Ein ungewöhnlicher Mitbewohner von Darklover ================================================================================ Kapitel 8: 8. Kapitel --------------------- Nach dieser miesen Nacht brauchte er unbedingt eine Abwechslung, also rief er Tyson an, damit sie sich zum Mittagessen in der nächsten Imbissbude treffen konnten. Während Tyson sich intensiv um seinen Burger kümmerte, nutzte Adrian die seltene Stille aus, um loszulegen. „Als Tyson, wenn du mich in meiner Wohnung treffen willst, gibt’s da ein paar Regeln, die du beachten wirst, ansonsten schmeiß ich dich hochkant raus. Du bist zwar mein bester Freund, aber ich bin nicht dein Kindermädchen.“ Sein bester Freund schlang den Bissen rasch hinunter, um den Mund wieder freizuhaben. „Schade, gerade von dir lasse ich mir gerne den Hintern versohlen.“ Adrian verdrehte die Augen. „Jetzt mal ernst, Mann. Das ist wichtig, also tu einfach einmal in deinem Leben so, als wärst du ein Erwachsener. Glaubst du, du bekommst das hin?“ Gott, sein Freund schien ernsthaft darüber nachzudenken. Und das, obwohl er schon fast dreißig war. Tja, konnte ja noch spannend werden, wenn er mal aus der Pubertät heraus war. Mit Betonung auf das „wenn“. „Zieh nicht so ein Gesicht. Ich hör ja schon zu. Also Daddy, welche Regeln muss ich einhalten, um einmal deine Bude abchecken zu dürfen?“ Adrian sah ihn ernst an. „Erstens: Finger weg von meiner Mitbewohnerin und vor allem will ich, dass du in ihrer Nähe deine große Klappe hältst. Wir sind alle nicht scharf auf den Mist, den du immer mal wieder verzapfst.“ Tyson blickte genervt weg, hörte aber trotzdem zu, wie Adrian wusste. „Zweitens: Ich bin schwul.“ Überrascht riss der Schwarzhaarige seine grünen Augen auf und starrte ihn entgeistert an. „Mann, ich wusste doch, dass deine Zeit als Stricher deine Birne weichgewaschen hat! Das musste ja so kommen.“ Adrian holte tief Luft, um jetzt ja nicht ausfallend zu werden, aber am liebsten hätte er seinen Fuß gegen Tysons Schienbein gepfeffert. „Ich steh nicht auf Männer. Hab ich nie und werde ich auch nie. Was ich damit sagen will, ist, dass meine Mitbewohnerin glaubt, ich sei schwul. Sonst hätte sie mich niemals als Untermieter akzeptiert. Kapiert? Ich verlange auf jeden Fall nur von dir, dass sie auch in diesem Wissen gelassen wird. Das dürfte nicht so schwer sein, wenn du dir Mühe gibst. Erwähn bloß nichts von meinem Zweitjob und auch nichts von Alex.“ Lange schwieg Tyson, obwohl das so gar nicht seinem Wesen entsprach. Aber er schien ernsthaft über all diese Dinge nachzudenken und kaum, dass Adrian glaubte, eine neue Seite an seinem besten Freund zu entdecken, wurde er auch schon wieder enttäuscht. „Was hast du eigentlich gegen diese geile Schnecke? Ihr Körper ist so heiß, dass ich an deiner Stelle immer einen Feuerlöscher dabei gehabt hätte.“ Adrians blaue Augen bohrten sich tief in die seines Freundes. „Schon gut, schon gut. Nervt die dich denn immer noch? Ich dachte, ihr hättet vor einem Jahr schlussgemacht.“ „Hab ich auch, aber von Zeit zu Zeit taucht sie immer mal wieder wie aus dem Nichts auf. Darum will ich ja auch, dass du die Klappe hältst, was meine neue Adresse angeht. Damit sie mich wenigstens dieses Mal nicht aufspüren kann.“ „Kannst dich auf mich verlassen, Kumpel.“ Na das hoffte er zumindest, ehe Adrian seinem besten Freund seine neue Adresse gab und sich dann verabschiedete. Emily war wie immer bei der Arbeit, als er nach Hause kam, sich kurz umzog, um noch eine Runde Joggen zu gehen, ehe er sich für die Verabredung mit Rose fertigmachen musste. Heute wollte sie ihn früher sehen, damit sie mehr Zeit in ihrem Penthouse verbringen konnten. Zumindest hatte sie ihm das am Telefon erzählt, als sie ihn noch einmal angerufen hatte. Offenbar hatte sie von seiner Arbeit im Shadow gehört, weswegen sie jetzt eine Privatvorstellung forderte. Die Frau hatte aber auch überall ihre Beziehungen. Es gab nichts, was man ihr auf Dauer hätte verheimlichen können. Gut, dass sie bald wieder abreiste.    *** Adrian war wieder nicht da, als Emily nach Hause kam. Sie hatte Überstunden geschoben, wie vermutet, um die verlorene Zeit von gestern aufzuholen. Aber sie hatte nicht sonderlich viel geschafft. Das Gespräch mit Richard hatte sie zu sehr aufgewühlt. Sich jetzt mit ihm zu treffen, kam ihr falsch vor. Immerhin hatte sie sich erst vor einem Tag von Zach getrennt. Der spukte ihr zwar weniger im Kopf herum, als sie angenommen hatte, aber es ließ sie nicht kalt, dass er weg war. Es war noch nicht sonderlich spät, und da sie nichts weiter zu tun hatte, warf Emily ein paar Zutaten zusammen und backte Brownies. Viel Schokolade war immer gut. Dazu brachte sie ihren Laptop in die Küche und hörte sich ein Audiobook an. Das tat sich gern, wenn sie backte. Auch wenn es wenig Sinn machte, da sie beim Mixen und wenn der Ofen auf vollen Touren lief, sowieso fast nichts verstand. Aber sie hörte eines ihrer Lieblingsbücher, daher war es völlig in Ordnung, wenn sie Teile verpasste. Sie wusste sowieso schon, wen Poirot am Ende für den Mord auf dem Nil verantwortlich machen würde. Deshalb schaltete sie auch ohne Murren die Datei aus, als das Telefon klingelte, und war äußerst erfreut darüber, Monas Stimme zu hören. Sie unterhielten sich über dies und das, bis Emily ihr endlich gestand, dass sie Zach verlassen hatte. Mona war nicht sonderlich schockiert. Eher erleichtert. Sie hatte den egozentrischen Börsenmakler schon immer für einen Vollidioten gehalten. Um es mal gesittet auszudrücken. „Ich rufe noch wegen etwas Anderem an.“ Emily wurde etwas heiß im Gesicht, als ihr einfiel, worauf ihre große Schwester anspielte. „Oh Mann … Müssen wir da wirklich hin?“ „Ich hab auch nicht mehr Lust als du, Em. Aber wir kommen da nicht raus.“ „Können wir nicht sagen, ich hätte mir den Fuß gebrochen und du musst auf mich aufpassen?“ „Da müsstest du schon Ebola oder so was haben, damit Mom das gelten lässt.“ „Das bekomm ich hin.“ Emily konnte fast hören, wie Mona die Augen verdrehte, während sie lachte. „So schlimm wird’s nicht werden. Wir müssen nur eine Stunde bleiben, dann können wir wieder gehen.“ „Er merkt sowieso nicht, dass wir da sind. Was macht das schon?“ „Du weißt doch …“ „Ja, ich weiß.“ Kurzes Schweigen, in dem jede von ihnen ihren eigenen Gedanken nachhing, die aber um den gleichen Menschen kreisten. Ein Mensch, der ihren Besuch gar nicht verdient hatte und dem sie ihn gleichzeitig trotzdem schuldeten. Es war eine Zwickmühle, in der sie schon seit ihrer Geburt steckten, und bis jetzt, trotz vereinter Kräfte und Geistesanstrengungen keinen Ausweg gefunden hatten. „Wir sehen uns also Freitag. Ich hol dich zu Hause ab. Dann kann ich gleich deine Wohnung und deinen Mitbewohner sehen.“ „Dass du ihn siehst, möchte ich bezweifeln. Ich sehe ihn ja kaum. Aber die Wohnung kannst du dir gern ansehen. Komm einfach zum Essen und dann fahren wir gemeinsam hin.“ „Okay.“ Sie verabschiedeten sich herzlich. Aber als sie aufgelegt hatte, fühlte Emily trotzdem einen seltsamen Geschmack im Mund, den der Duft der Brownies nicht überdecken konnte. Aber es war erst Freitag so weit. Also würde sie bis dahin so wenig wie möglich daran denken. Die Brownies waren inzwischen fertig und Emily nahm sie aus dem Rohr, um sie abkühlen zu lassen. Später richtete sie ihr Gebäck auf einem großen Teller an und schrieb einen Klebezettel, den sie auf den Tellerrand klebte. Schokolicious! Bedien dich. Darunter malte sie einen kleinen Smiley und zog sich dann in ihr Zimmer zurück, um noch ein wenig im Internet zu surfen, bevor sie ins Bett ging. Den Bildern nach zu urteilen, war Skandinavien schön um diese Jahreszeit.    *** Als Adrian dieses Mal sehr spät am Abend oder sehr früh am Morgen, je nachdem wie man es sehen wollte, nach Hause kam, fühlte er sich vollkommen ausgelaugt und zerschlagen. Er stand lange unter der Dusche, ohne etwas zu spüren oder zu denken. Rose war nett und freundlich, das schon, aber sie war auch eine Frau, die genau wusste, was sie wollte. Heute Nacht hatte es keine Schonung gegeben. Adrian fühlte sich wie ausgebrannt. Erst als er den Duft von Brownies in die Nase bekam, begann sein Verstand langsam wieder zu arbeiten. Das herrliche Schokoladenaroma zog ihn in die Küche, wo er Emilys Nachricht lesen konnte und sich schon so früh nach den Ereignissen ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Bei dem Gedanken, sie hatte auch für ihn etwas gebacken, wurde ihm langsam wieder wärmer in der Brust, wo vorhin noch ein kaltes Loch geklafft hatte. Adrian nahm sich eines der Gebäckstücke und aß es langsam und genießend im Wohnzimmer. Während er über alles Mögliche nachgrübelte und dabei die Blumen betrachtete. Irgendwann, es musste kurz vor fünf Uhr morgens sein, schleppte er sich in sein Zimmer, warf sich ins Bett und zog noch halbherzig die Decke über sich, ehe er auch schon voller Erschöpfung einschlief. Gerne hätte er Emily heute gesehen, aber ihre Arbeitszeiten waren so unterschiedlich, dass es ein Wunder war, wenn sie sich zumindest ein paar Mal in der Woche trafen. Dabei wohnten sie zusammen!    *** Am vergangenen Abend war sie erst gegen halb neun zu Hause gewesen. Emily hatte die schlimme Befürchtung, dass sie den Sarkophag nicht fertigbekommen würde. Zumindest nicht rechtzeitig für die Überprüfung am Montag. Dann könnte sie sich die Blattgoldbearbeitung in die Haare schmieren. Das machte ihr echte Sorgen und Magenschmerzen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie brachte selbst nach einem ganzen Tag ohne Essen vor dem Schlafengehen nichts mehr herunter. Das lag nicht allein an dem Stress bei der Arbeit, sondern zugleich an dem immer näher rückenden Termin. Mona hatte sich einmal gemeldet, um sicherzugehen, dass Emily keine schwere Krankheit vortäuschen würde, um der Geschichte fernzubleiben. Zumindest nicht, ohne Mona selbst einen Grund zu liefern sich bei dieser Veranstaltung nicht blickenzulassen. Aber das konnte Emily vielleicht alles noch bis zum Nachmittag verdrängen. Gegen fünf wollte ihre Schwester sie von der Arbeit abholen. Viel früher, als es Emily eigentlich recht war. Sie würde ohne Mittagspause auskommen müssen, wenn sie überhaupt noch etwas schaffen wollte. Deshalb war sie, für ihre Verhältnisse, auch sehr früh aufgestanden. An der vordersten Stelle des Weckers hatte eine große, erschreckende Fünf geprangt, als der Alarm losgegangen war. Emily hatte fast erwartet, Adrian um diese Zeit endlich einmal anzutreffen. Nach ihrer Begegnung vor seinem schicken Abendessen hatten sie sich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Emily hatte ihn nach Hause kommen hören, sich aber nie die Mühe gemacht aufzustehen, um 'Hallo' zu sagen. Sie waren keine Freunde. Vielleicht würden sie auch nie welche werden, wenn das so weiterging. Dieser Gedanke löste Bedauern in Emily aus, denn sie hätte gern wieder einen Abend vor dem Fernseher mit Adrian verbracht oder sich einfach mit ihm unterhalten. Sie hätten ins Museum gehen können oder abends was trinken. Ihr fielen ein paar Dinge ein, die ihr mit Adrian sicher Spaß gemacht hätten. Aber gleichzeitig bezweifelte sie, dass es jemals dazu kommen würde. Aus einem seltsamen Impuls heraus schrieb sie ihm eine kleine Nachricht auf einen weiteren Klebezettel, den sie an der Küchentür anbrachte. Hallo Mitbewohner! Koche hier heute Abend mit meiner Schwester. Du bist herzlich eingeladen. So gegen halb sechs. :) E.    *** Es war bereits früher Nachmittag, als es Adrian endlich aus dem Bett schaffte. Was ihn nicht großartig wunderte. Immerhin war er die ganze Woche erst in der Früh wieder zu Hause gewesen und inzwischen hatte sich sein Körper schon an den veränderten Rhythmus gewöhnt, eine Nachteule zu mimen. Gott sei Dank, hatte er gestern wieder im Club tanzen können. Das hatte viel von seinem Frust abgebaut, der sich nach der unverbindlichen Sex-Sache immer in ihm aufstaute. Wenn das so weiter ging, würde er wirklich bald einen Schlussstrich ziehen müssen. Aber noch war der Bogen nicht überspannt und bis jetzt hatten sich auch noch keine anderen Kundinnen gemeldet. Wenn er wirklich nicht wollte, konnte er das nächste Mal auch einfach absagen. Das wäre gerade noch so drin. Auf dem Weg ins Badezimmer las er Emilys Zettel und schon wieder breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Auch dieses warme Gefühl in seiner Brust war wieder da, mit hinzukommendem Kribbeln, weil er sich tatsächlich darüber freuen würde, einmal wieder mit normalen Menschen zusammensitzen zu können, die nichts von ihm und seinen immer wieder mal chaotischen Gefühlsstürmen wussten. Da er erst morgen wieder arbeiten musste, könnte das einmal wieder ein entspannter Abend für ihn werden. Er hatte ihn auch dringend nötig. Nachdem er geduscht hatte, räumte Adrian oberflächlich die Wohnung auf, da wie immer nicht viel herum ag, saugte den Boden und staubte ab, ehe er in eine enge Jean schlüpfte, die überall gewollte Risse aufwies und dazu noch ein schwarzes Seidenhemd. Er stylte sich noch die Haare und hängte sich wieder sein Lederband mit dem sichelförmigen Anhänger um den Hals. Wenn das nicht schwul aussah, dann sah es zumindest nicht zu vornehm und auch nicht zu schlampig aus. Als er das nächste Mal auf die Uhr sah, war es kurz vor halb sechs und er tigerte in der Wohnung herum, als könne er es kaum noch erwarten, bis er endlich wieder seine Mitbewohnerin zu Gesicht bekam. Was ja auch stimmte. Denn es war schlimm, zu wissen, dass sie zwar da war und mit ihm zusammen die Wohnung benutzte, er sie aber schon seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. „Weißt du denn, ob er zu Hause ist?“ Mona stapfte hinter Emily her die Holztreppe zur Wohnung hinauf. Im Treppenhaus hallten ihre Schritte und ihre Stimme wieder. „Nein, keine Ahnung. Ich hab ihm eine Nachricht hinterlassen. Mal sehen.“ Erst als beide vor der Tür standen, drückte Emily ihrer Schwester eine der Tüten in die Hand, um den Wohnungsschlüssel an ihrem Schlüsselbund herauszusuchen. Mona hielt bereits zwei Tüten in den Armen, weswegen sie die Dritte mehr oder weniger gegen ihr Gesicht gelehnt balancierte, bis Emily sie ihr wieder abnahm. „Danke, sehr freundlich.“ Mit ein wenig Anlauf schob Mona ihre kleine Schwester durch die nun offene Tür in den Flur hinein, bloß um dann mitten im Türstock stehenzubleiben und sich mit prüfendem Blick umzusehen. „Wow, Em. Die Wohnung ist klasse.“ Dass sie das schon auf den ersten Blick sagen konnte, glaubte Emily. Immerhin hatte sie sich damals auch schon beim ersten Schritt durch die Tür und auf die dunklen Dielen in die Wohnung verliebt. Deshalb hatte sie den Mietvertrag auch unterschrieben, obwohl sie wusste, dass sie sich diesen Luxus ohne Mitbewohner nicht leisten konnte. Wie sie fand, war das ein kleiner Preis gewesen. Adrian war als Mitbewohner so gut wie gar nicht vorhanden. Allerdings steckte er jetzt gerade seinen Kopf aus dem Wohnzimmer und kam auf die beiden zugelaufen. Er sah kurz irritiert aus, als er Mona und Emily nebeneinanderstehen sah. Kein Wunder. Sahen sie sich doch so ähnlich, dass sie Zwillinge hätten sein können. Man sah Mona kein Stück an, dass sie älter war. Was machte ein Jahr schon aus. Früher hatte man die beiden nur an ihrer Augenfarbe unterscheiden können, die bei Emily eindeutig ins Schwarze und bei Mona ins hellbraun ging. Natürlich hatte das Alter ihren Stil verändert, weswegen man sie nun eigentlich nicht mehr verwechseln konnte, wenn man sie kannte, aber auf den ersten Blick, sahen sie sich doch sehr ähnlich. „Hey, du bist ja tatsächlich zu Hause. Das ist meine Schwester Mona.“ Weil sie die Hände voll hatte, deutete Emily mit dem Kinn zwischen den beiden hin und her. „Mona, das ist Adrian. Mein Mitbewohner.“ „Das hoffe ich doch, wenn er hier so einfach rumläuft.“ Mona grinste Adrian an und streckte ihm einen kleinen Finger entgegen, anstatt ihm die Hand anzubieten. Sonst hätte sie ihren Lebensmitteleinkauf fallenlassen. „Hi, schön dich kennenzulernen.“ Adrian stutzte, als er plötzlich zwei Emilys im Flur stehen sah. Unsicher schaute er von einer zur anderen, ohne im ersten Moment zu wissen, wer nun wer war. Doch dann stellte Emily ihm ihre Schwester vor und er wusste wieder, wer seine Mitbewohnerin war. Während er auf die beiden zuging, versuchte er sich die Unterschiede einzuprägen. Es war schwer zu erkennen, aber in der Kleiderfrage unterschieden sie sich dann doch. Also setzte er ein Lächeln auf, reichte Mona kurz ebenfalls seinen kleinen Finger, ehe er ihr die Tüten abnahm. „Freut mich ebenfalls. Bist du Emilys Zwillingsschwester? Ich dachte schon, ich halluziniere.“ Er grinste, während er die Tüten in die Küche trug und dort abstellte. Danach warf er wieder einen Blick auf die zwei Frauen. Wahnsinn. Er würde sich noch mehr Details suchen müssen, an denen er sie auseinanderhalten konnte, wenn Mona öfters zu Besuch kam. Aber vielleicht legte sich das automatisch, wenn er Emily einmal länger kannte. Immerhin hatten sie sich bisher nicht sehr oft gesehen. „Was gibt es denn heute zum Essen?“, fragte er neugierig, weil er nicht einfach in die Tüten spähen wollte, um deren Inhalt zu inspizieren. „Kann ich helfen?“ Mona übernahm wie üblich die Gesprächsführung. In ihrer Gegenwart wurde Emily zwangsläufig in die Rolle der kleinen Schwester zurückgedrängt, die zuhörte und ab und zu Kommentare einwarf. Das empfand Emily nicht als negativ oder verletzend. Die beiden ergänzten sich auf diese Art und jede konnte auf ihre Weise zur Unterhaltung beitragen. Nicht zuletzt hatte Adrian ja auch Mona angesprochen, als er ihr die Tüten abgenommen und sie freundlicher Weise in die Küche getragen hatte. „Nein, keine Zwillinge. Aber danke fürs Kompliment. Das heißt immerhin, dass man das Jahr, das ich älter bin, nicht sofort sieht.“ „Die Betonung liegt hier auf 'nicht sofort'“, warf Emily mit einem Zwinkern von der Tür aus ein, bevor sie ihre Einkaufstüten auf der Küchenzeile abstellte und darin herum kramte. Mona kniff sie daraufhin in die Seite, lachte aber sogar als Erste los, bevor sie Adrians zweite Frage beantwortete. „Wir dachten an Lachs-Spinat-Lasagne. Wenn das okay für dich ist. Solltest du gegen eins von beidem was einzuwenden haben, können wir dir auch alternatives Gemüse bieten.“ Emily hatte zwar keine Ahnung, was Adrian mochte oder nicht. Aber da er damals im Möbelhaus auch Lachs gegessen hatte, war das die logische Wahl gewesen. Zumindest empfand sie es als solche. „Entweder das, oder ihr lasst mich einfach nur beim Essen zusehen.“ Er lächelte breit. „Immerhin bin ich euch beiden schon jetzt sehr dankbar, dass ihr mir das Kochen abnehmt. Und ja, ich bin mit dem Menüvorschlag mehr als nur einverstanden.“ Adrian nahm schon einmal das nötige Besteck und die Teller aus den Schränken, damit die Damen ungestört kochen konnten, während er schon einmal den Tisch deckte. „Wollt ihr auch Weißwein dazu? Ich habe neulich einen guten Jahrgang mit nach Hause gebracht.“ Zwar trank er nicht viel Alkohol, aber zu einem guten Essen trank er gerne einmal ein Schlückchen Wein. Während die beiden die Sachen aus den Tüten räumten, deckte Adrian den Tisch für drei. Er stimmte die Farbe der Untersetzer mit den Servietten ab, die er jeweils zu einer Seerose faltete. Dazu noch schöne Gläser und Kerzen und dem schönen Essen stand nichts im Weg. Wenn er schon einmal dazu kam, mit Emily und noch dazu mit ihrer Schwester zu essen, dann doch bitte mit Stil. „Nein, das würden wir dir nicht antun. Beim Essen zusehen zu müssen und selbst nichts abzubekommen ist schlimme Folter. Sooo schlimm sind wir nicht.“ Mona fing an den Lachs in mundgerechte Stücke zu schneiden, während Emily sich um den Spinat kümmerte, die Auflaufform mit Butter ausstrich und sich schließlich an die Béchamelsauce machte. Bald lag ein sanfter Duft im Raum. „Weißwein klingt sehr gut. Man muss ja schon immer beim Kochen testen, ob der Wein später wohl auch zum Essen passt.“ Emily grinste zu Mona und dann zu Adrian hinüber, der sich wirklich große Mühe mit dem Tischdecken gegeben hatte und nun auf einem Stuhl saß. Sie rührte noch ein wenig in der Sauce, nahm sie dann vom Herd und winkte ab, als Adrian schon aufspringen wollte. „Ist heute eigentlich irgendetwas Besonderes, oder trefft ihr euch auch einfach einmal so zum Essen?“ Hoffentlich ging das nicht zu sehr ins Private hinein. Er kannte Emily noch nicht gut genug, um zu wissen, ob sie seine neugierigen Fragen nicht einmal leid wurde. Immerhin gab er selbst auch nicht viel von sich preis. Obwohl, würde sie ihn direkt darauf ansprechen, würde er sicher in den meisten Fällen antworten. Kam natürlich immer auf die Frage an. „Übrigens danke für die Brownies. Die waren einfach …“ Herzerwärmend? Beruhigend? Schmerzlindernd? „… super lecker.“ Emily nahm den Wein aus dem Kühlschrank und entkorkte ihn, während Mona den Lachs mit dem Spinat und den Nudelplatten mit Sauce nacheinander in die Form schichtete. Als Adrian sie nach dem Anlass fragte, warfen sich die Schwestern gleichzeitig einen Blick zu, den der Beobachter irgendwo zwischen gequält und erschrocken ansiedeln konnte. Entgegen ihrer sonstigen Art sagte Mona nichts, sondern widmete sich wieder den Lasagne-Schichten. Es blieb also an Emily hängen, zu entscheiden, was sie ihrem neuen Mitbewohner über diesen Abend erzählte und weswegen die beiden Schwestern nur allzu froh über die Flasche Wein waren, die er ihnen angeboten hatte. Mit der Antwort ließ Emily sich Zeit, bis sie den Weißwein eingeschenkt und die Gläser an alle verteilt hatte. Ihr Eigenes drehte sie am Stiel hin und her, bevor sie Adrian in die Augen sah. „Wir fahren zu unserem Großvater. Er ist … krank.“ Der Seitenblick von Mona hätte die Queen neidisch gemacht. Emily wusste selbst, dass das eine äußerst nette Umschreibung für den Zustand war, in dem sich ihr Großvater befand. Aber es stimmte. Er konnte nichts dafür, wie er sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält. „Er ist geistig verwirrt und nicht sonderlich … nett.“ Wieder so ein Seitenblick. Am liebsten hätte Emily ihre Schwester angeschnauzt. Was sollte sie denn sagen? Dass ihr Großvater geistig völlig neben sich stand und in einer Irrenanstalt saß, weil er seine Mitmenschen grundlos angriff? Bei seinen Familienmitgliedern beschränkte er sich immerhin bloß auf verbale Attacken. Meistens. Wenn ihre Mutter nicht auf die Blutsbande bestehen würde, hätten Emily und Mona ihren Großvater schon seit Jahren nicht mehr besucht. Denn selbst, als er noch klar im Kopf gewesen war, hatte er nicht zu den netten Menschen gehört. Im Gegenteil und Emily würde genauso wenig wie Mona je verstehen können, warum sie ihm gerade jetzt die heile Familie vorgaukeln sollten. Sie war froh, als Adrian sie aus ihren immer grauer werdenden Gedanken riss. „Oh, das mit den Brownies ist gern geschehen. Freut mich, dass sie dir geschmeckt haben!“ Sie lächelte und hob ihr Glas, als Mona auch endlich die Lasagne in den Ofen geschoben hatte. Ihr Gesichtsausdruck musste wie der von Emily verraten, dass sie nicht gerade jetzt über die Sache sprechen wollten. Vielleicht würde sie ihm später davon erzählen, wenn es vorbei war. Dann hatte sie Zeit bis Weihnachten, um das Ganze wieder zu verdauen. Oh oh. Der wortlose Blickwechsel sagte ihm mehr, als er sich fragen getraut hätte. Es tat ihm wirklich leid, dass ihr Großvater krank war, aber irgendwie schien die Sache auch einen noch sehr viel bitteren Beigeschmack zu haben. Es war offensichtlich, dass sie ihn sicherlich nicht freiwillig besuchten. Und da er ja anscheinend wirklich nicht … nett war, konnte Adrian das auf gewisser Weise sogar verstehen. Er hatte auch so ein paar Verwandte, die er nur mit einem Pistolenlauf an der Schläfe besucht hätte und selbst dann würde er sich noch die zweite Option überlegen. Da er das Unbehagen deutlich spürte, hakte er auch nicht weiter nach, sondern sah den beiden lieber beim Kochen zu. Es schien alles so einfach zu gehen, dabei war für ihn selbst zu kochen eher ein Ärgernis. Er konnte es nicht besonders gut, weil er sich nie die Zeit dazu nahm, es mit Geduld zu versuchen, darum machte er lieber irgendetwas Ungekochtes, wie Salat, oder er ging einfach essen. Was am Unkompliziertesten war und noch dazu in den meisten Fällen gut schmeckte. Gerne nahm er das Weinglas entgegen und kostete. Oh ja, da hatte er sich einen guten Jahrgang ausgesucht. Wenn er sich schon beim Kochen wie ein Esel anstellte, mit Weinen kannte er sich aus. Inzwischen roch es schon köstlich in der Küche und kurze Zeit später, saßen sie alle am Tisch und aßen. „Mein Lob an die Köchinnen. Es schmeckt einfach köstlich.“ Und wie es das tat. Hausgemaches war doch immer noch das Beste. Adrian verzog genießerisch das Gesicht und schloss dabei die Augen. Emily genoss das Essen ebenfalls. Vor allem, weil sie schon den ganzen Tag Hunger gehabt und der Wein sich somit wahnsinnig schnell in ihrem System ausgebreitet hatte. Sie spürte bereits jetzt, wie ihre Zehen kribbelten. Hoffentlich würde sie so zumindest entspannter bei dieser Familiensache auftauchen. Beim letzten Mal war es unter anderem deswegen das totale Desaster geworden, weil sich Emily und Mona gegenseitig die Bälle zugespielt und damit nicht nur ihren Großvater, sondern auch ihre Mutter völlig zur Weißglut gebracht hatten. Das sollten sie diesmal, in ihrem eigenen Interesse, tunlichst vermeiden. „Und was hast du heute noch vor, Adrian?“ Mona versuchte das Gespräch am Laufen zu halten, sonst hätte sich wahrscheinlich eine recht unangenehme Stille ausgebreitet. Sie hatte ihre düsteren Gedanken schon immer viel schneller zur Seite schieben können als Emily. Dafür hatte sie ihre große Schwester schon oft bewundert. „Nun, ehrlich gesagt, ich weiß es noch nicht so recht. Vermutlich gehe ich heute einmal früher schlafen, wenn Emily nicht da ist.“ Ansonsten hätte er nichts gegen einen weiteren DVD-Abend gehabt. Natürlich könnte er auch noch Tyson fragen, ob er mit ihm irgendwo hinging, andererseits war er einmal froh, sich ausruhen zu können. „Oder ich mache eine Beauty-Session.“ Er grinste breit in dem Wissen, dass das vermutlich schon eher nach einem schwulen Mann klang. „Ihr wisst schon. Heißwachs, Peeling, Gesichtsmaske.“ Als würde er das alles benutzen, aber das konnten die beiden ja nicht wissen. Fehlte nur noch das Zehennägellackieren. Mona sah überrascht auf, als Adrian von seinem Wellness-Vorhaben berichtete. Sie kaute noch ihren Bissen Lasagne herunter, bevor sie unverblümt darauf einging. „Du wachst?“ Ein anerkennender Zug breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ich weiß ja nicht genau wo, aber meinen Respekt hast du. Ich würde das Zeug nicht mal an meine Beine lassen. Diesbezüglich bin ich eine Memme.“ Manchmal brachte Mona Emily mit ihrer ehrlichen Art wirklich nah an den Nervenzusammenbruch. Ich weiß ja nicht genau wo …? Was war das denn für ein Kommentar. Auch wenn Adrian schwul war, hieß das nicht, dass er sich darüber unterhalten wollte, welche Haare er sich entfernte. Wieder schossen Emily Bilder seines Auftritts im Shadow durch den Kopf und sie verschluckte sich fast an einem Stückchen Lachs. Mona sah zu ihr hinüber, nur um anscheinend festzustellen, dass keine Hilfe benötigt wurde und sie sich wieder Adrian widmen konnte. Leichte Röte bereitete sich auf Emilys Wange aus. Es lag wohl am Wein. Denn auch Adrian spürte den Alkohol langsam in seinem Blut seine Kreise ziehen. Er trank nicht oft und schon gar nicht so viel wie sie vor kurzem. Meistens nur so viel, dass er leicht beschwipst war. Das Gefühl, sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben, kannte er gut. Sehr gut sogar und er hasste es. Wollte es nie wieder erleben, darum hielt er sich gerne zurück. Monas Frage brachte seinen Mund noch breiter zum Lächeln. Offenbar hatte Emilys Schwester keine Probleme damit, unverblümte Fragen zu stellen. So wie er keine Probleme hatte, auf genau diese zu antworten. „Tja, ich muss zugeben, an manchen Stellen komme ich mir schon immer mal wieder wie ein Masochist vor, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran und es tut auch weniger weh.“ Vor allem sein Intimbereich dankte es ihm inzwischen, dass er nicht mehr so empfindlich war. „Was mir aber wichtiger ist, ist die Zeitersparnis. Lieber einmal oder zweimal im Monat durchbeißen, als das Theater jeden Tag von Neuem.“ Es nervte ja schon genug, sich jeden Tag das Kinn und die Wangen rasieren zu müssen. Außerdem wuchsen Stoppeln innerhalb weniger Stunden wieder nach. Bei seiner Arbeit konnte er sich das nicht leisten. Es sah auch absolut nicht gut aus. „Hey, ich hätte da noch eine Frage. Geht ihr beiden eigentlich auch öfters zusammen weg? Ich meine, nichts für ungut, Emily, aber Julie ist …“ Anstrengend. Quasselt ständig und schafft es immer wieder, ihn bis aufs Blut zu reizen. „… eine Herausforderung. Durch und durch.“ Wieder lächelte er. „Nein, wir gehen nicht mehr so oft zusammen weg. Früher waren wir schon ab und zu zusammen auf der Piste, aber …“ Mona sah ratlos zu Emily hinüber, die ihrerseits nur mit den Schultern zuckte und dann ihre Version der Geschichte zur Sprache brachte. „Ich glaube, das hat sich geändert, als wir beide zu Hause ausgezogen sind. Jeder hatte sein eigenes Leben und war beschäftigt. Du hast Mario und ich …“ … habe niemanden. Sie musste an Zach denken und wie schön es am Anfang gewesen war. Wie oft sie zu viert unterwegs gewesen waren. Einfach nur in einer Bar, um ein Bier zu trinken. Aber das war nur so lange gegangen, wie Zach noch ein wenig um Emily gebuhlt hatte. Sobald ihm klar geworden war, dass sie mit dem Herzen an ihm hing, war sie langweilig für ihn geworden und er hatte sie links liegen lassen. Zumindest, bis er wieder einmal Lust auf Sex mit ihr hatte. Grimmig spießte Emily ein Stück Spinat auf ihre Gabel und sah konzentriert auf ihren Teller. „Und du hängst immer noch mit Julie rum? Hätte ich das gewusst, hätte ich dich jede Nacht in irgendeine Bar oder einen Club gezerrt. Das Mädel ist doch unmöglich.“ „Das weiß ich selbst. Aber sie ist meine Freundin. Da kommt man manchmal einfach nicht so leicht raus.“ Emily wollte sich nicht verteidigen und sah in Adrian einen kleinen Rettungsanker. Damit musste er nun fertig werden. Immerhin hatte er das Thema auf Julie gebracht. „Was ist denn mit dir? Wollte dein bester Kumpel nicht mal vorbeikommen?“ Adrian sah es Emily an, dass sie gerade an ihren Exfreund dachte. Ob die beiden schon immer so gewesen waren, oder sich das erst später in dieses Desaster entwickelt hatte, wusste er nicht. Aber in den meisten unangenehmen Fällen war das der Ablauf. „Ich war heute mit ihm Mittagessen. Wenn er isst, komme ich bei ihm wenigstens Mal zu Wort. In dem Sinne kann ich dich gut verstehen, was die Sache mit Julie angeht. Man weiß nicht, warum man mit diesen Menschen abhängt, aber um ehrlich zu sein, ich könnte Tyson nicht loslassen. Er bringt mich zwar immer wieder zur Weißglut, aber er ist auch ein echt guter Freund. Vielleicht schaut er die nächsten Tage mal vorbei. Wie wäre es, wenn du Julie einlädst? Könnte ja sein, dass die beiden gut zusammenpassen. Tyson könnte genau ihr Typ sein.“ Soweit er das bisher mitbekommen hatte, war sie auch eher eine dieser oberflächlichen Tussen. Allerdings hatte sie ja einen Freund, nur wie lange? Und Tyson hatte ja auch einen Frauenverschleiß, der schon hart an der Schmerzgrenze lag. Emily kaute ihren letzten Bissen und spülte ihn mit Wein hinunter, bevor sie ihre Meinung zu Julie und Adrians bestem Freund abgab. „Ganz ehrlich gesagt muss dein Freund nur hetero sein und aufrecht stehen können … dann ist er Julies Typ.“ Jedem am Tisch war klar, was sie mit aufrecht stehen meinte. „Aber im Moment ist sie vergeben, also sollte sich dein Kumpel keine Hoffnungen machen.“ Gut, das konnte sich bei Julie bis nächste Woche ändern und dann würde sie diesem Tyson wahrscheinlich nackt ins Gesicht springen. Emily versuchte, nicht zu fies zu sein. Sie war nur ein wenig eifersüchtig darauf, dass Julie jeden Typen bekam, den sie sich aussuchte. Ob er nun ein einfacher, netter Kerl war, den sie ausnutzte oder ein Geschäftsmann, von dem sie sich finanziell aushalten ließ. Sie holte das für sich heraus, was sie wollte und legte die Männer dann ab wie ein altes Paar Schuhe. Das war absolut nicht Emilys Stil. Sie wollte immerhin selbst nicht so behandelt werden, warum sollte sie es also mit Anderen tun … „Ich glaube, beide Optionen erfüllt Tyson mit Bravour und noch viel mehr davon.“ Sein Freund war mehr als stockhetero, so wie er selbst übrigens auch und kam sogar mit mehreren Frauen gleichzeitig im Bett klar. Woher Tyson diese Ausdauer hatte, konnte sich Adrian bis heute nicht erklären. Aber dem war so. Mehr musste er auch nicht wissen. Hui … langsam schwirrte ihm der Kopf aber wirklich. Der Wein war ganz schön stark, wie er jetzt erst mitbekam. Betont langsam wischte er sich nach dem Essen den Mund mit der Serviette ab, lehnte sich lässig zurück und sah dann die beiden Ladys erwartungsvoll an. „Gibt es denn vielleicht auch einen Nachtisch?“ Sein Tonfall klang sogar in seinen eigenen Ohren so, als hätte er da nicht unbedingt von Essen gesprochen. Verdammt, er war echt furchtbar, wenn der Alkohol ihm zu Kopf stieg. Außerdem wurde ihm langsam heiß in seiner Haut. Noch ein paar Schlucke mehr und er würde hier freiwillig einen Strip hinlegen, nur um sich etwas Abkühlung zu verschaffen. Er sollte wirklich ins Bett verschwinden! Adrians Gesichtsausdruck und seine Gesten wirkten ein wenig verwaschen, als er sich zurücklehnte und sie beide ansah und nach Dessert fragte. Emily wollte gerade antworten, als sie von einer Melodie neben sich unterbrochen wurde. Mona zog hektisch ihr Handy aus der Jeanstasche und ließ es aufklappen. „Hallo?“ Tonlos und mit einem Augenrollen gab sie Emily zu verstehen, dass es ihre Mutter war. “Ja, ich bin bei Em … Nein … Warum sollten wir? ...“ Sie stand auf, rollte noch einmal mit den Augen und zog die Küchentür hinter sich zu. Fast völlig nutzlos, da man sie durch die dünnen Wände sprechen hören konnte. Allerdings war der Inhalt des Gesprächs nicht zu verstehen. Emily war sowieso klar, um was es ging. Die Küchenuhr zeigte bereits auf kurz nach acht. Sie mussten bald los. Ihre dunklen Augen ruhten lange auf Adrians Gesicht. Sie wusste auch nicht warum. Wahrscheinlich waren es der Wein und das warme Gefühl, das sich wegen des guten Essens in ihr ausbreitete. Sie lächelte ihn sanft an. „Tut mir leid, wir haben nur Kekse mitgebracht. Eigentlich wollte ich Pudding machen, aber …“ mit einem Nicken in Richtung Küchentür gab sie ihm zu verstehen, dass die Zeit dafür nicht reichen würde. „Wenn du möchtest und du später noch wach bist, kann ich uns einen machen, wenn ich zurück bin.“ Das hörte sich aus irgendeinem, für Emily unerklärlichen Grund, seltsam an. Als hätte sie Adrian enttäuscht und versuchte es jetzt wieder gutzumachen. Bevor sie aber länger darüber nachdenken konnte, schwang die Tür wieder auf und Mona kam mit einem Gesichtsausdruck herein, der die Reiter der Apokalypse verhieß. „Sie ist in zehn Minuten hier.“ „Sie holt uns echt hier ab?“ „Aber sicher. Mom hat Angst, wir könnten sonst über die Grenze fliehen.“ „Zurecht.“ Als Mona mit ihrem Handy den Raum verließ, schob er den restlichen Wein von sich. Genug getrunken. Eindeutig. Da ihm die Vorstellung, Emily könnte ihm später noch einen Pudding machen, und zwar nur für ihn, ein ganz schönes Kribbeln im Körper verursachte, das er durch den leichten Alkoholdunst in seinem Gehirn als Vorfreude identifizieren konnte. Adrian versuchte es zwar nicht zu deutlich zu zeigen, aber seine Augen strahlten wie die eines kleinen Jungen vor einem Haufen voll Weihnachtsgeschenken. „Ich …“ Er musste seine trockenen Lippen benetzten. „… werde warten.“ Das war dann wohl Antwort genug auf die Puddingfrage. Oh ja, er würde gerne welchen essen, während sie es sich auf der Couch bequem machten. Als Mona zurückkam und erklärte, dass ihre Mutter sie persönlich abholen kommen würde, stand er langsam auf, korkte den restlichen Wein wieder zu und stellte ihn in den Kühlschrank, ehe er die leeren Teller abräumte. Die Ladys hatten gekocht, jetzt war er an der Reihe mit Abwaschen. So war die gerechte Ordnung der Küche. Das war zumindest seine Meinung. „Gut. Freut mich.“ Das war ihr einziger Kommentar zu Adrians Versprechen, später noch wach zu sein, wenn sie nach Hause kam. Sie warf ihm noch ein Lächeln zu, stand aber gleichzeitig auf, um ihm abräumen zu helfen. „Hast du das Geschenk, Em?“ „Gut, dass du’s sagst …“ Mit diesen Worten sprintete Emily regelrecht aus der Küche, um in ihrem Zimmer nach dem verpackten Kalender zu suchen, den sie ihrem Großvater zusammen besorgt hatten. Er lag irgendwo unter einem Stapel Papieren und einem dicken Wälzer, noch in der Tüte des Buchladens verpackt. Kurz kontrollierte sich Emily noch in dem kleinen runden Spiegel mit dem Mosaikrand, der an ihrer Wand hing, bevor sie mit dem Kalender unter dem Arm in den Flur trat. Mona half Adrian derweil beim Abtrocknen. „Wird hoffentlich nicht so lange dauern. Die Phasen, in denen er klar ist, werden durch Medikamente verlängert, aber du weißt ja, wie das ist …“ Das konnte alles und nichts bedeuten. „Ich hoffe, dass wir in spätestens zwei Stunden da wieder weg sind.“ Was sie noch mehr hoffte, war, dass Adrian sein Versprechen wahrmachen und tatsächlich noch auf sein würde, wenn Emily nach Hause kam. Mona selbst hatte Mario, der sie nach eventuellen Ausfällen ihres Großvaters seelisch auffangen würde. Sie sah Adrian von der Seite prüfend an, hatte aber schon während des Essens für sich entschieden, dass er durchaus dafür geeignet war, Emily ein wenig aufzufangen. Natürlich wollte sie nicht, dass Adrian sich wie ein Kindermädchen benahm, aber es war nun einmal schön, wenn man jemanden hatte, zu dem man nach Hause kommen und mit dem man sich gut unterhalten konnte. Ein wenig Anlehnen war auch nicht schlecht. Dass Emily das ab und zu brauchte, war für jeden, der sie nur ein bisschen kannte, offensichtlich. Sie setzte sich oft einfach viel zu sehr selbst unter Druck und machte sich fertig. Deshalb war Mona auch sehr froh gewesen, als sie gehört hatte, dass ihre kleine Schwester nicht allein wohnen würde. Adrian schrubbte gerade an der Auflaufform herum, als es an der Tür klingelte. Die Schwestern sahen beide aus, als würden sie zu ihrer eigenen Hinrichtung abgeholt werden. „Ok, wir sehen uns dann hoffentlich bald mal wieder.“ Diesmal nahm sie Adrians Ellenbogen und drückte ihn kurz zum Abschied, ehe sie mit Emily aus der Tür verschwand, die noch rief: „Bis später! Und danke fürs Abwaschen!“ Auf Monas Worte hin, konnte Adrian sich diesen Besuch schon lebhafter vorstellen. Wenn man das Bewusstsein eines Menschen mit Medikamenten beeinflussen musste, war das schon eine ziemlich üble Angelegenheit. Vor allem, wenn dieser Mensch sich das selbst antat, um sich anders zu fühlen. Aber ob unfreiwillig oder freiwillig, es hatte Auswirkungen. Hoffentlich würde das die beiden Mädels nicht zu sehr mitnehmen. Aber so wie sie sich benahmen, könnte sich das noch zu einer langen Nacht entwickeln. So oder so, Adrian war noch entschlossener auf Emily zu warten. Alleine, um zu sehen, wie es ihr ging, wenn sie wieder zu Hause war. „Ja, das hoffe ich auch“, erwiderte er schließlich, als es an der Tür geläutet hatte und sich Mona verabschiedete. „Danke fürs Essen“, rief er ihnen noch nach, ehe sich Stille in der Wohnung ausbreitete. Adrian stand reglos da mit dem Geschirrtuch in der Hand und starrte vor sich hin. Es war wirklich unheimlich still. Zu still für seinen Geschmack. Also ging er rasch in sein Zimmer, legte sich wieder Musik auf, aber so leise, dass es keinen stören würde, und beendete dann den Abwasch. Er wischte noch den Tisch ab, ehe er sich auf die Couch pflanzte und plötzlich nichts mehr mit sich anzufangen wusste. Also zog er ein Knie an sich heran und legte das Kinn darauf ab. 'Behind blue eyes' erklang es treffenderweise, als seine Gedanken sich von ihm lösten und sein blauäugiger Blick leer wurde. Im Auto saß Emily vorne neben ihrer Mutter, während sich Mona auf den Rücksitz des kleinen Citroëns verzogen hatte. Sie sprachen nicht über ihr Ziel. Keiner von den Dreien wollte dort hin. Es war ein Pflichtbesuch, den sie hinter sich bringen würden, um dann alles, was damit zusammenhing, bis Weihnachten zu vergessen. Emily wünschte sich bloß, sie wäre schon wieder zu Hause auf der Couch, als sie durch das Beifahrerfenster in die Nacht hinausschaute. Eine Weile saß Adrian nur so da, versuchte sich auf das Gefühl des Alleinseins zu konzentrieren, bis er diese seltsame Spannung in seinem Körper nicht mehr länger ertragen konnte. Verdammt, er würde jetzt wirklich eine kleine Beauty-Session machen. Und wenn es nur in einem Schaumbad endete, das war immerhin besser als nichts. Als er so in der Wanne lag und der Schaum sich um Adrian herum immer mehr aufzulösen begann und somit mehr und mehr von seinem Körper zu sehen war, setzte er sich etwas auf und betrachtete sich. Er versuchte, sich mit den Augen eines Fremden zu sehen. Wie schon so oft. Seine Haut war blass, aber hatte dabei keine kränkliche Färbung. Sein Körper war unbehaart, was er inzwischen als sehr angenehm empfand. Er mochte seine weiche Haut. Sie war jetzt so anders als früher. Gesund und von ebener Beschaffenheit. Die leicht ausgeprägte Muskulatur seines Oberkörpers gab ihm einen zufriedenen Eindruck. Er war gesund und sportlich. Er wusste, wie er sich bewegen musste, wusste, wie er auf sich aufpassen konnte und dennoch … er wusste, er war anders als andere Männer. Nicht wegen seines Aussehens, seiner Art, oder wie er sich kleidete. Er war anders, weil er mit seinem jungen Alter nie den Drang verspürt hatte, sich selbst anzufassen. Klar, er wusste, wie es war, wenn er sich mit der Hand einen runterholte. Zumindest war das früher so gewesen, als er noch ein Teenager gewesen war und all diese neuen Erkenntnisse hatte ausprobieren müssen. Aber jetzt? Keine Lust, kein Verlangen. Er brauchte keine Erleichterung, weil sein Verstand blockierte. Sex bedeutete für ihn keine Erregung oder Lust und schon gar nicht Ekstase. Es bedeutete lediglich Arbeit. Und genau das hatte ihm wohl das Leben versaut. Diese Art der Arbeit. Adrian seufzte schwer und stieg schließlich aus der Wanne. Eigentlich war es ganz praktisch, nicht ständig schwanzgesteuert durch die Gegend herumrennen zu müssen, aber es fühlte sich dennoch irgendwie nicht richtig an. Als würde er etwas verpassen. Wie bei ihm jemals eine absolut normale Beziehung funktionieren sollte, wusste er nicht. Aber er würde nicht aufgeben. Irgendwann, ja da würde eine Frau kommen, die ihn wieder zum Leben erweckte. Die ihm wieder zeigte, dass sein Körper nicht bloß ein Spielzeug war und er auch das selbst glauben konnte. Irgendwann … hoffentlich … Bei dem Gedanken, dass Emily wohl bald nach Hause kommen würde, verschwanden seine düsteren Gefühle und es breitete sich wieder Wärme in seiner Brust aus. Ja, er sollte an sie denken. Es war vielleicht seltsam, da sie sich noch nicht so lange kannten, aber ihre Art, ihr Charakter und ihre Ausstrahlung waren ihm ein Trost, den er nicht mit Worten beschreiben konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)