Hell called Home von Raschka ================================================================================ Kapitel 10: Der April macht was er will --------------------------------------- Ich konnte mich dagegen nicht erwehren, aber ich hatte zusehends das Gefühl, meine Launen wurden immer stärker durch das Wetter bestimmt. An sonnigen Tagen ließ ich Alec in meine Nähe, an Regentagen holten mich meine Erinnerungen wieder ein und ich wurde recht anhänglich, an windigen Tagen war ich einfach nur ziemlich unkonzentriert und unschlüssig und an eisig kalten Tagen abweisend. Und um alles zusammmenzufassen: Es nervte mich unendlich, dass ich Stimmungsschwankungen bekam, wie eine alte Dame in ihren Wechseljahren. Mein Verhalten war sehr gefühlsgeladen, wenn ich es an manchen Tagen mit meinem früheren Verhalten und Gedankengänge verglich. Mein Ergebnis war immer wieder dasselbe: Innerhalb kürzester Zeit machte ich eine ziemliche Charakterumwälzung mit, die nicht ohne Folgen blieb. Ja, der Eisblock taute und das Wasser, das von dem ehemaligen Eisberg übrig blieb, machte den Boden ganz schön rutschig. Mein Blick aus dem Fenster machte eine düstere Voraussagung: Windig. Die Bäume in unserem Garten konnten der Kraft, mit der der Wind ihnen durch das Laub fuhr, kaum standhalten und dieser würde meine Gedanken auch ganz schön durcheinander wirbeln. Ich seufzte und griff nach einem Eiskaffee in meinem Mini-Kühlschrank. Ohne Koffein würde ich auch jeden normalen Tag kaum durchstehen. Wenigstens überwand ich dann schon mal den Morgen. Ich benutzte wieder einmal das Fenster, nicht die Tür, die mittlerweile rund um die Uhr abgeschlossen blieb, weil ich sie ohnehin nicht brauchte. Außer wenn Alec vorbei kam, da er "der Anstand halber" lieber unter wachsamen Augen meiner Eltern die Treppe hochging, statt wie Aryn das Garagendach zu nehmen. Aber meist trafen wir uns bei Aryn und wenn deren Eltern unangenehm wurden, dann bei Alec zu Hause, weil die seinen anscheinend nie ihre Zeit dort verbrachten, sondern irgendwo in der Weltgeschichte. Leider war meine Mutter streng gläubig und zu konservativ und mein Vater viel zu sehr in seiner "Bringt die Sünder auf den rechten Weg durch ein hartes Leben"-Masche, um mich endlich aufzugeben. Die ganze Busfahrt lang hing ich solchen Gedanken nach und wäre fast an meiner Schule vorbei gefahren, hätte Aryn nicht wartend und wild gestikulierend an der Haltestelle gestanden. Ich musste lächeln und verließ den Bus, um an die Seite meiner Freundin zu eilen, die sich bei mir unterhakte. Missmutig über das Wetter schimpfend, wie ziemlich jeden Tag. Es tat gut, eine ewige Konstante zu haben, wenn sich der Rest drastisch änderte. Wegen Aryns Hass auf schlechtes Wetter verzogen wir uns relativ schnell - und früh - in die Schule, wo wir in unserem Kursraum auf Unterrichtsbeginn warteten. Während Aryn und ich auf der Fensterbank saßen, Aryn am Rauchen - diese Angewohnheit hatte sie schnell wieder aufgenommen - und ich mit weniger teilnahmsloser Miene wie noch wenige Wochen zuvor, versuchte ich, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. Versuchte, relativ erfolglos. Frustriert über den Verlust von Kontrolle über mich schnaubte ich und wandte meinen Blick vom Fenster ab, um prompt Alec zu sehen, der nun ebenfalls den Raum betrat und auf uns zuging. Er lächelte schief und ich konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern und von der Fensterbank zu springen, um mich in eine sanfte Umarmung ziehen zu lassen. Obwohl ich Aryn nicht sah, wusste ich dennoch ganz genau, dass meine Freundin breit grinste. Ich vergrub mein Gesicht in Alecs Oberteil und entspannte mich. Alec roch unerklärlicherweise immer nach einem Hauch von Zimt und nach einem Winterabend vor dem Kamin. Ich wusste nicht wie, aber der Halt und das Vertrauen, das er mir gab, war unheimlich tröstend. Geduldig hielt der Dunkelhaarige mich weiterhin im Arm, bis ich mich selbst - etwas schweren Herzens, wie ich feststellte - von ihm löste und darum kämpfte, nicht so verletzlich und verwirrt zu wirken, wie es in mir aussah. Bevor Aryn irgendetwas sagen konnte, oder auch Alec, strömten die übrigen Kursmitglieder in den Raum, dicht gefolgt von dem Lehrer. Hastig setzten sich alle auf ihre Plätze, ich folgte etwas langsamer, meine Frustration verwandelte sich in Gereiztheit. Geschichte war nun einmal nicht unbedingt mein Fach und der Lehrer setzte aber auch wirklich alles daran, den Unterricht zur reinsten Nervenprobe zu machen. Mit zunehmender Zeit wurde meine Antworten immer gereizter und meine Nerven lagen immer blanker. Kaum hatte die Schulklingel ertönt, konnte ich es nicht erwarten, dass diese Folter endlich ein Ende gefunden hatte, doch ich hatte mich zu früh gefreut. "Jinra Jones, bitte suchen sie direkt das Büro des Schulleiters auf. Und zwar unverzüglich." Kopfschuss Mir blieb keine Zeit mehr, noch auf Aryn oder Alec zu warten, denn der Lehrer machte mir unmissverständlich klar, ihm direkt zu folgen. Mit einem Seufzen und gezwungen ruhiger Miene folgte ich ihm durch den Flur. Vor dem Büro ließ er mich allerdings stehen und verschwand selbst darin, sollte mir auch recht sein. Beinahe schon verzweifelt setzte ich mich auf einen Stuhl, nicht weit entfernt und legte mein Gesicht in die Hände. Ohne es zu wollen und ohne den Grund zu wissen, schossen mir plötzlich Tränen in die Augen und ich schloss die Augen, um sie aufzuhalten. Mein Herz brach schon einmal... Glasherzen zersplittern bei großem Druck. Ich realisierte nicht, dass die Tür irgendwann wieder geöffnet wurde und mein Lehrer wutschnaubend wieder abrauschte. Erst als ich eine warme Hand auf meiner Schulter spürte, riss ich mich zusammen und sah auf. Alec stand vor mir und lächelte leicht, ehe er murmelte: "Komm, du hast den Rest des Tages frei." Ich fragte ihn nicht, wie zur Hölle er vor mir hierhergekommen war, wie er den Schulleiter von was auch immer überzeugen konnte und was genau "Du hast den Rest des Tages frei" bedeutete, es war mir schlichtweg einfach egal. Erschöpft lehnte ich mich beim Verlassen des Schulgebäudes an Alec, der einen Arm um mich legte und ließ mich widerstandslos von ihm zum Bus fahren. Das Wetter hatte sich geändert, der kräftige Wind wurde von einem Nieselregen abgelöst. Wir fuhren zu Alec, sollte mir nur recht sein. Meine Eltern jetzt noch zu begegnen, wäre definitiv zu viel. Viel zu viel. Während die grauen Schatten der Stadt an mir vorbei flogen, legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und flüsterte mit geschlossenen Augen: "Danke." Alec reichte mir nur wortlos einen seiner Kopfhörer und so verbrachten wir die Rest der Fahrt schweigend. Ich wäre beinahe eingeschlafen, doch der Busfahrer holte mich mit seiner unschmeichelhaften Fahrweise schnell wieder aus meinem Halbschlaf, als er mit einem abrupten Bremsen noch die Haltestelle erwischte. Mein ganzer Körper ruckte nach vorne und beinahe hätte sich mein Kopf eine Gehirnerschütterung zugezogen, doch Alec zog mich rechtzeitig noch zurück, sodass der Aufprall mit dem harten Bussitz vor mir vermieden werden konnte. Ich hätte beinahe lauf aufgelacht, denn Alec fing an, leise Beschimpfungen zu knurren. Die Seite hatte ich bis jetzt nicht gekannt. Mit einem dämlichen Grinsen folgte ich ihm die protzige Auffahrt hinauf. Trotz des leichten Nieselregens schien schwach die Sonne, traute sich aber nicht ganz vor die grauen Wolken, die den Himmel bedeckten. Ich runzelte die Stirn und starrte in den Himmel, die Regentropfen ignorierend, die mir ins Gesicht klatschten. Wir haben April. Alec lächelte kopfschüttelnd und zog mich schließlich sanft weiter. Von seinen Eltern war wieder keine Spur - nicht, dass ich sie schmerzlich vermissen würde - und so hatten wir das ganze Haus für uns allein. Nachdem meine Haare trocken waren und ich meine Kleidung gegen Alecs schlichte Joggingsachen ausgetauscht hatte, lümmelten wir auf seinem Bett und starrten aus dem Fenster in den Himmel. Oder vielmehr, ich starrte aus dem Fenster, während er mich dabei beobachtete. Für den Frühling ist es zu kalt. Zu launisch. Mit einem Seufzen drehte ich mich zu ihm um und flüsterte leise: "Wieso?" Wieso vertraust du mir? Wieso fängst du mich auf? Wieso stehst du selbst im Regen an meiner Seite und gehst diesen schweren Weg mit mir? Welchen Menschen du auch immer in mir siehst, das bin nicht ich. Vielleicht wäre ich zu jener Person geworden, wenn Jua noch leben würde. Sie hat immer an das Gute geglaubt. Ich glaube schon gar nicht mehr. Alec schien all dies in meinen Augen zu lesen und Verzweiflung stieg in mir hoch. Er schien mich genaustens zu kennen, während ich ihn immer noch nicht richtig sehen konnte. Bevor er antworten konnte, war ich schon aufgesprungen und rannte die Treppe runter, riss die Tür auf und rannte in den Regen hinaus. Mein Herz hämmerte genauso laut gegen meine Rippen, wie meine Schritte auf dem Kiesweg dröhnten. Tränen vermischten sich mit Regen. Hinter mir ertönten weitere Schritte und eine Hand zwang mich, stehen zu bleiben. Aufgewühlt wirbelte ich herum und schrie: "Ich kann nicht! Ich ertrage nicht mehr!" Meine Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt und dennoch zitterten sie vor Anstrengung, drohten, jeden Moment nachzugeben. Mein Herz schlug zu laut und die kalte Luft stach mir in die Lungen. Wie ein reißender Fluss überschwemmten mich die Gefühle und ich konnte einfach nicht mehr schwimmen. Diese Veränderungen kosteten einfach zu viel Kraft. Ich ertrinke. Ich will keine Schmerzen mehr. Ich schluchzte und fiel auf die Knie. Wie unter Wasser bekam ich am Rande meines Bewusstseins mit, wie Alec mir folgte und mich an sich zog. Mit geschlossenen Augen brach ich zusammen und drückte meine Stirn gegen seine Schulter, während er mir sanft über den Rücken strich. Der April macht was er will. Er spielt mit den Herzen, die sich für den Frühling geöffnet haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)