Endosymbiontentheorie von Katta (RuffyxNami) ================================================================================ Kapitel 3: Alte Bekannte ------------------------ Zum Glück hatte ich einige Wechselsachen in Titis Wickeltasche gepackt, bevor ich mit ihr gefahren war, denn Dadan hatte uns am Abend nicht mehr gehen lassen. Eine Kinder-Zahnbürste und ein kleines Bettchen hatte sie schon längst für ihre Enkelin angeschafft. Natürlich nicht ganz ohne Hintergedanken. „Die Kleine hat hier so lange nicht mehr übernachtet“, hatte sie gequengelt, bis ich eingewilligt hatte. Lust hatte ich keine gehabt, doch ich hatte es genossen, die Verantwortung für einen Tag mal komplett abgeben zu können. Zugegeben auch das Abendessen hatte einen großen Teil zu meiner Überredung beigetragen. Allein wie viel Fleisch und Wurst Dadan serviert hatte. Wahnsinn! So viel hatte ich lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen. Bei Vivi gab es kaum Fleisch, sie fand es zu teuer und ich glaube, es schmeckte ihr auch nicht wirklich. Ab und zu brachte sie mal etwas von der Arbeit mit, das vom Tagesgericht übrig geblieben war und der Koch lieber den Mädchen mitgab, als es wegzuschmeißen. Doch davon bekam ich nie viel. Das Meiste war für Ace, weil er das Geld verdiente. Aber bei Dadan hatte ich mir so viel nehmen können, wie ich wollte, ohne dass ich böse angeguckt oder Sicherheitsportionen gehortet wurden. Mein damaliges Zimmer hatte sich bis heute in seiner Erscheinung nicht verändert. Das Bett stand an derselben Stelle, der Schrank war nicht ausgeräumt worden und einige der Sachen passten mir sogar noch. Selbst die Bilder, die ich für sie gemalt hatte, hatte Dadan noch an der Wand hängen. Zeichnerisches Talent hatte ich nie besessen, so viel stand fest. Dennoch erkannte ich noch, was ich als Kind mit den vielen bunten Strichen hatte ausdrücken wollen. Mein Blick haftete an einem Bild, das mich gleichzeitig zum Lachen animierte, als auch traurig stimmte. Es zeigte Ace und mich – ich glaube sogar, dass er sich selber gemalt hat, weil die Strichführung eine gänzlich andere war – als Kinder auf einem monströsen Schiff, das sich in der Nähe einer tropischen Insel befand. Besonderen Wert hatte ich hier wohl auf die Darstellung der Palmen gelegt, waren sie beinahe zweimal so groß, wie das Schiff selber. Ich schluckte und versuchte mich an den Tag zu erinnern, als es entstanden war, doch die Bilder zerbröselten in meinen Gedanken, ließen sich nicht zu ordnen. Ich vermute aber, dass es aus der Zeit stammte, in der Ace öfters mal von Zuhause ausgerissen war. Als er es nicht mehr bei Dadan aushielt. Die Monate waren für uns alle sehr hart gewesen, am schwersten aber hatten sie Dadan getroffen, die sich bis heute Vorwürfe machte, dass sie nicht anders gehandelt hatte. Sich mehr um ihn gekümmert hatte. Wie Ace erfahren hatte, dass sie bloß seine Adoptivmutter war, weiß ich nicht, plötzlich hatte er sie vor mir damit konfrontiert. Es war ein Schock für mich gewesen und Dadan musste es eiskalt den Rücken heruntergelaufen sein. Sie hatte ihn nicht verwirren wollen, hatte sie beteuert, konnte damit aber nicht bis zu ihm durchdringen. Ace war so unglaublich wütend und es war das erste Mal, dass ich ihn hatte weinen sehen. Mir kommt es heute noch so vor, als hätte ich die ganze Szene von außen beobachtet und mein Körper wäre gar nicht anwesend gewesen. Ich war so unglaublich regungslos. Wie alt war ich da gewesen? Acht? Jedenfalls war ich schon eine Weile in der Schule und Ace hatte mir zeigen wollen, wie man die schweren Wörter liest und ausspricht. Dadans gesamte Hütte hatten wir auf der Suche nach geeigneter Lektüre durchforstet...Dabei mussten ihm die Adoptionspapiere in die Hände gefallen sein... Am schlimmsten war es für mich ihn in der Nacht weinen zu hören, es schnürte mir den Magen zu und ich drückte mir jedes Mal die Hände so fest auf die Ohren, bis ich bloß noch das Blut in ihnen rauschen hörte. Einmal hatte ich ihn zufällig im Wald gefunden, nachdem er bereits seit vier Tagen nicht mehr zu Hause gewesen war. Dadan fehlte die Kraft, nach ihm zu suchen, hatte sie genug mit Opa, der ihr ständig Vorwürfe machte, und der Schule, die unentwegt wegen Ace anrief, zu tun. Irgendwie konnte ich ihn verstehen, andererseits war ich auch ganz schön wütend auf ihn, dass er mich einfach zurückgelassen und Dadan solche Probleme bereit hatte. Immerhin hatten wir uns geschworen, Brüder zu sein, füreinander da, egal was kam. Am liebsten hatte ich immer draußen gespielt, mein Opa hatte mir irgendwann einmal zum Geburtstag ein Schmetterlingsnetz geschenkt, weil ich so gerne Insekten gesammelt hatte. Auf einer Blüte hatte ich einen besonders großen Käfer entdeckt und wollte ihn gerade mit dem Netz einfangen, als ich ein „Psst! Ruffy, hier oben!“ gehört hatte. Natürlich hatte es mich zu Tode erschreckt, plötzlich eine Stimme zu hören, und hatte deshalb mit meinem Zucken den Käfer aufgescheucht, der gleich darauf geflohen war. Ich war auch ein bisschen sauer deswegen gewesen, aber die Freude meinen Bruder wiederzusehen überwog dies. Er hatte grauenhaft ausgesehen, beinahe so als hätte ihn ein wildes Tier gerissen. Seine Kleidung war zerschlissen, die Haare fast verfilzt und seine Augen wirkten, als würden sie jeden Moment aus dem leicht ausgezerrten Gesicht kullern. Er hatte die Tage über nichts gegessen, hatte er mir gesagt, mir gestanden, dass er gerne wieder zurück wollte, weil er mich vermisste, sogar Dadan vermisste und sich ein klein wenig schuldig fühlte, dass er sie in so eine Lage gebracht hatte. Einige Stunden musste ich ihn mit Engelszungen überreden, dass er mit mir nach Hause kam, denn obwohl er sich nach uns sehnte, verbot ihm sein Stolz einfach so wieder angekrochen zu kommen. Möglicherweise war er aber auch noch immer sehr enttäuscht von Dadan, dass sie ihm nichts über seine wahre Herkunft erzählt hatte. „Ach, Ace, und du hast dich nicht doch ein bisschen gefreut, dass Dadan nicht deine echte Mutter ist?“, hatte ich ihn einfach gefragt, war es doch der erste Gedanke gewesen, der mir dabei durch den Kopf geschossen war. Es war ja nicht so, dass Dadan die Hölle war... Sie war einfach Dadan. Er hatte einige Sekunden mit großen Augen zu mir gesehen und geblinzelt, bis es schließlich aus ihm heraus gebrochen war und er sich vor Lachen kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Aus heutiger Sicht würde ich das als den Punkt bezeichnen, an dem er sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Auch Dadan hatte ihre Lehren aus dieser Eskalation geschlossen und im Laufe der Jahre immer wieder Gespräche mit Ace über seinen Vater, seine bei der Geburt verstorbenen Mutter und die Umstände, wie er zu ihr gekommen war, gesprochen. Er hat es ihr mit der Zeit verziehen und auf seiner Hochzeitrede lobend erwähnt. Sie habe ihm Wurzeln gegeben, hatte er gesagt, woraufhin Dadan die Taschentücher mit ihren Tränenbächen gesprenkelt hatte. „Ist das nicht schön, Ruffy?“, hatte sie mir ins Ohr geschluchzt und ich hatte nicht das erste Mal an diesem Abend infrage gestellt, mich neben sie gesetzt zu haben. Ich strich mir einige lose Haare aus der Stirn. Wie durchgeknallt musste meine Familie auf Außenstehende wirken? Es war mir egal, ich liebte sie heiß und innig. Meine Gedanken konzentrierten sich wieder auf das Bild vor mir. Das Bild, das die grenzenlose und wunderbare Freiheit, die wir uns immer gewünscht haben, zeigte. Was war mit Ace geschehen, dass er diesen Traum für ausgeträumt erachtete? Sehnte er sich denn nicht mehr nach endlosen Weiten und weit entfernten Problemen? Ich ließ mich auf das Bett fallen und starrte die Decke an. Oder war Ace schlicht und ergreifend erwachsen geworden? Ja, scheute ich mich davor, meine Kindheit hinter mir zu lassen und zu erkennen, dass es irgendwann im Leben keinen Platz mehr für die alten Träume gab? Dass die Realität eine andere war? Ich rollte mich auf die Seite und zog die Beine an. Wollte ich meinen Traum überhaupt loslassen? Die Abenteuer vergessen und meinen Platz in dieser Gesellschaft einnehmen? War ich dazu bereit oder musste ich es sein? Es kribbelte in meiner Nase. Ein Zeichen dafür, dass sich die Tränen bald in meinen Augen sammeln würden. Wie sehr ich es hasste. Schwäche war etwas, das ich mir nur selten eingestand. Und Weinen war ihr Markenzeichen. Ich biss mir auf die Unterlippe, um mich zu beherrschen, richtete mich auf und umschloss die Knie mit meinen Armen. Natürlich war Ace erwachsen geworden, er hatte es werden müssen. Es hatte sich für ihn nie die Frage gestellt, ob er denn nun bereit wäre. Er musste es sein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ebenso gut gepackt hätte, wie er. Wohl eher nicht. Aber konnte ich das in meiner Lage überhaupt so genau einschätzen? „Luffi, essen kommen!“, ich hörte, wie die Tür sich knarrend aufschob, Titi mit eiligen Schrittchen herein gestürmt kam – dabei auch ein paar Mal auf dem Hinterteil landete – und zu mir aufs Bett kletterte. „Oma sagt essen!“ „Oh toll! Hat sie Frühstück gemacht?“ „Jaaaaa! Fhhüüüstück!“ „Worauf warten wir dann noch?!“, fragte ich, nahm Titi rasch auf den Arm und rannte mit ihr in die Küche. Zumindest für einen Tag durfte ich noch mal ganz Kind sein und die Bemutterung seitens Dadan genießen. Die sich allein auf dem Frühstückstisch von ihrer besten Seite zeigte. Aus dem alten Radio, das auf dem Regal über der Eckbank stand, dröhnte Madonnas „Papa don't preach“, das Dadan aus voller Kehle mitsang, während sie den beiden Kätzchen Wurststückchen gab. Ich kicherte leise, setzte mich mit Titi auf dem Schoß auf die Eckbank und nahm mir eine Schale des selbst gemachten Puddings. Wie ich den liebte. Allein die Karamellkruste war der Himmel auf Erden. „Junge, iss“, hörte ich Dadan sagen, noch bevor ich überhaupt angefangen hatte. Als ob sie mir das hätte zweimal sagen müssen! So zufrieden hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. Mein einziges Problem war gewesen, wovon ich mehr esse. Selbst der Umstand, dass ich das aktuelle Modul meines Studiengangs wegen der zahlreichen versäumten Tage nächstes Jahr oder in den Semesterferien vielleicht nachholen musste, nagte nicht weiter an meinen Gedanken. Auch dass Dadan Nami erwähnte und mich in ein Gespräch über sie verwickeln wollte - es ging wohl hauptsächlich um Bellemeres Orangenplantage -, kümmerte mich nicht. Doch meine gute Laune verflog, als ich mich am Nachmittag zusammen mit Titi auf den Rückweg machte und den Bus bestieg. Ich wusste ja nicht, ob ich Nami erneut begegnen würde. Über sie zu reden war eine Sache, sie möglicherweise anzutreffen eine andere. Wie lange sie bei ihrer Mutter und ihrer Schwester bleiben würde, hatte sie mir nicht gesagt. Und ich hatte sie nicht gefragt, weil es mich im Grunde genommen auch nicht interessiert hatte. Doch das Glück hatte es gut mit mir gemeint und so waren meine einzigen Begleiter ein paar alte Frauen, die anscheinend zum Einkaufen in die Stadt wollten. Obwohl sie mich die ganze Fahrt über gelöchert und Titis Wangen so rot gekniffen hatten, dass man ihre Sommersprossen kaum sah, war es mir immer noch lieber gewesen, als mit Nami auf engstem Raum zu hocken. Anstatt auf direktem Weg nach Hause zu fahren, beschloss ich eine Kleinigkeit einzukaufen. Im Kühlschrank fand sich kaum noch Essbares und auch die Vorratsschränke wirkten eher klamm. Zum Glück gab es einen kleinen Supermarkt bloß eine Straße von unserer Wohnung entfernt, sodass ich Titi und die Einkaufstüten nicht allzu weit schleppen musste. Die Auswahl mochte nicht überwältigend sein, aber es reichte allemal. Es gab Situationen, in denen sich ein Kleinkind als äußerst nützlich erwies, zum einen als Ausrede für versäumte Klausuren, zum anderen beim Einkaufen. Zum einen blieb einem erspart sich bücken, zum anderen konnte man das Kind super beschäftigen. Wie ein Hund darauf wartete, dass man endlich den Ball warf, so fieberte Titi dem Augenblick entgegen, wann ich ihr sagte, was sie jetzt aus dem Regal holen und mir bringen sollte. Was man jedoch immer bedenken sollte, Kleinkinder konnten ihr Interesse für eine Sache auch wahnsinnig schnell wieder verlieren. „Nein, Titi, wir nehmen den Kürbis nicht mit. Denn isst du eh nicht.“ „Bitteeeeee~“, quietschte sie, schob die Unterlippe vor und deutete unnachgiebig auf die Gemüseauslage. Ich stöhnte genervt, ging zurück und packte ihre Hand. „Komm, du hast doch genug anderes bekommen.“ „Will haben!“, quengelte sie in steigender Lautstärke und mit zunehmend rotem Gesicht. Ich war drauf und dran etwas zu sagen, als wie aus dem nichts eine Hand hinter mir hervorkam und Titi eine Mandarine reichte. „Wie wäre es damit?“, fragte eine sanfte Frauenstimme, woraufhin Titi aufsah, die Mandarine i n den kleinen Fingern, und sich beruhigte. „Robin!“ Am liebsten hätte ich sie umarmt, denn obwohl unser Kontakt mehr sporadisch und distanziert war, mochte ich sie sehr gerne. Sie war ruhig, freundlich und hatte für beinahe alles Verständnis, zumindest hatte ich immer den Eindruck bei ihr, wenn ihr etwas erzählte. Aber Robin war gleichzeitig stets darauf bedacht genügend Abstand zu halten und von sich selber nicht allzu viel preiszugeben, ich vermute deswegen sah sie mir auch nur selten direkt in die Augen. Ich hatte sie vor einigen Jahren in der U-Bahn kennengelernt, als ich sie gefragt hatte, was sie da lese. Eigentlich machte ich mir nicht viel aus Büchern, doch der Einband und die Schrift „der Regenbogennebel“ hatten mich neugierig gemacht. Zu meiner Verwunderung hatte sie mir freundlich geantwortet und den Inhalt des Buches zusammengefasst und nicht wie die anderen Leute in der U-Bahn mich ignoriert oder sich weggesetzt. Robin lächelte leicht, erhob sich aus der Hocke und schob den Gurt ihrer Tasche zurück auf ihre Schulter. Wenn sie stand, überragte sie mich locker um einen Kopf. „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Ruffy-san. Studierst du immer noch Biologie?“ „Ja, noch zwei Semester, dann bin ich fertig“, ich grinste, „bin sozusagen in der heißen Phase. Und was ist mit dir? Arbeitest du immer noch als Sekretärin?“ Robin schüttelte den Kopf und warf einen Teil des schwarzen Haares, das von einer Lesebrille zurückgehalten wurde, über die Schulter. „Zum Glück nicht mehr. Weißt du noch, als du damals zu mir gesagt hast, man sollte immer das machen, wonach einem der Sinn steht?“ Im ersten Moment wirkte es ein wenig befremdlich für mich, aber vor Nami hatte ich immer so gehandelt und nach diesem Prinzip gelebt, es zu meinem Leitspruch erkoren, immer nur getan, was ich auch wirklich wollte. Ich nickte. „Noch in derselben Woche habe ich die Kündigung eingereicht und mich nach einem Platz als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Archäologie erkundigt.“ „Und?“ „Es hat auf Anhieb geklappt.“ Ihr Gesicht nahm einen zufriedenen Ausdruck an. Mich freute es ehrlich das zu hören und vor allem, dass Robin mir von sich aus, etwas von sich erzählte. Bei unseren Begegnungen zuvor hatte ich sie immer ausfragen müssen und dennoch hatte sie die Antworten stets nur durchschimmern lassen. Ich glaube, Robin schrieb lieber Briefe als direkt zu sprechen, sodass sie kontrollieren konnte, wie viel sie ihrem Gegenüber preisgab. Sie erzählte mir noch, dass sie durch den Arbeitswechsel auch jemanden kennengelernt hätte, fragte mich nach Vivi. Robin und Vivi kannten sich, nicht gut, und Vivi war auch lange Zeit nicht gut auf sie zu sprechen gewesen. Was auf mich manchmal echt gruselig gewirkt hatte, immerhin hatte Vivi ansonsten ein Herz aus Gold. Angesichts der Tatsache, dass Robin damals indirekt an den Problemen ihres Vaters, die letztendlich zu seiner Versetzung geführt hatten, beteiligt gewesen war, konnte ich es jedoch verstehen. Doch Robin hatte es nicht aus Böswilligkeit getan, dessen war ich mir sicher. Dieser andere Typ, der ständig eine Zigarre im Mundwinkel hängen gehabt hatte, musste sie da mit reingezogen haben. Andernfalls hätte sie Kobra-sama nicht vor allen um Verzeihung gebeten. Ich bin mir sicher, dass Robin das jede Menge Überwindung gekostet haben musste. Vielleicht war dieses Ereignis auch ausschlaggebend dafür gewesen, dass sie woanders neu anfangen wollte. Sie verabschiedete sich schließlich von mir mit einem Zwinkern und der Begründung, sie sei noch verabredet, und streichelte Titis Wange. „Auf Wiedersehen, kleine Prinzessin.“ An der Kasse angekommen, half Titi mir dabei den Korb auszuräumen, während die Kassiererin die Sachen einscannte. Einen Teil bezahlte ich mit meinem letzten Geld, den Rest ließ ich anschreiben. Das Privileg hatten wir, da unsere Wohnung direkt gegenüberlag und wie so was wie Stammkunden waren. „Und immer schön lieb zum Papa sein, ja?“, sagte sie zu Titi, nachdem sie ihr einen Lolli geschenkt hatte, und sah mir zwinkernd an. „Ähm, ich bin ihr Onkel“, antwortete ich und die Frau runzelte für einen Moment die Stirn, ehe es ihr dämmerte. „Stimmt, der kauft ja auch immer die vielen Schokoriegel.“ Ich lachte, stopfte das Zeug in zwei Plastiktüten und versuchte sie zusammen mit Titi hochzunehmen. Zum Glück kam gerade ein Mädchen in den Laden, das mir die Tür aufhielt, bis ich draußen war. Mühsam jonglierte ich Titi, die Taschen und den Schlüssel in meinen Händen, und stieg die Treppe zur Wohnung hinauf, als mich beinahe der Schlag traf. Anscheinend hatte ich heute noch nicht genug Begegnungen gehabt. Den Fuß im immer selben Takt auf den Boden tippend und mit verschränkten Armen stand mein Opa vor der Tür, schaute regelmäßig auf seine Uhr und blies die Luft zwischen den Zähnen hindurch. Der wartete wohl schon eine ganze Weile darauf, dass ihm jemand öffnete. Ein Wunder, dass er noch nicht eingestiegen war. „Na endlich!“, donnerte mir seine Stimme entgegen, als er mich erblickte. „Ich hab mir hier die Beine in den Bauch gestanden.“ „Tut mir leid, Opa. Aber ich war gerade noch einkaufen und sonst ist niemand da.“ Er legte die Stirn in Falten. „Wo treibt sich der Bengel schon wieder rum?“ Dass manche Leute an einem Werktag morgens arbeiteten, schien ihm komplett entfallen zu sein. Wahrscheinlich hatte er das Vergessen, als er in Rente gegangen war. Ich drückte ihm Titi in die Arme, die mit leuchtenden Augen an seinem Bart zupfte, schloss die Tür auf und bat ihn herein. Ich kam mir irgendwie blöd dabei vor, das alles auf dem Flur zu klären, abgesehen davon, dass ich die Einkäufe verstauen wollte. „Ace und Vivi sind vorgestern zu ihrem Vater gefahren, weil er einen Unfall hatte.“ „Und was sollen die beiden da jetzt machen? Händchen halten oder was?“ Ich hatte ehrlicherweise keine andere Antwort von meinem Opa erwartet, wenigstens ein kleines dankendes Nicken bekam ich, als ich die Teetasse vor ihm auf den Tisch stellte. „Hat dir Ace denn gar nichts erzählt?“ „Ace und mir was erzählen?“, er lachte laut. „Der meldet sich doch nur bei mir, wenn er meine Hilfe oder Geld braucht.“ Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und wich seinen stechenden Augen aus. Mit mir war es genau dasselbe. Doch es schien mir jedes Mal so, als nerve ich Opa, wenn ich ihm von meinem Alltag, der Uni und so erzählte. Meist sagte er ja auch noch, er könne damit eh nichts anfangen. „Ja, und was wollen die jetzt da unten? Ich dachte, das Verhältnis wäre angespannt?“ „Das auf jeden Fall, aber ihr Vater kann seit dem Unfall nicht mehr laufen und jetzt muss Vivi schauen, dass sie ihn versorgt bekommt. So als einziges Kind...“ „Mir wird aber immer noch nicht klar, warum Ace da mitkommen muss. Sie ist doch alt genug, um sich alleine um so was zu kümmern.“ Opa kannte Vivis Vater schlecht. Vor allem aber hatte er keinen blassen Dunst davon, wie so ein Treffen ablief. Ich beließ es dabei zu schweigen, zuckte auf seine hochgezogene Augenbraue hin die Achseln und tat so als wüsste ich nichts mehr dazu. Ich hatte Dadan schon nichts erzählen wollen und sie hatte immerhin vollstes Verständnis für Ace. Wie es aussah, hatte Opa sich auch nicht weiter dafür interessiert. Zwar hatte er noch mal deutlich gemacht, was er davon hielt, dass die beiden „einfach so faulenzten, statt zu arbeiten“, es dann aber auch gut sein lassen und mir stattdessen ein paar Belanglosigkeiten erzählt. Titi hatte die ganze Zeit über zusammengekauert auf dem Sofa geschlafen und sich nicht einmal von seinem lauten Lachen wecken lassen. Vorsichtig nahm ich sie auf den Arm, um sie in ihr Bett zu bringen, als ich die Vibration meines Handys spürte. Ein wenig unentschlossen, wie ich weiter vorgehen sollte, legte ich Titi wieder ab und nahm den Anruf entgegen. Ich hatte in der Eile nicht mal das Display kontrolliert. „Ja?“ „Hey Ruffy! Alles klar bei dir?“ Wer außer Ace sollte mich auch schon anrufen? „Noch ja, Titi schläft gerade“, antwortete ich, ließ mich aufs Sofa sinken und schmiegte mich an die Lehne. „Und bei dir?“ „Das meinst du doch sicher nicht ernst“, gab er spöttisch zurück, „wie soll es schon sein? Furchtbar natürlich.“ Ich sparte mir das Nachfragen, entweder hatte er keine Lust drüber zu reden oder es kam von selber. „Na ja, ich hatte ja nichts anderes erwartet. So konnte ich wenigstens nicht enttäuscht werden“, Ace machte eine kurze Pause, „Wir fahren morgen früh mit dem ersten Zug zurück und wären dann gegen Mittag wieder da. Nur dass du Bescheid weißt.“ „Alles klar“, antwortete ich, „Opa war vorhin hier.“ „Was wollte der denn? Ist seine Lieblingsserie schon wieder abgesetzt worden? Und der Sender beantwortet seine Briefe nicht?“ Ich wusste genau, worauf er anspielte, und grinste in mich hinein. Mein Opa war ein leidenschaftlicher Zuschauer von Trash-TV und diese absolut grottig gespielten Ermittlersendungen sah er am liebsten – wahrscheinlich war er der Einzige, denn sein absoluter Favorit war bereits mehrmals eingestellt worden, woraufhin Opa mit einer Flut von Beschwerdebriefen reagiert hatte. „Nein, ich glaube, er wollte nichts Bestimmtes...“ „Ach, bloß mal wieder kontrollieren, ob alles in Ordnung ist?“ „Genau...Ace, bevor ich's vergesse“, ich musste ein Lachen unterdrücken, obwohl ich allein beim Gedanken daran schon hätte platzen können. „Opa war jetzt neulich beim Arzt.“ „Ja und?“ Ich konnte mir genau vorstellen, wie er in diesem Moment den Mund verzog. Ich lachte und verschluckte mich beinahe, als ich mit der Erzählung beginnen wollte. „Schluck's erst mal runter, Ruffy“, hörte ich Ace lachen. „Okay, jetzt geht’s wieder“, sagte ich und atmete tief ein und aus, „Opa war also beim Arzt, weil er irgendwie Probleme mit dem Rücken und den Ohren hat.“ „Fängt ja schon mal wie der klassische Blondinenwitz an...“ Ich kicherte. Ace kannte die Pointe ja noch gar nicht. „Jedenfalls hat er ihm gesagt, er solle auch mal überlegen, wie alt er wäre. Weißt du, was Opa dann gebracht hat?“ „Nein?“ „Opa ist wutentbrannt aufgestanden und hat ihn angebrüllt von wegen, er bräuchte keinen Quacksalber, der ihm sage, wie alt er sei, das wüsste er selber!“ Für einen Moment war es so still, dass ich die Leitung knacken hören konnte, ehe es aus ihm herausbrach. Ich glaube, so hat er noch nie gelacht, während er sich in Kyushu befand. „Das hat er nicht gebracht, oder? Dieser Mann ist unfassbar!“ Es fiel mir schwer Luft zu holen, konnte nicht anders als mit zu lachen und doch kurz innezuhalten, als ich Vivi im Hintergrund fragen hörte, was passiert sei. Es war zu komisch, wie Ace versuchte ernst zu bleiben und ihr dieselbe Geschichte zu erzählen, die ich ihm vor wenigen Augenblicken verkündet hatte. Ständig brach er in neues Gelächter aus oder verschluckte die Worte. Als er es endlich geschafft hatte, lauschte ich gespannt auf Vivis Reaktion. Es mochte kein lautes Lachen gewesen sein, aber es reichte, um Ace sagen zu lassen: „Ein Gutes hat Gramps' Art ja. Sogar Vivi lächelt wieder.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)