Time to remember von seththos ================================================================================ Kapitel 56: Manches will man gar nicht wissen... ------------------------------------------------ Hi hallo, und danke für die Kommis zum letzten Kapitel. Hier geht es nun auch endlich weiter und ich wünsche viel Spaß beim nächsten Kapitel. ^.~ GLG seththos _____________________________________________________________________________ **********zwei Stunden später********** Langsam richtete Seto Kaiba sich auf. Zum zweiten Mal an diesem Tag, war er aus einem dämmrigen Schlaf erwacht, eine blonde schmale Gestalt neben sich im Bett liegend. Schmunzelnd betrachtete er erneut das noch immer friedlich schlummernde Gesicht. Inzwischen fühlte er sich ein wenig besser als noch am vergangenen Abend. Nachdenklich musterte der Braunhaarige seine Hände. Sorgsam darauf bedacht, Joey neben sich nicht aufzuwecken, murmelte er flüsternd einen knappen Befehl. Mit ein bisschen Konzentration gelang es ihm ohne größere Schwierigkeiten, ein kleines eisblaues Leuchten in seiner rechten Hand zu erzeugen. Nachdem er das Licht ein paar Sekunden am Leben erhalten hatte, schloss er seine Finger wieder und ließ es wortlos wieder verschwinden. Die Erzeugung eines solchen kleinen Zaubers benötigte nur ein Mindestmaß an magischem Geschick und ein Wort, welches den Zauber formte. Es war nichts weiter, als ein kleines Kunststück, welches selbst die jüngsten Priester beherrschten. Zur Beeindruckung von einfachen Menschen war es ausreichend gewesen. Abermals sah er in die Richtung des Blonden und musste feststellen, dass dieser ihn, noch immer neben ihm liegend, aus ruhigen Augen musterte. Nach seinem gestrigen Ausbruch war es wohl nicht verwunderlich, dass Joey kein Zeichen von Überraschung oder Staunen zeigte. „Hallo Priester“, begrüßte ihn der Kleinere mit einem Unterton, der Seto die nächste Frage bereits verriet, bevor er sie überhaupt aussprach. Dennoch ließ er Joey die Zeit, seine Worte selbst zu wählen. „Du hast wieder Zugriff auf deine alten Fähigkeiten.“ „Hm.“ „Seit wann?“, erkundigte sich der Blonde. Erneut sah Seto auf seine rechte Hand, als könne er noch immer einen Schimmer des blauen Lichts erkennen. „Seit gestern.“ Ein Schulterzucken folgte. „Vielleicht auch schon früher. Ich nehme an, seit meine Erinnerungen angefangen haben, zurückzukehren.“ Nun war es an Joey, seine Aussage mit einem unbestimmten ‚Hm‘ zu quittieren. Ein kurzes Schweigen folgte. „Warum wolltest du Atemu töten?“, rang Joey sich schließlich zu der Frage durch, die ihm in diesem Moment als die bei weitem wichtigere erschien. „Nicht töten, nur verletzen.“ Joeys rechte Augenbraue verschwand beinahe in seinem Haaransatz. Wieder ein Schulterzucken. „Vielleicht auch töten. Ich weiß es nicht.“ Sich an die Bilder von gestern erinnernd, welche während des kurzen Schlagabtausches in seinem Kopf gewütet hatten, grub sich Entschlossenheit in seine Züge. „Aber ich werde es herausfinden.“ Langsam ließ er seinen Blick über die Konturen des Blonden streifen, welche sich nun wieder deutlich unter der Decke abzeichneten. Ein Teil des Stoffes war hinuntergerutscht. Geflissentlich half Seto ein wenig nach und sorgte dafür, dass er freien Blick auf Joeys Oberkörper hatte. Stirnrunzelnd sah er auf das T-Shirt, welches sich während des Schlafes ein Stück nach oben geschoben haben musste und nun den Blick auf weiße Verbände freigab. Federleicht, als hätte er Angst, ihn erneut zu verletzen, strich Seto über die Seite, auf welcher er dem Blonden am Tag zuvor die blutigen Striemen beigebracht hatte. Joey ließ es stillschweigend zu. Er sah den Schmerz in den Augen des Anderen und wusste doch, dass kein Wort in der Lage wäre, diesen Schmerz zu lindern. „Es tut mir leid“, flüsterte Seto erneut. Doch Joey schüttelte nur den Kopf. **********später in der Küche********** Nachdenklich saß Mokuba am Frühstückstisch und wartete auf seinen großen Bruder. Niles hatte ihm berichtet, dass dieser inzwischen aufgewacht war. So, wie er Seto kannte, würde er vermutlich trotz der Warnung des Arztes aufstehen und zur Arbeit gehen wollen. Sein erklärtes Ziel war es, ihn davon abzubringen. Er kannte ihn gut. In jedem Fall würde er vorher noch in der Küche einen Kaffee trinken. Also brauchte er eigentlich nur hier zu sitzen und zu warten. Außerdem wollte er sich unbedingt selbst davon überzeugen, dass es ihm schon wieder besser ging, bevor er ihn, irgendwie, vielleicht mit der Hilfe von Niles, ans Bett fesselte. Mit einem Knebel. Sein Bruder konnte ziemlich ungehalten und laut werden, wenn er von wichtiger Arbeit abgehalten wurde. Bis es soweit war, wollte er sich noch mit einem Nutellabrötchen stärken. „Hier.“ Mit einem dankbaren Nicken nahm Mokuba die heiße Schokolade entgegen, welche Niles ihm zubereitet hatte. „Danke.“ „Hm.“ Man sah Mokuba an, wie sehr ihn der plötzliche Zusammenbruch seines Bruders beschäftigte. Gern hätte der Butler die Sorgen des sonst so fröhlichen kleinen Jungen zerstreut, doch seiner Ansicht nach fiel dies in diesem Fall einmal nicht in seinen Aufgabenbereich. DIESE Aufgabe würde er seinem Arbeitgeber überlassen. Mit Freuden. Aber er würde vorsichtshalber in der Nähe bleiben – sicherheitshalber. Immerhin war er nicht nur für das Personal und seine Arbeitgeber zuständig, sondern auch für den Erhalt des gesamten Mobiliars, welches in letzter Zeit bereits arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Meinst du wirklich, dass Seto wieder gesund wird?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige bei seinem Lieblingsbutler. „Nun mach dir da mal keine Sorgen, Kleiner“, erscholl es bereits aus einer anderen Richtung, noch ehe Niles überhaupt zu einer Antwort ansetzen konnte. Überrascht sahen beide in die Richtung der Küchentür. Seto, gekleidet in eine schwarze Hose sowie einen gemütlich aussehenden dunkelbraunen Pullover und mit einem milden beruhigenden Lächeln auf den Lippen, trat herein und steuerte augenblicklich auf seinen kleinen Bruder zu. Dort angekommen wuschelte er ihm liebevoll durch die Haare. „Ich habe schon ganz andere Sachen überstanden, meinst du nicht?“, erinnerte er den Kleineren. „Oder glaubst du etwa, dein großer Bruder lässt sich von so einem kleinen Schwächeanfall umbringen?“ Zögernd schüttelte der Schwarzhaarige den Kopf. Mokuba dachte an all die Dinge, die sie in den letzten Jahren gemeinsam gemeistert hatten. Doch auch wenn er wusste, dass sein großer Bruder stark war, fürchtete er doch, ihn eines Tages zu verlieren. Sicher war die Sorge unbegründet. Zumindest versuchte er sich das immer wieder einzureden. Sein großer Bruder war der Einzige aus seiner Familie, der ihm noch geblieben war. Bis jetzt war Seto immer für ihn da gewesen, wenn er ihn gebraucht hatte, hatte sich um ihn gesorgt und ihn unterstützt. Doch das ließ seine Sorgen nur noch wachsen. Seto hatte immer alles alleine gemacht und sich von niemandem helfen lassen. Nicht einmal von ihm. Er wusste, wenn es nach Seto ginge, sollte er den ganzen Tag fröhlich sein und Spaß haben. Ihm war durchaus bewusst, dass er ihm in seinem Alter noch keine große Hilfe sein konnte, dazu war er noch zu jung. Daher versuchte er, so viel zu lachen, wie es nur ging, um Setos Wunsch zu erfüllen und ihm nicht noch mehr Sorgen zu bereiten. Doch wer kümmerte sich dann um seinen großen Bruder? „Nein, das nicht“, druckste er leise herum. Seto schien diese Antwort vorerst zu genügen und setzte sich ihm gegenüber an den Frühstückstisch. Wie jeden Morgen sorgte Niles dafür, dass er mit ausreichend frisch gebrühtem Kaffee versorgt wurde. Erstaunt verfolgte Mokuba, wie sein großer Bruder sich entspannt zurücklehnte und das schwarze Gebräu zu sich nahm, während ihr Butler ihm auch einen Teller mit heißer Suppe dazustellte. „Gehst du heute gar nicht zur Arbeit?“, wagte er zögernd zu fragen. Irgendetwas an seinem Bruder hatte sich verändert. Er hatte sich noch nicht einmal eine Zeitung von Niles geben lassen, um sich neben seinem Kaffee über die neuesten Aktien- und Börsenkurse zu erkundigen. Diese Entwicklung, in Gedenk an das tags zuvor beobachtete Verhalten, machte ihm Angst. Seto ersparte sich eine längere Erklärung. Joey hatte es doch tatsächlich gewagt, ihm seine Gesellschaft im Bett zu verweigern, wenn er heute auch nur einen Schritt aus dem Haus ginge. Immer noch ein wenig verstimmt auf Grund dieser Fremdbestimmung, widmete er dieser Frage nur einen kurzen stechenden Blick in Richtung Mokuba, welcher ihm deutlich zu verstehen gab, lieber nicht näher nachzufragen. „Nein.“ „Aha“, entgegnete dieser daraufhin, welcher den unterschwelligen Hinweis durchaus wahrnahm. Warum auch immer sich Seto dazu entschieden hatte, einmal auf das zu hören, was der Arzt sagte – ihm war es gleich. Was zählte, war das Ergebnis. Er spürte, wie seine Schultern sich langsam entspannten. Jetzt, da er wusste, dass Seto nicht zur Arbeit gehen würde, konnte er sich endlich um sein Nutellabrötchen kümmern, das noch immer unberührt vor ihm lag. „Bitte, Sir“, machte Niles wieder auf sich aufmerksam und stellte einen Teller mit der frisch zubereiteten heißen Suppe vor seinen Arbeitgeber. Dieser betrachtete die Hühnerbrühe mehr als skeptisch und schob sie demonstrativ ein Stück von sich weg. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, widmete er sich wieder seinem schwarzen morgendlichen Gebräu. „Nein, danke Niles. Sie wissen, dass ich morgens nur einen Kaffee zu mir nehme.“ Mokuba wollte gerade protestieren, als bereits eine andere Stimme diese selten dankbare Aufgabe übernahm. „Dieses Argument ist seit ziemlich genau zwei Minuten hinfällig, Seto. Es ist bereits zwei Minuten nach zwölf und somit Mittagszeit. Und das hier, Mokuba, ist viel zu ungesund für dich.“ Ein weiteres Mal an diesem Morgen, riss Mokuba erstaunt die Augen auf. Weniger wegen der Brötchenhälfte, die bis eben noch unschuldig und unberührt auf seinem Teller gelegen hatte, als vielmehr wegen der Hand, die sie wegnahm. Wäre er nicht so geschockt von dem Anblick gewesen, der sich ihm bot, hätte er sicher augenblicklich protestiert, als sich sein geliebtes Nutellabrötchen bereits zu einem kleinen Teil im Mund von Joey wiederfand. Kritisch beäugte der Blonde den Teller Suppe und ließ sich an dem großen Tisch scheinbar vollkommen ungezwungen neben Seto nieder. Ohne weiteren Kommentar schob er die gesunde Mahlzeit wieder in Richtung des Firmenchefs zurück. „Dein Koch hat die Suppe sicher extra für deine Stärkung zubereitet. Das solltest du entsprechend zu würdigen wissen…“ „Ich kann mich nicht daran erinnern, um eine Suppe gebeten zu haben. Dementsprechend besteht für mich kein Grund, irgendetwas zu würdigen.“ „… ich war noch nicht fertig. Außerdem…“ Joey kam nicht mehr dazu, weitere Argumente vorzubringen. „Was ist… Joey… Guten Morgen… also … entschuldige, aber…“, zögernd sah Mokuba immer wieder von einem zum Anderen und ließ auch sein Nutellabrötchen bei seiner Betrachtung nicht aus. Nur langsam drangen alle Fakten in seinen Kopf vor und wurden dort nahezu tröpfchenweise verarbeitet. Joey hielt sich schon am frühen Morgen nicht nur im Hause der Kaibas auf, sondern auch noch in der Küche, am Frühstückstisch. Sein großer Bruder wurde nicht nur nicht sauer, er schien auch keineswegs erstaunt, dass der Blonde ihnen um diese Stunde Gesellschaft leistete. Hinzu kam, dass er an Joeys Körper eindeutig Kleidungsstücke seines Bruders wiederzuerkennen glaubte: Eine etwas zu lange dunkle Hose gemixt mit einem viel zu großen graublauen Pullover, bei welchem Joey vorsichtshalber die Ärmel hochgeschoben hatte. Von dem Nutellabrötchen, das bereits den zweiten Tag in Folge Beine bekommen hatte, ganz zu schweigen. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, an was er eher zweifeln sollte: an seinen Augen oder seinem Verstand. Hilfesuchend sah er zu Niles. Gleichwohl dieser wie jeden Tag eine möglichst unberührte Miene aufsetzte, bemerkte Mokuba doch, dass sein bester Vertrauter in diesem Haus ihn ganz offensichtlich hintergangen hatte. Die belustigt funkelnden Augen verrieten, dass ihm die Anwesenheit des Blonden nicht neu war. Dennoch hatte er ihm, Mokuba, dieses Geheimnis vorsätzlich verschwiegen! Wenn er ihm bis jetzt noch nicht gesagt hatte, was hier eigentlich vor sich ging, war wohl auch in den nächsten Minuten mit keiner Erklärung seinerseits zu rechnen. Dem entsprechend blieben nur noch zwei andere Personen in diesem Raum übrig, an die er sich wenden konnte. Augenblicklich driftete sein Blick zurück zu Joey und Seto. Leider bemerkte er auf diese Weise, von seinen wirbelnden Gedanken vollkommen in Beschlag genommen, viel zu spät, dass auch seine zweite Brötchenhälfte sich einen neuen Besitzer suchte. Das ging zu weit! Ohne zu zögern stellte er vorerst alle weiteren Fragen zurück und langte hastig nach seinem Essen. „HEY! Das. Ist. Meins!“ Schnell versuchte er das leckere Teil mit flinken Fingern dem hinterhältigen Dieb zu entwenden. Es blieb bei einem Versuch. Joey neckte ihn, indem er die kleine Hälfte immer genau so weit entfernt von ihm hielt, dass er nicht heranreichte. Hilflos musste Mokuba mit ansehen, wie der Rest seines Frühstücks von einer Hand zur anderen wanderte, ohne, dass er etwas dagegen ausrichten konnte. Joey grinste indessen nur und machte sich einen Spaß daraus, den Kleineren zu ärgern. Sich das kleine Schauspiel noch einen Moment wortlos betrachtend, nippte Kaiba derweil ruhig an seinem Kaffee und nahm auch ein paar Löffel Suppe zu sich. Als schließlich jedoch der Tisch zu wackeln begann, da Mokuba und auch Joey so oft an ihn stießen und die heiße Suppe überschwappte, sah er sich doch gezwungen, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Ohne weiteren Kommentar schnappte er sich das Brötchen, welches Joey just in diesem Moment in seine Richtung hielt und legte es zurück auf den Teller von Mokuba. „Mit dem Essen spielt man nicht“, belehrte er die Beiden, ehe er aufstand und sich aus Schrank und Kühlschrank ein paar Sachen zusammensuchte und sich wieder an den Tisch setzte. Derweil wischte Niles bereits die übergeschwappte Suppe auf und stellte auch Joey, wie schon Mokuba, eine heiße Schokolade vor die Nase. Von dessen früheren gelegentlichen Besuchen wusste er, dass er einer heißen Schokolade nie abgeneigt war. Nun erneut im Vollbesitz seines Frühstücks, gelang es Mokuba, wieder auf andere Dinge, als die unmittelbare Nahrungsaufnahme, zu achten. Verblüfft stellte er fest, dass sein Bruder neben einem Teller und einem Messer auch ein Brötchen und das Nutellaglas an den Tisch brachte. Binnen kurzer Zeit wurde das Gebäck in zwei Hälften geschnitten und mit der braunen Creme bestrichen, ehe er es wortlos zu Joey hinüberschob. Erst danach schloss er das Glas wieder und schob alles, für eine eventuelle spätere Verwendung, an den Rand des Tisches. „Danke“, erklang es grinsend aus Joeys Richtung, welcher sich über das Tun von Seto in keiner Weise überrascht zeigte. „Wie aufmerksam“, konnte er sich einen nachgeschobenen ironischen Kommentar nicht ganz verkneifen. „Iss einfach“, intonierte Seto in typisch wortkarger Manier, ehe er sich nun doch noch die Zeitung von Niles reichen ließ. Statt ähnlich wie Mokuba, tellergroße Augen zu bekommen, machte Joey sich flugs über das extra für ihn geschmierte Brötchen her, deutete dabei jedoch noch einmal angelegentlich auf die Suppe. Seto verstand den Hinweis. Statt allerdings noch ein paar weitere Löffel zu sich zu nehmen, legte sich seine Stirn in Falten und sein Blick schien dem Kleineren ein ‚Übertreib es nicht!‘ zuzuwerfen, ehe er sich wieder dem Aktienkurs widmete. Fünfzehn Löffel Suppe waren seiner Ansicht nach mehr als ausreichend, um den Zweck der Stärkung und Würdigung zu erfüllen. Joey überlegte noch kurz, zuckte dann die Schultern und schien sich mit Setos Entscheidung einverstanden zu erklären. Nur eine Minute später faltete dieser die Zeitung in seiner Hand bereits wieder sorgfältig zusammen und reichte sie Niles, welcher sie dienstfertig entsorgte. Als sei das Alles das Normalste der Welt, sah sein großer Bruder anschließend zu ihm auf und wies ihn seinerseits auf sein eigenes Frühstück hin. „Du solltest das lieber aufessen. So, wie ich Joey kenne, ist sein Appetit mit diesem hier“, er richtete seinen Blick auf das vor dem Blonden liegende Brötchen „noch längst nicht gestillt.“ In Ordnung. Das war eindeutig zu viel. „Was verdammt und zum Teufel nochmal, geht hier eigentlich vor?“, erkundigte sich der Kleinste der Runde gerade heraus. „Man flucht nicht am Essenstisch“, wies sein großer Bruder ihn automatisch zurecht. „Das ist mir SCHEIß egal, Seto!“, informierte ihn Mokuba in großzügiger Missachtung seiner vorangegangenen Belehrung. Nichts war für ihn in diesem Moment so nebensächlich wie Benimmregeln am Essenstisch. Solche Regeln wären auch am nächsten Tag oder im nächsten Jahr noch dieselben – sein Bruder allerdings nicht! Schließlich hatte er es binnen zwei Tagen geschafft, sich komplett zu verändern. Und das, ohne ihn vorher zu fragen! „Ich verlange eine Erklärung! Ich bin immerhin dein Bruder!“ Ein kurzer Blickwechsel bei den Älteren stürzte den Schwarzhaarigen in noch größere Verwirrung. Doch er kam nicht mehr dazu, weiter nachzuhaken. Mit leicht säuerlicher Miene erklärte Joey „Dein Bruder will, dass ich bei euch einziehe“, ehe er mit dem Essen fortfuhr, als sei nichts gewesen. Doch der gelassene Eindruck, den die beiden zu vermitteln versuchten, täuschte. Gespannt warteten sie auf eine erste Reaktion des Kleineren. Seto hatte beschlossen, dass sein Bruder die Wahrheit verkraften würde, aber er wollte es ihm lieber in kleinen Schritten beibringen. Erstmal galt es zu vermitteln, dass der Blonde ab heute mit ihnen zusammen wohnte. Alles Andere kam später. Immerhin verlangte er eine Menge von seinem kleinen Bruder, zu akzeptieren, dass er den Rest seines Lebens an der Seite eines Mannes verbringen wollte. Er würde sich nicht von Joey trennen, egal, was der Kleinere sagte – dennoch war ihm dessen Verständnis überaus wichtig. Mokuba schluckte. Die Worte ließen sich nur langsam verdauen. Er brauchte Zeit, um sich eine angemessene Reaktion zu überlegen und versuchte, diese mit einem Bissen von seinem Brötchen zu gewinnen. So langsam er konnte, zerkaute er jedes Krümelchen einzeln und zerlegte die kleinen Stücke dabei vermutlich in ihre jeweiligen atomaren Einzelteile, ehe sie in seinem Magen landeten. Dieser freute sich, brauchte er dadurch doch weniger zu arbeiten. Nebenbei ließ er die beiden Älteren nicht eine Sekunde aus den Augen. Fieberhaft versuchte sein Verstand alles, was er in den letzten Tagen gesehen und gehört hatte, mit dem zu kombinieren, was er nun vor sich sah. Sein Bruder war eindeutig nervös, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Doch Mokuba war aufmerksam genug, um zu bemerken, dass nicht Joey es war, der ihn nervös machte, sondern er – sein kleiner Bruder. Offenbar war ihm wichtig, was er zu dem Wunsch seines Bruders zu sagen hatte. Was ihn zu der Frage brachte, warum es Seto kümmern sollte, was er davon hielt. Nachdenklich betrachtete er sich die Haltung des Größeren. Von seiner Nervosität abgesehen, strahlte er eine innere Ruhe aus, die Mokuba noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Die gemütliche Kleidung, die er heute gewählt hatte, unterstrich diesen Eindruck noch. Hinzu kam, dass er sich selten von jemandem Etwas sagen ließ. Vermutlich ging nicht nur das Essen der Suppe auf das Konto von Joey, sondern auch, dass Seto heute zu Hause blieb. Denn was sonst konnte für diese Entscheidung die Ursache sein? Die Samstage, an denen Seto nicht arbeitete, waren rar gesät. Meist trat ein solches Wunder nur ein, wenn er zuvor darauf bestand, dass er etwas mit ihm unternehmen müsse. Und dass Seto auf einmal auf den Rat eines Arztes hörte, erschien ihm reichlich unwahrscheinlich. In Gedenk an seine gestrige Unterhaltung mit Niles und angesichts des eigens von Seto für Joey geschmierten Brötchens, drängte sich dem Kleineren eine äußerst logische und wichtige Frage auf. Ein zaghaftes Lächeln schob sich auf sein Gesicht. „Liebst du Joey?“, erkundigte er sich schließlich ohne weitere Zurückhaltung gerade heraus. Ein kurzer aber kräftiger Hustenanfall war die Folge. Kaiba hatte nicht geglaubt, dass Mokuba so schnell die richtigen Schlüsse ziehen würde. So viel zu seiner Idee, es dem Jüngeren schonend beizubringen. „Was?“, erkundigte er sich dennoch vorsichtshalber, nur, um sicherzugehen, dass er sich nicht verhört hatte. Mit ernsten wissenden Kinderaugen sah der Kleinere ihn an. „Niles hat gemeint, du könntest verliebt sein, weil du gestern die ganze Zeit gepfiffen hast. Bist du es? Ich meine: verliebt? In Joey?“ Der Blick des Älteren zuckte zum Butler. "So, hat er das, ja?" Dieser entdeckte just in diesem Augenblick noch einen kleinen Milchfleck auf der Küchenplatte und suchte dienstbeflissen sofort nach einem Lappen. Kaiba beschlich allerdings der leise Verdacht, dass es sich dabei nur um einen Vorwand handelte, um erst später am Tag von seiner umgehenden Lohnkürzung zu erfahren. Fast schon hilfesuchend schweiften Kaibas blaue Augen weiter zu seinem Sitznachbarn. Der Blonde hielt sich zurück. Er bewunderte die Courage des Kleineren, sich so unversehens dieser für ihn neuen Wendung im Herzen seines Bruders zu stellen und ihn direkt darauf anzusprechen. Man vergaß oft nur all zu leicht, dass auch er ein Kaiba war. Interessiert sah er zu Seto, machte aber keine Anstalten, ihm in irgendeiner Weise zu helfen. Inzwischen waren bereits einige wertvolle Millisekunden verstrichen und Joey konnte sich gut vorstellen, wie die Gedanken hinter der Stirn des Älteren rasten. Es war eine Sache, ihm in stiller Zweisamkeit zu versichern, dass er ihn liebe – doch vor seinem Bruder musste das eine ganz besondere Herausforderung für den Firmenchef sein. Auch für Seto Kaiba, wie er schmunzelnd erkannte. Eine kaum sichtbare Röte legte sich über das Gesicht des Größeren. Feixend beobachtete Joey das Schauspiel weiter. Er würde ihm in dieser Sache nicht helfen – immerhin gab es da noch immer diese Sache mit dem Knutschfleck… Seto, ebenfalls ein Kaiba durch und durch, hielt sich allerdings trotz seiner sichtbaren Verlegenheit - was in keiner Weise recht zu dem allseits gefürchteten Firmenchef passen wollte - nicht mit langen Reden auf, sondern beantwortete die Frage seines kleinen Bruders nach nur wenigen Millisekunden gerade heraus mit einem klaren „Ja“. Mokuba maß die zwei Älteren noch einen Moment mit einem langen Blick, ehe er einmal tief durchatmete und mit einem Nicken quasi sein Einverständnis gab. „In Ordnung“, sagte er nur und nahm einen weiteren Bissen zu sich. „Wurde auch Zeit“, setzte er mit vollem Mund hinzu. Man sah ihm an, dass jetzt, da sich für ihn alles geklärt hatte, seine volle Aufmerksamkeit wieder der Nahrungsaufnahme diente. Kaiba horchte auf. „Wie?“ „Naja“, grinsend sah der Kleinere halb kauend auf seinen großen Bruder und blinzelte Joey fröhlich zu „wenn ich es recht bedenke... du konntest ja schon beim Baden vor ein paar Wochen deinen Blick nicht von Joey lösen.“ „Soso“, ließ dieser sich vernehmen und grinste den Anderen, dessen Gesichtsfarbe auf einmal noch mehr Farbe zeigte, als zuvor, unverhohlen an. „Wer kann also bitte nochmal den Blick nicht von dem Anderen lassen?“, hakte er lachend nach. „Halt den Mund, Hündchen“, wies Kaiba ihn zurecht und steckte ihm unversehens eine Brötchenhälfte in den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ohne weiteren Kommentar räumte er das Frühstück weg. „Hey!“, protestierte Joey „If var nock nüch fertick.“ „Es gibt noch Suppe“, entgegnete der Größere grummelnd und verstaute das Nutellaglas ganz hinten in einem der oberen Schränke, an welchen weder Joey noch Mokuba ohne Stuhl heranreichten. Er würde die Beiden lehren, sich über ihn lustig zu machen! Mokuba und Joey, die ahnten, dass Seto damit lediglich seine Verlegenheit zu überspielen gedachte, blinzelten sich belustigt zu und genossen die verbleibenden Bissen ihres schokoladenreichen Frühstücks. „Wo hast du denn heute Nacht eigentlich geschlafen?“, wollte der Schwarzhaarige mit einem Blick auf Joes Kleidung nun doch noch wissen. „Werd fertig mit dem Essen, Joey. Ich will noch einmal ein paar Programmcodes mit dir durchgehen. Also sieh zu. Nimm das Brötchen meinetwegen mit.“ Wenn überhaupt möglich, nahm die Röte in Kaibas Gesicht ein weiteres Mal zu und auch das Grinsen in Joeys Gesicht erreichte neue Dimensionen. Dennoch schwieg er sicherheitshalber, wollte er doch vermeiden, dass am Ende er es war, der allein in einem dieser riesigen Betten in diesem Haus schlafen musste. Entschuldigend die Schultern zuckend, verabschiedete sich Joey von Mokuba und Niles. Seto hatte die Küche bereits verlassen und der Blonde verlor keine Zeit, ihm zu folgen. Verstimmt, da er keine Antwort erhalten hatte, sah Mokuba zu dem merkwürdigerweise ebenso breit grinsendem Niles. Da ein messerscharfer Verstand in den Genen der Kaibas verankert war, brauchte Mokuba nicht lange, um einen Rückschluss zwischen dem noch eben erhaschten Blick auf den hochroten Kopf seines Bruders und dessen barschen Befehlston sowie dem breiten Grinsen von Joey und dessen geliehener Kleidung zu ziehen. Auch er selbst wurde ein wenig rot um die Nase, als er zu der folgerichtigen Erkenntnis gelangte. Dennoch scheute er sich nicht davor, auch diesmal sicherheitshalber nachzuhaken. Kinder wollten es eben immer ganz genau wissen. „Er hat bei ihm geschlafen, oder?“ Niles nickte nur. Immer noch mit einem belustigten Lächeln im Gesicht. „Kann es sein… dass er, als ich vorhin bei Seto war…“ Das Lächeln seines Butlers vertiefte sich, ebenso wie der Rotton im Gesicht des Jüngeren. Mokuba unterstützte und akzeptierte die Verbindung seines Bruders zu Joey. Es war unschwer zu übersehen, dass er ihm bereits jetzt gut tat. Dennoch war er sich mit einmal sicher, dass er deshalb noch längst nicht alle Details wissen wollte und sah trotz jugendlicher Neugierde von weiteren Nachfragen ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)