Hell called Home von Raschka ================================================================================ Kapitel 14: Herbst ------------------ Verwelkte Blätter fallen vom Himmel… Rote Tupfen im unschuldigen Blau. Der Blick in den Spiegel war erschreckend. Ich war leichenblass, meine Haare stumpf und meine Augen so trostlos, wie der graue Himmel über mir. Der Kajal war körnig und so wischte ich ihn mir wieder ab und mit ihm die Pläne, irgendwo Ablenkung zu suchen. Ablenkung von dem Schmerz, doch ich fand sie nicht. Nicht bei Aryn, nicht in der Schule, nicht bei meinen still gewordenen Eltern. Stille. Die Natur verwelkt. Mit einer fahrigen Bewegung drehte ich den Wasserhahn auf und starrte in das schnell fließende Wasser. Blut rauschte in meinen Ohren, übertönte das Klingeln meines Handys, das halb zerbrochen in der Badewanne lag. Mein Herz schlug mindestens genauso schnell wie der Bass, der aus den Lautsprechern hämmerte. Ein verblichenes Foto…ein zerbrochener Spiegel…ein kaputtes Handy… Ein kaputtes Herz. Endlich verstummte der Lärm, Totenstille kehrte zurück. Nichts mehr füllte mein Leben. Der Blick aus dem Fenster war erschreckend. Frische Winde hatten den sommerhauch vertrieben, alles ertrank im Rot des Herbstlaubes. Die Straßen waren dreckig geworden, die Leute mürrisch, das Leben still. Wo war der Sommer nur geblieben? Ich riss mich von meinem zersplitterten Anblick im Spiegel und dem trostlosen Ausblick aus dem Fenster los und verließ das Bad, unfertig, instabil. Wie mein Herz. Draußen erwarteten mich weder Hass noch Vorwürfe, die schluchzenden Geräusche nahm ich schon gar nicht mehr wahr. Auch in mir verkrampfte sich alles, aber ich konnte nicht weinen. Der Winter bringt das Eis zurück. Ich hustete und packte mein weißes Oberteil, um es mir vor den Mund zu ziehen. Rote Tupfen im unschuldigen Weiß. Vor meiner Tür lagen, fein säuberlich gefaltet, mehrere schwarze T-Shirts, langärmelig. Schon lange beachtete ich sie nicht, sondern betrat ungerührt den Raum, um ans Fenster zurückzukehren. Draußen sah ich, wie mein Vater meine weiße Wäsche bereits wieder wegwarf. Mit einem Schulterzucken wandte ich mich ab, genau in dem Moment, in dem meine Mutter mit verquollenen Augen in den Türrahmen trat. Verlegen knetete sie ein weißes Taschentuch in ihren Händen, ihr Blick war gesenkt. Ihre Stimme klang genauso brüchig und leise wie meine, als sie sich kurz räusperte und bemerkte: „Ich hatte…uhm…ich hatte gehofft, sie würden dir gefallen…Du hast doch immer…“ Ich nickte. „Sie sind toll. Ich zieh mich schnell um.“ Sie nickte. Es war eine Lüge, eine Farce, die wir jeden Tag spielten und beide dennoch um die Wahrheit wussten. Ich wusste, dass sie mir das Recht der Kleidung nur wegen dem Blut gewährte, das Schwarz, um das Rot zu verschlingen, und sie wusste, dass ich es ihr nur vorgaukelte, damit sie sich besser fühlte. Menschen brauchen Illusionen zum Leben. Aber ohne ein Leben? Ohne Illusion? Sie schloss die Tür und die Kleidung landete auf dem Dach, wartete auf den nächsten Gang zum Mülleimer, wie ich auf den letzten Gang zum Grab wartete. Blut spielt in der Verwandtschaft eine große Rolle. Ich teilte mir mit meiner Familie dasselbe Blut und es hatte nur einen Tropfen gebraucht, um das auch zu spüren. Seitdem hatten sich nicht nur die Jahreszeiten geändert. Wir hatten aufgehört, an etwas festzuhalten, was wir nie hatten und jetzt warteten wir ängstlich auf…auf was? Den Tod? „Aryn hier. Jinra? Hör zu, leg nicht auf, Alec ist hi-“, ich brach die Verbindung ab. Das Pochen meines Herzen und mein Schluchzen gingen in einem Hustenanfall unter. In meinem Kopf dröhnte das Husten noch lange nach. Ich konnte nicht mehr klar denken. Meine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes zu richten, war mir schier unmöglich, bald schon verschwamm mein Sichtfeld und an meiner Schläfe pochte es unangenehm. Der Herbst ist nur ein trauriger Abklatsch des Frühlings… Ich schloss die Augen. Aryn…sie wusste noch nichts. Seit dem Vorfall vor wenigen Wochen traf ich sie kaum noch, wenn nur wenige Stunden. Das Band unserer Freundschaft war stark wie zuvor, doch es dehnte sich immer mehr, je weiter ich vor ihr flüchtete. Eine Flucht vor der Realität. Denn ich konnte Alec nicht mehr in die Augen sehen, seine wunderbaren Augen, die ich mehr als alles andere auf der Welt vermisste, seine warme Hand, die meine hielt, seine sanfte Stimme, die mich fort trug. All das hatte ich aufgegeben. Er gehörte in diese Welt, die ich vom Fenster aus beobachtete, hinter Glasscheiben gefangen. In die ich niemals eintreten konnte. Zitternd ballte ich meine Hand zur Faust und schlug gegen das Fenster, schlug gegen meine freiwillig gewählten Gitter. Du und ich, wir sitzen im Glashaus… Du und ich, wir schlagen sie ein… Diese wunderschöne Welt… Geschützt vor Regen… Wut und Hass stiegen in mir hoch, schnürten mir die Luft und die Tränen ab, brachten mein verletztes Innere zum Toben. Verwelktes Herbstlaub von den Winden getragen… Hilflose Marionetten ihres Schicksals. Ich schlug immer wieder gegen die Fenster, hoffte, sie würden zerbrechen, hoffte, sie ließen mich frei und dennoch auch nicht. Der Herbst war ein launischer Begleiter der Gefühle und Träger großer Veränderungen, das wusste ich nur zu gut. Ich wusste nur nicht, ob es mir gefiel, was geschah. Ich wusste nicht, ob ich wissen wollte, was geschah und trotzdem konnte ich es nicht auf mir beruhen lassen. Entschlossen sprang ich aus dem Fenster auf das Garagendach und ging zum Rand. Als ich hinunterblickte, sah ich die traurige Silhouette meines Vaters, gebrochen und alt, der nicht mehr aufrecht ging, sein linkes Bein fing wieder an zu schmerzen. Eine alte Kriegsverletzung, die ihn hinken ließ. „Ich werde morgen nicht da sein.“, teilte ich ihm leise mit. Seine augen waren rot, sein Gesicht faltig. Er nickte wortlos und machte sich auf den Rückweg zum Haus. Erschöpft starrte ich an den Fleck, wo er bis vor kurzem noch gesessen hatte. Nun ein leerer Fleck. Ich schüttelte den Kopf, manchmal dachte ich zu viel, handelte aber zu wenig. Zum zweiten Mal klingelte mein Handy. „Aryn?“ Ich holte tief Luft und schloss die Augen. Drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, doch es war nichts im Vergleich zu meinem seelischen Leben. Das Adrenalin hatte eine belebende Wirkung auf mich und gab mir genug Kraft, die nächsten Worte hervor zu würgen. „Hol mich morgen ab…bitte. Es tut mir Leid, es wird bald aufhören.“ Ich wartete nicht auf eine Antwort, weil ich ihr keine Antwort auf eine Frage geben konnte, von der ich die Lösung selbst nicht wusste. Bevor mich der Mut verlassen konnte, wählte ich erneut und wartete gespannt und mit klopfenden Herzen. Die Stimme am anderen Ende der Leitung war kaum zu verstehen und ich fluchte innerlich angesichts des unheimlich schlechten Empfangs, weshalb ich nur die Hälfte der Ansage mitbekam. „Hier ist der telefonische Anrufbeantworter des St-…..Hospitals…. bitten um….Rückruf zu den Sprechzeiten…“ Ich hinterließ meine Nummer und legte auf. Mein Blick glitt nach oben, in den unberührten, blauen Himmel über den die Wolken zogen. Morgen sollte das Wetter launischer werden, der Wetterbericht hatte für den morgigen Abend Regen angesagt, nachdem ein kleiner Sturm die Stadt am Mittag heim suchen sollte. Schon lange hatte in der Stadt kein Sturm mehr geherrscht. Du und ich, wir sitzen im Glashaus… Du und ich, wir schlagen sie ein… Diese wunderschöne Welt… Geschützt vor Regen… Stürzt sie ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)