jungen Mädchen ein Collier um den schlanken, bleichen Hals legte, ging in dem ganzen Trubel beinahe unter. Rosenblätter wirbelten in der Luft umher und verbargen tanzend das Paar, ehe der Zauber plötzlich vom auftauchenden, in goldenen und verschlungenen Lettern geschriebenen Namen des Händlers sein Ende fand. Der Mann war ihm völlig egal, doch die junge Dame kam ihm merkwürdig vertraut vor. Irgendwo hatte er sie schon einmal gesehen. Hastig hatte er sich von dem Sofa erhoben, war in die kleine Küche gestapft und suchte unter hastigen Blicken den Kühlschrank ab, der ihm als Pinnwand diente. Dieses lose Blatt Papier musste doch zu finden sein! Zwischen Flyern von diversen Pizzadiensten und seinem Lieblingschinesen klemmte das Booklet, nachdem er gesucht hatte. Auf der Vorderseite des Beilegers prangte der Titel seines Romans, ehe er diesen aufklappte und seine Augen die Namen der vielen Protagonisten erfassten. Und da stand er. Der Name der Frau war nun kein Geheimnis mehr und er wusste, dass sie ihm bekannt war. Zur Premiere seines verfilmten Buches waren sowohl er, als auch sie anwesend, doch er war viel zu beschäftigt, um sie zu bemerken. Schließlich galt es Hände zu schütteln, den nervigen Fragen der Reportern auszuweichen und das Gleichgewicht zu halten. Denn dies hatte sich, aufgrund der stürmischen Wetterlage, als schwieriges Unterfangen erwiesen. Geregnet hatte es wie aus Kübeln und auch sein Assistent hatte alle Mühe, nicht von dannen geweht zu werden. Er hatte keine Notiz von ihr genommen, denn er hatte nicht einmal gewusst, dass sie als Darstellerin überhaupt in der Verfilmung mitgewirkte. Sicherlich, ihre Rolle war klein und unbedeutend und auch in seinem Werk hatte ihre Figur nur am Rande einen Platz gefunden. Dennoch: Sie war da. - Und für einen flüchtigen Augenblick war die Muse wieder durch das Fenster hinein geschwebt, hatte ihre rosigen, zarten Lippen auf seine Stirn gebettet und so seinem Geist zu neuer Inspiration verholfen. Doch nun war alle Begeisterung dahin. Er konnte kaum sagen, wie oft und wie lang er vor dem Fernseher gesessen und nur auf diesen einen Werbespot gewartet hatte, um sie wiederzusehen. War es Schicksal oder gar Fügung? Oder war er einfach der Langeweile erlegen und sein Unterbewusstsein hatte ihm einen bösen Streich gespielt? Nein, es war keine Einbildung! Und obwohl das Marketing-Konzept des Bijoutiers nur die anderen, übrigen zwei Einblendungen zeigte, hielt er an dem fest, was und vor allem wen er gesehen hatte. Es gab sie, seine Muse und auch wenn sie es nicht würde wahrhaben wollen, so schien die junge Frau doch der Schlüssel zu seinem Glück zu sein. Kapitel 1: 1 ------------ DROP DEAD, Beauty! C h a p t e r ONE Helles Sonnenlicht versuchte sich seinen Weg durch die tiefroten und schweren Vorhänge zu bahnen. Dass es beinahe zur Mittagsstunde schlug, war dem jungen Mann entgangen. Auch das muntere Tirilieren der Vögel, draußen im hiesigen Stadtpark, konnte ihn nicht dazu bewegen, das warme, weiche Bett zu verlassen. Sein alter Herr, Gott hatte ihn selig, würde höchstwahrscheinlich auf der kleinen Wolke sitzend, mit dem Kopf schütteln, einen schnalzenden Laut mit der Zunge erklingen lassen und nur mit Verächtlichkeit im Blick auf seinen Jungen hinunter sehen. Der Tod von Theodore Cromwell Nott Senior war nun beinahe zwei Jahre her. Gicht und Gebrechen waren ihm letztendlich zum Verhängnis geworden und obwohl sein alter Herr stets rüstig schien, hatte eine Kleinigkeit zu seinem jähen Ende geführt. Doch er war in Frieden gegangen. Seine Sünden waren ihm, zu seinem Glück, vergeben, denn die früheren Taten des alten Nott galten als abscheulich, grausam und schrecklich zu gleich. Ein Todesser, ein Anhänger des dunklen Zauberers Voldemort war er und hatte durch sein Handeln auch die arme Seele seines einzigen Sohnes in arge Mitleidenschaft gezogen. Der Strudel aus Bosheit und Finsternis löste sich jedoch in Wohlgefallen auf, als ein Mitschüler seines Jungen, der auserwählte Harry Potter, den finsteren Lord stürzte. Zwar war Nott Senior nie aktiv im Kampf gegen das Gute in Erscheinung getreten, doch der Name hatte sich sehr wohl in den Köpfe der magischen Gesellschaft eingebrannt. Eine schwere Bürde, die sein Sohn nun zutragen hatte. Doch der kleine Theodore hatte Mut bewiesen und sich gegen die Führung Voldemorts ausgesprochen. Die Angst in den Augen seines Sohnes hatte der alte Mann bis zu seinem Tode nicht vergessen können. Hatte das Schicksal ihm nicht bereits seine geliebte Mutter genommen und ihn mit einem alten, kranken Mann gestraft, der einem Führer in einen Krieg folgte, dessen Ausgang abzusehen war? Wie oft hatte er seinen Vater gebeten, dem dunklen Zauberer nicht mehr zu folgen? Der alte Nott gab es auf, in die traurigen Augen seines Sprosses zu blicken und die Schande zu sehen, mit der dieser seinen Herren verurteilte. Die Strafe, die ihn ereilte, war so kräftezehrend und zermürbend, dass er es beinahe vorzog, in Askaban, bei den Dementoren, zu verrotten. Doch man hatte ihm mildernde Umstände zugeschrieben und aus der Strafe von zwei Dekaden, waren nur mehr neun Monate geworden. Daheim, im Herrenhaus, blieben ihm nur noch wenige Jahre, die er in Frieden zu nutzen wusste. Vorwürfe, die täglich durch das Anwesen hallten, waren ihm beinahe lieb geworden, zeigten diese doch, dass er seinem Sohn nicht völlig gleichgültig war. Hin- und her gerissen zwischen Angst, Wut und Verzweiflung suchte der junge Theodore die Einsamkeit. Er flüchtete sich in eine Welt, in der es niemanden gab, der ihm einen weiteren, geliebten Menschen nehmen konnte. Er lief dem Offensichtlichen davon, leugnete die Wahrheit, die ihm tagtäglich entgegen schlug. Zeitungen schrieben den Sieg zu jedem Jahrestag nieder und Radiosender verkündeten den Triumph auch noch fünf Jahre nach der großen Schlacht. Das Zimmer, in dem sein Vater verstorben und später aufgebahrt worden war, hatte er, nachdem Nott Senior unter der Erde lag, verschlossen und gleichzeitig nie mehr betreten. Der alte Wohnsitz seiner Familie war zum Verkauf angeboten worden und alsbald hatten sich die einen oder anderen Interessenten gefunden, die nun Herr über Nott-Mannor zu sein gedachten. Der Erlös aus dem Geschäft, sowie das Erbe, das er nur widerwillig angetreten hatte, reichten aus, um ihm eine kleine Wohnung zu finanzieren. Hier, in seinem neuen Heim, hatte er die Ruhe, die er benötigte, um seiner Tätigkeit als Autor nachzukommen. Sein Hobby, für das man ihn jäh verspottet hatte, zahlte sich für ihn in klingender Münze aus. Nicht zuletzt ließ man seine ersten beiden Romane erneut in Druck gehen und schon bald hieß es, dass sein Werk »Wer böses denkt« in der fünften Auflage erschien. Auch der zweite Band war bereits so oft vergriffen, dass ein Nachdruck außer Frage stand. Doch seit einer gefühlten Ewigkeit war es, dass er nicht mehr die Befriedigung empfand, die ihn überkam, sobald er sich in den Stuhl sinken ließ und seine Finger über die Tasten flogen. Seine einstige Muse verband sich mit den Erinnerungen aus der Zeit des Krieges und denen seiner Schulzeit. Seine Leidensgeschichte verpackte er geschickt in Worte und tat dies nicht ohne Hintergedanken. Das Gute, sowie das Böse, fand in seinem Buch Erwähnung und mit einem Schmunzeln auf den Lippen bestätigte er die immer wiederkehrenden Fragen, ob sein Schriftstück autobiographisch sei. »Zu einem großen Teil«, hatte er erklärt und auch die Beschreibung seinerseits auf dem Klappentext verdeutlichte seine Erläuterung gezielt. Nichtsdestotrotz saßen ihm seine Verleger im Nacken und beharrten auf einen weiteren Roman. Zwar hatte er bereits angemerkt, dass das neue Buch nichts mit seinen bisherigen Schriften zu tun hatte, und er sich in neue Gefilde vorzuwagen gedachte, doch der Druck, unter dem er nun stand, und die Erwartungshaltung von Verlegern, Kritikern und nicht zuletzt der Leser, war immens. Doch wie sollte er schreiben, etwas zu Papier oder auf Laptop bannen, dass sich nicht hervorbringen ließ? »Vielleicht brauchst du eine Pause«, hatte ihm Clyde Boyster geraten, sein Berater und Manager, »schließlich hast du alle beiden Bände in einem Rutsch durchgeschrieben.« Ein nervöses Kichern hatte seinen Mund verlassen, ehe Theodore mit dem Kopf schüttelte. Damals ging ihm das Schreiben so leicht von der Hand, denn Material hatte er genug. Doch nun war diese Quelle versiegt. Das, was er hatte sagen wollen, war gesprochen und nun schien es nichts mehr zu geben, das ihn aus diesem Loch aus tiefer Schwärze herausholen konnte. Nichts, bis auf ... Aus den Kissen hervor linsend, registrierte er, dass es bereits hellerlichter Tag sein musste und das Gezwitscher der Spatzen, Amseln oder welcher Vogel ihm auch immer den Nerv raubte, vermochte nicht, ihn aus dem Bett zu treiben. Hastig kehrte er den langen Vorhängen den Rücken und warf sich auf die andere Seite, doch nach langem Hadern und dem Gefühl, nicht wieder einschlafen zu können, entschied er sich dazu, unter murrenden Lauten, die gemütliche Schlafstätte zu verlassen. »Kaffee!«, murmelte er und torkelte schlaftrunkend durch die Diele, ehe er die Kochnische betrat. Trotz Magie hatte es Theodore vorgezogen, so Muggel-artig wie möglich zu leben und dies schloss das Kaffeebrühen mit ein. Doch wenn es ihm nicht schnell genug ging, reichte ein Blick auf den elektrischen Wasserkocher aus und das heiße, meist bittere Getränk, war in Windeseile zubereitet. Er ließ den Blick durch den schmalen Raum gleiten und blieb an einem Schriftstück hängen, das bereits länger als anderthalb Jahre am Kühlschrank hing und verkündete, dass seine Bücher ebenso an Muggel-Verlage verschickt worden waren und dass deren Resonanzen mindesten genauso überschwänglich und positiv waren, wie jene aus der Welt der Hexen und Zauberer. »Die Muggel stehen auf dieses magische Zeug«, meinte Clyde, als er unangemeldet und kurz, nachdem der Brief eingetroffen war, auf der Schwelle im Türrahmen stand. »Stell dir doch nur mal vor, wie versessen diese nicht-Magier auf diesen Fantasy-Kram sind. Die glauben doch tatsächlich, dass das, was du geschrieben hast, deiner Vorstellungskraft entsprungen ist. Kaum zu glauben, oder? Wir kämpfen um Leben und Tod und die amüsieren sich.« »Aber warst du es nicht, der meine Manuskripte an die Verleger geschickt hat? Warum siehst du das jetzt als Problem?« Die Arme vor der Brust verschränkt und mit den Schultern zuckend, begriff Theodore den plötzlichen Sinneswandel seines Beraters nicht. »Hey, Theo«, wiegelte Clyde mit erhobenen Händen ab, »so meinte ich das ja gar nicht. Ich finde es nur erstaunlich, dass die uns deine Bücher förmlich aus den Händen reißen!« »Haben sie?«, hakte Theodore ungläubig nach. »Werden sie, vertrau mir!«, gab der hochgewachsene, junge Mann mit einem verschwörerischen Zwinkern zurück und er hatte Recht behalten. Ein trotziges Seufzen entrann seiner Kehle, ehe er dem Brief, sowie der Küche, den Rücken kehrte. Doch abermals blieb sein Augenmerk an dem Premieren-Flyer hängen, der ebenso am Kühlschrank haftete. »Nott hier, ich hätte gern Mister Boyster gesprochen.« Nervös wandte er den Kopf von einer Seite, zur anderen. Es war eigenartig, denn unter anderen Umständen hätte er nie eine der roten Muggel-Telefonzellen aufgesucht, doch eine Eule am frühen Nachmittag einmal quer durch die Stadt fliegen zu lassen, erschien ihm als unpassend. Galten diese Tiere doch als eher nachtaktiv und es war schon skurril genug, dass alle Briefe von den gefiederten Boten überbracht wurden, denn die Muggel wurden bei einer größeren Ansammlung von geflügelten Tieren misstrauisch. Wenn ein ganzer Schwarm kreischender, piepender und krächzender Vögel die Londoner City im Visier hatte, gerieten sie leicht in Panik und vermuteten gleich eine Art Zusammenrottung oder Verschwörung. »Ted, was gibt's Junge?« Theodore verdrehte die Augen, war Clyde kaum zwei Jahre älter als er und er bezeichnete ihn als Jungen? »Kannst du mir sagen, wer in der Fortsetzung von »Bad Things die Rolle der Phyllis Holm übernimmt?« Angespannt nagte er auf seiner Unterlippe herum, ehe Theodore dem Drang widerstand, durch die Leitung zu kriechen um dem Lachanfall seines Managers einen Dämpfer zu verpassen. Warum konnte dieser Mann nicht einfach tun, worum man ihn bat?! »Clyde!«, das Knurren schien seine Wirkung auf verblüffende Weise nicht zu verfehlen. »Na, das selbe Mädchen, wie im ersten Teil«, das Giggeln in der Stimme ebbte zu seinem Ärgernis jedoch nicht ab. »Eine gewisse M. Bulstrode.« »Du weiß nicht rein zufällig, bei wem sie unter Vertrag ist?« Das Theodore eine solche Hartnäckigkeit an den Tag legte, überraschte Clyde Boyster. »Ted, was ist los? Willst du sie ersetzen lassen? Es war doch nur eine kleine Rolle. Ein Nebencharakter. Unwichtig, Lücken füllend, eine Randfigur.« Clyde konnte sich keinen Reim auf den plötzlich aufkeimenden Wunsch seines Schützlings machen. »Was? Nein, ich will sie nicht ersetzen lassen. Was redest du da für einen Drachenmist?«, ungläubig fasste sich Theodore nach der Stirn. »Willst du ihre Rolle vergrößern? Das steht aber nicht im Drehbuch.«, pflichtete Clyde bei und wurde jäh unterbrochen. »Clyde«, beinahe jammernd entkam ihm der Name, »sag mir doch einfach bitte, bei wem sie unter Vertrag ist.« »Okay, okay, schon gut.« Dem Drängen des jungen Mannes kam Boyster, wenn auch mit Skepsis, nach. »Kannst du in einer halben Stunde beim Verlag vorbeischauen? Dann müsste ich herausgefunden haben, welche Agentur sie betreut.« Dass der Morgen noch in schönstem Sonnenlicht erstrahlt war, konnte sich Theodore kaum vorstellen, denn nun hingen schwere, dicke Wolken am Londoner Himmel, während er den Passanten auswich, die eiligst ihre Einkäufe nach Hause trugen, um einem möglichen Regenschauer zu entgehen. Ob er wollte, oder nicht, aber er musste sich in den nachmittaglichen Trubel stürzen und den Tropfenden Kessel betreten, um in den Hinterhof zu gelangen, der ihm Zugang zur Winkelgasse gewährte. Kurz nickte er der Wirtin, Hannah Longbottom, zu, die gemächlich Gläser polierte, ehe er die knarrende Holztür aufstieß, die zum Hof führte. Ein Zauberer hatte immer seinen Zauberstab dabei, auch wenn Theodore es vorzog, so muggelig wie möglich zu leben und so stupste er mit der Spitze des Stabes gegen die Mauer aus Ziegeln, traf die richtigen Steine und innerhalb eines Wimpernschlages gab diese den Weg frei. Die Barriere richtete sich wieder auf, als er durch das Tor aus Backsteinen ging und die Gasse betrat. Zwei Häuser neben der Bank Gringotts, die von Kobolden geführt wurde, erhob sich »The:Magical:Publishing«, kurz T:M:P, das hiesige Verlagshaus für und von magischen Büchern und Zeitschriften. Neben einem Coffeehouse im Erdgeschoss, sowie diversen Kiosks und Delikatessenhandlungen, hatte sich auch die Redaktion des Tages Propheten dort niedergelassen, nachdem die Winkelgasse nur noch in Trümmern gelegen und beinahe vollkommen zerstört worden war. Im obersten Stockwerk des hiesigen Gebäudes, das beinahe dreißig Etagen maß, befanden sich die Büros der Herausgeber und Verleger anderer Printmedien. Nervöses Treiben und hastig umher schwirrende Briefe waren beinahe in jedem Flur zu betrachten, denn die gläsernen, vier Fahrstühle gaben gute Sicht auf die Tätigkeiten der Mitarbeiter. Mit einem Pling glitten die Türen zur Seite und der junge Mann trat aus dem engen Gefängnis hinaus auf einen langen Flur. Das Büro seines Managers lag auf der linken Seite des langen Ganges und die große, weiße Flügeltür hätte nicht protziger erscheinen können. Dass jemand wie Clyde Boyster einen kleinen Autor wie ihn unter Vertrag genommen hatte, musste damals ein Glückstag gewesen sein, denn trotz seiner jungen Jahre und der flapsigen, meist witzig gemeinten Art und dem eigenwilligen Humor, der nicht jedem bekam, gehörte Boyster zu den Top FIVE der magischen Verlagswelt. Boysters Büro gegenüber, lag das von Evalyn Kelly-Duvall, einer kernigen, mittelalten Hexe, die ihre feuerrote Lockenmähne meist aufwendig frisiert trug und ihren, vielleicht nicht mehr als jung zu bezeichnenden, Körper stets in betonende Kostüme steckte. Soeben schritt die Hexe auf klappernden Highheels in seine Richtung. »Mister Nott, wie schön Sie zu sehen.« Das breite, aber dennoch gekünstelt wirkende Lächeln entblößte ihre weißen Zähne. »Was macht das Autorenleben? Ihre Bücher sind richtige Verkaufsschlager und die Filme werden die Kinokassen sprengen und der Teufel soll mich holen, wenn ich mich irrte.« Theodore ließ sich zu einem knappen Lächeln hinreißen und nickte dankbar für die Prophezeiung, die Misses Kelly-Duvall von sich gab. Doch als sie einen weiteren Schritt auf ihn zu trat, blieb er wie angewurzelt stehen. »Sollte Boyster kein Interesse mehr an ihrer Schreibe haben, ist Ihnen ja bekannt, dass Ihnen mein Büro immer offen steht.« Einem kleinen, aber dennoch viel sagendem Zwinkern später, öffnete sie die Tür und betrat ihren Arbeitsplatz. Die angehaltene Luft ausatmend, ließ er seine Fingerknöchel gegen das weiße Holz fahren und trat, ohne eine Antwort abzuwarten, in den Vorraum. Während Colleen Swifton, die junge Sekretärin, gelangweilt an ihren Nägeln feilte, zog Thodore an ihrem Schreibtisch vorbei. »Miss Swifton«, sagte er knapp und erntete nur ein Schmatzen, sowie das Zerplatzen einer Kaugummiblase als Erwiderung. Der junge Mann klopfte erneut mit leicht geballter Faust gegen die Tür, die den Arbeitsbereich seines Managers markierte. Ohne ein Wort des Hereinkommens abzuwarten, folgte er der aufschwingenden Pforte. »Ah, heute mal pünktlich. Miss Swifton, Kaffee!« Eben noch hocherfreut über den Besuch seines Klienten, verlangte Clyde unter bellendem Ton abrupt nach seiner nachmittaglichen Droge aus Koffein und Zucker. »Setz' dich, Theodore, setz' dich!« Der Anordnung kam dieser ohne Widerworte nach und ließ sich in den ledernen Sessel sinken, der vor dem pompösen Schreibtisch Clydes stand. Tief rutschte Theodore in diesen hinein, doch Boyster schenkte seinem Versuch, sich aus dem Polster emporzukämpfen, keinerlei Beachtung. »Miss Swifton? Colleen! Sie unterlassen jetzt das Feilen ihrer Nägel und tanzen hier mit einer Kanne Kaffee an, sonst können Sie sich einen neuen ...« Pure Röte kroch am Hals des Mannes hinauf, doch seine Wut verrauchte abrupt, als das junge Fräulein mit einem Tablett in den Händen das Zimmer betrat. Mit einem knappen, zynischen Grinsen stellte Miss Swifton das Servierbrett auf das edle, helle Holz des Tisches, verteilte jeweils eine Tasse, Untertasse sowie Löffel, Sahnekännchen und Zuckerdöschen auf beide Parteien und verließ mit einer knicksenden Geste den Raum. Theodore hätte schwören können, dass er sich irrte, aber er meinte, dass die kleine Miss Swifton beim Herausgehen mit den Augen gerollt und ihrem Chef die Zunge herausgestreckt hatte. Gewundert hätte es ihn nicht. »Nicht einmal einschenken kann sie!«, knurrte Clyde mürrisch, doch der junge Mann ihm gegenüber war froh, dass sie dieser Tätigkeit nicht nachgekommen war. »Du kannst von Glück reden, dass sie nicht hinein gespuckt hat.«, meinte er und sah sich in dem großen Zimmer um. »Wie?« Erleichtert darüber, dass Clyde ihn nicht verstanden hatte, zerstreute Theodore das Thema, indem er sich aus dem Sessel erhob und den Raum in langsamen Schritten durchquerte. An den Wänden hingen Fotos und Bilder, die Clyde mit allen Autoren zeigten, die er je betreut hatte und deren Bücher auf den Bestsellerlisten gelandet waren. Das Neuste zeigte ihn unweigerlich zusammen mit Theodore, der einen eher verlorenen Eindruck an der Seite des jungen Mannes machte. Selbstvertrauen gehörte nicht gerade zu seinen Stärken und dieses Manko wurde ihm nun wiedereinmal bewusst. Während Boyster mit Zufriedenheit und Genugtuung vor sich hin strahlte, hatte Theodore seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er wirkte verkniffen und schien den Trubel um sich herum kaum zu begreifen. »Ja, das waren noch Zeiten.« Mit flinken Schritten war Clyde an seiner Seite und betrachtete ebenso die Wand der Berühmtheiten, die er unter seine Fittiche genommen hatte. »Weißt du noch, die Filmpremiere im letzten Jahr? Es hat wie aus Eimern gegossen und wir mussten uns knappe zwei Stunden in nassen Klamotten auf den Kinosesseln unsere Ärsche platt sitzen. Danach lag ich erst mal für drei Wochen flach. Hoffen wir, dass wir beim nächsten Mal mehr Glück mit dem Wetter haben.« Clyde legte seine Pranke auf der Schulter des jungen Mannes ab und klopfte diese aufmunternd. Doch nicht nur Clyde Boyster hatte sich beinahe den Tod geholt, auch andere waren betroffen und Theodore erinnerte sich nur ungern an die Besuche im St. Mungo, die er über sich hatte ergehen lassen müssen. Mit einem harmlosen Schnupfen hatte seine Erkältung damals so gut wie nichts gemein. Dennoch, Clyde übertrieb maßlos in seinen Ausführungen und er tat gerade so, als wäre er nur knapp dem Tode entronnen. Irrsinn konnten sich eben nur jene leisten, die vermögend waren und zu denen gehörte Boyster definitiv, auch wenn er dies immer abstritt. »Hey, Clyde, was ist jetzt mit meiner Bitte?« Theodore lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Anliegen, das ihn beschäftigte und er hoffte, dass der junge Mann seiner Forderung nachgekommen war. »Ja, sicher«, entkam es ihm knapp, »ich habe mein Bestes geben.« In Theodores Ohren klang seine Aussage eher nach einer Niederlage. Doch wenn selbst der »alles- und jeden«-kennende Clyde Boyster nichts über die Frau herausfinden konnte, dann musste er andere Mittel und Wege finden müssen. Clyde lotste ihn zu seinem Schreibtisch zurück, ließ sich in den hohen Sessel zurücksinken, öffnete eine der Schreibtischschubladen und schob ihm einen, aus braunem Papier bestehenden, Umschlag zu. »Mehr kann ich im Moment nicht für dich tun, Theo.« Mit einem lässigen Zucken der Schultern, verschränkte Clyde die Arme hinter seinem Kopf. Mit gemächlichen Schritten durchquerte Theodore das Büro, nickte der Sekretärin, die ihn abermals ignorierte, mit einem kleinen Lächeln zu und verließ das Gebäude des T:M:P. Der Schein der Laternen spiegelte sich in den Pfützen und das leichte Plätschern von Regenwasser signalisierte ihm, dass es sich beinahe um einen meteorologischen Weltuntergang gehandelt haben musste, während er im Trockenen gehockt hatte. Den Umschlag hatte er hastig in der Innentasche seines Mantels verstaut. Allzu viele Informationen versprach er sich nicht, schließlich konnte es sich nur um drei, höchstens fünf Blätter handeln. Doch selbst mit einem Papier hätte er sich auch schon zufrieden gegeben. Als er die Winkelgasse verließ und erneut den Tropfenden Kessel betrat, entschied er sich dazu, sein Abendessen kurzerhand in dem kleinen Pub zu sich zu nehmen. »Was darf es sein?« Hannah Longbottom, ehemals Abbott, sowie einstige Schülerin des Hauses Hufflepuff, wackelte mit einem Tablett auf ihn zu. Das kleine Mädchen mit den langen, blonden Zöpfen hatte sich kaum verändert, abgesehen von der neuen Frisur und der Murmel, die sie vor sich her schob. Theodore war, ähnlich wie Hannah, ein Außenseiter gewesen und hatte wie sie nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten oder Kraft gelegt. Doch ein altes, bekanntes Gesicht zu sehen, zauberte ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen. »Hallo Hannah, kannst du mir etwas Schnelles zaubern?«, bat Theodore an die Dame gewand. »Bin ich eine Hexe oder bin ich eine Hexe?«, lachte sie auf und stellte ihm bereits einen Krug Butterbier vor die Nase. »Dein Buch ist eingeschlagen, wie ein Bombarda-Zauber.« Ihr helles Lachen und das wohl ernst gemeinte Kompliment, ließen ihn kaum merklich die Mundwinkel heben. »Viele meiner Freunde haben sich positiv darüber geäußert«, erklärte die junge Frau weiter und wirkte ein wenig aufgekratzt, wenn nicht sogar ehrfürchtig. »Es ist schön zu wissen, dass es anderen ähnlich erging, wie unsereins.« Ob der Zwist zwischen den vier Häusern noch immer bestand, konnte er nicht sagen, doch Hannahs Worte ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie seine Ansichten teilte. »Danke, Hannah«, erwiderte er knapp, ehe sich seine Miene etwas verfinsterte, »aber es gibt genügend Leute, die das Buch einfach verrissen und sich der Meinung einiger Kritiker angeschlossen haben.« »Ach, papperlapapp! So ein Unsinn. Das können nur Leute behaupten, die nichts damit zu tun hatten. Zwar ist das vollkommen unvorstellbar, aber wir beide wissen nur zu gut, dass es Familien gab, die gelitten haben und solche, die es, trotz allem, nicht wahrhaben wollten.« Hannah ließ an ihren Worten keinen Zweifel aufkommen und stemmte die Hände, mitsamt dem Tablett, in die Hüften. Die Empörung auf ihrem Gesicht sprach Bände und stimmte seine trüben Gedanken etwas milde. »Wie dem auch sei, ich war begeistert, von beiden Bänden.«, fuhr Hannah fort und zwang sich zu einem Lächeln, das er nur spärlich erwiderte. »Und, verrätst du mir, an was du dieses Mal arbeitest?« Ein schnaubender Laut entkam ihm, ehe Theodore den Kopf schüttelte. Die Miene der jungen Frau nahm enttäuschte Züge an. »Aha, nun ja, ich verstehe schon«, abrupt spiegelte sich wieder ein flüchtiges Lächeln auf ihren Lippen. »Top Secret, wie ich annehme. Ach, ich Dummerchen. Dein Essen kommt sofort.« So hastig, wie sie die letzten Worte sprach, war sie auch schon wieder verschwunden. Zwar hätte er der jungen Frau gern erzählt, welchen Inhalt sein nächstes Werk haben würde, doch bis zum jetzigen Zeitpunkt war ihm dies ebenso wenig vertraut und bekannt, wie ihr. Als Hannah mit dem schmalen Mahl an seinen Tisch trat, blieb jedoch keine Zeit für Plaudereien, denn der Tropfende Kessel füllte sich stetig. Hexen und Zauberer, die ihrer Arbeit nachgegangen waren, ließen sich gern zu einem Umtrunk hinreißen und so sah sich der junge Autor gezwungen, nur allzu bald das Lokal zu verlassen. Wie Hannah, in ihrem Umstand, so viel Trubel ertrug, mochte er sich nicht fragen, doch irgendjemand hatte den Pub übernehmen müssen, nachdem der alte Tom dahin geschieden war und niemand hätte sich wohl besser geeignet, als die liebe, alles- und jeden umsorgende Hannah Abbott. Dass er bis ans andere Ende der Stadt musste, um zu seinem Appartement zu gelangen, störte Theodore kaum. Obwohl die Nacht schneller über ihn hinein brach, als ihm lieb war, begnügte er sich mit einem langen und ausgedehnten Spaziergang. Dennoch, dieses merkwürdige Kribbeln in seinen Fingerspitzen und das plötzliche Klopfen, welches in irgendeiner Art und Weise in Verbindung zu seinem Herzen stehen musste, trieben ihn zur Eile an. Wie lange es wohl her sein mochte, dass er diese Art der Aufregung verspürt hatte? Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Doch dieser Drang, schnellen Schrittes seine Wohnung zu betreten, ließ ihm kaum Zeit, seine Umgebung wahrzunehmen. Ein paar Mal wäre er beinahe mit ahnungslosen Passanten zusammengestoßen. Wusste Merlin was diese um diese Uhrzeit noch auf der Straße trieben, doch ein Blick auf seine Armbanduhr verriet, dass er sich gerade in der Rush Hour befand. Leute eilten nach Haus zu ihren Familien, das Abendessen sehnsüchtig erwartend und andere hielten ein Pläuschchen, ungeachtet dessen, dass sie ihm im Wege waren. Endlich hatte er die Haustür des Mehrfamilienhauses erreicht. Eiligst suchte er in den Seitentaschen seines Mantels nach den passenden Schlüsseln und betrat den Hausflur. Flink hechtete Theodore die Stufen nach oben und versuchte dennoch so still und leise wie möglich zu sein. Schwatzhafte und neugierige Muggel waren ihm ein Graus, doch in dem alten, düsteren Herrenhaus hatte ihn nichts mehr gehalten. Einsamkeit war zwar etwas, das er suchte, jedoch war ihm zu viel davon nicht geheuer. Schließlich entschied noch immer er, wie sehr allein er sein wollte und mit ein paar Nachbarn, links und rechts, ließ es sich aushalten. Sein Wohnsitz war als Appartement ausgeschrieben, doch hatte die kleine Wohnung nur im Ansatz etwas mit dieser Art der Beschreibung gemein. Die Bezeichnung Appartement bedeutete hier so viel wie im obersten Stock. Zwar war Theodore Nott hier Herr über die gesamte, obere Etage, dennoch hielten sich die Räumlichkeiten in diesem Punkt ein wenig zurück. Doch der junge Mann war froh, überhaupt ein Heim sein Eigen nennen zu können. Das Badezimmer war geräumig und wenn die Sonne aufging, lichtdurchflutet. Die hellen Fliesen des Bades, setzten sich auch in der kleinen Küchenzeile fort, in der ein kleiner Kühlschrank sowie ein Herd und ein Tisch mit zwei Stühlen Platz hatten. Flur und Wohnbereich waren in hellen, freundlichen Farben gestrichen und sogar ein Balkon ging vom Wohnzimmer ab, das die größte Räumlichkeit darstellte. Auch das Arbeitszimmer, das in etwa die Größe der Küche beschrieb, hatte er adäquat einzurichten gewusst. Regale, jeweils links und rechts voll gestopft mit Büchern, säumten den Weg zum großen Fenster, vor das er seinen Schreibtisch hatte stellen lassen. Es wäre als Gästezimmer zu empfehlen gewesen, sofern er Gäste empfing, doch dies geschah selten, sehr selten. Das Kämmerchen war ihm so ans Herz gewachsen, dass er beinahe mehr Zeit dort verbrachte, als in irgendeinem anderen Raum. Doch ab und an fand er den Weg ins Schlafzimmer, dessen Mittelpunkt ein standardmäßiges Doppelbett darstellte. Es war von zweckmäßiger Einrichtung, denn neben der Schlafstätte, an der gegenüberliegenden Wand, befand sich nur ein Kleiderschrank, der ihm jedoch viel zu viel Platz bot. Zu viele Türen, zu viele Schubfächer, doch die Mission des Möbels war klar definiert: Lückenfüller. Nicht mehr und nicht weniger. Und sowie er durch den langen Flur streifte und jedes Zimmer einem akribischen Blick unterzog, bemerkte er, dass er noch immer den Mantel trug und dass der Umschlag noch immer in der Innentasche darauf wartete, geöffnet zu werden. Manche Männer begnügten sich der Etikette wegen mit einem Tee zum Abend, andere bestanden auf ein gut gezapftes, englisches oder irisches Bier und wieder andere, und zu denen gehörte unweigerlich Theodore Nott, verließen sich auf die aufputschende Wirkung von Zucker und Koffein. Mit einem Knacklaut, gefolgt von einem Zischen, hatte er die Dose geöffnet und ließ sich, unter ächzenden Lauten, auf das Sofa fallen. Ein tiefen Schluck von dem klebrigen, süßlichem Gebräu später, das die Muggel als Cola bezeichneten, stellte er die Dose auf den Couchtisch ab und griff nach dem Umschlag, den er vorsorglich auf dem gelackten Holz abgelegt hatte. Mit zitternden Fingern löste er die Lasche und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Wie er auf die absurde Zahl von bis zu fünf Blättern gekommen war, war ihm in diesem Moment schleierhaft. Dennoch überfiel ihn ein Gefühl der Erleichterung. Das Dokument, von Clyde mehr schlecht als recht handschriftlich festgehalten, zeigte ihm nicht nur, wo die junge Frau arbeitete, sondern es gab auch persönliche Informationen preis. Es glich mehr einem Notizzettel, dennoch waren die meisten Punkte sehr detailliert aufgeführt: |-|-| Name: Millicent Irmina Bulstrode Geboren am/in: o1. Juli 198o/Ashford Wohnhaft in: Flemming Street 13B, London (seit Mai 2oo3) Beruflicher Werdegang: 1987 - 1991 Besuch der Defton Elementaryschool (Privatschule für Mädchen) 1991 - 1999 Besuch der Schule für Hexerei und Zauberei, Hogwarts 1999 - 2oo3 Besuch der Akademie der Künste (Muggel-Institut); Fachrichtung Schauspiel, Kunst und Musik 1999, März - Komparsin im Stück »No trouble without me« 2oo1, Juni - Auftritt im Stück »A Tale« (Nebenrolle, nicht nennenswert) 2oo2, Januar - Auftritt im Stück »Crickett und Grown« als Lyla (Zweitbesetzung, nie öffentlich aufgetreten) 2oo3, August - Prüfungen bestanden: »gut« in Schauspiel; »gut« in Kunst; »befriedigend« in Musik 2oo3, September - Nebenrolle im Projekt »Bad Things And Good Thoughts - A Boy Between The Lines«; übernahm den Part der »Phyllis Holm« 2oo4, Januar - als erneute Besetzung der »Phyllis Holm« im Gespräch ? Ist momentan bei MCT-Agency (Movie-Cinema-Talent-Agency) unter Vertrag (Muggel-Agentur) und wird dann und wann mit kleineren Rollen betraut (Werbespots, Radiospots (als Sprecherin) ect.). Agent: Dominic Hayes |-|-| Das große Fragezeichen am Ende des Stichpunktes ließ ihn zwar die Stirn runzeln, doch als er den Namen Hayes las, wusste er nicht, ob er Mitleid oder Abscheu für sie empfinden sollte. Dominic Hayes galt unter den Agenten seines Fachs als besonders verschlagen und man erzählte sich, dass er mehr mit seinen Schützlingen, vorrangig den weiblichen, veranstaltete, als ihnen Jobangebote zu vermitteln. Natürlich hatte ihm Clyde eine Menge über die Filmbranche zugetragen, als man beschloss, seinen ersten Roman zu verfilmen. Umso deutlicher manifestierte sich das Bild eines armen, wehrlosen Mädchens mehr und mehr in seinem Geiste. Plötzliches Bedauern überkam ihn, als sich Theodore daran erinnerte, dass er den Kontakt zu der jungen Frau einfach hatte einschlafen lassen. Millicent und er gehörten unweigerlich zu den Slytherins, die selbst von ihresgleichen gemieden wurden. Zwar hatte auch die überaus hübsche Daphne Greengrass ein herbes Los gezogen und musste sich damit abfinden, dass sie nur Aufgrund ihres Aussehens geachtet wurde, doch sie wurde akzeptiert. Ebenso wie sein Kamerad Blaise Zabini, vor dem man sich besser in Acht nahm, schließlich ging das Gerücht umher, seine Mutter sei eine Männer mordende, nach Geld gierende Verführerin. Und letztendlich gab es noch Draco Malfoy, stets flankiert von seinen bulligen Begleitern Vincent Crabbe und Gregory Goyle, sowie der mopsgesichtigen Pansy Parkinson. Da er sich, zu seiner eigenen Sicherheit, lieber im Hintergrund hielt und Malfoy nebst Gefolge lieber nicht in die Quere kam, schließlich waren deren Väter ebenso als Todesser bekannt und berüchtigt, hatte sich Theodore mit seinem einsamen Dasein abgefunden. Dennoch gab es noch jemanden, dem es ähnlich erging. Millicent Bulstrode, rothaarig, pausbäckig und vierschrötig, galt als Schlägerin und ließ ihre Brutalität gern an den Kleineren aus. Ihre Körpergröße entsprach ihrer Körpermasse und auch im schulischen Bereich galt sie nicht gerade als Überfliegerin. Dass dieses Mädchen zu einer jungen Frau heran gereift war, mochte er doch sehr bezweifeln. Und dass auch in der Werbung getrickst wurde, war ihm bekannt. Wer auch immer das Mädchen in dem Werbespot gewesen sein mochte, Millicent war es auf gar keinen Fall. Seine Augen hatten ihm wohl doch einen Streich gespielt, denn die Frau im Fernsehen hatte äußerlich nichts mit dem einstigen Schulschreck gemein. Eleganz, Anmut und das zauberhafte Lachen ... Laut seufzend gönnte er sich erneut einen Schluck aus der Coladose, ehe der junge Mann abermals die Informationen überflog. Clyde Boyster hatte, ob er es zugeben wollte oder nicht, seine Sache gut gemacht, doch ob er sich damit zufrieden geben würde, stand längst noch nicht fest. Kapitel 2: 2 ------------ DROP DEAD, Beauty! C h a p t e r TWO Stürmisch wehte der Wind um die Häuser und das Geheul riss ihn aus seinem Dämmerschlaf. Kaum zu glauben, dass er den ganzen Vormittag damit zugebracht hatte, alte Bücher zu wälzen und Fotos zu inspizieren, auf denen er das Mädchen vermutete. Am Morgen hatte er sich bei Clyde für die Informationsbeschaffung bedankt, indem er ihn zum Frühstück einlud, doch dieser hatte sein Angebot ausgeschlagen und es auf einen späteren Zeitpunkt verlegt (irgendwann in der nächsten Woche, vielleicht). Da ihm sowieso nichts Brauchbares einfallen würde, was er zu Papier bringen könnte, hatte sich Theodore daran gemacht, die Kisten durchzusehen, die mit diversem Krimskrams gefüllt waren. Drei Alben hatte er ausfindig gemacht, jedoch nicht nennenswerte Resultate erzielt. Ein neuer Lichtblick flackerte auf, als ihm das Internet, eine Errungenschaft der Muggel, einfiel und dass er ebenso einem gültigen Anschluss mächtig war. Doch jede Vorfreude schwand, als ihm bewusst wurde, dass es sich bei Millicent Bulstrode um eine Hexe handelte und obwohl sie ein Muggel-Studium abgeschlossen hatte, machte er sich nur wenig Hoffnung auf Ergebnisse. Zuerst tippte er den Namen der Akademie, auf der sie damals eingeschrieben war, ein und wurde schnell fündig. Leider gab die Webside keinerlei Auskunft über die Absolventen, sondern pries nur die Möglichkeiten an, die den Studenten geboten wurden, sollten sie sich für eine Ausbildung in diesen, musischen Bereichen entscheiden. Kurz überflog er die Angebote und dachte an seine Studienzeit am Trinity-College zurück. Sein Hauptfach war Literatur, aber auch Geschichte hatte er belegt. Zwar befand er sich, ebenso wie Millicent, dort unter nicht-Magiern und musste seine Talente stets verbergen, doch während des Lernens fand er den Anschluss, der ihm auf Hogwarts immer gefehlt hatte. Er hatte Freunde und auch eine kleine Liebelei auf seinem Konto gutgeschrieben. Doch die Beziehung zu Sally McGowan hatte ein jähes Ende gefunden, denn die kesse, junge Frau wusste, wie man auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzte. Sie brach ihm das Herz und verschwendete nicht einen Gedanken daran, es zu flicken, geschweige denn die Scherben aufzukehren. Und so verließ Theodore die grüne Insel, sowohl mit Abschluss, als auch reicher an Erfahrungen und kehrte in das alte Herrenhaus zurück, um mit seinem Vater dessen ihm noch verbleibenden Jahre auszuharren. Abermals klickte er den Button der Suchmaschine und versuchte die Einträge mit den Augen zu erfassen, die man ihm für Millicent Bulstrode anbot. Es waren zwar nicht viele, dennoch ließ er es sich nicht nehmen, die ersten sieben Einträge aufzusuchen, da diese, aufsteigend nach Besucherzahlen, wohl am gewinnbringendsten waren. Bei einem Zeitungsartikel eines Muggel-Boulevard-Blattes blieb er hängen. Junges Talent, Chancen auf eine Karriere, zu Schade für Nebenrolle waren nur einige Beschreibungen, die Millicents Tun auszeichneten. Allem Anschein nach war ein Agent auf die Schauspiel-Gruppe um das Mädchens aufmerksam geworden und man hatte sie und einige ihrer Kollegen dazu ersucht, für kleinere Rollen vorzusprechen. Mit Erfolg, wie er feststellte, denn ein anderer Eintrag verriet, dass die Besetzungsliste für die Verfilmung seines ersten Buches herausgegeben worden war. Der Artikel war mehrere Monate alt, denn der Film war längst abgedreht und hatte sich an den Kinokassen ausgezahlt. Die Zahlen sprachen für das Projekt und jegliche Kritik war vollkommen fehl geschlagen. Natürlich gab es immer wieder Personen, die den Standpunkt vertraten, dass man weder das Buch lesen, noch den Film hätte sehen sollen, doch die negativen Meinungen vermochten an der Begeisterung der Anhänger nichts ändern. Es überraschte ihn, dass sie nur für eine unbedeutende, wie Clyde es ausgedrückt hatte, Nebenrolle vorgesehen war, doch auch er wusste nur zu gut, dass die Zeitungen viel schrieben, wenn der Tag lang war, egal, es sich dabei um Wahrheit oder Dichtung handelte. Theodore verließ die Seite von dem Klatschmagazin »TheDailyShowReport.uk« und lenkte seinen Blick wieder auf die Liste weiterer Websides. Neben den Links, die er sich noch nicht zu Gemüte geführt hatte, waren auch die einen oder anderen Bilder der jungen Frau zu sehen. Um sich zu vergewissern, dass es sich bei dem Mädchen aus der Werbung nicht um seine ehemalige Klassenkameradin handelte, schien sein Zeigefinger wie von selbst die linke Taste der Maus zu drücken und einen Doppelklick später erschien das Foto von der Frau in der Größe des Bildschirmes auf seinem Laptop. Ein unangenehmes Gefühl beschlich ihn. Dieses Mädchen konnte nicht Millicent Bulstrode sein. Viele Leute, in der Branche, legten sich einen »Künstlernamen« zu, egal ob Schauspiel, Musik oder die Kunstszene. Es musste sich bei dieser Millicent eindeutig um eine andere Künstlerin handeln, denn die junge Frau auf dem Bild schien nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner einstigen Mitschülerin zu besitzen. Nun, eines musste er zugeben: Es bestand die Möglichkeit, dass sie sich die Haare färbte, denn welche Frau tat das wohl nicht irgendwann einmal in ihrem Leben? Auch schien es denkbar, dass ihr die Zeit nach dem Krieg ebenso einen Anstoß gegeben hatte, ihr Leben zu ändern, doch das zog er am unwahrscheinlichsten in Betracht. Die Millicent Bulstrode, die er zu kennen glaubte, würde sich nie und nimmer dazu hinreißen, ihrem Dasein einen neuen Anstrich zu verpassen. Dafür fehlte ihr, trotz ihrer angsteinflößenden Art, der Mut. Gedankenverloren starrte er auf den Bildschirm und schien sich alle Mühe zugeben, einen Zusammenhang zwischen den beiden Frauen entdecken zu wollen, den es, abgesehen von dem gleichen Namen, offensichtlich nicht zu geben schien. Das kantige Gesicht war verschwunden, ebenso die roten, buschigen Locken und auch das »Gemeine« in ihrem Blick ließ sich nicht wiederfinden. Die junge Frau auf dem Bild machte eher einen zerbrechlichen, porzellanartigen Eindruck. Von den einstigen Sommersprossen war nichts zu sehen, doch diese hätten die Make Up-Artisten auch mit einem ganzen Kasten Schminke überdecken können, oder irgendein Bildbearbeitungsprogramm. Nur die Form der Augen und deren Farbe hatten etwas, das ihn im Entferntesten an das bullige Mädchen erinnerte. Diese mandelförmigen, jedoch ein wenig zu groß geratenen Augen, deren farbliche Nuancen zwischen einem dunklem Kirschbaumbraun und weichem, flüssigen Gold hin und her schwangen. Doch die Beschreibung von sattem Karamell kam ihm poetischer vor. Noch einmal klickte sein rechter Zeigefinger auf das Bild und ein der Befehl, das Bild zu drucken, erschien auf dem Bildschirm. Apathisch starrte er auf den Monitor vor sich und erschrak als der Drucker einen piependen Laut von sich gab und ein weißes Blatt mit dem farbigen Portrait der jungen Frau ausspie. Murrend rollte er sich von dem Sofa und musste sich erst einmal in seiner Umgebung zurecht finden. Tatsächlich, die Recherche über das Mädchen hatte ihn so ermüdet, dass er zwischen losen Papierschnipseln, den Fotoalben und dem ausgedruckten Bild wohl eingenickt sein musste. Doch bei ein paar Minuten Schlaf war es, zu seiner Überraschung, nicht geblieben. Müde blickte er auf die große, alte und altmodische, neuerdings als Vintage verschriene Wanduhr, die früher im Salon über den großen Kamin angebracht worden war, und als einziges Erbstück den Weg in sein neues Leben gefunden hatte. Diese machte ihm unmissverständlich klar, dass es bereits kurz nach vier Uhr morgens war und er beinahe sieben Stunden durchgeschlafen haben sollte. So abwegig ihm es auch erschien, hatte er seit langem nicht mehr so viel Ruhe und Entspannung gefunden. Nun, sein Kreuz war etwas lädiert und er fühlte sich trotz allem merkwürdig angeschlagen, doch auch gleichermaßen zufrieden. Das Chaos um ihn herum erschreckte ihn schon seit er mit dem Schreiben begonnen hatte nicht mehr. Es gehörte in und zu seinem Leben als Schriftsteller und niemand fand sich in dem bunten Gewirr aus Büchern, Papier und Notizen schneller zurecht, als er. Theodore fuhr sich knurrend mit den Händen übers Gesicht, ehe er die Beine von der Couch schwang und sich für einen, in mancher Augen vielleicht etwas verfrühten, Kaffee entschied. Vorsichtig stieg er über das Durcheinander und tapste in die Küche. Erneut kam ihm das Schreiben in den Sinn, das mit Informationen gespickt war und noch immer überkamen ihn Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft, die Clyde ihm gegeben hatte. Name, Geburtstag und schulische Ausbildung stimmten mit den Dingen überein, die er von früher zu wissen glaubte. Doch noch misstraute er der Wahrheit, sofern es sich um diese handelte. Die Flemming Street ähnelte eher einer kleinen Gasse, als einer Straße und noch immer fragte er sich, ob es richtig war, einfach am frühen Morgen das Haus zu verlassen, um sich im Norden Londons umzusehen. Natürlich war ihm bewusst, dass Hexen und Zauberer in der Lage waren, einfach Häuser zwischen zwei anderen Gebäuden errichten zu können, ohne dass die Muggel etwas davon mitbekamen und doch er stutzte unweigerlich, als ihm die Hausnummern eins bis dreiunddreißig auf einem kleinen Messingschild ins Auge sprangen. Der kalte Wind der letzten Nacht hatte nichts von seiner Intensität eingebüßt, rüttelte rau und stürmisch an den Zweigen der Bäume und fegte die einen oder anderen Blätter über die noch verlassenen Straßen des nördlichen Viertels. In seiner Wohnung hatte ihn nichts mehr gehalten, denn der Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, hatte ihn mehr und mehr verfolgt. Wie ein anhängliches Etwas hatte er sich an seine Fersen geheftet und war jedem seiner Schritt und jeder Bewegung gefolgt, schlimmer noch als sein eigener Schatten. Langsam einen Schritt vor den anderen setzend, ging er die linke Seite der kleinen, gassenähnlichen Straße entlang und als diese plötzlich einen scharfen Knick machte, stutzte er erneut. Denn inmitten der Biegung stand ein rotes, aus Backsteinen bestehendes Mehrfamilienhaus, dessen fünf Etagen sich vor ihm erhoben. Das Gebäude wirkte so unscheinbar und ähnelte den anderen Bauten, die die Straße links und rechts säumten, wie ein Ei dem anderen. Einzig die teils verwitterten Hausnummern unterschieden die Bauwerke von einander. Nummer 13 lag vor ihm. Doch von Buchstaben, die jene noch einmal unterteilen sollte, war keine Spur. Die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, trat Theodore einen Schritt auf die Baulichkeit zu und untersuchte die Klingelschilder. Von den Zehn Namen, die er fand, war nichts von »Bulstrode« ausfindig zu machen. Noch einmal hob er den Blick und versuchte unter dem schwachen Schein der Lichtquelle, die über den Zahlen eins und drei angebracht worden war, etwas zu erspähen und tatsächlich, da, etwas kleiner als die Nummerierung, hing ein winziges »A«. Ein Hauch Mitleid überkam ihn im Gedanken an den Postboten, der, wenn er sich nicht gerade hier auskennen würde, wohl mitsamt der Paketen und Briefe wieder kehrt machen würde. Grübelnd wand sich Theodore dem nebenstehenden Gebäude zu, an dem aber bereits die Nummer 15 prangte. Nun, zwar befand sich Flemming Street 13 A in einer Art seltsam wirkenden Ypsilon-Kurve, so dass der linke Ast als eine Abzweigung in die Walther-Road weiterreichte, doch auch als er sich auch in die Nebenstraße hinein tastete, war nichts von dem »B« auszumachen. Mit einem detektivischen Spürsinn schritt er dennoch den linken Ast der Gabelung auf und ab und blieb an einer Lücke hängen, die sich auf der rechten Seite auftat. Diese lag zwischen den Nummern 13 der Flemming Street und 2 der Walther-Road. Der beinahe dunkel wirkende, nur spärlich beleuchtete Zwischenraum erinnerte eher an einen kleinen Hinterhof, trotzdem entschied er sich dazu, die nur mager bepflasterte Auffahrt hinauf zugehen. Lautes Poltern ließ ihn zusammenfahren. Etwas Metallenes schlug scheppernd auf den Boden und ein wimmerndes Gejaule folgte. Irgendetwas strich an seinem Hosenbein entlang und huschte unter klagendem Geheul in die morgendliche Dämmerung. Langsam vermochte er die Umrisse vor sich auszumachen. Die Katze, die einen solchen Lärm veranstaltete, hatte wohl auf einer blechernen Mülltonne gesessen und sich, ebenso wie er, erschreckt haben müssen. Noch drei übrige Container konnte er unter der metallenen Wendeltreppe ausmachen, die sich plötzlich vor ihm auftat. Links und rechts neben ihm befanden sich die Außenwände der übrigen Häuser. Im Bereich der Parterre, weitab von der Wendeltreppe und den Abfallbehältern, erkannte er eine Tür, die allem Anschein nach in das Innere des Gebäudes führte. Und da, nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen wie die Hausnummer von 13 A, befand sich der Buchstabe, nach dem er gesucht hatte. Der helle Schein, der das »B« umhüllte, schien magisch zu strahlen, hätte sich die Sonne nicht bereits gegen die Dunkelheit zur Wehr gesetzt und diese langsam und leise verbannt. Die Flemming Street 13 B lag vor ihm und plötzlich haderte der junge Mann mit sich, eine Bewegung nach rechts zu tun, nur um zu erkennen, dass er vielleicht den richtigen Namen finden, aber nicht die erhoffte Person mit diesem in Verbindung bringen konnte. Parker Mayhew Clyffordshire Bulstrode Longworth ... Theodore wollte den Namensschildern bereits wieder den Rücken kehren, als er einen erneuten Blick riskierte. Hastig trat er einen großen Schritt zurück nach hinten und besah sich das schmale Gebäude, das, wenn er sich nicht verlesen hatte, die junge Frau beherbergte, nach der er suchte. Doch nicht ein Lämpchen erhellte die Fenster des Hauses, weder im Erdgeschoss noch in den folgenden, oberen Etagen. Abermals blickte er um sich und musste sich eingestehen, dass es sich hier nicht um Luxus-Appartements handeln konnte. Plötzlich flackerte ein Licht auf und erleuchtete den gesamten Hausflur. Theodore erschrak und blickte irritiert um sich, ehe er sich eingestand, dass es um diese Tageszeit üblich war, dass die Muggel ihre Häuser und Wohnungen verließen, wenn diese berufstätig waren. Theodore konnte einen großen Schatten ausmachen, der gemächlich und etwas schwerfällig wirkend, die Stufen hinunter trabte und ebenso langsam und behäbig die Eingangstür aufzog. Aus reiner Höflichkeit nickte er dem älteren Herren zu, der einen brummenden Laut von sich gab. Dieser ließ sich unter größter Anstrengung wohl gerade noch zu einem »Rein?« hinreißen und schlurfte dann mit einem braunen Aktenkoffer über den Hof. Schnell schob Theodore einen Fuß zwischen Tür und Angel und vernahm nur wenige Augenblicke später das Röcheln eines aufheulenden Motors. Mit Misstrauen im Blick besah sich der junge Mann das Innere des Flur. Er war schmal und wirkte recht karg. Gerade einmal eine enge Treppe fand hier Platz und führte in die oben liegenden Stockwerke. Bulstrode war der vierte Name auf der Liste und die Wohnung musste schlussfolgernd in der vierten Etage zu finden sein. Langsam stieg Theodore die Stufen hinauf und besah sich jeder der etwas schäbig wirkenden Türen. Zu seinem Glück schienen die Treppen noch recht neu, dass er sich nicht um knarrende, aus morschem Holz bestehende Tritte sorgen musste. Geschmeidig, gar katzenhaft, schlich er sich bis in den vierten Stock. Die erhoffte Tür war schnell gefunden und es überraschte ihn kaum, dass hier eine Frau wohnte, denn der ganze Podest schien mit teuren Tretern übersät, obwohl diese fein säuberlich sortiert waren. Ein Blick auf die Klingel verriet ihm, dass er an der richtigen Stelle sein musste. Kurz schob er den Ärmel seines Mantels etwas hinauf, um sich zu vergewissern, dass es noch viel zu früh für unangemeldete Besucher war. Gerade hatte die Uhr kurz nach halb sieben geschlagen und Theodore musste sich zügeln, nicht einen Laut des Seufzens von sich zu geben. Missmutig setzte er sich auf den Treppenabsatz, stützte die Ellenbogen auf seinen Knien auf und bettete seinen Kopf auf den Händen. Nach und nach erwachte auch die Flemming Street 13B aus ihrem Schlaf und die Muggel verließen mit eiligen und hastigen Schritten das Haus. Lautes Kindergeschrei erschreckte ihn, sodass er einen Blick zwischen die hölzernen Stäbe des Geländers riskierte. »Komm jetzt, Stewart! Jeden Morgen dasselbe Theater« Eine Muggel-Mutter scheuchte ihren etwa neunjährigen Sohn gerade hinaus, als Theodore ein lautes Poltern über sich vernahm. »Tag« Ein junges Mädchen, etwa um die dreizehn, vierzehn Jahre, kam hüpfend die Treppe hinunter und drängte sich an ihm vorbei. Doch der Mann schwieg und blickte dem Mädchen hinter her, das sich noch in aller Hast die Krawatte band und den Rest eines Marmeladenbrotes in den Mund schob. Die Schuluniform verwies auf eines der örtlichen Mädchen-Internate und so schnell wie der Teenie an ihm vorbei gerauscht war, hatte sie auch schon das Haus verlassen. Erneute Ruhe kehrte ein und Theodore entschied sich dazu, noch ein paar Minuten zu warten. Vielleicht war sie aber auch gar nicht zu Haus, sodass er sich eingestehen musste, das die Aktion wohl für Katz gewesen war. Seine Nerven waren merkwürdig angespannt und ähnlich dem Drang von vor ein paar Stunden, der ihn diese Aktion hatte durchführen lassen, meldete sich nun das Bedürfnis in ihm, endlich dem Trugbild seines Geistes zu beweisen, wer sich hinter dem Namen verbarg. Bedächtig erhob er sich von dem Treppenabsatz, klopfte sich den Staub von Mantel und Hose, ehe er auf die Tür zu schritt und den Knopf der Klingel betätigte. Ein helles Läuten ertönte und zu seiner Überraschung regte sich etwas in der Wohnung. Ein lautes Fluchen von Innen ließ ihn einen Schritt zurückweichen. Spannung und Neugierde schienen ihm beinahe unerträglich. Ein merkwürdiges Gefühl, ähnlich dem von damals, als er mit bebendem Herzen auf Post gewartet hatte und fast an der Ungeduld erstickt wäre, sollte man sein Manuskript ablehnen. »Verdammt«, vernahm er erneut und zog in Erwägung, einfach wieder die Treppen hinunter zu flitzen, doch dafür schien es zu spät. Jemand öffnete die Tür. Eine Gestalt, die ziemlich mitgenommen aussah. Das Haar hing wirr im Gesicht herum und auch das laute Gähnen signalisierte ihm, dass es wohl nicht üblich war, um diese Tageszeit geweckt zu werden. »Was?« Die Gestalt entpuppte sich als junge Frau, die sich das strähnige, braune Haar aus den blauen Augen strich. »Was willst du? Hast du deine Zunge verschluckt?« Das bunte Nachthemd saß recht locker um die schmalen Hüften des Mädchens. Gelangweilt hielt es sich am Türrahmen fest und schien nur wenig angetan von ihm sein. Der forsche Ton, mit dem sie ihm begegnet war, wollte nicht zu der Blässe in ihrem Gesicht passen. »Millicent«, er sprach den Namen aus, ohne es als Frage, geschweige denn Aufforderung erklingen zu lassen und als das Mädchen kurz zuckte und dann den Kopf schüttelte, sanken ihm Hoffnung und Mut. »Milli ist unterwegs«, gab die junge Frau gedehnt zurück. »Aber sie wohnt doch hier? Millicent Bulstrode.« Ein kleines Lichtlein war für kurze Zeit in ihm aufgeflackert. »Jahaa« Aus dem misstrauischen Blick wurde plötzlich ein breites Grinsen. »Aber ich weiß nicht, wann sie wiederkommt. Ist bei ihrem Freund und es kann Tage dauern, bis sie wieder hier ist.« Freund, unterwegs? Abermals schien es, als hätte jemand hiesige Brocken an seine Beine gebunden und er stand kurz davor, von einer Brücke gestoßen zu werden. »Ich bin Annie. Willst du reinkommen?« Ihre Offenheit traf ihn wie einen Vorschlaghammer. Sie musste den verwirrten Ausdruck in seinen Augen gesehen haben, denn einen Augenblick später entblößte sie ihre weißen Zähne und zeigte ihm ein freundliches Lächeln. »Nein, nein danke. Wenn es Tage dauert, bis sie wieder nach Hause kommt, dann ...«, begann Theodore und wurde jäh von einem amüsierten, schnaubenden Laut und dem Schütteln des braunen Hauptes unterbrochen. »Das war ein Scherz«, meinte Annie und zwinkerte ihm zu, ehe sie sich streckte und ein herzhaftes Gähnen ihren Mund verließ. »Sie holt gerade etwas ab, von der Post und bringt auf dem Rückweg etwas zum Frühstück mit. Ich hasse diese Morgen-Menschen.« Ihre letzte Aussage quittierte er mit einem milden Lächeln. »Na los, sie ist ja gleich wieder da. Komm rein!« Mit einem Grinsend auf den Lippen, machte sie ihm Platz und Theodore betrat mit zögernden Schritten die Wohnung. Annie lotste ihn in das kleine Wohnzimmer und drückte ihn an den Schultern auf das Polster der L-förmigen Couch. Etwas ratlos sah er um sich, denn die junge Frau war plötzlich aus seinem Blickfeld verschwunden. Ein Fernseher stand an der gegenüberliegenden Wand auf einem kleinen Holztisch. Unmengen von diesen »DVDs« waren darunter aufgereiht und auch die hellen, hohen Schränke, links und rechts wirkten funktional. »Wie heißt du?«, hörte er das Mädchen fragen und wandte abrupt seinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. »Theodore«, erwiderte er knapp. »Hm, woher kennst du Milli?«, hakte sie nach und kam den kleinen Flur entlang getrabt und lehnte nun lässig im Türrahmen zum Wohnbereich. »Von früher, aus der Schule« Da er sich nicht sicher war, ob die Frau vor ihm ebenfalls eine Hexe war, oder doch nur ein Muggel, hatte er seine Aussage auf das Nötigste beschränkt. Wie viel sie wusste, war ihm unbekannt, deshalb schien es angebracht, wenn er nicht allzu viel von sich preisgab. »Willst du einen Kaffee?«, fragte sie gerade heraus und entfernte sich abermals, ehe sie ein kurzes »ja« als Antwort erhielt. Annie schien um einiges größer, als er angenommen hatte und wirkte schrecklich dürr. Die Trainingshose und das weite T-Shirt hingen an ihrem Körper, als wollten sie sie verschlucken. Ein Klappern und leises Scheppern erregte seine Aufmerksamkeit, ebenso ein frustriertes Seufzen. »Ah, da ist sie ja, die lang Ersehnte!«, lachte Annie auf. »Die lang Ersehnte? Annie, Kaffee, sonst ...« Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit vernahm er die Stimme der jungen Frau und wappnete sich bereits für den entscheidenden Schlag der Enttäuschung, doch das Lachen, welches plötzlich erklang, schien wie samt über seine Haut zu kriechen. »Drei Tassen? Was ist los?« Offenbar spielte sich das Stück im Bereich zwischen Flur und Küche ab. »Wir haben einen Gast« Hörte Theodore die Erwiderung Annies und dann wurde es still. Was auch immer die Mädchen flüsterten, gelangte nicht an seine Ohren. Nervös knetete er seine Finger im Schoß und blickte unschlüssig von der Tür zum Wohnbereich zum großen Fenster, das der Tür gegenüber lag. »Jetzt sag mir doch endlich, wer es ist!«, beharrte die junge Frau in zischendem Ton und abrupt kamen die Stimmen näher. Annie kam mit zwei Kaffeetassen in den Händen ins Wohnzimmer gewackelt, doch das Mädchen blieb im Türrahmen stehen. »Was bei allen ...?«, Die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie den jungen Mann bemerkte. Kapitel 3: 3 ------------ DROP DEAD, Beauty! C h a p t e r THREE Schneller noch als sie reagieren konnte, hatte sich der junge Mann von dem Sofa erhoben, doch den Blick, den das Mädchen ihm zuwarf, wusste er nicht zu deuten. War es Misstrauen, Argwohn oder Vorsicht? Wie erstarrt verharrte die junge Frau auf der Schwelle zum Wohnzimmer, während sie die Arme fest an ihren Körper drückte und die Hände zu Fäusten ballte. Die braunen Augen, die ihn unweigerlich an flüssiges Karamell erinnerten, waren weit aufgerissen, doch von ihren bleichen Lippen war, bis auf die spitze Bemerkung von eben, nicht ein Ton gewichen. Nur am Rande nahm sie die Bewegungen ihrer Freundin, die hastig und abwechselnd zwischen den beiden hin und her blickte, wahr. Annie wirkte verloren, beinahe wie ein Lamm, das sich inmitten von Wölfen befand und darauf wartete, welches Alphatier den ersten Angriff tat, um die Beute zu reißen. Doch die Anwesenden schienen sich nicht im geringsten für sie zu interessieren. »Kaffee?«, durchbrach die brünette, junge Frau die Stille, doch die erhoffte Reaktion blieb aus. Noch immer fixierte ihre Mitbewohnerin den Eindringling wie ein Insekt, das tiefsten Ekel in ihrem Innersten auslöste. »Milli«, nochmals versuchte Annie ihr Glück. »Du kennst Theo?« Es war keine Frage, eher eine vage Vermutung, die da die vollen, roten Lippen des Mädchens verließ. Aber auch jetzt noch blieb Millicent wie angewurzelt stehen und schien für einen flüchtigen Augenblick zurückweichen zu wollen. »Was willst du hier?« Ihr Ausspruch klang weder knurrend, noch sonderlicher erfreut. Entrüstet traf es eher. Sie hatte ihn also wiedererkannt. Natürlich hatte sie das, schließlich prangte sein Antlitz als Porträtfoto auf der letzten Seite seines Bestsellers, den man verfilmt hatte und in dem sie die Rolle eines unscheinbaren Mädchens übernahm. Doch irgendetwas in ihrem Blick verriet ihm, dass sie es nicht wahrhaben wollte. »Ich will euch ja nicht stören, bei dem überflüssigen Versuch, euch gegenseitig mit Blicken in die Flucht zu schlagen, aber ... der Kaffee wird kalt.«, drängte Annie und ließ sich auf das Sofa sinken, ehe sie die Tassen vor sich auf den kleinen Tisch stellte. So hastig, wie sich die junge Frau gesetzt hatte, riss auch Theodore den Kopf herum, lächelte und nahm wieder auf der Couch Platz. Das Misstrauen in ihren Augen blieb, auch noch, als das Mädchen in den Raum trat und sich zu ihrer Freundin gesellte. »Also ...«, begann Annie erneut und wieder verlief sich ihr Versuch, das Eis zu brechen, im Sande. »Theo sagt, er kennt dich aus der Schule. Ist doch nett, wenn jemand versucht, alte Freunde ausfindig zu machen.« So viel Verständnis hatte der junge Mann nicht erwartet, zumindest nicht nach dem ersten Eindruck und der ersten Begegnung mit der zuvor mürrisch dreinblickenden Frau, die sich nun als Vermittlerin anbot. Doch von Millicent vernahm man nur einen schnaubenden Laut. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte den Fremden an, als wolle sie ihm an den Hals springen, sollte er auch nur eine falsche Bewegung tun, oder ein falsches Wort von sich geben. Die angespannte Stimmung entlud sich in stillem Schweigen. Während Theodore sein Interesse der Kaffeetasse zukommen ließ, konnte er dennoch den stechenden Blick der jungen Frau auf sich spüren. Doch nicht nur er bemerkte die eisige Kälte, die sich langsam in dem Raum ausbreitete. Annie räusperte sich ein paar Male, ehe sie begriff, dass sich ihre Anwesenheit als eher unvorteilhaft erwies. Kurz nippte sie an ihrem Milchkaffee, ehe sie sich ihrer Mitbewohnerin zu wandte. »Soll ich gehen? Wollt ihr allein sein?« Annies Blick huschte zwischen Millicent und dem jungen Mann hin und her. »Nein«, fauchte Millicent, doch der Fremde fuhr ihr ins Wort. »Ja«, meinte er und plötzliche Hitze kroch seinen Hals hinauf. »Okay«, nuschelte das brünette Fräulein und war versucht, sich von dem Sofa zu erheben. Annie schob an ihrer Freundin vorbei und verließ eiligst das Zimmer . Die Empörung auf ihrem Gesicht war Millicent mehr als deutlich anzusehen. »Was erlaubst du dir?«, zischte sie, sobald Annie außer Hörweite war und die karamellfarbenen Augen verengten sich zu Schlitzen. »Millicent, ich ...«, haspelte Theodore und fühlte plötzliches Unbehagen in sich aufsteigen. Doch nun war es die junge Frau, die ihm das Wort verbot. Abrupt verstummte er und ein ernüchternder Gedanke schoss ihm unweigerlich durch den Kopf. Warum? Warum bei allen Zauberern hatte er ausgerechnet versucht, diese Frau kontaktieren zu wollen? Wer oder was ihn auch immer zu dieser aberwitzigen Aktion getrieben hatte, sein Verstand musste von völliger Leere beherrscht gewesen zu sein. Die Versessenheit, die sich plötzlich in ihm manifestiert hatte, glich einer Obsession. Der Drang, alles über dieses Mädchen zu erfahren, das ihn unweigerlich aus seiner Lethargie herausgeholt hatte, unwissentlich, wie ihm nun bewusst wurde, hatte ihn bis vor ihre Tür geführt. Wie absurd die Situation nun wirkte, die Szenerie, in der er auf dem Sofa hockte und sich so unbehaglich und fehl am Platze fühlte, hatte sich Theodore doch ein heiteres, beschwingteres Wiedersehen gewünscht. Doch der stechende, gar als feindselig zu beschreibende Blick der jungen Frau ließ jene sehnsüchtige Bitte in Rauch und Nebelschwaden aufgehen. »Ich sollte gehen«, entschied er, ohne sich noch weitere Minuten dieser Schmach auszusetzen, erhob sich von dem Polster, murmelte etwas von einem »Danke für den Kaffee« und hastete, wenngleich auch ein wenig unbeholfen, aus dem Wohnzimmer. Was hatte er sich nur dabei gedacht? W arum, bei allen Zauberern hatte er auch nur den Versuch gewagt, diese Frau ausfindig zu machen? Warum hatte er nur in aller Frühe das Haus verlassen und war quer durch die Londoner City gestrichen, nur auf der Suche nach diesem Mädchen? Einem Mädchen, das allem Anschein weder erpicht auf einen Besuch, noch auf das Aufeinandertreffen mit ihm gewesen war. Hastig und holpernd raste er in stolpernden Schritten die Stufen hinunter, ergriff die Klinke der Haustür und entschwand in einen von Dunst und leichtem Nebel geprägten, kühlen Morgen. Schweigend die Arme vor der Brust verschränkt, starrte die junge Frau auf einen losen Punkt vor sich. Dumpf drang der wiederholte Klang ihres Namens an ihre Ohren, ehe Millicent begriff, dass Annie vor ihr stand, die Hände in die Hüften stemmend und den Kopf schüttelnd. Vage registrierte sie die hohe Tonlage, in der ihre Freundin tadelnde Worte ausspie. »Warum hast du ihn rausgeworfen?« Wieder und wieder hallten die Worte durch das Zimmer. »Ich verstehe dich nicht? Er ist doch nett.« Nett? Theodore Nott war nicht »nett«. Er war bloß ein ängstlicher, kleiner Junge. Mutlos, wehrlos, schwach. Im Gegensatz zu ihrer eigenen Person, schien er von eher zerbrechlicher Natur. Was ihm damals an Selbstvertrauen mangelte, hatte sie sich, aufgrund ihres eigenwilligen Äußeren, antrainieren müssen. Und die harte, raubeinige Schale hatte sich, bis zum Ausbruch des Krieges zwischen Hexen, Zauberern und magischen Wesen, gut aufrecht erhalten lassen. Aber ... Nach der schweren Zeit, die nicht nur den anderen, sondern auch ihr einiges abverlangt hatte, musste sich selbst Millicent eingestehen, dass Hochmut, Vermögen und aufgesetzte Stärke wenig im Leben zählten. Ihr Dasein war wahrlich nicht von Glanz und Gloria geprägt. Als der Krieg für die einen gewonnen, und für die anderen verloren galt, sie all das Leid, den Schmerz und die Verluste mitansehen musste und es zu einer neuen Ordnung unter den magisch begabten Menschen kam, schien es für sie an der Zeit, mit dem Alten zu brechen und die Augen für Neues offen zuhalten. Nur wenige waren dem Beispiel Harry Potters gefolgt und hatten sich zum Abbruch des Studiums auf Hogwarts entschlossen. Umso erstaunlicher schien es, dass beinahe alle Slytherins es vorzogen, das letzte, siebte Jahr zu wiederholen. Doch die Lücken, die einige hinterließen, waren für mache nur schwer zu füllen. Von den zehn Siebtklässlern ihres Hauses, kehrten nur sieben an die Schule zurück. Tracey Davis, das kleine, stets etwas elfenhaft wirkende Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren, kam nach dem Wiederaufbau nicht wieder zurück. Sally-Anne Perks schien ebenfalls von ihren Eltern dazu ersucht worden zu sein, Hogwarts zu meiden. Und letztendlich hatten sie den Verlust von Vincent Crabbe zu betrauern, der durch sein eigenes Verschulden zu Tode gekommen war, sofern man den Worten der anderen Glauben schenkte. Nach ihrem Abschluss und den neu erworbenen Erkenntnissen, schien nicht nur Millicent einen Wandel in ihrem Tun und Denken vollzogen zu haben. Wie sich zeigte, hatte Theodore, ähnlich wie sie, ein Studium an einer Muggel-Universität aufgenommen, hielt sich für einen Schriftsteller und hatte bereits zwei Romane fertiggestellte, in deren Verfilmung sie mitwirkte. Nie hatte sie geglaubt, dass dieser junge Mann fähig wäre, mit Worten die verkümmerten, befleckten Seelen jener Menschen zu rühren, die ihm so viel Leid zugefügt hatten. Doch nicht nur Hexen und Zauberer waren seinem Bann erlegen. Wie auch immer man es angestellte hatte, seine Werke fanden Zutritt in die Welt der »nicht-Magier« und zu ihrer Verblüffung hatte man die kleine Schauspielgruppe um sie herum dazu ersucht, an einem Vorsprechen für die jeweiligen Protagonisten teilzunehmen. Ihr Studium an der » Akademie der Künste« mit den Schwerpunkten Kunst, Musik und nicht zuletzt des Schauspiels, hatte auf sie wie ein belebendes Elixier gewirkt. Die Pfunde, die einiges an ihrer Erscheinung monströser und gefährlicher hatten wirken lassen, waren nach dem langen Sommer und zu Beginn des Studiums beinahe nicht mehr zu erspähen gewesen. Die Makel, zu denen nicht nur ihre Körperfülle, sondern auch der verbissene Blick und die störrische, rote Haar gehörten, schienen mit Hogwarts zu den Phasen zu zählen, die Millicent Bulstrode hinter sich gelassen hatte. Nun zeichneten sie eine zumutbare Figur und eine in tiefstem schwarz gefärbte, schulterlange und geglättete Haarpracht aus. Make-up und ein monatlicher Besuch im Frisiersalon sorgten dafür, dass der neuen, verbesserten Millicent ein guter Start gewährt wurde. Über das Manko, zwischen und mit Muggeln leben zu müssen, hatte sie nach einem halben Jahr bereits hinweg gesehen. Die »Beschränktheit« der Muggel wusste sie für sich zu nutzen. Ihr Geheimnis jedoch, hielt sie unter Verschluss. Niemand, nicht einmal ihre jetzige WG-Mitbewohnerin und Freundin Annie, wusste um ihre Fähigkeiten, ihrer Herkunft und um die Geschehnisse, die der Vergangenheit angehörten. Es gab niemanden, bis auf den jungen Mann, der es wagte, plötzlich und unerwartet auf der Schwelle zu stehen. Wut wallte in ihrem Innersten auf, als ihre Gedanken eine erneute Richtung einschlugen und sie sich noch immer der Schimpftirade Annies ausgesetzt sah. Das junge Fräulein, hochgewachsen, brünett und spindeldürr, war erst vor wenigen Tagen aus New York zurückgekehrt. Ihr Agent, ein gewisser Jules Yves Dolauxe, hatte ihr ein lukratives Angebot gemacht und sie zur »Fashion Week« geschickt. Dass die Behausung beider Frauen die meiste Zeit von gähnender Leere erfüllt war, schreckte weder die eine, noch die andere ab, schließlich ließ es sich hier angenehm und günstig wohnen. »Also«, begann Annie und taxierte sie noch immer mit einem vor Unverständnis strotzenden Blick, »wieso hast du ihn der Wohnung verwiesen?« »Habe ich nicht«, murmelte Millicent und sah zu der jungen Frau auf. »Aber du hast ihn vergrault! Dabei war er so ...« Millicent sah ihr wohl an, dass sie erneut dem Versuch erlag, das kleine Adjektiv mit den vier Buchstaben auszusprechen, doch Annie besann sich eines Besseren. »So lieb?« »Lieb? Annie, du kannst doch nicht jeden Kerl, der einen freundlichen Eindruck macht, in unser Haus lassen! Er hätte auch ein potenzieller Wahnsinniger sein können, der dich in kleine Stücke hackt!«, zischte Millicent. »Findest du nicht, dass du etwas übertreibst?«, hakte das Mädchen nach und zog fragend und skeptisch dreinblickend die Augenbrauen empor. »Annie«, beschwor sie Millicent erneut, »es ... gibt ... genug ...« »Ja, ja. Ich weiß«, wiegelte sie ab, ließ sich jedoch nicht von ihrem Verhör abbringen. »Aber er wollte zu dir. Wäre er ein geisteskranker Stalker, hätte er sich wohl kaum zu einem spontan Besuch entschlossen.« »Annie, paranoide, geisteskranke Menschen entscheiden sich meistens dazu, spontan zu reagieren, bis sie dich irgendwo festhalten und ... warte mal ... meine Theorie ist gar nicht so abwegig, schließlich hat er ja herausgefunden, wo ich wohne.« Plötzlich aufsteigende Panik schoss durch ihre Adern. Woher hatte er ihre Adresse? Namen und Nummer waren nicht ihm örtlichen Telefonbuch vermerkt worden, dafür hatten Annie und sie gesorgt. Ein Model, das bald zu den top-Laufstegschönheiten zählte und ein kleines Starlet, das kurz vor dem großen Durchbruch stand, waren ein gefundenes Fressen für Paparazzi, Fans und andere einer solchen Spezies. »Millicent, wir beide wohnen seit fast zwei Jahren hier und noch nie hat mir ein Fotograf aufgelauert.«, erklärte Annie seelenruhig. »Bist du dir da sicher?«, hakte die junge Frau misstrauisch dreinblickend nach. »Milli, willst du mir nicht endlich sagen, wer er ist. Er kennt dich und du kennst ihn und leugne diese Tatsache jetzt nicht!« Nun war es an Millicent, über die Verbohrtheit ihrer Freundin den Kopf zu schütteln. Mit einem seufzenden Laut ließ sich die junge Frau mit dem Rücken gegen das weiche Polster der Couch sinken, schloss die Augen und faltete die zarten, bleichen Hände über ihrem Bauch zusammen. Was auch immer diesen Mann dazu gebracht hatte, sie zu suchen, nach all den Jahren, es musste etwas passiert sein. Da sie nur noch über wenig Kontakte in die magische Welt verfügte, war ihr mehr als schleierhaft, was Theodore als Anliegen an sie vorzubringen hätte. Einem weiteren Verhör entging sie, während Millicent ihrer Freundin in knappen Sätzen die vorangegangenen Ereignisse schilderte. »Er ist ein ehemaliger Klassenkamerad«, hatte sie erklärt, »aber wir haben nach unserem Abschluss kein weiteres Wort mehr miteinander gewechselt.« Dies entsprach den Tatsachen und die junge Dame hatte bis vor wenigen Minuten auch nichts daran ändern wollen. Ein Leben, geprägt von Zauber und Magie, schien für Schwärmerei und romantische Geschichten tauglich, doch das Dasein als Hexe war um einiges komplizierter und mit mehr Verantwortung behaftet, als ein »normal« lebender Mensch verkraften konnte. Für die einen war es eine Gabe, gar ein Privileg, doch für jemanden der, ähnlich wie Millicent, nichts davon verspürt hatte, glich diese Bürde eher einer Qual. Die Jahre vor dem Krieg hatte man sie störrisch und stur mit Scheuklappen durch die Welt streifen lassen. Nichts zählte, außer Schwarz und Weiß. Talent und Vermögen. Aussehen und Ansehen. Wie Gift ätzten sich die Worte von Mutter, Vater und anderen Autoritären durch ihre bleichen Adern, ließen Mitgefühl verkümmern und die kleinen Seelen brechen. »Zeige wer du bist, beweise, was du kannst!« Krieg, Macht, Besessenheit ... Nichts war so mächtig, wie eine Überzeugung. Ein Gedanke, der sie kaum merklich zusammenfahren ließ. Allem Anschein nach, war Theodore Nott davon überzeugt, er müsse sie wiedersehen. Ein Impuls regte sich unweigerlich in ihrem Inneren und trieb sie in die Höhe. Noch immer plapperte Annie davon, wie wenig Verständnis sie für die Reaktion Millicents gehabt hatte, doch diese zog ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei, begab sich mit schnellen Schritten den schmalen Flur, griff nach dem beigen Trenchcoat, schlüpfte hastig in ihre Stiefel und verschwand, ebenso wie der junge Mann es vor wenigen Minuten getan hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)