Fire von Earu (... in a world of Black Hearts & Dollar Signs) ================================================================================ Kapitel 4: Morning after ------------------------ Als ich nach dieser Nacht wieder wach wurde, war es schon fast Mittag, wie mir ein Blick auf die Uhr verriet. Es kratze mich aber nicht, wie spät es war … oder eigentlich doch, denn ich hatte viel zu wenig Schlaf gehabt. Für gewöhnlich stand ich erst mitten am Nachmittag auf, wenn ich vorher die Nacht durchgemacht hatte. Acht bis zehn Stunden waren für mich ganz normal. Und wäre es ein völlig normaler Vormittag gewesen, wäre ich auch noch gar nicht aufgewacht. Aber heute war da etwas, was mich aus meinem wohlverdienten Schlaf gerissen hatte: Ein leises Scheppern und der Duft von frischem Kaffee. Und dann fiel mir wieder ein, dass ich nicht allein war. Nicht, dass ich es vergessen hätte – so nachlässig war ich dann doch nicht – aber es wurde mir wieder deutlich bewusst, was letzte Nacht so passiert war. Und nur einen Moment später öffnete sich die Tür und der Verursacher der Geräusche und des Geruchs kam in mein Schlafzimmer: Gackt, bereits wieder komplett angezogen und ein Tablett tragend. „Morgen“, begrüßte er mich, während er auf mich zu kam, immer darauf bedacht, nichts fallen zu lassen. „Morgen“, sagte ich, gähnte und rutschte ein Stück zur Seite, damit er sich mit samt seiner Last neben mir auf dem Bett niederlassen konnte. „Ich hab Kaffee gemacht. Aber mehr als Cornflakes und Süßkram hab ich zum Essen nicht gefunden“, informierte er mich, obgleich ich es doch selbst sehen konnte, als er das Tablett zwischen uns platzierte. „Hm, ich ess nicht oft hier“, erklärte ich ihm den Umstand, dass meine Küchenregale und der Kühlschrank fast komplett leer waren. Dabei nahm ich eine der beiden dampfenden Kaffeetassen, warf zwei Würfel Zucker hinein und rührte um, bis sich alles vermischt hatte. Gackt machte es ähnlich, nur dass er noch ziemlich viel Milch dazuschüttete. Dann schwiegen wir und es ging mir gehörig auf die Nerven, denn es wirkte genau so als ob … „Wie müssen jetzt aber keins von diesen bescheuerten Gesprächen führen, oder?“, wollte ich die Sache gleich von Anfang an klarstellen. „Was für Gespräche?“, hakte Gackt nach. „Solche, bei dem wir uns gegenseitig Komplimente machen, dass die Nacht einfach unglaublich war und wir so etwas noch nie mit jemand anderem geteilt haben, aber es im Grunde doch nur ganz spontaner Sex war. Und dann kommt die Frage, was jetzt daraus werden soll, schließlich hatten wir Sex und, auch wenn er nur ganz spontan war, muss das doch was bedeuten und weiß der Henker, was nicht noch alles.“ „Ach, solche.“ „Ja, solche. Ich halte nichts davon. Wo käme ich denn da auch hin?“ „Das konnte ich mir schon denken. Aber mach dir da mal keinen Kopf“, beruhigte Gackt mich lachend, „wenn du wüsstest wie oft ich bisher schon 'spontanen Sex' hatte. Und was du so hast, hab ich gesehen.“ „Allerdings“, pflichtete ich ihm bei. „Dann wäre es ja fürs Erste geklärt.“ „Was heißt hier 'fürs Erste'?“ Es kam mir dann doch etwas komisch vor. Und in meinem Hinterkopf baute sich auch schon eine Szene aus einer x-beliebigen Schnulze auf, bei der sich die Figuren schworen, dass alles geklärt wäre und so etwas nie wieder passieren würde, sie sich dann aber mit 236-prozentiger Wahrscheinlichkeit am Ende doch noch kriegen würden. So ein Käse! Dass diese Abmachungen sowieso nie etwas taugten, hatte ich außerdem schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Da klärst du die Leute ehrlicherweise auf, dass es sowieso nichts Längerfristiges wird, sie sagen dir, dass das klar geht, und am Ende kleben sie dir trotzdem am Arsch und jammern dich voll, wie sehr sie dich lieben würden. Und spätestens dann ist es Zeit, sich den Nächsten oder die Nächste zu suchen. „Es heißt eben, was es heißt“, gab Gackt schulterzuckend zurück und nippte an seinem Kaffee, nur um dann scheinbar festzustellen, dass er noch zu heiß war – zumindest sagte sein Gesicht das. Und hätte ich an das Schicksal geglaubt, hätte ich jetzt gesagt, dass das sicher ein Zeichen war und oh so schrecklich. Kompletter Mumpitz! Gackt jedenfalls atmete mit leicht geöffneten Lippen ein paar Mal ein und wieder aus, um seine Zunge zu kühlen, ehe er dann seinerseits zu einer Erklärung ansetzte: „Ich sag doch, mach dir keinen Kopf-“ „Wenn jetzt kommt, dass schon alles gut wird, schwör ich dir, dass ich dir wieder eine reinhaue“, machte ich ihm allerdings klar, bevor er noch auf die Idee kam, irgendwelchen Blödsinn von sich zu geben, „du weißt, dass ich das drauf hab.“ „Ja, schon klar“, entgegnete er augenrollend und fuhr fort, „nein, ich wollte sagen, dass es doch keinen interessiert. Wir hatten Sex. Na und? Es könnte wieder passieren. Na u-“ In dem Moment verpasste ich ihm einen Schlag gegen den Oberschenkel. „Autsch!“ „Ach, sei nicht so ein Weichei. Und ich hab doch gesagt, dass ich so einen Scheiß nicht hören will. Gott, bist du beschränkt!“, warf ich ihm an den Kopf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das hier doch auf so ein Gespräch hinauslief. „Sex und Punkt.“ „Okay“, kommentierte Gackt darauf und zuckte erneut mit den Schultern, „aber eins ist schon erstaunlich.“ „Und das wäre?“ „Du hast noch nicht einen Schritt aus dem Bett gemacht und bist schon mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ „Ach, leck mich doch.“ „Kannst du haben.“ Dann hing er auch schon wieder halb über mir, zwischen uns nur noch unsere Kaffeetassen, legte den Kopf schief und leckte mir tatsächlich am Kinn entlang. Und er krönte das Ganze damit, dass er mir ins Ohr biss – so wie er es letzte Nacht auch schon getan hatte. „Du riechst immer noch danach.“ „Nach was?“ „Platinum Egoiste, das Parfüm, das ich benutze. Und Sex.“ „Haha“, lachte ich lustlos auf, „ich war noch nicht duschen. Außerdem benutzt du verdammt viel von dem Zeug, hat dir das schon mal jemand gesagt?“ „Die Weiber stehen drauf.“ „Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Ich würde es dir zu gerne beweisen, aber ich führe nicht Buch über alle, mit denen ich schlafe.“ „Zu schade, es hätte mich so wahnsinnig interessiert!“, spöttelte ich mit viel Ironie, nahm nun auch einen Schluck von meinem Kaffee – einen großen, weil er weit genug abgekühlt war – und stellte die Tasse dann auf das Tablett zurück. Anschließend schob ich die Decke zur Seite und stand auf, um mich ins Bad zu begeben. Ich störte mich dabei nicht daran, dass ich nichts am Leib hatte – Gackt hatte mich schließlich schon so gesehen und selbst wenn nicht, wäre da nichts gewesen, was ich hätte verstecken müssen. Ich sah eben gut aus! Ich nahm mir ein frisches Handtuch aus dem Schrank und verließ dann wortlos das Zimmer, um ins Bad zu gehen und mir endlich eine Dusche zu gönnen. Ich war zwar nicht mehr verschwitzt und wirklich schmutzig fühlte ich mich auch nicht, aber ich wusste, dass ich vor ein paar Stunden definitiv noch verschmutzt und verschwitzt gewesen war. Und ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass meine Haare in alle möglichen Richtungen abstanden. Da konnte ich ja fast von Glück reden, dass Gackt mich nicht gleich ausgelacht hatte. Obwohl ich sowieso gleich unter die Dusche steigen würde, strich ich das Kraut auf meinem Kopf ein bisschen glatt, hielt es mir am Hinterkopf zusammen und streckte meinem Spiegelbild die Zunge heraus. Gott, sah ich müde aus, noch schlimmer als ich mich fühlte. Und dann fielen sie mir auf: Meine Schultern und Oberarme waren voller blauer Flecke. Ich ließ meine Haare los und betastete stattdessen meine Haut, drückte sachte auf die Stellen. Und je weiter ich meine Fingerspitzen wandern ließ, desto mehr Spuren der gestrigen Nacht entdeckte ich. Denn es blieb nicht nur bei blauen Flecken, sondern ich entdeckte auch rote Striemen und leichte Kratzer. Sie waren über meinen halben Rücken verteilt, was ich natürlich erst sah, als ich mich umdrehte und bei einem Blick über die Schulter hinweg im Spiegel sah. Fuck! Das war mein erster Gedanke, als ich das ganze Ausmaß erfasst hatte. „Gackt!“, war der erste (geschriene) Kommentar dazu. Ungeduscht stürmte ich wieder aus dem Bad und ins Schlafzimmer, wo er – der Übeltäter – noch immer auf dem Bett lag und mittlerweile in dem Roman blätterte, der ursprünglich auf meinem Nachttisch gelegen hatte. „Bist ja schon wieder da“, meinte er, ohne dabei aufzublicken, als er merkte, dass ich das Zimmer wieder betreten hatte, „ich hab mich grad umgesehen; ich wusste gar nicht, dass du-“ „Klappe!“, schnauzte ich ihn an und entriss ihm das Buch, um es quer durch den Raum zu pfeffern, „du schuldest mir 100.000 Tacken!“ „Was? Wieso?“, fragte er sichtlich verwirrt und sah mich nun auch an. „Na deswegen!“ Ich deutete auf meine Oberarme und Schultern und drehte mich dann um, um ihm meinen nackten Rücken zu präsentieren. „Und deswegen auch!“ „Oh.“ Kam es nur zurück. „Oh? 'Oh' ist gut“, informierte ich ihn in sarkastischem Ton. „Dir ist aber schon klar, dass es für mich vollkommen inakzeptabel ist, so zerkratzt bei jemandem aufzukreuzen?“ „Dann lässt du es eben mal für ein paar Tage. Das ist bald wieder weg.“ „Du kapierst es einfach nicht.“ Ich schüttelte den Kopf und blickte ihn finster an. „Nicht wirklich. Und zu deiner Information: Ich sehe genauso aus.“ Zum Beweise zog er seinen Kragen beiseite und entblößte seine Schulter, auf der ich tatsächlich Kratzspuren und halbmondförmige Abdrücke erkennen konnte. Damit nahm er mir erst einmal den Wind aus den Segeln. „Oh.“ „Jep, 'oh' ist gut. Es wundert mich ja sowieso, dass du nicht permanent so aussiehst, wo du doch ständig mit irgendwem ins Bett gehst.“ „Dazu gibt es Regeln“, antwortete ich knapp und setzte mich erst einmal neben ihm auf die Bettkante, ehe ich fortfuhr, „kein Kratzen, kein Beißen, keine Knutschflecke oder sonst irgendwas, was noch länger zu sehen ist. Und für irgendwelche perversen Dinge muss man schon extrem nett zu mir sein, damit ich das mitmache.“ „Na, gut, dass ich das hinterher erfahren habe. Sonst könntest du wirklich noch so viel Kohle von mir verlangen“, war scheinbar das Einzige, was ihm dazu einfiel. Es amüsierte ihn sichtlich, während ich das Kinn in den Händen und die Ellenbogen auf meinen Knien abstützte und ihm feindselige Blicke zuwarf. Mein Hirn ratterte, ich hatte es schließlich ernst gemeint: So konnte ich mich nirgendwo nackt zeigen. Und dass ich das tat, wenn ich mich mit einem meiner Gönner traf, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber wenn ich mich nicht mit ihnen treffen konnte, musste ich alleine versauern – und zusehen, was ich derweil anstellte, weil ich tatsächlich dumm genug gewesen war, meine Regeln gestern Abend mit keinem Sterbenswörtchen zu erwähnen. Ach, das war doch alles scheiße! „Hey“, sagte Gackt dann nach einer Weile und stupste mich mit dem Knie an, weil er mich sonst nicht erreichen konnte, „Kohle wirst du zwar von mir keine sehen, aber ich kann dir helfen, über die Runden zu kommen, bis alles verheilt ist.“ Ich schnaubte und schielte ihn aus den Augenwinkeln an: „Almosen … ich brauch keine Almosen. Als ob es hier ums Geld gehen würde …“ „Worum dann?“, hakte Gackt nach und beugte sich etwas vor. „Darum, dass ich nirgendwo hingehen kann, weil ich nahezu überall Gefahr laufe, jemanden zu treffen, und dann möglicherweise rauskommt, was ich so treibe. Und wenn sich das rumspricht hab ich wirklich ein Problem.“ „Ich könnte mir frei n-“ „Nee, nee, lass mal. Damit fangen wir erst gar nicht an“, wimmelte ich ihn ab und erstickte sein Angebot schon im Keim, bevor er es überhaupt komplett ausgesprochen hatte. „Ganz davon abgesehen, dass ich gar keinen Bock drauf hab, so lange mit dir auf einem Fleck zu hocken.“ „Gestern Abend?“, erinnerte er mich. „Gestern Abend war lustig, aber nichts, was ich ständig brauche. Oder wollen würde.“ „Würdest du wenigstens einwilligen, nachher mit mir zu essen?“ Ich seufzte. Gott, war der anstrengend, wenn er bei klarem Verstand war und nicht gerade dabei, mich flachzulegen oder sich von mir flachlegen zu lassen. „Ich meine nicht 'essen gehen', sondern essen. Ich mache ein echt gutes Chili“, fügte Gackt jedoch an, als ich eben den Mund aufmachen wollte. „Chili? Du kannst kochen?“, ich hob eine Augenbraue und sah ihn leicht pikiert an. „Ja, was denkst du denn?“, lautete die fast schon entrüstete Antwort, „wenn du ausziehst, musst du dich irgendwie versorgen können. Bei dir mag das anders gelaufen sein, aber ich hab gelernt, wie ich das alles selbst hinkriege. Also, Chili bei mir oder willst du dich hier mit deinen Cornflakes vergnügen?“ Ich wog meine Möglichkeiten ab. Zwar bevorzugte ich noch immer die japanische Küche, aber auf der anderen Seite hatte ich wirklich keine Lust, mich irgendwo sehen zu lassen und noch jemandem über den Weg zu laufen. Die Alternativen wären Cornflakes und Süßigkeiten, Lieferservice oder eben Gackts Angebot. Mir selbst etwas zu kochen fiel von vornherein aus, da das nicht viel werden würde. Und dann kam noch ein schwerwiegendes Argument dazu: Mein knurrender Magen. „Hast gewonnen“, willigte ich schließlich ein, Gackts Grinsen im Augenwinkel sehend. Leugnen konnte ich nun schlecht und etwas Warmes im Bauch war ja auch nicht schlecht. „Na, dann geh duschen und sieh zu, dass du in deine Klamotten kommst. Wir müssen noch einkaufen gehen“, sagte er und lehnte sich wieder zurück, die Arme hinter dem Kopf verschränkend. Ich bekam so langsam das Gefühl, dass es ihm unheimlichen Spaß machte, mich durch die Gegend zu scheuchen. Und seit letzter Nacht schien er auch der Meinung zu sein, dass er sich das herausnehmen durfte, ohne dass ich etwas dagegen einzuwenden hatte. Aber da hatte er sich gewaltig geschnitten! Ich präsentierte ihm ein schelmisches Grinsen, von dem ich wusste, dass absolut jeder darauf flog, und rückte nun meinerseits näher an ihn heran, bis ich fast auf seinem Schoß saß. Einen samtenen Unterton anschlagend, säuselte ich ihm ins Ohr: „Hm~ haben wir es denn wirklich so eilig? Wir können doch … noch ein wenig hier bleiben und den Augenblick nutzen. Schließlich … bin ich nackt und dich kriegen wir sicherlich auch sofort wieder ausgezogen. Na?“ Während ich ihm all dies einflüsterte, wanderte meine Hand langsam an der Innenseite seines Oberschenkels hinauf und bis in seinen Schritt. Ich brauchte nur ein paar Mal darüberzustreichen und ein bisschen fester zuzupacken und konnte schon die erste kleine Reaktion spüren. Kein Wunder, dass er gestern Abend so schnell schon wieder fit für die zweite und dritte Runde gewesen war, wenn der Kerl auf so was schon ansprang. „Hast wohl immer noch nicht genug bekommen?“, raunte Gackt mir seinerseits zu und schlang einen Arm um meine Taille. Gleichzeitig drehte er den Kopf, wohl in der Absicht, meine Lippen zu erwischen. Aber ich ließ ihn nicht, sondern senkte den Kopf und blickte demonstrativ zu der Beule hinunter, die mit jedem Moment, der verstrich, größer und härter wurde. Hm …“, machte ich schließlich, als ich zufrieden war, und sah Gackt wieder direkt an, „doch, eigentlich schon.“ Und dann ließ ich komplett von ihm ab, wand mich aus seiner Umarmung heraus und stieg aus dem Bett. „Huh?“, fragte er reichlich verwundert, was haargenau meine Absicht traf. „Auch wenn es vielleicht so rüberkommt, aber ich muss nicht ständig Sex haben. Und jetzt geh ich duschen. Bis gleich“, erklärte ich ihm und warf ihm grinsend noch einen Luftkuss zu, ehe ich mich letztendlich doch ins Bad begab und mir meine Dusche gönnte. Wenn ich es recht bedachte, war der Morgen doch nicht ganz so schlimm wie erwartet. * „Ich dachte, wir wollten bloß Chili machen. Was hast du dafür alles kaufen müssen?“, fragte ich nicht allzu gut gelaunt, während ich hinter Gackt die Treppe zu seiner Wohnung – welche ganz oben im sechsten Stock lag! – nach oben stieg und dabei eine große Einkaufstüte schleppte. Gackt trug die andere und hatte sich noch eine Kühltasche unter den Arm geklemmt. „Wocheneinkauf“, lautete die schlichte Begründung, „von irgendwas muss ich schließlich auch leben.“ „Musst du wohl.“ „Und ich esse nicht ständig auswärts.“ „Ja ja, ich hab's kapiert“, schlug ich sein Argument beiseite. „Sind wir schon oben?“ „Nur eine Treppe noch“, sagte Gackt zwar gut gelaunt, aber ich konnte eindeutig hören, dass er ein bisschen schnaufte. Was zog er aber auch in so einen Wohncontainer, der noch nicht mal einen Aufzug besaß? Weiter ließ er sich aber nichts anmerken, sondern fischte den Schlüssel aus seiner Hosentasche, um gleich aufschließen zu können, kaum, dass wird vor der Tür seiner Wohnung standen. „Übrigens: Erwarte nicht zu viel. Anderthalb Zimmer, Küche, Bad und Flur, mehr hab ich nicht.“ „Wenn du mir jetzt noch sagst, wie du auf das halbe Zimmer kommst, versprech ich dir, nicht zu lachen.“ „Wirst du gleich selber sehen. Nach Ihnen, mein Herr!“ Damit trat Gackt zur Seite und deutete eine sehr leichte Verbeugung an. Vermutlich wäre ihm sonst noch alles aus den Händen gefallen und wir hätten mal was zum Essen gehabt. Ich ging jedenfalls an ihm vorbei und sah mich auch schon in dem Ding, das er wohl als 'Flur' bezeichnete, gefangen. Ein paar Haken an der Wand und ein kleine kleine Matte für die Schuhe, mehr passte hier kaum rein. Ja, es mochte sich übertrieben und ein bisschen arrogant anhören, aber als Gackt dann auch noch reinkam und hinter sich die Tür schloss, bekam ich den direkten Beweis, dass es doch nicht so weit hergeholt war, denn um die Tür zuzumachen, musste er mich bis fast zum Ende des Flurs schieben, sonst hätte er sie glatt blockiert. Während ich mir umständlich die Schuhe von den Füßen streifte – ich hatte weder eine Hand frei noch sonderlich viel Platz – bemerkte ich, dass die Wohnungstür die einzige war, die aus massivem Holz bestand. Die drei Türen, die nach links, rechts und geradeaus gingen waren traditionelle japanische Schiebetüren aus billigen, schmalen Holzleisten und mit schlichtem, weißem Papier bespannt. „Das ist nicht dein Ernst“, entkam es mir leise. Und obwohl ich es eher für mich gemurmelt hatte, gab Gackt natürlich trotzdem seinen Kommentar dazu ab, als er wohl gemerkt hatte, was ich da gerade anstarrte. „Ich finde, es hat Stil.“ „So kann man es sich natürlich auch schönreden“, war meine Meinung dazu. „Und wo soll jetzt die Tüte hin?“ „Rechts ist mein Schlafzimmer, geradeaus das Bad und wir müssen links rein. Hier vorne neben dem Eingang ist übrigens noch eine Nische für den Putzkram.“ „Und wozu sagst du mir das?“ „Weil wir die Führung durch mein Reich damit gleich erledigt hätten“, entgegnete mein Gegenüber grinsend, „und weil in deiner Tüte Flüssigwaschmittel ist und du es dann gleich an seinen Platz räumen kannst.“ „Und wieso denkst du, dass ich das machen würde?“, fragte ich darauf. „Ich koche gleich“, sagte Gackt. „Wärst du bitte so nett? Ich kann auch nicht alles auf einmal tun.“ Meine Reaktion ließ ein paar Sekunden auf sich warten, ehe ich aber doch einwilligte. Ich konnte ja mal so freundlich sein. Außerdem hatte ich auch schon seit einer ganzen Weile Hunger und wenn Gackt erst noch die Einkäufe auspacken musste, würde er natürlich erst später mit dem Kochen anfangen können und es würde sich alles noch weiter hinauszögern und so weiter und so fort. Ansonsten würde mir das wohl auch nie in den Sinn kommen. Ich schob schließlich die Schiebetür auf der linken Seite auf und betrat den Raum, der dahinter lag. Und sah im gleichen Moment, was Gackt mit dem halben Zimmer meinte: Ich stand nämlich gerade sowohl im Wohnzimmer – jedenfalls sahen das Sofa, der Couchtisch, der Fernseher und die beiden Regale danach aus – als auch in der Küche, die durch einen Tisch mit vier Stühlen dran vom Rest des Raumes getrennt war. Auf selbigem stellte ich die Tüte ab und warf dann noch einen Blick durch das Zimmer. Aber eigentlich hätte ich den gar nicht gebraucht, weil alles wirklich so winzig und eng war, dass der erste bereits vollkommen ausgereicht hatte, um alles zu erfassen. „Hyde“, machte Gackt dann auf sich aufmerksam. „Hm?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um. Er hatte auch seine Tüte und die Kühltasche auf dem Tisch abgelegt und wusch sich gerade in der Spüle die Hände. „Packst du dann aus?“ „Hm.“ Damit machte ich mich ans Werk – so lange würde es ja hoffentlich nicht dauern. Einiges brauchten wir ja ohnehin für das Essen und das musste ich dann ja nicht verstauen. Ich sortierte also erst einmal all das aus, was nach Zutaten für ein Chili aussah, legte dann das Obst in die dafür vorgesehene Schale, die sichtbar auf dem Couchtisch stand, räumte das Gemüse und die ganzen anderen Nahrungsmittel in den Kühlschrank und danach waren nur noch das Waschmittel, Zahnpasta, Wattestäbchen, Duschgel und vier Getränkeflaschen übrig. Die Hygieneartikel brachte Gackt dann doch selbst ins Bad, während ich den Rest irgendwo in der Nische verstauen sollte, die er mir gezeigt hatte. Um nicht zig Mal hin- und hergehen zu müssen, nahm ich gleich alles mit, wurde dafür aber bestraft, als mir das Waschmittel unterwegs prompt auf die Füße fiel. „Autsch!“, fluchte ich und versetzte der Flasche, die zum Glück nicht auch noch aufgegangen war, einen Tritt, der sie direkt vor die Wohnungstür neben der Nische schlittern ließ. Die Nische selbst war nur durch einen Vorhang vom Flur abgetrennt. Den öffnete ich dann umständlich – Wieso hatte ich doch gleich alles mitgenommen? – und erblickte neben einem zusammenklappbaren Wäscheständer, einem Mopp und sonstigen Putzmitteln unter anderem auch ein ziemlich modern aussehendes Mountainbike – wie auch immer er es hier reinbekommen hatte –, Inline Skates und ein Snowboard. Ein bisschen beeindruckt zog ich die Augenbrauen zur nach oben, ehe ich die Flaschen sicher auf dem Boden absetzte und auch das Waschmittel neben den Putzeimer stellte. Dann schob ich den Vorhang wieder zu und kehrte in die Wohnzimmerküche zurück, wo Gackt am Tisch saß und – wie es aussah – Zwiebeln schnitt. „Du hast ein Snowboard“, sagte ich feststellend und ließ mich auf die Couch fallen. „Ja, hab ich“, bestätigte mir dieser unnötigerweise, „ich sagte doch, dass ich Sport mag. Ist was damit?“ „Ach, stimmt ja“, fiel mir dazu nur ein, als mir dieser Umstand wieder in den Sinn kam, „kannst du damit fahren?“ Er lachte kurz auf, wischte sich mit dem Ärmeln kurz übe die Augen und antwortete dann: „Natürlich! Denkst du, ich kaufe mir ein Snowboard, um es dann verstauben zu lassen?“ „Na ja, ich hab auch eins, kann aber nicht fahren.“ „Wieso hast du es dann?“ „Wochenendurlaub auf Hokkaido. Die Frau, mit der ich damals zusammen war, hat mich eingeladen und weil mir Skifahren zu langweilig war, wollte ich es mit dem Snowboard versuchen. Hat aber nicht geklappt und jetzt steht es rum.“ „Du hättest es dir ja auch leihen können, anstatt es gleich zu kaufen.“ „Ach, red keinen Blödsinn“, klärte ich ihn gleich auf, „ich kauf mir so was doch nicht selbst. Sie hat es mir spendiert. Aber eigentlich hätte ich es mittlerweile auch mal verkaufen können. Bringt sicherlich gutes Geld ein.“ „Ich kann dir auch zeigen, wie es geht“, bot Gackt mir darauf gleich an. Und ich grinste. „Wenn du den Rest des Urlaubs auch bezahlst?“ „Ich fürchte, dass daraus nichts wird“, teilte Gackt mir mit einer gespielt traurigen Miene mit. „Ich bin untröstlich!“ „War mir klar.“ „Was macht das Essen?“, wechselte ich dann auch gleich das Thema. Mir war schließlich auch klar gewesen, dass er sich als Barkeeper einen Urlaub nicht leisten konnte. Und erst recht nicht, wenn er mich mitnahm, das konnte selbst ich nicht leugnen. „Dauert noch etwas, hab schließlich grade erst angefangen“, informierte Gackt mich, während er vom Tisch aufstand, um die Zwiebeln in einen großen Topf auf dem Herd zu schütten, „du kannst zwischendurch was lesen. Oder mir helfen.“ „Ich ziehe das Buch vor.“ „Wie du willst.“ Er zuckte noch mit den Schultern, wohl als Zeichen, dass es ihm tatsächlich nichts ausmachte, wenn er alles allein machte. Mir war es sowieso egal, also stand ich auf und ging hinüber zu seinen Regalen, um sie mir jetzt näher anzusehen. Sie waren nur halbvoll und es stand auch alles durcheinander. Da waren ein paar Bücher und Mangas – nicht viele und eigentlich nur bekannte – relativ viele CDs und DVDs, etwas, was nach einem Fotoalbum aussah, und im untersten Fach eine Kiste, die sich als wahrer Schatz entpuppte. „Gackt!“, rief ich, unbeabsichtigt laut und aufgeregt. „Ja?“ „Du hast einen PlayCube 360! Und The Anthea Chronicles!“ „Und?“ Ich erstarrte, als ich dieses relativ gleichgültige Wort aus seinem Mund hörte. „Und? Und?!“, fragte ich bestürzt und sah ihn auch genau so an. „Das ist das tollste Spiel überhaupt und dich juckt es nicht. Wo hast du das alles überhaupt her? Und wieso vergammelt es in einer Kiste?“ „Von einem Kumpel bekommen, als der ausgemistet hat. Ich hab es mal ausprobiert, bin aber nicht sehr weit gekommen – deshalb ist es in der Kiste.“ „Ausmisten“, wiederholte ich, noch immer vollkommen verständnislos und den Kopf schüttelnd. „Ich schließ es an den Fernseher an. Okay? Hey, Gackt?!“ „Tu, was du nicht lassen kannst“, erwiderte er lachend. Ob er mich oder mein Verhalten oder was auch immer auslachte oder sich nur über irgendwas freute, war mir im Moment so dermaßen egal – ich hatte hier eine Kopie meines absoluten Lieblingsspiels in der Hand, die auch noch extrem gut erhalten zu sein schien. Schnell steckte ich die Kabel an Gackts Fernseher an, legte die Disk in die Konsole und startete das Spiel. Und dann wartete ich und wartete und wartete, dass der Ladebildschirm endlich wegging und mich das Spiel starten ließ. Und dann war es so weit: Die Titelmelodie erklang, das Intro lief an und ich konnte spüren, wie sich auf meinen Lippen ein seliges Lächeln ausbreitete. The Anthea Chronicles! TAC! Nach so vielen Jahren durfte ich es endlich wieder einmal spielen, die Reise antreten, die Abenteuer erleben und der wundervollen Geschichte beiwohnen. Oh, wie ich es vermisst hatte! Binnen Minuten war ich wieder vollkommen drin und merkte, dass ich seit damals, seit ich ein Teenager gewesen war, rein gar nichts vergessen hatte – ich konnte das Spiel noch immer auswendig, jeden Kniff, jeden Trick und jeden noch so kleinen Bonus. Es schlug mich so sehr in seinen Bann, dass ich es noch nicht einmal mitbekam, als Gackt mir eine gute halbe Stunde später sagte, dass das Essen fertig war und ich an den Tisch kommen sollte. Selbst meinen Hunger hatte ich vergessen. Gackt musste mich erst an der Schulter rütteln, ehe ich auf Pause drückte und ihm wieder zumindest einen Teil meiner Aufmerksamkeit schenken konnte. Und selbst als ich am Tisch saß, vor mir einen dampfenden Teller voller Chili (welches im Grunde ziemlich gut schmeckte, mich im Moment aber einfach gar nicht beeindrucken konnte), war ich noch immer voll im TAC-Fieber. Ich erzählte Gackt von allem, was mich an diesem Spiel reizte – also fast das ganze Spiel – und vergaß darüber hinaus vollkommen das Essen. So hatte ich gerade ein paar Löffel genommen, als er seinen Teller bereits komplett geleert und sich einen kleinen Nachschlag genommen hatte. Aber ich schien ihn auch nicht zu langweilen. Er hörte mir aufmerksam zu, stellte Fragen und ich konnte mich irren, aber ich meinte, einen gewissen Glanz in seinen Augen zu sehen. Das war die erste Begeisterung für TAC, schoss es mir sofort durch den Kopf und freute mich noch mehr. Endlich jemand, mit dem ich diese wunderbare Welt teilen konnte. Früher war ich so ziemlich der einzige gewesen, der TAC gemocht hatte, meine Freunde waren immer viel zu sehr mit Rennspielen, Shootern und Beat'em'ups beschäftigt gewesen – Zeug, was mich nicht im Geringsten begeistern konnte. „Und wieso hast du das Spiel nicht selbst?“, fragte Gackt mich dann, als er auch seinen Nachschlag aufgegessen und den leeren Teller in die Spüle geräumt hatte. Durch mein vieles Gerede – oder eher: Geschwärme – war ich noch immer nicht mit Essen fertig. Das war auch schon immer so gewesen: Wenn ich so richtig in Zockerlaune war, dann vergaß ich sogar das Essen. „Ich hatte es mal“, antwortete ich, „ aber dann sind wir umgezogen und irgendwie ist es dabei wohl verlorengegangen. Ich war stinksauer auf meine Familie, weil sie nicht besser aufgepasst haben. Und ich hab bereut, dass ich ausgerechnet TAC nicht selbst verstaut und wieder eingeräumt habe. Seitdem bin ich leider nie wieder an eine wirklich gut erhaltene Kopie gekommen. Deine ist großartig, keine Kratzer, nichts.“ „Ich war auch immer eher der Jump'n'Run-Typ“, gab Gackt darauf zu, „und der Freund, von dem ich es habe, ist auch eher so wie deine Kumpels.“ „Dann wird es Zeit, dass du TAC mal durch einen Profi kennenlernst!“, legte ich einfach so fest, „ich esse noch schnell auf und dann fangen wir nochmal von vorne an.“ „Das wird leider nicht gehen“, wandte Gackt allerdings ein. „Wieso nicht?“ „Weil ich in einer Stunde zur Arbeit muss.“ „Oh.“ Das hatte ich nicht bedacht. Eine Stunde … in der Zeit schaffte man nicht viel. Und es hieß auch, dass ich in einer Stunde gehen musste. „Uhm … okay. Dann, danke, dass ich eine Runde spielen durfte.“ „Willst du nicht mehr?“ „Natürlich will ich, aber man brauch schon viel Zeit, weil es unheimlich schwer ist, wieder aufzuhören. Man will immer noch was und noch was erledigen. Und eine Stunde ist da eben zu kurz.“ „Also, wenn du möchtest, kannst du hierbleiben und weiterspielen“, bot er mir an und grinste gleich darauf. Ich musste ihn wohl anstarren wie ein Mondkalb, denn so fühlte ich mich im Moment. „Nicht dein Ernst!“, platzte es mir heraus. „Klar, wieso nicht? Solange du meine Wohnung heil lässt.“ „Keine Sorge, ich werd nichts kaputtmachen. Nur der Fernseher, die Konsole und ich – das wird ein Fest.“ Ich strahlte bestimmt übers ganze Gesicht. Das hatte ich immer getan, wenn ich TAC spielen konnte. Und jetzt hatte ich die offizielle Erlaubnis, mir die ganze Nacht um die Ohren zu hauen und zu zocken. „Wieso hört sich das aus deinem Mund nur so nicht-jugendfrei an?“ „Ach, halt- …“, ich brach ab. Unbewusst wäre es mir fast entfleucht und fast ebenso unbewusst hatte ich mich mitten im Satz gestoppt. „Ja?“, hakte Gackt nach. „Nichts“, sagte ich nur, schlang schnell die letzten paar Löffel Chili hinunter und hechtete dann zur Couch, wo noch immer der Controller lag. Gackts „Wenigstens macht es dich wirklich glücklich“ nahm ich dann auch nur noch mit halbem Ohr wahr, weil ich schon fast wieder im Phantasieland Anthea war. Und dort blieb ich auch für die nächsten Stunden. So ziemlich alles ging an mir vorbei: Dass Gackt das Geschirr abspülte und die Küche saubermachte, dass er sich umzog und dabei zeitweise nur mit einem Paar Shorts und einem Hemd bekleidet neben mir herumlief, und auch dass er die halbe Wohnung in eine Wolke seines Parfums hüllte. Letzteres sorgte dann dafür, dass mich fast der Schlag traf, als ich später einmal ins Bad musste. Dabei fiel mir dann auch das erste Mal richtig auf, dass ich allein in der Wohnung war, denn ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, eine Verabschiedung gehört zu haben. Und … ich weiß nicht … irgendwie gefiel es mir nicht, dass ich es verpasst hatte. Wenn er sich denn überhaupt verabschiedet hatte und nicht einfach ohne ein Wort gegangen war. Vielleicht hatte er es ja versucht und ich war wie immer, wenn ich am Zocken war, nur nicht … ach Quatsch! Wenn ihm wirklich etwas daran gelegen hätte, dann wäre er doch hartnäckiger geblieben – er war doch sonst so eine Nervensäge, die keine Ruhe gab, ehe sie nicht hatte, was sie wissen wollte. Also, alles in Butter! Ich brauchte erst gar nicht anzufangen, so was wie ein schlechtes Gewissen zu entwickeln und konnte mich wieder – okay, okay: fast – ohne irgendwelche nagenden Gedanken im Hinterkopf an die Konsole setzen und weiterspielen. Ich spielte und spielte, ein Dungeon und noch einen und noch einen und zwischendurch ein paar Miniaufgaben, um meine Figuren aufzuleveln und mein Equipment zu verbessern und einfach nur ein bisschen Zeit in Anthea zu vertrödeln. Und dann ging es weiter im Storyverlauf. Bis weit in die Nacht hinein saß ich vor dem Fernseher. Bis ich merkte, dass mir die Augen doch ziemlich schwer wurden, und ich mich vor der schlimmsten Entscheidung in so einer Situation sah: Aufhören und schlafen oder weiterspielen, weil es einfach so toll ist? Und schließlich spielte ich sogar, bis Gackt wieder nach Hause kam. Ich schreckte ein wenig zusammen, als die Schiebetür ratternd aufging, da ich gerade auf dem Rückweg von einem Sidequest zur Hauptstadt Antheas war. Ziemlich langweilige Angelegenheit, bei der ich einfach nur dafür sorgen musste, dass ich den Analogstick nach vorn drückte und meine Figur laufen ließ. Aber um ehrlich zu sein, wäre ich vielleicht sogar eingeschlafen, wenn Gackt nicht aufgetaucht wäre. „Du sitzt ja immer noch davor“, stellte er fest und kam zu mir herüber. „Ist es denn wirklich so gut?“ „Klar“, bestätigte ich ihm und rieb mir über die Augen, „solltest du unbedingt auch mal ausprobieren.“ „Hab ich ja schon. Bin nicht weit gekommen.“ „Du bist bestimmt an diesem Voodoo-Kerl gescheitert. Der ist tatsächlich blöd, wenn du nicht stark genug bist oder weißt, wie du ihn anpacken musste“, erklärte ich Gackt einfach, ohne dass er gefragt hatte. Dabei sah ich Gackt an, meinen Kopf mit der Hand und den Ellenbogen auf meinem Oberschenkel abstützend und wahrscheinlich ein bisschen müde, aber glücklich lächelnd. Ich war müde und redete über mein Lieblingsspiel – eigentlich neigte ich bei TAC ja schon zu total untypischem Verhalten, wenn ich bei vollem Verstand war, aber müde war ich noch schlimmer. Das hatte mir zumindest meine Mutter immer gesagt. Und es schien zu stimmen, denn Gackts Blick und Grinsen schrien förmlich nach „Du machst dich gerade total zum Idioten, weißt du das eigentlich?“, als er sich neben mich setzte und einen leichten Geruch von Alkohol, Rauch und Parfüm verströmte. „Ich kann mich nicht mehr dran erinnern“, meinte er stattdessen und sah dann zu, wie auf dem Bildschirm die Landschaft an meiner Figur vorbeizog. „Willst du noch lange spielen?“ „Wieso? Soll ich gehen?“, stellte ich ihm jedoch als Gegenfrage und gähnte. „Jep. Und zwar ins Bett.“ Zwar grummelte ich leise, willigte aber ein. Ich musste wirklich ins Bett, sonst fielen mir noch vor dem Fernseher die Augen zu. „Ich ruf mir ein Taxi … gleich … ich geh noch speichern und mach dann aus.“ „Ich hab damit nicht gemeint, dass du nach Hause gehen sollst“, kam es allerdings zurück. „Ich schick dich doch um fast vier Uhr morgens nicht mehr los.“ „Oh …“ Ich wusste ehrlich nicht, was ich darauf sagen sollte. Mein Kopf war langsam geworden vom vielen Zocken oder eher Auf-den-Bildschirm-starren. Und weil ich letzte Nacht schon nicht zu viel Schlaf bekommen hatte. Ich war nun mal eine Schlafmütze und brauchte meine zehn Stunden und wenn es abends spät wurde, dann musste ich es eigentlich am Tag nachholen, aber heute … Und daher fiel es mir erstaunlich einfach, zu fragen: „Und wo quartierst du mich ein?“ „Auf dem Gästefuton“, antwortete Gackt prompt, stand auf und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen. „Ich mach ihn fertig, komm dann einfach nach.“ „Hm.“ Ich tat, was ich ihm gesagt hatte, speicherte ab und machte das Spiel schließlich aus. Vielleicht würde ich es irgendwann mal weiterspielen können, wenn ich mal wieder hier sein sollte. Oder auch nicht, denn ich konnte im Moment keine Situation benennen, die mich noch einmal in diese Wohnung bringen würde. Dann verließ auch ich das Zimmer, um zu sehen, wo Gackt mit dem Futon blieb. Allerdings erübrigte sich die Frage, als ich sein Schlafzimmer betrat und sah, dass er ihn dort gerade herrichtete. Direkt neben einem zweiten Futon. „Du hast kein Bett?“, fragte ich überrascht. „Nein“, lautete die schlichte Antwort, während er sich erhob und zu einem hohen, schmalen Schrank ging, um dort etwas herauszunehmen. Als ich mich umsah merkte ich, dass dieses Zimmer – ebenso wie das Wohnzimmer und das Bad – sehr karg eingerichtet war. Es gab eigentlich nur die Futons, den Schrank, eine kleine Nachttischlampe auf dem Boden direkt neben Gackts Futon, ein Fenster, darunter eine Kommode und … und einen Sitzsack, der einsam in einer Ecke stand. „Bitte“, sprach Gackt mich dann wieder an und hielt mir etwas entgegen, „für die Nacht.“ Es war ein langes, einfaches Hemd von ihm und so wie es aussah, als ich es entfaltete, würde es mir sicherlich viel zu groß sein. Im Grunde hätte ich auch gar keinen Pyjama oder etwas in der Art gebraucht – zu Hause schlief ich nackt und Gackt hatte mich auch schon so gesehen – allerdings machte es mir aus nichts aus, mir etwas überzuziehen. Also warum die Geste ausschlagen? Gackt war schließlich nur höflich. Zehn Minuten später lagen wir bei ausgeschaltetem Licht in unseren Futons. Gackt war noch schnell unter die Dusche gesprungen und hatte seine Klamotten gleich in den Wäschekorb im Bad verbannt, damit 'morgen nicht die ganze Wohnung danach stinkt', wie er gesagt hatte. Ich hatte mich währenddessen in das Hemd geworfen – wie erwartet, war es mir gehörig zu groß – und war nur damit und mit Shorts bekleidet unter die Decke gekrochen. Ich war eigentlich auch schon halb eingeschlafen, als Gackt die Stimme erhob: „Ich hätte ja nicht gedacht, dass du so verrückt nach Videospielen bist.“ Ich lächelte und öffnete die Augen, sah allerdings nur die Umrisse von Gackts Körper. „Ich bin eben doch nicht so oberflächlich.“ „Das war mir vorher schon klar. Aber so wie du vor dem Spiel gesessen, das war richtig niedlich.“ „Ich werd noch richtig rot, wenn du das sagst“, wandte ich ein, mit einem Lachen in der Stimme, das keiner überhören konnte. Und Gackt enttäuschte mich in diesem Punkt auch nicht. „Red keinen Mist.“ „Okay, okay.“ Ich lachte wieder und fühlte mich in diesem Moment unglaublich wohl in meiner Haut. Nicht, dass ich das sonst nicht tun würde, aber es kam nicht oft vor, dass ich mich gehen ließ und so ausgelassen mit jemandem lachen und reden konnte. Sonst achtete ich immer darauf, was ich sagte und wie ich es sagte. Ich achtete so oft darauf, dass es fast schon Normalzustand war. Es war seltsam, es zuzugeben, aber Gackts Gegenwart entspannte mich wirklich. „Darf ich dir eine Frage stellen?“, meldete selbiger sich dann nach ein paar Minuten des Schweigens auch wieder zu Wort. „Hm?“ „Wie alt war die jüngste Person, mit der du geschlafen hast?“ „Uhm“, die Antwort darauf war eigentlich gar nicht so schwer. Und trotzdem ratterte mein Hirn erst einige durch, ehe es mir einfiel: „16 – meine zweite Freundin.“ „Okay, ich meinte eigentlich eher die Leute, mit denen du jetzt so anbändelst.“ „Das hättest du sagen sollen“, merkte ich an. „Sorry. Also?“ „Hm …“, ich überlegte wieder, diesmal aber nicht so lange, denn ich fragte nicht oft nach dem Alter. Meine Entgegnung bestand deshalb aus einer Gegenfrage: „Wie alt bist du eigentlich?“ „Was tut das jetzt zur Sache?“, wollte Gackt darauf wissen. „Nur so. Beantworte einfach die Frage, Idiot.“ „24, wieso?“ „Nicht dein Ernst!“ Ich zog verblüfft eine Augenbraue hoch, auch wenn Gackt es nicht würde sehen können, da das Licht bereits aus war und der Mond, der durch die Vorhänge schien, nur einen schmalen Streifen an die Wand warf. „Wieso?“, hakte Gackt noch einmal nach. „Ich hatte dich für älter gehalten“, sagte ich schlicht, „du wirkst so, als würdest du deinen Job schon jahrelang machen.“ „Tu ich auch“, sagte Gackt, „seit … gut fünf Jahren.“ „Wie kommt's?“ „Ich bin mit 18 von Zuhause ausgezogen“, erklärte er, „dann hab ich bei einem Freund gewohnt und mich eine Weile mit kleinen Nebenjobs über Wasser gehalten und irgendwann schließlich in der Bar angefangen. Aber zurück zu meiner Frage: Wie alt? Über 30? 40? 50?“ „Du spinnst ja!“ Ganz so schlimm stand es dann doch nicht um mich, auch wenn ich mir manchmal wirklich wünschte, dass die Leute, die meine Ansprüche erfüllten, jünger wären. Denn wie gesagt: Ich fragte nicht sehr oft nach dem Alter, sondern schätze meist nur und daher war das Alter nur sehr selten ein entscheidendes Kriterium. „Nein, sagen wir 24“, antwortete ich schließlich. „Ohne Scheiß?“ „Könnte möglich sein, ich weiß nicht genau, wie alt meine One Night Stands jedes Mal sind“, gab ich zu. Trotzdem … war es eine willkommene Abwechslung. tbc. ~~~ ++ * ++ ~~~ Ein frohes neues Jahr wünsch ich euch allen und zur Feier des tages gibt es auch ein neues Kapitel zu FIRE! Wie fandet ihr's denn? Meinen kleinen, panischen Hyde, weil er total zerkratzt ist ... oder vllt auch wegen etwas anderem, hrhr~ >3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)